Die Jesuskindverehrung im Karmel
Sr. Joanna a
Cruce O.C.D.
INHALT
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Das
Prager Jesulein

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Die Jesuskindverehrung
im Karmel
Sr. Joanna a
cruce O.C.D.
Überarbeitet und neu herausgegeben von Klemens
Kiser

Der kleine Noviziatskönig
mit der sel. Anna vom hl. Bartholomäus
Gottes Sohn ist
Mensch geworden, damit wir Kinder Gottes werden
können.
Das Geheimnis von Bethlehem wiederholt sich
immer wieder, auch heute.
Der Herr klopft auch an unsere Herzen. Öffnen
wir IHM. Denn es gilt, was der hl. Apostel
Johannes im 1. Kapitel seines Evangeliums schreibt:
“Allen, die IHN aufnahmen, gab er (Voll)Macht
Kinder Gottes zu werden.”
In Bethlehem sangen die Engel das Gloria mit
den Worten ‘Frieden auf Erden den Menschen,
die guten Willens sind.’
Die hl. Sr. Theresia Benedicta - Edith Stein
schreibt dazu:
“Friede auf Erden
denen, die guten Willens sind. Aber nicht alle
sind guten Willens.
Und:
Vor dem Kind in
der Krippe scheiden sich die Geister.”
Jesus sagt: “Wenn ihr euch nicht bekehrt und
werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das
Reich Gottes eintreten.” Mt 18. Dies ist einer
der ultimativsten Sätze des Evangeliums.
Was meint bekehren? - Sich zu Gott hinwenden
und von der Sünde abwenden.
Gott dienen und ihn von ganzem Herzen lieben,
nicht nur gelegentlich, je nach Laune.
Was heißt Kind sein? Auf Gott hören, Ihm vertrauen,
Ihm folgen und dazu gehört auch ein reines Herz
haben. Selig, die ein reines Herz haben Mt 5.
Früher hat man daher in Notzeiten Kinder beten
lassen!
Es ist das Erhabenste Kind Gottes sein zu dürfen,
zu Gott Vater sagen zu dürfen und damit auch
Erbe des Himmels, des ewigen Lebens werden zu
können.
Das Buch ‘Das Jesulein
im Theresianischen Karmel‘
von Sr. Johanna von Kreuz O.C.D. erschien 1965
mit Imprimatur im Verlag Gegenbauers Erben in
Wil. Den Verlag gibt es nicht mehr. 1990 habe
ich in Wil den Auftrag und das Recht erhalten
es neu herauszugeben. Sr. Johanna vom Kreuz
wurde 1901 als Ida Josefa van Weersth geboren,
1926 trat sie in den Karmel von Echt ein, wo
später die hl. Sr. Teresia Benedicta (Edith
Stein) war. Ihr Karmel in Beek, den sie gegründet
hatte, ist inzwischen leider aufgelöst. Sie
starb 1971.
Klemens Kiser
An Hand von Texten aus vier Jahrhunderten
der Geschichte des reformierten Karmels
will dieses Buch in das Geheimnis der Spiritualität
des Ordens einführen. Von der Verehrung des
göttlichen Kindes im Karmel ausgehend möchte
es zeigen, wie das Geheimnis des menschgewordenen
Sohnes Gottes von jeher gewirkt hat, und wie
es im Leben einzelner Karmeliten und Karmelitinnen
als beglückende Wirklichkeit aufleuchtet.
Sicher ist es für viele nicht leicht, eine innere
Beziehung zu diesem schlichten und doch so inhaltsschweren
Geheimnis des christlichen Glaubens zu finden
oder zurückzugewinnen. Der heutige Mensch
ist nicht mehr einfach genug, um seinen Sinn
zu verstehen und um in ihm befruchtende
Werte für das eigene religiöse Leben zu entdecken.
Er muß es wieder lernen, im inneren Offenstehen
die Botschaft vom Kindsein aus jener Gemeinschaft
göttlichen Lebens zu empfangen, die der Herr
auf Erden gestiftet hat. Vielleicht ist es daher
dem Karmel vorbehalten, die tiefe Bedeutung
dieser Botschaft zu erschließen und wieder zu
einer vertrauensvoll hingebenden Andacht zum
menschgewordenen Gottessohn in Kindsgestalt
zu führen, wohl wissend, daß echte Andacht nicht
beim Äußerlichen stehen bleibt, sondern sich
nur aus einer gnadenvollen Verbundenheit mit
dem im Bild Dargestellten erklären läßt. Wenn sie
als Gnadengeschenk in das Innerste der Menschen
einzudringen vermag, dann wird sie sich nicht
weniger erleuchtend und umwandelnd offenbaren
als alle anderen Wahrheiten der Kirche, die
man nur dann erfährt, wenn man sie glaubend
und innerlich offen in sich aufzunehmen versucht.
Im Bild, der Ikone, ist die Person gegenwärtig.
Im alten Rom mußte dem Bild des Kaisers gehuldigt
werden.
Alles Große ist einfach, Gott ist einfach. Er
ist einfach die LIEBE und diese Liebe ist Mensch
geworden in Jesus Christus. Lernen wir wieder
an der Krippe niederzuknien wie die Hirten und
die Weisen aus dem Morgenland, die Könige, die
dem König der Könige die Ehre gaben und IHN
anbeteten. Das Göttliche Kind will auch uns
die Freude und den Frieden des Herzens schenken.
Inkarnation
= Menschwerdung
Mysterium
= Geheimnis

EINLEITUNG
«Je mehr ihr Mich verehrt, umso mehr werde
Ich euch segnen»
(Worte des Jesuleins an
P. Cyrillus, O.C.D.)
Am 26. Dez. 1936 starb in Beek in Holland eine
glühende Verehrerin des göttlichen Jesuskindes.
Lange Jahre hatte sie den sehnlichen Wunsch
gehegt, sich dem Herrn im Karmel zu weihen.
Aber Krankheit und mangelnde Körperkräfte hinderten
sie diese Absicht zu verwirklichen. So wurde
sie das Weizenkörnlein, das in die Erde fiel.
Ihrem letzten Willen gemäß entstand nach ihrem
Tod - sie war erst 33 Jahre alt -, an ihrem
Sterbeort ein neuer Karmel, der zu einem Zentrum
der Verehrung des Jesuskindes wurde.
Wenige Wochen vor der Gründung am 17. Sept.
1938 hatte der holländische Provinzial P. Timotheus
a S. Teresia den Stifterinnen ein kleines
Bildchen des Prager Jesulein geschenkt und ihnen
die Weisung gegeben, das Prager Kind eifrig
zu verehren. Dann würde es ihnen nicht an
Nachwuchs fehlen. Als die Schwestern sich zur
Abreise in die neue Heimat rüsteten, war - wie
zu Zeiten der hl. Mutter Theresia - in ihrem
Gepäck auch eine holzgeschnitzte Statue des
gnadenreichen Jesuleins als teures Andenken
an das Mutterkloster. In der Neugründung angekommen,
ließen die Schwestern eine Meßnovene zu Ehren
des kleinen Königs lesen, der darüber sichtliches
Wohlgefallen zeigte. Es war gerade so, als ob
Er alle zu seiner weiteren Verehrung aufmuntern
wollte. Aber bevor die Andacht zum göttlichen
Kind tiefe Wurzeln schlagen konnte und Allgemeingut
wurde, sollte noch geraume Zeit vergehen.
Im Mai 1940 kam die Vikarin des kleinen Karmels
(wohl Sr. Joanna selbst?) ins Krankenhaus.
Hier brachte eine Krankenschwester, die das
Jesuskind innig liebte und verehrte und alles
von Ihm zu erhalten wußte, ohne irgendeinen
äußeren Anlaß ihr Prager Jesulein ans Bett der
Kranken. In den langen Wochen der Einsamkeit
und der Kriegswehen fand in ihr, die bisher
wenig Sinn für die Bilderverehrung gezeigt hatte,
eine tiefe innere Wandlung statt. Wunderbar
öffnete sich ihr ein geheimnisvolles Verstehen
des bildlich Dargestellten, und das Prager Jesulein
wußte in kurzer Zeit ihr Herz zu gewinnen. Von
nun an vertraute sie Ihm alle Ihre Sorgen an:
um die mutterlosen Schwestern daheim, um das
Kloster und um die notleidende und durch die
Besatzung hart bedrängte Heimat, und versprach,
an jedem fünfundzwanzigsten des Monats eine
hl. Messe zu seiner Ehre feiern zu lassen, sowie
nach Kräften seine Verehrung zu verbreiten.
Wie dies geschehen sollte, würde die Zukunft
lehren.
Ein bescheidener Anfang wurde mit der kurzen
Erklärung der Geschichte des Prager Jesuleins
gemacht. Die kleine Broschüre «Het Heilig
wonderdoende Kind Jezus van Praag» und zahlreiche
Bildchen gingen zu Tausenden in alle Teile des
Landes. Bald wurden Gebetserhörungen gemeldet.
Es ereigneten sich ganz wunderbare Fälle und
dies besonders dort, wo man sich an der Verbreitung
der Andacht beteiligte.
Ein Gefängnisgeistlicher,
der sich in größter Lebensgefahr befand, wurde
durch die Broschüre angespornt, seine Zuflucht
beim Jesuskind zu suchen. Infolge der falschen
Anklage eines Gefangenen war er den Nachstellungen
der SS ausgesetzt und mußte stundenlange Verhöre
über sich ergehen lassen. Er versprach, falls
alles gut ausgehen sollte, jede Woche zu Ehren
des Jesuleins eine Kerze anzuzünden. Nach einem
Monat peinigender Belastungen, die seine Gesundheit
zermürbten, hatte sich alles zum Guten gewendet!
Trotz der strengen Maßnahmen seitens der Besatzungsmacht
war es dem Drucker der Broschüre immer wieder
gelungen,
eine neue Ausgabe anzufertigen. Eines Tages
erhielt er seinen Stellungsbefehl,
um von neuem als Soldat eingezogen zu
werden. In seiner äußersten Not flehte er
das göttliche Kind um Hilfe an und bat um
eine Sturmnovene. Bereits am folgenden Tag,
als er zur Zentralstelle beordert wurde, sah
er sich nach Verlauf einer halben
Stunde im Besitz der nötigen Papiere, die
ihm eine gänzliche Befreiung garantierten.
Menschlich
unfaßbar, sowohl für ihn wie für jeden, der
es erfuhr. Er schrieb es einzig dem
sichtbaren Eingreifen und der
übernatürlichen Macht des Jesuleins zu.
«Wissen Sie, ehrwürdige Mutter», schrieb eine
Benediktinerin der Ewigen Anbetung, «daß
das Jesuskind unser Noviziat so herrlich segnet?
Wir haben augenblicklich neun Novizinnen und
erwarten noch zwei Postulantinnen... Einen besonderen
Fall, in dem die Hilfe des göttlichen Kindes
ganz sichtbar wurde, möchte ich Ihnen noch mitteilen.
Als damals in «De Betuwe» so schrecklich gekämpft
wurde, sollte der Bruder einer unserer Schwestern,
der von den feindlichen Soldaten gefangen genommen
worden war, als Spion erschossen werden. Schon
standen die Soldaten schußbereit hinter ihm
und erwarteten nur noch das Kommando des Offiziers.
Doch dieser läßt sich erst seinen Personalausweis
geben. Als er ihn öffnet, findet er darin
ein Bild des Prager Jesulein. Er liest das
Gebet von Anfang bis zu Ende und... kommandiert
den Abmarsch der Soldaten. Der Verurteilte war
frei und konnte ungestört seine Wege gehen.
War das nicht ein augenscheinlicher Schutz des
göttlichen Kindes?»
Die vielen Gebetserhörungen in Krankheitsfällen,
der wunderbare Schutz des hl. Kindes bei
Fliegerangriffen und seine sichtbare Hilfe
in vielen anderen Situationen und Bedrängnissen
hatte bewirkt, daß das Vertrauen und die Liebe
zu Ihm nicht nur im Karmel, sondern auch in
seiner weiteren Umgebung grenzenlos wuchs. In
der Klosterkapelle wurde regelmäßig am fünfundzwanzigsten
des Monats eine heilige Messe zu seiner Ehre
gelesen und am Nachmittag eine Andacht zu
den Geheimnissen seiner heiligsten Kindheit
gehalten. Am darauf folgenden Sonntag fehlte
nie eine Segensandacht mit Predigt zu Ehren
des kleinen Königs. Im Sommer 1941 und im Frühjahr
1942 fanden sogar öffentliche Triduen statt.
Bald wurde das Jesulein der hell leuchtende
Stern, auf den die schwergeprüften Menschen
in der dunklen Nacht des Krieges hoffnungsvoll
blickten. Mit unbeschreiblichem Vertrauen nahmen
Priester, Ordensleute und Gläubige in Not und
Verfolgung ihre Zuflucht zum göttlichen Kind.
Klostergemeinden, denen Gefahr drohte, vertrieben
zu werden, zum Tode verurteilte Grubenarbeiter,
junge Leute, die eine Arbeitsstätte oder Anstellung
suchten, Männer, die zur Fronarbeit in Feindesland
verbannt wurden, Verfolgte, die sich vor den
Nachstellungen der Besatzungsmacht in Sicherheit
bringen mußten, Beamte und Unglückliche am Rande
des Grabes, Mütter und Kinder, die ihrer Stütze
und ihres Ernährers beraubt waren, Menschen
in Seelennot und tiefem Leid, sie alle erfuhren
in auffallender Weise, wie das hl. Kind ihnen
liebevoll seine helfende Hand entgegenstreckte.
Es war ergreifend zu sehen, wie ein zum grausamen
Tod verurteilter Familienvater, der
sich im Dienst der Nächstenliebe eingesetzt
hatte, im Vertrauen auf das Prager Jesulein
innerlich ruhig das Urteil entgegennahm und
seine Frau und die Kinder unter den Schutz des
göttlichen Kindes stellte, und nicht weniger
rührend waren die Beweise der Dankbarkeit, die
diese dem menschgewordenen Gottessohn darbrachten.
Überall traf man auf Bittsteller, die Ihm etwas
zu seiner Ehre versprachen und dann sicher sein
konnten, von Ihm erhört zu werden.
Aber nach dem Krieg und der dadurch erfolgten,
heißersehnten Befreiung trat eine Wendung
ein. Wohl ging die Andacht zum göttlichen Kind
ihren Weg; doch Satan war sie ein Dorn im
Auge. Nur zu bald tauchten große, unüberwindbare
Schwierigkeiten auf. Die Gewalten der Tiefe
schienen entfesselt zu sein und warfen ihren
Schatten über Kloster und Land. An einem hellen
Sommermorgen im Juli 1945, als alles verloren
schien, als es dunkel wurde und undurchdringbar
die Zukunft, wurde das Gelöbnis gemacht,
ein Werk über die Verehrung des Jesulein zu
verfassen. Es sollte eine Sammlung von Texten
aus vier Jahrhunderten der Geschichte des Karmeliterordens
sein, die tief in den Geist des Karmels einführen
und von seiner traditionellen Liebe zum menschgewordenen
Gott in Kindesgestalt zeugen wollte.
Im ersten Augenblick schien es etwas Unmögliches.
Wie hatte nur ein derartiger Gedanke
aufkommen können?... Und doch war es das Jesulein
selbst, das sich im Innern bemerkbar gemacht
und die Anregung gegeben hatte.
Von dieser Zeit an wurden die Schwierigkeiten
ständig größer. Der Böse suchte das zu verderben,
was menschliche Liebe gepflanzt hatte. Das hl.
Kind hüllte sich in Schweigen. Wenn Es bisher
immer die Gebete erhört hatte, so schien Es
jetzt taub geworden zu sein für alles Bitten
und Flehen. Und doch hatte Es einstmals versprochen:
«Je mehr ihr Mich verehrt, umso mehr werde
Ich euch segnen!»
Auch diese bitteren Jahre waren vom Plan der
göttlichen Vorsehung vorgezeichnet. Das
Kindlein wies darauf hin, daß sein Weg von der
Krippe nach Kalvaria geführt hatte. Langsam
kehrte der Friede in die geprüften Herzen zurück.
Tiefer und lebendiger war ihr Glaube geworden,
größer und felsenfester ihr Vertrauen, inniger
und glühender ihre Liebe und zielbewußter ihre
Opferbereitschaft.
Ein Jahrzehnt ging vorüber. Gottes weise Fügungen
hatten die Möglichkeit geboten, sich immer mehr
vom Geist des Ordens forttragen zu lassen und
in seinen unermeßlichen Reichtum einzudringen.
Immer mehr formte sich ein abgerundetes Bild
der Spiritualität des Karmels, seiner Ordenseltern
und der vielen Karmeliten und Karmelitinnen,
in denen die mystische Liebe zum menschgewordenen
Gotteskind aufgeleuchtet war und nicht aufgehört
hat, bis in unsere Gegenwart ein beglückendes
Licht zu werfen. Ihre Liebe zum Gotteskind erschließt
eine der großen Realitäten, die ihr Leben ausfüllte.
Viele alte Werke und Handschriften des Ordens
zeugen von diesem, mit so viel Wärme durchglühten
religiösen Leben auserwählter Menschen. Man
muß sie in dem Geist lesen, in dem sie geschrieben
wurden: kindlich einfach und fromm. Sehr zu
bedauern ist es, daß diese Schätze bis heute
nur sehr wenigen zugänglich sind.
Vielleicht kann daher die vorliegende Textsammlung
dazu beitragen, einen Einblick in den schlichten
und lebendigen Glauben des Karmels zu gewinnen,
der sich im Lauf der Jahrhunderte unter dem
Licht der Gnade zu so reicher Blüte entfalten
konnte und auch in der Zukunft noch manches
Schöne erschließen wird, wenn die Beziehungen
der Verehrung des göttlichen Kindes zum Orden
und ihre Stellung in der karmelitischen Spiritualität
tiefer ergründet sein werden. Wir beschränken
uns hier ausschließlich auf karmelitische Andachten
zum Jesuskind. (Es gibt noch viele andere Jesuskinddarstellungen.)
Es soll hier ein Wort aufrichtigen, herzlichen
Dankes meiner Mitschwester Sr. Giovanna della
Croce (Mailand) und allen denen ausgesprochen
werden, die in irgendeiner Weise bei dieser
Arbeit behilflich waren und zu ihrer Förderung
beigetragen haben. Möge das göttliche Kindlein
alles und jeden einzelnen reichlich belohnen!
Karmel «Regina Pacis», Beek, Holland, Sr. Joanna
a Cruce, O.C.D. (van Weersth)

DIE ANDACHT ZUM JESUSKIND IM KARMEL
Die Andacht zum menschgewordenen Gott in Kindesgestalt,
die Verehrung der Kindheit unseres göttlichen
Erlösers, war eine Gabe des Himmels, die dem
reformierten Karmel schon zu Anfang seines Bestehens
verliehen wurde. Nicht als ob diese Andacht
nicht schon früher bestanden hätte und nicht
von vielen Heiligen geübt worden wäre. Bekannt
sind die Erscheinungen des göttlichen Kindes
an den greisen Kirchenvater Hieronymus oder
im Leben der hl. Katharina von Alexandrien,
sowie die Erzählungen von dem vertrauten Verkehr
des hl. Antonius von Padua mit dem Gotteskindlein.
Jedoch dürfen wir ohne Übertreibung behaupten,
daß diese Andacht im Karmel von jeher mit besonderer
Innigkeit geübt und im christlichen Volk verbreitet
wurde.
Die Überlieferung berichtet, daß die Muttergottes
mit dem hl. Kind im Arm die ersten Einsiedlerbrüder
auf dem Berg Karmel besuchte. Nicht selten geschah
es dabei, daß das göttliche Kind sein kleines
Händchen erhob und den «Brüdern Unserer Lieben
Frau» seinen Segen erteilte. Als die hl. Theresia
von Avila ihre Reform in Spanien begonnen hatte,
kam es mit der Wiederbelebung des elianischen
Ideals des Ordens auch zu einer neuen Begeisterung
für die Andacht zum göttlichen Kind, die sich
nicht nur durch die aus einer starken Gefühlsweichheit
hervorquellenden Vorliebe des spanischen 16.
Jahrhunderts für bildliche Darstellungen der
Geburt des Herrn oder des Jesuskindes erklären
läßt, sondern deren Wurzeln tiefer liegen und
unmittelbar in das Wesen der christozentrischen
Mystik der hl. Reformatorin führen.
Das Karmelkloster in Haifa ist über der Grotte
des Propheten Elias errichtet. Nach der
Überlieferung kam auch die hl. Mutter Anna dorthin.
Theresia
gehörte zu jenen wenigen auserwählten Menschen,
deren religiöses Bewußtsein sich in einer echten,
persönlichen Begegnung mit dem Herrn geformt
hatte.
Sie hatte Christus
gesehen,
war von Ihm innerlich berührt und durchdrungen
worden, und in einem lebendigen Ergriffenwerden
von dem Geheimnis seines Gott- und Menschseins
hatte sie Ihn erkannt. Mächtig wirkte Er in
ihrem Inneren als Freund, Bruder, Vorbild, Meister,
barmherziger Helfer und liebender Bräutigam.
In seiner gottmenschlichen Person hatte sie
den Mittler zwischen Gott und Menschen gefunden.
«Ich befliß mich, so gut ich konnte, Jesus Christus,
unser höchstes Gut und unseren Herrn, in mir
zu vergegenwärtigen; dies war meine Weise innerlich
zu beten.» So bestimmte sein Mysterium immer
mehr ihr Leben. Sie wollte Ihn lieben, sich
Ihm bedingungslos ausliefern, um in unlösbarer
Vermählung sein Eigentum zu werden, Ihm ähnlich
im Leiden und täglichem Sterben.
Getragen von seiner Gnade suchte sie Ihn im
Geheimnis seiner heiligsten Menschheit.
Und der Herr erschien ihr und prägte das Bild
seiner Schmerzen wie ein brennendes Siegel in
ihre Seele. Sie durfte seine Gegenwart in wirklich
wissender Liebe erfahren. Und jenes tiefe Bedürfnis
nach Freundschaft und Liebe, das für Theresias
Temperament eine innere Notwendigkeit bildete,
fand im geistigen Schauen und im beglückenden
Liebesaustausch mit dem Menschgewordenen höchste,
durch Leiden geläuterte Befriedigung.
Die große Mystikerin liebte mit dem glühenden
Herzen der Heiligen und mit den zartesten Gefühlen
einer liebenden Frau. So wie die Gegenwart guter
Freunde sie stets beglückt hatte und wie sie
gern ihre Gesellschaft aufsuchte, so sehnte
sie sich auch danach, in den vielfältigen Begebenheiten
des täglichen Lebens das Antlitz Christi zu
sehen und seine Gegenwart zu
fühlen. Sie wollte mit Ihm ein Freundschaftsverhältnis
pflegen, für das sie die gleichen Prinzipien
rein menschlicher Freundschaft anwendete, die
ihrer Natur entsprachen. Dieser zutiefst in
ihr ausgeprägte Sinn der Freundschaft führte
sie zum Bild. Wir wissen, daß sie in allen
von ihr gegründeten Klöstern Bilder und Statuen
aufstellen ließ und durch diese Gestalten
zu einer immer größeren Gottesnähe getragen
und in eine Atmosphäre inniger Gottesliebe gezogen
wurde. Oft genügte ihr ein einfacher Blick auf
das bildlich Dargestellte, und ihr Inneres erbebte
erneut unter der Berührung des Göttlichen, und
sie wurde durch seine Anwesenheit wundersam
entrückt!
So lebte sie in
der Gegenwart des Herrn.
Ihr Tag war von seinem Bild durchwaltet und
geheiligt. Und es war nicht nur das Bild des
Gekreuzigten oder des leidenden Herrn, das sich
ihres Innersten durchgreifend bemächtigte. Es
war ebenso das Bild des unschuldigen Gotteskindes,
dem sie sich im tiefen Glauben an das Inkarnationsmysterium
näherte, frei von Sentimentalität oder subjektiven
Frömmigkeitsgefühlen.
Die hl. Theresia von Avila besaß einen gesunden
Realismus für alle äußeren Formen des übernatürlichen
Lebens. Sie liebte Andachten und Frömmigkeitsübungen,
die sich auf die Hl. Schrift zurückführen ließen
oder von der Kirche gutgeheißen wurden. Dagegen
wehrte sie sich gegen jene Privatandachten,
die übertriebener oder abergläubischer Schwärmerei
entsprangen. «Es ist etwas Großes um die Wissenschaft»,
schreibt sie in ihrem Leben, «denn diese unterweist
uns, die wir wenig wissen; sie erleuchtet uns;
und sind wir durch sie zur Kenntnis der Wahrheit
der Hl. Schrift gelangt, so tun wir auch, was
wir schuldig sind. Vor albernen Andachten aber
bewahre uns Gott»". Und sie berichtet, daß sie
während ihrer Krankheit
«durch Meßandachten oder sonstige gutgeheißene
Gebetsübungen Hilfe in ihrem Anliegen suchte.
«Andere, mit gewissen Zeremonien verbundene
Andachten, deren sich einige Personen, besonders
aus dem weiblichen Geschlecht, bedienten, hatte
ich nie geliebt. Zwar fühlten sich jene durch
diese Zeremonien zur Andacht gestimmt, mir aber
sagten sie nicht zu. Später wurde es auch bekannt gegeben,
daß diese Andachten, weil abergläubisch, sich
nicht geziemten.» Diese eindeutige Haltung der
Heiligen erklärt sich aus einer gesunden Reaktion
gegenüber den unzähligen, an Aberglauben grenzenden
Privatandachten, die die Volksfrömmigkeit im
16. Jh. in Spanien und in ganz Europa unter
den verschiedensten Formen von Bilderverehrung
und zeremoniellen Bräuchen hervorgebracht hatte.
Sie entbehrt aber auch nicht einer polemischen
Note gegenüber dem damals sich in Spanien ausbreitenden
Gegensatz zwischen den Anhängern und Gegnern
der «erasmischen Bewegung», deren verschiedene
Meinung über religiöse Andachten und Bilderverehrung
nicht selten zu offener Polemik führte.
Theresia wollte die Grundsätze des inneren Lebens
auf die Prinzipien der Theologie aufbauen und
suchte in der katholischen Lehre eine Offenbarung
der lebendigen Wirklichkeit. Das führte sie
dazu, die Auffassung der sogenannten «Spiritualen»
zu bekämpfen, die der Theologie der «Letrados»
mißtrauten, jener, die die theologische Wissenschaft
hochschätzten. Nicht selten gründeten die Spiritualen
ihre Maßstäbe auf recht willkürlichen Anschauungen
und versuchten, wohl meist unbewußt, das theologisch
Gegebene mit dem subjektiv Hinzugefügten zu
vermischen, wodurch sie dem von Gefühl und Aberglauben
beeinflußten religiösem Leben des Volkes ein
weites Tor öffneten. Die Heilige suchte durch
entschiedene Trennung von Echtem und Unechtem
das religiöse Leben von allen Vorstellungen
und Darstellungen zu säubern, die im letzten
ja nur aus der Unfähigkeit entstanden, die Werte
einer wahren
biblisch-theologischen Frömmigkeit zu erfassen.
Aus dieser inneren Überzeugung und Haltung ist
die Andacht zum Jesuskind, so wie Theresia sie
liebte und pflegte, zu verstehen. Wenn sie sich
in ihren Werken nicht eingehend mit diesem Thema
beschäftigt, so darf man daraus keineswegs den
Schluß ziehen, sie sei ihr nicht aus dem ganzen
Herzen zugetan gewesen. Ganz im Gegenteil! Die
Tatsache, daß sie ihre Mitschwestern und geistlichen
Töchter aufforderte, ihrem Beispiel zu folgen
und das Jesuskind innig zu verehren, ist ein
genügender Beweis, daß diese Andacht für sie
nicht in die Reihe jener «albernen» und «abergläubischen
Andachten» gehört, deren sich manchmal «das
weibliche Geschlecht bedient» und die sich in
äußeren, aus einem bloßen Gefühlsüberschwang
hervorgehenden Zeremonien verlieren, sondern
daß es sich vielmehr um eine biblisch-theologisch
begründete Andacht handelt, deren sich kein
«Letrado» und kein Gebildeter zu schämen braucht.
Darum ist es durchaus berechtigt, mittels bildlicher
Darstellungen des Gotteskindes tiefer in das
Geheimnis der Inkarnation einzudringen und in
eine immer innigere Beziehung zu Christus in
seiner heiligsten Menschheit zu gelangen. «Mein
ganzes Leben lang hatte ich eine so große Andacht
zu Christus getragen, (daß)... ich jetzt sein
Bild immer vor meinen Augen haben möchte, da
ich es doch nicht so fest, als ich gewünscht,
meiner Seele eindrücken konnte», betont die
Heilige, nachdem sie Christus in zahlreichen
Visionen und Verzückungen geschaut hatte. Sie
wollte sein Bild vor Augen haben, damit es sie
ständig erinnere, mit dem Herrn ein vertrautes
Zwiegespräch zu führen, und alle Handlungen
mit Ihm und durch Ihn zur Ehre seines göttlichen
Vaters zu vollenden.
Die ersten Karmelitinnen übernahmen die Christusliebe
ihrer hl. Mutter als teures Vermächtnis.
Gleich ihr wollten sie niemals auf die Gesellschaft
einer Jesuleinstatue verzichten. Und wie das
göttliche Kind für Theresia Bruder, Freund,
Vorbild und Helfer gewesen war, so fühlten auch
sie, wie ein mächtiger Schutz von seiner Gegenwart
ausging und wie Es sie unentwegt aufforderte,
den Weg der Vollkommenheit in demütigem Gehorsam,
in schlichter Kindesliebe und in großer Treue
im Kleinen zu beschreiten.
So wurde die Andacht
zum Jesuskind bald Gemeingut des reformierten
Karmels.
Jede Seele aber, und vielleicht noch mehr jedes
Volk hatte sie ihren Umständen angepaßt, je
nach seiner Geistesverfassung und Geistesausrichtung,
oder entsprechend der besonderen Gnadenvorzüge
einzelner durch Heiligkeit und Auserwählung
bevorzugter Mitglieder. Wenn sich das Weihnachtsfest
näherte, wurden zu Ehren des Gotteskindleins
kleine Gedichte,
«Villancicos» oder «Couplets» verfaßt, und wer
sich auf das Handhaben von Pinsel oder Meißel
verstand, der fertigte Bilder des göttlichen
Kindes an. Theresia von Jesus und Johannes vom
Kreuz, ja selbst die ruhige Anna von Jesus tanzten
im Übermaß der Liebe mit dem Jesuskind im Arm,
das man in feierlicher Prozession durch die
Klostergänge getragen hatte.
Aber auch während des ganzen Jahres suchte man
dem Jesulein kindliche Liebe und Hingabe zu
zeigen. In Avila erneuerten die Nonnen ihre
Gelübde vor einer Statue des hl. Kindes, gleichsam
als wollten sie ihre Ganzhingabe in seine göttlichen
Hände legen. In allen Noviziatskapellen thronte
Es auf dem Altar und bei Schleierfesten führte
Es als «kleiner König» den Vorsitz.
Die große Liebe zum Jesuskind, so wie sie in
allen Karmelklöstern gepflegt wurde, kann
man bei näherer Erwägung der geschichtlichen
Tatsachen nicht anders als ein Wunder göttlicher
Gnadenführung bezeichnen. Es gab Karmeliten
und Karmelitinnen, die bereits von früher Jugend
an in der Liebe zum Jesuskind erglühten: die
selige Anna vom hl. Bartholomäus,
die ehrwürdige Anna vom hl. Augustinus, ein
schlichter Laienbruder, Franziskus vom Kinde
Jesus, Schwester Margareta von Beaune und Schwester
Maria vom hl. Petrus von Tours, und nicht zuletzt
die kleine Heilige von Lisieux und noch viele
andere. Doch sobald sie das Land des Karmels
betreten hatten und sich in seinem Geist in die
Betrachtung der Glaubenswahrheiten vertieften,
nahm dieser Gnadenvorzug durch besondere Erleuchtung
des Hl. Geistes und manchmal unabhängig von
einem direkten Einfluß der hl. Theresia auffallend
zu. Ist das nicht ein Beweis, daß die Andacht
zum Jesuskind nicht von der Spiritualität des
Karmels getrennt werden kann und einen ihr charakteristischen
Wesenszug darstellt, und daß sie dem Orden als
eine besondere Gnadengabe Gottes geschenkt wurde,
ähnlich wie die Andacht zum heiligsten Herzen
Jesu der Heimsuchung Mariens anvertraut wurde?
Daraus ergibt sich die Sendung des Karmels,
die Verehrung des göttlichen Kindes in alle
Welt zu verbreiten. Wie stark dieses Sendungsbewußtsein
einzelne Seelen erfüllte, werden wir in den
folgenden Seiten sehen. Vor allem war es das
Prager Jesulein, das sich die europäischen Länder
und dann die übrigen Erdteile in einer Art Triumphzug
eroberte. Wenn man heute einen Karmel in den
Missionsgebieten aufsucht, so wird man dort
fast immer dein «Kleinen König von Prag» begegnen.
Aber auch das Jesulein von Beaune erwarb sich
bald die Sympathie und die Liebe des gläubigen
Volkes, und nicht wenige Gebetserhörungen waren
der Lohn ihres vertrauensvollen Flehens. Alle
anderen Jesuleinstatuen, von denen es in den
spanischen Klöstern manchmal drei bis vier verschiedene
gibt, die oft von außerordentlicher Schönheit
sind, und von denen eine jede seine Geschichte
hat, wie P. Silverio a S. Teresa schreibt, sind
bis heute der Öffentlichkeit unbekannt geblieben.
Mit umso größerer Liebe und Verehrung umgaben
sie die Söhne und Töchter der hl. Theresia.
In kindlicher Einfalt glaubten sie zu sehen,
wie ihr Jesulein auf Gängen und Stiegen einherlief
oder ihre Klosterzellen segnete. Obwohl vieles
von dem, was die alten Dokumente des Ordens
an wundersamen Begebenheiten mit dem hl. Kind
überliefern, nur den Wert lieblich-frommer Legenden
hat, so bleibt ihnen dennoch eine grundlegende
Wahrheit eigen: Sie zeugen von der innigen Christusliebe
des Karmels und von seinem glühenden Verlangen,
tiefer in das Geheimnis der Menschheit und Menschwerdung
des Herrn einzudringen, um unausgesetzt in seiner
beglückenden Gegenwart zu leben.
Mehr als ein Kirchenvater
betonte, daß die hl. Kirche in Bethlehem geboren
ist.
Der Karmel hat von je her tiefer in dieses Geheimnis
eindringen wollen, genau so, wie man von einer
Christuszentrik des Ordens sprechen kann, die
nicht zuletzt in der Andacht zum menschgewordenen
Gott in Kindesgestalt einen genuinen Ausdruck
gefunden hat.

DAS JESULEIN IN DER THERESIANISCHEN REFORM
Das spanische 16. Jh., «das goldene Jahrhundert»,
ist eine der interessantesten Erscheinungen
der europäischen Geistesgeschichte. Es war ein
Zeitalter, das einen Ignatius von Loyola, eine
Theresia von Avila und einen Petrus von Alcantara
mit einem Don Quichote, einem Sancho Pansa,
einem Murillo oder einem el Greco zu vereinen
wußte. Seit 1556 Philipp II. den Thron bestiegen
hatte und die Ereignisse der «neuen Welt» ganz
Spanien mit Begeisterung für ein an das Ritterideal
erinnerndes Soldatentum erfüllte, wurde ein
einmaliger Höhepunkt des politischen, kulturellen
und religiösen Lebens erreicht. Neben Palästen,
Kirchen und
Kunstdenkmälern entstanden die Universitäten
und Kollegien in Alcala, Toledo, Avila und Valladolid.
Die Alma Mater von Salamanca erlebte eine geistige
Neugeburt und wurde zum Zentrum der die intellektuellen
und religiösen Kreise beherrschenden Strömungen,
die als Humanismus, Erasmismus und Aristotelismus
bezeichnet wurden, je nach ihrer Herkunft und
geistigen Ausrichtung. Im kulturellen Bereich
begegneten sich das Selbstbewußtsein und die
fruchtbare Kraft des Renaissancemenschen mit
dem Prachtbedürfnis und dem Drang nach Äußerlichkeit
des aufbrechenden Barock und führten zu Schöpfungen,
in denen sich Realismus in Form und Ausdruck
mit einem zarten Idealismus der Konturen vereinte.
Im religiösen Leben machten sich zwei Tendenzen
geltend, die durch ihre entgegen gesetzte Ausrichtung
als Aszetismus und als Illuminismus oder Quietismus
der Alumbrados (Erleuchteten) bezeichnet wurden.
Beide trugen wesentlich zu einer Reform des
katholischen Glaubens und der Sitten bei.
In allen sozialen Klassen traf man auf «Heilige».
Überall herrschte ein ernsthaftes Streben nach
Vollkommenheit und nicht selten nach heroischen
Tugenden. Ein jeder fühlte sich angetrieben,
die «oracion», das innere Gebet zu pflegen,
und seine Praxis vermochten selbst die Maßnahmen
eines Melchior Cano nicht zu unterbinden. Ganz
Spanien war von Erbauungsliteratur in der Landessprache
überschwemmt, so daß der Inquisitor Valdes 1559
ein Indexverbot erlassen mußte, um den Büchermarkt
etwas zu säubern. Doch bald entstanden neue
Devotionsschriften. Bezeichnend ist, daß selbst
Theresia von Avila nur wenige Jahre nach dem
Verbot der Inquisition, Bücher über die oracion
in kastillanisch zu verfassen, ihren «Weg der
Vollkommenheit» schrieb, ein Werk, das ausschließlich
vom inneren Gebet, wie man es erlernen und üben
kann, handelt.
In dieser Zeit begegnen wir einer eigentümlichen
Erscheinung. Das Spanien des 16. Jh. begnügte
sich nicht damit, die schlichte Holzstatue als
Andachtsbild in den Kirchen aufzustellen. Das
Prunkgefühl des angehenden Barockmenschen verlangte
nach rauschenden Gewändern und kostbaren Goldornamenten.
So begann man Statuen mit Seidenbrokat zu
bekleiden, auf dem zahlreiche Edelsteine und
Perlen im Lichterglanz blitzten.
Der reformierte Karmel, und an seiner Spitze
die Heilige von Avila, machten von dieser
Tendenz keineswegs eine Ausnahme. Theresias
zärtliche Liebe zum Jesuskind wurde Anlaß, daß
bald eine Reihe reizender Jesuleinstatuen in
kostbaren Gewändern in die einzelnen Klöster
Einzug hielt. In Avila zeigt man noch heute
den «Mayorazgo», den Haushofmeister, als Reliquie
der Heiligen. In Beas und Granada erinnern Statuen
des göttlichen Kindes an den hl. Johannes vom
Kreuz. In Toledo scheint noch immer das weinende
Jesuskind, «el Lloroncito», über die Abreise
der Theresia zu trauern, und in Valladolid grüßt
der kleine Pilger,
«el Peregrinito..., den Theresia bei ihrer Gründung
Anna vom hl. Joseph schenkte.
Sevilla zeigt voller Stolz «el Nino de la
Santa», das Kind der Heiligen, und
in Brüssel hat eines der Jesulein des ehrw.
Bruder Franziskus vom Kinde Jesu, das er einst
Anna von Jesus schenkte, und das diese mit sich
nach Flandern nahm, nicht aufgehört Wunder zu
wirken. Selbst in den Einsiedeleien des Karmels
hielt ein himmlischer «Eremit» Einzug, während
Franziskus vom Kinde Jesu mit seinen Statuen
Altkastilien durchquerte.
Bis in unsere Tage hat sich in den meisten Karmelklöstern
der Brauch erhalten, bekleidete Jesuleinstatuen
andächtig zu verehren. Man sieht das göttliche
Kind im Prunkgewand eines königlichen Prinzen
oder als Guter Hirte mit einem langen Stab in
der Hand. Eine reiche Ikonographie ist der sprechendste
Beweis, in welchem Ausmaß seit der hl. Theresia
von Avila und dem hl. Johannes vom Kreuz die
Andacht zur Kindheit Jesu in der Reform gepflegt
und welche
Bedeutung ihr im Lauf der Jahrhunderte eingeräumt
wurde.

Die hl. Theresia
von Jesus
- Die große Theresia
von Avila
Als die hl. Theresia von Jesus in großen, geschlossenen
Wagen, die fahrenden Klöstern zu vergleichen
waren, in Begleitung einiger Schwestern die
steinigen Wege Kastiliens und Andalusiens durchkreuzte,
uni neue «Taubenschläge der allerseligsten Jungfrau»
zu gründen, sah man sie manchmal unter dem Zeltdach,
auf das die glühende Sonne unbarmherzig ihre
Strahlen senkte, mit einer Art Puppe auf dem
Schoß. Es war eine kleine Statue des Jesulein,
das ein liebevoll gesticktes Kleidchen trug.
Dabei schien es, daß sie das Kindlein auf den
unebenen Wegen, auf denen die Wagen hin und
her schaukelten, sanft wiegen wollte. Sein Bildnis
lenkte ihren Blick zu dem Geheimnis der unendlichen
Liebe des Ewigen Wortes, und ihr bräutliches
Herz sehnte sich danach, sich dieser menschgewordenen
Liebe ganz und gar hinzugeben und aufzuopfern.
So sang sie in diesen oft endlosen Stunden das
Wiegenlied der Entsagung, das Lied vom Todo-Nada,
vom Alles und Nichts, dasselbe Lied, das einer
ihrer ersten Söhne in unsterblichen Versen niedergelegt
hatte.
«Nein, die Menschheit Christi steht der Beschauung
keineswegs im Wege; sie erweckt sie vielmehr...»
Darum «suchet stets irgendein Bildnis unseres
Herrn, das nach eurem Geschmack ist, bei euch
zu haben, aber nicht, uni es bloß verborgen
auf der Brust zu tragen und es nie anzusehen,
sondern um in diesem Bilde recht oft den Herrn
anzureden, der euch selbst die Worte eingeben
wird, die ihr zu Ihm sprechen sollt! Wenn ihr
mit anderen Personen reden könnt, warum sollte
es euch an Worten fehlen, um mit Gott zu reden...?»
Diese mütterliche Ermahnung der Heiligen ist
das Echo eigenster Erfahrung. Von der
bildlichen Darstellung ausgehend war ihr Christus
als innere, geistige Wirklichkeit entgegengetreten
und hatte sie tief im Herzen berührt. Immer
mehr hatte Er sie für sich in Besitz genommen,
bis sie seine Gegenwart ununterbrochen an ihrer
rechten Seite fühlte. In ihren Visionen sah
sie Ihn in seinem Bildnis, in menschlicher Gestalt*,
und aus seiner heiligsten Menschheit floß ihr
ein Strom unvergleichlicher Gnaden zu. Gerade
diese Schau des «lebendigen Christus», der «Mensch
und Gott ist», übte eine unvergleichliche Anziehungskraft
auf ihr Innenleben aus, die nur mit der Wirkung
der Worte des Herrn zu vergleichen ist. Christus
in seiner Menschheit, in der sich seine Gottheit
verbirgt, war das Eigentliche im mystischen
Aufstieg der hl. Reformatorin. Er war die entscheidende
Wirklichkeit, die in ihr waltete und von der
ihre Gedanken immer tiefer durchdrungen wurden.
Darum war sie glücklich, wenn sie sein Bild
vor Augen hatte, und es ist zu verstehen, «daß
sie auf allen Reisen immer eine kleine Statue
des Jesuskindes mit sich trug», wie ihr erster
Biograph, P. Ribera, berichtet; denn sie half
ihr, das Gemüt stets zu Gott zu erheben, gerade
so, als ob sie in ihrem Hause oder Kloster gewesen
wäre»º. Mit Ihm hielt sie vertraute Zwiesprache.
Das beweist das «redende Jesulein» zu Toledo,
«el Parlero», so genannt, weil Es mit der Heiligen
sprach.
Die mündliche Überlieferung will, «daß das ganze
Klosterinventar der hl. Theresia auf ihrer Gründungsreise
nach Sevilla aus einer Statue des Jesuskindes,
einem größeren Vorrat an Weihwasser und einigen
Gebetbüchern bestanden habe». Und Anna von der
Menschwerdung gibt in ihrer Zeugenaussage beim
Seligsprechungsprozeß der Heiligen an, daß die
Mutter Stifterin gesagt habe: «Um ein Kloster
zu gründen brauche ich nur ein kleines Glöcklein, ein Miethaus, das Jesuskind und den hl. Joseph.
Die eigentlichen Gründer der Karmelklöster müssen
für alles übrige Sorge tragen»". Noch heute
zeigt man in Toledo «el Lloroncito» das «weinende
Jesuskind», das so genannt wurde, weil es
beim letzten Abschied von der hl. Mutter Theresia
bitterlich weinte. Es schien zu wissen, daß
die Heilige niemals mehr zurückkehren würde.
Ein eigenartiger Zufall ereignete sich bei der
Stiftung von Villanueva. Es war ein Samstag,
der 13. Febr. 1580, als sich die hl. Mutter
mit ihren Gefährtinnen auf den Weg begab. «Wir
mußten am Kloster Unserer Lieben Frau del Socorro
(Maria-Hilf-Kloster) vorbei reisen», schreibt
sie selbst in ihren Klostergründungen, das drei
Meilen von Villanueva entfernt ist. Dort stiegen
wir ab, um von da unsere Ankunft anzumelden,
denn so hatten es die beiden Väter, die uns
begleiteten, angeordnet, und es war billig,
daß wir ihnen in allem gehorchten. Dieses Kloster
liegt einsam in einer unbewohnten Gegend, inmitten
einer anmutigen Einöde. Als wir uns nun dem
Kloster näherten, kamen die Brüder in schönster
Ordnung heraus, um ihren Prior zu empfangen.
Der Anblick ihrer bloßen Füße und ihrer armseligen
Mäntel aus grobem Wollstoff stimmte uns alle
zur Andacht. Auf mich machte es einen besonderen
Eindruck, da ich mich in die Blütezeit der hl.
Väter unseres Ordens zurückversetzt glaubte».
Der Bericht der hl. Reformatorin findet in einer
mündlichen Überlieferung seine Fortsetzung.
«Die unbeschuhten Patres des Klosters Unserer
Lieben Frau del Socorro waren der hl. Mutter
entgegengekommen. Der Weg vom Kloster bis nach
Villanueva strahlte im Blumenschmuck zahlreicher
Girlanden. Man hatte viele Segensaltäre errichtet,
denn die Mutter Stifterin sollte ja mit einer
Sakramentsprozession abgeholt werden. Die Mönche
hatten Theresia ein liebreiches Jesuskind mitgebracht.
Nun geschah es, daß Anna vom hl. Augustinus
während der Prozession sah, wie plötzlich
Leben in diese Statue kam. Das Jesulein
lief zwischen der Mutter und der Monstranz hin
und her. Die Züge der hl. Theresia verrieten
darüber kein Erstaunen. Auch Anna vom hl. Bartholomäus,
die ebenfalls dieses wundersame Ereignis bemerkt
hat, verlor kein Wort darüber. Als sich aber
Anna vom hl. Augustinus einer Äußerung nicht
enthalten konnte, erwiderte ihr kurzweg die
Mutter: «Sei doch still, du Törin!»
«Zu Villanueva angekommen», setzt Anna vom hl.
Augustinus die Erzählung fort, «stiegen
wir in der Pfarrkirche ab, von wo man uns zu
jener Kirche bringen wollte, die zur Stiftung
des Klosters dienen sollte. (Wieder) fand eine
sehr feierliche Prozession mit dem Allerheiligsten
Sakrament statt. Im selben Augenblick, als man
den Traghimmel nahm, um die göttliche Majestät
zu begleiten, sah ich das Jesuskind, das ganz
jenem glich, welches man uns im Maria-Hilf-Kloster
geschenkt hatte. Es nahm an der Prozession teil,
und ich verlor es nicht aus dem Auge. Da sah
ich, wie Es vom heiligsten Sakrament aus zu
unserer hl. Mutter Theresia ging und sich ihr
fröhlich zeigte. Wie es schien, war Es über
die Errichtung dieses Klosters außerordentlich
erfreut. Dann sah ich, wie Es uns mit seiner
heiligen Hand den Segen gab. So geschah es während
der ganzen Dauer der Prozession, bis zum Augenblick,
wo wir das Haus betraten. Dann verschwand Es...»
Die hl. Reformatorin übergab die Statue des
Jesuskindes, später "el Fundador» genannt, den
Beatinnen mit der Bemerkung, daß sie in ihr
immer «ein sehr einträgliches Gut haben würden»".
Anna vom hl. Augustinus kann es nicht unterlassen,
noch eine Einzelheit hinzuzufügen.
«Unsere hl. Mutter hatte dieses Kloster einzig
und allein im Vertrauen auf Gott errichtet.
Sie ernannte mich zur Pförtnerin, Sakristanin
und Schaffnerin und ermahnte mich, gut für die
Kommunität zu sorgen. Um alles, was uns fehlen
würde, solle ich das Kindlein bitten,
das man uns im Maria-Hilf-Kloster gegeben hatte.
Ich bat deshalb um Erlaubnis, Es an der Winde
behalten zu dürfen,... und das himmlische
Kind ließ seine Barmherzigkeit über das Kloster
erstrahlen, das ohne diese niemals hätte
bestehen können.»
Welchen Platz das Jesuskind in den Gedanken
der hl. Reformatorin einnahm, beweist
eine kleine Episode aus der ersten Zeit der
Stiftung in Burgos. P. Petrus von der Reinigung
Mariens hatte zu Anfang des Jahres 1582 einige
Monate als Reisebegleiter der Heiligen in Burgos
verbracht. Infolge der vielen Schwierigkeiten,
die ihr der Erzbischof bereitete, hatte sie
die Klausur nicht gleich schließen können. Eines
Tages erhielt nun Theresia Besuch von einer
hübschen, jungen Dame, die äußerst geschmackvoll
gekleidet war. Am Hals trug sie eine Kette von
kostbaren Perlen und wertvollen Diamanten in
herrlicher Fassung, die ihren Liebreiz erhöhten.
Als sie sich verabschiedet hatte, wandte sich
die Heilige an P. Petrus und fragte ihn: «Fray
Pedro, haben Sie Dona... gesehen?» «Ja, Mutter.
Aber warum fragen Sie das?»
Etwas nachdenklich fuhr die hl. Mutter fort:
«Was meinen Sie, ist sie nicht eine schöne Frau
mit wunderbaren Juwelen?» «Darauf habe ich nicht
weiter Acht gegeben. Aber ein jeder sagt wohl,
daß sie hübsch sei und sich geschmackvoll zu
kleiden versteht.»
Theresia lächelte, dann meinte sie etwas schelmisch:
«Die Diamanten würden besser zu meinem Jesulein
passen, denn alles, was von dieser Welt ist,
erscheint mir häßlich.» Und sie zog P. Petrus
am Ärmel einige Schritte in den Gang hinein:
«Glauben Sie mir, lieber Pater, seit Unser
Herr Jesus Christus mir die Gnade geschenkt
hat, sich mir zu zeigen und auch der ewige Vater
und der Hl. Geist in göttlicher Gestalt und
mit soviel Glanz und Schönheit vor den Augen
meiner Seele stehen, kann mich nichts mehr auf
dieser Erde befriedigen. Alles kommt mir
häßlich und wie Abfall vor. Nichts gibt mir
mehr Befriedigung, nur wenn ich Seelen sehe,
die mit den Gaben Christi bekleidet sind. Deshalb
sagte ich, daß ich diese Dienerin Gottes wirklich
nicht hübsch finde".
Eines Tages ereignete sich im St. Josefskloster
ein kostbarer Zwischenfall. Es war wohl
in den Jahren 1564-1566, als es an einem Fronleichnamsfest
«im Kloster nichts anderes zu essen gab, als
ein wenig Brot», wie die Cousine der Heiligen,
Maria Baptista de Ocampo, beim Seligsprechungsprozeß
niedergelegt hat. «Ich erinnere mich nicht,
daß wir etwas anderes zu essen hatten. Mutter
Theresia empfand darüber eine solche Freude,
daß sie uns nach der Danksagung in Prozession
zu einer Statue des Jesuskindes führte - wahrscheinlich
"el Mayorazgo» - zu der wir eine große Andacht
pflegen. Sie sang sein Lob und improvisierte
einige Strophen, um für die Gnade zu danken,
die wir empfangen hatten.»
In allen Klöstern
der theresianischen Reform in Spanien gab es
kleine Statuen des Jesuskindes,
wertvolle Andenken an die hl. Mutter, berichten
die Annalen des französischen Karmels". Weshalb
beschenkte die hl. Theresia ihre Töchter gerade
mit Statuen des Jesuskindes? Um eine Antwort
dafür zu finden, braucht man nur die Gedichte
der Heiligen zu durchblättern, in denen sie
ihrer ganzen Liebe zum Geheimnis der Kindheit
des Herrn Ausdruck gibt. In zarten Farben tiefstempfundener
Lyrik schildert sie die Armut und Demut des
göttlichen Kindleins, das um das Heil der Menschen
willen selbst Mensch wurde.
«Voll Gnade hat Gott uns Die Liebe geschenkt
Und den einz'gen Sohn, der im armen Stall In
die Welt heut kam...
welch große Freude! Gott
ward Mensch für uns...
Wer kann mir's erklären, Daß der Herr der Welt
Hier im kalten Stall
Heut Geburtstag hält? Allen Reichtum ließ Er,
Wählt die Armut sich; Wenn ich Ihm drin folge,
Läßt die Sorge mich...»
(Weihnachtslied)
Die
Menschwerdung des Herrn führt in eine Atmosphäre
innerer Losschälung und Entsagung,
die charakteristisch für die Spiritualität des
theresianischen Karmels ist. Nichts zu eigen
haben, einsam und allein zu leben und seinem
Willen in allem zu entsagen: das lehrt die Karmelitin
das Jesuskind in der Krippe, und darum wollte
die hl. Reformatorin, daß sein Geburtsfest mit
besonderer Feierlichkeit begangen werde.
Eine Begebenheit aus Salamanca offenbart das
innige Verhältnis der Heiligen zum Kind in der
Krippe. Man hatte in der Rekreation ein kleines
«Bethlehem» errichtet und die jüngste Novizin,
Sr. Isabella von Jesus, sang mit ihrer melodischen
Stimme einige Verse des bekannten Liedes: «Veante
mis ojos Dulce Jesus bueno: Veante mis ojos
Muerame yo luego» «Es sehen Dich meine Augen,
Süßes, gutes Jesulein:
Es sehen Dich meine Augen, Und ich möchte jetzt
sterben»
In ekstatischer Schau betrachtete Theresia das
hl. Kind. Eine ungeheure Fülle inneren Erlebens
brach geheimnisvoll in ihr auf und ließ sie
Umgebung und alles vergessen. Ganz tief erfaßte
sie Gottes Liebe im menschgewordenen Wort und
schien sie mit neuem Feuer zu durchglühen. War
es nicht genauso an anderen Weihnachtsfesten
gewesen, als sie das Jesulein im Übermaß der
Liebe in ihre Arme nahm, mit Ihm tanzte und
mit jubelndem Herzen sang?"
Einmal geschah es, daß Theresia das Geburtsfest
des Herrn ohne äußere Feierlichkeiten und ohne
Prozession mit dem hl. Kind begehen mußte. Es
war ihr ein nicht geringer Schmerz, und sie
bemühte sich, durch innere Sammlung und mystisches
Eindringen in das Menschwerdungsgeheimnis die
fehlende äußere Freude zu ersetzen. Dabei wurde
sie innerlich so tief ergriffen, daß man an
ihr sogar eine körperliche Veränderung feststellte.
Ihr Gesang war so schön und wohlklingend, daß
es gar nicht mehr sie selbst zu sein schien,
denn sie hatte keine besonders gute Stimme.
Nur die tiefe Durchdringung ihres Geistes durch
die hl. Weihnachtsfreude vermochte diese wundersame
Veränderung hervorzubringen.
Theresia schien vom Fest der Beschneidung des
Herrn ganz besonders berührt worden zu sein.
Sicher erinnerten sie die ersten Blutstropfen
des Herrn an seine Passion und den bitteren
Kreuzestod. In einem ihrer Gedichte ruft sie
klagend aus:
|
«Ach, warum, so muß ich fragen, Leidet dieses
Kindlein hier?
Braucht nicht Schuldenlast zu
tragen, Hat nichts Böses noch getan,
Welchen
Grund mag das wohl haben?» Große Lieb' ist's,
die Es drängt,
Die Es zu uns Sündern trägt.
«Ach, dies Kindlein blutet ja!»
Ach, so früh schon,
kaum geboren, Quält man dieses Kindelein!
Ja, zu sterben ist's gekommen Und zu tilgen
unsre Schuld.
Meiner Treu, welch guter Hirte Wird Er seiner
Herde werden!
Ach, dies Kindlein blutet ja, Und ich weiß doch
nicht warum.
Hast du's denn noch nicht vernommen, Wer dies
holde Kindlein ist?
Mir kam von des Kindes Freunden
Frohe Kunde wohl zu Ohren:
Gott ist dieses kleine
Kind. Wahrlich groß der Undank wäre,
Liebten wir dies Kindlein nicht, Das so früh
schon für uns blutet.» |
Ohne Zweifel hat sich Theresia in ihren Gebetsstunden
mit der Kindheit des Herrn beschäftigt.
«Weinend ist dies Kind gekommen, Gib wohl acht,
Es ruft nach dir.»
Sie hatte sein Rufen gehört, und Es war in ihr
liebendes Herz eingedrungen. Und hatte ihr Jesus
nicht auf der Stiege des Inkarnationsklosters
gesagt, wenn «Du Theresia von Jesus bist», dann
«bin ich Jesus von Theresia»? Wie ist
es nur zu verstehen, daß diese lieblichen Züge
ihres schlichten, demütigen Glaubens in den
verschiedenen Lebensbeschreibungen der Heiligen
nur so selten oder gar nicht berührt worden
sind? Geschah es aus Mangel an Einfühlung? Oder
war es die Folge des eisigen Hauches einer anders
denkenden Umgebung, von der man mehr oder weniger
beeinflußt ist? Gewiß bleibt, daß ihre geistlichen
Töchter, die Karmelitinnen aller Jahrhunderte,
diesen kindlich frommen Geist ihrer hl. Mutter
verstanden und sich zu eigen gemacht haben.
Es hat sogar im Orden nicht an geheimnisvollen
Offenbarungen gefehlt, in denen Gott einer Karmelitin
das gnadenhafte Erfassen des Menschwerdungsgeschehens
der hl. Theresia erschlossen hat.
Im Karmel von Beaune gibt es ein bisher unveröffentlichtes
Dokument, das dafür ein beredtes
Zeugnis gibt. Eines Tages sah die ehrw. Sr.
Margareta vom hlst. Sakrament «unsere hl. Mutter
Theresia vom Ewigen Wort ganz durchdrungen und
erfüllt und in göttlicher Weise in Besitz genommen.
Sie sah das göttliche Wort als das Wort des
Vaters, das sich unserer hl. Mutter eröffnete
und sich ihr vollkommen hingab, um ihr Leben
zu sein, ihr Verstand, ihr Lehrmeister und ihr
Wort. Es hatte sich diese Heilige erwählt, damit
sie einzig und allein sein Organ wäre, durch
welches Es viele Wunder wirken wollte. Sie erkannte
dabei, wie unsere hl. Mutter Theresia durch
das WORT belehrt worden war und daß sie in Ihm
und durch Es zahlreiche Erleuchtungen empfangen
und himmlische Erkenntnisse geschöpft habe.
Und sie verstand, daß sie von Ihm auch den
Geist des Ordens erhalten habe, der ein Geist
der Zurückgezogenheit, des Stillschweigens,
des innerlichen Gebets und der Trennung von
der Welt ist.
So sah sie das göttliche Wort fleischgeworden
und als kleines Kind in der Krippe liegend.
Es gab ihr zu erkennen, daß in Ihm der Geist
und die Gnade unseres hl. Ordens wohne und daß
Es dessen Quelle und Herkunft sei. Dieses Wort
hat unserer hl. Mutter geoffenbart, daß der
Orden nur im Geist der Krippe bestehen könne,
im Geist der Demut und der gänzlichen Vernichtung
seiner selbst, abgeschieden von der Welt und
vom Geiste der Welt, im Stillschweigen und im
beschaulichen Gebet. Die Großen und Stolzen
(der Welt) würden dies niemals begreifen, sondern
nur die Kleinen, jene, die sich für gering halten
wie unsere hl. Mutter,... auf die in Wahrheit
die Worte des Evangeliums anwendbar sind: ‘Ich
preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der
Erde, daß Du diese vor den Weisen und Klugen
verborgen hast.’
Dann erblickte die Seherin «das Jesuskind, wie
Es seinem Vater Dank darbrachte, daß
Er diese großen und tiefen Geheimnisse seiner
Heiligen mitgeteilt habe,... und Es gab ihr
zu erkennen, daß Es sich diese Heilige auserwählt
habe, um durch sie in ihrem Orden und in dessen
Häusern den Geist und die Gnade seiner Krippe
und des Standes seiner hl. Kindheit zu erneuern.»
Man darf sich keineswegs wundern, daß die hl.
Theresia nichts von alldem in ihren Schriften
erwähnt hat. Anna vom hl. Bartholomäus sagt
sehr richtig in ihrer Autobiographie, daß die
hl. Mutter nur einen sehr geringen Teil von
dem niedergeschrieben hat, was sie über ihre
Leiden - und gewiß auch über manches andere
- hätte sagen können". Es entsprach nicht den
Zeitströmungen, derartig feinen Empfindungen
religiösen Lebens Ausdruck zu geben, und Theresia
hatte schon mit ihrem offenen Bekenntnis zur
Menschheit Jesu Christi und deren Bedeutung
im inneren Aufstieg der Seele zur Vereinigung
mit Gott genug gewagt. Man hätte sie nicht verstanden,
wenn sie über die Andacht zur Kindheit Jesu
anläßlich eines
Bildnisses geschrieben hätte! Aber sind nicht
die Kapitel des «Wegs der Vollkommenheit», die
über die Demut und Armut handeln, ein Echo und
zugleich eine Aufforderung zum Kind-Werden?
«Wer unter euch der erste sein will, der sei
euer Diener.» Ist dies nicht die
«Botschaft, die der Karmel gleich einem Zeichen
der Erwartung der Lehre der geistlichen
Kindheit an die Menschen der heutigen Zeit richtet
und dadurch die Einladung zur Rückkehr zum Evangelium
an sie ergehen läßt?»" «Die heute so gepriesene
christozentrische Lehre wurde von der hl. Mutter
und den Unbeschuhten von der Wiege der Reform
an geübt.»" Und die Liebe zu Jesus Christus
ging von der hl. Mutter als Erbgut und heiliges
Vermächtnis in ihre geistlichen Töchter und
Söhne über, unter denen es immer wieder Seelen
gegeben hat, die nach ihrem Beispiel das Menschwerdungsgeheimnis
tief erfaßt haben.
Bis heute wird im Karmel von Avila «el Mayorazgo»,
das «Jesulein der hl. Mutter», hoch verehrt.
Das altspanische Wort «mayorazgo» weist darauf
hin, daß es sich bei dieser Statue um «den Ältesten
unter Brüdern», also um das älteste Jesulein
der Reform handelt. Die bemalte Holzstatue ist
60 cm hoch und hat als besondere Eigenart, daß
auf den Füßen des hl. Kindes die Wundmale sichtbar
sind. Die Nonnen erzählen, daß man Es hie und
da im Haus angetroffen habe, als Es in die Zellen
der Schwestern eintrat und sie segnete. Angeblich
soll Es nachher der hl. Mutter Theresia alles
erzählt haben, was Es an Gutem und Erbaulichem
und auch... an kleinen Untugenden gesehen hat!
Von einer Laienschwester, Sr. Marianne vom Kreuz,
wird berichtet, daß sie ganz besondere Gnaden
von «el Mayorazgo» empfing, vor allem im Augenblick
der Gelübdeerneuerung, denn im St. Josephs-Karmel
war es bis fast in unsere Gegenwart Brauch,
vor seiner Statue die Gelübde zu erneuern.
Ging dieser Brauch auf die hl. Theresia zurück?
Wir wissen es nicht. Aber die Gewohnheit, am
31. Dezember mit dem Jesulein eine Prozession
zu halten und Ihm ein kleines Säckchen in die
Hand zu geben, damit Es im folgenden Jahr für
das Nötige sorge, kann leicht einer Anregung
der Heiligen entsprechen, deren Vertrauen auf
die Hilfe des göttlichen Kindes grenzenlos war.

Die ehrw. Anna vorn hl. Augustinus
Wenn man der Frühgeschichte der theresianischen
Reform nachgeht, kommt man bald zu einer der
anziehendsten Gestalten des Karmels, deren Leben
in unverfälschter, kindlicher Frömmigkeit dahin geflossen
ist und in seiner entzückenden Einfachheit fast
wie eine mittelalterliche Legende anmutet. Es
ist Anna vom hl. Augustinus", die Begleiterin
der hl. Theresia bei der Stiftung von Villanueva
und später selbst Priorin und Gründerin des
Klosters von Valera de Abajo.
Sie gehört zu den
vielen «unbekannten Heiligen»,
hinter denen sich die Pforten des Klosters geschlossen
haben, weil sie sich für die Welt opfern wollten.
Vielleicht war sie auch dazu erwählt worden,
mit ihrem Leben die geheimnisvolle Gegenwart des mensch- und
kindgewordenen Gottes zu bezeugen. So sehen
wir sie in schlichter Einfalt die Gaben des Jesuskindes entgegennehmen:
dunkelrote Kirschen zur Winterszeit, die ihr
Herz in glühender Liebe entflammen, und blitzende
Goldmünzen, die unerwartet in einem Körbchen
liegen, das sie ihrem Jesulein, mit duftenden
Blumen angefüllt, darzubringen pflegte.
Ihre Ordensoberen hatten ihr angeordnet, ihre
«Erlebnisse mit dem Jesuskind»
aufzuschreiben.
Auf diese Weise entstand zwar keine «Autobiographie»,
die mystische
Erkenntnisse über das Inkarnationsgeheimnis
enthält, aber eine Reihe anmutsvoller Berichte
über das Verhältnis eines liebenden Herzens
zum göttlichen Kindlein, das sein Geheimnis
aus dem Band innigster Vertrautheit, welches
sein und des Kindes Leben umschloß, verstanden
hatte. Empfänglich für den Gnadenstrahl, der
vom Bild eines Jesulein ausgehend in ihr inneres
drang und dort zum tragenden Inhalt wurde, hatte
sich dieser kleinen Karmelitin das lebendige,
gottmenschliche Sein des Herrn erschlossen und
in ihr eine solche Glaubensstärke erweckt, daß
sie bis an das Wunderbare grenzende Gebetserhörungen
fand.
Wenn auch ihre Erzählungen unter der Feder des
Chronisten hie und da vom Rankenwerk der Phantasie
umflochten zu sein scheinen, so entbehren sie
doch keineswegs einer zarten Natürlichkeit,
die so recht widerzuspiegeln versteht, wie das
Jesuskind sie immer tiefer in die Arme seiner
unendlichen Liebe geschlossen hat. Lassen wir
der Chronik das Wort: «Schon im Alter von 11
Jahren hatte die fromme Anna vom hl. Augustinus
Gott dem Allmächtigen ihre Keuschheit dargebracht.
Wie sehr dies dem Herrn gefallen hatte, wurde
ihr nicht lange darauf deutlich.
Eines Tages war sie in den Garten gegangen,
um einige Lilien zu pflücken. Da erschien
ihr ein überaus liebreiches Knäblein und bat
sie um eine Lilie. Freundlich sagte sie
Ihm, es möge sich doch selber eine abbrechen.
Aber das Knäblein blieb bei seiner Bitte und
wollte, daß Anna Ihm eine pflücke, was sie dann
schließlich auch tat. Lächelnd und mit großer
Freude nahm das Knäblein die Blume zu sich.
Gleichzeitig hatte Anna etwas Übernatürliches
an diesem Kind bemerkt und fragte es, ob es
vielleicht das Jesuskind sei, was ihr bejaht
wurde. Voll innerer Glückseligkeit drehte sie
sich eilfertigst um, denn sie wollte Ihm noch
eine andere Lilie pflücken. Das Kindlein war
aber verschwunden. So lief Anna in kindlicher
Unbefangenheit im Garten hin und her. Sie meinte,
daß sie Es doch finden würde. Doch alles Suchen
blieb vergeblich. Diese Begebenheit hatte zur
Folge, daß in ihrer Seele eine heiße Liebe zum
Jesuskind erwachte. Sie wollte Es überall verehren
und baute Ihm deshalb kleine Altäre und wünschte,
all ihr Tun und Lassen zu seiner Ehre aufzuopfern.
So vergingen einige Jahre, ohne daß sie das
Jesulein wieder gesehen hätte, was ihr großen
Kummer bereitete.
Als sie älter geworden war und treu in ihrer
Frömmigkeit und innigen Andacht zum Jesuskind
ausgeharrt hatte, erwachte in ihr ein heiliges
Verlangen, Gott dem Allmächtigen im Ordensstand
zu dienen. Da sie aber zu keinem Orden eine
besondere Neigung verspürte, bat sie den Herrn
inständigst, Er möge ihr doch den Orden zeigen,
in dem sie Ihm nach seinem Wohlgefallen dienen
solle.
Als sie einmal während der Oktav des Fronleichnamsfestes
in der Kirche der Augustinerinnen betete, sah
sie inmitten der Prozession... das Jesuskind,
das aber jetzt etwas größer war als damals,
wo sie Es im Garten erblickt hatte. Es hob seine
gebenedeite Hand empor und wies auf die Karmeliten,
die an der Prozession teilnahmen, und sagte:
«Du bist zu diesem Orden berufen.» Darauf
verschwand es.
Dank der Gnade Gottes trat Anna 1577 in den
Karmel von Malagon ein. Einige Jahre nach
ihrer hl. Profeß kam die hl. Mutter Theresia,
die sich auf der Reise nach Villanueva befand,
nach Malagon und nahm Anna und drei andere Karmelitinnen
zur Gründung mit, ...wo sie die hl. Mutter Theresia
zur Windnerin, Sakristanin und Prokuratorin
ernannte". Diese drei Ämter mußte sie zu gleicher
Zeit versehen. Die Heilige befahl ihr, in
allen ihren Nöten zum Jesuskindlein Zuflucht
zu nehmen und alles mit großem Vertrauen von
Ihm zu
begehren.
Die erste Priorin dieses Klosters war M. Maria
von den Martyrern. Gleich am Anfang ihres Priorates
erwies sich eine Anschaffung für die Sakristei
als notwendig, die ungefähr 6 Dukaten kosten
sollte. Aber nach vollendeter Arbeit verlangten
die Arbeiter 11 Dukaten. Die Mutter Priorin,
die nicht soviel Geld besaß und auch nicht wußte,
wie es bekommen könne, da es in dieser Stadt
keine reichen Leute gab, war darüber nicht wenig
betrübt. Doch Anna vom hl. Augustinus kam zu
ihr und tröstete sie, indem sie sagte, sie wolle
diese Not dem Jesuskindlein anvertrauen. Ohne
Zweifel würde Es helfen.
Sie begab sich zu
ihrem Jesulein und klagte Ihm im festen Vertrauen
auf seine Hilfe die Not des Klosters.
Kaum hatte das Kindlein ihre klagende Bitte
gehört,
als Es von seinem
Platz herabstieg und der ehrw. M. Anna bedeutete,
Ihm zu folgen.
Es lenkte seine Schritte in einen kleinen Garten
und zeigte ihr ein Loch, in dem sie so viel
Silbergeld fand, als man brauchte, um die Schuld
zu begleichen und außerdem um noch einiges Notwendige
für das Haus anschaffen zu können.
Dann kehrte
das Jesuskind an seinen gewohnten Platz zurück.
Solche und ähnliche Gnaden, die die ehrw. M.
Anna selbst niedergeschrieben hat, geschahen
oft, und ohne diese Hilfe von oben wäre es unmöglich
gewesen, in diesem Kloster zu leben.
Ein andermal hatte die ehrw. M. Anna nur zwei
Geldstücke zum Unterhalt des Klosters.
Sie legte sie mit großem Vertrauen zu Füßen
des Jesulein nieder und bat, Es möge sich doch
ihrer Not annehmen und ihnen helfen, denn der
Gehorsam hätte ihr anbefohlen, in aller Not
bei Ihm Zuflucht zu nehmen. Darüber zeigte sich
das Kind sehr erfreut und gab ihr zu verstehen,
welch ein großes Wohlgefallen Es an der Übung
des Gehorsams habe. Doch eine Zeitlang hatte
die ehrw. M. Anna nichts mehr vom Jesulein begehrt.
Sie fürchtete nämlich, nicht würdig zu sein,
so oft vor Ihm zu erscheinen. Das Jesulein dachte
aber anders. Von herrlichem Glanz umgeben trat
Es in ihre Zelle und beklagte sich, daß sie
in ihrer Not nicht allzeit ihre Zuflucht zu
Ihm genommen habe. Die hl. Mutter Theresia hätte
es ihr doch anbefohlen. Und dabei streckte Es
seine Händchen aus und gab ihr ein reichliches
Almosen zum Zeichen, daß Es gern in allen Nöten
helfen wolle. Und so ist es seitdem auch
immer gewesen.
Einmal hatte der
Teufel den Schlüssel zum Kommunionfenster versteckt,
als die Schwestern kommunizieren wollten. Die
ehrw. M. Anna, die als Sakristanin für das Öffnen
und Herrichten zu sorgen hatte, ging still zu
ihrem Jesulein und klagte Ihm ihre Not. Da gab
Es ihr zu verstehen, wo der Schlüssel verborgen
war, so daß sie ihn noch rechtzeitig finden
konnte und nicht alle auf die hl. Kommunion
verzichten mußten.
Da sie drei Ämter zu versehen hatte, war sie
oft verhindert, mit den anderen Schwestern
das Brevier im Chor zu beten. In solchen
Fällen pflegte sie die Horen allein vor
ihrem Jesuskind zu rezitieren.
(Horen = Stunden d.h. bestimmte Teile des
Stundengebetes = Breviers wie Laudes, Prim,
Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet)
Einmal hielt
sie mit Ihm nach verrichtetem Gebet ein
vertrautes Zwiegespräch, während dessen Es ihr zur Winterszeit einen
schönen Blumenstrauß schenkte. Dabei schien
es ihr, daß es dieselben Blumen waren, die sie
Ihm vor vielen Jahren im elterlichen Garten
gepflückt hatte. Tiefe Freude erfüllte sie und
in ihrer Seele empfand sie großen Trost.
In einer Nacht war vor dem Tabernakel das «ewige
Licht» erloschen. Da sie aber nichts
hatte, um es wieder anzuzünden, suchte sie ihrer
Gewohnheit gemäß beim Jesuskind Zuflucht. Ihr
Vertrauen blieb nicht unbelohnt. Eine unsichtbare
Hand - sicher das göttliche Kind selbst
- hatte das Licht wieder angezündet!
Zur selben Zeit war es geschehen, daß sie
vergessen hatte, die Pforte der äußeren Klausur zu schließen,
wie es damals üblich war. Sie hatte sich bereits
zur Ruhe begeben, als ihr mitten in der Nacht
das
Jesulein mit den Schlüsseln erschien und ihr
sagte, daß Es alle Tore verriegelt habe.
Darüber erfüllte sie selige Freude und mit neuem
Eifer begann sie Gott aus ganzem Herzen zu dienen.
Von guten Freunden hatte die ehrw. Anna ein
zweites Jesulein geschenkt bekommen,
das ihr gleich dem ersten in aller Not half.
Seit langem hatte sie den großen Wunsch, für
das heiligste Sakrament eine Monstranz
anfertigen zu lassen. Dazu brauchte sie
aber viel Geld. Nun hatte das Jesulein ein Körbchen
in der Hand, in das die ehrw. M. Anna bisweilen
einige Blumen legte. Als sie einmal ins Körbchen
hineinschaute, fand sie dort viele spanische
Duplonen, genug, um eine Monstranz anfertigen
zu lassen.»
In ihrer unendlichen Liebe zum göttlichen Kind
trug sie dieses des Nachts in ihre Zelle.
Aber einmal hatte sie es vergessen. Als sie
nun ihre Zelle betrat, sah sie auf ihrem Bett
ein schlafendes Kindlein. Einige Zweifel, ob
es wirklich ihr Kind wäre, ließen sie ihr Herz
zu Gott erheben. «Herr, wenn dieses Kindlein
nicht das meinige ist», flehte sie inständig,
»so bitte ich Dich demütig, daß es von dannen
weiche.» Im gleichen Augenblick war das Kind
verschwunden und
der Herr offenbarte
ihr, es sei der Teufel gewesen, der sie betrügen
wollte.
Eines Tages wurde im Maria-Hilf-Kloster ein
Fest begangen, und die Patres der Reform baten
die ehrw. M. Anna, ihnen doch für einige Tage
ihr Jesulein überlassen zu wollen. Es blieb
eine ganze Woche lang bei den Patres, und die
ehrw. M. Anna empfand diese Abwesenheit ihres
Kindes recht schmerzlich. In einigen Versen,
die sie durch ihren Beichtvater, P. Johannes
vom hl. Joseph, dem Jesuskindlein überreichen
ließ, beklagte sie sich liebevoll über sein
Fernsein:
|
«O liebes Kindlein, vergiß doch nicht
Eines
Herzens, das Du verwundet hast.
Mit Deiner Liebe
hast Du es geteilt,
Mit Deiner Lieb will es auch sein geheilt». |
Am Abend des folgenden Tages, als sie im Gebet
weilte, erschien ihr das liebe Jesulein von
herrlichem Glanz umgeben. Gar schön und freundlich
sagte Es zu ihr, daß Es gekommen sei, um sie
zu besuchen und ihr Herz zu heilen. Es blieb
dann eine gute Weile bei ihr und redete vertraulich
und in zarter Liebe. Dann kehrte Es zum Kloster
der Patres zurück.»
Das Manuskript endet mit den Worten, daß dies
alles die ehrw. M. Anna vom hl. Augustinus selbst
niedergeschrieben habe und drei Jahre darauf
selig im Herrn entschlafen ist.
Es sind sicher nicht die einzigen Gnadenbeweise
dieser auserwählten Seele gewesen, die ihr ganzes
Leben in inniger Zweieinsamkeit mit dem göttlichen
Kind verbracht hat. Ihre Verehrung des Jesuskindes
hat in der Tradition des Klosters von Villanueva
fortgelebt, wo man stets eine Jesulein-Statue
in Erinnerung an die Ehrwürdige aufbewahrt hat.
Im übrigen war es unter den Töchtern der hl.
Theresia keine seltene Erscheinung, daß die
eine oder andere Schwester den Herrn in seiner
heiligsten Menschheit erblickte oder mystische
Gnaden empfing. Man braucht nur an Anna
vom hl. Joseph zu denken, die die hl. Reformatorin
auf ihre Stiftungsreise nach Valladolid mitnahm.
Theresia hatte bald die tiefe Andacht und innige
Liebe der jungen Nonne zum Geheimnis
der Kindheit des Herrn erkannt und erlaubte
ihr deshalb, in der Zelle eine kleine Statue
des
Jesuskindes aufzustellen. So verbrachte Anna
vom hl. Joseph viele Stunden im beglückenden
Zwiegespräch mit dem göttlichen Kind, dessen
Gegenwart sie bei allen Arbeiten mit unaussprechlichem
Trost erfüllte. Aber einmal war es geschehen,
daß sie in ihrer Zelle mit einer Näharbeit saß
und sich dabei in allerlei Gedanken zerstreute.
Das Jesuskind war darüber nicht wenig betrübt.
Ganz leise flüsterte Es ihr ins Ohr: «Aber
paß doch auf! Du läßt mich ja allein!» Anna
bat das Kindlein demütig uni Verzeihung und
versprach, von nun an wachsamer zu sein. Viele
Gnadenbeweise waren das Zeichen, daß das göttliche
Kind sie mit besonderem Wohlgefallen umgab.
Noch heute verehrt man im Kloster von Valladolid
die kleine Statue, die die hl. Theresia Anna
vom hl. Joseph geschenkt hatte. Sie ist bekannt
als das «Pilgerkind», «el Peregrinito», und
wird entsprechend der liturgischen Farben gekleidet.

Die sel. Anna vom hl. Bartholomäus
Wenn die alte Hansastadt Antwerpen mit berechtigtem
Stolz Anna vom hl. Bartholomäus als ihre Patronin
und Schutzfrau verehrt, so geschieht dies nicht,
weil sie ihre außergewöhnlichen Eigenschaften
hoch eingeschätzt hat, sondern weil sie die
übernatürliche Wirksamkeit ihres Gebetes erfahren
hatte, eines Gebetes, das in der unendlichen
Kraft Jesu Christi Stadt und Festung vor dem
Einfall und der Einnahme seitens des kalvinistischen
Prinzen von Nassau bewahrt hat."
Anna vom hl. Bartholomäus ist uns überliefert
als eine Nonne, auf deren Weg sich charismatische
Gnaden und härteste Bußübungen mit jungfräulicher
Lieblichkeit und mütterlicher Güte verseinten.
Wir sehen sie, wie sie aus Gehorsam, ohne
zu zittern, ihren Finger auf das glühende Kohlenfeuer
legt und wie sie wenig darauf der inständigen
Bitte einer kleinen Laienschwester nachgibt
und alle ihre Pläne ändert. Schon als Kind hatte
sie verstanden, daß das Geheimnis der Heiligkeit
in einem Sich-in-Christus-Verlieren besteht.
Das Hirtenmädchen von Almedral suchte die einsamsten
und stillsten Orte auf, uni sich ungestört dem
Zwiegespräch mit dem kleinen Jesus hingeben
zu können, der ihr nicht selten in Gestalt eines
wunderschönen Knäbleins erschien und mit ihr
zusammen heranwuchs.
Als sie noch sehr klein war und kaum auf den
Füßen stand, ohne richtig reden zu können,
geschah es einmal, daß sich der Himmel vor ihr
öffnete und sie Christus unseren Herrn in unbeschreiblicher
Herrlichkeit sah. Sie gesteht in den Aufzeichnungen
ihres inneren Werdeganges, die viele Jahre später
im Gehorsam entstanden, daß sie noch jetzt,
d.h. im hohen Greisenalter, unter dem Eindruck
dieser Vision stehe, die in jenem Augenblick
ihre Seele mit glühender Begierde, Christus
zu lieben, durchflutet habe. Sie wollte Ihm
dienen, um selig zu werden, und ihr Herz zitterte
in heiliger Furcht, Ihn zu beleidigen. Die Gestalt
des geschauten Herrn blieb unvergeßlich in ihre
Seele geschrieben.
Eines Tages, als sie die Herden ihrer Brüder
weidete, kam das Jesuskind, über alle
Maßen schön und mit langem, auf die Schultern
herabhängenden Haar, und setzte sich auf den
Rand ihres Kleides. Mit unsagbar zärtlichen
Worten führte Es seine kleine Auserwählte in
das Geheimnis seiner heiligsten Kindheit.
Sie war so glücklich über seine Gegenwart, daß
sie Ihm in aller Einfalt den Vorschlag machte,
nicht mehr zu den Menschen zurückzukehren zu
müssen, sondern hier bei Ihm zu bleiben, wo
ihr doch nichts mangeln würde. Wahrscheinlich
hat sie sich in einem ihrer Gedicht an diese
seligen Jahre erinnert, wenn sie schreibt:
|
«Wo gehst du hin, o göttlich Kind Von Lieb so
ganz entzündet? -
Zu suchen mir ein Hirtenmägdelein, Das mich
von Herzen liebt
Und das auch liebe ich im Herzen mein.» |
Das Hirtenmägdelein, welches das Jesuskind suchte
und dem Es sein Herz schenken wollte, das ist
sie selbst. Seit ihrem neunten Jahr fühlte sie
ein heißes Verlangen nach dem Ordensstand. Doch
ihre Geschwister setzten alles ans Werk, um
sie zu verheiraten. Sie war inzwischen fünfzehn
Jahre alt geworden. Da die Schwierigkeiten unüberwindbar
schienen, nahm sie ihre Zuflucht zu Maria, die
sie sich zur Mutter erwählt hatte. Gleichzeitig
verdoppelte sie ihre Bußübungen. Da erschien
ihr eines Tages der Herr, so wie sie Ihn als
kleines Mädchen in übergroßer Herrlichkeit in
dem von Wolken freien Himmel gesehen hatte.
Ein Strahl seiner göttlichen Liebe drang tief
in ihr erwähltes Herz: «Ich bin es, den Du suchst.
Ich will Dein Bräutigam sein und ich werde
Dich behüten, so wie Du es verlangst».
Diese Versicherung erfüllte sie mit neuem Vertrauen.
Kurz darauf geschah es, daß man sie zur Ruhe
schickte, ohne daß sie ihren täglichen Rosenkranz
gebetet hatte. Um das Vergessene nachzuholen,
beschloß sie, die Nacht auf einem dreieckigen
Stein zu verbringen, um auf diese Weise dem
Schlaf zu wehren. Aber vergeblich kämpfte sie
gegen die Müdigkeit. Sie schlief mit dem Rosenkranz
in den Händen ein. Da schien es ihr zu träumen,
und doch war es mehr als ein bloßer Traum, daß
im Glanz unzähliger Lichter die allerseligste
Jungfrau mit dem Jesuskind zu ihr kam. Und das
Kindlein - war es Spiel oder Wahrheit - zog
so stark an ihrem Rosenkranz, daß sie darüber
erwachte. Sie öffnete verwundert die Augen.
Die heiligste Jungfrau bedeutete ihr aber mit
sanfter Stimme: «Fürchte Dich nicht und sei
unbekümmert. Ich werde Dich an einen Ort
bringen, wo Du mein Kleid trägst und Ordensfrau
sein wirst».
Am 2. Nov. 1570 schloß sich die Klausurpforte
des Sankt Josefsklosters in Avila hinter seiner
ersten Laienschwester. Als die Mutter Stifterin,
die zur Zeit abwesend war, im folgenden Frühjahr
die junge Postulantin kennenlernte, unterließ
sie es nicht, diesen ihr von Gott geschenkten
Edelstein zu schleifen, damit Anna zu einem
vollkommenen Vorbild in allen jenen Tugenden
werde, die zum Stand einer Laienschwester unerläßlich
sind. Und sie war entzückt über ihre Demut und
Sanftmut, über ihren vollkommenen Gehorsam und
ihre große Arbeitsliebe, die mit Klugheit und
seltener Anpassungsfähigkeit verbunden war.
Ihre feine, stille und erfinderische Art gefiel
der Heiligen so sehr, daß sie sich Anna als
ihre Krankenwärterin und ständige Begleiterin
erwählte.
So verbringt sie viele Jahre an der Seite der
hl. Reformatorin des Karmel, mit ihr Freud und
Leid teilend. Eine wunderbare Innigkeit verbindet
bald die beiden Frauen. Während Theresia die
junge Nonne auf dem Weg der Entsagung und Selbstverneinung
zu den Mysterien des am Kreuz Erhöhten führt,
damit sie sich ganz von Ihm ergreifen und zum
dreifaltigen Gott hin formen lasse, neigt sich
der Herr liebend über sie und trägt sie zu den
unaussprechlichen Gnaden seiner Menschheit und
Gottheit empor. Doch wo besser als im Bild seiner
Kleinheit, in der Gestalt des Kindes, hätte
das schlichte Gemüt des einstigen Hirtenmägdleins
den tiefen Sinn der Menschwerdung begreifen
können? Ihre Erlebnisse mit dem Jesuskind haben
etwas unsagbar Zartes, das wie ein leiser Windhauch
dahinzieht und im Schatten der ersten Blutstropfen
im Kreuzesmysterium versinkt.
Sicher hat auch die geistliche Leitung des hl.
Johannes vom Kreuz auch dazu beigetragen, daß
ihre christozentrische Frömmigkeit immer mehr
in einem vertrauten Umgang mit dem Herrn gipfelte.
Es ist bezeichnend, daß Anna Jahre später, als
sie sich in Antwerpen dem
Ziel ihrer irdischen Laufbahn näherte, die Strophen
des «geistlichen Gesangs», des Hohenlieds der
Liebe zwischen Christus und der Seele, aus dem
Gedächtnis aufgeschrieben und zu ihrer Verbreitung
beigetragen hat".
Die Vorsehung hatte sie erwählt, die theresianische
Reform nach Frankreich und in die Niederlande
zu bringen. In Paris zur Priorin ernannt,
nachdem sie im Gehorsam den weißen Schleier
der Laienschwester mit dem schwarzen der Choristin
vertauscht hatte, erfuhr sie, daß Bruder Franziskus
vom Kinde Jesu gestorben war und es erwachte
in ihr der glühende Wunsch, eins seiner Jesulein
bei sich zu haben. Sicher hoffte sie, daß
durch dieses Kind, das durch seine «Wundertaten»
bekannt war, der äußerst schwierigen Lage abgeholfen
werden könne.
Der General der spanischen Kongregation konnte
es ihr nicht verwehren. So klopfte im
Jahr 1605 ein Bote an die Pforte des lnkarnationsklosters
in Paris und überreichte ihr das ersehnte Kind.
«Il fut si bien conserve dans sa petite caisse,
et en tel lustre qu'il ne recut aucune tare,
durant un si long chemin», heißt es in den Annalen
der Unbeschuhten Karmeliten. Und dann folgt
eine Beschreibung des Kindes: Das Kleidchen
aus weißem Samt und Goldschmuck war von einem
Gürtel umgeben, auf dem in weißer Stickerei
die Worte zu lesen waren: Ich bin der Gute Hirte.
Ein zartes Gesichtlein mit einem bezaubernden
Blick, ein goldener Stab in der Hand und perlengezierte
Sandalen vollendeten das Bild des Jesulein,
das auf einem vergoldeten Holzuntersatz stand."
Und wirklich schien dieses Kind mit einer Liebe,
die weit über Zeit und Menschen herausreichte,
die junge Stiftung zu segnen. War es sein Bild
oder ein anderes Jesulein, das M. Anna im Herzen
trug, als wieder die schlecht gefederten Wagen
über die holprigen Landstraßen gen Flandern
zogen und Entbehrungen aller Art die Reisenden
peinigten? An seinem Bilde fand sie Trost und
Kraft zum Opfer.
In Antwerpen
beauftragte sie
bald darauf einen berühmten flämischen Künstler,
für das Josefskloster in Avila drei Statuen
anzufertigen: eine der Muttergottes, eine des
hl. Josef und eine des Jesuskindes. Als nun
die Statuen zum Versand eingepackt werden sollten,
bat eine Laienschwester, die von der Lieblichkeit
des Jesuskindleins tief berührt worden war,
M. Anna möge Es doch in Antwerpen behalten.
Das mütterlich warm schlagende Herz der Seligen
konnte nicht anders, als dieser Bitte zu willfahren,
und das Jesulein wurde im Kapitelsaal aufgestellt.
Sr. Maria vom hl.
Joseph,
so hieß die Bittstellerin, hatte schon als Novizin
in nicht unberechtigter Angst, daß man sie nicht
zur Profeß zulasse, ihr ganzes Vertrauen auf
die Hilfe des göttlichen Kindes gesetzt. Seitdem
schien es, daß sie sich innerlich mit nichts
anderem mehr beschäftigte, als an ihren kleinen
Heiland zu denken, Ihm zu gefallen und Ihm Freude
zu bereiten. Als nun seine Statue im Kapitelsaal
grüßend zur Andacht einlud, kannte ihre Liebe
keine Grenzers mehr. Alles brachte sie Ihm,
alles wollte sie mit Ihm teilen und nichts hielt
sie vor Ihm verborgen. Sie wußte Ihm Überraschungen
aller Art zu bereiten: heute schrieb sie Ihm
ein Brieflein mit selbstverfaßten Reimen, morgen
überreichte sie ihm ein Blumensträußlein, das
sie in ein Körbchen steckte oder in seine gebenedeiten
Händchen drückte, wobei sie Ihm einige Strophen
eines Liedchens vorsang, das sie für Ihn gedichtet
hatte. Man sah sie Tag und Nacht dem hl. Kind
ihre Besuche abstatten. Die Schwestern nahmen
wahr, daß sie trotz ihres Dienstes in der Küche
fünf- bis sechsmal in einer Stunde zum Jesulein
ging und außerdem noch hie und da in den Garten
eilte, um Ihm frische Blumen zu pflücken, die
am frühen Morgen noch
nicht voll erblüht waren.
Niemand konnte
es begreifen, wie es möglich war, daß sie in
so wenig Zeit und mit so viel innerer Ruhe das
Essen pünktlich und wohlschmeckend zu bereiten
verstand, genau so, als ob sie viel Zeit darauf
verwendet hätte.
In den letzten Monaten
ihres Lebens fesselte sie eine schwere Krankheit
ans Bett. Sie bat daher, ihr das hl. Kind am
Fußende des Bettes aufstellen zu wollen, was
auch geschah. Nun hielt sie viele Stunden innigster
Zwiesprache, bis Es selbst kam, um sie zu sich
ins Paradies zu führen. Es war am Vortag des
hl. Weihnachtsfests 1637. Wollte das göttliche
Kind damit nicht bestätigen, wie wohlgefällig
Ihm die Andacht dieser demütigen Laienschwester
gewesen war?"
M. Anna hinderte ihre geistlichen Töchter in
keiner Weise daran, das Jesuskind zu verehren.
Im Gegenteil, mit der ihr eigenen Herzensgüte
und Zartheit verfaßte sie «Betrachtungen über
die Geburt des Herrn»" und schrieb Gedichte,
aus denen sich eigenes Erleben widerspiegelt.
An einem Weihnachtsfeste hatte sie einmal die
gebenedeiten Füße des neugeborenen Kindes betrachtet.
Da kam ihr der Gedanke: «O Herr, Du bist kaum
geboren, und doch sehe ich Dich schon am Kreuz:
Was kann ich tun, o liebes Kindelein?» Im selben
Augenblick erscheint ihr die allerseligste Jungfrau
mit dem Jesuskind in den Armen. Sie zeigte Es
ihr, so wie sie Es ganz klein in ihrem jungfräulichen
Schoß getragen hatte. Auf seinen heiligsten
Füßchen leuchteten die Wundmale, gleich als
wären sie mit Blutstropfen benetzt und als wollten
sie die Stelle der Nägel andeuten. Und die
allerseligste Jungfrau gab ihr innerlich zu
verstehen, sie solle sich allezeit bei der Betrachtung
der Wunden seiner allerheiligsten Füße aufhalten.
Anna griff zur Feder und es reihte sich Vers
an Vers:
|
O Kind, wie tust uns lieben! Was wird geschehen,
wenn Du größer bist,
Da Du schon in der Wiegen
Dein Blut für uns vergießt?
Mein liebes, süßes Kindlein, Laß waschen mich
die Füße Dein
Und trocknen sie mit einem Tüchlein. Es wird
vonnöten sein.
O Kind, wie tust uns lieben... |
Über siebzig Jahre waren Anna vom hl. Bartholomäus
auf Erden zugemessen. Daher ließe sich noch
vieles über ihre Andacht zum göttlichen Kind
sagen. Mehr als einmal, wenn sie in das Chor
ging, schaute sie Maria mit dem Jesuskind oder
das hl. Kind allein, das einmal statt ihrer
die Profeß einer jungen Schwester entgegennahm.
Was ihr Inneres erfüllte, das offenbarte sie
ihrem Beichtvater, P. Gracian, oder schrieb
es zum Teil in ihrer Autobiographie nieder.
Leider erschließen uns diese Seiten nur wenig
über die kostbaren Geheimnisse der Kindheit
Jesu, denen sie ein Leben lang gelebt hat. Doch
das wenige genügt, um zu beweisen, daß sie diese
Andacht als treues Vermächtnis der hl. Reformatorin
über die Grenzen Spaniens getragen hat und wollte,
daß sie sich unter ihren Töchtern lebendig fortentwickle.

Die ehrw. M. Anna von Jesus
In dem Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen
in Brüssel wird noch heute eine Statue des Jesuskindes
verehrt, die von so seltener Schönheit ist,
daß sie einen jeden Betenden in ihren Bann zieht.
Unwillkürlich wird sich ihm, wenn er sie sinnend
betrachtet, ein Wort Reinhold Schneiders ins
Gedächtnis drängen: Es ist keine Weisheit,
die nicht der Gaben des Kindes bedürfte.
Die Geschichte dieser Statue des Jesuleins,
von dessen wundersamem Wirken vieles, oft Unbegreifliches
zu sagen wäre, bleibt eng an das Leben einer
der größten Karmelitinnen der theresianischen
Reform gebunden: Anna von Jesus«, die Stifterin
der Karmelklöster in drei europäischen
Hauptstädten, in Madrid, Paris und Brüssel.
Geistliche Tochter des hl. Johannes vom Kreuz
und selbst Mystikerin, wurde sie
von Theresia
von Avila «ihre Krone und Tochter« genannt.
Wie ein unermüdlicher Apostel hat sie sich unvergeßliche
Verdienste erworben für die Verbreitung und
Verteidigung der theresianischen Reform gegenüber
den allzu bald erwachten Tendenzen, die nach
einer Mäßigung des ursprünglichen Geistes zielten.
Anna von Jesus war am Fest Petri Kettenfeier
in das beinahe acht Jahre früher gegründete
St. Josefskloster in Avila eingetreten. Sie
wurde am 25. Nov. 1545 in Medina del Campo geboren.
Früh hatte sie ihren Vater verloren, und drei
Jahre später ließ ihre Mutter Anna und ihr Brüderlein
als Vollwaisen zurück. Ihre ganze Kindesliebe
wandte sie daher der Muttergottes zu, und sie
wollte durch Nachahmung ihrer Tugenden der himmlischen
Mutter Freude bereiten. Keinen Tag ließ sie
vorübergehen, ohne den Rosenkranz zu beten und
sich anderen Andachtsübungen hinzugeben. Vielleicht
erwachte schon damals in ihrer kindlichen Seele
jene Vertrautheit, die sie ihr Leben lang mit
dem Jesuskind pflegte.
Der Jesuitenpater Petrus Rodriguez leitete sie
mit heiligem Eifer an, auf dem Weg der christlichen
Vollkommenheit voranzuschreiten. Ohne Bedenken
erklärte er, daß Anna mehrere große Heilige
an Tugenden übertreffe und verglich sie mit
der hl. Jungfrau und Märtyrerin Katharina,
die durch die Erhabenheit ihres Geistes und
ihrer Wissenschaft die Gaben der Natur mit denen
der Gnade in sich vereinigt hatte.
In der Leidensschule
schwerer Krankheiten geprüft,
die sie lange zwischen Leben und Tod schweben
ließen, reifte ihr Wunsch, in einen der strengsten
und vollkommensten Orden einzutreten. Pater
Rodriguez war nach Toledo versetzt worden, wo
er den reformierten Karmel kennenlernte. Er
schien ihm der von Anna so heiß ersehnte Orden
zu sein, und ihrem Verlangen gemäß setzte er
sich mit der hl. Theresia in Verbindung. Die
Heilige erkundigte sich nach den Eigenschaften
des jungen Mädchens. Gleichzeitig erhielt sie
aber
durch göttliche
Offenbarung den Auftrag, Anna de Lobera aufzunehmen,
da diese ihr im Reformwerk wesentliche Dienste
leisten würde. Und zwar «solle sie sie nicht
als Novizin oder Untergebene aufnehmen, sondern
als
Gefährtin und Helferin».
Ende Oktober desselben Jahres (1570) verließen
Anna von Jesus und die hl. Theresia
von Avila, um sich zur Stiftung von Salamanca
zu begeben, wo ihr das Amt der Novizenmeisterin
übertragen wurde, obwohl sie selbst die
Ordensprofeß noch nicht abgelegt hatte.
In den Monaten ihres Zusammenseins gab die hl.
Mutter der jungen Schwester zahlreiche Beweise
ihrer Zuneigung und Liebe, was sie allerdings
nicht hinderte, Annas Demut und Gehorsam auf
harte Proben zu stellen. Doch mehr als durch
diese Maßnahmen suchte sie durch Liebe und Vertrauen
auf sie einzuwirken, wohl wissend, daß diese
auserwählte Seele dazu bestimmt war, das Reformwerk
in Spanien und über seine Grenzen hinaus zu
verbreiten.
Nach mehr als vierjährigem Aufenthalt in Salamanca
sehen wir Anna von neuem in den
von Maultieren gezogenen Wagen, die die Schwestern
nach Beas brachten, wo Theresia eine neue Stiftung
plante. Am 18. Febr.1575 ernannte sie Anna zur
Priorin des neuen Klosters und leistete ihr
als erste aller Nonnen «Gehorsam».
In Beas war es, wo beide P. Gracian kennenlernten.
Als sich die Heilige im Mai 1575 von
ihrer vielgeliebten Tochter verabschiedete,
wollte sie ihren weißen Mantel mit ihr wechseln.
«Meine Tochter! Nehmen Sie meinen Mantel, der
ganz neu ist und für Ihr Alter paßt. Mir hingegen
steht Ihr abgenützter und alter Mantel besser.»
Tat sie es in Erinnerung an Elias, der seinem
Nachfolger im Prophetenamt, Elisäus, seinen
Mantel überließ? Wer möchte zweifeln, daß die
Erbin des Mantels der Heiligen nicht auch zugleich
den doppelten Geist des «neuen Elias» übernommen
hat, so wie er in der Geschichte der Reform
des Karmels in Theresia vor uns steht?
Anna von Jesus besaß außergewöhnliche Fähigkeiten,
um den Reformgedanken im ursprünglichen Eifer
aufrecht zu erhalten. Dabei verlangte sie
Gehorsamsproben, die ans Unwahrscheinliche grenzten.
So ereignete sich einmal am Weihnachtsabend,
daß eine schwerkranke Schwester bat, man möge
sie doch ans obere Gitter bringen, damit sie
sich wenigstens teilweise an der Festfeier beteiligen
könne.
«Ach», erwiderte die sie pflegende Laienschwester
Katharina, «das wage ich nicht. Der
Arzt hat sogar verboten, Sie zu heben, um Ihr
Bett zu machen. Aber ich will unsere Mutter
Priorin um Erlaubnis fragen.»
«Gut, meine Tochter», meinte Mutter Anna, als
sie den Wunsch der Kranken vernommen hatte,
«tragen Sie Schwester Luise unverzüglich ans
Gitter, doch vergessen Sie nicht meinen Befehl,
mir die Kranke vollkommen gesund zurückzuführen.»
«Aber wie kann ich so etwas fertig bringen»,
wendete Katharina schüchtern ein.
Anna blieb jedoch bei ihrem Befehl. «Nehmen
Sie eine Matratze, breiten Sie dieselbe vor
dem Gitter aus und dann legen Sie die Kranke
darauf. Dabei bitten Sie das Jesuskind recht
vertrauensvoll, Es möge der Schwester als Weihnachtsgeschenk
die Gesundheit wiedergeben. Seine göttliche
Majestät hat eine viel größere Sehnsucht, uns
seine Gaben mitzuteilen, als wir sie aufzunehmen.»
Und dann geschah das Wunderbare: Während man
in der Kirche das Lob Gottes sang,
wurde dem kranken Körper und den schwachen Gliedern
von Psalm zu Psalm neue Kraft geschenkt. Als
die Mette beendet war und Schwester Katharina
ihren Schützling auf die Arme nehmen wollte,
rief diese aus: «Halt ein! Es geht mir besser
als Dir!», worauf sie sich mit Leichtigkeit
von den Kissen erhob und mit ihrer Begleiterin,
die voller Erstaunen und außer sich vor Freude
war, in das Chor ging, um der lobwürdigen Mutter
und den Schwestern, Gott dankend, glückliche
Feiertage zu wünschen.
Anna von Jesus fühlte eine besondere Andacht
zum Fest der Geburt des Herrn und des Allerheiligsten
Sakramentes. Unermüdlich forderte sie ihre Schwester
auf, diese Tage mit der größten Feierlichkeit
zu begehen. Der Herr wollte ihren Liebeseifer
belohnen, indem Er ihr einmal zu Weihnachten
im Geiste das Geschehen in Bethlehem zeigte.
Sie schaute den Stall, die Krippe, die allerseligste
Gottesgebärerin, ihren Bräutigam, den hl. Joseph,
die Hirten und Engel in Menschengestalt, die
ehrerbietig anbeteten, und endlich sah sie Gott
selbst als ein kleines, holdseliges Knäblein.
Damit sie nicht an dieser Vision zweifle, empfand
sie ihre Wirkung während der ganzen Weihnachtsoktav
und genoß große Süßigkeit und innere Freude.
Um jene Zeit hielt die Statue eines wunderbaren
Jesuskindes ihren Einzug in das Noviziat
von Beas. Die Überlieferung will, daß sie ein
Geschenk des ehrw. Bruders Franziskus vom Kinde
Jesu war, der damals noch keinen Ordenshabit
trug, sondern das Krankenhaus von Alcala leitete.
Es handelt sich um ein Jesulein, das ganz ähnlich
wie die spanischen Infanten mit der Königskrone
und einem hermelingeschmückten, weit herabfallenden
Mantel bekleidet ist. Die unvergleichlich gütigen
Züge seines lieblichen, aber ernsten Gesichtleins
werden
nur durch ein leichtes, kaum zu bemerkendes
Lächeln der Lippen in ihrem gleichmäßigen Rhythmus
unterbrochen. In der linken Hand trägt Es einen
in Kreuzform endenden Stab, wie man ihn gewöhnlich
in der Hand des Auferstandenen sieht. Der rechte
Arm mit der leicht geöffneten Hand ist dem Besucher
zugestreckt, gerade als ob das Kind durch diese
Geste sagen wollte: «Kommt alle zu mir. Ich
will euch an mein liebendes Herz ziehen. Ich
bin ja der Weg, die Wahrheit und das Leben.»
Als Anna von Jesus fast dreißig Jahre später
die Reform nach Frankreich und Belgien brachte,
reiste das Jesulein mit ihr und blieb in
Brüssel. Daß es sich wirklich um dieselbe
Statue handelt, ergibt sich aus einem kostbaren
Dokument, aus einem autographischen Brief der
M. Franziska von der Muttergottes aus Beas an
M. Margareta von Jesus, Priorin in Brüssel,
der das Datum des 28. Aug. 1634 trägt. In diesem
Brief bestätigt M. Franziska, daß sie ein Bild
des Jesulein erhalten habe und daß dieses in
allem der früher sich in Beas befindlichen Statue
gleiche. Ja, sie habe Es sofort wiedererkannt.
Diese Aussage hat völlige Glaubwürdigkeit, denn
Franziska hatte schon als Novizin dieses
hl. Kind in ihr Herz geschlossen und es mit
besonderer Liebe verehrt. Zwei oder drei Tage
nach ihrer Einkleidung hatte sie bereits seinen
außerordentlichen Schutz spüren können. M. Anna
hatte ihr den Befehl erteilt, sie solle ihren
neuen Ordenshabit ausziehen und einen anderen,
ganz geflickten anziehen, dessen Geruch ihr
zum Ekel gereichte. Tief betrübt, doch voll
Unterwerfung, zog sie sich in ihre Zelle zurück.
Ihre Tränen flossen reichlich, und ihr schwer bedrücktes
Herz suchte beim göttlichen Kind Erleichterung:
«Liebes kleines Jesulein, Du Gott meines Lebens,
siehe mein Leid und den unüberwindlichen
Widerwillen, den ich habe, diesen Habit anzuziehen.»
Da öffnete das Jesuskind seinen Mund und sprach:
«Wie, Du solltest Widerwillen empfinden, aus
Liebe zu mir diesen Habit anzulegen, wo ich,
der ich Dein Gott bin, keinen Widerwillen gehabt
habe, mich mit Deinem Fleisch zu bekleiden?»
Ein helles Licht durchzuckte die Seele der Novizin.
Sie fühlte in sich eine glühende, zu allem bereite
Liebe aufsteigen. Seit diesem Augenblick hätte
sie es sich zur Ehre angerechnet, einen noch
tausendmal schlechteren Habit anlegen zu dürfen,
als der, den ihr M. Anna gegeben hatte. Ohne
zu zögern trug sie ihn bis zum Ende ihres Noviziates.
Mit rührend kindlicher Naivität suchte sie ihrem
kleinen Heiland Beweise ihrer Liebe darzubringen.
In demselben Brief erzählt sie: «Jeden Tag
brachte ich dem Jesuskind einen Blumenstrauß,
den ich folgendermaßen zusammenstellte: Rote
Blumen, uni mein Verlangen nach Leiden und den
Vorsatz zum Ausdruck zu bringen, das Allerbeschwerlichste,
das ich im Haus tun könne, auf mich zu nehmen.
Weiße Blumen als Symbol der Reinheit, um damit
kundzutun, daß die Liebe zu Gott in mir über
jedwede Liebe herrschen würde. Gelbe Blumen
als Zeichen der tiefen Trauer, die mir die Beleidigungen
Gottes verursachen. Blaue Blumen als Sinnbild
der Tränen, die ich vor meinem Gott für die
Bekehrung der Sünder vergoß. Und wenn ich
mich mit diesem Blumenstrauß zu meinem kleinen
Jesus begab, dann nahm Er ihn mir aus den Händen
und bot ihn seinem ewigen Vater dar.»
In der Weihnachtszeit verließ das Jesulein seinen
gewöhnlichen Platz im Noviziat und
wurde von der ganzen Kommunität verehrt. Einmal
geschah es, daß M. Anna am Vorabend des Festes
der Beschneidung des Herrn ihre Töchter aufforderte,
durch wiederholte Liebesakte vom neugeborenen
Kindlein ein Tröpflein seines kostbaren Blutes
zu erbitten, das Es an diesem Tage zum erstenmal
für die Menschen vergossen hatte. Als sie am
folgenden Tag
mit inbrünstigem Verlangen zur hl. Kommunion
schritt, da sah sie in der heiligen Hostie
das Jesuskind, das sich liebevoll zu ihr
wandte: «Nicht allein ein Tröpflein meines Blutes,
wie Du es wünschest, will ich Dir geben, sondern
meinen ganzen Leib und meine ganze Seele».
Wie ein zweischneidiges Schwert drangen diese
Worte in ihre Seele. Ihr Inneres wurde
von solch einer übernatürlichen Süßigkeit erfüllt,
daß sie den ganzen Tag wie außer sich zu sein
schien. Am Abend erwachte von neuem in ihr ein
glühender Durst nach dieser göttlichen Erquickung
und sie wollte, daß ihre Töchter daran teilnehmen
oder wenigstens diese Labung mit den Lippen
verkosten möchten. Sie ließ im Rekreationsraum
einen kleinen Altar mit einem Thron errichten,
auf den die Statue des Jesuskindleins gestellt
wurde. Mutter Franziska von der Muttergottes
erzählt nun das Folgende in einem Brief nach
Brüssel:
«Mutter Anna sagte uns, wir sollten alle niederknien
und folgendes Gebet an unseren
Herrn und Heiland richten:
,O mein Gott, ich möchte Dich lieben mit
der Liebe und der Ehrfurcht der hl. Engel, der
Erzengel, Cherubinen und Seraphinen. Ich wünsche
Dich zu lieben und Dir mit allen meinen Kräften,
aus meinem ganzen Herzen und mit meiner ganzen
Seele zu dienen. Gib mir, o Herr, ich bitte
Dich darum, durch Deine hl. Verdienste einen
kleinen Tropfen des kostbaren Blutes, das Du
am heutigen Tag vergossen hast'. |
Darauf begab sich die ehrw. Mutter als erste
mit viel Ehrfurcht und Liebe zum Jesuskind,
kniete nieder und sprach oben genanntes Gebet.
Dann gebot sie der Mutter Subpriorin und den
anderen Schwestern, das Gleiche zu tun. Als
ich an die Reihe kam und mich dem kleinen Altar
näherte, da kam es mir vor, daß das göttliche
Kindlein einen Pfeil in mein Herz und in meine
Seele schoß, der mich mit seiner Liebe entzündete.
Ich fühlte mich bereit, in seinem Dienste mit
der allergrößten Freude alle Qualen der Welt
zu ertragen. Diese fromme Begeisterung dauerte
den ganzen Tag und während der folgenden Nacht.
Am nächsten Morgen, als wir das Chor verließen,
suchte ich unsere ehrw. Mutter auf und sagte
ihr: Möge der liebe Gott Euer Ehrwürden den
herrlichen Tag vergelten, den Sie uns gestern
geschenkt haben. Was mich betrifft, so werde
ich ihn niemals in meinem Leben vergessen. Jetzt
wundert es mich gar nicht mehr, daß die Heiligen
mit so viel Freude litten und selbst ihr Leben
für Jesus Christus hingaben. Wenn ich die Wirkungen
betrachte, die seine göttliche Majestät in meiner
Seele hervorgebracht hat, dann muß ich wohl
annehmen, daß das Jesuskind gestern wirklich
unter uns geweilt hat!
‘Ja, Es war bei uns, gab sie mir zur
Antwort. ,Es war dort ganz genau so wie einst
in der Grotte von Bethlehem, und Millionen heiliger
Seraphine umgaben Es in tiefer Anbetung. Haben
es Euer Lieb denn nicht gesehen?' ,Nein', mußte
ich gestehen.
,Was mich betrifft', fügte die Mutter hinzu,
,so habe ich Es sehr gut gesehen, und zwar
nicht nur am Morgen, im Augenblick der hl. Kommunion,
sondern auch nach dem Mittagessen, während der
Rekreation. Ich bin darüber dermaßen außer mir
selbst, daß ich es als ein Wunder betrachte,
noch leben zu können. Und ich war Zeuge, wie
die göttliche Majestät jeder einzelnen Beweise
seiner innigsten Liebe gab, je nach dem Maß
des Glaubens und der Liebe, mit der sie sich
Ihm nahte. Beeilen Sie sich, liebe Tochter,
Jesus zu lieben und Ihm zu dienen, dann werden
Sie sehen, mit welchen Gütern Er Sie überschütten
wird. Übrigens weiß ich nicht, wie es kommt,
daß ich zu Euer Lieb von diesen wunderbaren
Dingen spreche. Der
liebe Heiland schließt mir gewöhnlich gegenüber
den anderen Schwestern den Mund!»
Es ist wahr, daß Anna von Jesus nur selten über ihre mystischen
Gnaden gesprochen
hat. Als sie 1582 die Gründung in Granada unternahm
und dort im hl. Johannes vom Kreuz einen
Beichtvater fand, der sie zutiefst verstand,
stellte ihr dieser im Prolog zum «Geistlichen
Gesang», dessen Kommentar er für sie schrieb,
ein unvergleichliches Lob aus. «Unser Herr hat
ihr die Gnade geschenkt, sie... tief in den
Schoß seiner göttlichen Liebe hineinzuziehen.»
«Die Übung der mystischen Theologie (d. h. der
eingegossenen Beschauung), die man durch
die Liebe erlernt... und auch genießt, ist ihr
keineswegs fremd.» Und im Zentrum dieser Liebe
stand ohne Zweifel das Mysterium Christi. Sie
lebte in Ihm, Er war ihr überall gegenwärtig
und im Geheimnis seiner heiligsten Kindheit
hatte sie den Weg zum «ganzen Christus» entdeckt.
Im Jahr 1586 sehen wir Anna von Jesus von neuem
auf den Landstraßen Kastilliens. Der Weg führte
sie nach Madrid, um dort die von Theresia seit
langem erwünschte Gründung vorzunehmen. Die
Heilige hatte sie zu Lebzeiten nicht mehr verwirklichen
können. Jetzt sollte Anna, die «zweite Theresia»,
ihre Stelle einnehmen.
Obwohl sie am Anfang mit Jubel empfangen wurde
und es nicht an sichtbarer übernatürlicher Hilfe
fehlte, zogen bald schwere Gewitterwolken auf.
Zum zweitenmal mußte die Reform einen harten
Kampf um die Aufrechterhaltung ihres Geistes
und Ideals führen. Das Kreuz erwartete die
Mutter Stifterin. Eine kanonische Visitation
des Madrider Klosters traf die Bestimmung,
Anna für drei Jahre in eine enge Zelle zu
«verbannen», ihr jedes aktive und passive
Stimmrecht zu nehmen und ihr die tägliche
Kommunion zu verbieten. Nach Beendigung
dieser Zeit schickte man sie nach Salamanca,
das Kloster, wo sie ihre Ordensprofeß abgelegt
hatte. Doch schon zwei Jahre später wählten
sie die dortigen Nonnen zur Priorin. Inzwischen
hatte ihr Gott eine neue, verantwortungsvolle
Aufgabe vorbereitet.
Schon wenige Jahre nach dem Tod der hl. Theresia
hatte man sich auf französischer
Seite bemüht, von Spanien Schwestern für die
Verbreitung der Reform in Gallien zu bekommen.
Diese Versuche hatten jedoch zunächst unüberwindlichen
Widerstand gefunden. Im Jahr
1602 wurden die Verhandlungen neuerdings aufgenommen.
Die hl. Reformatorin war Madame Acarie (Maria
von der Menschwerdung) erschienen und hatte
sie angespornt, alles ins Werk zu setzen, damit
die Gründung Wirklichkeit werde. Gleichzeitig
erleuchtete Gott Mitglieder des reformierten
Karmels über das gute Ausgehen dieser Angelegenheit,
unter denen besonders der bereits erwähnte Laienbruder
Franziskus vom Kinde Jesu sich für das Unternehmen
einsetzen wollte.
Eines Tages begegnete einer der französischen
Herren, die in Spanien wegen der Stiftung Unterhandlungen
pflegten, dem frommen Bruder und bat ihn, doch
die ganze Angelegenheit dem lieben Gott sehr
warm zu empfehlen, was ihm dieser auch versprach.
Kurze Zeit darauf bemerkte er dem Herrn de Berulle:
«Das Kind Jesu will, daß Sie gute Schwestern
(für die Stiftung) bekommen». Diese Worte
hatte ihm das Jesulein, dessen wunderbare Statue
er immer bei sich trug, zugeraunt und noch hinzugefügt:
«Anna von Jesus und Anna vom hl. Bartholomäus
seien für dieses Werk von Gott bestimmt», wie
man später erfuhr.
Um Herrn de Berulle Mut und Vertrauen einzuflößen,
schrieb er selbst einen vom Feuer
göttlicher Liebe erfüllten Brief an M. Anna
von Jesus, der mit den Worten beginnt:
«An meine teuerste und in der Seele des Jesuskindes
vielgeliebte Schwester Anna von Jesus, die das
Kind Jesus auserwählt hat, für die Seelen in
Frankreich viel Gutes zu tun... Jesus! - Maria!
- Joseph! Gelobt sei das Kind Jesu und seine
hl. Mutter Maria! Unsere Mutter
Anna von Jesus!
Möchte doch das Unternehmen, das Ihnen das Jesuskind
anvertrauen will, einen glücklichen Erfolg haben
und Sie Ihm dadurch noch mehr dienen! Bedenken
Sie, wie viele Klosterfrauen Gott hätte auserwählen
können, um Ihm diese Ehre zu verschaffen. Aber
keine andere hat Er ausersehen. Nur Ihnen will
er diese Gunst erweisen. Zeigen Sie Ihm Ihre
Dankbarkeit, indem Sie das Unternehmen vollkommen
zu Ende bringen! Das Jesuskind hat sich dafür
eine Frau auserwählt, wo selbst mehrere Männer
zurückschrecken würden. Welch eine große Tat
ist es! Vergessen Sie nicht, Sie sind für
Frankreich das, was unsere hl. Mutter Theresia
für Spanien gewesen ist! Also, meine Schwester,
gehen Sie mutig ans Werk um des Jesuskindes
und seiner hl. Mutter willen und um unsere hl.
Mutter nachzuahmen...
Bleiben Sie stets der frommen Gebräuche unserer
hl. Mutter, die Ihnen wohlbekannt sind,
eingedenk. Erinnern Sie sich, wie das Jesuskind
zu ihr geredet hat und wie Es sie lehrte, was
sie tun sollte. Da Sie ein Teil unserer
hl. Mutter sind und mehrere Jahre in ihrer Gesellschaft
zugebracht haben, werden Sie auch ihrer Tugenden
eingedenk bleiben und in diesem Unternehmen
ihren Fußstapfen folgen...
Also Mut, meine Schwester! Die Welt schaut auf
Ihr Werk. Die Augen aller Ordens- und
Weltleute sind auf Sie gerichtet. Unterlassen
Sie es nicht, Gott zu Rate zu ziehen! Nur
so wird es gelingen. Bitten Sie Ihn, Sie mit
seiner Hand zu stützen und in Ihnen die Liebe
zum Jesuskind zu entzünden! Wie Er unserer hl.
Mutter Kraft und Stärke verliehen hat, so wird
Er sie auch Ihnen geben. Vertrauen Sie auf Ihn
und danken Sie Ihm, denn Dankbarkeit ist Ihm
immer wohlgefällig. Danken Sie Ihm, und Er
wird Ihnen neue Wohltaten erweisen, wie es seiner
Natur entspricht. Je mehr man Ihm für seine
Gaben dankt, um so reichlicher teilt Er sie
aus. Befolgen Sie diesen Rat und Sie werden
es selbst erfahren, daß Gott die Liebe ist.
Nun leben Sie wohl, Schwester Anna von Jesus!
Wenn Sie auch jetzt für vieles sorgen müssen,
so vergessen Sie sich selbst nicht dabei.
Der Herr in seiner Macht wird Ihnen in allem
zu Hilfe kommen. Also, noch einmal, leben Sie
wohl, Schwester Anna! Möchten wir uns im Himmel
in der seligen Gesellschaft des Jesuskindes
und seiner hl. Mutter Maria wiedersehen!
Bruder Franz vom Kinde Jesus, unwürdig dieses
Namens.»
Das Jesuskind schien wirklich mit seinem wunderbaren
Schutz dafür Sorge zu tragen, daß die Reise
gut vonstatten ging. Im Jahr 1604 kamen Anna
und fünf spanische Karmelitinnen in Paris an,
um das erste Haus der Reform zu gründen.
Anna nahm selbst die Leitung in die Hand. Unvergleichlich
rasch entstanden neue Niederlassungen in Pontoise
und Dijon. Am 30. Dezember 1606 begab sie sich
mit zwei Schwestern nach Brüssel. Bevor sie
Dijon verließ, schenkte sie der jungen Kommunität
einen Stock, den die hl. Theresia bei ihren
Reisen bei sich getragen und mittels dessen
sich wunderbare Heilungen ereignet hatten und
einige hölzerne Statuen des Jesulein, die sie
aus Spanien mitgebracht hatte. Eine von ihnen
nahmen die Schwestern 1619 zur Gründung des
Karmels von Beaune mit, wo sich noch eine zweite
Jesuleinstatue befindet, die ebenfalls von den
spanischen Gründerinnen stammt. Das Jesuskind
aber, das sie von Bruder Franziskus vor
vielen Jahren erhalten hatte, nahm sie auf
alle Stiftungsreisen mit und folgte damit dem
Beispiel der hl. Mutter Theresia.
Es fehlen uns weitere Berichte über ihre Begegnung
mit dem Jesuskind. Aber wir können
sicher annehmen, daß Es sich ihr auch in Brüssel
gezeigt hat oder daß sie wenigstens innerlich,
im Herzen und im Geiste, seine Gegenwart erfahren
durfte. War es nicht das Jesuskind, das sie
ständig anrief, in den geheimnisvollen Strom
der Gnade zu treten, der ihre Seele mit immer
reicheren und wunderbareren Bildern durchzog?
In seinem Anblick enthüllte sich ihrem schauenden
Innern tiefer und umgestaltender das Geheimnis
Christi, in dem sie den Sinn ihres Lebens gefunden
hatte. Und war es nicht das Lächeln des hl.
Kindes, das die Leiden und Mühen ihrer letzten
Jahre tröstete und linderte? In Ihm öffnete
sich ihr die Ewigkeit. In Ihm fand sie die Erfüllung
ihres Lebens.

Der hl. Johannes vom Kreuz
Die Andacht zum Jesuskind wurde nicht nur von
den Karmelitinnen als heiliges Vermächtnis ihrer
Mutter und Gründerin übernommen, sie bestand
von Anfang an auch unter den Unbeschuhten Karmeliten
und zwar mehr oder weniger unabhängig von einen)
direkten Einfluß der Heiligen, ein Zeichen,
daß es sich um einen typischen Ausdruck karmelitischer
Spiritualität handelt. Ähnlich wie die Knospe
in ihrer Frische und Anmut in sich die Schönheit
des Blütenkelches schließt, bildete das Geheimnis
der Kindheit des Herrn für den Karmel das verborgene
Gefäß, das in sich bereits das Mysterium des
ganzen Christus enthält. Nur der Glaube vermag
seinen ganzen Inhalt zu erfassen, und dieser
schlichte, kindliche Glaube ist von jeher im
theresianischen Karmel zu finden gewesen.
Es kann kein Zweifel bestehen, daß für Johannes
vom Kreuz Christus in) Mittelpunkt des inneren
Lebens stand. «Pater Johannes», bezeugt P. Martin
vom hl. Josef, «war unaufhörlich mit Unserem
Herrn beschäftigt, denn seine Liebe zu Ihm war
übergroß». Mutter Anna vom hl. Albert erhielt
von ihm die einzigartige Zusicherung: «Meine
Tochter, ich trage immer im Innersten meiner
Seele das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit
und dort ist es, wo mein Herr Jesus Christus
will, daß ich Sie hinführe.» Das Leben des
Herrn, einschließend seine heiligste Kindheit,
war für ihn ein unerschöpfliches Thema des liebeglühenden
Herzens.
«Il est frappant de voir avec quelle verite
il ne se contentait pas de mediter ces mysteres,
mais les realisait en lui-meme. Bien des nuances
sont fournies, à cet égard, par les temoins.»"
An jenem Weihnachtsfest erneuerte sich in ihm
der Gedanke an die Menschwerdung Gottes in so
erhabener und wunderbarer Tiefe, daß er diese
Tage wie außer sich vor Freude und in innerer
Seligkeit verbrachte, ohne seine Aufmerksamkeit
auf etwas anderes zu richten als auf die Geburt
des göttlichen Kindes.
Entsprechend dem Geschmack des spanischen 16.
Jahrhunderts veranstaltete er Prozessionen
durch die Kreuzgänge oder von Zelle zu Zelle,
und nicht selten wurden sie von Tamburinen,
Geigen, Flöten, Kastagnetten und Schalmeien
begleitet. Er wollte, daß ihn die Brüder dabei
nachahmten, um sich mit ganzer Seele der Feier
der Geburt des Jesuskindes hinzugeben. Einer
der ersten Biographen des Heiligen, P. Alfons
von der Muttergottes, hat uns ein sprechendes
Zeugnis der Weihnachtserwartung und Weihnachtsfeierlichkeiten
im Konvent von Granada hinterlassen. Er schreibt,
daß der Heilige «diese Nacht immer in einem
geistigen Entzücken feierte. Aus dem, was er
einmal in Granada tat, als er dort Prior war,
kann man schließen, was er sonst bei diesem
Anlaß zu tun pflegte. Wenn die Nacht der hl.
Geburt herangekommen war, ließ er (eine Statue)
der Muttergottes auf eine Trage heben und sie
auf den Schultern durch das Kloster tragen,
wobei sie von dem Diener Gottes und den ihm
folgenden Brüdern
begleitet wurde. An den Türen baten sie um Herberge
für ihre Herrin, die nahe daran war, ein Kindlein
zu gebären, und für ihren Bräutigam, denn beide
kamen von der Reise. Als sie an der ersten Tür
haltgemacht hatten, sangen sie folgende, vom
Heiligen selbst verfaßte Strophe:
«Das göttliche Wort, trägt die Jungfrau im Schoß,
sie kommt von der Reise und bittet um Obdach.»
Dieser Vers wurde an einer jeden Tür gesungen.
Die Religiosen, die dort verteilt warteten,
hatten darauf abweisend zu antworten. Der Heilige
erklärte ihnen dann mit den zartesten Worten,
wer die Fremden seien, die um Aufnahme baten
und sprach von der jungen Frau, die nahe war,
ein Kindlein zu gebären, vom schlechten \Vetter,
von der späten Stunde. Seine Worte verrieten
eine abgrundtiefe Liebe, die die Herzen aller,
die ihn hörten, rührten. Auf diese Weise prägte
er ihren Seelen dieses Geheimnis ein und zugleich
eine große Gottesliebe». Es schien, daß er ihnen
wie der Evangelist Johannes das mitteilen wollte,
«was von Anfang an war, was wir gehört, was
wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut
und mit unseren Händen berührt haben vom Wort
des Lebens».
Johannes vom Kreuz
liebte aus ganzem Herzen die Statue des Jesuskindes
im Konvent von Granada,
und nicht selten sprach er über dieses Kind
zu den Unbeschuhten Karmelitinnen, wie uns Maria
vom Kreuz, die spätere Stifterin des Klosters
von Ubeda, überliefert hat". Sie erzählt außerdem,
daß der Heilige einmal im Sprechzimmer das Jesuskind
in seine Arme nahm und in ekstatischer Seligkeit
mit Ihm zu tanzen begann. Dabei sang er auf
die Melodie eines Volksliedes:
«Mein süßes, zartes Jesulein: Wenn Lieb mich
töten soll, so mög' es jetzt geschehen».
Noch heute wird in dem kleinen hl. Johannes-vom-Kreuz-Museum
in Ubeda diese Statue des Jesuskindes gezeigt,
die mit ihrem lieben Lächeln das Herz des mystischen
Doktors so tief berührte, daß ihm die Wirklichkeit
entschwand und er bereits die Freuden des ewigen
Lebens zu kosten schien.
Aus der Zeit seines Rektorats in Baeza wird
berichtet, daß er das göttliche Kindlein und
die Jungfrau-Mutter zur Weihnachtszeit besonders
verehren wollte. Auch dort führte er feierliche
Prozessionen ein, die das hl. Kind zur Weihnachtskrippe
trugen, die in der Klosterkirche hergerichtet
worden war. Sicher begnügte er sich bei diesen
Gelegenheiten nicht nur damit, eines oder mehrere
der noch heute überall in Spanien erklingenden
«villancicos» zu singen. Sein von Glaube, Liebe
und Anbetung durchlichteter Blick war so tief
in das Inkarnationsmysterium gedrungen, daß
er seinem Empfinden nur durch das Gedicht Ausdruck
verleihen konnte. Ein Beweis dafür sind neun
eindrucksvolle Romanzen aus seiner Kerkerhaft
in Toledo, in denen er die «Geburtsgeschichte
Jesu» in ihrer inneren, göttlichen Entwicklung
darzulegen versuchte, bis in der letzten Romanze
die historische Realität aufbricht:
|
»Da nun die Zeit war, daß der hehren Frucht
der Jungfrau Schoß genese,
Trat gleich einem
Neuvermählten Er aus seinem Schlafgemache
Seine Braut am Arme hebend.
Und die hochbeglückte Mutter Legt ihn dort im
kalten,
engen Stall in eine Krippe nieder, Wo der Tiere
Hauch Ihn wärmet.
Menschen singen Freudenpsalmen,
Und es tönt das Lied der Engel
Zu des hohen
Tages Feier, der die Braut dem Sohn vermählt.
Während in der harten Krippe Gott als Kindlein
weint und wimmert,
Weil die Braut zur Morgengabe Weh Ihm mitgebracht
und Tränen.
Und die Mutter staunt, entsetzt
sich Ob des unerhörten Wechsels,
Daß Gott weint des Menschen Tränen, Da in Himmelslust
der Mensch schwebt,
Was dem einen und dem anderen
Sonst so fremd zu bleiben pflegte.» |
Vielleicht wird man verwundert fragen, wie eine
solch schlichte Frömmigkeit mit der hohen mystischen
Theologie des Doktors «de las nadas» zu vereinen
ist. Hatte Johannes vom Kreuz nicht immer wieder
betont, daß sich die Seele von allen sinnlich
wahrnehmbaren Bildern loslösen muß, um der Tätigkeit
des reinen Geistes freie Bahn zu lassen?
Man darf den Heiligen in diesem Punkt nicht
falsch verstehen. Ein sich innerlich Freimachen
vom Bild ist nicht mit einem grundsätzlichen
Ablehnen des Bildes gleichzusetzen. Darum betont
er im Aufstieg zum Berg Karmel, daß er nicht
zu jenen «Bilderstürmern» gehöre, «die den Augen
der Gläubigen den heiligen und notwendigen Gebrauch
und die andächtige Verehrung der Bilder Gottes
und der Heiligen entziehen wollen. Im Gegenteil,
unsere Doktrin ist von der ihren sehr verschieden,
denn wir behaupten durchaus nicht, daß keine
Bilder bestehen dürfen und diese nicht verehrt
werden sollen... (Doch) wir wollen, daß sich
die Gläubigen der gemalten Bilder in der Weise
bedienen, daß sie ihnen kein Hindernis bilden,
um sich dem lebendig Dargestellten zuzuwenden,
und daß sie sich bei ihnen nicht mehr als notwendig
aufhalten, um sich zu den Dingen des Geistes
zu erheben».
Der Heilige hebt damit deutlich hervor, daß
die bildliche Darstellung ein Mittel sein soll,
um sich Gott zuzuwenden, Ihn zu ehren und zu
lieben, weil beim Betrachten des Bildes
leicht Gefühle der Andacht in der Seele erwachen
können. Es wäre aber falsch, wenn man diese
Andacht auf das Bild selbst beziehen würde.
Das Entscheidende ist die Weise, wie man das
Bild betrachtet.
«Alle Dinge erfüllen ihren Zweck nur, wenn durch
sie Gott besser gekannt und mehr geliebt
wird». Diese Norm gilt auch für die bildliche
Darstellung, des Jesulein, da durch sie der
Zugang zum Geheimnis der Menschwerdung Gottes
offen steht.
So wollte Johannes vom Kreuz durch Beispiel
und Belehrung den ersten Unbeschuhten Karmeliten
dazu helfen, das geheimnisvolle Glück auszukosten,
das in das gläubige Herz dringt bei der Betrachtung
des Jesuskindes in Bild oder Statue. Sie lernten
sich der süßen Erfahrung hinzugeben, daß im
Weihnachtsgeschehen alles einfache, schlichte
Liebe ist und daß alles von beglückender Armut
und wahrer Innigkeit getragen wird. Und sie
fühlten, daß vom Bild des Jesuskindes ausgehend
sich sanft ein unsagbarer Friede in ihr Inneres
senkte, in dem sie immer mehr von der wunderbaren
Liebesmacht Gottes umfangen wurden. Nicht umsonst
wurde schon sehr bald in den Noviziatshäusern
der Brauch eingeführt, an jedem Freitag die
Namen-Jesu-Vesper zu beten, um dadurch dem
göttlichen Kind kindliche Liebe darzubringen.
In der Instructio Novitiorurium heißt es: «Freitags,
am vier Uhr nachmittags, vereinigen sich die
Brüder in ihrem Oratorium, das besser als gewöhnlich
hergerichtet und geschmückt sein soll. Sie beten
dort die Vesper des allersüßesten Namens Jesu,
wobei der Pater Novizenmeister den Vorsitz führt.
Falls er durch eine dringende Verpflichtung
verhindert sein sollte, hat er für einen Vertreter
zu sorgen. Es ist üblich, daß diese Vesper in
geruhsamer Andacht gebetet werde, damit sie
ungefähr eine halbe Stunde dauere».
Auf diese Weise sollte den jungen Novizen Gelegenheit
geboten werden, über die Geheimnisse
der Kindheit Jesu nachzudenken. «Am Fest der
Beschneidung des Herrn wird diese Vesper gesungen»,
fügt die Instructio Novitiorum hinzu, «und die
Assistenten tragen die festtäglichen
Paramente.» Die Andacht zum allerheiligsten
Namen Jesu «ist ganz besonders jenen Seelen
eigen, die erst kürzlich zum geistlichen Leben
geboren wurden, ,Dein Name', sagt die Braut,
,ist wie ausgegossenes Salböl'. Es ist die
Heilsalbe, die in die Wunden - die sie aus der
Welt mitgebracht haben - gegossen wird, um sie
zu heilen und vernarben zu lassen.»
Sicher ist in diesen Zeilen ein Echo der Belehrungen
und der Geistigkeit des hl. Johannes vom Kreuz
zu hören, so wie die ganze Instructio irgendwie
seine Normen zum innerlichen Leben wieder spiegelt.
Auch im Traktat von Pastrana oder dem Traktat
über das innerliche Leben lesen wir: «Im
Gefühl einer immerwährenden Dankbarkeit müssen
wir die Geburt, das Leben und den Tod unseres
Herrn Jesu Christi verehren und uns bemühen,
Ihn in allem nachzuahmen und uns in seine Fußstapfen
zu begeben.» Und an anderer Stelle: «Inmitten
heftiger Stürme, ja im Wirbelwind der Leiden,
sowie auch bei allen anderen Gelegenheiten ist
es gut, mit frommem Gemüt den süßesten Namen
Jesu anzurufen. Er wird die stürmischen Wogen
der Traurigkeit und der Angst besänftigen.
Er wird die Härte glätten, die sich scheinbar
unserer Herzen bemächtigt. Und Er wird die Finsternis
vertreiben, die unseren Verstand verdunkelt.
,Oleum effusum nomen tuum', ruft die Braut im
Hohenlied aus. Das Öl besitzt wahrhaftig
die drei Eigenschaften, die wir dem allerheiligsten
und süßesten Namen Jesu zuschreiben. Ich bitte
euch und ich befehle euch sogar, dieser Andacht
sehr zugetan zu sein.»
Wir möchten hier noch kurz auf P. Hieromymus
Gracian von der Muttergottes hinweisen,
der ebenfalls im Noviziat von Pastrana ein christozentrisches
Fundament erhalten hat, das später im Kontakt
mit Theresia von Avila mit eigenen Gedanken
und neuen Erfahrungen bereichert und bewußter
vertieft wurde. In den schweren Jahren seiner
Sklavenschaft in Tunis wurde ihm die Gnade zuteil,
die selige Jungfrau mit dem Jesuskind auf den
Armen zu sehen und wunderbaren Trost aus dieser
Vision zu empfangen. Immer mehr verstand
er die Bedeutung der heiligsten Menschheit Christi
im übernatürlichen Leben. Als er später seine
Erfahrungen in seinem Werk Vida del alma niederlegte,
bekennt er sich zu einer Gegenwart Christi
in der Seele in allen Stadien des übernatürlichen
Aufstiegs, und zwar nicht nur einer Gegenwart
seiner Gottheit, sondern ; "viel höher und herrlicher
ist die Beschauung der Menschheit (Christi)
mit seiner Gottheit verbunden... Diese ist die
höchste Kontemplation der Seele, solange sie
sich in diesem Leben befindet, und um diese
müssen wir uns bemühen.»
Es ließen sich noch andere Beispiele anführen.
Wir wollen aus ihnen aber nur den bereits
erwähnten Laienbruder Franziskus vom Kinde Jesus
auswählen, der durch seine Verehrung des Jesuskindes
schon zu Lebzeiten in Spanien berühmt war, und
einen kurzen Blick auf Bruder Johannes vom hl.
Joachim werfen.

Bruder Franziskus vom Kinde Jesu
Das ganze Leben des ehrw. Bruder Franziskus
vom Kinde Jesu ist von dem Verlangen nach Innerlichkeit
im Vertrauen auf die alles heilende und wunderbare
Kraft des göttlichen Kindes gekennzeichnet.
Er wurde 1544 in Villacpalacios im Erzbistum
Toledo geboren. Seine Eltern waren arme, aber
rechtschaffene Leute, die ihm eine christliche
Erziehung gaben. Ungefähr bis zu seinem 24.
Lebensjahr blieb er im Elternhaus. Obwohl er
fromm und gehorsam
war, fiel er seinem Vater doch recht zur Last
infolge seiner Ungeschicklichkeit und langsamen
Auffassungsfähigkeit. Alles, was ihm angeordnet
wurde, verstand er falsch, so daß man nur sehr
wenig Hilfe von ihm erwarten konnte.
Eines Tages nahm ihn einer der Hirten seines
Vaters nach Alcala mit, wo er lange Stunden
vor dem Allerheiligsten verbrachte. Als der
Küster seine Frömmigkeit sah, erbat er sich
ihn als Gehilfen, und Franziskus, den man zu
dumm gehalten hatte, um mit Meißel und Hebel
zu hantieren, konnte sich jetzt eines Amtes
rühmen, das scheinbar seinen natürlichen Fähigkeiten
zu entsprechen schien. Aber leider dauerte es
nicht lange. Bald mußte der Küster feststellen,
daß sein Gehilfe untauglich war. Da inzwischen
eine Stelle im Krankenhaus frei geworden war,
blieb Franziskus nichts anderes übrig, als
die hl. Stille der Kirche mit den Mühen eines
harten Lebens im Dienst der Kranken und Armen
zu vertauschen.
In der ersten Zeit hatte er die gröbsten Arbeiten
auszuführen. Aber bald erkannte man die reichen
übernatürlichen Gaben des Jünglings, der zu
einem wahren Segen für das Krankenhaus wurde.
So legte man nach und nach die ganze Verantwortung
auf seine Schultern.
Franziskus hatte dafür zu sorgen, daß das Hospital
mit Geld und Lebensmitteln versorgt wurde. So
ging er mit einer großen Kiste auf Almosenreisen.
Auf die Kiste hatte er eine Holzstatue des Jesuskindes
anbringen lassen, die er im Krankenhaus gefunden
hatte. Er wollte damit zum Ausdruck bringen,
daß das göttliche Kind seine ganze Hoffnung
und Zuversicht sei. Bevor er die Reise antrat,
hielt er eine andächtige Zwiesprache mit diesem
Jesulein, bat es um seinen Segen und um die
Gnade, sein Amt gut auszuführen. Wenn er dann
heimkam, legte er alles zu Füßen des Jesulein
und flehte Es an, die Almosen doch verdoppeln
zu wollen. Alles, was er erhalten hatte
- und das war oft ein reiches Ergebnis -, nannte
er das Erbe oder den Schatz des göttlichen Kindes.
Jedes Jahr, wenn sich das Weihnachtsfest näherte,
wollte er dem Jesuskind einen besonderen
Beweis seiner Liebe und seines Vertrauens schenken.
Er lud alle Armen der Stadt Alcala und der Umgebung
zu einem festlichen Mittagessen ein, für das
das hl. Kind alles Notwendige zu besorgen hatte.
Mit kindlicher Unschuld kniete er vor seiner
Statue nieder und sagte seinem kleinen Heiland:
«Mein lieber Herr. Dein Geburtstag ist nahe
und wir wollen Deinen Armen ein gutes Mittagessen
bereiten. Die Verkäufer haben mir versprochen,
daß sie mir alles geben wollen, was dazu notwendig
ist. Aber es liegt in Deiner Hand, dafür Sorge
zu tragen, daß alles regelrecht bezahlt werden
kann...» Tatsächlich schickte das Jesuskind
auch immer die erwünschten Geldmittel, so
daß Franziskus einen Teil davon den armen Klöstern
zukommen lassen konnte.
Dabei ereigneten sich nicht selten ans Wunderbare
grenzende Zwischenfälle. Einmal
hatte Franziskus am Vorabend des Weihnachtsfestes
nicht einen Groschen in der Tasche. Mit aller
Inbrunst betete er in der Kirche zum Jesuskind.
«Herr, unser Fest ist nahe», beklagte er sich
bei seinem himmlischen Schatzmeister, «und die
Schar Deiner Armen wartet auf ein gutes Essen.
Diesmal hat mir niemand etwas gegeben. Es kommt
mir vor, daß mich alle vergessen haben». Dann
gab er sich vertrauensvoll den üblichen Vorbereitungen
hin, als ob er steinreich wäre.
Es dauerte nicht lange, daß er an der Pforte
des Hospitals heftig klopfen hörte. Er eilte
hin, um zu öffnen. Von draußen hörte er die
Stimme eines Unbekannten: «Gelobt sei das Jesuskind.
Nimm dieses Almosen und stehe nicht davon ab,
das Mittagessen zu bereiten». Noch bevor ihm
Franziskus danken konnte, war der Wohltäter
verschwunden. Im Paket fand
er viele wertvolle Goldmünzen, die er voller
Dankbarkeit den anderen zeigte.
Eines Tages, kurz vor Weihnachten, kehrte Franziskus
aus Madrid zurück und begegnete auf der Landstraße
einem Bauern mit zwei Ochsen und fragte ihn,
ob er ihm einen der beiden Ochsen verkaufen
wolle. Der Bauer willigte ein und Franziskus
händigte ihm die geforderte Summe aus. Dann
ersuchte er ihn, den Ochsen zum Krankenhaus
nach Alcala zu bringen, ohne den geringsten
Zweifel zu hegen, daß der Mann ihn betrügen
könnte. Das Jesuskind sorgte aber dafür, daß
alles zum guten Ende kam, wie es anschaulich
ein Bericht aus dem Jahr 1726 darlegt:
«Nach empfangenem Geld lachte der Bauer heimlich
den einfältigen Bruder aus, daß er einem unbekannten
Menschen das Geld gegeben und doch keinen Ochsen
bekommen hatte. Er beschloß ihm weder den Ochsen
noch das Geld zurückzugeben. Da aber die Zeit,
den Ochsen zu brauchen, herangekommen war, hat
selbiger sich mit Gewalt losgerissen und ist
von freien Stücken nach Complut geraden Wegs
zum Bruder Franziskus gelaufen. Der Bauer ist
zwar nachgefolgt, hat ihn aber nicht wiederbekommen
als an der Schlachtbank. Er bekennt dort seine
Schuld, wird aber von Bruder Franziskus alsbald
mit in die Kirche vor das Hochwürdige Sakrament
geführt, allwo er Franziskus demütigsten Dank
gesagt wegen des geschehenen Wunders. Der Bauer
hat sich aber reumütig angeklagt und Besserung
versprochen. Hieraus ist unschwer anzunehmen,
wie artig genannter großer Diener Gottes gewußt
hatte, vorgesagter Maßen die zweifache Andacht
zu vereinbaren: und wie er recht verstanden,
wo das wahre Jesuskindlein jetzt von uns zu
suchen und anzutreffen sei, nämlich im Heiligsten
Sakrament. Daher finde er sich vor diesem mit
so lebhaftem Glauben und Vertrauen ein, als
sähe er seinen Jesum mit leiblichen Augen.»"
Franziskus blieb 27 Jahre in Alcala und opferte
sich ganz dem Dienst der Armen und Kranken.
Doch fühlte er in seinem Herzen einen geheimen
Drang nach einem vollkommeneren Leben. Innig
flehte er zu Gott um Erleuchtung. Und der Herr
erhörte sein Gebet und offenbarte ihm, daß
er in den Orden Unserer Lieben Frau vom Berg
Karmel eintreten werde.
Doch zunächst mußte ein großes Hindernis aus
dem Weg geräumt werden. Franziskus
stand in hohem Ansehen am königlichen Hof und
erhielt reiche Almosen von Philipp III. und
seiner erlauchten Gemahlin. Wie sollte er also
dem König seinen Entschluß mitteilen?
Im Vertrauen auf sein Jesulein begab er sich
unverzüglich nach Madrid. Als er zur Audienz
zugelassen wurde, legte er sein Anliegen dar:
«Unser großer Bruder - so pflegte er gewöhnlich
den König zu nennen -, mit Eurer gütigen Erlaubnis
sage ich Euch, das Jesuskind hat mich erkennen
lassen, daß Ihm besser gedient wird, wenn wir
den Habit der Unbeschuhten Karmeliten Unserer
Lieben Frau vom Karmel anlegen.»
«Das ist eine Versuchung des bösen Feindes»,
gab ihm der König zur Antwort, «denn er will
das viele Gute verhindern, das Ihr den Armen
tut.»
«Ich bin aber überzeugt, daß meine Absicht dem
Jesuskind wohlgefällig ist. Darum habe ich das
Gelübde abgelegt, Ordensmann zu werden», erwiderte
Franziskus.
Doch der König ließ den Einwand nicht gelten.
Er solle keine Skrupel wegen des Gelübdes haben,
denn er würde es vom Papst lösen lassen. Und
um ihn von allen Befürchtungen zu befreien,
ordnete er den angesehensten Theologen an, sich
des Falls anzunehmen. Der Entscheid fiel natürlich
zugunsten des Königs aus, und Franziskus blieb
nichts anderes übrig, als sich diesmal demütig
zu unterwerfen.
War es wirklich der Wille seines Jesuskindes,
daß er Ihm in den Armen diene? Eines
Tages, als er sich mit Ihm im innerlichen Gebet
unterhielt, fühlte er einen unwiderstehlichen
Drang nach dem Leben im Karmel. Immer glühender
wurde sein Wunsch, der Welt zu entsagen. In
seiner inneren Bedrängnis nahm er Zuflucht bei
seinem kleinen König. Sollte es wirklich nicht
der Wille Gottes sein, daß er Laienbruder im
Karmel werde, so möge das Jesuskind doch wenigstens
dafür sorgen, daß in seine geplagte Seele wieder
der Friede einziehe. Aber die Stimme Gottes
ließ sich klar hören: sein Schicksal war, in
den reformierten Karmel einzutreten.
Er erschloß seinen Seelenzustand dem Pater Prior
in Madrid. Man hätte ihn gern aufgenommen, doch
sein Alter - er hatte die Fünfzig überschritten
- schien ein neues Hindernis zu bilden. Eine
Vision der Muttergottes und ihres göttlichen
Sohnes beseitigte aber bald die letzten Schwierigkeiten.
Am 8. April 1598 öffnete sich ihm die Pforte
des Madrider Konvents und er erhielt den
Namen Franziskus vom Kinde Jesu, was sicher
kein bloßer Zufall war. Die Oberen kannten seine
Verehrung des göttlichen Kindes und seine Vorliebe
für das Geheimnis der heiligsten Kindheit des
Herrn. Da ihm der Hl. Geist diese Andacht eingegossen
hatte, um durch sie sein Leben zu heiligen,
wollten seine Oberen, daß er durch seinen Namen
dieser Liebe seines Herzens Ausdruck verleihe
und daß dieser ihn stets daran erinnere, seine
Liebe zum Jesuskind möge ständig wachsen. Bis
zu seiner Profeß, die er im folgenden Jahr in
die Hände des Hochw. Pater Generals ablegte,
hörte er nicht auf, dem Jesuskind für die Gnade
zu danken, ihn in den sicheren Hafen des Karmels
geführt zu haben.
Seine Liebe zum Jesuskind war so tief und lebendig
eingewurzelt in seinem Herzen, daß dies aus
all seinen Worten und Werken ersichtlich wurde.
Es kam fast niemals vor, daß er in seinen Gesprächen
nicht das Jesulein erwähnte und Es mit den zärtlichsten
Ausdrücken seiner Liebe pries. Er erzählte von
den wunderbaren Gunstbezeugungen, die er von
dem hl. Kind empfangen hatte, oder er spornte
an, das Jesuskind inniger zu lieben und fest
auf seine Hilfe zu vertrauen.
Weihnachten war für ihn eine Reihe von Tagen
allerseligster Freude und Süßigkeit. Zu seiner
Zeit war es noch nicht allgemeiner Brauch,
ein Kripplein aufzustellen. Aber Bruder
Franziskus wartete nicht, bis es allgemein üblich
wurde. Bereits im Krankenhaus von Alcala hatte
er in der Kirche eine Krippe hergerichtet und
zahlreiche arme Leute um sich versammelt, um
mit ihnen, die er die Soldaten des Jesuskindes
nannte, ein Freudenfest zu veranstalten. Man
sang fromme Lieder und tanzte, wie es in Spanien
Brauch ist. Als Karmelsnovize kannte seine Weihnachtsfreude
keine Grenzen. Am Kripplein sang er nicht nur
Lieder zu Ehren des göttlichen Kindes und seiner
gebenedeiten Mutter oder des hl. Josef und der
Hirten. Auch Ochs und Esel wurden in frommen
Liedern begrüßt, als ob er sie um das Glück
beneidete, beim neugeborenen Kind Wache zu halten.
Im Noviziat hatte er einen Mitbruder, Johannes
vom Elend, der mit ihm um den Erwerb
der karmelitischen Tugenden eiferte. Bald entspann
sich ein heiliger Wettstreit zwischen beiden.
Sie forderten sich gegenseitig heraus, das Jesuskind
oder seine heiligste Mutter tiefer zu lieben.
Bruder Franziskus wandte sich natürlich zum
göttlichen Kind. Aber durch den Anblick des
Jesulein fühlte er sich gezwungen, auch dessen
seligste Mutter zu lieben und zu verehren. Bruder
Johannes ging zu Maria, und Maria erinnerte
ihn daran, daß sie uns Jesus geboren hatte und
wir uns dem Herrn durch sie nähern müssen. So
hatten beide im Grunde genommen die gleiche
Liebe, die sich nur in verschiedener Weise äußerte.
Am Anfang seines Ordenlebens hatte Franziskus
im Auftrag der Oberen ein Haus für bekehrte
Sünderinnen in Valencia gestiftet. Von allen
Seiten kamen diese armen Unglücklichen
und suchten ein Heim, wo sie ihr Elend vergessen
konnten. Das Jesulein sorgte auch hier wunderbar
für den notwendigen Lebensunterhalt. Es hatte
seinem treuen Diener die Versicherung gegeben,
solange die Stadt diesem Haus mit Lebensmitteln
und Geldspenden helfe, werde sie von der Pest
bewahrt bleiben. Und so geschah es auch wirklich.
In einer Versammlung des Stadtrates, bei der
Franziskus um eine Gunst bat, konnte er die
Herren an diese Versicherung erinnern: «Brüder,
das Jesuskind hat sein Wort gegeben, daß
die Stadt von der Ansteckung frei bleibe...
Sein Wort kann nicht lügenhaft genannt werden...»
Und er erhielt das Gewünschte, denn gegen die
Autorität des Jesuleins wagte niemand einzuschreiten.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er
in Madrid. Sie waren ausgefüllt mit Danksagungen
und Lobpreisungen des göttlichen Kindes. Wenige
Tage vor Weihnachten mußten die Ärzte feststellen,
daß Franziskus infolge von Seitenschmerzen stark
aufgeschwollen war. Er hatte immer gewünscht,
an einer derartigen Krankheit sterben zu dürfen
und auch das himmlische Kind um diese Gnade
gebeten. «Auf diese Weise», sagte er, «bleibt
man bei Verstand und kann bis zum Ende mehr
leiden für das Jesuskind.»
Am Weihnachtsabend sah man, daß sich seine letzte
Stunde näherte, und er empfing die hl. Sterbesakramente.
Dann bat er P. Prior, seinen besten Freunden,
dem König und der Königin, sowie dem Patriarchen
von Valencia und dem Nuntius einen Abschiedsbrief
schreiben zu lassen. Der Brief an den König
und die Königin beginnt mit den Worten:
«Jesus, Maria, Josef.
An unsere vielgeliebten Brüder in der Liebe
des Kindes Jesu: Unseren ältesten Bruder (den
König) und Margareta, unsere Schwester (die
Königin), die ich beide wahrhaftig liebe und
für die ich innig zum Jesuskind bete, damit
Es sie zu großen Heiligen mache.»
Und dann folgt der Text, in dem er den König
ermahnt, «mit dem Jesuskind vereint zu bleiben»,
das ihn wohl «in diesen Feiertagen holen wird».
Darauf bittet er ihn: «Vergiß niemals unseren
hl. Orden und unterstütze ihn, so wie es Dein
Vater (Philipp II.) getan hat. Hilf ihm in jeder
Not und in allen Schwierigkeiten und beschütze
ihn im Verein mit unserem Hl. Vater, dem Papst,
zu aller Zeit. Tue ein Gleiches, mein ältester
Bruder, auch für die Seligsprechung unserer
hl. Mutter Theresia von Jesus, sowie für alles
übrige, um das Dich unsere Oberen hilfesuchend
anflehen...
ich bitte Eure Majestäten, auch für dieses Haus
Sorge tragen zu wollen und meinen Mitbrüdern
in allen ihren Bedürfnissen beizustehen, selbst
dann, wenn ich nicht mehr sein werde; denn es
ist viel besser, dies aus Liebe zum (Jesus)Kind
zu tun als aus Liebe zum Bruder Franziskus.
Ich bin ja nichts anderes als ein wenig Asche,
ein Nichts, und als solches stelle ich mich
beim Jesuskind vor...
Mein ältester Bruder, ich muß es Dir jetzt bereits
sagen, denn nachdem mich Gott von dieser Welt
heimgeholt hat, kann ich nicht mehr zurückkommen,
um Dich zu ermahnen... immer bedacht und mildtätig
zu den Armen zu sein, denn Gott der Herr will
Dich durch sie in den Himmel führen. Ich vertraue
aufs Jesuskind, daß Es mich dorthin bringt,
wo ich für Deine Majestät und für unsere Schwester
Margareta, für die hl. Kirche und das Königreich,
das Du zu lenken hast, beten kann...
Lebt wohl, meine Brüder! Madrid, am Tag vor
Weihnachten, 1604
Bruder Franziskus vom Kinde Jesu dieses Namens
unwürdig»
Der König empfand einen süßen Trost, als er
den Brief des demütigen Bruders las. Die
Königin erhielt eine hölzerne Statue des Jesulein,
die Franziskus lange Zeit verehrt hatte.
Inzwischen hatte die letzte Agonie des armen
Kranken begonnen. Er litt entsetzliche Schmerzen,
und sein Herz wurde von bitterster Verlassenheit
beklemmt. Doch in diesen Todesleiden fühlte
er eine wunderbare innere Freude. Er sang dem Jesulein, dessen Statue man ihm gebracht hatte,
und seiner gebenedeiten Mutter fromme Lieder
oder gab mit zärtlichen Liebesrufen Empfindungen
seines kinderreinen Herzens Ausdruck. Am Sonntag,
den 26. Dezember, gab er seine unschuldige Seele
Gott zurück. Er war 60 Jahre alt. Bald drang
der Ruf seines einzigartigen, heiligmäßigen
Lebens in alle Welt.
Der hl. Alphons
von Liguori weist auf den stillen Bruder als
ein Vorbild der Liebe zu Jesus im allerheiligsten
Sakrament.
Bruder Franziskus gehörte nicht zu den Menschen,
die eine reiche natürliche Begabung mit sich
bringen. Im Gegenteil, der Mangel an Talenten
und Geistesgaben war die Ursache vieler Leiden
und Mißverständnisse. Aber er war großmütig
und rechtschaffen, und daraus entstand eine
solche liebenswürdige Einfachheit, daß er die
Herzen aller eroberte. Männer von hohem Ansehen
kamen zu ihm, um seinen Rat zu erbitten und
waren oft zutiefst erstaunt über die Weisheit
und Einsicht dieses schlichten Laienbruders.
Der Patriarch von Valencia besprach oft mit
ihm seine persönlichsten Angelegenheiten
und schätzte seinen Rat weit höher ein, als
die Meinung aller seiner Prälaten. Ganz ähnlich
urteilte der päpstliche Nuntius in Madrid, Camillus
Cajetanus, und behandelte ihn wie seinen besten
Freund.
Bruder Franziskus war es gleich, ob er mit einem
Fürsten oder mit einem Bettler zu tun
hatte. Doch galt seine Vorliebe den Kleinen
und Unwissenden, deren Nähe er aufsuchte, um
sie zu unterrichten und anzuspornen, aus Liebe
zum Jesuskind gerne die Last ihres Standes zu
tragen. Schon zu Lebzeiten wirkte er viele
«Wunder», die ihn zu einer der populärsten
Gestalten des spanischen 16. Jahrhunderts machten.
Mit seiner schlichten Frömmigkeit und seinem
unbegrenzten Vertrauen auf die Hilfe des göttlichen
Kindes ist er eine typisch karmelitische Figur,
die in sich den Geist der hl. Reformatorin verkörpert.
Seine Heiligkeit ist ganz in der Schule des
göttlichen Kindes gereift. Damit führt von ihm
eine direkte Linie zu Theresia vom Kinde Jesu,
die mit ihrem Weg der geistlichen Kindheit die
heutige Welt von neuem für die Spiritualität
des Karmels zu gewinnen wußte.

Bruder Johannes von Jesus und vom hl. Joachim
Überall wo unter dem grenzenlosen südlichen
Himmel Spaniens ein reformiertes Kloster gegründet
wurde, begegnen wir einer Statue des Jesuskindes.
Selbst in die hl. Zurückgezogenheit der Einsiedeleien
hatte Es seine Schritte gelenkt. In «Las Nieves»
und in «Bolarque», den beiden ersten «heiligen
Wüsten» des reformierten Karmels, gab es neben
silberhell plätschernden Quellen kleine Eremitenhäuser,
von denen ein jedes seinen eigenen Patron besaß.
So traf man auf eine Eremitage des hl. Josef,
Unserer Lieben Frau vom Berg Karmel, des Jesuskindes,
des hl. Propheten Elias, usw. und jeder Eremit
pflegte seinen Patron mit besonderer Liebe und
Hingabe zu verehren. Wie viele Gnaden mag das
hl. Kind wohl an diesen Stätten fast ununterbrochenen
Schweigens und gottinnigen Gebetes ausgestreut
haben! Sie bleiben im Schweigen des Geheimnisses
verborgen!
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte
sich das göttliche Kind wiederum ein karmelitisches
Herz erobert, das für Es in selbstvergessener
Hingabe schlagen wollte. Es war Johannes von
Jesus und vom hl. Joachim - letzteres Prädikat
hatte er sich aus besonderer Zuneigung
zum Großvater des Jesuskindes selbst gewählt
-, der als einfacher Laienbruder viele Jahre
unermüdlich die staubigen Landstraßen Navarras
durchzog und zur Verehrung des Jesuskindes aufforderte.
Er hatte 1590 in Anorbe, unweit von Pamplona,
im Norden Spaniens, das Licht der Welt erblickt.
Schon früh verlor er seinen Vater und die Mutter
übergab ihn seinem Onkel. Don Juan Beltran de
Leoz zur Erziehung, der ihn mit wahrer väterlicher
Liebe umsorgte.
Der kleine Johannes bewies bald einen Zug zur
Frömmigkeit. Besonders die Andacht zum Jesuskind
hatte ihn ergriffen, so daß er oft an das göttliche
Kind dachte und ihm alle seine kleinen Wünsche
anvertraute. Da geschah es an einem Neujahrstag,
als er sinnend die Felder durchwanderte und
die Herden seines Onkels betrachtete, daß
ihm ein wunderschönes Knäblein erschien und
ihm sagte: «Heute mußt Du mir ein großes Fest
bereiten!» Diese Vision hinterließ einen
so tiefen Eindruck in seinem kindlichen Gemüt,
daß er die Worte des holdseligen Kindes einfach
nicht vergessen konnte. Obwohl er erst 10 Jahre
alt war, beschloß er auf die Verehrung des Jesuskindes
unter den Gläubigen zu drängen. Bis zu seinem
Tod blieb er diesem Vorsatz treu, und «er selbst
wurde zu einem der schönsten Beispiele der geistigen
Kindschaft, die wir bis heute kennen und die
durch die kleine Blume (Theresia vom Kinde Jesus)
von Lisieux unsterblich gemacht wurde», bemerkt
einer der größten Geschichtsschreiber des Karmeliterordens.
Kaum daß Johannes zum Jüngling herangewachsen
war, als sein guter Onkel an eine
Vermählung mit seiner, ihm gleichaltrigen Tochter
dachte. Johannes war ihr immer herzlich zugeneigt
gewesen, und die beiden jungen Leute schienen
so recht für einander geschaffen zu sein. Aber
Johannes war weit davon entfernt, an eine Heirat
zu denken. Er hatte in ihr immer nur die Gefährtin
seiner kindlichen Spiele gesehen. Und zudem
hörte er eine innere Stimme, die ihn zum Ordensstand
rief. Darum bat er seinen Onkel, vorerst nach
Pamplona gehen zu dürfen, ohne ihm einen klaren
Entscheid zu geben. Er fügte nur hinzu, daß
er eine gründliche Beichte vor der Hochzeit
ablegen wolle.
Als er in Pamplona angelangt war, spürte er
deutlich, daß Gott ihn in den Karmel rief. Nach
einem kurzen, aber heftigen inneren Kampf läutete
er an der Klosterpforte. Dem Pförtner sagte
er schlicht und entschieden, er sei gekommen,
um Karmelit zu werden. Es folgte ein langes,
prüfendes Gespräch mit dem Novizenmeister, dem
die ehrliche, einfache Art des jungen Mannes
so gut gefiel, daß er ihn gleich dabehielt und
ihm den Namen Johannes von Jesus gab. Obwohl
diese Nachricht seinen Oheim nicht ganz unerwartet
erreichte, löste sie in ihm doch eine starke
innere Erschütterung aus, die ihn ans Krankenbett
fesselte. Die Verwandten versuchten durch Drohungen
und Gewalt den Schritt rückgängig zu machen.
Aber alles war vergeblich. Johannes blieb im
Orden und wurde ein vorbildlicher Novize und
Religiose.
Viele Stunden der Nacht verbrachte er vor dem
Allerheiligsten, denn der Tag mit der Küchenarbeit
ließ ihm keine freie Zeit. Seinem von der Arbeit
ermüdeten Körper gönnte er nur eine sehr beschränkte
Ruhe auf einem harten Lager, ohne sich jemals
auszukleiden. Er fühlte sich besonders zum
hl. Joachim hingezogen, der einen Altar
in der Karmelitenkirche von Pamplona besaß.
Er wünschte, daß seine sterblichen Reste dereinst
zu dessen Füßen ihre letzte Ruhestätte finden
möchten. Durch die Fürsprache dieses Heiligen
wirkte er wahre Wunder, so daß sich der
Ruf seiner Gebetskraft bald verbreitete. Von
allen Seiten kamen Bittsteller, Leidende und
Betrübte, die sich seinem Gebet anempfahlen.
Es wird berichtet, daß eines Tages Don Duarte
Fernandez von Toledo und Portugal, Graf
von Oropesa, mit seiner erlauchten Gemahlin
Dona Anna Monica von Cordoba, sich bei ihm vorstellte.
Trotz ihres inständigen Verlangens hatte ihnen
Gott bisher keine Kinder geschenkt. Die Ärzte
hatten der Gräfin jede Hoffnung genommen, daß
ihre Gesundheit die Geburt eines Kindes möglich
machen würde.
Aber Fray Johannes, der die Gabe der Prophetie
besaß, flößte den Gatten neuen Mut ein und forderte
sie auf, eine Novene zu Ehren des Großvaters
des Jesulein zu halten. Er selbst bat dann seinen
Prior, das Alabasterjesuskind, das er im Konvent
oft innig verehrt hatte, ins gräfliche Schloß
tragen zu dürfen. Dort wurde das hl. Kind in
einem Oratorium aufgestellt, gewissermaßen als
Unterpfand des Versprechens des Grafen, das
so sehnlichst erwartete Kind Joachim zu nennen.
Tatsächlich schenkte die Gräfin genau neun
Monate später einem gesunden Jungen das Leben.
Um die Andacht zum Jesuskind zu fördern und
zu verbreiten, verteilte Bruder Johannes kleine
Bildchen des hl. Kindes, was ihm eine besondere
Freude bereitete. Seinem Eifer ist es auch zu
verdanken, daß die Andacht bald begeisterte
Anhänger fand. 1633 konnte er den lang gehegten
Wunsch verwirklichen, in seinem Heimatdorf Anorbe
am 1. Januar das Fest des göttlichen Kindes
einzuführen, wozu er die bischöfliche Erlaubnis
erhielt. Noch heute wird es in Anorbe in Erinnerung
an den Diener Gottes gefeiert.
Bruder Johannes starb im September 1669, hochbetagt
an Jahren und reich an Verdiensten.
Er war ein echter Sohn der hl. Theresia gewesen.
Man brachte den offenen Sarg in die Klosterkirche,
wo ihn eine unzählige Menge erwartete, die Gegenstände
an seinem Körper berühren wollte. Wer sich etwas
auf Malerei verstand, fertigte auch kleine Bilder
des Diener Gottes an, von denen sich einige
bis auf unsere Tage erhalten haben. Er ist eine
der bekanntesten und beliebtesten Persönlichkeiten
Navarras gewesen.
Mit diesem demütigen Karmelitenbruder endet
die Reihe der Söhne und Töchter der hl. Theresia
in Spanien, die vom Jesuskind besondere Gnaden
empfingen und sich das Geheimnis der Kindheit
Jesu zum Lebensinhalt gemacht hatten. Wir wollen
deshalb unsere Schritte nach Italien, Frankreich
und in die deutschen Länder lenken, um dort
weiter zu verfolgen, wie sich die Andacht zum
Jesuskind in der theresianischen Reform entfaltet
hat und fruchtbar geworden ist.

DAS JESUSKIND IM ITALIENISCHEN KARMEL
Die religiöse Lage und Stimmung des angehenden
17. Jahrhunderts in Italien war eine gute Vorbedingung,
um den Zugang zu den geistigen Idealen des reformierten
Karmels zu öffnen. Aus Spanien war der Ruf der
großen hl. Theresia von Avila und damit eine
Begeisterung für Mystik und mystische Probleme
in alle Kreise gedrungen, und begnadete Seelen,
wie Maria Magdalena de Pazzi, Katherina de
Ricci oder hl. Philipp Neri hatten dazu
beigetragen, daß sich das allgemeine Interesse
an der Mystik erhöhte. Dazu kam, daß der Theatiner
Lorenzo Scupoli (1530-1610) eine Art
Manual für das innerliche Gebet verfaßt hatte,
der berühmte
‘Geistliche Kampf’, das den hl. Franz
von Sales tief beeinflußte. Die Orden waren
zu einer
neuen Blüte durch Belebung ihrer alther gekommenen
Ideale erwacht. Gleichzeitig eroberten sich
neue Institute und Gründungen einen berechtigten
Platz im katholischen Leben.
Mit der Gründung eines Konventes in Genua (1584)
durch P. Nicolaus Doria hatte die theresianische
Reform zum erstenmal die Grenzen der Iberischen
Halbinsel überschritten
und damit den Wunsch der hl. Theresia erfüllt,
die ursprüngliche Regel des Karmels auch dort
zu verbreiten, wo sie bisher unbekannt geblieben
war. Bald erhoben sich jedoch auf spanischer
Seite Stimmen, die sich einer Ausdehnung der
Reform auf die anderen europäischen Länder und
auf die Missionsgebiete widersetzten. Man befürchtete,
daß eine Berührung mit anderen Lebensgewohnheiten
und vor allem mit der lutherischen Irrlehre
seiner Geistigkeit schädlich sein könne. Um
den ständigen Schwierigkeiten ein Ende zu bereiten,
stellte Klemens VIII. mit dem Breve «Sacrarum
religionum» 1597 den Konvent in Genua und das
dort 1590 gegründete Karmelitinnenkloster sowie
die bevorstehende Stiftung in Rom, Santa Maria
della Scala, unter die Jurisdiktion des Hl.
Stuhles. Gleichzeitig erteilte der Papst den
Patres die Vollmacht, Novizen aufzunehmen und
betonte, daß sie auch weiterhin aller Gnadenprivilegien
des Ordens teilhaftig blieben. Zu einer endgültigen
Trennung kam es erst 1600 durch das Breve «In
apostolicae dignitatis culmine» mit der Errichtung
der Kongregation des hl. Propheten Elias.
Damit standen dem italienischen Karmel alle
Möglichkeiten zur Ausbreitung der Reform offen.
1604 reisten die ersten Missionare nach Persien,
1605 wurde der erste reformierte Konvent in
Krakau eröffnet, 1608 in Avignon, 1610 in Brüssel
und 1613 in Köln.
In den in Genua und Rom errichteten Noviziatshäusern
suchte man mit strenger Genauigkeit
den in den spanischen Noviziaten üblichen Gebräuchen
zu folgen. Als erster Novizenmeister wirkte
ein Spanier, P. Johannes von Jesus Maria. Seinen
außer-gewöhnlichen Fähigkeiten als Erzieher
und geistlicher Lehrer war die Heranbildung
des Ordensnachwuchses anvertraut, der die Verantwortung
trug, den theresianischen Geist auf fast ganz
Europa auszudehnen.
Wir wissen wenig darüber, wie sich das Leben
der ersten italienischen Novizen gestaltet hat,
aber sicher ist, daß mit den aszetischen Normen,
die die Disciplina Claustralis des ehrw. Johannes
vom Jesus Maria widerspiegeln, auch die Andacht
zum Jesuskind Einzug hielt und sich den einzelnen
Mitgliedern mit dem ganzen Reichtum ihrer Schönheit
und Tiefe enthüllte. Bald versuchte man, das
Wesentliche der Verehrung der Kindheit des Herrn
herauszuarbeiten. Bezeichnend ist, daß man zur
Feder griff, um Anleitungen zu frommen Übungen
zu schreiben, die dieses Geheimnis in den Mittelpunkt
des inneren Lebens stellten.
So verfaßte P. Johannes von Jesus Maria fünf
«Fromme Übungen für das Weihnachtsfest», von
denen das erste in lateinischer Sprache geschrieben
wurde; P. Johannes Maria vom hl. Josef (Centurioni)
widmete den zweiten Teil seiner «besonderen
Übungen, damit das Jesuskind im Herzen geboren
werde», und die sel. Maria von den Engeln
gab ihren inneren Empfindungen gegenüber dem
Mysterium der Menschwerdung Ausdruck, indem
sie «Innerliche Tugendakte und fromme Anmutungen
zum menschgewordenen Sohn Gottes» aufzeichnete,
die bis heute im Leben des Karmels nicht an
Geltung verloren haben.
Die Statue des Jesuskindes blieb Ausgangspunkt
zahlreicher mystischer Gnaden und
wurde in hohen Ehren gehalten. Katharina
Farnese brachte bei ihrem Eintritt in den
Karmel vom Hof ein Jesulein mit, das in einem
kunstvoll geschnitzten Barockbett schlief, und
Theresia Margareta Redi erbat sich von ihrem
Bruder einen kleinen Weihnachtssermon, den sie
der erstaunten Kommunität vor der Statue des
Jesulein vorlas. Überall stand das hl. Kind
im innersten Raum des übernatürlichen Lebens
und forderte die Seelen zu großmütigem Opfer
auf. Überall strahlte Es wohltuend Liebe und
Licht in die Dunkelheit des Alltags. Und überall
bezeugte seine Gegenwart, daß Es das 17. und
18. Jahrhundert Italiens mit wahrem Karmelsgeist
zu durchdringen und befruchten vermochte.

Der ehrw. P. Johannes von Jesus Maria
Im Jahr 1585 hatte P. Nikolaus Doria den erst
einundzwanzigjährigen Frater Johannes von Jesus
Maria, der 1564 in Calahorra (Spanien) geboren
und 1582 nach einem dreijährigen Studium an
der Universität von Alcala in das Noviziat von
Pastrana eingetreten war, in die Neugründung
nach Genua gerufen. Er war der Sohn eines berühmten
Doktors der Künste und der Medizin. Seine Mutter,
Anna Ustarrez, stammte aus einem uralten adeligen
Geschlecht des Königreichs Navarra. Als der
Knabe kaum fünf Jahre alt war, sah seine sterbende
Tante in einer Vision die Zukunft des kleinen
Johannes und bemerkte seiner Mutter: «Frohlocke,
Anna, denn ich habe Dein liebes Söhnchen Johannes
in Rom unter den Unbeschuhten Karmeliten gesehen,
mit ihrem Ordenskleid angetan und von der herrlichen
Glorie der Heiligkeit umstrahlt.» Dies war 1569.
Die Reform zählte etwa drei oder vier Männer,
und niemand dachte an ihre Ausbreitung in Italien
und wohl gar in Rom. Doch alles trug sich später
so zu, wie vorausgesagt.
Johannes hatte im Alter von 18 Jahren den wissenschaftlichen
Studien entsagt. In Genua setzte er nun mit
großem Eifer sein theologisches Studium fort
und empfing die Priesterweihe. Gleichzeitig
widmete er sich den Novizen, bis ihn der Gehorsam
1598 in den neuen Konvent S. Maria della Scala
führte, wo ihm 1601 das Amt des Novizenmeisters
übertragen wurde.
1608 wurde er zum Generalprokurator der italienischen
Kongregation erwählt, und von 1611 bis 1614
steuerte er das Schifflein des Ordens als sein
dritter General.
Schon in der Zeit seines Aufenthaltes in Genua
schrieb er die ersten aszetischen und mystischen
Schriften. Es entstand als Erstlingswerk 1594
Via Vitae. Dann folgten die beiden mystisch-exegetischen
Erklärungen zum Hohenlied: Cantici Canticorum
brevior explanatio und Cantici Canticorum interpretatio.
Die bedeutendsten Werke aus dieser Zeit sind
aber seine Disciplina Claustralis und seine
Instructio Novitiorum, die bis heute
das goldene Buch aller karmelitischen Noviziate
bilden. In ihnen legt er seine reiche Erfahrung
als Novizenmeister in sachlich-prägnanten Worten
und Kapiteln dar. In der Instructio Novitiorum
finden wir auch die uns bereits von Spanien
her bekannte Vorschrift, am Freitag die Vesper
zu Ehren des Namens Jesu zu beten. «Freitags
nach der Vesper, wenn der Sakristan des Oratoriums
das Zeichen gegeben hat, rezitieren die Brüder
im Oratorium langsam und andächtig die Vesper
vom süßesten Namen Jesu.» Er fügt hinzu: «Am
Vorabend der Beschneidung des Herrn wird die
Vesper vom süßesten Namen Jesu gesungen. Für
die Brüder ist dieses Fest das größte.» Beide
Vorschriften werden im Zusammenhang mit den
wöchentlichen und jährlichen Übungen angeführt.
Als echter Sohn der hl. Theresia hat P. Johannes
die Novizen immer wieder angeleitet,
den Ausgangspunkt und die Kraft zur Verwirklichung
ihres Ordensideals in Christus zu suchen. Hinweise
auf eine bewußte Beziehung zu Christus werden
in allen Kapiteln seiner aszetischen und pädagogischen
Schriften deutlich. Um sich aber von Christus
in seinen Geheimnissen ergreifen und durchformen
zu lassen, und zwar in dem Maß, daß Christus
an Stelle des Menschen tritt, schien ihm eine
Annäherung an den Herrn durch ein tieferes Eindringen
in den Kreis der liturgischen Feste des Erlösers
der geeignetste Weg zu sein. Er wollte deshalb,
daß sich die Novizen gut auf die Feste Jesu
Christi vorbereiteten.
«Die Weise, sie feierlich zu begehen, hat im
Verhältnis zu den Mysterien zu stehen, die in
ihnen dargestellt sind. Dies betrifft besonders
die inneren Akte. Wenn sich z.B. die Geburt
des Herrn nähert, muß alles, was man vor dem
Fest tut, mit der Absicht geschehen, das
Herz bereitzuhalten, damit der Herr geistig
in unseren Seelen geboren werde. Diese Gnade
muß man mit vielen Stoßseufzern und einem aus
dem Herzen quellenden Verlangen erbitten.»"
Weist nicht die zeitliche Geburt des Herrn in
das unergründliche Geheimnis der ewigen Zeugung
des Sohnes und damit auf die Gottesgeburt in
unserem Herzen?
Johannes von Jesus Maria scheute sich deshalb
nicht, seine Novizen in jeder Weise für ein
bewußtes Eindringen in das Weihnachtsmysterium
zu gewinnen. Er verfaßte kleine Gedichte zu
Ehren des göttlichen Kindes oder schrieb geistliche
Übungen, um sich auf seine Ankunft vorzubereiten.
In einem der drei sich in der Gesamtausgabe
seiner Werke befindenden Weihnachtsgedichten
begrüßt er das Jesuskind mit den Worten:
|
Jesus, kehre ein,
Nimm des kalten Winters Kleid,
Damit durch Deine
Glut,
Setz' die Schneeschmelz ein.
Liebe, auf, und
eile,
Damit Südwind hauche Wärme
Und des Winters Strenge
Um die Mitternacht zerbreche.
Neigt euch, Himmel,
jetzt,
Damit der Tau herabträufle, |
|
Und durch Deine Glut,
Setz' die Schneeschmelz ein.
Göttliche Majestät,
um uns zu lieben,
Steig herab und biete uns
zum Trunke
Himmlisch Süßigkeit
Und der Flamme leuchtend Licht
Verzehre alles Schmachten,
Daß durch Deine Glut
Setz' die Schneeschmelz ein. |
Um zu verstehen, wie tief Pater Johannes von
Jesus Maria im eigenen Herzen vom Geheimnis
des Jesuskindes berührt war, muß man den Widerhall
seiner Belehrungen und der eigenen Erfahrung
im Leben seiner ersten Novizen suchen, in deren
Seelen unter seiner Leitung ein wunderbarer
Reichtum inneren Begegnens mit dem Jesulein
erblühte. So wird von Frater Johannes Paulus
vom hl. Michael, der 1601 sein Noviziat in Rom
bei P. Johannes begann, erzählt, daß «er eine
besondere Andacht zur allerseligsten Jungfrau,
zum hochwürdigen Sakrament des Altars und zum
Jesuskind kannte und sich sehr sorgfältig auf
ihre Festtage... durch langes Gebet und andere
erlaubte Abtötungen vorbereitete. Nichts war
ihm beschwerlicher, als daß die Pflege des Jesuskindes,
dessen Bild im Oratorium unserer Fratres nach
löblichem Kongregationsbrauch aufbewahrt wird,
einem anderen als ihm aufgetragen wurde. Wenn
es ihm aber oblag, dasselbe zu schmücken, dann
verrichtete er dieses Amt mit einer so inbrünstigen
Liebe und innigen Andacht, daß er jedermann
erbaute.»
Nachdem der Geschichtsschreiber ausführlich
seine anderen Tugenden dargelegt hat, kommt
er auf seine Sterbestunde zu sprechen. «Als
er in seinen letzten Zügen lag,... reichte man
ihm das Bild des Jesuskindes, das er mit unsäglicher
Zärtlichkeit umfing und sich dabei in wunderbaren,
inbrünstigen Akten der Liebe und Dankbarkeit
ergoß. Dabei bat er Es, ihn aus diesem Elend
zu sich nehmen zu wollen. Darüber gab er seinen
glückseligen Geist auf und schied zu dem hin,
den er allzeit so treu, so eifrig, so inniglich
geliebt, gesucht und verlangt hatte. Glücklich
in Wahrheit, der also gelebt hat! Noch glücklicher,
der also gestorben ist! Am allerglückseligsten,
der also, wie wir hoffen, zu der ewigen, nie
abnehmenden Seligkeit gekommen ist.»
Wenn auch P. Johannes von Jesus Maria über sein
inneres Leben geschwiegen hat, so können wir
doch ruhig annehmen, daß eine innig-zarte Frömmigkeit
und Andacht zum Jesuskind auch sein Herz erfüllt
hat. Seine Werke der mystischen Theologie lassen
vermuten,
daß ihm mystische Gnaden nicht unbekannt waren.
Und warum sollten unter ihnen nicht auch Erleuchtungen
im übernatürlichen Erfassen des Inkarnationsmysteriums
gewesen sein?
Seine Verehrung des göttlichen Kindes wurde
von seinen ersten Novizen in die neugegründeten
Ordenshäuser getragen. Ein Bericht aus dem Noviziatsleben
in dem 1608 durch P. Angelus von Jesus Maria
und P. Caesarius vom hl. Josef gegründeten Konvent
in Avignon gibt darüber sprechenden Aufschluß.
P. Angelus ist einer der ersten Novizen des
Ehrwürdigen in Genua gewesen, wo er 1595, kaum
sechzehnjährig, seine Ordensprofeß abgelegt
hatte. In Avignon wurde der Brauch eingeführt,
daß die Novizen viele Stunden dem inneren Gebet
widmeten und diese «entweder vor dem hochwürdigsten
Sakrament des Altars oder vor dem Bildnis des
allersüßesten Jesuskind zubrachten, also daß
sich an einem bestimmten Ort immerzu jemand
in dieser heiligen Übung beschäftigt befinde».
Außerdem wurden die Novizen angehalten, «mit
Erlaubnis besagten Novizenmeisters die Advent-
und Fastenzeit hindurch, so oft sie (nachts)
aufwachten, kniend einige Akte des Glaubens,
der Hoffnung, der Liebe und anderer Tugenden
zu machen, um sich dadurch für die Geburt und
das Leiden unseres Herrn Jesu Christi besser
vorzubereiten». Zu den täglichen Übungen der
Novizen gehörte, beim ersten Glockenschlag die
Arbeit zu unterbrechen und zu den gemeinsamen
Übungen zu eilen, wobei sie «jenen Spruch der
Heiligen Drei Könige, als diese dem neugeborenen
Heiland zueilten, im Herzen und im Mund führen
sollten: Dies ist das Zeichen des großen Königs.
Laßt uns hingehen und Ihm unser Opfer bringen.»"
Von einem anderen Novizen, P. Alexander vom
hl. Franziskus, der später sein ganzes Leben
lang Novizenmeister gewesen ist, wird ebenfalls
eine kindliche Verehrung des Jesulein berichtet.
Schon in der Welt hatte der kleine Lelio das
Jesuskind innig geliebt. Einmal geschah es zur
Weihnachtszeit, daß ihm seine Mutter einige
Quadrini (Münzen) schenkte, damit er sich etwas
dafür kaufe. Aber Lelio, der am Tag zuvor in
der Kapuzinerkirche eine kunstvolle Krippe gesehen
hatte, eilte unverzüglich dorthin, und ohne
der Mutter etwas zu sagen, brachte er seine
Quadrini dem Jesuskind, das in einer wundervollen
Wiege schlief. Dabei flüsterte er andächtig:
«Mein süßes Jesulein, ich schenke Dir alles,
was ich besitze und was ich Dir geben kann.
Gern will ich Dir meine Freuden opfern, jedoch
unter der Bedingung, daß Du mir, wenn die Zeit
herangekommen ist, dieses Eine mit dem Hundertfachen
vergeltest, so
wie Du es versprochen hast.»
Als nach langem Warten und Bangen sein Wunsch,
Unbeschuhter Karmelit zu werden, in Erfüllung
ging, zeichnete er sich durch den besonderen
Eifer aus, mit dem er das Fest der Geburt des
Herrn begehen wollte. Und dieser Eifer nahm
von Jahr zu Jahr zu und zeigte sich in allerhand
Liebesausbrüchen. Sein erster Biograph, P. Philipp
vom hl. Paulus, erzählt, daß «der Pater in jenen
Tagen ganz außer sich geriet und seine Freude
überströmte, denn sein Herz konnte sie nicht
in sich behalten, so daß sie sich auch nach
außen hin verbreiten mußte.» P. Johannes von
Jesus Maria gehört in die Reihe der großen Marienverehrer
des Ordens. Seine marianische Frömmigkeit führte
ihn aber stets zu einer wunderbar tiefen Vereinigung
mit dem Menschgewordenen. In einer Würdigung
der kostbaren Dokumente, die uns die Instructio
Novitiorum bietet, hebt P. Petrus Thomas hervor:
«Durch Maria können wir die Wunder der Erlösung
betrachten: die uns Jesus Christus, wahrer Gott
und wahrer Mensch, unser ErIöser und unser Vorbild.
Alle Geheimnisse der Erlösung sind in ihr und
durch sie erfüllt. Von der Menschwerdung bis
zur Geburt, von Nazareth bis Jerusalem, von
Kalvaria bis zur Auferstehung, von der Himmelfahrt
bis zum Pfingstfest, immer und überall finden
wir Maria In und durch Maria können wir Gott
und Jesus, unseren Erlöser lieben. Sie ist die
„Mutter der schönen Liebe". Ihr Beruf
ist es, uns Jesus zu geben, uns Ihm zuzuführen
und uns zu helfen, Ihn zu lieben. Deshalb gilt
als Grundsatz: Je mehr wir Maria lieben,
umso mehr werden wir auch Jesus lieben.»
In dieser Überzeugung hat uns P. Johannes eine
der schönsten Seiten seiner Instructio
Novitiorum geschenkt. Es heißt dort: «Unsere
Brüder sollen nicht glauben, daß es genüge,
die schönste und über alle Himmel erhabene Königin
und besondere Zierde unseres Ordens mit einer
nur gewöhnlichen Andacht zu verehren. Das tun
auch die Weltchristen und selbst die Sünder!
Nein! Sie sollen ihr wie Kinder ergeben sein...
Sie sollen die Herrin der Welt immer im Herzen
tragen und ihr und ihrem göttlichen Sohn alles
Tun und Lassen, alle Gedanken, Worte und Werke,
täglich und wenigstens frühmorgens aufopfern...
Es ist ein heilsamer Rat, daß man, um die
christliche Vollkommenheit zu erlangen und um
alles Böse auszurotten oder zu verhüten, die
Gegenwart der seligsten Jungfrau mit jener unseres
Herrn Jesu Christi verbinde und sie beide zugleich
übe. Sie sollen sie häufig, oder, wenn es
geschehen kann, unaufhörlich im Herzen tragen,
denn jene, die Gott zusammengefügt hat, soll
der Mensch nicht scheiden.»
In Rom hatte P. Johannes das Glück, den ehrw.
P. Dominikus von Jesus Maria, gleich
ihm ein Spanier, kennen zu lernen. Bald verband
beide eine heilige Freundschaft, in der sicher
P. Dominikus dem ihm einige Jahre jüngeren P.
Johannes seine wunderbare Berufung durch das
Jesuskind erzählt hat. Als er, noch ein Jüngling,
daran dachte, sich Gott im Karmel zu schenken,
war ihm die Muttergottes erschienen und hatte
das Jesuskind in seine Arme gelegt, welches
ihn ermunterte, sein Vorhaben recht bald auszuführen.
Diese Vision bestimmte seinen Eintritt in Zaragossa.
Seither lebte in seinem Herzen eine unendlich
große Liebe zum Jesulein. Während der hl. Messe
kam es mehr als einmal vor, daß er das göttliche
Kindlein in der hl. Hostie sah. In einer
Weihnachtsnacht, wenige Jahre bevor er nach
Italien kam, konnte er krankheitshalber nicht
die hl. Messe zelebrieren. Bevor man zur Christmette
läutete, ließ er sich in ein Oratorium nahe
des Chors tragen, wo P. Franziskus «der Unwürdige»
das hl. Opfer darbrachte. Bruder Franziskus
vom Kinde Jesu diente ihm. Nach der hl. Wandlung
ließ sich zum Erstaunen aller statt der Hostie
das Jesuskind auf dem Altar sehen. Bruder
Franziskus begann voller Jubel im Oratorium
zu tanzen und zu singen:
«Willkommen, Du schönstes Jesulein!
Willkommen, Du süßestes Kindelein.»
Die beiden Patres waren ebenfalls von der Macht
der Liebe so ergriffen, daß sie sich selbst
vergaßen. Der eine sang im Übermaß der Glückseligkeit
am Altar, der andere in seinem Bett, und dies
dauerte so lange, bis das Kindlein vor ihren
Augen verschwand. Es vergingen 10
Stunden, um die
drei Weihnachtsmessen zu feiern und um andere
Andachten zum göttlichen Kind zu halten, ohne
daß einer der drei Karmeliten sich dieser langen
Zeit auch nur im geringsten bewußt geworden
wäre."
Johannes von Jesus Maria vollendete seine irdische
Laufbahn in einer von der Gegenwart
Christi durchglühten Umgebung. Er starb am 28.
Mai 1615. In den letzten zehn Jahren seines
Lebens widmete er sich vorwiegend mystischen
und pädagogischen Studien, die ihn zu einem
der größten mystischen Schriftsteller des Ordens
gemacht haben. 1607 entstand sein bedeutendstes
Werk, die Theologia Mystica, und vier Jahre
später die Scuola di orazione e contemplazione,
die er den «geliebten Patres, Brüdern und Schwestern
des theresianischen Karmels» widmete. Christus
hatte ihn von früher Jugend her erfaßt und immer
mehr zu den höchsten Geheimnissen Gottes emporgezogen.
So konnte er in den letzten Jahren seines Wirkens
sagen, daß seine Welt von Christus erfüllt war
und sich sein innerer Aufstieg in der Vereinigung
mit Ihm vollendet hatte.
Man braucht nur das Werk Soliloquia animae fidelis
ad Jesum Christum dulcissimum Redemptorem (Gespräch
der treuen Seele mit Christus dem süßesten Erlöser)
durchzublättern, das er kurz vor seinem Tod
verfaßte, um sich ein Bild seiner tiefen Umgestaltung
in Christus zu machen. Vielleicht ist es gerade
dieses Werk, das am meisten sein inneres Leben
offenbart, denn was die einzelnen Seiten ausdrücken,
ist nichts anderes als ein Widerhall innersten
Erlebens und Empfindens. So gilt ein Wort Guardinis:
In ihm vollzog «Christus sein eigenes, gottmenschliches
Leben als das von Gott kommende ewige Leben
dieses in der Zeit dahingehenden Menschen. Er
machte in ihm das Kindsein durch, das Wachstum,
die Reife, die Vollendung.»

Die ehrw. Paula Maria von Jesus
Am 5. Dez. 1590 hatten sich vier Karmelitinnen
in Barcelona eingeschifft. M. Hieronyma vom
Hl. Geist, Marcella vom hl. Josef, Maria vom
hl. Hieronymus und Hieronyma vom hl. Petrus,
alle vier aus Malagon kommend, wo sie der Befehl
erreicht hatte, die Gründung in Genua zu unternehmen.
In ihrer Gesellschaft reiste eine italienische
Dame von hohem Adel, Donna Magdalena Centurioni,
verwitwete Spinola, die ebenfalls das Karmelkleid
trug. Nach dem Tod ihres erlauchten Gemahls
in Madrid hatte sie auf Anraten P. Nikolaus
Dorias beschlossen, ihr Vermögen zur Stiftung
des ersten reformierten Karmels in Italien zu
verwenden. So begleitete sie die Stifterinnen
auf der dreimastigen Galeere, deren Heck mit
großen Segeltüchern verhängt war, so daß die
Nonnen sich ungestört und ungesehen ihren religiösen
Übungen hingeben konnten. Am 13. Dezember kamen
sie in Genua an, wo sie in verschlossenen Wagen
in ihr neues Heim gebracht wurden. «Unverzüglich
begaben sie sich ins Chor, und während sie Gott
im Schweigen dankten, daß Er sie sicher in dieses
Haus geführt hatte, stimmten die Patres in der
Kirche das «Te Deum laudamus» (Großer Gott,
wir loben Dich) mit Musikbegleitung an. Am Abend
wurde die Klausur geschlossen und das gewöhnliche
Ordensleben begann.»
Mit den vier spanischen Karmelitinnen, alles echte Töchter der hl. Theresia,
war wohl auch eine Statue des Jesulein nach
Genua gereist, und wir dürfen vermuten, daß
sie bald nicht
die einzige blieb.
In einem Bericht, der das 1607 von M. Maria
Dorothea von der hl. Anna gestiftete Karmelitinnenkloster
in Neapel betrifft, ist die Rede von einem Jesulein,
das die Nonnen aus Genua mitgebracht hatten
und als ihren eigentlichen Stifter verehrten
und bezeichneten. M. Maria Dorothea war
eine der ersten Novizinnen in Genua; es ist
anzunehmen, daß sie die Andacht zum Jesulein
von den spanischen Müttern übernommen hat. Die
Historia Generalis erzählt außerdem, daß die
Schwestern kleine Jesuleinstatuen in ihren Zellen
aufstellten, ein Brauch, der sicher auf die
hl. Mutter zurückging. Man braucht nur daran
zu denken, daß sie Schwester Anna vom hl. Josef
erlaubt hatte, ein Jesuskind in ihrer Zelle
zu behalten. M. Hieronyma, die eine der auserlesensten
Töchter der hl. Theresia war, hat sicher den
jungen genuesischen Novizinnen von diesem frommen
Brauch erzählt, der bald freudige Nachahmung
fand.
Allerdings verlor sich im Karmel von Neapel
dieser Brauch, der dort mit südländischer Begeisterung
aufgenommen wurde, bald in allerlei Äußerlichkeiten,
die eine allzu menschliche Liebe und Anhänglichkeit
zeigten und sogar das Herz mit stolzen Gefühlen
erfüllten. Die Nonnen fingen an, die Zeit mit
dem Schmücken und Verzieren ihrer Jesulein zu
vertändeln, anstatt Es in schlichter Andacht
zu grüßen. So mußte das Jesuskind selbst eingreifen
und die Schwestern zur Demut ermahnen, um sie
daran zu erinnern, daß Ihm kostbar gestickte
Deckchen oder zierliche Blumenornamente nicht
die vertrauensvolle Hingabe des Herzens und
die Nachahmung seiner Tugenden ersetzen konnten.
Es wird überliefert, daß Schwester Baptista
vom hl. Josef, die in der Nacht ihr Gebet bei
dem aus Genua mitgebrachten Jesulein verrichtete
und mit Ihm oft ein herzliches Zwiegespräch
führte, eines Tages merkte, daß das Jesuskind
eine ganz traurige Miene machte. Was bedeutete
das? War sie schuld an dieser Veränderung? Da
sah sie, daß das unter seinen Füßen liegende,
höchst kostbar gestickte Kissen kohlschwarz
geworden war und all seine Schönheit verloren
hatte. Voller Bestürzung zeigte sie es ihrer
Mutter Priorin, die sich von der Wahrheit des
Sachverhaltes überzeugte. Es kam ihr der Gedanke,
daß eine solche Arbeit (nämlich ein kunstvoll
gesticktes Kissen) den Satzungen widerspreche,
und daß diese auch zu anderen Unvollkommenheiten
Anlaß gegeben hatte. Kurz entschlossen nahm
sie das Kissen weg und verbot jede Arbeit dieser
Art. Dadurch sollte ein Beispiel gegeben werden,
daß Gott alles mißfällt, was den Satzungen widerspricht.
Nicht weniger bezeichnend ist eine andere Begebenheit
aus dem Karmel von Neapel.
Während der Exerzitien fragte einmal eine Schwester
das Jesulein: «Sag mir, Du mein Geliebter,
wie kann ich Dir am besten dienen? Was
ist in Deinen Augen das wohlgefälligste Werk?»
Unmittelbar darauf hörte sie die Antwort: «Übe
Dich in der Demut!» Diese Ermahnung genügte,
daß sie sich fortan immer einer großen Demut
befleißigte. Stets war sie um die verächtlichsten
Arbeiten bemüht, so daß sie mit dem Apostel
sprechen konnte: «Wir sind Toren um Christi
willen» (1. Kor. 4,10) und: «wenn jemand unter
euch meint, weise zu sein in dieser Welt, so
werde er ein Tor, damit er weise werde. Denn
die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott»
(1. Kor. 3,18-19).
Ein andermal kniete eine Schwester zu Füßen
des Allerheiligsten nieder, um den Herrn
im Sakrament anzubeten. Da sah sie das holdselige
Jesulein. Ihr Herz war darüber so entzückt,
daß sie ausrief: «O mein Allerliebster, was
willst Du, daß ich Dir zuliebe tue?» Da war
es ihr, als ob das Jesulein ihr ganz deutlich
sagte: «Verachte Dich selbst!»
M. Hieronyma war es nur vier Jahre vergönnt,
das neu gegründete Kloster in Genua zu leiten.
Unter ihrem Priorat hatten sich die Nonnen am
7. Febr. 1594 endlich in ihr
«Jesus-Maria-Klösterlein» begeben können. Nur
wenige Monate darauf kam ein Befehl vom General
der spanischen Kongregation, P. Elias vom hl.
Martin, unverzüglich in die Heimat zurückzukehren.
Doch hatten diese Jahre genügt, um den Grundstein
zu einer neuen Generation echter Karmelitinnen
zu legen, denen es bestimmt war, den theresianischen
Geist in alle Welt zu tragen.
Eine der ersten Novizinnen neben der uns bereits
bekannten M. Maria Dorothea war M. Paula
Antonia von der hl. Maria, Gründerin des
Klosters von Avignon (1613), die bereits nach
drei Jahren Ordenslebens zur Novizenmeisterin
ernannt wurde. Unter ihrer mütterlichen Leitung
wuchs eine der größten Karmelitinnen heran,
die bestimmt war, zum erstenmal die Alpen
zu überschreiten, um den Karmel von Wien zu
gründen: M. Paula Maria von Jesus". Bereits
1669 erschien die erste Biographie dieser großen
edlen Frau", die mit ihrem männlichen
Mut und Festigkeit eine zweite Theresia für
Österreich wurde.
Paula Maria war am 6. Okt. 1586 in Neapel geboren.
Ihr Vater, Statthalter von Melfi, entstammte
dem edlen genuesischen Geschlecht der Centurioni.
Zur Erinnerung an den glorreichen Sieg von Lepanto
erhielt sie bei der Taufe den Namen Maria Viktoria.
Schon als Kind hatte sie die Muttergottes
gesehen, die sie wunderbar beschützt und
auf den rechten Weg geleitet hatte, als sie
sich bei einer Reise von Melfi nach Neapel von
der Reisegesellschaft getrennt und nicht mehr
zurückzufinden wußte. Im Alter von 12 Jahren
fühlte sie den Ruf zum Ordensstand. Doch Natur
und Gnade rangen in ihrer Seele, ohne daß sie
den alten Menschen zu überwinden verstand, aber
auch ohne durch die Sünde das weiße Taufkleid
des neuen Menschen zu beflecken.
Hie und da fühlte sie mächtig das Eingreifen
Gottes durch außergewöhnliche Gnaden. Sie sah
den Himmel offen und die Engel herabsteigen,
die vom ganzen Erdkreis Besitz nahmen, während
ihre Seele entrückt war und der heiligsten Jungfrau
Gesellschaft leistete. Oder sie erkannte mit
übernatürlichem Eindringen in die geheimnisvolle
Gnadenführung Gottes, was ihr der Herr als Gott
und Mensch mitgeteilt hatte. Dann zog sie wieder
ein fast leidenschaftliches Begehren nach der
Freiheit und den Vergnügungen des weltlichen
Lebens. In ihr waren starke, religiöse Kräfte,
die sie mit Begeisterung für hohe Ideale durchglühten.
Aber diese Kräfte waren durch Unbeständigkeit,
Eitelkeit und ungezügelte Selbstsucht gefesselt,
so daß sie die in ihr vorhandene Sehnsucht nach
Gott und einem heiligen Leben lange Zeit erstickten.
Um diese Zeit kehrte Stefano Centurioni mit
seiner Familie nach Genua zurück, ein Umstand,
der für Maria Viktoria von üblen Folgen begleitet
war. Der Verkehr mit ihren Verwandten und weltlich
gesinnten Menschen untergrub bald die Bescheidenheit
und Sittsamkeit des jungen Mädchens, das allzu
rasch die guten Vorsätze vergaß und anfing,
prunkvolle Kleider zu tragen und in jeder Hinsicht
auf ihre Schönheit bedacht zu sein. Dabei wollte
sie aber den Entschluß, ins Kloster zu gehen,
nicht aufgeben; denn es schien ihrer Ehre verletzlich,
als wankelmütig zu gelten. Aus rein menschlichen
Beweggründen dachte sie, bei den Augustinerinnen
zu St. Sylvester in Genua einzutreten, weil
dort bereits zwei ihrer Schwestern, die sie
innig liebte, den Schleier genommen hatten.
Aber Gottes Wege sind nicht unsere Wege und
seine Gedanken nicht unsere Gedanken. Viktorias
Entschluß war nicht von jener heiligen Losschälung
begleitet, die ein so ernster Schritt erfordert.
Und doch hatte der Herr gerade sie, die bei
der Wahl eines Klosters die Liebe zu den Verwandten
in die erste Reihe stellte, unter Tausenden
auserwählt, nicht nur ihre Familie, sondern
auch ihr Vaterland zu verlassen. Das eitle
Mädchen, das wie ein Schilfrohr hin- und her
schwankte, sollte durch Gottes Gnade zu
einer Säule werden für einen der strengsten
und von der Welt am meisten losgetrennten Orden
der hl. Kirche.
Infolge der allgemeinen Reform des katholischen
Lebens war auch in Genua der schöne
Brauch eingeführt worden, das Allerheiligste
ständig in einer Kirche auszusetzen, wo es vom
gläubigen Volk und den Edlen der Stadt häufig
besucht und angebetet wurde. Einmal fand
die Aussetzung auch in der Kirche der Unbeschuhten
Karmelitinnen statt, und Maria Viktoria begleitete
ihre Mutter dorthin. Doch tat sie es weniger
aus Andacht, als um ihrer Mutter einen Gefallen
zu erweisen. Im übrigen freute sie sich über
die Gelegenheit, ihren Schmuck zur Schau zu
tragen.
Mit allerhand eitlen
Gedanken betrat sie die Kirche. Doch hier erwartete
sie der Herr, und sie erfuhr, was einst Paulus
vor Damaskus erfahren hatte. Die Schuppen fielen
ihr von den Augen.
Sie erkannte, daß Christus hier auf sie wartete
und sie von den Fesseln ihres unbeständigen
Herzens lösen wollte. «Nicht mehr ich lebe,
sondern Christus lebt in mir!» Das war es, was
sie als neue, erlösende Wirklichkeit erfuhr.
Er war es, der nur mehr ihr Inneres ausfüllte,
der in ihr wirkte und sie für ihre große Aufgabe
vorbereitete. Paula Maria bat um die Gnade,
Er möge bewirken, daß keine irdische Neigung
mehr in ihr aufkomme. Wurde sie erhört?
Am 2. Mai 1601 empfing sie das Kleid des Karmels.
Neue, furchtbare Stürme erhoben
sich in der Seele der jungen Nonne, nachdem
sich ihr die Pforte des Karmels geöffnet hatte.
Entschieden kämpfte sie gegen den Widerspruch
der Natur und die Angriffe des bösen Feindes.
Alles in ihr schien sich zu empören. Je mehr
Gewalt sie sich antat, umso hartnäckiger durchwühlten
die Regungen der Natur ihr Inneres. In einem
Zustand des Entsetzens und der Todesangst legte
sie ihre Gelübde ab. Erst als sie in Kreuzesform
vor dem Altar lag und ihr Opfer vollbracht hatte,
ließ sich der Herr mit seiner Gnade fühlen.
Christus erschien ihr und wunderbarer Frieden
durchdrang ihre Seele. Sie war wie zu einem
neuen Leben erwacht. Freude und Heiterkeit strahlte
von ihr aus. Sie schien keine Last mehr zu spüren,
sondern alles war in helles Licht gebadet.
Aber bald nach ihrer Gelübdeablegung verlangte
der Herr einen Beweis ihrer Treue. Er
hatte ihr den Pfad des Kreuzes bereitet.
Krankheiten und Leiden aller Art schlichen sich
ein, die sie jedoch mit großer Geduld ertrug.
Ihr Vater hatte sich Gott zum Opfer für die
Gesundheit seiner Tochter angeboten. Tatsächlich
genas Paula Maria, aber ihr Vater wurde derartig
von der Gicht befallen, daß er bis zum Ende
seines Lebens gelähmt blieb.
Voller Freude über die wiedererlangte körperliche
Kraft begann Paula Maria ehrlich nach
der Vollkommenheit zu streben. Doch dürfte ihr
Eifer trotz außergewöhnlicher Gunstbezeugungen
Gottes noch viel Menschliches an sich getragen
haben. Eine übermäßige Sorge für die Erhaltung
ihrer Gesundheit bewirkte, daß bald Nachlässigkeiten
auftraten, deren sie sich wohl bewußt war; aber
sie fand nicht den Mut, sie zu überwinden. So
beschlich sie oft eine gewisse Niedergeschlagenheit
und Trauer über sich selbst. Sie mußte erst
lernen, daß sie nur »in dem, der sie stärken
wollte, alles könne».
Während zehntägiger Exerzitien, die sie mit
vielen Stunden des Gebets und unter harten Bußwerken
verbrachte, erblickte sie eines Tages mit den
Augen des Geistes Christus im Tabernakel, der
dort auf sie mit unendlicher Liebe wartete.
Er zeigte ihr sein Herz, aus dem ein Strahl
hervorbrach, der tief in ihr Herz hinein drang
und es in das Seine zog. Sie schien unter der
Macht der Gnade zu wanken. Ihre Armseligkeit
und Schwäche bäumte sich turmhoch zwischen ihr
und Christus. »Um zwei Herzen zu vereinen»,
flüsterte sie, «bedarf es einer Ähnlichkeit
zwischen beiden. Wie kann man aber an eine solche
zwischen Dir und mir denken?»
Da öffnete ihr
Christus sein liebeglühendes Herz. «Verbirg
Dich in dieses Feuer und reinige Dich daselbst.»
Und die Liebesglut des Herzens Jesu durchleuchtete
wundersam ihr innerstes Wesen. Sie fühlte, wie
ihr Herz rein wurde, gleichsam wie ein Gefäß,
das man mit einem alkoholischen Getränk auf
das Feuer setzt und in dem durch die Hitze des
Feuers alles das verdunstet, was nicht geistiger
Natur ist. Gott gab ihr zu erkennen, daß
Er sie von nun an ganz für sich besitzen wolle.
Zum Zeichen dafür solle sie sich nicht mehr
Paula
Maria vom hl. Josef, sondern Paula Maria von
Jesus nennen.
Das Leben dieser auserwählten Karmelitin war
ein steter Wechsel von schmerzlichen inneren
und äußeren Leiden. Aber Schmach und Verachtung
öffneten ihr den Zugang zu den höchsten mystischen
Gnaden. Gott ließ sie in den unerschöpflichen
Abgrund seiner ewigen Weisheit hineinblicken.
Wunderbar enthüllte sich ihr das Mysterium der
hlst. Dreifaltigkeit, und sie schaute, wie
der dreifaltige Gott in der Einheit der Liebe
im Herzen Jesu ruhte.
Je mehr sie von der Gnade berührt wurde, umso
mehr suchte sie, sich selbst zu erniedrigen
und sich von den kleinsten irdischen Neigungen
loszuschälen, was ihr nicht wenig kostete. Dieser
Kampf gegen sich selbst war manchmal so heftig,
daß sie der Herr sanft ermahnen mußte: «Siehe,
ich bin allen alles geworden und habe mich für
alle so leicht hingegeben. Du aber hast noch
so viele Schwierigkeiten, um mir Dein Nichts
zu geben?»
So war Paula Maria unter Krankheiten und Leiden
zu immer tieferer, hingebender Liebe zu Christus
gelangt. Sein Bild hatte sich wie ein Siegel
in ihre Seele gegraben, so wie Er sich ihr geheimnishaft
und unfaßlich groß in der Herrlichkeit seiner
Auferstehung und Verklärung gezeigt hatte. Aber
sie sah Ihn auch in seiner heiligsten Menschheit.
Eine alte Handschrift berichtet, daß sie am
Feste des hl. Josephs im Jahr 1614 den zwölfjährigen
Jesusknaben erblickte «über die Maßen schön.
Er umarmte und küßte den hl. Josef mit
einer unaussprechlichen Freundlichkeit und Ehrerbietung,
um damit anzuzeigen, wie sehr Er ihn liebte
und (wie hoch Er) die Ehre und den Dienst schätzte,
welcher seinem gemeinten Vater, dem hl. Josef,
bewiesen werden.» Gleichzeitig gab ihr der Jesusknabe
zu verstehen, «daß Er diejenigen liebe, welche
Ihn lieben, und daß Er jene, die Ihm dienten,
mit göttlichen Gnaden belohnen werde».
P. Franziskus von der hl. Maria fährt einige
Seiten später in dem gleichen Bericht fort:
«Im Jahr 1614, in der Christnacht, dachte die
ehrw. Mutter innig an das Christkindlein, daß
es also armselig auf dieser Welt verstoßen worden
war und keine Herberge in dem Wirtshaus hat
finden können. Sie bereitete Ihm deshalb ihr
Herz und ihre Seele vor mit einer sonderlichen
Andacht, mit inbrünstiger Liebe und herzlichem
Mitleid. Da Es auf dieser Welt von den Weltlichen
also verworfen wurde, so möge es Ihm doch gefallen,
Wohnung in ihrem Herzen zu nehmen. Alsobald
wurde sie darüber entrückt und sah im Geist
das Christkindlein. Es war über die Maßen schön
und holdselig, lag aber nur auf ein wenig Stroh.
Es kam in ihr Herz und nahm in demselben Wohnung
mit vielen lieblichen Zeichen, daß es Ihm daselbst
wohlgefalle.»
Eines Tages hatte ihr Augustinus,
ihr Bruder und späterer Doge von Genua, ein
überaus schönes Jesuskind geschenkt, eine wertvolle
Holzschnitzerei, die nur den einen Nachteil
hatte, daß das Antlitz des hl. Kindes tief herabgesenkt
war. Augenscheinlich war die Statue für einen
Platz angefertigt, wo man das Jesulein von unten
her betrachtete. Paula Maria war darüber ein
wenig traurig, «weil sie ihrem Geliebten nicht
füglich ins Angesicht sehen, noch von Ihm gesehen
werden konnte. Das sagte sie ihrem Bruder, welcher
antwortete, daß zu Genua wohl ein Bildschnitzer
sein würde, der den Mangel zu verbessern verstehe.
Man könne leicht das Häuptlein abnehmen und
es nach zurecht gerichtetem Hals wiederum anleimen
und dann den Schnitt mit Farbe überstreichen.
Bei diesen Worten erschauderte die fromme Jungfrau
und erklärte ihrem Bruder: «Gott verzeihe Dir
den so grausamen Vorschlag!» Sie trug also das
Bild wieder in ihre Zelle. Nach etlichen Tagen
legte sie Ihm die Hand unter das Kinn, als wollte
sie Ihm das Häuptlein heben und sagte: «Wie
wäre es, Du mein allerschönstes Jesulein, wenn
Du jetzt Dein Angesicht aufrichtetest, damit
es nicht durch Abschneidung Deines Hauptes geschehe?»
Kaum hatte sie dieses Wort gesprochen, da
hob sie das Haupt bis zur gebührenden
Proportion auf,
nicht anders als wäre es von weichem Wachs gewesen,
und es ist fortan so geblieben.»"
Paula Marias Leben ist eine Kette mystischer
Gnaden gewesen, die sie zur Braut des
Herzens Jesu gemacht haben. In einer ihrer
Visionen kam der Herr zu ihr und nahm ihr Herz,
um es mit dem Seinen zu vereinen. Ein andermal
neigte Er tief sein Haupt über sie, so daß sie
fühlte, wie sein warmes Blut ihre Stirn benetzte.
Mit diesem kostbaren Blut hatte Er überreiche
Genugtuung für ihre Sünden geleistet. An einem
Pfingstfest schaute sie den HI. Geist in Form
einer Taube und hatte eine wunderbare Offenbarung
über das Mysterium des Dreifaltigen Gottes.
Ein andermal fragte sie Christus, die zweite
göttliche Person und den Erlöser der Menschheit:
«Welches Zeichen willst Du noch mehr, daß ich
Dich liebe?» Geheimnisvoll schloß sich in ihrem
Inneren der Ring der Zeiten des Kirchenjahres.
Sie sah das Jesuskind an der Mutterbrust, den
zwölfjährigen Jesus im Tempel und das Jesuskind
mit den Zeichen der Passion. Wie sehr litt sie
beim Anblick der großen Nägel, die die zarten
Händchen und Füße grausam durchbohrt hatten!
Dann kniete sie mit Christus im Garten von Gethsemani,
und erschüttert warf sie sich vor dem entblößten
Herrn am Kreuze zu Boden. Mit einem glühenden
Eisen brannte sie sich den Namen Jesu auf dem
Herzen ein, damit er dort wie ein Siegelabdruck
leuchte.
Mehr als fünfundzwanzig Jahre waren seit ihrer
Ganzhingabe an Christus in der heiligen
Ordensprofeß vergangen. Jetzt war der Tag gekommen,
wo Er sie zu dem großen Opfer ihres Lebens rief,
zu dem Schritt ins Ungewisse, zum Wagnis, ja
zu etwas, das für ihre Zeit ans Ungeheure grenzte.
Kaiser Ferdinand
II.
von Österreich hatte
zum Dank für den Sieg am Weißen Berg vor Prag
den ersten Konvent der theresianischen Reform
in Wien gegründet. Seither hegte seine Gemahlin,
die Kaiserin Eleonora, den glühenden Wunsch,
daß dort auch ein Karmelitinnenkloster entstehe.
1629 war es nun so weit, daß die ersten Unbeschuhten
Karmelitinnen die Reise antreten sollten. Die
Oberen in Rom hatten Paula Maria zur Priorin
bestimmt. Obwohl sie immer ein heißes Verlangen
nach dem Martyrium für Christus gekannt hatte,
so schreckte ihre südländische Natur doch vor
dem Gedanken einer Abreise nach dem Norden zurück,
wo zu jener Zeit die Glaubenskämpfe tobten und
viele Klöster zerstört wurden. Aber trotz allem
inneren Widerstrebens reiste sie am 22. Sept.
in Begleitung ihres Bruders, des Dogen von Genua,
und seiner Gemahlin nach Bologna ab, wo sie
mit zwei anderen Karmelitinnen aus Terni, die
ebenfalls für die Stiftung in Wien auserwählt
waren, zusammentraf. Es waren M. Katharina vom
hl. Dominikus und M. Maria Electa von Jesus,
die am 5. Okt. ihr Heimatkloster verlassen hatten.
Die Reise ging gut vonstatten, so daß sie bereits
am 2. Nov. in Wien eintrafen. Als Paula
Maria die Stadt erblickte, die von nun an der
Schauplatz ihres Lebens und Wirkens sein sollte,
erbebte ihr Herz in heiliger Freude. Sie dankte
Gott, daß sie hier angelangt war, um seinen
Willen zu erfüllen, für Ihn zu leiden und für
Ihn zu arbeiten. Sie versicherte Ihn, daß sie
keinen anderen Wunsch habe, als zur Verbreitung
der theresianischen Reform beizutragen. Nur
eine Bitte hätte sie: daß man sie mit keiner
Würde bekleiden möge. Doch da erschien ihr der
Herr und gab ihr zu verstehen, sie solle sich
ganz seinem Willen überlassen: »Hier will ich
Dich zur Offenbarung meiner Barmherzigkeit haben».
Schon bald hatte Ferdinand II. seine Absicht
kundgetan, in seiner Vaterstadt Graz, ein zweites
Karmelitinnenkloster zu errichten. Aber Gott
rief ihn zu sich, ehe er dieses Vorhaben
verwirklichen konnte. Inzwischen hatten sich
zahlreiche Postulantinnen gemeldet, so daß die
Kaiserinwitwe Eleonora darauf drang, über die
von der hl. Theresia in den Konstitutionen festgelegte
Zahl aufzunehmen. M. Paula Maria wollte jedoch
den Vorschriften der hl. Reformatorin treu bleiben.
Darum erinnerte sie die Kaiserin an das von
Ferdinand II. gegebene Versprechen. Sein Sohn,
Ferdinand III. und Kaiserin Eleonora gingen
darauf ein und erklärten sich bereit, für die
Neugründung in Graz Sorge zu tragen.
Die Ordensoberen gaben ihre Zustimmung und wählten
Paula Maria und zwei andere Schwestern aus,
das Kloster einzurichten. Als fünf Novizinnen
eingekleidet worden waren, bestimmte sie M.
Maria Electa zur Priorin und kehrte nach Wien
zurück."
Anfang Oktober 1645 wurde sie von einer schweren
Krankheit heimgesucht, die ihr nach
Aussage berühmter Ärzte, die die Kaiserin ihr
schickte, unerträgliche Schmerzen verursachte.
Am 15. Jan. 1646 entschlief sie um 1 Uhr nachts
in den Armen des Herrn. Drei Jahre später
kam die Kaiserin ins Kloster und verlangte,
den Leichnam zu exhumieren. Der Anlaß dazu war
ihre wunderbare Heilung durch die Fürsprache
der Heimgegangenen. Sie war fast vollständig
erblindet, und die Ärzte hatten keine Hilfe
gewußt. Da suchte sie alle ihre Zuflucht bei
der heiligmäßig gestorbenen Karmelitin. Und
tatsächlich hatte sich ihr erneut das Licht
des Tages geöffnet. Als man das Grab öffnete,
wurde der Körper der Verstorbenen
unversehrt gefunden und es entströmte ihm ein
frischer Wohlgeruch. Außerdem schwitzte
er eine Art Öl aus, das in reinen Tüchern aufgefangen
wurde. Noch zahlreiche wunderbare Heilungen
wurden durch ihre Fürbitte von Gott gewährt.
Ihr unverwester Leib ruht jetzt in der Karmelitinnenkirche
von Gmunden in Oberösterreich.
Als Paula Maria noch in Genua war, hatte sie
auf Befehl ihrer Oberen begonnen, ihre reichen
Gnaden und mystischen Erlebnisse aufzuzeichnen.
Aber es waren nicht diese Gnadenprivilegien,
die sie zu einer «Heiligen», die zwar noch nicht
von der Kirche zur Ehre der Altäre erhoben wurde,
gemacht haben. In der demütigen Erfüllung ihrer
Pflichten hatte sie sich zur Vollkommenheit
durchgerungen. Durch ihre Treue im Kleinen und
vor allem durch ihre selbst vergessende Liebe
und Vernichtung des eigenen Ichs war sie zur
Heiligkeit des Lebens gereift. Es ist nicht
zuletzt ihr Verdienst gewesen, daß die Andacht
zum hl. Josef in Wien eingeführt wurde.
Und mit dem hl. Josef hielt auch das Jesuskind
seinen Einzug in die Karmelitinnenkirche.
Es ist anzunehmen, daß von hier aus seine Verehrung
seitens des Hofes und besonders
der Hofdamen ihren Anfang nahm. Das kaiserliche
Paar schenkte den Karmelitinnen ein Bild des
Jesuskindes, und als sich 1656 eine kleine Karawane
zur Stiftung nach Prag auf die Reise begab,
trug es eine ehemalige Hofdame der Kaiserin,
Schwester Euphrasia, mit besonderer Liebe die
ganze Zeit bei sich. Auch eine Statue des Jesuskindes
fehlte nicht bei der Reise. Es war ein Jesulein,
das die Infantin Margareta vom Kreuz der Kaiserin
mit der Bitte geschenkt hatte, es dem Prager
Karmel zu übergeben. So wiederholte sich auf
den Landstraßen der österreichischen Erbländer,
was Theresia und ihre Töchter auf den unermüdlichen
Stiftungsreisen getröstet hatte: Das Jesulein
reiste segnend und liebespendend mit ihnen,
und sie sangen in seiner Gegenwart das unvergängliche
Lied des Karmel vom
«Nichts und vom Alles», das sie in der Schule
des göttlichen Kindes gelernt hatten.

Advent im Zeitalter des Barock
Der Anfang des 17. Jahrhunderts ist durch eine
ungeheuer rasche Verbreitung der theresianischen
Reform in Italien gekennzeichnet. «Seitdem das
erste Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen
errichtet worden war», schrieb ein Jahrhundert
später ein Karmelit aus Florenz, «verbreitete
sich derart der Ruf ihrer Heiligkeit, daß von
weither und von allen katholischen Nationen
Europas Fragen zur Ausdehnung des Institutes
ergingen. Unter allen zeichneten sich besonders
die Karmelitinnen von Genua aus, die so zahlreiche
und ständige Berufe von jungen, adeligen Mädchen
hatten, daß sie mehr als einmal Unterhandlungen
zur Gründung eines zweiten Klosters innerhalb
ihrer Stadtmauern betrieben, da das erste Jesus-Maria-Kloster
nicht allen Bitten zur Aufnahme entsprechen
konnte.»
So entstand 1619 durch M. Hieronyma von der
hl. Maria, die die erste Novizin in Genua
war, ein zweiter Karmel in der ligurischen Hauptstadt.
Bald darauf wurde ein Kloster in Savona durch
M. Anna Maria von der hl. Theresia errichtet.
Schon 1613 hatte M. Maria von Jesus, ebenfalls
eine der ersten Karmelitinnen von Genua, in
Cremona eine Gründung vorgenommen, und nur sechs
Jahre später sehen wir sie in Bologna. Die uns
bereits von der Stiftung in Neapel bekannte
M. Maria Dorothea verpflanzte 1628 die theresianische
Reform nach Sizilien und errichtete einen Karmel
in Palermo. Diesen Neugründungen folgten in
kurzer Zeit weitere Töchterklöster in Florenz,
Rom, Mailand, Parma usw., so daß in fast
allen Städten, wo der hohe italienische Adel
sich im Umkreis eines Hofes scharte und um die
Wiederbelebung seiner zur Zeit der Renaissance
verloren gegangenen Ideale und religiösen Werte
bemüht war, ein theresianischer Taubenschlag
entstand.
Diese Karmelitinnenklöster übten allgemein einen
wohltuenden Einfluß auf das katholische
Leben aus und dienten zur Hebung des sittlichen
Niveau. Es fehlte keineswegs an Berufen
aus den besten Gesellschaftskreisen. Selbst
Prinzessinnen wurden von der geheimnisvollen
Gegenwart Gottes im Karmel angezogen und vollendeten
ihr Leben hinter undurchdringlichen Klausurmauern.
Elenora d'Este wurde zur demütigen Schwester
Maria Franziska vom Hl. Geist und starb
im Ruf der Heiligkeit, nachdem sie den Karmel
in Reggio gegründet hatte. In Parma erstieg
Katharina Farnese als Schwester Theresia
Margarita von der Menschwerdung den Gipfel
der christlichen Vollkommenheit. Ihr erster
Biograph, P. Massimo della Purificazione, bemerkt
am Ende seines Buches, das wenige Jahre nach
ihrem Tod erschien: «Möge (dieses Leben) den
Prinzessinnen, die die Welt verlassen, als Beispiel
dienen. Jene die an Höfen Befehle erteilen,
mögen jetzt im heiligen Claustrum gehorchen
und groß werden, indem sie sich zur Kleinsten
von allen machen. Mögen sie das Kapital einer
genauen Observanz mitbringen und nicht den
Rauch der Welt.»
An der Seite von Fürstentöchtern waren es Gräfinnen
und Baronessen, die sich Gott im
Karmel ganz zum Opfer geben wollten. Noch heute
lebt in Turin das Andenken an die sel. Maria
von den Engeln, und in Florenz scheint in
unvergänglicher Frische Theresia Margarita vom
Herzen Jesu zu blühen, die gleich ihrer kleinen
heiligen Schwester in Lisieux nach wenigen Jahren
irdischen Daseins die Krone des Lebens empfing.
An eine jede dieser Karmelitinnen war der Auftrag
der ewigen Liebe ergangen, für Christus
allein zu leben. Sie hatten durch die mystischen
Werke der hl. Theresia, die oft ihre einzige
geistige Nahrung bildeten, und vor allem durch
die Autobiographie der Heiligen den Weg
zu einer tieferen Beziehung zur heiligsten Menschheit
des Herrn gefunden. Es war Christus, der Gekreuzigte,
aber auch das hl. Kind in der Krippe, das ihre
glühenden Herzen bis in die letzten Fasern erfüllte.
Elenora d'Este war sich ihrer Berufung zur Braut
des Gekreuzigten bewußt: Hatte ihr nicht der
Herr im Inneren zu verstehen gegeben:
Meine wahre Braut bist du, Und da du diese bist,
so will ich
Dich für mich, und Mich für Dich, Jesus Christus,
Sohn Gottes.
Der Gedanke an den Gekreuzigten durchzieht daher
alle ihre Briefe und geistlichen Schriften.
Daneben finden wir aber auch Ausdrücke inniger
Erwartung auf die Geburt des Herrn. Sie wollte,
daß sich ihre Mitschwestern mit großer Sorgfalt
auf das Weihnachtsfest vorbereiteten.
«Rufen Sie oft das hl. Kind an, damit Es
komme», schließt sie einen Brief an M. Maria
Laura vom hl. Josef, Priorin in Reggio, «uud
indem ich Sie seiuem Herzen anvertraue, will
ich dort mit Ihnen vereint bleiben».
Katharina Farnese
kannte nur einen
einzigen Wunsch, der ihr ganzes inneres Leben
bestimmte. «Mein Herr, ich liebe Dich, aber
Dich, meinen gekreuzigten Herrn»! «Ich habe
kein anderes Verlangen, als mich in allem zu
kreuzigen, vor allem meinen eigenen Willen.
Um nichts anderes bitte ich Gott, als alles
zu verlassen, damit auch ich von allen verlassen
werde und mit dem Kreuz allein bleibe.» Und
dabei «war sie immer weit entfernt von allem
äußeren Schein, von Visionen, Verzückungen oder
Ekstasen», bemerkt P. Massimo dazu, der jahrelang
ihr Beichtvater war. «Sie wollte einzig mit
ihrem Herrn auf dem Kalvarienberg und nicht
auf dem Tabor verklärt werden... Wenig sagte
sie über die Liebe, aber viel tat sie als glühend
Liebende.»
Katharina war am 5. Sept. 1637 als Tochter des
Herzogs von Parma und Piacenza geboren. Von
frühester Jugend an fühlte sie einen verborgenen
Zug zur Heiligkeit. Sie las gern erbauliche
Bücher und wäre am liebsten Einsiedlerin geworden,
wozu sich ihr allerdings keinerlei Möglichkeit
bot. Aber Katharina war deswegen durchaus kein
stilles und frommes Kind; im Gegenteil! Stolz
und Eigensinn bereiteten ihr nicht geringe Schwierigkeiten,
in der Tugend voranzuschreiten. Voller Stolz
wies sie die Hand des um sie werbenden Herzogs
Maximilian zurück. Einen nicht regierenden
Fürsten wollte sie nicht heiraten! Aber genau so wenig
wollte sie von einer Vermählung mit dem König
von England etwas wissen. «Diesen werde
ich ganz gewiß ausschlagen», versicherte sie.
«Es wäre mir unmöglich, einen Mann
zu lieben, der im Kirchenbann ist, und Kinder
für die Hölle zu erziehen!»
Oft waren ihr Gedanken an ein Kloster gekommen,
die sie aber immer sogleich von sich
gewiesen hatte. Ja, gegen ihre sonstige Gewohnheit
unterließ sie es absichtlich, das Kreuzzeichen
zu machen, damit Gott ihr mit solchen Gedanken
fern bleibe. Schließlich konnte sie sich aber
dem Wirken der Gnade nicht mehr widersetzen.
Als sie ihren Entschluß zur Ausführung brachte,
gaben ihr mehr als 200 Edelleute der Stadt und
eine unzählige Schar von auswärts das Geleit.
Mit den Worten: «Auf Wiedersehen im Paradies»,
verabschiedete sie sich von der Welt. Dann
warf sie sich nieder und flehte: «Herr, lehre
mich Demut und Unterwürfigkeit, damit ich meinen
Kopf beuge,... alles andere muß vor der Tür
bleiben». Fünftausend Gewehrschüsse verkündeten,
daß sich hinter einer Prinzessin Farnese die
Klausurpforte geschlossen hatte.
Und dann begann sie ihren Weg zu Christus emporzusteigen,
um sich immer mehr der
Kreuzesliebe auszuliefern. Im Inneren erlebte
sie geheimnisvoll die Passion. Doch ihre Natur
schreckte noch vor dem letzten Opfer ihrer Freiheit
zurück. Sie zweifelte, daß ihre Kraft ausreiche,
sich durch das Gelübde, immer das Vollkommenere
zu tun, zu binden. Vor einer Ecce-Homo-Statue
brach ihr letzter Widerstand. «Siehe, meine
Tochter», schien ihr der Dornengekrönte zu sagen,
«wie ich hier gebunden bin, um Dich zu lieben!
Und Du willst, um Deine verderbliche Freiheit
zu genießen, die Fesseln dieses Gelübdes zurückweisen?»
Am 15. Okt. 1672 versprach sie Gott, immer das
zu tun, was sie als das Vollkommenere erkenne.
«Mit diesen Nägeln gekreuzigt, will ich mit
meinem Herrn am Kreuz sterben.» Sie war 46 Jahre
alt, als sie am 27. April 1684 ohne Todeskampf
und mit einem Lächeln auf den Lippen in die
ewige Heimat ging. In ihrer Lebensbeschreibung
finden wir einen interessanten Bericht, wie
man zu ihrer Zeit den Advent beging und wie
stark in ihrem Herzen die Liebe zum Jesuskind
glühte, weil sie dieses unmittelbar zum eucharistischen
Herrn führte.
Bei ihrem Eintritt in den Karmel hatte sie vom
Hof ein Jesulein mitgebracht, das in einem holzgeschnitzten
Bettlein unter einem brokatenen Himmel schlief.
Zur Adventszeit pflegte man nun im Kloster dieses
Kindlein (oder ein anderes) in ein kleines Körbchen
zu legen und es von Zelle zu Zelle zu tragen,
so daß es eine jede Schwester einen Tag und
eine Nacht bei sich behalten konnte. Sie durfte
diesen Tag im Stillschweigen verbringen und
es wurde ihr erlaubt, die hl. Kommunion zu empfangen.
Gleichzeitig erhielt sie eine Gefährtin, die
dasselbe Vorrecht genoß. In der Mittagsrekreation
wurde durch das Los bestimmt, wer am folgenden
Tag die «Ehrendame» des Jesulein sein sollte.
Katharina Farnese, die ein heißes Verlangen
nach der hl. Kommunion trug, bemühte sich nun
eifrig darum, zur Gefährtin ernannt zu werden.
P. Massimo erzählt, daß «sie sich inmitten der
Rekreation auf die Knie warf und mit der ihr
gewöhnlichen Anmut die Mutter Priorin anflehte,
die Gefährtin sein zu dürfen».
«Mutter», sagte sie, «die Ehrendame des hl.
Kindes braucht eine Hofdame.»
Aber die Priorin, die die Rekreation heiter
gestalten und die Nonnen erbauen wollte, bestimmte
eine andere zur Hofdame. Die eifrige Schwester
Theresia Margarita fügte darauf hinzu: «Mutter,
das hl. Kind bedarf auch einer Tafeldeckerin.»
Doch wieder wurde eine andere dazu ernannt.
Schwester Theresia verlor deswegen durchaus
nicht die Hoffnung und kam zu dem Schluß: «Liebe
Mutter, zu diesem hl. Mahl ist auch eine
Küchenmagd notwendig.» Und mit diesem Titel,
der ihrer demütigen Selbsteinschätzung am meisten
entsprach, siegte sie fast immer.
Der Brauch, im Advent das Jesuskind in die
Zellen der einzelnen Schwestern zu tragen
und der Auserwählten eine Gefährtin zu geben,
ist bis heute in vielen italienischen Karmelsklöstern
erhalten geblieben. Um den Nonnen zur Vorbereitung
auf das Kommen des Herrn zu helfen, ist es gleichzeitig
üblich, die von der sel. Maria von den Engeln
verfaßten Anmutungen und Gebete zu verwenden,
die sicher zu dem Tiefsten und Schönsten gehören,
was karmelitische Spiritualität über das Geheimnis
der Menschwerdung und der dazu erforderlichen
inneren Disposition zu sagen gewußt hat.
Maria von den Engeln
war am 7. Jan. 1661
in Turin als jüngstes Kind des Grafen Johannes
Donatus Fontanella geboren und erhielt in der
hl. Taufe den Namen Marianna. Mit großem Vergnügen
hörte sie den Erzählungen über die Wundertaten
der hl. Wüstenväter zu, mit denen das Dienstmädchen
das lebhafte Kind zu unterhalten suchte. Das
Leben dieser Heiligen nachzuahmen erschien ihr
das Edelste und Höchste. Es gelang ihr auch
tatsächlich, sich eine Tasche voll Brot und
etwas Wein zu beschaffen; sie wollte heimlich
mit ihrem kleinen Bruder in die Wüste ziehen
und dort für Christus, den Gekreuzigten, leiden.
Der Entschluß
konnte trotz aller Vorbereitungen nicht ausgeführt
werden, da die beiden Kinder am Morgen, der
für die Flucht vorgesehen war, selig in ihren
Bettlein schliefen!
Nicht ohne Schwierigkeiten seitens der Familie
gelang es Marianna, in das Karmelitinnenkloster
der hl. Christine in Turin einzutreten. Es blieb
ihr nicht erspart, den Kampf mit der Natur und
dem bösen Feind, der sie stark belästigte, aufzunehmen.
Aber sie kämpfte im Vertrauen auf den Herrn,
der ihr einmal ein großes Kreuz gezeigt hatte:
«Meine Tochter, hast Du den Mut, es zu umfassen?»
Sie glaubte sich mit seiner Hilfe stark genug.
Doch mußte sie einwenden:
«Mein Herr, Du bist aber nicht auf diesem Kreuz?»
Darauf erwiderte ihr der göttliche Erlöser:
«Das ist ein Zeichen, daß Du von nun an meine
fühlbare Gegenwart nicht mehr kosten wirst und
mich nicht anders als auf dem Weg des Glaubens
zu finden vermagst.»
Und doch sehnte sich ihre zarte, gefühlsbetonte
Natur danach, Ihn zu sehen. Einmal, am
22. Aug. 1688, war ihr die Gnade zuteil geworden,
Ihn als Kind in der hl. Hostie zu erblicken,
bevor sie kommunizierte, wo sie ihrem Beichtvater,
P. Lorenz Maria vom hl. Michael schrieb. Ihr
Verlangen, seine Gegenwart beglückend zu spüren,
war danach immer größer geworden. Aber statt
dessen umhüllte sie tiefe Nacht. Diesem
inneren Martyrium, entrangen sich wunderbar
tiefe Gedanken, um sich auf sein Kommen vorzubereiten.
Und sie erwartete Ihn im Geheimnis seiner heiligsten
Kindheit.
Sie war ganz und gar vom Mysterium der Menschwerdung
Christi, durchdrungen. Schon
in ihren Briefen trifft man immer wieder auf
Anspielungen an die Geburt des Herrn in der
Seele.
«Bemühen Sie sich, in Ihrem Inneren eine
heilige Krippe zu bereiten», schrieb sie
wahrscheinlich an die Karmelitinnen von Moncalieri,
«indem Sie sie mit hl. Betrachtungen errichten...»"
Und in einem Fragment eines Briefes heißt es:
«Ich will mein demütiges Gebet dem Jesuskind
in der Grotte zu Bethlehem zu Füßen legen, damit
Es durch das Übermaß seiner Gnade den Mangel
meiner Verpflichtungen ersetze. Möge Es meine
Andacht immer mehr erwärmen, während ich Ihnen
von der Güte des himmlischen Kindes die Fülle
jener Gnaden wünsche, die Sie bereits jetzt
auf Erden glücklich machen und die dereinst
im Himmel Ihre ewige Glückseligkeit sein werden.»
Wie gesagt hatte Maria von den Engeln eine Reihe
von Frommen Erwägungen und Anmutungen für die
Adventszeit verfaßt, die das warm pulsierende
Leben des Karmels widerspiegeln. Als Zeugnisse
der vom Glanz der Liebe überschatteten Erfahrung
einer Nonne führen sie unsagbar reich, beglückend
und umformend in das Mysterium der Menschwerdung
hinein.
Sie beginnt mit den Bedingungen, die für
das Kommen des Herrn notwendig sind, und
nennt an erster Stelle die Reinheit des Herzens.
«So sehr gefällt Gott die Reinheit, daß Er,
als sich unter Mitwirkung des HI. Geistes das
Geheimnis der Menschwerdung erfüllen sollte,
von einer jungfräulichen Mutter geboren zu werden
verlangte. Jedermann weiß, mit welcher Gnadenfülle
und mit welcher vorzüglichen Reinheit Gott den
Leib und die Seele Mariens ausstattete, um sie
zu einer würdigen Wohnung des Wortes, das in
ihrem keuschen Schoß Fleisch werden sollte,
vorzubereiten. Wenn wir daher Gott bitten wollen,
daß Er geistigerweise auch in unseren Seelen
geboren werde, so gibt es kein besseres und
geeigneteres Mittel, als nach der Reinheit des
Gewissens zu streben, jede Sünde aus dem Herzen
zu bannen und es für die Tugend zu öffnen. Wir
wollen uns deshalb in diesen heiligen Tagen
um die Abtötung unserer Sinne bemühen,
um eingezogen zu leben. Das wird uns in Stand
setzen, auch die innere Sammlung zu bewahren,
damit das heiligste, göttliche Kind in unseren
Herzen geboren werde. Wir dürfen nicht zulassen,
daß unseren Geist irgendeine Leidenschaft
beunruhige. Bei der Geburt Jesu wurde der Friede
verkündigt. Das menschgewordene Wort feiert
seine Geburt nur in einer Seele, die eine Wiege
der Gottinnigkeit und eine Stätte der Tugend
ist.»
Die Adventszeit
soll darin bestehen, sich in die Stille innerer
Sammlung zurückzuziehen, um dort, wo heiliger
Friede herrscht, sich auf die Gottesgeburt im
Herzen vorzubereiten.
Nur in eine reine Seele wird der Herr einziehen,
denn solange noch eine Anhänglichkeit an sich
selbst oder die Dinge der Welt den Menschen
ausfüllt, ist kein Platz für den göttlichen
Erlöser. Darum soll aufrichtige Reue das Herz
bewegen, sich ganz der Güte und Barmherzigkeit
des göttlichen Kindleins hinzugeben.
«Wie groß ist doch Deine Güte, o mein Jesus»,
ruft sie aus! «Obwohl ich Dich so sehr
beleidigt habe, wolltest Du doch den menschlichen
Leib annehmen und alle meine Sünden auf Dich
laden und mir die vollständige Verzeihung erlangen.
Da ich so viele Fehler begangen habe, verdiente
ich, Dich auf dem Thron der Gerechtigkeit als
meinen strengen Richter zu erblicken. Statt
dessen sehe ich Dich im Schoß Mariens als einen
Herrn voller Nachsicht für meine Sünden... O
göttliches Kindlein. Wie wünsche ich, Dich aufs
höchste zu lieben! Äh, könnte ich doch einen
tiefen und wahren Schmerz empfinden über alle
Beleidigungen, die ich Dir zugefügt habe! Würdige
Dich, meinem Herzen eine so innige Reue zu verleihen,
daß ich lieber sterben will als noch einmal
zu sündigen.»
Maria von den Engeln stellt als Beispiel zur
Nachahmung den Glauben des hl. Josef vor, der
von der Sehnsucht der Patriarchen genährt und
von der Liebe der Muttergottes erfüllt sein
muß. Sie läßt darum zuerst das Sehnen der alttestamentlichen
Hoffnung auf den Messias erklingen:
«Heilige Patriarchen! Mit eurem heißen
Flehen vereinige ich meine Tränen und rufe aus
der Tiefe meiner Seele mit aller Inbrunst: Öffnet
euch, ihr gütigen Himmel! Sendet mir von der
Höhe den erfrischenden Tau des Paradieses! Segenspendende
Wolken! Regnet mir im goldenen Naß meinen Herrn
herab, der der Gerechte ist. Tu dich auf, o
Erde! Eile dem Frühling voraus und gib mir den
Erlöser! O Berge, träufelt Süßigkeit! O Hügel,
Milch und Honig möge euch entquellen, damit
auf euren lieblichen Pfaden das Lamm Gottes
hernieder steige, um uns sein holdes, unendliches
Erbarmen zu bringen. O Sonne der Gerechtigkeit,
komm, erleuchte die Finsternis, die meinen Geist
umnachtet.»
Unserem heutigen religiösen Empfinden sind derartige
Liebesanrufungen durch ihre barocke Weitschweifigkeit
fremd geworden. Man muß deshalb versuchen, sie
aus der Geistigkeit ihres Zeitalters her zu
verstehen. Schließlich ist einem jeden Jahrhundert
eine charakteristische Anthropologie des übernatürlichen
Lebens eigen. Der barocke Mensch fühlte das
Bedürfnis, seine Gedanken in kunstvoll dahin gleitenden,
oft kein Ende findenden Sätzen zum Ausdruck
zu bringen und sich dem Spiel eines prunkvollen
Wortschatzes hinzugeben, der wie der Goldrausch
der Ornamente das marmorne Weiß seiner Altäre
bedeckt. Aber hinter allem diesen verbirgt sich
ein tiefes Eindringen in die Glaubenswahrheiten
und ein echtes Bemühen, ihrem Inhalt gemäß zu
leben. In diesem Sinn sind die Adventsanmutungen
der seligen Maria von den Engeln zu interpretieren.
Richtig verstanden enthalten sie viel Schönes,
das einen jeden zur religiösen Nachahmung anregen
kann. Warum sollte man nicht mit ihr «den
lebendigen Glauben und die großmütige Hoffnung
des hl. Josef, mit dem er auf die Geburt
des menschgewordenen Sohnes harrte», teilen?
«Er wußte, daß der Messias der erwartete Erlöser
der Völker sei. Mit welcher Inbrunst
und Ehrfurcht redete er mit der seligsten Jungfrau
über das unaussprechliche Geheimnis der Menschwerdung
des Wortes! Und doch konnte er davon nicht sprechen,
ohne Tränen herzinniger Rührung zu vergießen.
Mit den Augen des Glaubens und in Ehrfurcht
und Anbetung betrachtete er das göttliche Kind,
das seine jungfräuliche Braut Maria unter dem
Herz barg. Er bekannte Es als das Wort des Vaters,
als das Ebenbild seiner Güte, als die Gestalt
seines Wesens, als den Abglanz seiner Herrlichkeit.
Immer heißer seufzte er nach der Geburt des
Heilandes, der aus Maria geheimnisvolle Strahlen
entsandte, die sein Herz mit tausend Gefühlen
der Andacht und Liebe durchdrangen. O wie sehr
mußte sich bei diesen verborgenen Gunstbezeugungen
im Bräutigam Mariens der Wunsch steigern, auch
mit leiblichen Augen in das hoheitsvolle Antlitz
des Jesuskindes, des Friedensfürsten zu schauen,
der die ganze Erde beglücken wollte! Wie ward
er im Geiste gedrängt, einen Gott anzubeten,
der seine unermeßliche Majestät in Windeln einhüllen
wollte und in die Welt kam, um sie zu erlösen
und durch seine Geburt allen Menschen das ewige
Heil zu bringen!
O würdiger Bräutigam
der Jungfrau!
Wie sehr wünsche ich, so glühend wie Du im Herzen
zu empfinden und von dem Verlangen entflammt
zu werden, daß mein sehnlichst erwarteter Bräutigam
komme, um mich mit seiner Geburt heimzusuchen!
o getreuester Beschützer Jesu! Teile mir etwas
von Deinem Glauben mit, auf daß ich das hochheilige
Geheimnis der Menschwerdung so innig wie Du
umfasse!... Ach komme, mein geliebtester Jesus!
Komm und laß nicht länger auf Deine gnadenreiche
Geburt warten!»
Noch wärmer und drängender werden die Worte
der großen Karmelitin, wenn sie mahnt, Maria
zu betrachten, wie sie «vom Engel als Mutter
des menschgewordenen Wortes begrüßt wurde und
der Gnade entsprach. Mit der Zärtlichkeit einer
Mutter war sie für das Heil der Menschen besorgt.
Wer vermag es auszudrücken, mit welch glühenden
Anmutungen, reichlichen Tränen und unausgesetzten
Seufzern sie um die Ankunft des Sohnes Gottes
flehte, den sie in ihrem Schoß empfangen hatte!
Ganz in das große Geheimnis versunken, das sie
in sich barg, sprach sie mit dem hl. Josef von
nichts anderem als von Gott, der sie erfüllte,
und von ihrer Sehnsucht nach dem Erlöser. Sie
seufzte nach der Vollendung der Tage und sah
mit höchstem Jubel der Stunde entgegen, an der
sie, ein Geschöpf, den Schöpfer auf die Welt
bringen sollte. Mit heißem Verlangen harrte
sie des Augenblickes seiner Ankunft, wo die
in Sklavenketten schmachtende Welt das unermeßliche
Glück genießen sollte, ihren Befreier mit so
unendlicher Barmherzigkeit auf Erden einziehen
zu sehen.
Du Braut des HI.
Geistes!
Wie viele Gnaden verdanke ich deiner makellosen
Reinheit, deiner erhabenen Heiligkeit und dem
Verdienste Deines Gehorsams, als du dich dem
Worte des Engels unterwarfst und dich in deiner
Demut bereit erklärtest, daß sich in dir das
hohe Geheimnis der Menschwerdung des Wortes
erfülle... Ich sage dir Dank, daß du Ihn zum
besten meiner Seele durch neun Monate beherbergt
und behütet hast. Dir waren die Freuden einer
Mutter mit den glorreichen Vorzügen einer Jungfrau
beschieden. Ich erkenne und bekenne, daß du
voll zärtlichsten Erbarmens gegen mich bist.
Alle Gedanken deines Geistes zielen darauf hin,
mich der glückseligen Ankunft des Allerhöchsten
teilhaftig zu machen... Komm, du Gnadenvolle,
meinem demütigen und gerechten Verlangen zu
Hilfe, damit es mir bald vergönnt sei, meinen
geliebten Jesus in mein Herz zu schließen.»
Es war schon seit der Zeit der hl. Theresia
von Avila Gewohnheit des Karmels, sich durch
«Akte» auf das Weihnachtsfest vorzubereiten.
Maria von den Engeln hatte nun diese frommen
Anmutungen für ihre Mitschwestern und geistlichen
Töchter in Turin und in der jungen Stiftung
in Moncalieri verfaßt, um die bereits lieb gewonnene
Gewohnheit mit einem neuen Sinn zu durchdringen
und sie mit neuer Frische zu beleben. Sie wollte,
daß eine jede ihrer Karmelitinnen empfänglicher
für den Lichtstrahl von oben her werde und sich
der Gnade der Gottesgeburt im Herzen immer mehr
erschließe. Jesus war in die Welt gekommen,
um den himmlischen Vater zu verherrlichen. Darum
hielt sie die Schwestern an, sich zu bemühen,
«Ihm in allen Handlungen zu gefallen und seine
Tugend nachzuahmen». Das Schweigen des lebendigen
Wortes im Schoß der Jungfrau sollte sie daran
erinnern, die «Zunge abzutöten» und aufzumerken,
«kein Gott beleidigendes Wort» auszusprechen.
Die Menschwerdung Christi sollte sie lehren,
daß Gott sich nicht die Freuden, sondern das
Leid erwählte. Darum sollten sie seinem Beispiel
folgen und «nicht mehr so nachgiebig gegen sich
selbst und gegen die eigene Bequemlichkeit sein».
Sie sollten von der unendlichen göttlichen Majestät,
die sich nicht scheute, Fleischgestalt anzunehmen,
die Demut lernen. Und die Einsamkeit des Jesuskindes
sollte sie dazu anspornen, «alle überflüssigen
Gespräche und Unterhaltungen zu fliehen».
Nur ein gesunder Wirklichkeitssinn, der nichts
mit religiöser Romantik und süßlicher Schwärmerei
zu tun hat, konnte diese Zeilen hervorbringen.
Die Geburt des Herrn nimmt im Karmel einen zentralen
Platz ein. Wenn sich auch zur Advents- und Weihnachtszeit
Kripplein und Jesuskindlein in Bildern und Statuen
häufen, so sind sie doch nur ein äußeres Symbol
für die große Wirklichkeit der Gottesgeburt
in jenem unsichtbaren Reich der Seele, das allein
vor Gottes Augen offen liegt. Alle äußeren
Akte und Gebräuche dienen dem Ziel, die Liebe
zu vollenden, mit der die Ankunft des Herrn
erwartet werden soll.
Im Karmel von Florenz lebte eine Heilige,
Schwester Theresia Margarita vom heiligsten
Herzen, die sich zum Zeichen ihrer Liebesbereitschaft
eine kleine Wachsstatue einer Karmelitin angefertigt
hatte, die auf einen von Kreuzen bedeckten Weg
dem Jesuskind entgegeneilte. Sie wollte in dieser
Statue ein Bild ihrer Seele sehen, die unentwegt
dem Herrn entgegen schritt und mutig den Pfad
des Kreuzes einschlug. Mit ihrem eigenen
Blut hatte sie den Vorsatz geschrieben:
«Jesus, mein Vielgeliebter, ich verspreche Dir,
ganz Dein zu sein, und möge dies noch so viel
Widerwillen kosten.» Und das versuchte sie zu
verwirklichen, indem sie das einzige Motiv ihrer
Handlungen in der Liebe sah.
Das erste Weihnachtsfest, das sie im Karmel
verbringen durfte, bedeutete für sie eine
Reihe unvergeßlicher Freuden. Schon der Advent
war im Karmel zu Florenz von einer wundersamen
Vorbereitung auf das Kommen Jesu erfüllt. Wie
erzitterte ihr Herz in heiliger Erwartung, wenn
an jedem Abend eine Schwester, der sogenannte
«Prophet», in einer geistlichen Sentenz der
Sehnsucht der Menschheit nach dem Messias Ausdruck
verlieh, oder wenn an den Adventssonn- tagen
eine andere Schwester, als Hirtin bezeichnet,
einige Gebete zur Muttergottes sprach, die tiefe
Gedanken über das Menschwerdungsgeheimnis enthielten!
Und wie ergriffen war sie, als sie in der Stille
der Weihnachtsnacht durch freudigen Hirtengesang
aufgeweckt und zur Matutin gerufen wurde! Als
in der Hl. Nacht die Weihnachtslieder am Kripplein
erklungen, kannte ihre Seligkeit keine Grenzen,
und ihre silberhelle Stimme jubelte voll innerer
Glückseligkeit, die ihr Herz erfüllte. Hatte
sie nicht mit den anderen Novizinnen das Kripplein
bereitet? Und nun lag das neugeborene Kind da,
und sie durfte Es anbeten und lieben!
«Der Gedanke, daß Gott sich um unserer Liebe
willen verdemütigt hatte, bewegte tief ihr Inneres;
das zarte Kind auf dem rauhen Stroh übte eine
so starke Anziehungskraft auf
ihr unschuldiges Herz aus, daß sie oft in glühende
Ausrufe unbeschreiblicher Zärtlichkeit ausbrach.»
Noch heute zeigt man das Jesulein, das die
Heilige so innig geliebt hatte. Es ist eine
in Brokat gekleidete Wachsstatue mit goldenen
Locken und einer Krone, die auf einer kleinen
Matratze ruht. Die Großherzogin Vittoria della
Rovere hatte sie einige Jahre nach der Gründung,
etwa zwischen 1630-1647, dem Kloster geschenkt.
Die Chronik des Florenzer Karmels erzählt, daß
dieses Jesulein 1717, als Es die Novizin
Schwester Anna Teresa von der hlst. Konversation
glühend gebeten hatte, heilig zu werden, bitter
geweint habe. Auch in späteren Jahren, wenn
der Kirche Gefahr drohte, sahen die Nonnen das
hl. Kind weinen.
Als sie 1918 die Weihnachtsnacht im «Exil» verbrachten,
da die Regierung das Kloster
für Kriegsbeschädigte in Beschlag genommen hatte,
weinte Es ebenfalls, und 1930, während eines
Triduums zu Ehren der hl. Theresia Margarita,
sahen viele Leute Tränen in seinen Äuglein.
Allen sichtbar trocknete sie Msgr. Pierazzoli
mit einem Tüchlein ab.
Wie oft hatte die Heilige in die großen, Erstaunen
und Erwartung verratenen Augen dieses Jesulein
geschaut! Was mag dieses Kindlein nicht alles
der nach hohen Idealen strebenden Novizin gesagt
haben! Sicher hatte sie bei Ihm gelernt, nur
der Liebe und Hingabe zu leben. Und was hätte
sie nicht alles für dieses Kindlein tun wollen!
An einem Weihnachtsfest ließ sich kein Prediger
finden, der den Karmelitinnen das Menschwerdungsgeheimnis
dargelegt hätte. Theresia Margarita bat daher
ihre Mutter Magistra um Erlaubnis, ihren Bruder
Franz Xaver, der sich damals im Kollegium Cicognini
in Prato befand, zu bitten, ihr eine kleine
Weihnachtspredigt zu verfassen. Sie schrieb
ihm, daß sie beabsichtige, diese am Weihnachtsabend
ihren Mitschwestern vorzulesen. Ihr Bruder war
gern bereit, ihr die Gefälligkeit zu erweisen,
wofür sie ihm mit zwei selbstgemalten Bildchen
dankte. Dann wurde der Kommunität verkündigt,
daß man eine Weihnachtspredigt am HI. Abend
erwarten dürfe. Sie hatte sich mit ihrem weißen
Mantel bekleidet vor dem Kripplein niedergekniet.
Nach einem kurzen Gebet begann sie die Predigt
vorzulesen.
Es war eine Einladung an ihre Mitschwestern,
sich in Gedanken zur Grotte zu begeben, wo die
«Güte des Herrn» erschienen war und wo sich
das Wort Gottes derart verdemütigt hatte, daß
Es unsere menschliche Gestalt annahm und uns
in allem gleich wurde. Dann sprach sie von der
Muttergottes und ihrem Leid, daß sie dem armen
kleinen Körper nur ein wenig Heu bieten konnte
und daß sie der großen Kälte, die das Kindlein
bitter fühlte, nicht abzuhelfen vermochte. Welch
ein Beispiel der Armut, des Opfers, der Losschälung
von allem hat uns das Jesuskind gegeben! Und
welch ein Vorbild ist Es uns in seiner Demut!
Sie war so tief bewegt von diesen Gedanken,
daß heiße Tränen sich mit ihrer himmlischen
Freude vermischten. Wie tief verstand sie doch
ihren Herrn und Heiland zu lieben!
Im Karmel von Florenz befindet sich noch ein
zweites barockes Jesulein, das ungefähr um 1721
von der Prinzessin Violente Beatrix von Bayern,
der unglücklichen Gemahlin Ferdinand II. de
Medici, Großherzog von Toscana, dem Kloster
geschenkt wurde. Kindliche Liebe hat Ihm den
Namen «il Celeste Fratellino», das himmlische
Brüderlein, gegeben. Obwohl die Statue keinen
besonderen künstlerischen Wert hat, bietet sie
dennoch dem Historiker einen interessanten Beweis,
daß sich gerade im Karmel von Florenz die spanische
Tradition am reinsten weiterentwickelt hat.
Viele der Advents- und Weihnachtsgebräuche,
wie sie im Zeitalter des Barock im italienischen
Karmel gepflegt wurden, sind bis in unsere Gegenwart
erhalten geblieben. So wie die hl. Theresia Margarita
hat eine jede Karmelitin in Florenz ein Jesulein
in ihrer Zelle,
um ständig an das Mysterium der Gottesgeburt
und den Weg des Kindseins erinnert zu werden.
In Oberitalien und in Rom lebt der Brauch fort,
zur Adventszeit das Jesulein von Zelle zu Zelle
zu tragen, und Ihm durch das Los eine Ehrendame
und eine Gefährtin zu erwählen. Selbst im Internationalen
Kolleg der Unbeschuhten Karmeliten in Rom war
es üblich, daß der P. Rektor während der Novene
einem der jüngsten Studenten, der vor der geöffneten
Zellentür kniend wartet, ein Jesuskind in die
Arme legte. Alle diese Bräuche zeigen die Liebe,
mit der der Karmel für das Geheimnis der Menschwerdung
offen stehen will, um vom göttlichen Kind die
Reinheit und Unschuld zu erlernen.

Die Andacht zum Jesuskind im italienischen Barock
Wir sind der Andacht zum Jesuskindlein im italienischen
Karmel im17. und 18. Jh. nachgegangen, wie sie
unmittelbar am Beispiel einiger auserwählter
Gestalten sichtbar wurde. Doch um ein vollständiges
Bild zu gewinnen, müssen wir wenigstens einen
flüchtigen Blick auf die Werke zweier typischer
Vertreter des Karmelitenordens aus jener Zeit
werfen, so weit sich diese unserem Thema zugewendet
haben.
Wie bereits am Anfang dieses Abschnittes erwähnt
wurde, verfaßte P. Johannes Maria hl. Josef
(Centurioni) in der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts ein Werk in sechs Bänden, die Essercitii
spirituali, welche er der Serenissima Donna
Margherita di Toscana, Madama di Parma, gewidmet
hatte. Der zweite Band, der sich mit Übungen
zur Vorbereitung auf die Geburt des Herrn im
menschlichen Herzen oder mit Übungen um die
Gegenwart des Jesuskindes nicht zu verlieren
beschäftigt, offenbart eine feine Gabe, in das
Geheimnis des Inkarnationsgeschehens einzuführen
und es in seiner vollen Schönheit auf das Innenleben
einwirken zu lassen. Ungefähr ein Jahrhundert
später wurde in Mailand eine Sammlung von Meditationen
zu allen Tagen und Festen des Kirchenjahres
gedruckt, die ebenfalls aus der Feder eines
Karmeliten, P. Johannes Thaddäus vom hl. Johannes
Baptista" stammte und bis heute einmalig in
ihrer Art geblieben ist.
P. Johannes Maria
vom hl. Josef
hatte 1605 sein
Noviziat in Rom unter der Leitung des ehrw.
P. Johannes von Jesus Maria beendet und von
diesem eine authentisch theresianische Bildung
erhalten. Als P. Johannes zum Ordensgeneral
erwählt worden war, schickte er den begabten
jungen Ordensmann als Theologieprofessor nach
Polen. Später wirkte er als Prior in Köln und
erwarb sich als Provinzial und Generalvisitator
der deutschen Provinz außergewöhnliche Verdienste
für die Verbreitung der Reform. Nicht nur seine
Ordensoberen, sondern auch Kaiser Ferdinand
II. wußte ihn mit Hochschätzung zu umgeben.
1632 ernannte ihn das Generalkapitel zum Generalprokurator
des Ordens. Zwei Jahre später starb er in Rom.
Als Verfasser zahlreicher theologischer und
aszetischer Schriften gehört P. Johannes Maria
vom hl. Josef in die für das beginnende 17.
Jh. charakteristische religiös-geistige Strömung,
der es um eine praktische Hilfsleistung im übernatürlichen
Leben ging und die das Gebot der Nachfolge Christi
in ihren, für alle erreichbaren Möglichkeiten
herauszustellen versuchte. Schon in diesem soziologischen
Ziel mag zum Teil eine Begründung liegen, warum
er in seinem «Exerzitienbuch», wenn dieser Ausdruck
erlaubt ist, das Kind Jesu und die Nachahmung
seiner Tugenden so eingehend behandelt. Aber
es ist sicher nicht der entscheidende Grund
gewesen. Es scheint uns wahrscheinlicher, daß
er ein inneres Zeugnis zu der ihm über die Belehrungen
des ehrw. Johannes von Jesu Maria zugekommenen
theresianische Tradition ablegen wollte, die
sich zwar zu seiner Zeit in Italien weniger
durch «Dokumente» als durch
«Monumente» ausdrückte, d. h. durch zahlreiche
Statuen des Jesulein und besondere Andachtsformen
und Bräuche in der Weihnachtszeit.
P. Johannes Maria hat in dem inneren Offensein
für das Kommen des göttlichen Kindes eine wesentliche
Disposition zur Entfaltung des religiösen Lebens
und zur Vertiefung der individuellen, christozentrischer
Frömmigkeit gesehen. Das wird schon durch einen
Vergleich mit den Themen der geistlichen Übungen
in den anderen fünf Bänden deutlich. In Vorbereitung
auf das Fest der Himmelfahrt Mariens spricht
der erste Band von Übungen, die die Seele in
der Liebe und Nachahmung der seligsten Jungfrau
erneuern sollen. Der dritte Band will eine Anleitung
zu Profeßexerzitien geben, der vierte, um sich
in der Demut zu vervollkommnen, der fünfte ist
für Ordensobere geschrieben und der sechste
wurde ausschließlich Übungen zur Erwerbung des
Stillschweigens zugedacht.
Charakteristisch für die persönlich gestaltende
Begabung dieses Karmeliten ist der äußere
Aufbau seiner Exerzitien, der sich in allen
sechs Bänden auf gleiche Weise wiederholt. Das
Thema wird auf 10 Tage mit jeweils 4 Betrachtungen
oder «Stunden» verteilt. So handelt es sich
etwa in der ersten Stunde um «Anregungen, die
das Herz aufflammen lassen, um das Jesuskind
zu empfangen», in der zweiten geht es um die
«Früchte, die mit der Ankunft des Jesuskindes
verbunden sind», in der dritten wird eine «Erneuerung
der Seele» angestrebt und in der vierten sollen
alle Bemühungen unter einem bestimmten Patronat
ausklingen, sei es des hl. Josef, der sel. Jungfrau,
des Hl. Geistes, des Gottessohnes oder des Vatergottes
selbst.
In den einzelnen «Stunden» begegnen wir in unzähligen
Variationen der liebenden Sehnsucht
der Seele nach dem Kommen des göttlichen Kindes,
das mit einzigartiger Innigkeit des Gefühls
in der Fülle seiner göttlichen Schönheit, Liebenswürdigkeit,
Güte und Barmherzigkeit geschildert wird. «Du
bist in deiner Schönheit lieblicher als die
Menschenkinder, denn deine Gnade ist ausgegossen
auf deine Lippen.» «Gott hat in diesem Kind
alle seine Güte und Barmherzigkeit zu den Menschen
gezeigt.» «Der Reichtum himmlischer und ewiger
Güter kennt im Kind Jesu keine Grenzen, denn
Es ist die unerschöpfliche Quelle aller Güter.
Wenn das kleine Kind sie austeilt, wird Es deswegen
nicht ärmer. Es besitzt sie immer unzählig
und überströmend.»
Von diesen Gedanken ausgehend, folgert P. Johannes
Maria: Bei seiner Geburt hat Jesus
nun das Verlangen verwirklicht, seinen Reichtum
mitzuteilen. Noch ein kleines Kind, unfähig
zu sprechen und die Seelen anzurufen, ist Er
zu uns herabgestiegen und hat sich an einem
Ort geoffenbart, der allen leicht zugänglich
ist, damit sie seinen Reichtum in sich aufnehmen
und aus ihm Nutzen ziehen können. „Ich habe
mich von denen finden lassen, die mich nicht
gesucht haben» (Rom. 10,20). «Sein Kommen genügt
ein einziges Mal, damit dich das Jesuskind in
einem Augenblick so reich macht, daß du in aller
Ewigkeit nicht mehr zu deiner bisherigen Armut
zurückkehrst.»
P. Johannes Maria fragt: «Mein liebes Kind,
weshalb bist Du von so weit hergekommen und
was willst Du hier bei uns? Muß man da nicht
wie Joseph antworten: „Ich bin gekommen, um
meine Brüder zu suchen; sag mir, wo sie ihre
Herden weiden"?»
|
«Wer ist dieses Kind?
- Ein unendlich
großer Gott.»
«Für wen ist Es gekommen?
- Für die Schuldbeladenen,
undankbaren und schlechten
Menschen.»
«Welcher Beweggrund hat Es zu einem solchen
Opfer veranlaßt?
- Einzig die reinste
Liebe und die allergrößte Selbstverleugnung.» |
Um zu einer wahren, hingebenden Liebe zu dem
göttlichen Kindlein anzuregen, schildert
Es uns P. Johannes Maria in verfeinerten Bildern,
die etwas unsagbar Zartes aushauchen.
«Betrachte die alle Maße übersteigende Liebenswürdigkeit
deines Geliebten. Bewundere seine kleinen Äuglein,
die sich kaum dem Lichte geöffnet haben. Wenn
aus ihnen auch nur ein einziger Blick auf dich
fällt, wird er dich mit Trost und himmlischer
Seligkeit erfüllen. Ein Blick dieses Kindes
genügt, um aus einem Verbrecher einen Gerechten
zu machen. Die Süßigkeit seines Blickes
ist derart, daß keiner je seinen Freund mit
so viel Liebe angeschaut hat, wie Jesus, wenn
Er sein Auge auf einem seiner Kinder und Diener
ruhen läßt.
Betrachte sein Antlitz. Es sind so zart, so
fein, so wohlgeformt, so strahlend von dem lieblichen
Lächeln, das auf seinen Purpurlippen spielt,
daß alles an Ihm, selbst sein erstes Weinen,
anbetungswürdig wird.
Gehst du einem jeden dieser Schätze seiner Liebenswürdigkeit
nach, so wirst du, voller Entzücken über so
viel Anmut, ihnen nicht lange widerstehen können.
Du wirst versuchen, Jesus zu lieben, weil Er
so unendlich liebenswürdig ist.»
Die zeitliche Geburt Jesu ist nur ein schwacher
Abglanz seiner ewigen Geburt im Schoß des dreifaltigen
Gottes. «Die verlassene Grotte, in der Er auf
Erden erschienen war, bildet nicht seine erste
Wohnstätte.» Sein wahrer und unergründbarer
Wohnsitz ist in den Flammen der Gottheit verborgen.
Dort, in einem für unser Auge unwahrnehmbaren
Lichte, geht der Sohn auf dem Weg der Zeugung
aus dem Vater hervor als der von Ewigkeit her
gedachte Gedanke des Vaters.
Vor diesem unfaßbaren
Geheimnis müssen wir in tiefer Anbetung niederfallen
und den himmlischen
Vater, der uns nach seinem Bilde geschaffen
hat, bitten, Er möge uns verleihen, Ihm nachfolgen
zu dürfen, indem wir Jesus unser Herz zu seiner
Geburt öffnen und Ihn zum fortwährenden Gegenstand
unserer Gedanken und unserer Liebe machen. Und
P. Johannes Maria betont:
... Allein dort, in dem Heiligtum deiner Gedanken,
in dem absoluten Schweigen, wirst du das feine
Murmeln des ewigen Wortes hören. In jener Atmosphäre
des Schweigens wird sich wie in der stillen
Nacht von Bethlehem ein großes Licht entzünden
und der Gott der Wahrheit wird in deinem Herzen
geboren werden.
«Du hast dabei nur eines zu tun, und das ist:
dich über dich selbst und über alles Existierende
zu diesem höchsten Gut zu erheben. Jesus gegenüber
bleibt alles geschaffene und mögliche Sein nur
ein reines Nichts. Lasse also das Nichts,
um das Alles zu besitzen.»
Nicht weniger tiefe Gedanken erschließen die
Meditationen des P. Johannes Thaddäus.
Sie beginnen mit der Mahnung, «vom Schlaf aufzustehen,
um das göttliche Licht zu empfangen. Die Sonne
der Gerechtigkeit ist ihrem Aufgang nahe und
will das Herz durchlichten und den Geist entflammen.
Gott will... in der Liebe eines zarten und holdseligen
Kindleins in dein Herz einziehen und dir das
Heil bringen. Lebst du fromm und gerecht, dann
wirst du nicht enttäuscht werden in deiner Erwartung
der Geburt des Gottessohnes in deinem Herzen.
Rorate caeli desuper; et nubes pluant Justum.
[Tauet Himmel, Wolken regnet den Gerechten.]
Jeder Atemzug sei dir ein sehnsuchtsvoll einladender
Ruf zum himmlischen Kind. Aber um seine Ankunft
wirklich von Herzen zu verlangen, muß dein Herz
immer bei Ihm sein. Es ist ja das wesenhafte
Bild des Vaters, die Fülle der göttlichen
Weisheit, und du darfst in deinem Herzen eine
solche Weisheit und Majestät geistig geboren
empfangen! Wiederhole darum tausendmal am Tag:
Regnet ihr Himmel in mein so trockenes Herz
einen fruchtbaren Regen. Wünsche und wiederholte
Bitten genügen nicht, um Gaben vom Himmel zu
erhalten, wenn nicht zugleich alle Hindernisse
beseitigt werden, die ihnen entgegenstehen.
Überdenke deshalb deine Unvollkommenheiten und
suche ihren Ursprung.
Veni Domine!
Das geistige Kommen
Jesu Christi in die Seele verwirklicht sich
als zarte Vereinigung mit Ihm. Der Herr des
Friedens soll in der Seele geboren werden. Seine
Geburt bringt den Frieden mit sich, von dem
ein Übermaß der Gnade ausgeht. Komm, eingeborener
Sohn Gottes und suche Dir eine Wohnstätte in
diesem Sünder! Befreie meine Seele von allem,
was sich gegen Deine Güte und Weisheit auflehnt.»
Je näher das Weihnachtsfest rückt, umso drängender
sollen die Bitten werden, daß Gott mit seinem
Kommen unser Inneres tiefer erfasse und in die
Innigkeit seiner Liebe tauche. Wieder ist es
eine Reihe von Meditationen, die diesem Verlangen
Ausdruck verleihen. Am besten wird es sein,
wenn sich der Betende «geistig in das Herz Mariens
versetzt, um dort mit ihr ganz zart das göttliche
Wort einzuladen, als unser Erlöser geboren zu
werden». Wenn die Hl. Nacht angebrochen ist,
betrachte «die seligste Jungfrau, wie sie in
sich eingeht, da sie ihre Stunde nahe weiß.
Sie erhebt ihren Geist zu Gott. In tiefe Beschauung
versunken, schenkt sie zur Mitternacht auf wunderbare
Weise dem Eingeborenen des Vaters das irdische
Leben. Unverzüglich kniet sie vor Ihm nieder,
küßt demütig seine Füße und betet Ihn als ihren
Gott an. Darauf nimmt sie Ihn in die Arme, wickelt
Ihn in Windeln und legt Ihn in die Krippe auf's
Heu.
Bete auch du das Kind in der Krippe an, das
dir als Erlöser und Meister gegeben wurde, wie
Isaias sagt: Parvulus natus est nobis, et
filius datus est nobis. [Ein Kind ist uns
geboren ein Sohn ist uns geschenkt!] Betrachte
Jesus, um von Ihm zu lernen, wie du in seiner
Liebe wachsen kannst. Wenn du nicht Tag für
Tag Fortschritte machst, darfst du nicht glauben,
Ihm zu folgen oder Ihn nachzuahmen. Eile darum
zum göttlichen Kind und bitte Es voller Schmerz
über deine Nachlässigkeiten, deinen Willen mit
seinem kostbaren Blut zu stärken.» P. Johannes
Thaddäus zeigt nun das Jesuskind, wie Es als
Spender aller Gnaden in unser irdisches Dasein
eintritt und in den Menschen, «die guten
Willens sind», ein neues Verhältnis
der Liebe entzündet.
«Am Fest der Beschneidung sollst du dich
fragen, ob dir das göttliche Kind einen wirksameren
Ausdruck seiner zärtlichen Liebe geben konnte,
als jetzt, da Es kaum geboren war? Schau, wie
Es dich liebt! Seine Liebe zu dir kostet Es
sein Blut. Sie verlangt daher von dir nichts
anderes als dein Herz. Dieses erwartet das Jesuskind
von dir, doch nicht nur mit liebevollen Worten,
sondern mit Beweisen eines wahrhaft Liebenden,
der beginnt, Ihm entschlossen seine menschlichen
Freuden aufzuopfern.
Du darfst also keine Gelegenheit zurückweisen,
sei sie auch noch so schmerzlich für dich, um
Jesus seine Liebe zu vergelten. Da Er so große
Eile hatte, zu leiden, und schon acht Tage nach
seiner Geburt für dein Heil Wunden empfing,
so nimm auch du dir vor, es nicht mehr zu verweigern,
etwas für Ihn zu erdulden. Wende dich unverzüglich
zum Jesuskind und bitte Es um seines kostbaren
Blutes willen, deinen Geist zu erleuchten und
deinen Willen zu stärken,
um mit Ausdauer Verdemütigungen und die gewöhnlichen
Leiden auf dich zu nehmen. Sie werden dir ewige
Freude und Herrlichkeit bringen.»
Eine besonders feine Art der Beobachtung beweist
P. Johannes Thaddäus, wenn er vom
Einfluß der göttlichen Kindheit auf unser Leben
und dem Beispiel des Jesusknaben spricht. Vor
allem will er zu einer Vervollkommnung in der
Liebe führen, die die Bedingung für einen jeden
Fortschritt im übernatürlichen Leben bildet.
Wenn dann «das Kreuz auf deine Schultern geladen
wird, sei es von liebender oder gleichgültiger
Hand, dann wirst du es immer als vom Herrn kommend
empfangen und aus Liebe zu Ihm leiden, der für
dich unendlich Schwereres ausgestanden hat.
Besonders am Fest der Beschneidung des Jesuskindes,
das mehr als ein jedes andere Kind den Schmerz
des Schnittes gefühlt hat, wirst du lernen,
immer die Erfüllung des göttlichen Willens über
alle anderen Dinge zu stellen, mögen sie dir
auch noch so lieb sein. Der himmlische Vater
will von dir um den Preis einer jeden Selbstgenügsamkeit
geehrt werden.»
Das Beispiel «der
Hl. Drei Könige
wird dich zu eilfertigem
und schlichtem Gehorsam der göttlichen Stimme
gegenüber anspornen. Vidimus et venimus. [Wir
sahen den Stern und sind gekommen IHN anzubeten.]
Aber sie trafen das göttliche Kind nicht außerhalb
des Stalles an, sondern darin, nachdem sie eingetreten
waren. Willst du Jesus finden, so gehe also
in dich selbst ein, wo Er gegenwärtig ist.
Er
erwartet dich dort, in dir, nicht außerhalb
von dir,
wenn auch deine Seele noch so arm und nackt
ist, ganz unwürdig, um Jesus als Herberge zu
dienen. Hier wirst du Ihn jedesmal antreffen,
wenn du Ihn in Demut und im Glauben suchst.»
Das «Wachsen und Reifen» des Jesuskindes soll
daran erinnern, daß das Wunder der
Gottesgeburt im Herzen sich in einem Geschehen
vollzieht, das in der Stille des Inneren verborgen
bleibt. P. Johannes Thaddäus weiß, daß man bei
Jesus, wenn auch die Schrift sagt, daß «er an
Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen
zunahm», nicht von einer Entwicklung im Sinn
eines schrittweisen Zunehmens und Wachsens zu
etwas Vollkommenerem hin sprechen kann. Darum
deutet er dieses Wachsen und Reifen des Herrn
in seiner innersten Beziehung zum Vatergott.
Und hier nimmt er den Ausgangspunkt für seine
Meditation, die zu einer «Heiligkeit auffordert,
die ganz im Inneren ist. Um sie mußt du dich
vor allem bemühen. Wie der Sohn Gottes,
der in seinem Äußeren sich nicht von den Ihm
gleichaltrigen Kindern unterschied, sollst auch
du allen äußeren Sonderlichkeiten entfliehen,
die gewöhnlich der Eitelkeit entspringen.
Der Fortschritt Christi vollzog sich erst vor
Gott und dann vor den Menschen. Gib acht, diese
Ordnung nicht umzustellen, indem du versuchst,
zuerst den Geschöpfen und dann dem Schöpfer
zu gefallen.»
Das menschliche Auge wird ein solches Wachsen
im Inneren zunächst kaum erfassen.
Aber Gott, dem nichts verborgen bleibt, sieht
in das Herz und erkennt, wie sich dort das lebendige
Kindsein Jesu eingeprägt hat und zu einem neuen
Dasein führt. Das Leben in Jesus Christus ist
Zunehmen in seiner Gnade und Reifen in seiner
Liebe.
P. Johannes Thaddäus will mit seinen Meditationen,
die alles enthalten, was die Spiritualität des
italienischen Karmels im 17. und 18. Jahrhundert
über die Gottesgeburt im Herzen zu sagen wußte,
zu einem befruchtenden Nachdenken und lebendigen
Erfassen des Inkarnationsmysteriums anleiten.
In innerem Offenstehen für das Eigentliche soll
der einzelne es nicht unterlassen, das Jesuskinds
unentwegt zu bitten, zu Ihm zu kommen und in
Ihm zu walten, damit sich das Leben immer mehr
in der Nachfolge des seinigen erfülle.
Er darf überzeugt sein, sagt uns P. Johannes
Thaddäus, daß das göttliche Kind nicht auf sich
warten läßt, sondern sich bald innerlich bemerkbar
machen wird, wenn Es im Glauben und in der Liebe
gesucht und um seine Ankunft angefleht wird.
Seine Meditationen haben mehr als zwei Jahrhunderte
als Betrachtungsanleitung für das geistliche
Leben der Karmeliten gedient. Auch heute
werden sie durch ihren Reichtum und in ihrer
Schönheit wesentlich dazu beitragen können,
das Geheimnis der Kindheit so zu verstehen,
wie es das Gebet des Karmels durchzieht und
in seinem kontemplativen Leben stets neu aufleuchtet.

DAS JESULEIN VON BEAUNE
«Vielleicht ist die Tatsache nicht bekannt genug,
daß die ersten 60 Jahre des 17. Jahrhunderts
für die Kirche eine Zeitspanne seltener Schönheit
und Fruchtbarkeit bedeuten, nicht weniger reich
als die großen Bewegungen der mittelalterlichen
Christenheit, eine Ära der Verjüngung und der
herrlichsten Erneuerung.»
Wenn diese Worte Daniel-Rops vor allem die Initiativen
zur Erneuerung des inneren Lebens in Frankreich
betreffen, - während zur gleichen Zeit in den
deutschen Ländern der dreißigjährige Krieg mit
seinen Nachwehen eine völlig andere geistige
Situation auslöste -, so bleibt ihnen doch die
allgemein gültige Wahrheit eigen, daß die Frömmigkeit
des heutigen Menschen noch ständig seine Wurzeln
in das Zeitalter von Franz von Sales und
Vinzenz von hl. Paul streckt und sich aus
seinen großen Traktaten nährt.
Die genialste Leistung des anbrechenden 17.
Jahrhunderts war ohne Zweifel die Gründung
der «französischen Schule» mit seinem
unvergeßlichen Meister Berulle und dessen
Schülern Condren, Olier und Johannes Eudes.
Berulle, den Bossuet «einen wirklich hervorragenden
Menschen» genannt hat, «dessen Würde selbst
der Kardinalspurpur nichts mehr hinzufügen konnte»,
eröffnete den Zugang zu einem theozentrischen
Leben, das auf der Alternative aufbaute:
Der Mensch ist ein Nichts, aber ein Nichts,
das fähig ist, in sich Gott aufzunehmen und
sich anbetend zu Gott zu erheben. Die Erkenntnis
des eigenen Nichts gegenüber dem absoluten Alles
Gottes löst eine Haltung tiefster Ehrfurcht
und Anbetung aus. Aber dieser scheinbar so unendlich
ferne Gott neigt sich liebend über das arme
Nichts, wenn es Ihn um seine Barmherzigkeit
anfleht, wie Olier betont, und wenn es auf seine
Liebe vertraut, wie Johannes Eudes hinzufügt.
In der Mitte steht Christus, der durch seine
Menschwerdung die Menschheit erlöst und
geheiligt hat. Durch Christus betet der Mensch
Gott an, und im Mysterium seiner Inkarnation
findet er die überbrückende Lösung, die den
Abstand zwischen Gott und Mensch verringert.
Darum gibt es für ihn nichts anderes als «sich
mit Unserem Herrn zu bekleiden und nach dem
Beispiel Jesu Christi in sich ein jedes andere
Interesse außer Gott zu vernichten». Dieser
Gedanke durchzieht als Leitmotiv die christozentrischen
Werke Berulles, die Elevations a Jesus sur ses
principaux etats et mystères, seine 1623 gehaltene
Rede; Etat et la grandeur de Jesus und sein
leider unvollendetes Werk: Vie de Jesus. Bei
seinem Tod (1629) waren die wichtigsten Elemente
festgelegt, die die traditionellen Grundsätze
der französischen Schule bestimmen sollten.
Ihre christozentrische Ausrichtung beeinflußte
bald auch die geistlichen Strömungen der
Orden in Frankreich. P. Chardon (1595-1651),
P. Lallemand (1588-1635), P. Surin
(1600-63),
u. a. sind sprechende Zeugen dafür. Zutiefst
in jenes geheimnisvolle Wasser getaucht, das
den Quellen des Erlösers entspringt, wollten
sie durch den Mittler Christus, und zwar durch
den Menschen Christus, der zur Nachfolge aufgefordert
hatte, zu Gott emporsteigen. Sie folgten damit
bewußt den Spuren Berulles, der betont hatte,
daß der Mensch Christus nicht nur der Lehrer,
Wundertäter und Gekreuzigte war, sondern daß
Ihn das Inkarnationsmysterium auch als kleines
Kind gezeigt hat, äußerlich einem jeden anderen
Kinde gleich. Konformität mit Christus heißt
daher nicht nur Christus am Kreuze ähnlich werden,
sondern mit Ihm auch ein Kind des himmlischen
Vaters zu sein und aus dem Beispiel seiner Kindheit
das eigene Leben zu gestalten.
Kard. Berulle
hatte in seinen
geistlichen Briefen und Konferenzen im Pariser
Karmel im Faubourg Saint-Jacques versucht, das
Mysterium der Kindheit Jesu für das praktische
Leben der Karmelitin auszuwerten. Wenn auch
seine Belehrungen keine wesentliche Hinzufügung
oder womöglich einen neuen Aspekt der karmelitischen
Spiritualität bedeuteten - und man darf nicht
vergessen, daß die Nonnen gerade hier, soweit
es sich um eine Verwirklichung der Lehre des
berühmten Kardinals handelte, nicht immer seine
Auffassung teilten -, so trugen sie doch zur
Vertiefung des christozentrischen Lebens im
Faubourg St. Jacques bei und dienten immer mehr
der Achtsamkeit auf das Geheimnis der Menschwerdung.
Es war vor allem M. Magdalena vom hl. Josef
(1578-1637), auf die Berulle einen starken Einfluß
ausübte und die er zur Verehrung der Kindheit
Jesu anregte. Sie selbst fühlte seit langem
einen inneren Zug, sich ganz der Andacht zum
Jesuskind hinzugeben und ihre Mitschwestern
dazu zu beeinflussen. «Donnez-vous entierement
à la sainte enfance de Notre Seigneur», hatte
sie ihnen gesagt.
«Verehren Sie sie [die Kindheit Jesu] aus
ganzem Herzen und mit allen Fähigkeiten Ihrer
Seele. Die Gnade, Töchter der Jungfrau zu sein,
verpflichtet Sie dazu. Es ist ja gerade
dieser demütige Stand ihres Sohnes, dem sie
ihre göttliche Mutterschaft verdankt, und in
diesem Stand hat sie die größte Macht über Ihn.»
Wenn sich auch nicht mit Sicherheit sagen läßt,
ob diese Aufforderung in Abhängigkeit
von Berulle geschah, so bleibt doch bestehen,
daß er bis zum Ende seines Lebens in dieser
Richtung auf sie einzuwirken versuchte. Noch
bei seiner letzten Begegnung mit M. Magdalena
ließ er sich «in eine ernste Unterredung in
dieses Thema ein», wie die Geschichte des ersten
Pariser Karmels überliefert, und «bat sie, an
alle Klöster zu schreiben, um entschieden zu
dieser Andacht zu ermahnen». «La Mere s'en acquitta
tres soigneusement tant pour executer l'ordre
qu'elle en avait receu de luy que pour suivre
l'instinct de la propre grace et le succes en
fut si heureux que l'on vit alors la devotion
de l'enfance s'etablir plus que jamais et dans
un culte et une veneration singuliere en toutes
ses maisons.» - Die Mutter erfüllte sehr sorgfältig
den Befehl, den sie von ihm erhalten hatte,
um dem Impuls ihrer eigenen Gnade zu folgen,
und der Erfolg war so glücklich, daß man dann
sah, wie sich die Andacht zum (Jesus)Kind, mehr
als je zuvor mit einer einzigartigen Verehrung
und Ehrfurcht in all seinen Häusern etablierte.
In dieser Atmosphäre tief empfundenen christozentrischen
Lebens der französischen Karmelitinnenklöster
hat auch die «kleine Lehre» - wenn dieser Ausdruck
erlaubt ist - der sel. Margareta vom hlst.
Sakrament im Karmel zu Beaune ihren geistesgeschichtlichen
Ausgang gefunden, obwohl sie von einer direkten
Beeinflussung völlig unabhängig ist. Ihre Lehre
verfolgte nur ein heiliges Ziel: Sie wollte,
daß «sich viele Herzen dem hl. Kind zu Füßen
werfen. Möchten doch alle Geschöpfe seine höchste Macht anerkennen»!
Margarete von Beaune bat Tag und Nacht das göttliche
Kind, ihr doch den Weg zu zeigen, der zu seiner
Verehrung in der ganzen Welt beitrüge. Sie verteilte
viele Jesuleinbilder, verfaßte ein Rosenkränzlein
zu seiner Verehrung, feierte jeden 25. des Monats
in besonderer Weise und vergoß in der Hl. Nacht
Ströme von Tränen der Freude in zärtlichster
Liebe. Viele Stunden verbrachte sie auf den
Knien im Gebet, im Winter oft mit bloßen Füßen,
notdürftig bekleidet und ohne auf Schlaf und
Kälte Rücksicht zu nehmen. Ohne eigene Mittel
gelang es ihr auf fast wunderbare Weise eine
Kapelle zu Ehren des Jesuskindes erbauen zu
lassen. Krankenheilungen und Bekehrungen
von Sündern geschahen durch ihre heißen Gebete
zum göttlichen Kind. Im Krieg 1636 versprach
ihr Gott, die Stadt Beaune und die ganze Provinz
Burgund, ja sogar ganz Frankreich zu schützen.
Selbst einen Thronerben wollte Er Frankreich
schenken.
Äußerlich gesehen ist Margarete von Beaune in
ihrer Frömmigkeit, in deren Zentrum das
Mysterium der Menschwerdung stand, den wesentlichen
Linien dem Geist der französischen Schule gefolgt,
der sie den Primat des theresianischen «alles
aus Liebe zu Jesus tun», hinzufügte. Innerlich
blieb sie jedoch völlig unabhängig. Für die
Geschichte der Verehrung des Jesulein im Karmel
ist sie nicht weniger bedeutend als Theresia
von Lisieux durch ihren «kleinen Weg« der geistigen
Kindschaft. Leben und Lehre dieser kleinen Karmelitin,
die sich organisch in die allgemeine Erneuerungsbewegung
des französischen 17. Jahrhundert einreiht,
vermag
«dem nüchternen Menschen des 20. Jahrhunderts,
der mit der Psychologie des Kindes, das zugleich
Gott ist, nicht zurecht kommt, wieder die unendliche
Liebe Gottes, das große Mysterium, zu offenbaren».»
Sie hat mit ihrem Weg des «christlichen Kindsein»
einen unerschöpflichen Brunnen der Heiligung
und Gnade auf die Menschheit überquellen lassen.
Die auf sie zurückgehende Andacht zum Jesulein
von Beaune hat für den französischen Karmel
eine gleichwertige Bedeutung mit der Andacht
zum Prager Jesulein, wenn sie auch vielen unbekannt
geblieben ist.

Die ehrw. Schwester Margareta vom heiligsten
Sakrament
Am 25. Juli 1619 verließen sechs Karmelitinnen
Dijon, um in einem alten Benediktinerkloster
in Beaune einen Karmel zu gründen. Am
7. Februar des gleichen Jahres war in dieser
Stadt ein kleines Mädchen geboren, das nur wenige
Jahre später dem neuen theresianischen Taubenschlag
zur Zierde gereichen sollte: Margarete vom hlst.
Sakrament.
Die Eltern, Pierre Parigot und Jeanne Battaille,
waren angesehene und wohlhabende
Bürger, die das Kind schon früh zu einem echt
christlichen Leben anleiteten. Im Alter von
11 Jahren verlor Margarete ihre Mutter, und
ihr geistlicher Onkel, der den Karmelitinnen
das Kloster überlassen hatte, wußte nichts Besseres,
als seine kleine Nichte der Obhut der Schwestern
zu übergeben und ihnen die Erziehung des frommen
Kindes anzuvertrauen. So trat sie mit einer
besonderen Erlaubnis am 24. September in den
Karmel ein und empfing am selben Tag aus der
Hand ihres Onkels die erste hl. Kommunion. Nach
Ordensbrauch gab man ihr einen neuen Namen,
dem man zur Erinnerung an eine wundersame Gnade,
die ihr an diesem Tag zuteil wurde, das Prädikat
«vom heiligsten Sakrament» hinzufügte.
Wenn man das geistige Bild dieser kleinen Karmelitin,
die bereits im Alter von 29 Jahren
die Erde mit dem
Paradies vertauschte,
zu zeichnen versucht, so kann es wohl keinen
Zweifel geben, daß unter den Schwestern und
Brüdern des Ordens, die dem Kindheitsgeheimnis
gelebt haben, wohl keine in so auffallender
Weise die Züge des göttlichen Kindes widerzustrahlen
wußte, wie Margarete von Beaune. Schon zu einer
Zeit, wo andere Kinder sich ihren unschuldigen
Spielen hingeben, wurde sie von einer wunderbaren,
heiligen Begierde angetrieben, die Einfachheit
und Demut des Jesuskindes nachzuahmen. In der
Schule des göttlichen Kindes, bei dem ihre Gedanken
unentwegt weilten, hatte sie früh die Flüchtigkeit
und Vergänglichkeit des Irdischen erkannt und
war zu einer Reife gelangt, die nur in einem
tiefen Ergriffensein von dem Übernatürlichen
eine Erklärung findet.
Von der Zeit ihres Noviziats an fühlte sie mit
wunderbarer Klarheit, daß Gott sie mit einer
Sendung beauftragt hatte. Sie sollte «die Schätze
der göttlichen Kindheit und das schmerzhafte
Leiden des Erlösers in der Welt bekannt machen».
In ihrer kindlichen Unschuld gestand sie ihrer
Novizenmeisterin, daß das göttliche Kind sie
unausgesetzt mit den Geheimnissen seiner Geburt
und der ersten zwölf Jahre seines Lebens wie
mit einer schützenden Mauer umgeben werde. Aus
diesem Umkreis dürfe sie sich niemals entfernen.
Und Margarete beeilte sich, der Weisung des
göttlichen Meisters zu entsprechen. Hatte Er
ihr nichts versprochen, sich ihr ganz zu schenken
unter der Bedingung, daß sie so klein wie Er
in der Krippe werde?
Margarete fand im Karmel von Beaune nicht nur
weitgehendes Verständnis für ihre Andacht und
Liebe zum Jesuskind, sondern auch ein wohl bereitetes
Erdreich, in dem das göttliche Samenkorn sich
kräftig entwickeln konnte. Von Dijon hatten
die Stifterinnen eine Jesuleinstatue mitgebracht
und mit ihr jene zarte Verehrung der Kindheitsgeheimnisse,
welche die ehrw. Mutter Anna von Jesus, die
Gründerin von Dijon, gelehrt hatte. Dazu kam,
daß der Einfluß der Spiritualität des Kardinals
Berulle in jeder Hinsicht eine Vertiefung des
Geheimnisses der Menschwerdung begünstigte.
Damit ist aber zugleich gesagt, daß die Weise,
in der Margarete das Kindheitsmysterium lebte
und erlebte, nicht die gleiche ist, wie wir
sie von den ersten spanischen Karmelitinnen
her kennen. In den ersten Jahren ihres Ordenslebens
litt sie unsagbar unter den oft heftigen
Angriffen des bösen Feindes. Manchmal schien
es, daß das arme Kind mit den «Mächten und Gewalten,
den finsteren Weltherrschern und den bösen Geistern
in den Himmelshöhen» (Eph. 6,12) zu ringen hatte.
Doch alles diente nur dazu, ihre Liebe zu läutern,
damit sie ihre einzige Zuflucht bei dem kleinen
Jesus nehme.
«Ich will in Dir die Wunder meiner Kindheit
sichtbar machen», hatte Er ihr eines Tages
gesagt und ihre Augen erblickten seine liebliche
Gestalt. Seitdem wurde sie oft durch Erscheinungen
des Jesuskindes begünstigt, die sie von aller
seelischen Pein befreiten und mit unaussprechlicher
Glückseligkeit erfüllten.
«Ich habe Dich erwählt, um durch Dich meine
Kindheit zu ehren und meine Unschuld,
als ich in der Krippe lag... Du sollst die Stimme
sein, die in Deinem Stand, in Deinem Leben die
Größe meiner Kindheit verkündet.» Immer wieder
vernahm sie den geheimnisvollen Auftrag des
göttlichen Kindes. Aber auch unsagbar innige
Worte hörte sie Es in ihrem Inneren flüstern:
«Welche Gnaden sollte ich nicht der Braut
meiner Kindheit erweisen? Ich werde sie immer
liebhaben und ihr nichts verweigern, um das
sie mich bittet... Bitte Du und es wird
Dir gegeben werden, damit Deine Freude vollkommen
werde.»
Margarete wollte, daß die Andacht zum Jesuskind
nicht innerhalb der Mauern ihres Karmels
stehen bleibe, sondern vielmehr ihre Vaterstadt
und die ganze Welt umfasse. Ein erster Anfang
dazu war die Gründung eines frommen Vereins.
1638, in der Weihnachtsnacht, hatte ihr
das göttliche Kind zu verstehen gegeben, daß
Es sich einen Ihm geweihten Ort wünsche, wo
man Es als König anerkenne und verehre. Bereits
am 24. August des folgenden Jahres konnte sie
Ihm eine kleine Kapelle darbieten, wo sie Ihm
unentwegt die vielen Bitten und Anliegen, die
man ihrem Gebet empfahl, zu Füßen legte. Dort
stand eine Statue des Jesulein, das von
seiner heiligsten Mutter in den Armen getragen
wurde. Der eigentliche «Roi de Grace» oder «Roi
de Glorie» [König der Gnade bzw. Glorie],
wie später das Volk die vom Baron de Renty g
eschenkte wundertätige Statue nannte, hielt
seinen Einzug in Beaune im November
1643 und wurde zunächst in einer Nische des
Kreuzgangs aufgestellt, bis sie 1873 von der
Klausur in die Kirche kam.
Dieses Jesulein bleibt eng mit dem Leben der
ehrw. Margarete von Beaune verbunden. Baron
de Renty hatte von der begnadeten Karmelitin
gehört und trug den sehnlichen Wunsch, einmal
mit ihr sprechen zu dürfen. Tatsächlich wurde
ihm auch dieses Glück der wenigen Bevorzugten
zuteil. Nach Paris zurückgekehrt, ließ er eine
58 cm hohe Holzsfigur nach Beaune senden,
die ein reizendes Kind darstellt, das in der
linken Hand das Zepter hält und auf dem Kopf
eine fein gearbeitete Krone trägt. Mit großen,
offenen Augen schaut Es freundlich den Besucher
an und scheint ihm seine rechte Hand zum Kuß
zu reichen. Ein kostbares Samtkleidchen bedeckt
den zerbrechlichen Körper. Alles an diesem Kind
ist lieblicher Ernst und gütiges Verstehen.
Jeden Morgen und
jeden Abend verbrachte Margarete lange Zeit
im Gebet vor diesem Jesulein.
Als sie schwer erkrankte und sich der letzten
Stunde näherte, bat sie inständig, man möge
ihr doch die Freude bereiten, den geliebten
«König der Gnaden» in der Nähe der Krankenwärterei
aufzustellen, damit sie Ihn sehen könne und
sich unter seinem Blick ihr Opfer vollende.
So schloß sie ihre Augen unter seinem gütigen
Lächeln, das im Glanz der brennenden Kerzen
der um ihr Bett herum knienden Schwestern einen
Vorgeschmack des Paradieses verbreitete.
Wenn auch das kurze irdische Leben der ehrw.
Schwester Margarete von Beaune ganz
und gar nach innen gerichtet gewesen und in
äußerster Weltferne dahin geflossen ist, so blieb
es dennoch nicht der Welt verborgen. Schon bald
kamen Priester und Ordensleute, um von ihr Anleitungen
zu einer Nachahmung der Kindheitstugenden zu
empfangen. Eines Tages fragte ein Ordensmann,
was man tun müsse, damit das Jesuskind im eigenen
Herzen lebe und es mit seiner Gegenwart durchforme.
«Man muß in Nachahmung des Jesuskindes und
nicht nach der eigenen Natur leben», gab
sie ihm zur Antwort, «ohne etwas außer Ihm sehen
oder hören zu wollen, gerade so, als ob auf
dieser Welt nichts anderes bestünde als Sie
und das hl. Kind».
«Und wie gestaltet sich ein solches Alleinsein
mit dem göttlichen Kind?»,
wollte der Besucher
erfahren.
«Es will, daß Sie eine beständige innere und
äußere Ausgeglichenheit bewahren, die zur Folge
hat, daß Sie sich weder im Glück überheben,
noch beim Mißerfolg oder in der Trostlosigkeit
verzagen. Sie müssen sich seinen göttlichen
Händen ganz überlassen, damit Es über Sie verfügen
kann, sei es im Leben oder im Tod, bei Gesundheit
oder bei Krankheit, bei Hochschätzung oder bei
Verachtung, kurz bei allem, so wie es Ihm gefällt
und als ob Sie sein Eigentum wären, das keinen
Widerspruch erheben will... Sie müssen Ihm alles
übergeben, alles, was Sie sind und was Sie betrifft,
in Zeit und in Ewigkeit. Träumen Sie von nichts
anderem als von Ihm und von seiner Herrlichkeit.»
«Wenn ich aber einen Fehler begehe, was
kann ich dann tun?» «Dann haben Sie sich
vor dem Jesuskind zu verdemütigen, sich unverzüglich
zu bessern und von neuem anzufangen, das hl.
Kind zu lieben, Ihm zu dienen und Es anzubeten,
als ob Sie niemals gefallen wären. Es ist
weitaus besser, an das Jesuskind und an seine
göttlichen Vollkommenheiten zu denken, als an
uns selbst, an unsere Fehler und an unser Elend!...»
«Bleiben Sie ein für allemal in den Händen des
Jesulein und denken Sie nicht mehr an
sich; beschäftigen Sie sich mit Ihm und lassen
Sie sich von seiner Liebe erfassen. Sie verlieren
viel zu viel Zeit, wenn Sie an sich und an ihre
Fehler denken!... Das Herz zu Füßen des
hl. Kindes, damit alle Geschöpfe seine höchste
Macht anerkennen und alle Geister von Ihm abhängig
werden. Jene, die noch etwas auf dieser Welt
suchen und sie genießen wollen, werden den Sohn
Gottes nicht finden. Das Jesuskind will ganz
allein in der Herzenseinfalt gesucht werden».
Was Margarete von Beaune, die kleine Karmelitin,
deren Gestalt nicht größer als die eines
zwölfjährigen Kindes war, so anziehend macht,
ist nicht ihr außergewöhnliches Leben, in welchem
sich Ekstasen und Erscheinungen zu folgen schienen,
sondern ihre Botschaft von der geistigen Kindheit,
von der Nachahmung und Umgestaltung in das Jesuskind,
bis zu
«jener Freude, etwas für das hl. Kind zu leiden,
um dadurch mit Ihm vereint zu sein», wie sie
es einmal P. de Bonnefay, dem Superior von Troyes,
erklärte.
Sie wollte, daß
das göttliche Kind wahrhaftig «die Zuflucht
der Armen, der Trost der Betrübten und die Stärke
der Schwachen» werde.
Wo sie nur konnte, suchte sie deshalb die Tugenden
des Jesuskindes und die Nachahmung der Einfalt
seiner heiligsten Kindheit als die unversiegliche
Quelle aller Tugenden des religiösen Lebens
darzustellen. Wenn man ihre Worte und Belehrungen
unter den verschiedenen Gesichtspunkten in einzelne
Themen aufteilt, dann wird man leicht in ihnen
einen «Wegweiser zur geistigen Kindheit» finden,
der nicht weniger überzeugend ist als der «kleine
Weg» der hl. Karmelitin von Lisieux.

Ein «Wegweiser» zur geistigen Kindheit
Wenige Tage vor ihrem Tod, als das Gespräch
auf den Stand der Paradiesesunschuld kam, beklagte
sich eine Schwester bei Margarete, daß wir Menschen
infolge des Sündenfalls der ersten Menschen
eines so reinen Lebens beraubt worden seien.
Aber die heiligmäßige Karmelitin dachte anders
und zögerte keinen Augenblick, eine sichtbar
aus dem Reichtum ihres Innenlebens hervorbrechende
Antwort zu geben: «Die hl. Kirche wird vom HI.
Geist geführt. In der Osternacht singt sie in
der so ergreifenden Liturgie: O felix culpa
- o glückliche Schuld. Da sie diese Schuld als
glücklich bezeichnet, müssen auch wir die (Erlösungs-)Gnade
Unseres Herrn Jesu Christi hoch einschätzen.
Auch die kleinste Gnade, die Er uns darbietet,
vermag uns die große Gnade der Unschuld zu schenken.
Wir haben also keinen Grund, uns zu beklagen.
Wir haben den eingeborenen Sohn des ewigen Vaters
zu unserem Erlöser. Er versäumt es nicht, uns
reich mit seiner Gnade zu beschenken.»
Sie wollte damit sagen, daß das Leben des «neuen
Menschen», das langsam durch die umformende
Kraft der Gnade die Seele zur Unschuld und Reinheit
zurückführt, von Christus ausgeht. Seine Kraft
ist es, die wirksam wird im Bemühen der Ihm
gehörenden Seele. Und seine Gnade ist es, die
ihrem Wollen die Kraft gibt, in Herzensreinheit
und Unschuld zu leben. In ihr findet der einzelne
das Jesuskind und geht wirklich den Weg der
geistigen Kindheit:
«Glückselig jene, die ein reines Herz besitzen,
denn in ihnen wohnt der kleine Jesus!» rief
sie aus. «Jesus will meiner Schwester diese
Gnade erweisen... Darum möge sie nichts mehr
betrüben. Sie soll sich in die Liebe des Herzens
des kleinen Jesus verlieren.» Unschuld und Reinheit
bedeutet ja nichts anderes als «im Herzen einzig
die Liebe zum kleinen Jesus zu tragen».
Dies ist die Grundhaltung, um den Weg der geistigen
Kindheit einzuschlagen. Er verwirklicht sich
in der Demut, im Gehorsam, in der Geduld und
Abtötung, in der Liebe zu Gott und zum Nächsten
und in der vertrauensvollen Hingabe an das göttliche
Kind, um sich so immer mehr von Ihm ergreifen
und durchdringen zu lassen.
«Wir sind alle unnütze Knechte», pflegte sie
zu sagen. «Wenn das hl. Kind nicht alle unsere
Handlungen mit seinem göttlichen Blick begleiten
und ihnen seine Hilfe hinzufügen würde, wären
sie Gottes unwürdig. Ohne seine Gnade würde
ich in eine jede Sünde fallen. Darum muß ich
unentwegt um sie bitten und ohne Aufhören für
den mir erteilten Schutz danken.» Ihr ganzes
kurzes Leben lang flehte sie so mit aller Inbrunst
zu Gott um wahre Herzensdemut. Sie wußte, daß
sich «Satan in stolzen Seelen eine Festung erbaut...
Oh, mein Herr, mach mich deshalb würdig, die
Verdemütigung zu ertragen! Oh, heiliges Kind,
überhäufe Dein Geschöpf mit Schmähungen... und
erlaube mir, Dir in der Verachtung zu folgen.»
Nicht weniger als die Demut suchte Margarete
beim Jesulein den Gehorsam zu erlernen.
«Ich finde den Sohn Gottes nur im Gehorsam»,
stellte sie eines Tages fest. «Es ist das göttliche
Kind, das uns im Gehorsam unterweist, dieser
göttliche Meister, der uns mit seinem Schweigen
lehrt, keine Einwendungen zu erheben und einfach
und klein wie Er zu sein. Nur in dieser Haltung
leben wir im vollständigen Gehorsam.»
Wenn sich Schmerz und Leid auftürmen oder Niedergeschlagenheit
das Innere bedrückt, dann - sagt uns die kleine
Karmelitin von Beaune - hat man nur «unmittelbar
sein Herz dem kleinen Jesuskind zu öffnen, damit
Es (komme und) dieses mit göttlicher Kraft und
mit seiner Gegenwart erfülle. Wenn das hl.
Kind dort zuerst eintritt, zieht der Schmerz
vorüber, ohne irgendwelche schädlichen Wirkungen
auszuüben. Wenn aber zuerst der Schmerz seinen
Einzug hält, dann ist es schwer, ihn wieder
fortzuweisen». Im übrigen «genügt es, daß man
sich nicht mit dem eigenen Elend abgibt. Was
ich leide ist wenig... Ja, alles ist süß, wenn
man dem kleinen Jesus begegnet. Er läßt mich
mit Geduld leiden und zwar alles das, wozu ich
ohne seine Liebe niemals fähig wäre!»
Diese Überzeugung trieb Margarete ständig neu
an, zu vertrauensvoller Hingabe an das
göttliche Kind aufzufordern. Alle sollten an
seine Güte und Liebe glauben und sich seiner
Barmherzigkeit überlassen. «Der kleine Jesus
will, daß Sie zu Ihm wie zu Ihrem Vater, und
zwar zu Ihrem wahren Vater gehen», schrieb
sie einer Mitschwester auf einen Zettel. Als
sie einmal mit einem Ordensmann sprach, gestand
ihr dieser, daß er sich schäme, sich beim Gebet
an die Heiligen zu wenden, weil er sich so vieler
Sünden bewußt sei. Margarete wußte aber einen
unfehlbaren Rat: «Oh, das Jesuskind, das ja
Gott ist, nimmt alle gut auf», sagte sie ihm
lächelnd und forderte ihn auf, all sein Vertrauen
in das göttliche Kind zu setzen. Wo sich aber
eine Seele durch eigene Schuld und Untreue dem
Vertrauen verschloß, zögerte sie keinen Augenblick,
ernsthaft zu ermahnen: «Sie machen es wie jemand,
der die Sonnenstrahlen vom Fenster aus genießen
will und der, wenn sie sichtbar werden, vor
ihnen das Fenster schließt und ihnen den Eintritt
verwehrt.»
Jeder Gedanke, jede Ermahnung und Aufforderung
in der «kleinen Lehre» der ehrw. Margarete
von Beaune wird so von einer reinen, unbefangenen
und vertrauensvollen Liebe getragen, die dem
Jesuskind entgegeneilen und sich Ihm in froher,
selbstvergessener Zuversicht schenken will,
hoffend und betend, daß Es sich der Seele auf
unlösbare Weise bemächtige und ihr das eigene,
erdgebundene Leben nehme, um es ganz mit seiner
göttlichen Liebe zu erfüllen. Ist sie nicht
selbst diesen Weg gegangen und ist nicht alles,
was sie geschrieben und gelehrt hat, ein Echo
ureigenster Erfahrung? Man braucht nur an die
Gnade zu denken, die ihr am Tag ihrer Gelübdeablegung,
dem 15. Juni 1634, zuteil wurde. Es war der
Tag ihrer mystischen Vermählung mit dem göttlichen
Kind. Christus, «das menschgewordene Wort»,
heißt es in den «Memorialen» von Beaune, «ging
mit ihr noch einen engeren Bund ein (als den
der Ordensprofeß). Er teilte ihr seinen Geist
der Kindheit und des Kleinseins mit und
schenkte ihr -im rein geistigen Erfassen - glühende
Beweise seiner Zärtlichkeit, wie einer Braut,
die Er unendlich liebte. Zum sicheren Unterpfand
seiner göttlichen Liebe steckte Er ihr den
goldenen Ring seiner himmlischen Vermählung
an den Finger und schmückte ihr Haupt mit
der Krone des Lebens, die nichts anderes
als Er selbst ist, und versichert sie, Er würde
in Zeit und Ewigkeit ihr Ruhm sein. Dann bekleidete
Er sie mit einem lichten Gewand, nämlich der
Teilnahme an der Herrlichkeit der Heiligen und
strahlte sein eigenes Leben in ihre Seele.
«Empfange dieses Gewand wie eine Festung der
Reinheit, sagte Er ihr, Du wirst Macht haben
über Seelen, die mit dem entgegen gesetzten Laster
befleckt sind, und die Erde wird eines Tages
die Kraft des Lichtes und der Reinheit, die
ich Dir gegeben habe, erkennen.»
Engel und Heilige
stimmten darauf eine köstliche Musik an und
dankten in einer mit Liebe vereinten Freude
dem Geliebten für die Beweise der Auserwählung,
mit denen Er seine keusche
Braut überschüttete.»
Seit diesem Tag war das Mysterium (Geheimnis)
des kindgewordenen Gottes der alleinige Inhalt
ihres täglichen Lebens geworden. «Warum sprechen
Sie immer vom Jesuskind?», erkundigte sich anläßlich
einer Visitation P. de Bonnefoy. «Weil Er
(Christus) mich unentwegt an dieses Mysterium
denken läßt.» Nach einigen anderen Fragen
versprach ihr P. de Bonnefoy, am folgenden Morgen
die Messe von der Geburt des Herrn für sie zu
lesen und fragte sie, mit welcher Intention
er das hl. Opfer begleiten solle. Nach einigem
Zögern gab sie ihm zur Antwort: «Da Sie es wünschen,
Pater, daß ich Ihnen meine Intention sage, so
bitten Sie für mich das hl. Kind, daß ich
jeden Augenblick meines Lebens seine Geburt
anbete.»
Jeden Augenblick das Mysterium der Geburt des
Herrn anbeten! Ohne Zweifel bildet dieses
hohe Ziel das Zentrum der Spiritualität der
ehrwürdige Karmelitin. Von hier aus ist ihre
Vorstellung der Kindheitsnachahmung zu verstehen.
Von hier aus auch ihre wiederholte Aufforderung,
sich innerlich für die Geburt des Herrn zu bereiten.
Große Einfachheit, Unschuld, Trennung von allem
Irdischen, in sich ein heiliges Leersein schaffen
und vor allem «immer das Jesuskind anschauen
und alle Handlungen den seinen angleichen»,
das ist die notwendige Disposition für die Gottesgeburt
im Herzen und für das Leben in der geistigen
Kindheit. Dann wird schon diese Erde «zum Garten
des Jesuskindes», wie sie einmal sagte.
Mit ihren wegweisenden Worten will sie die Überzeugung
erwecken, daß das innere Leben seine Kraft und
seine Wurzeln im Inkarnationsgeheimnis und in
der Gottesgeburt im Herzen hat. Ähnlich wie
die Erlösung der Menschheit bei dem armen und
schwachen Jesuskind in der Krippe von Bethlehem
ihren Anfang nahm, so beginnt durch die Gottesgeburt
im Herzen eine Art «zweite Erlösung», nämlich
die Befreiung vom «alten Menschen», von der
Anhänglichkeit an die Geschöpfe und der ungeordneten
Sorge für das Irdische, und damit ein neues
Leben
in heiliger Einfachheit, Demut und Unschuld,
in Gottverbundenheit und Gottinnigkeit.
Margarete hatte in diesem Sinn gelehrt, daß
das Gebot des Herrn: ,Seid vollkommen wie euer
Vater im Himmel' sich nicht besser als durch
die Nachahmung der Kindheitstugenden verwirklichen
kann. «Die Vollkommenheit unseres himmlischen
Vaters können wir nicht nachahmen», betonte
Margarete mehr als einmal. «Aber wir vermögen
das Jesuskind in der Krippe zu betrachten, das
sein wahres Abbild ist. Es hat alle seine
Vollkommenheiten. Es ist genau so groß, weise
und mächtig wie Er. Wir sehen seine heilige
und gotterfüllte Menschheit, in der alle Schätze
seiner Gottheit ruhen. Doch obwohl der kleine
Körper des Jesuskindes alle Vollkommenheiten
sein eigen nennt, ist er schwach und untertan.
Er läßt alles mit sich geschehen, was man will;
er wehrt nichts ab und trägt alle Bedürfnisse
seiner Kindheit, ohne ein Wort zu sagen. Jetzt,
wo Jesus so klein und uns ähnlich ist, wird
es uns leicht sein, Ihn nachzuahmen.»
Die kleine Karmelitin von Beaune hat auf diese Weise in
ihrem Leben das evangelische Wort von der Vollkommenheit
verwirklicht. Bis zur letzten Stunde hat sie
das Jesuskind in der Krippe nachgeahmt. Aber
sie sah immer mehr ihre Aufgabe darin, ihre
Umwelt in den Kreis des vom göttlichen Kind
ausstrahlenden Lichtes einzubeziehen. Geistige
Kindheit hatte sie auf den Weg zur Angleichung
an den menschgewordenen Gottessohn geführt.
Er hatte sie gerufen, sich mit ihr vermählt
und sie durch Gnaden und Visionen für dieses
Leben in Ihm, in seinem Mysterium, vorbereitet.
«Mihi vivere Christus est... in mir lebt wahrhaftig
das göttliche Kind», konnte sie seit dem Tag
ihrer Ordensprofeß ausrufen. Doch das Jesuskind
hatte sie zugleich mit der Sendung betraut,
andere Seelen zu einer ähnlichen Transformation
in Christus und zu einem Leben im Kindheitsmysterium
anzuleiten. Ihre Sendung begann bereits zu ihren
Lebzeiten. Sie ist der eigentliche und wertvollste
Inhalt dieser wunderbaren
Karmelexistenz gewesen, und sie weitet sich
bis auf unsere Zeit aus.
Margarete erlebte bereits die Freude, in ihrem
Karmel von Beaune dem Jesulein ein zweites Bethlehem
bereitet zu sehen. Nach Beendigung einiger Restaurationsarbeiten
des Dormitoriums hatten die Nonnen den Wunsch
geäußert, es dem göttlichen Kind zu weihen.
Jede Schwester hatte ihre Zelle auf das sorgsamste
vorbereitet, damit das göttliche Kind dort einziehe.
Als nun am Weihnachtstag eine feierliche Prozession
zur Einweihung gehalten wurde, sah Margarete,
wie das Jesulein in eine jede Zelle trat
und sie mit seiner kleinen Hand segnete,
während die Schwestern das Magnifikat und die
Weihnachtsantiphon: Heute ist Christus geboren,
sangen. Und ganz leise vernahm die Seherin die
wundersamen Worte:
«Seit meiner Krippe in Bethlehem habe ich
mich an keinem Ort meiner Kindheit so lange
aufgehalten wie hier. Ich habe das Geschenk
entgegengenommen, das mir alle von ihren Zellen
gemacht haben und ich werde mit ihnen hier wohnen
und aus ihnen mein Bethlehem machen, das meinem
Vater und mir lieb ist.» |
Mehr als dreihundert Jahre sind seither vorüber gezogen.
Margaretes geistliche Lehre und vor allem die
Statue des Jesulein sind aber in Beaune lebendig
und gegenwärtig geblieben. Nicht nur in den
Zellen des Karmels hat das Jesuskind Einzug
gehalten, sondern in viele Herzen, die der Botschaft
seiner kleinen Braut offen standen. Ihr verborgenes
Leben ist mit dem Beauner Jesulein in die Geschichte
des Karmels eingegangen und weist auf das große,
geistige Ziel des Ordens: Klein werden wie jenes
Kind in Bethlehem, um im Geist des Kindseins
den hohen Gipfel des Berges Karmel zu ersteigen.

Die Bedeutung der Andacht zum Jesulein von Beaune
Kurz nachdem Margarete vom hlst. Sakrament ihre
«Familie du Saint Enfant Jesus» gegründet hatte,
erhielt sie vom göttlichen Kind selbst eine
Unterweisung, auf welche Art Es am besten in
seiner Geburt und in den ersten zwölf Jahren
seines Lebens geehrt werden könne. Das Jesuskind
bedeutete ihr, man soll den 25. Tag eines
jeden Monats zum Gedächtnis seiner Geburt
und die Feste seiner hlst. Kindheit von
den übrigen Tagen des Jahres durch eigene Andachten
unterscheiden. Außerdem wünschte Es sich,
daß alle den kleinen Rosenkranz zu seiner Ehre
beteten. Aber noch wichtiger war es Ihm,
daß sich alle Mitglieder sein verborgenes und
demütiges Leben in Nazareth zum Vorbild nähmen.
Die «Familie des Kindes Jesu» fand in Beaune
begeisterte Aufnahme und zählte bald
in der ganzen Provinz eine stattliche Reihe
von Mitgliedern. Sogar am Hof Ludwig XIV. wurde
sie heimisch: seine Mutter Anna von Österreich
gehörte zu ihren treuesten Anhängern. Ihr ist
es zu verdanken, daß die Karmelitinnen von Beaune
die Erlaubnis erhielten, den 25. Tag eines jeden
Monats in ihrer Kapelle feierlich zu begehen.
Um Mitglied zu werden, brauchte man nur seinen
Namen und seine Adresse im Karmel von Beaune
anzugeben. Zahlreiche Ex-Votos in Gold und Silber,
die leider in der Revolution verloren gingen,
und kostbare Stickarbeiten zeugen von der Dankbarkeit
vieler Menschen, über die das Jesulein seine
gütige Hand ausgestreckt hatte.
Im Jahr1661, als die «Familie des Jesuskindes»
durch Papst Alexander VII. ein kanonisch errichteter
Verein wurde, der mit Ablässen versehen war,
verließ der kleine «König der Gnade» zum erstenmal
die Verborgenheit der Klausur. Doch seine öffentliche
Verehrung sollte kaum mehr als ein Jahrhundert
dauern. Die Revolution machte allem ein plötzliches
Ende. Zum Glück gelang es, die Statue bei
Verwandten der damaligen Priorin zu verbergen.
Doch die
«Familie des Kindes Jesu» lebte nur mehr in
der Erinnerung der wenigen überlebenden Karmelitinnen
und einiger treuer Mitglieder fort. Erst als
sich in Frankreich alle Sturmwolken verzogen
hatten, kehrte das Jesulein in den Karmel zurück
und wurde in einem Oratorium im Kreuzgang aufgestellt.
Manchmal geschah es auch, daß Es vorübergehend
den Außenschwestern anvertraut wurde, wenn Besucher
aus Stadt und Umgebung kamen, die Es sehen wollten.
1821 konnte auch die «Familie vom Kinde Jesu»
als Bruderschaft neu errichtet und 1855 von
Pius IX. zur Erzbruderschaft erhoben werden.
Aber die Statue blieb trotz allem noch vielen,
selbst den Stadtbewohnern unbekannt und entbehrte
des ihr schuldigen Kultes. Es fehlte an einem
Apostel, der die Andacht zum Beauner Kind verbreitet
hätte.
So verging fast ein halbes Jahrhundert, bis
die göttliche Vorsehung Abbé Chocarne,
den Pfarrer von Saint-Nicolas in Beaune, zu
dieser Aufgabe erwählte. Abbé Chocarne hatte
1873 eine Pilgerfahrt nach Lourdes unternommen.
Als er dort im Halbdunkel der Grotte in andächtiges
Gebet versunken kniete, näherte sich ihm ein
unbekannter junger Mann, zeigte ihm ein Bildchen
des Beauner Jesulein und sprach in heiliger
Begeisterung von den vielen Gnaden, die auf
Anrufung dieses Jesuskindes geschehen waren.
Abbé Chocarne mußte zu seiner Schande gestehen,
von all dem nichts zu wissen. Bei seiner Rückkehr
nach Beaune galt sein erster Besuch der Priorin
des Karmels. Er fand weitestgehende Bestätigung
des bereits Gehörten. Gleichzeitig fühlte er
aber in sich einen geheimnisvollen Ruf zu einem
neuen Apostolat. Er wollte sich mit seinem ganzen
priesterlichen Eifer für die Erneuerung der
Andacht zum Jesuskind von Beaune einsetzen.
Seine Bemühungen erweckten zunächst in seinen
Pfarrkindern einen Strom der Begeisterung. Bald
aber sprach die ganze Stadt von ihrem neu entdeckten
«König der Gnade». Alle wollten Ihn lieben
und verehren. Als das Weihnachtsfest herankam,
bedeckte ein Blumenregen den Boden der Kapelle,
wo ein kleiner Altar aufgestellt worden war,
auf dem das göttliche Kind am 28. Dezember,
Tag der Unschuldigen Kinder, der «kleinen Brüder»,
wie sie Margarete zu nennen liebte, bei der
feierlichen Prozession thronen sollte. Die ganze
Stadt kam zusammen. Aus Dijon war Bischof Rivet
gekommen, um mit eigenen Händen die Statue von
der Klausurpforte in die Kapelle zu tragen.
Bis zum Fest Maria Lichtmeß sollte von nun an
das Jesulein allen Hilfesuchenden, Kranken,
Leidenden und Betrübten zugänglich sein, umsie
mit seinem himmlischen Trost zu stärken. Seine
Überführung in die Kapelle glich einem Triumphzug.
Mgr. Rivet beschloß diesen unvergänglichen Tag
mit dem bischöflichen Segen und stellte Stadt
und Land unter den Schutz des kleinen Königs.
Seit 1897 blieb
die Statue ständig in der Kapelle des Karmels.
Sie war das Ziel zahlreicher Pilger, deren vertrauensvolles
Gebet nicht enttäuscht wurde. «Schöpfe
aus den Verdiensten meiner hl. Kindheit, und
nichts wird Dir verweigert werden»,
hatte das Jesuskind einst Margarete von Beaune
verheißen. «Durch dieses Versprechen gestärkt
kommen wir zu Dir mit all dem Vertrauen, das
uns Deine Liebe eingibt, die, nachdem sie uns
alle ihre Güter geschenkt hat, sich selbst uns
ungeteilt hingeben will.» «Mein Erlöser, wir
haben es nötig, daß Du uns die Kraft Deiner
Kindheit und die Macht Deiner Krippe zeigst.»
Noch heute ist es Brauch, das Jesulein von Beaune
mit dem von Margarete verfaßten
Rosenkränzlein zu grüßen. Wie sehr Ihm einst
dieses fromme Gebet wohlgefällig war, geht aus
einer alten Chronik des Karmels von Dieppe hervor.
Man hatte der Priorin, M. Franziska von der
Muttergottes, aus Beaune ein Rosenkränzlein
geschickt. Als sie es zum erstenmal zu Ehren
des göttlichen Kindes betete, erblickte sie
das Jesulein in unvergleichlicher Schönheit.
Es gab ihr zu verstehen, wie sehr Es dieses
Gebet erfreue. Gleichzeitig versprach Es ihr,
sie an den Tugenden seiner hl. Kindheit teilnehmen
zu lassen und versicherte sie, daß diese Andacht
einen unvergleichlichen Vorteil für das Heil
der Seelen bedeute.
Vielleicht war es diese Erscheinung, die M.
Franziska anregte, sich in Beaune eine Wachsstatue
des kleinen Königs zu erbitten. Sie ließ Ihm
eine Einsiedelei erbauen, die festlich geschmückt
auf seine Ankunft wartete. Als nun die Schwestern
die Statue in feierlicher Prozession dorthin
trugen und die Litanei vom Kinde Jesu sangen,
erschien das Jesuskind M. Franziska und zeigte
sich äußerst zufrieden über die Ihm erwiesene
Ehre. M. Franziska bat Es, der Kommunität seinen
Segen zu erteilen, und das hl. Kind,
das eine unwahrscheinliche Ähnlichkeit mit der
Wachsstatue aus Beaune aufwies, erhob sein
Händchen und zeichnete ein großes Kreuz über
die vor Ihm knienden Schwestern.
Die Verehrung des Jesulein von Beaune hat sich
in ihrer äußeren Form genau so erhalten,
wie sie von Margarete von Beaune eingeführt
worden war. Sicher entstand sie in einer Zeit,
die weniger von dem Bedürfnis beseelt war, mit
dem zarten Kind, das hilflos, auf menschliche
und mütterliche Sorge angewiesen in den beschützenden
Armen der Mutter schlummert, in liebende Beziehungen
zu treten, sondern vielmehr dem Verlangen lebte,
Gottes Majestät, die sich um des Menschen willen
erniedrigt hat, mit tiefer Ehrfurcht anzubeten.
Im 17. Jh. bestimmte die Frömmigkeit weniger
das Gefühl als die Ehrfurcht vor dem Göttlichen
und unsagbar Großen, das sich vor allem im Geheimnis
der Menschwerdung enthüllt. Aus diesem Geist
ist es auch zu verstehen, daß die Verehrung
des Kindes in der Krippe zur Verehrung
des leidenden Christus am Kreuz führt. Von der
Inkarnation zur Erlösung, von der Kindheit zum
Kreuz. «Wer das Jesuskind wirklich verehrt,
in Ihm den Erlöser der Welt anbetet, kann ja
nicht anders als Ihn auch in seiner Passion
zu verehren. Die großen Verehrer seiner hl.
Kindheit sind uns in dieser Hinsicht leuchtende
Vorbilder. Und zudem, das Jesuskind verehren,
ohne seines Leidens - vom ersten Augenblick
seiner Empfängnis bis zum letzten Seufzer am
Kreuz - zu gedenken, ist ausgeschlossen.»
Dieser Gedanke, der im übrigen auch im Werk
des Kard. Berulle seinen festen Platz einnimmt,
bricht immer wieder in der kleinen Lehre der
ehrw. Margarete vom hlst. Sakrament hervor und
ist grundlegend für die Andacht zum Jesulein
von Beaune.
Wenn man aber annehmen wollte, daß im französischen
Karmel des 17. Jahrhunderts einzig die Andacht
zum Jesulein von Beaune existiert habe, so wäre
das eine Überschätzung ihrer Ausbreitung. Unabhängig
von ihr gab es Karmeliten und Karmelitinnen,
die in ihrem inneren Leben tief berührt worden
waren vom Geheimnis der Menschwerdung. Es genügt
hier auf Franziska von Bona, Karmelitin
in Avignon, oder Katharina von Jesus
aus dem ersten franz. Karmel in Paris, hinzuweisen.
Schon als kleines Mädchen war Franziska das
Jesuskind, nicht größer als ein fünfjähriges
Knäblein erschienen und hatte ihr wundersam
erklärt, mit welcher Ehrfurcht und inneren Teilnahme
sie dem hl. Meßopfer folgen solle. Auch lehrte
Es sie, welche Gebete sie dabei zu sprechen
habe.
Viele Jahre später geschah es an einem Weihnachtsmorgen,
als sie dem neugeborenen
Kindlein ihr Herz zur Wiege angeboten hatte,
daß sie nach der hl. Kommunion vor den Augen
der Nonnen die Ekstase erlitt und ihr Geist
in eine wunderbare Erkenntnis des menschgewordenen
Wortes getaucht wurde. Im Geistesflug «befand
sie sich in einem kleinen Stall, wo sie die
hl. Jungfrau in Anbetung ihres göttlichen Kindleins
schaute. Sie sah, wie sie Es auf ihre Arme nahm
und Es in Gegenwart vieler Engel, die das tiefe
Mysterium und den Beweis der Güte Gottes bewunderten,
in Windeln wickelte. Das Licht, das leuchtender
als die Sonne vom Antlitz Jesu strahlte, erhellte
den Stall und ergoß sich in einem solchen Übermaß
auf die hl. Jungfrau, daß diese in seinem Glanz
weißer als der Schnee erschien. Auch das Gesicht
des hl. Josef, der das Kind anbetete, wurde
ganz licht. Alles vollzog sich im tiefen Schweigen.
Aber dennoch war alles, bis zur kleinsten Einzelheit,
sprechender als jeder menschliche Ausdruck.
Schwester Franziska erkannte, daß dieses Geschehen,
wie tief auch immer die Erniedrigung Gottes
war, der Größe Gottes würdig sei...
Das Herz der Dienerin Gottes war von so überströmendem
Trost und von Freude erfüllt, daß es ihr vorkam,
das Glück des Himmels könne nicht größer sein.
Sie machte zahlreiche Akte der Anbetung, des
Lobs und der Dankbarkeit und rief aus: «Oh mein
göttlicher Erlöser, Du bist sowohl in der Zeit
wie in der Ewigkeit, als Kind wie in Deiner
göttlichen Majestät anbetungswürdig. Du wolltest
in einem Stall geboren werden, um mich von dem
Stand zu befreien, in den mich die Sünde geführt
hat. Ich habe Grund genug, mich in Deiner
Gegenwart zu verdemütigen und mein Elend in
dem Stand zu erkennen, den du aus Liebe zu mir
angenommen hast. Ich verberge mich, mein Erlöser,
in mein Nichts. Schenke mir die Gnade, aus Deiner
hl. Geburt einen Vorteil zu ziehen.»
Eine Woche lang konnte sie gnadenhaft das in
der Vision Erkannte im Geist schauen
und ihm in innerer Sammlung leben.
Im Vergleich zu der schlichten Andacht zum göttlichen
Kind, wie wir sie bei Margarete
von Beaune gesehen haben, weist Form und Inhalt
der Erfahrung des Geheimnisses der Menschwerdung
bei Franziska von Bona allerdings nicht geringe
Unterschiede auf. Aber gerade diese helfen uns,
sowohl das Einmalige und wenig Berührte der
christozentrischen Frömmigkeit der kleinen Karmelitin
von Beaune wie die Form der auf sie zurückgehenden
Andacht zum Beauner Jesulein in seiner ganzen
Schönheit zu werten. Obwohl diese nicht aus
der spanischen Tradition erwachsen ist, darf
sie dennoch als eine typisch karmelitische Andacht
bezeichnet werden, die in ihrer Eigenart von
der Weite der karmelitischen Spiritualität zeugt,
die zur Erreichung des gleichen Ziels und in
der äußeren Form seiner Verwirklichung verschiedene
Wege kennt, die aber keineswegs ihr harmonisches
Ganze stören oder ihm auch nur eine falschklingende
Note aufdrücken könnten.
Zu einem ähnlichen Ergebnis führt ein Vergleich
mit Sr. Katharina von Jesus, eine «authentische
Mystikerin», wie sie die Geschichte des ersten
Pariser Karmels nennt, deren Leben von einer
großen Liebe zum göttlichen Kind durchglüht
war. Katharina de Nicolas wurde 1589 in Bordeaux
geboren und hatte im Pariser Karmel Saint-Jacques
1608 das Ordenskleid empfangen. Nur
33 Jahre alt starb sie 1623 im Karmel in der
Rue Chapon im Ruf der Heiligkeit.
M. Magdalena, die ihr Leben beschrieben hat,
berichtet, daß sie keinen 25. März vorübergehen
ließ, ohne bis nach Mitternacht wach zu bleiben,
um das göttliche Wort anzubeten, das im Herzen
der Nacht in Mariens Schoß Fleisch angenommen
hatte. Während ihrer Adventsexerzitien
pflegte die junge Karmelitin täglich
neun Stunden im inneren Gebet zu verbringen,
um dadurch die neun Monate zu verehren, die
das Jesuskind in Maria verborgen gelebt hatte.
Jede Stunde warf sie sich einmal tief zu Boden
und sprach andächtig die Worte: Et Verbum caro
factum est - Und das Wort ist Fleisch geworden
-, wobei sie sich mit der Anbetung der neun
Engelchöre vereinen wollte."
In einem Brief an Kard de Berulle, der ihr geistlicher
Führer war, gesteht sie: «Seit einiger
Zeit scheint es mir, ein Zeichen von Jesus Christus
empfangen zu haben: seine hl. Kindheit, die
sich in mir wie das Siegel eingeprägt hat, das
man auf das Wachs drückt. Genau so weilt das
Bild der Kindheit Jesu in mir.» M. Magdalena
erklärt dazu, daß es «sich um ein besonderes
Wirken Gottes in ihrer Seele handelte», dessen
Ursprung das Kind Jesu war, und daß der Herr
«ihr im Geheimnis seiner heiligsten Kindheit
angehören wollte». Sr Katharina hatte sich ihr
am 27. Juni 1615 geweiht und den Vorsatz gemacht,
ihr nach seinem heiligen Willen zu dienen. Ihr
Entschluß wurde am gleichen Tag durch eine außergewöhnliche
Gnade belohnt.
Voller Bewunderung stand sie vor «der Selbsterniedrigung,
vor der Allmacht Gottes, die im Kind unmächtig
geworden zu sein schien». Hatte sie nicht in
die Hingabe der göttlichen Freiheit auch ihre
eigene Freiheit einbeziehen wollen? Sie verlangte,
sich ganz tief vor «der unvergleichlichen Selbsterniedrigung
Jesu in seiner Kindheit zu neigen». Sie bat
deshalb den «kleinen Jesus», in ihrem Herzen
eine jede Neigung des Eigenwillens zu vernichten
und sie durch seinen göttlichen Willen zu ersetzen,
um sie auf diese Weise zu Ihm, «dem Zentrum
unseres Seins und dem Leben unseres Lebens zu
erheben». Ich möchte meine Gedanken dem Jesuskind
schenken und Es statt deren um die Seinen bitten,
und ich möchte die Weisheit und alle göttlichen
Vollkommenheiten anbeten, die in dieser hl.
Kindheit verborgen sind.»
Endlich forderte Katharina in einem Brief eine
ungenannt gebliebene Person auf, «der heiligsten
Kindheit (Jesu) besondere Ehre zu erweisen und
zu wünschen, von ihr jene inneren
Fähigkeiten zu empfangen, die vor Gefahren bewahren,
und um durch die Entbehrungen, die das hl. Kind
ertragen hat, oder besser durch die Liebe, mit
der Es sich diese auflud, die Gnade zu erhalten,
an ihnen teilzunehmen... und keinen anderen
Geschmack zu finden, als die Erkenntnis göttlicher
Dinge.»
Es ist nicht schwer, aus diesen Anforderungen
und Gedanken zur Verehrung des göttlichen Kindes
ein Echo der Belehrung Berulles oder M. Magdalenas
vom hl. Joseph herauszuhören. Wenn ein Vergleich
mit der ehrw. Margareta von Beaune auch zu manchen
Ähnlichkeiten führen könnte, so bleibt doch
der Tenor beider Karmelitinnen ein völlig anderer.
Das gilt auch dann, wenn Katharina oder M. Magdalena
zu ganz schlichten Frömmigkeitsübungen auffordern,
wie «die Füßlein, den kleinen Mund, die Augen
oder die zarten Glieder des Jesuskindes zu verehren
und sich mit den Engeln, den Hirten oder sogar
den Sündern zu vereinen, um mit ihnen zum Kripplein
zu eilen und das neugeborene Kind anzubeten.
Margareta ist in ihrer Andacht viel ungezwungener,
lebenswärmer und inniger. Dazu kommt, daß im
Karmel zu Beaune das Jesuskind selbst in seinem
wunderwirkenden Bild zur Liebe und Verehrung
aufforderte, während im Pariser Karmel unter
dem Einfluß Berulles oft ein mehr theologisches
Eindringen in das Inkarnationsgeheimnis vorherrschte."
Schon aus diesem Grund kann man auf keinen Fall
von einer Abhängigkeit der Verehrung des Beauner
Jesulein vom Pariser Karmel mit seiner «berulleschen
Spiritualität» sprechen, wenn sich auch die
«kleine Lehre» Margaretens organisch in die
geistigen Strömungen des franz. 17. Jahrhunderts
einreiht.

DAS PRAGER JESULEIN
Nur zwei Jahre nach der Geburt der hl. Theresia
von Avila hatte Martin Luther in Wittenberg
vollständig mit Papst und Kirche gebrochen.
Mit reißender Gewalt, einem Wildbach zu vergleichen,
wälzte sich die neue Lehre über Deutschland
und verbreitete sich in raschem Lauf über Schweden,
Dänemark, Norwegen, die Niederlande und einen
großen Teil der Schweiz. Auch in den österreichischen
Staaten, in Ungarn und in Frankreich hielt sie
Einzug, während England durch den Ehebrecher
Heinrich VIII. von der Kirche losgerissen
wurde. Selbst Schottland fiel vom wahren Glauben
ab.
Hunderttausende, ja Millionen von Menschen wurden
der Kirche entzogen. Ein furchtbarer Krieg,
in dem die Söhne desselben Volkes sich mit Feuer
und Schwert bekämpften, sollte beginnen. Unzählige
Opfer wurden gefoltert, andere dem Elend preisgegeben.
Kirchen, Burgen, Klöster, Dörfer und Städte
wurden eingeäschert, Altäre gestürzt, Bilder
und Statuen geschändet oder vernichtet, liturgische
Bücher und Gewänder zerrissen oder verbrannt.
Unbeschreibliches wurde an Heiligtümern verübt.
Man entwendete die Ziborien aus den Tabernakeln,
streute die hl. Hostien auf den Boden, um sie
mit Füßen zu treten und entehrte die hl. Gefäße
durch Verwendung zu profanen Zwecken. Messe
und Sakramente wurden abgeschafft, die Verehrung
der Muttergottes und der Heiligen untersagt.
Selbst Toten in den Gräbern gönnte man keine
Ruhe und schändete ihre Leiber. Alle Ehrfurcht
vor den hl. Gebeinen der von der Kirche verehrten
Toten war verschwunden...
Dazu kam, daß protestantische Fürsten zu
Verrätern an Kaiser und Reich geworden waren.
Sie hatten die Feinde ins Land gerufen, die
in Deutschland und in seinen Nachbarländern
wie die Vandalen hausten. Ruinen verbrannter
Dörfer und Städte, verwüstete Felder und
geplünderte Vorräte zeugten vom Durchzug der
feindlichen Soldaten, die die unglücklichen
Bewohner in einem Übermaß von Elend und Hunger
zurückließen. Pest und eine entsetzliche sittliche
Verwilderung zerstörten das, was noch übrig geblieben
war.
Besonders hart wurde die Hauptstadt Böhmens
von den Glaubenskämpfen heimgesucht. Der kalvinistische
Kurfürst Friedrich von der Pfalz hatte sich
zum König von Böhmen krönen lassen und Kaiser
Ferdinand II., der von den protestantischen
Fürsten Deutschlands, Schwedens und Frankreichs
schwer bedrängt wurde, schwebte in Gefahr, alle
Länder zu verlieren, die bereits der Irrlehre
anheim gefallen waren. In dieser äußerst schwierigen
Lage bat der Kaiser, der mehr auf Gott als auf
das Glück der Waffen vertraute, Papst Paul V.,
er möge ihm den ehrwürdigen Pater Dominikus
von Jesus Maria, den dritten Ordensgeneral
der Unbeschuhten Karmeliten, von Rom nach
Deutschland senden, damit er durch sein Gebet
dem katholischen Heer zum Sieg verhelfe.
Paul V. zögerte keinen Augenblick, den ehrw.
Diener Gottes als päpstlichen Legaten «a
latere» zum Kaiser zu schicken. Er wurde wie
ein Gottgesandter in Deutschland und in Österreich
empfangen. Kurz vor dem Auszug der Truppen versäumte
er es nicht, den Herzog Maximilian von Bayern,
Tilly und die übrigen Heerführer mit dem hl.
Skapulier des Karmels zu bekleiden und Tausende
von kleinen Skapulieren an die Soldaten zu verteilen.
Schon am 20. Juli 1620 sagte er den Sieg der
katholischen Truppen über die Andersgläubigen
voraus. Als die Kaiserlichen sich in der Nähe
von Prag befanden, besichtigte er das stark
verwüstete Schloß Strakonitz und fand im unteren
Geschoß einige fromme Bilder, die mit Schmutz
und Kot bedeckt waren. Als er sich anschickte,
eines von ihnen zu reinigen, fand er zu seiner
größten Freude ein liebliches Bild der seligsten
Jungfrau, die vor dem Jesuskindlein kniete.
Ihr zur Seite stand der hl. Josef und im Hintergrund
sah man einige Hirten. Doch nicht weniger groß
war sein Schmerz, als er feststellen mußte,
daß allen Personen, mit Ausnahme des Jesuskindes,
die Augen ausgestochen waren. Dominikus wurde
geoffenbart, daß diese Schandtat durch die Hand
eines wütenden Kalvinisten geschehen war. Inständig
bat er den allmächtigen Gott, Er möge doch die
Feinde seiner heiligsten Mutter zu Schanden
machen und bewirken, daß die Verehrung Mariens
durch dieses Bild sich neu ausbreite und erhöht
werde. Seinerseits machte er das Gelübde, alles
zu tun, um die Freveltat zu sühnen.
Kaum hatte er das Versprechen abgelegt, als
er von Gott prophetisch erleuchtet wurde
und die Zusicherung des Siegs erhielt. Und
in seinem Herzen verstand er, daß durch die
Fürsprache der Gottesmutter dieses Bildes viele
Wunder und Gnadenzeichen geschehen sollten.
Es ist das Bild «Maria vom Siege», das
später in Rom hoch verehrt wurde. Während der
Schlacht am Weißen Berg hatte es Dominikus sichtbar
an seiner Brust befestigt. In der Hand hielt
er das Kruzifix und feuerte im Namen Mariens
unentwegt die Kaiserlichen zur Standhaftigkeit
an, so daß diese wider alles Erwarten den viel
stärkeren und in günstiger Stellung verschanzten
Feind in die Flucht schlugen. Der Sieg am
Weißen Berg vor den Toren Prags am 8. Dez. 1620
entschied die Sache des Kaisers und rettete
die böhmischen Länder dem katholischen Glauben.
Ferdinand selbst schrieb die unerwartete Wendung
dem persönlichen Eingreifen des ehrwürdigen
Karmeliten zu und stiftete zum Dank gemeinsam
mit Herzog Maximilian von Bayern das erste reformierte
Karmelitenkloster auf österreichischem Boden
(Wien, 1622), dem einige Jahre später die Gründung
von Prag und Graz folgen sollten.

Das wunderbare Prager Jesulein
Am 22. Sept. 1624 hatten die ersten Unbeschuhten
Karmeliten ihren Einzug in das von Ferdinand
II. gestiftete Kloster von Prag gehalten.
Es waren zunächst nur zwei aus Spanien gebürtige
Patres: P. Josef vom Kreuz und P. Marzellus
von der Muttergottes. Der Kaiser und der Stadtrat
übergaben ihnen die ehemalige protestantische
Dreifaltigkeitskirche mit den anliegenden Gebäuden,
deren Namen die Karmeliten in «Unsere Liebe
Frau vom Sieg» umänderten.
Die Situation war für die Neuangekommenen äußerst
schwierig. Prag war zu jener Zeit zum größten
Teil lutheranisch, und die Andersgläubigen,
die sich unter dem «Winterkönig» Friedrich von
der Pfalz gegen ihren rechtmäßigen Kaiser Ferdinand
II. aufgelehnt hatten und durch die Schlacht
am Weißen Berg zur Unterwerfung gezwungen worden
waren, schauten mit scheelen Augen auf das neue
Kloster, dessen Name «Maria vom Siege» sie nur
all zu sehr an ihre Niederlage erinnerte. Dazu
kam, daß die Patres, der neuen Verhältnisse
unkundig, darauf beharrten, daß der Konvent
ohne feste Einkünfte bleibe und ganz auf die
Almosen guter Wohltäter angewiesen sein sollte.
Der Vorschlag Kaiser Ferdinands, dem Konvent
sichere Einkünfte zu verschaffen, wurde mit
Berufung auf die Ordensvorschriften entschieden
abgewiesen.
Trotz seiner Hochachtung für eine so gewissenhafte
Beobachtung der Ordensregeln konnte
sich der Kaiser nicht enthalten, ihnen zu bemerken:
«Meine Väter, das wird schwer gehen, da fast
ganz Prag vom Irrglauben angesteckt ist, und
es hier nur wenige Katholiken gibt, die Eure
Armut durch Almosen beheben können. Nehmen Sie
daher die von uns angebotenen Einkünfte an,
denn einen Ferdinand II. werden Sie nicht immer
haben».
Solange der Kaiser
in Prag weilte, fehlte es der neuen Niederlassung
nicht am notwendigen Unterhalt.
Doch als er seinen Wohnsitz in Wien aufschlug,
begann eine bitter harte Notzeit für das Kloster.
Die spärlichen Almosen, die hie und da eingingen,
vermochten nicht einmal die äußersten Bedürfnisse
zu decken. «Viele Tage mußten sich die Patres
mit Brot und etwas Obst zufrieden geben», heißt
es in der Chronik der österreichischen Provinz,
und die Lage besserte sich auch nicht, als 1624
weitere Karmelitenpatres, unter ihnen P. Johannes
Ludwig von der Himmelfahrt Mariens, der zukünftige
Prior und erste «Apostel» des Prager Jesulein,
eintrafen.
P. Johannes Ludwig suchte seine Zuflucht im
Gebet, um der bitteren Armut des Klosters abzuhelfen.
Als ihm anfangs Oktober 1628 die Leitung des
Konventes übergeben worden war, kam eines
Tages Polyxena Fürstin Lobkowitz, eine große
Wohltäterin des Klosters, und schenkte ihm und
den Patres eine Statue des Jesuskindes.
Dabei sagte sie:
«Mein Vater, ich übergebe Ihnen hier, was
mir am teuersten ist. Verehren Sie dieses Bildnis,
und es wird Ihnen an nichts mangeln». |
Alte Quellen und eine Familientradition des
Hauses Lobkowitz berichteten, daß Polyxenas
Mutter, Maria Mantiquez de Lara, geb. Fürstin
Pignatelli, dieses Gnadenbild aus Spanien
mitgebracht und es ihrer Tochter als Hochzeitsgeschenk
vermacht habe. Die Entstehung des Jesulein,
das bereits in Spanien verehrt wurde, ist an
eine reizende Legende gebunden, die wir wenigstens
in großen Zügen wiedergeben möchten.
«Zwischen Cordoba und Sevilla, südlich vom Guadalquivir,
stand einmal ein berühmtes
Kloster, das aber von den Mauren fast völlig
zerstört wurde. Zu den wenigen Überlebenden,
die sich in den Ruinen aufhielten, gehörte ein
frommer Bruder, der allgemein durch seine Liebe
zum Geheimnis der Kindheit Jesu bekannt war.
Als er eines Tages eifrig mit dem Kehren beschäftigt
war, erschien ihm ein kleines Kind von seltener
Anmut und schaute ihm aufmerksam zu.
Du kannst wirklich gut kehren, Bruder Josef',
sagte es ihm nach einer Weile. ,Der Boden ist
blitzblank. Aber kannst Du auch ein Gegrüßt
seist Du Maria beten?' ‘Ja.'
,Oh, so bet' es unverzüglich...'
Bruder Josef stellte den Besen zur Seite, sammelte
sich einen Augenblick und sprach dann andächtig,
mit gefalteten Händen und gesenkten Augen den
Engelsgruß. Als er bei den Worten: Und gebenedeit
ist die Frucht deines Leibes ankam, unterbrach
ihn das Kind mit den Worten: ,Das bin ich'
und verschwand.
Voller Sehnsucht schaute ihm Bruder Josef nach:
,Oh, kleines Jesuskind, komm, kehr zurück, denn
sonst werde ich an dem Verlangen, Dich zu sehen,
sterben!' Aber Jesus kam nicht.
Es vergingen Monate und Jahre und das Sehnen
des stillen Bruders wurde immer größer. Tag
und Nacht dachte er an das Jesulein, das ihm
so lieb zugelächelt hatte. Da vernahm er
eines Tages eine feine Stimme, die ihm den Auftrag
gab, eine Wachsstatue anzufertigen, die in allem
der Erscheinung gleichkäme.
Unverzüglich eilte er zu seinem Prior und bat
ihn um das Notwendige zu dem so heiligen
Werk. Während nun seine Hände das weiche Wachs
formten und sein Herz von der Rückkehr des zarten
Kindes träumte, entstand ein Jesulein nach
dem anderen, und ein jedes war schöner als
das Vorhergehende, so daß er immer wieder von
neuem begann.
Und dann wurde das sehnlichst Erwartete Wirklichkeit.
Von einer Schar lieblicher Engel
umgeben trat das hl. Kind in seine Zelle
und schien ihm zu sagen: Ich bin gekommen, damit
Du mich anschaust und Deine Statue mir ganz
gleich werde. In ekstatischer Seligkeit
machte er sich an die Arbeit. Noch einmal modellierten
seine Hände das reine Bienenwachs. Dann ein
prüfender Blick... Das Werk war gelungen. Sein
Jesulein war dem himmlischen Gast zum Verwechseln
ähnlich. Zutiefst bewegt fiel er auf die Knie,
und heiße Dankestränen entströmten seinen Augen.
Dann verbarg er das Haupt in beide Hände: Die
ewige Liebe hatte ihn sanft geküßt, und dieselben
Engel, die das hl. Kind begleitet hatten, trugen
seine Seele mit sich ins Paradies.
In der gleichen Nacht erschien Bruder Josef
seinem Prior, der das Jesulein in feierlicher
Prozession in die Kirche überführt hatte. ,Diese
Statue', sagte er ihm, ,die ich Unwürdiger angefertigt
habe, ist nicht für euch bestimmt. Heute in
einem Jahr wird euch Donna Isabella Manriquez
de Lara besuchen, und ihr werdet sie ihr abtreten.
Donna Isabella wird sie dann ihrer Tochter Maria
zur Trauung schenken, und sie wird das Jesulein
mit sich nach Böhmen forttragen. In der
Hauptstadt jenes Reiches wird sie dann als ,Das
Jesuskind von Prag' von Völkern und Nationen
angerufen werden. Gnade, Frieden und Barmherzigkeit
werden sich auf das Land herabsenken, das Es
sich zu seiner Wohnstätte erwählt hat, und das
Volk jenes Reiches wird sein Volk sein und Es
wird sein König heißen.»
Was die Legende berichtet, geschah auch wirklich.
P. Johannes Ludwig bereitete dem
kleinen König einen festlichen Empfang. Er hatte
nämlich gleich bei seinem Amtsantritt, einer
inneren Anregung folgend, dem Novizenmeister
den Auftrag erteilt, eine Statue des Jesuskindes
zu besorgen und diese im Oratorium des Konventes
aufzustellen, damit vor allem die Novizen angeeifert
würden, die heiligste Kindheit Jesu zu verehren
und sich nach dem Vorbilde des menschgewordenen
Gottessohnes in den klösterlichen Tugenden zu
üben. Nun stellten die Patres das neu angekommene
Jesulein im Oratorium auf, trugen Ihm mit kindlichem
Vertrauen die große Not des Hauses vor und flehten
Es inständigst um seine Hilfe an. Sie sollte
ihnen bald zuteil werden.»
Kaiser Ferdinand, den ernste Gedanken und schwere
Sorgen um das Zeitgeschehen bedrückten, hatte
seine Schützlinge im Prager Karmel aus dem Aug
verloren. Jetzt erinnerte er sich wieder an
ihre große Not und bestimmte im Jahr 1628, daß
den Patres eine monatliche Rate zum Ausbau des
Klosters und eine reichliche Zufuhr von Lebensmitteln
angewiesen würden. Dazu kam, daß der Weinberg
des Klosters zum größten Staunen aller im Jahr
1630 neu aufblühte und nicht weniger als 140
Fäßlein besten Weines lieferte, wobei ein jedes
Fäßlein 7 Eimer enthielt. Gottes Güte hatte
sichtbar die Andacht zum Jesulein belohnt.
Doch die Verehrung des gnadenreichen Kindes
sollte nicht lange währen. Infolge der andauernden
Kriegsunruhen sahen sich die Oberen gezwungen,
die Novizen, die treuesten Verehrer des Jesulein,
nach München zu versetzen. Zur gleichen Zeit
hielt Gustav Adolf seinen Einzug in Deutschland.
Wohin er auch immer mit seinem siegreichen Heer
kam, erfüllte er die Bevölkerung mit Angst und
Schrecken und hinterließ rauchende Trümmer und
Tausende von Leichen. Deutschland schien für
die römisch-katholische Kirche verloren zu sein,
denn Gustav Adolf beabsichtigte, ein protestantisches
Kaiserreich zu gründen. Während er den Westen
eroberte, fiel der Kurfürst von Sachsen mit
seiner Armee in Böhmen ein und belagerte am
15. Nov.
1631 Prag. Am 1. Jan. 1632 drangen protestantische
Prediger aus Sachsen, die sogenannten Prädikanten,
in die Kirche Maria vom Sieg ein und begannen
dort ihren Gottesdienst zu halten. Außer dem
Subprior und einem Laienbruder waren alle Karmeliten
geflohen. Sie vermochten sich nicht der einstürmenden
Gewalt zu widersetzen. Die Häretiker plünderten
Kirche und Kloster und kerkerten überdies die
beiden tapferen Karmeliten ein. Später fand
man die Statue des Jesulein mit abgeschlagenen
Händchen in einem Winkel unter allerhand Schmutz
und Gerümpel.

P.
Cyrillus und das gnadenreiche Jesulein
Seitdem die Andacht zum gnadenreichen Jesuskind,
die so viel versprechend begonnen und sich so
segensreich gezeigt hatte, fast gänzlich im
Konvent aufgehört hatte, schien auch aller
Segen Gottes von der Stiftung geschwunden zu
sein. Die von Ferdinand II. bestimmte jährliche
Unterstützung zur Vollendung des Klosterbaus
wurde aufgehoben. Bitteres Elend war im Kloster
eingezogen und allerlei Mißgeschick hatte seine
Bewohner getroffen. Kein Prior und kein Novizenmeister
waren imstande, drei Jahre lang das Amt zu verwalten,
denn Beschwerden und Unannehmlichkeiten aller
Art veranlaßten sie, ihre Tätigkeit niederzulegen
und sich von ihrem Posten zurück zuziehen.
Die Patres verlangten in andere Klöster versetzt
zu werden. Aber niemand ahnte, warum Gottes
Segen so augenscheinlich von ihnen gewichen
war.
Im Jahr 1637 - nach siebenjähriger Abwesenheit
- kam P. Cyrillus von der Muttergottes,
der als Novize das Jesulein so innig verehrt
hatte und so oft seine Gnadenhilfe erfahren durfte, auf Befehl
der Oberen nach Prag zurück.
Kaum daß er in der böhmischen Hauptstadt eingetroffen
war, als auch schon wieder die Schweden anrückten
und die Stadtmauern belagerten. Brennende Dörfer
und Schlösser, die ihren Weg zeichneten, ließen
keinen Zweifel über das, was die Bevölkerung
erwartete. In dieser allgemein großen Not ermahnte
der Prior des Klosters seine Untergebenen, sie
möchten durch Gebet und Buße Gottes Zorn besänftigen
und das drohende Unheil abwenden.
Dies war für P. Cyrillus die beste Gelegenheit,
um sein heiß geliebtes Jesulein, das er nach
langem Suchen endlich hinter einem Altar voll
Staub und Schmutz wieder gefunden hatte, zu Ehren
zu bringen. Er bat Pater Prior, das Kindlein
an seinem vorigen Platz im Oratorium aufstellen
zu dürfen, was ihm auch gern bewilligt wurde.
Vertrauensvoll empfahlen Ihm die Ordensbrüder
das Wohl des Klosters, der Stadt und des ganzen
Landes. Und siehe, das hl. Kind erhörte ihr
Gebet. Prag blieb vom Feinde verschont, und
ins Kloster kehrten Gottes Segen und mit ihm
Ruhe und Frieden zurück.
P. Cyrillus fühlte in seinem Herzen tiefe Dankbarkeit.
Immer mehr wollte er sein Jesulein verehren
und sich zu seinem Apostel machen. Als er eines
Tages wieder in vertrauter Zwiesprache vor Ihm
kniete, glaubte er aus seinem Mund die vorwurfsvollen
Worte zu hören:
«Erbarmt euch meiner und ich werde mich euer
erbarmen! Gebt mir meine Händchen wieder, die
mir die Ungläubigen abgeschlagen haben. Je mehr
ihr mich verehrt, desto mehr werde ich euch
segnen!» |
Erst jetzt bemerkte der gute Pater, daß dem
hl. Kind beide Händchen abgebrochen waren. In
seiner Freude hatte er ganz übersehen, daß er
sein Jesulein ohne Händchen auf den Altar gestellt
hatte. Unverzüglich eilte er zu seinem Prior
und zeigte ihm das verstümmelte Kind. Doch als
er ihm seine Bitte vortrug, dem Jesulein neue
Händchen anfertigen zu lassen, erhielt er eine
abweisende Antwort. Die Klosterkasse war leer,
und man hatte an dringendere Ausgaben zu denken.
Tief betrübt wandte sich P. Cyrillus an Gott
um Hilfe, und diese ließ nicht lange auf sich
warten. Ein frommes Mitglied der Skapulierbruderschaft,
ein gewisser Herr Mauskönig aus Aussig, war
nach Prag gekommen und wollte bei P. Cyrillus
beichten. Nachdem er sein Sündenbekenntnis beendigt
hatte, sagte er: «Hochwürdiger Pater, ich bin
überzeugt, daß mich der liebe Gott nach Prag
geführt hat, damit ich mich hier bei meinen
Mitbrüdern vom Skapulier Unserer Lieben Frau
auf den Tod vorbereite und ihnen Gutes erweise.
Ich bitte deshalb Euer Hochwürden, mich Gott
zu empfehlen, und sollte ich hier sterben, so
mögen die Patres meinen Leichnam in ihrer Gruft
bestatten.» Darauf gab er P. Cyrillus hundert
Gulden, ein für jene Zeit beträchtliches
Geschenk.
Freudestrahlend brachte P. Cyrillus das Almosen
seinem Oberen. Sicher würde er ihm
seine Bitte zur Ausbesserung des Jesulein nicht
abschlagen, denn mehr als einen Gulden brauchte
er wohl kaum, um die Reparaturkosten zu bezahlen.
Aber wider alles Erwarten erhielt er auch jetzt
eine abschlägige Antwort. Traurig kehrte
er zu seinem kleinen Liebling zurück und fand
im Gebet die Kraft zu demütiger Unterwerfung.
Im Oberen vollzog sich aber eine merkwürdige
Wandlung. Pater Vinzenz vom Kreuz hatte
bisher immer in den verschiedenen Konventen,
in denen er als Prior gewirkt hatte, eine segensreiche
Tätigkeit ausgeübt. Als er 1637 das Schifflein
des Prager Karmels steuern sollte, ging zunächst
auch alles gut vonstatten. Nachdem er sich aber
geweigert hatte, die verstümmelte Statue
des Jesulein wiederherstellen zu lassen, schien
aller Segen von ihm gewichen zu sein. Er wurde
melancholisch, behandelte seine Untergebenen
hart und verständnislos, so daß bald eine allgemeine
Unzufriedenheit herrschte und mehrere Patres
sogar um Versetzung in andere Ordenshäuser baten.
So geschah es, daß der kleine König aus dem
Oratorium entfernt wurde. P. Cyrillus trug
Ihn in seine Zelle, wo er viele Stunden zu seinen
Füßen verbrachte und Ihn für das Unverständnis
seiner Mitbrüder um Verzeihung und Nachsicht
anflehte. Zugleich nahm er sich vor, alles was
in seinen Kräften lag zu tun, damit das Jesulein
wieder zu Ehren gelange.
Als er einmal kurz vor der Mitternachtsmette
des Festes der Unbefleckten Empfängnis
die Gottesmutter inständig bat, sie möge doch
für eine würdige Unterkunft des Bildes ihres
heiligen Sohnes sorgen, trieb ihn ein innerer
Drang zum Fenster seiner Zelle, die der Kirche
gegenüber lag. Da sah er im lichten Mondschein,
wie sich eine kleine Wolke langsam über das
Chor senkte. Immer mehr nahm sie die Gestalt
einer Jungfrau an, die von vielen Sternen, wie
von einem Rosenkranz umgeben war. Die Jungfrau
breitete ihre Arme über das Chor aus, als wolle
sie den Ort bezeichnen, wo die Statue ihres
göttlichen Kindes von nun an verehrt werden
solle. Diese Erscheinung dauerte etwa eine Viertelstunde,
bis die Glocke zur Mitternachtsmette läutete.
Als P. Cyrillus am anderen Tag Nachschau hielt,
welchen Platz wohl die allerseligste Jungfrau
bestimmt habe, fand er über dem Betchor einen
Raum, den man schon früher als Oratorium einrichten
wollte, ohne aber diese Absicht jemals ausgeführt
zu haben.
Unter der Leitung des neuen Hausoberen, P. Dominikus
vom hl. Nikolaus, schien sich das Blatt zu Gunsten
des hl. Kindes zu wenden. Kurz nach seinem Amtsantritt
versuchte es P. Cyrillus von neuem und trug
ihm seine Bitte vor, ihm doch zu erlauben, das
verstümmelte Jesulein wiederherstellen zu lassen.
P. Dominikus zeigte sich nicht abgeneigt, wies
aber auf die leere Kasse des Konventes hin.
Schließlich sagte er ihm zum Trost: «Wenn das
Jesulein uns seinen Segen gibt, so will ich
sein Bild wiederherrichten lassen.»
Vertrauensvoll flehte P. Cyrillus zu seinem
kleinen König. Da wurde er plötzlich in die
Kirche gerufen: Am Marienaltar erwartete
ihn eine Dame, die ihm ein Almosen übergab und
dann, ohne ein Wort hinzuzufügen, verschwand.
Wer war diese Unbekannte? Alle Nachforschung
zeigte sich ergebnislos, so daß der gute Pater
fest glaubte, seine Wohltäterin sei die Muttergottes
selbst gewesen.
Überglücklich brachte er seinem Prior das Almosen
und mahnte ihn an sein Versprechen.
Tatsächlich erhielt er auch die Erlaubnis zur
Reparatur, aber nur unter der Bedingung, daß
die Kosten nicht mehr als einen halben Gulden
betragen dürften.
Ein Laienbruder wurde beauftragt, das Jesulein
zu einem geschickten Meister zu bringen. Doch
er kam unverrichteter Dinge zurück. Ein halber
Gulden war viel zu wenig. Der Meister wollte
für seine Arbeit einen ganzen Gulden haben.
Wieder einmal nahm P. Cyrillus seine Zuflucht
zum Gebet. Und da hörte er eine leise Stimme,
die ihm zuzuflüstern schien: «Stelle mich
in die Sakristei, neben die Tür, und es wird
jemand kommen, der sich meiner erbarmt.»
Er ließ sich das nicht zweimal sagen. Kaum war
eine Stunde vergangen, als auch wirklich ein
Herr kam, der das verstümmelte Bild sah und
sich anbot, das hl. Kind auf eigene Kosten wiederherstellen
zu lassen.
Der fremde Herr hieß Daniel Wolf. Er war früher
kaiserlicher Generalkommissar gewesen
und hatte in guten Verhältnissen gelebt. Jetzt
aber befand er sich in großer Not, so daß er
seine Gläubiger nicht zahlen konnte. Dazu kam,
daß er seit einiger Zeit mit seiner Frau ständig
Streit hatte und schon an Scheidung dachte.
Als er nun die Jesulein-Statue mit sich nach
Hause brachte, fand er ein Schreiben der kaiserlichen
Kammer vor, das ihm für früher geleistete Dienste
3000 Gulden bewilligte. Mehr als einmal hatte
er diese Summe angefordert, ohne aber jemals
eine Antwort zu erhalten. Auch der Streit mit
seiner Frau hörte auf, und die Ehegatten lebten
von nun an im besten Einvernehmen.
Als das Jesulein
fertig war, trug er Es in großer Dankbarkeit
ins Kloster zurück.
Er übergab es dem Sakristan, der Es an einem
Ehrenplatz aufstellte. Aber bald darauf
ließ
Es der gute Frater aus Unachtsamkeit fallen.
Im selben Augenblick drang ein Irrsinniger in
die Sakristei und stürzte sich voller Wut auf
den armen Sakristan, um ihn zu erwürgen. Und
er hätte seine Absicht auch wirklich ausgeführt,
wenn nicht zufällig P. Cyrillus hinzugekommen
wäre und ihn aus den Händen des rasenden Narren
befreit hätte. Zutiefst betrübt schaute P. Cyrillus
auf sein Jesulein, das vor ihm aufs neue verstümmelt
am Boden lag. Glücklicherweise trat zur selben
Stunde
Daniel Wolf
in die Sakristei,
und als er sah, was geschehen war,
bot er sich
großzügig an, die Statue abermals ausbessern
zu lassen.
Er nahm sie also wieder mit sich fort. Zu Hause
angelangt, wartete auf ihn ein Beamter,
der ihm die versprochenen 3000 Gulden auszahlen
wollte. Am nächsten Morgen brachte Daniel Wolf
das Jesuskind zu einem geschickten Kunsttischler
in der Nachbarschaft. Er bestellte gleichzeitig
einen wertvollen Schrein aus Glaswänden, damit
die Statue in Zukunft besser geschützt sei,
und kaufte außerdem noch vier Leuchter und einige
Blumenvasen. Für alles zusammen sollte er 25
Gulden zahlen, was eine beträchtliche Überforderung
war. Dieser war nämlich Protestant, und er hatte
mit dem ihm helfenden Schlosser, der ebenfalls
Lutheraner war, ausgemacht, den «dummen Papisten»,
wie er seinen Auftraggeber verächtlich nannte,
fest übers Ohr zu hauen, wobei sich beide in
gotteslästerlichen Schmähungen über das «papistische
Götzenbild» ergingen.
Daniel Wolf zahlte die verlangte Summe, ohne
ein Wort des Widerspruchs zu erheben.
Die beiden Lästerer
wurden aber innerhalb von drei Tagen von der
damals in Prag wütenden Pest hinweggerafft.
Kurz darauf sollte Daniel Wolf den
besonderen
Schutz des göttlichen Kindes
spüren. Er hatte seine 3.000 Gulden mit einigen
Wertgegenständen in einen gut verschlossenen
Kasten gelegt. Eines nachts schlichen sich Diebe
in sein Haus, die den Kasten fanden und ihn
mit sich fortschleppten. Aber noch bevor sie
das Haus verlassen hatten, wurden sie plötzlich
durch ein starkes Geräusch so sehr erschreckt,
daß sie alles stehen ließen und eiligst die
Flucht ergriffen. So belohnte das Prager Jesulein
die Großzügigkeit jenes Mannes, der sich seiner
Statue erbarmt hatte.
Inzwischen hatte sich der Ruf des wundertätigen
Kindes in der Stadt und Umgebung verbreitet.
Die sterbenskranke
Baronin
Kolowrat war zum
Leben zurückgekehrt, als man ihr das Jesulein
zum Kuß gebracht hatte. P. Cyrillus schlug deshalb
der Kommunität vor, die Statue der Öffentlichkeit
zugänglich zu machen und sie in der Kirche zur
allgemeinen Verehrung aufzustellen. Sein Vorschlag
fand die Zustimmung der Patres und so konnte
man den kleinen König im Advent
1639 zum erstenmal über dem Altar der allerseligsten
Jungfrau erblicken. Zu den vielen Verehrern,
die dem hl. Kind ihre Sorgen und Wünsche anvertrauten,
gehörte eine reiche Dame, deren Name taktvoll
in der Chronik verschwiegen bleibt, weil sie
wohl eine Wohltäterin des Klosters war. Sie
hatte sich so sehr in das Jesuskind verliebt,
daß sie Es um jeden Preis bei sich haben wollte.
So geschah es, daß sie eines Tages zu einer
stillen Mittagsstunde, als niemand in
der Kirche war, ihren beiden Kammerzofen befahl,
zum Altar hinaufzusteigen und das Jesulein heimlich
mitzunehmen.
Als P. Cyrillus kurz darauf den Verlust bemerkte,
erfüllte ihn von neuem tiefer Schmerz. Alles
Suchen und Nachforschen erwies sich als vergeblich.
Sein geliebtes Kind war verschwunden. Wo sollte
er nur seine Spur entdecken?... Und siehe da,
plötzlich hörte er eine tröstende Stimme, die
ihm leise zuraunte: «Bleib ruhig! In kurzer
Zeit wird das Jesulein wieder gefunden sein und
das Sakrileg entsprechend bestraft werden.»
Und so geschah es auch.
Wieder einmal hatte der schwarze Tod seine Geißel
über Prag geschwungen, und die
beiden Kammerzofen gehörten zu seinen ersten
Opfern. P. Cyrillus war zu ihnen gerufen worden,
um ihre letzte Beicht zu hören. Die eine Zofe
bekannte voller Reue ihre begangene Missetat
und wurde auch wieder gesund. Die andere dagegen
verweigerte die Sakramente und starb unter entsetzlichen
Qualen. Die Dame erkrankte an einem schweren
Gichtleiden und verlor all ihren Besitz.
P. Cyrillus brachte aber sein Jesuskind ins
Kloster zurück und sorgte dafür, daß Es von
nun an ständig bewacht würde.

Die Kapelle des Prager Jesulein
Die vielen Gebetserhörungen und allerhand Ereignisse
hatten die Patres zur Überzeugung gebracht,
man müsse dem Kind eine eigne Kapelle errichten.
Ein Wohltäter hatte dem Kloster
3000 Gulden vermacht
und gebeten, einen Altar zu Ehren der heiligsten
Dreifaltigkeit in der Kirche bauen zu lassen.
Es wurde daher beschlossen, über diesem Altar
eine Wandnische einzulassen, in der man die
wundertätige Statue zur öffentlichen Verehrung
aussetzen konnte. Damit war wohl ein weiterer
Schritt getan, aber es fehlte immer noch eine
eigene Kapelle für das Jesuskind.
Wieder einmal kam die göttliche Vorsehung zu
Hilfe. Eines Tages, es war im Jahr 1642,
wurde P. Cyrillus zum Baron von Lobkowitz gerufen,
der ebenfalls der Kommunität viel Gutes getan
hatte. Bei seinem Besuch fragte ihn die Baronin,
ob er nicht irgendeinen Wunsch für sein Jesulein
habe und fügte hinzu: «Ich möchte so gern etwas
für das hl. Kind tun». P. Cyrillus fühlte, daß
der Augenblick gekommen war, um für seinen Liebling
eine Kapelle zu erbitten. Der Baron war von
dem Gedanken begeistert. Noch im selben Jahr
begannen die Arbeiten an dem von der Muttergottes
bezeichneten Platz, und am 14. Januar 1644,
am Fest des heiligsten Namens Jesu, feierte
P. Prior die erste hl. Messe im «Eremitorium
Dulcis Pueri Jesu», wie die neue Kapelle getauft
wurde. Am 3. Mai 1648 wurde sie durch Kardinal
Ernst Adalbert von Harrach, Erzbischof von Prag,
feierlich eingeweiht. Gleichzeitig erteilte
der Oberhirte eine allgemeine Erlaubnis, in
der «heiligen Einsiedelei des Jesuskindes» das
Meßopfer darzubringen.
Der Kult des Gnadenbildes hatte damit seine
offizielle Bestätigung durch die Kirche erhalten.
Mit allen Sorgen und Nöten eilten die Prager
Bürger zu ihrem kleinen Wundertäter, der niemand
ungetröstet fortgehen ließ. Selbst die schwedischen
Eroberer, die am 26. Juli 1648 in die böhmische
Hauptstadt eingedrungen waren, konnten sich
dem Eindruck dieser Andacht nicht ganz entziehen.
Sie hatten im Kloster 160 Verwundete untergebracht,
und keiner von ihnen wagte es, das Gnadenbild
zu verspotten. Im Gegenteil, sie empfanden eine
uneingestandene Ehrfurcht und waren von der
Verehrung so vieler Menschen, die das göttliche
Kind vertrauensvoll in ihrem Elend anflehten,
zutiefst beeindruckt.
Selbst der Generalleutnant und spätere schwedische
König Karl Gustav stattete bei einer Besichtigung
des Karmelitenspitals der wundertätigen Statue
einen Besuch ab. Obwohl er Protestant war, hatte
ihn der Anblick der Gnadenstatue so ergriffen,
daß er dem göttlichen Kind 30 Dukaten opferte
und Ihm zu Liebe versprach, das Kloster bei
der nächsten Möglichkeit von der Einquartierung
zu befreien.
Im Jahr 1651 kam der Ordensgeneral der Unbeschuhten
Karmeliten, P. Franziskus vom
heiligsten Sakrament, zu einer kanonischen Visitation
nach Prag. Er hatte bereits in den österreichischen
Konventen viel von den Wundertaten des Jesulein
gehört und wollte nun von P. Cyrillus und den
anderen Patres alle Einzelheiten erfahren. Er
war von den Erzählungen tief bewegt. Am
26. Juli ließ er ein später berühmt gewordenes,
offizielles Schreiben ausfertigen, das die
volle Approbation der Jesuleinverehrung seitens
des Ordens enthielt und außerdem alle gegenwärtigen
und zukünftigen Patres aufforderte, die für
das Kind bestimmten Almosen ausschließlich zu
diesem Zweck zu verwenden. Dieses Dokument wurde
mit Siegeln versehen in der Gnadenkapelle aufgehängt.
Vier Jahre später
wurde die Gnadenstatue mit einer kostbaren Goldkrone
geschmückt,
und 1656 konnte der kleine Wundertäter dank
des großzügigen Entgegenkommens des Barons von
Tallemberg in eine eigene, Ihm in der Kirche
errichtete Kapelle gebracht werden. Er hielt
dort am 19. März unter jubelnden Zurufen der
Volksmenge und von vielen Priestern begleitet
seinen feierlichen Einzug.
Was sich P. Cyrillus seit langer Zeit erwünscht
und erträumt hatte, war nun endlich Wirklichkeit
geworden. In der langen Wartezeit war er immer
tiefer in das Geheimnis der Kindheit Jesu hineingereift,
das sich ihm so wunderbar in der in alle Menschenherzen
dringenden Liebesfülle Gottes geoffenbart hatte.
Wie oft hatte ihm die Statue des Jesuskindes
nicht gesagt, wie unendlich liebenswürdig Gott
in der Kleinheit eines Kindes ist, das sich
alle Herzen erobert! Wenn jetzt sein Blick den
von schimmernder Pracht umgebenen kleinen König
traf, konnte er da nicht aus ganzer Seele begreifen,
welchen unbeschreiblichen Reichtum Gottes Liebe
in sich birgt, die sich um der Menschen willen
so tief erniedrigt hatte?...
P. Cyrillus hatte seine Mission auf Erden noch
nicht beendet. Im Namen seines Jesulein sollte
er Ungläubige bekehren, Teufel austreiben und
sogar sterbenskranke Menschen wieder gesund
machen. Die Chronik ist hier überreich an Berichten,
alles Ereignisse, die dazu beitrugen, den Ruhm
des kleinen Jesuskindes zu verbreiten.
Die unermüdliche Arbeit dieses eifrigen Karmeliten
hatte allmählich ihre Spur in seiner
an sich kräftigen Konstitution hinterlassen.
Die Stunde seiner Reise in die ewige Heimat
hatte geschlagen. Durch eine Erkältung war er
gezwungen, seine Zelle nicht mehr zu verlassen.
Dazu kam ein hartnäckiger Katarrh, der seinem
Leben am 4. Februar 1675 ein Ende bereitete.
Von seinen Mitbrüdern umgeben und mit den hl.
Sakramenten versehen, erwartete er ruhig das
Kommen seines Jesulein. Er war 85 Jahre alt.

Zwei Karmeliten und das Prager Jesulein
Die Geschichte des Prager Jesulein ist mit dem
Tod seines treuesten Dieners durchaus nicht
beendet. Fast hundert Jahre herrschte Es mit
seinem milden Zepter und eroberte sich immer
mehr die Herzen der Menschen. Schon zu Lebzeiten
P. Cyrillus hatte Es sich in Pater Bonaventura von
der hl. Maria Magdalena
einen anderen Apostel erwählt, der mit viel
Klugheit und Taktgefühl den Schaden wieder gut zu machen
verstand, den sein Vorgänger, P. Michael von
den Engeln, angerichtet hatte. Es kam ihm die
glückliche Idee, ein zweites Prager Jesulein
für die Pfarrkirche von Solnitz anfertigen zu
lassen, wodurch der erste Schritt zur Verbreitung
des Jesuleinkultes außerhalb der böhmischen
Hauptstadt getan war.
Von ganz besonderer Bedeutung für die Entwicklung
und Propagation des Prager Jesuleinkultes ist
das Wirken zweier österreichischer Karmeliten
gewesen. Unter P. Emmerich vom hl. Stephan
und P. Ildephons von der Opferung Mariens
begann das hl. Kind seinen Triumphzug durch
die europäischen Länder und hielt in allen Karmelitenklöstern
seinen Einzug. P. Emmerich setzte zunächst sein
schriftstellerisches Talent in den Dienst des
Prager Kindes. Alles, was er nur über seine
Geschichte auftreiben konnte, stellte er in
einem Buch zusammen, das
1737 in Prag unter dem Titel «Pragerisches Groß
und Klein» erschien. Nur wenige Jahre
später wurde es in tschechischer und dann in
italienischer Übersetzung herausgegeben und
ist bis heute eine der wichtigsten Quellen für
die Prager-Jesulein-Forschung geblieben.
Als ihm 1736 die Leitung des Prager Konventes
anvertraut worden war, hatte er den Patres vorgeschlagen,
das Namen-Jesu-Fest besonders feierlich zu begehen
und sich durch eine eigene Novene dafür vorzubereiten.
Gleichzeitig hatte er bestimmt, daß am Mittwoch
und Freitag ein Hochamt am tallembergschen Altar
gefeiert werde, das nicht selten mit Orchestermusik
begleitet wurde. Auf diese Weise wurde die Karmelitenkirche
in Prag mit ihrem Gnadenbild ein Nationalheiligtum,
in dem Tausende von Notleidenden und Bedrängten
Zuflucht suchten.
Um die wunderbare Geschichte des hl. Kindes
allen zugänglich zu machen, hatte er an der
Pforte dreißig Bilder aufhängen lassen, die
die berühmtesten Gnaden und Wundertaten des
Jesuskindes darstellten. Außerdem versuchte
er, die von allen Seiten eintreffenden Bitten
um Bilder vom Prager Jesulein zu befriedigen,
so daß in kurzer Zeit in allen österreichischen
Karmelitenklöstern ein Prager Jesulein thronte.
Zur gleichen Zeit suchte P. Ildephons von der
Opferung Mariens, der 1737 zum General der
Unbeschuhten Karmeliten gewählt worden war,
das Wohl des ganzen Ordens unter den Schutz
des kleinen Wundertäters zu stellen. Wo er es
nur immer konnte, sei es in Unterredungen, bei
Besuchen oder in Briefen, immer war er darauf
bedacht, das Prager Kind bekannt zu machen und
von Ihm kleine Bilder oder Statuen zu verteilen.
Seine Initiative wurde überall gut aufgenommen,
ein Beweis, daß «die Verehrung des Prager Jesulein
nur ein Ausläufer dieser im Karmel schon bestehenden
Verehrung war»".
P. Ildephons konnte den wunderbaren Schutz des
hl. Kindes bei einer stürmischen Überfahrt
von Palermo nach Milazzo erfahren. Er schreibt
darüber in einem Brief an P. Emmerich, mit dem
ihn eine herzliche Freundschaft verband. «Kaum
hatten wir die Seefahrt begonnen, als die entfesselten
Wellen das Schiff gegen die Felsen schleuderten.
Ich rief im selben Augenblick mein Jesulein
aus Prag um Hilfe an und konnte mich und meine
Gefährten auf ein Felskliff retten... Und
da ereignete sich ein einzigartiger Fall: Ich
hatte in meinem Gepäck ein sehr wertvolles
Missale, das ich für die Kapelle des Prager
Jesulein bestimmt hatte. Es wurde mir von
den Religiosen in Palermo geschenkt... Im Augenblick
des Schiffbruchs war es nur in ein gewöhnliches
Papier gewickelt, und der Koffer, in den ich
es gepackt hatte, blieb lange Zeit ein Spiel
der Wellen des Meeres. Als ich nun den besagten
Koffer öffnete,
fand ich natürlich alle sich darin befindenden
Gegenstände völlig durchnäßt. Nur das Missale, das schöne Meßbuch,
das ich dem Prager Jesulein bringen wollte,
war
trocken und unversehrt geblieben.
Nicht einmal das Papier, in das es eingewickelt
war, war naß geworden.»
Als P. Ildephons nach Beendigung seines Generalates
als General Visitator nach Österreich
zurückkehrte, stellte er fest, daß der tallembergsche
Altar viel zu klein war für die ungeheure Menschenmenge,
die sich oft zu Füßen des Jesulein scharte.
Er sorgte deshalb dafür, daß inmitten der Kirche,
rechts von der Kanzel, ein prächtiger Altar
errichtet werde, der es allen ermöglichte,
das hl. Kind ungehindert zu sehen.
Am 13. Jan. 1741 erfolgte die feierliche Übertragung.
P. Ildephons ließ sich nicht nehmen,
das Kind mit eigenen Händen auf seinen neuen
Thron zu stellen und den kostbaren Glasschrein
zu schließen, der eigens angefertigt worden
war. Mit einer unvergeßlich gebliebenen Predigt
schloß er den Festtag ab. Wenn er noch manchmal
vor dem Jesulein die hl. Messe zelebrierte,
benützte er das schöne Missale, das ihm in Sizilien
geschenkt worden war. Auf der ersten Seite stand
von seiner Hand geschrieben: «Ex-Voto, das wir,
P. Ildephons a Praesentatione, Praepositus Generalis
Ordini B.M.V. de Monte Carmelo, unserem kleinen,
liebreichen Jesulein dargebracht haben. Annus
1739.
1742 zog sich P. Ildephons ganz nach Prag zurück.
Als Prior des Konventes war er unentwegt bedacht,
die Ehre des kleinen Königs zu mehren. Er versäumte
es daher nicht, die Kaiserin Maria Theresia,
die in Prag zur Königin von Böhmen gekrönt wurde,
zu einem Besuch des Jesulein einzuladen. Die
erlauchte Herrscherin kam auch wirklich und
schenkte Ihm ein kostbares Kleidchen und einen
Mantel aus grünem Samt, den sie mit eigenen
Händen genäht und gestickt hatte.
Als 1744 die preußischen Truppen vor der böhmischen
Hauptstadt standen, wandte sich
die Stadtobrigkeit an P. Ildephons mit der Bitte,
eine Prozession mit dem Gnadenkind zu halten,
damit Prag vor dem Schlimmsten bewahrt bliebe.
Es kam auch tatsächlich ohne Angriff zu einer
Kapitulation. Doch die preußischen Soldaten
drangen in die Stadt und wählten sich die
Klöster zu Kasernen. Auch der Karmelitenkonvent
blieb nicht verschont. Glücklicherweise dauerte
die Besetzung nur wenige Monate. Die Pest war
im preußischen Heer ausgebrochen, und König
Friedrich II. gab Befehl zum Rückzug der Truppen.
Nachdem die alles in Brand steckenden Truppen
endlich die Stadt verlassen hatten, eilten die
befreiten Prager zum Thron ihres kleinen Wundertäters.
Mit nie gesehener Festlichkeit wurde eine
Dankesnovene abgehalten, bei der selbst die
Königin von Polen zu sehen war.

Das Prager Jesulein in der Neuzeit
Bis zum 3. Juli 1784, als die Maßnahmen des
Josephinismus auch den Prager Konvent
ereilten und der Verehrung des Prager Jesulein
ein Ende bereiten wollten, war das hl. Kind
eines der beliebtesten und bekanntesten Gnadenbilder.
Nach der Vertreibung der Patres wurde die
Kirche dem Malteserritter P. Johannes Raimond,
übergeben, während das Konventgebäude in
ein Gymnasium umgewandelt und der Besitz des
Klosters als Staatseigentum erklärt wurde. Alles
Übrige, einschließlich der kostbaren Ex-Votos,
wurde auf öffentlichem Markt versteigert oder
vernichtet. Die Jesulein-Statue wagte aber niemand
anzutasten, denn der Kaiser fürchtete eine allgemeine
Empörung.
Solange P. Johannes Raimond die Kirche verwaltete,
blieb die traditionelle Verehrung
erhalten. Er selbst suchte in seinen Predigten
aufzufordern, auch weiterhin hoffend und vertrauend
das Jesulein anzuflehen. Nach seinem Tod (1808)
geriet die Kirche aber langsam in Verfall. Niemand
hatte mehr für das hl. Kind Interesse, und die
einst so begeisterte Prager Bevölkerung schien
es ganz vergessen zu haben.
Erst unter P. Johannes
Slansky änderte sich die Lage.
Es war ihm gelungen, 1878 die Kirche restaurieren
zu lassen und für das Jesulein einen neuen Altar
aufzustellen. Das Geld dazu hatte sich das hl.
Kind selbst «erbettelt», denn Es war von Kloster
zu Kloster gewandert, wo es allen in einem schlichten
Bettlergewand, ohne Krone und Goldschmuck, seine
leere Tasche zeigte. Langsam begann auch seine
Verehrung wieder zu erwachen. Ein Redemptorist,
P.
Josef Mayer,
hatte 1883 ein geschichtliches Werk über «Das
gnadenreiche Jesuskind in der Kirche Sancta
Maria de Victoria zu Prag» verfaßt, und bald
darauf gründete der Prager Erzbischof Kardinal
Franz Schonbron die «Bruderschaft vom Prager
Jesulein», deren Statuten schon am 13. Mai 1895
ihre päpstliche Approbation erhielten.
Während die Bemühungen der Karmeliten um Wiederbelebung
des Prager Jesulein-Kultes
infolge eines hartnäckigen Widerstandes von
Seiten der Malteserritter, die ihnen ihre einstige
Kirche nicht zurückgeben wollten, keinerlei
Erfolg hatte, gelang es dem Prager Erzbischof
Kardinal Karl Kaspar, die Prager Bevölkerung
von neuem und in gewissem Sinn die ganze Welt
für das wundertätige Kind noch einmal zu begeistern.
Er selbst hatte in Rom als Theologiestudent
die schmerzvolle Feststellung machen müssen,
daß man das Jesulein überall und nur nicht in
seiner eigentlichen Heimat kannte. «Oh, in dieser
Stadt - in Prag - befindet sich das Heiligtum
des wunderbaren Jesulein», hatte ein Mitseminarist
bemerkt und hinzugefügt: «Nicht wahr, man hat
es dort sehr lieb?» Zu seiner tiefsten Beschämung
mußte Kaspar sich eingestehen, daß... er es
nicht einmal kannte!
Zum Erzbischof von Prag ernannt, machte er es
sich zur hl. Pflicht, die Wichtigkeit der
Jesulein-Verehrung zu betonen und vor allem
auf die Bedeutung des «Kleinen Wegs» des geistigen
Kindseins nach dem Beispiel des göttlichen Kindes
im innerlichen Leben hinzuweisen. Seine Aufsätze
«Od Prazskeho Jezulatka» (Über das Prager Jesulein)
fanden selbst im Ausland gute Aufnahme. Seiner
Initiative ist es zu verdanken, daß 1935 der
kath. National-Kongreß in der Kirche Unserer
Lieben Frau vom Sieg stattfand und als Thema
«Die Funktion des hl. Kindes im "restaurare
omnia in Christus" wählte. Bei dieser Gelegenheit
wurden drei Pontifikalämter vor dem Schrein
des Jesuskindes gefeiert.
Von besonderer Bedeutung ist es, daß der Kardinal
im folgenden Jahr, als in Spanien die Revolution
tobte, die Bevölkerung um Gebetsnovenen zu Füßen
des wundertätigen Kindes bat, damit die
Heimat des kleinen Königs vom Kommunismus befreit
würde. Zum Dank dafür wurde er in Spanien «El
Cardinal del Nino de Praga», der Kardinal vom
Prager Jesulein genannt; diesen Titel hatte
er mit Recht verdient.
Als sein Nachfolger, Kard Joseph Beran,
1945 vom Konzentrationslager in Dachau heimkehrte,
war sein erster Gedanke, eine hl. Messe am Jesulein-Altar
zu feiern. Zum Dank für seine Befreiung änderte
er den Titel der Karmeliterkirche in Unsere
Liebe Frau vom Prager Jesulein. Seit 1948, dem
Beginn der kommunistischen Herrschaft, die Kard.
Beran mit anderen Bischöfen und Priestern internierte,
ist es wieder still um das hl. Kind geworden.
Aber es fehlt in Prag nicht an Gläubigen, die
in ihren Leiden und Sorgen bei Ihm Zuflucht
suchen. Umso mehr wird das Prager Jesulein heute
in aller Welt verehrt.
In der Kapelle des Flugplatzes von New York
grüßt seine Statue die Neuankömmlinge.
In Arenzano [bei Genua] in Italien
wurde dem kleinen Wundertäter eine eigene Basilika errichtet.
In vielen Kirchen und Kapellen kann man heute
das Gnadenbild sehen" und sich in die Bruderschaft
des Prager Jesuskindes einschreiben lassen."
Wenn auch der Kult des Prager Jesulein seinem
Ursprung, Wesen und seiner Bedeutung
zufolge ein Ausdruck der böhmischen Gegenreformation
ist, deren Schicksal und innere Schichtung er
treu widerspiegelt, so ist er deswegen nicht
«unzeitgemäß» und deshalb abzulehnen. Vielleicht
lächeln wir heute über die Barockfrömmigkeit
und die strahlenden Schätze religiöser Kunst,
die uns diese Zeit in reicher Fülle hinterlassen
hat, die uns wie die Ausstattung zu einem längst
vergessenen geistlichen Schauspiel anmuten.
Und doch verbirgt sich hinter ihnen eine erschütternde
Aufrichtigkeit, die uns die Seele der damaligen
Menschheit im Ringen mit dem Fürsten dieser
Welt erschließt.
Die Entwicklung der Jesuskindverehrung ist in
das Zeitgeschehen einzureihen und aus diesem
zu verstehen. Mit dem Auftreten der böhmischen
Bilderstürmer (1619) setzte gerade in diesem
Land auf katholischer Seite eine gesteigerte
Verehrung der Andachtsbilder ein. Das gläubige
Volk fühlte sich tief verletzt durch die vielfache
Schändung ihrer heiligsten Werte und bäumte
sich in mächtiger Abwehr auf. Als eine natürliche
Reaktion auf die bilderfeindlichen Tendenzen
der Reformation erwachte in ihm ein gesteigertes
Bedürfnis nach äußerem Ausdruck seiner Frömmigkeit,
nach einem Festhalten seiner religiösen Symbole,
nach rauschenden geistlichen Festen und goldglänzenden
Heiligtümern und Gnadenbildern. Ein Zeichen
des gesunden Erwachens der beleidigten Lebenskräfte
ist in der Verehrung des Prager Jesulein zu
finden, in der die Menschen der Gegenreformation
dem göttlichen Erlöser in Kindsgestalt ihre
ganze Liebe entgegenbringen wollten.
Es entsprach besonders der Gemütsverfassung
des Barockmenschen, Gott und den Mysterien
Christi im Geheimnis der Kindheit des Herrn
zu begegnen. Er jubelte sein stolzes Gloria
über die neu gewonnenen Herrlichkeiten des vorher
altklug geleugneten Glaubens immer wieder in
die Welt hinaus. Es war Weihnachtsstimmung im
Herzen dieser Epoche. Gott war gleichsam noch
einmal auf diese Welt gekommen, und man wollte
mit Ihm das Antlitz der Erde erneuern. Die sinnige
Bewegtheit der bildenden Künste, wie die frische
Heiterkeit der klassischen Tonsätze sind auf
anderem Gebiet Ausdruck derselben Grundstimmung.
Aber mitten in dieser Freude zitterte das Entsetzen.
Der Riß war doch schon da...
Der Mensch wehrte sich jener Tage mit seiner
letzten Kraft. Darum wirkt auch manches Gebet
jener Zeit so dringlich, so flehentlich bettelnd...,
als ob es sagen wollte: «Liebes Gotteskinderl,
bleib da». So ist die Frömmigkeit des Barock
und mit ihr die Andacht zum Jesuskind von erschütternder
Aufrichtigkeit.
Ist das Ideal und die Seelenstimmung des heutigen
Menschen wesentlich davon verschieden? Auch
für uns wurde das Wort vom Kindsein gesprochen;
auch uns mahnt das Jesulein, zu Kindern des
himmlischen Vaters zu werden. Darum zeigt
uns das Prager Kind den Weg, den ein jeder von
uns einschlagen muß, und seine Andacht reiht
sich organisch in die geistliche Linie unseres
Jahrhunderts ein.
Gegner des Prager Jesulein-Kultes hat es bereits
im 17. Jh. gegeben, wo man in pietistischen
Kreisen glaubte, derartige Erfindungen und «kindische
Neuigkeiten» kritisieren zu müssen. Sie hätten
nichts mit einer wahren Frömmigkeit zu tun und
bedeuteten für vernünftig denkende Menschen
lediglich einen unwürdigen und lächerlichen
Zeitvertreib. Selbst innerhalb des Karmelitenordens
fehlte es nicht an Stimmen, die in seinem Kult
etwas Neues und Ungewohntes für die Spiritualität
des Karmels zu sehen glaubten und daher fürchteten,
damit der Tradition
zu widersprechen. Daß derartige Äußerungen einzig
der Unkenntnis entsprangen, braucht hier nicht
wiederholt zu werden. Die Geschichte hat gezeigt,
daß alle gegenteiligen Auffassungen in kurzer
Zeit zum Schweigen gezwungen waren und daß sich
die Jesulein-Verehrung trotzdem entfaltet hat.
Die Andacht zu dem kleinen Prager Wundertäter
ist für alle von Anfang an «ein Weg zum wahren,
lebendigen Jesuskind im Tabernakel gewesen.
Zeugnis davon geben die vielen hl. Messen, die
am Gnadenaltar gelesen wurden». Besonders in
Spanien blüht die Andacht zum göttlichen Kind,
wo in jeden der zahlreichen Karmelitenkonvente
eine Bruderschaft vom Prager Jesulein besteht.
Jeden Monat findet an einem Sonntag eine besondere
Andacht mit Prozession in der Kirche statt,
wobei die Statue des göttlichen Kindes von Knaben
getragen wird und woran zahlreiche Kinder, Fähnchen
und Blumen tragend, teilnehmen. Wenn heute in
jenen Ländern, in denen die Treue zum katholischen
Glauben sich nicht in gleicher Frische bewahren
konnte, die Jesuskindverehrung weniger spürbar
ist, so erklärt sich das nicht nur aus den verschiedenen
Temperamenten und Charakteranlagen, sondern
vor allem aus dem Zeitgeist, der verlernt hat,
ein Kind vor Gott zu sein. Um die ganze,
tiefe Bedeutung der Verehrung des Prager-Jesulein
zu verstehen, muß man erst lernen, schlicht
und einfach wie das göttliche Kind zu werden.
Das ist aber zugleich die Botschaft des Karmels
an die Welt. Wo sie in offene Herzen dringen
kann, da vermag auch das Prager Jesulein und
damit ein Stück echtester karmelitischer Spiritualität
in das Innerste der Menschen zu dringen.
[Nach
der Wende sah die Kirche schlecht aus. Inzwischen
ist sie renoviert und italienische Karmeliten
aus Genua betreuen die Kirche. Sie liegt unterhalb
der Prager Burg nicht weit
von der berühmten Karlsbrücke.]

DAS JESULEIN IM DEUTSCHEN KARMEL
Wenn man die geistigen Linien der Spiritualität
des deutschen Barockzeitalters verfolgt, wird
man zwei Entwicklungsstufen unterscheiden müssen.
Das 17. Jh. war sowohl von einer bewußten Aufnahme
der Frömmigkeitsformen des Mittelalters wie
einer nicht zu leugnenden Vorliebe für das Visionäre
und Außergewöhnliche beseelt. Man hat daher
auch seine geistigen Tendenzen und ihre einzelnen
Erscheinungsformen im Bereich der Kirche als
Neumystik bezeichnet, ein Titel, der zu Recht
besteht, wenn man von der spekulativen Mystik
absieht und die Mystik in ihrer charakteristischsten
Ausprägung als Liebesmystik im bernhardinischen
Sinn faßt.
Liebessehnsucht und das Verlangen nach Vereinigung
mit Christus und Gott durchzieht als immer wieder
aufklingendes Grundmotiv die religiösen Dichtungen
Friedrich von Spee’s (1591-1635), Jacob
Baldes (1604-1668) oder Johann Schefflers (1624-1677).
«Wie kan ich deiner so lang entrathen? / Wie
kan ich jmmer rasten / und ruhen bisz ich dich
vmfange?
/ bisz du mich in dich verzehrest, bisz ich
lauter dein / vnnd du pur lauter mein in ewigkeit
bleiben müssest?» schreibt Friedrich von Spee
in seinem 1649 in Köln gedruckten «Güldenem
Tugendbuch», während der gleiche Gedanke seine
«Trutznachtigall» wie eine Liebesklage durchzieht:
«Ach wan doch Jesu liebster mein, / wan wirst
dich mein erbarmen: / wan wider zu mir kehren
ein, / wan fassen mich in armen?...»
Mit dem aufstrebenden 18. Jahrhundert war eine
Wendung eingetreten. Rationalismus und philosophische
Spekulation waren auch ins religiöse Gebiet
eingedrungen
und hatten bewirkt,
daß das reine Erlebnis einer persönlichen Gottbegegnung
seine Frische und Ursprünglichkeit verlor. Trotz
allem beherrschte aber weiterhin in katholischen
Kreisen ein nicht geringer Hang zur Erbauung
und zum mystischen Phänomen den geistigen Horizont.
Es ist daher leicht verständlich, daß Schriften
wie die «Täglichen Geschichten von denkwürdigen
Begebenheiten, welche sich sonderlich an einem
jeden Tag des ganzen Jahres mit der hl. Jungfrau
und Theresia de Jesu zugetragen haben», die
1718 in Wien von dem Jesuiten P. Marckhovitsch
verfaßt wurden, einen guten Erfolg hatten, und
daß man auch sonst das Leben und die Werke der
hl. Theresia mit großem Interesse begrüßte.
In diesem geistigen Klima haben wir die Andacht
zum Jesuskind im deutschen Karmel zu suchen.
Die gefühlsbetonte Stimmung, die durch die zarte
Lyrik Spees aufgerufen worden war, begünstigte
das Verständnis und damit die Möglichkeiten
ihrer Entfaltung. Dazu kam, daß diese Andacht
dem deutschen Menschen durchaus nicht etwas
Wesensfremdes bedeutete, wie Volksgebräuche
und mittelalterliches Schrifttum beweisen. Vielleicht
behauptet man nicht zu viel, wenn man in ihr
einen Ausdruck typisch deutschen Gemütes sieht,
das im übrigen die Geburt des Herrn mit anmutigen
Legenden umgeben wollte.
Als daher am Anfang des 17. Jahrhunderts unbeschuhte
Karmeliten und Karmelitinnen die Alpen überschritten,
konnten sie voraussetzen, daß der Jesulein-Verehrung
in der neuen Heimat nichts im Wege stehen würde.
Es war zunächst der kleine König von Prag, der
im süd-ostdeutschen Sprachraum mit lebhafter
Begeisterung aufgenommen wurde, und es ist interessant,
daß es bald auch außerhalb des Karmels nachgeahmt
wurde. Zu seinen Füßen hatte M. Maria Anna
Josepha Lindmayr unzählige Stunden vertrautester
Zweieinsamkeit verbracht. Es wird wohl dieses
Jesuskind gewesen sein, das sie zur mystischen
Vermählung rief.
Das Prager Jesulein ist aber nicht die einzige
Statue des hl. Kindes im südostdeutschen
Sprachraum geblieben. In der Karmelitenkirche
von Wien-Döbling trifft man noch heute, gegenüber
dem Gnadenaltar Unserer Lieben Frau mit dem
geneigten Haupt, im rechten Seitenschiff auf
das sogenannte Mannersdorfer Jesulein.
Es ist dem Prager Jesulein ähnlich. Die Chronik
der österreichischen Provinz erzählt, daß Es
1740 in der Einsiedelei von Mannersdorf am Leithagebirge
aufgestellt wurde. Dort soll Es, als der Provinzial
P. Alexander von Jesus Maria auf Visitationsreise
verweilte, den vor Ihm knienden Pater gesegnet
und dabei folgende Worte gesprochen haben:
Ich werde diesen Ort immer beschirmen.
Als der Klostersturm die Aufhebung der Einsiedelei
forderte, wurde das Jesulein nach Wien gebracht.
Zuerst fand Es in der Leopoldstadt liebende
Aufnahme. Nach Erbauung der neuen Karmelitenkirche
in Döbling wurde Es dahin überführt.
Leider ist Es fast vergessen worden, obwohl
Es einst Wunder bewirkt hat, wie die 1748
erfolgte Heilung des gelähmten Karl Edtinger.
Welches Jesulein wurde nun in den westdeutschen
Karmeliterklöstern verehrt? Wir müssen die Frage
unbeantwortet lassen. Nur einige Vermutungen
weisen auf Statuen, die das Brüsseler Jesulein
nachzuahmen suchten. Dem Prager Jesulein blieb
lange der Eingang verschlossen. Erst in der
Gegenwart finden wir seine Statuen in den von
Köln aus gegründeten Karmelklöstern. Wir haben
auch keinerlei Berichte über das innige Liebesverhältnis
auserwählter Karmeliten oder Karmelitinnen,
wie wir es von anderen Ländern her gewohnt sind.
Obwohl das Leben der ehrw. M. Isabella vom Hl.
Geist in das Licht einer großen Christusliebe
und Verehrung
des göttlichen Kindes getaucht ist, so wissen
wir nichts von außergewöhnlichen Gnaden. Umso
mehr Material ist uns aber überliefert, das
von dem heiligen Verlangen spricht, durch getreue
Nachahmung der Kindheitstugenden den inneren
Anruf des Jesuleins im Herzen laut aufhallen
zu lassen. Der Tag des Karmeliten sollte sich
mit dem schlichten Leben in Bethlehem verschmelzen,
damit ein jeder von dem wunderbaren, umformenden
Blick getroffen werde, der vom menschgewordenen
Gottessohn ausging und ihn der Gebundenheit
seines Selbst entreißen wollte. Mit seiner Gegenwart
sollte das Jesuskind dazu beitragen, daß alle
Handlungen, auch die gewöhnlichsten und bescheidensten
täglichen Beschäftigungen, eine tiefe Liebe
zu Ihm ausstrahlten. Das hl. Kind war damit
für das religiöse Leben des deutschen Karmels
wahrhaft «der Weg, die Wahrheit und das Leben».
Es ist interessant, daß man in den Westdeutschen
Ländern von Anfang an den Zugang zum Mysterium
der Kindheit Jesu im Mysterium selbst suchte,
ohne der Berührung mit dem sichtbar Dargestellten
eine wesentliche Bedeutung zuzumessen. Das soll
nicht heißen, daß der Karmel Deutschlands die
Jesuleinstatuen gering schätzte oder ihnen mit
weniger Verehrung begegnete, als es in den romanischen
Ländern der Fall war. Nur sein Verhältnis zum
Bild des göttlichen Kindes war ein anderes geworden.
Man könnte es aufgelockerter und unabhängiger
bezeichnen, da sich der Sinn des bildlich Dargestellten
gewandelt hatte. Daraus folgte, daß man sich
wenig um Anfertigung eigener Statuen sorgte.
Umso mehr begegnen wir aber den Spuren tief gefühlten
Andacht und bereitwilligen Lauschens auf die
Belehrung des göttlichen Kindes.
Im 19. Jahrhundert war es wieder eine Karmelitin,
Schwester Teresia von Jesus, geborene
Gräfin Sofie Stolberg-Stolberg, die unentwegt
seine Verehrung förderte und zu einem Leben
nach seinem Beispiel anregte und im 20. Jh.
stellte sich Edith Stein von neuem in
die Tradition des theresianischen Karmels. Ihr
kleines «Weihnachtsmysterium» bildet ein sprechendes
Bindeglied im Rahmen karmelitischer Christussuche
und Christusliebe.

Die ehrw. M. Maria Anna Josepha Lindmayr
Das Leben der M. Maria Anna Josepha von Jesus,
geb. Lindmayr, schreitet über alle Schranken
menschlichen Seins hinaus in ein völliges Sich-verlieren
in Christus, das die unaussprechliche Gnade
der Vereinigung mit dem himmlischen Bräutigam
nicht weniger erfüllend ausströmt, als es im
mystischen Leben der seraphischen Heiligen des
Karmels der Fall gewesen ist. Beide waren von
einer Christusliebe durchglüht, die alle Grenzen
menschlicher Liebe bei weitem überstieg, und
beide lebten ihr eigentliches Leben tief verborgen
im Mysterium Christi, das sie unmittelbar zum
dreifaltigen Gott führte.
Maria Anna Lindmayr hatte ihre geistliche Vermählung
am Vorabend des Festes Mariä Geburt gefeiert,
«An diesem Abend», so berichtet sie selbst,
«war ich bis nach Mitternacht im Chor. Während
ich betete, erschien mir die Muttergottes
mit dem Jesuskind. Ganz nahe hielt sie mir
das göttliche Kindlein hin, das nach mir verlangte
und mir zu erkennen gab, daß Es sich mit
mir vermählen wolle. In seinen Händen hielt
Es den Ring. Ich war über dieses Gesicht
nicht wenig erschrocken. Aber es stand nicht
in meiner Gewalt, die Gnade abzuweisen, denn
Christus ist Herr über meine Seele und über
meinen Leib. So mußte ich die Vermählung geschehen
lassen...», und Maria Anna vermählte sich
mit dem göttlichen
Kind unauflöslich,
in höchster Seligkeit und Liebe.
Sie hatte am 23. Sept. 1657 in München das Licht
der Welt erblickt. Lange Zeit war sie Terziarin
des Karmeliterordens. Erst1712, als das Dreifaltigkeitskloster
in München gegründet wurde, konnte sie als Unbeschuhte
Karmelitin im zweiten Orden eingekleidet werden.
Dort starb sie am 6. Dez. 1726 «nicht an einer
Krankheit, sondern aus Übermaß der Liebe», wie
sie einen Tag vorher ihren Mitschwestern gestanden
hatte.
Schon als kleines Kind wurde Maria Anna auf
dem Weg des Außergewöhnlichen geführt. Erscheinungen
und wunderbare Ansprachen, sowie ein inneres
Erspüren der Nähe der Armen Seelen begannen
bald ihre kleine Welt zu erfüllen. Später wurde
den ihr von Gott geschenkten Visionen die
Prophetengabe hinzugefügt. Der Kapuziner
Albert von Rosenheim versichert eidlich, daß
sie ihm nicht weniger als sieben Ereignisse
seines zukünftigen Lebens vorausgesagt habe.
Ihre Frömmigkeit stand ganz in der Linie der
dem barocken Empfinden eigenen religiösen Spannungen,
die sich in ihr zum Bewußtsein einer von Gott
erhaltenen Aufgabe steigerten.
Man hatte sie die «Retterin Bayerns in schwerer
Zeit» genannt. Am 8. Juli 1704 verbürgte
sie sich anläßlich einer Vision der HIst. Dreifaltigkeit
für die Stadt München, die sich der Plünderung
und Zerstörung durch die feindliche Armee ausgesetzt
sah. Ihr Gebet und Opfer wurde erhört und
München blieb verschont. Die Stadt erfüllte
ihrerseits das Gelübde und erbaute die Dreifaltigkeitskirche.
In den Jahren, die Maria Anna in der Welt verbrachte,
zeichnete sie sich durch eine opferbereite
Nächstenliebe und großen Seeleneifer aus. Sie
wurde von hoch und niedrig als Zuflucht der
Betrübten, Trösterin der Bedrängten und himmlische
Ratgeberin in zweifelhaften Fällen aufgesucht
und geehrt. Allenthalben pflegte man sie die
«fromme Jungfrau» zu nennen. Sie ermahnte alle
jene, die zu ihr kamen, eifrigst um göttliches
Licht zu beten, in dem sie Gott und ihre Fehler
erkennen würden. Ihre Aussprüche, Ermahnungen
und Worte über göttliche Dinge hinterließen
einen solchen Nachdruck in den Herzen der Zuhörer,
daß niemand zweifeln konnte, aus ihr rede der
Geist Gottes.
Maria Anna war Mystikerin. Wenn sie am Sonntag
das Geheimnis der Hlst. Dreifaltigkeit betrachtete,
fühlte sie in sich die unmittelbare Nähe Gottes,
aber zugleich den unermeßbaren Abstand zwischen
Mensch und Gott. Eine ihrer Visionen zeugt von
dem leidvollen Überwinden der Dimensionen der
Nähe und des gleichzeitigen Abstandes Gottes,
was in ihr eine tiefe Erkenntnis ihres Nichtsseins
auslöst. «Mir wurde gezeigt», schreibt sie,
«wer Gott gegenüber den Menschen ist. Ich erkannte,
wie Christus in seiner heiligsten Menschheit
den himmlischen Vater verehrte, wie Er sich
vor Ihm verdemütigte, wie Er zu Ihm betete,
wie Er wachte und fastete, wie Er den Vater
über alles hochschätzte und nur bestrebt war,
seinen hl. Willen zu erfüllen. Ich erkannte
auch, daß niemand dem himmlischen Vater größere
Ehre erwiesen hat als Christus, und daß sich
niemand mehr vor Ihm verdemütigt hat, als Jesus
Christus, sein menschgewordener Sohn...
Wie, groß muß daher
Gott sein, wenn Christus, der heiligste Sohn
Gottes, seinen Vater so hochschätzte, nur seine
Ehre suchte
und sich selbst
als Mensch so erniedrigt hat! Und was soll der
sündige Mensch tun? In der Erkenntnis Gottes
erscheint ihm seine Güte und Barmherzigkeit
so unendlich groß, daß sich die arme Seele in
diesem Lichte kaum mehr zu erblicken vermag....
Durch die Allmacht Gottes bin ich aus dem Nichts
hervorgegangen. Durch die Güte Gottes bin ich
etwas geworden, ohne aus mir etwas dazu getan
zu haben.
Durch die Sünde bin ich durch mich selbst wieder
zu nichts geworden, aber noch weniger und noch
schlimmer als ein Nichts.»
Diese Vision, in der Gott zu ihr gesprochen
hatte, ist charakteristisch für die innere Grundhaltung
der zukünftigen Karmelitin. Sie fühlte sich
Gott ganz eigen, aber gleichzeitig wußte sie
um ihr Nichts, das sie den Weg der Kleinen und
Demütigen einschlagen ließ. Hatte ihr Christus
nicht eines Tages gesagt: «Ich will, daß
du leidest, ohne es zu verraten, daß du lebest
wie ein Kind und liebest wie ein Seraph?»
Im Leiden erlebte sie das Einssein göttlichen
und menschlichen Seins. Im Kindsein erklomm
sie den steilen Pfad zu unauflöslicher Vereinigung,
der von den Flammen seraphischer Liebe gezeichnet
war. So suchte Maria Anna Kraft und Stärke beim
göttlichen Meister in Gestalt eines Kindes.
In der Karmelitenkirche von München gab
es einen herrlichen Altar mit einem Prager Jesulein,
das Polyxena Lobkowitz den Patres geschickt
hatte. Es war eine getreue Reproduktion des
kleinen Königs von Prag. Unzählige Gläubige
scharten sich zu seinen Füßen im vertrauensvollen
Gebet, und es fehlte auch nicht an außergewöhnlichen
Gnaden und Krankenheilungen, so daß das Münchener
Kindl seit 1697 als «wunderbar» bezeichnet wurde.
Hier war es, wo Maria Anna in vertrauter Zwiesprache
mit dem menschgewordenen Gottessohn
verweilte. Wir wissen, daß sie Andachten zu
Ehren der neun Monate hielt, in denen Maria
Christus, das Licht, das in die Welt gekommen
ist, um die Menschen zu erleuchten, unter ihrem
Herzen getragen hat. Wir sehen sie vierzig Tage
zu Ehren des Jesuskindleins im Stall von Bethlehem
fasten, und einmal wurde ihr die armselige Grotte
gezeigt, die Jesus in den ersten Monaten seiner
Kindheit bewohnt hatte. Erscheinungen der Muttergottes
mit dem göttlichen Kind im Arm waren durchaus
nicht selten, und sicher hat sie das hl. Kind
wunderbar in das Geheimnis seiner Demut und
Liebe eingeführt.
Maria Anna war 1691 in der Karmelitenkirche
Terziarin geworden. Man darf annehmen,
daß sie in vielen Stunden das himmlische Kind
gebeten hat, treu in ihrem Vorsatz zu bleiben,
so gut als es ihr nur möglich war, die Karmelregel
in der Welt zu halten. Am 25. April 1709 feierte
sie ihr mystisches Verlöbnis mit Christus,
der ihr einen einfachen Ring an den kleinen
Finger der rechten Hand steckte. «Ich verspreche
dir meine Liebe und Treue auf ewig. Du bist
jetzt ganz mein und ich bin Dein. Du bist zwar
meiner Liebe unwürdig, aber ich habe mein Auge
auf Dich in meiner Gnade und Liebe gerichtet.»
Als sie die Schwelle des Karmels überschritten
hatte, steigerte sich der christozentrische
Zug ihres Innenlebens. In Erinnerung an den
23. Okt. 1714 schreibt sie: «Es hat sich
mir heute Christus im Chor als ein kleines Kind
gezeigt. Nur ein wenig von mir entfernt
hat Er seine allerheiligsten Arme gegen mich
ausgestreckt, um mich zu umfassen und sich mit
mir zu vereinigen. Dabei richtete Er seine göttlichen
Augen auf mein Herz, wodurch Er mir zu erkennen
geben wollte, daß Er sich noch nicht ganz mit
meiner Seele vereinigen könne, weil ich Ihm
noch sehr unähnlich und mein Herz nicht nach
seinem Herzen war.
Darauf erklärte Er mir den Grund für diese Verschiedenheit.
Ich war noch nicht klein genug,
noch kein Kind, und ich hatte es noch nicht
gelernt, Ihm so nachzufolgen, wie Er es gelehrt
hatte (Mt. 18,3 und 19,4).
Ich habe seine Unterweisung wohl verstanden,
meine Fehler erkannt und mir vorgenommen, mich
zu bessern. Ich will darauf achten, in der (Nachfolge
seiner) Kindheit zu wirken, meinen
eigenen Willen und mein Urteil, an dem ich noch
gar stark hänge, zu verleugnen, so wie mich
Christus gar oft ermahnt hat. Es wurde mir klar,
daß es nicht genügt, einfach zu sagen: ich vereinige
mich mit Christus, und auch nicht: ich möchte
mich mit Christus vereinigen, sondern die
Hauptsache besteht darin, daß Christus sich
mit uns vereinen kann. Ich muß also derart sein,
daß meine Tugenden den Eigenschaften Christi
gleichförmig sind. Seine Demut kann sich
nicht mit meiner Hoffart vereinigen, und seine
Geduld nicht mit meiner Ungeduld...»
So waren die ersten Jahre ihres Karmellebens
mit dem ernsten Bemühen ausgefüllt, vor
Gott ein Kind zu werden, gleich dem göttlichen
Kinde, das sich im Jahr 1716, als sie zur Priorin
des Klosters gewählt worden war, mit ihr vermählte.
Mit inniger Liebe und in glühender Andacht suchte
sie ihrem kleinen Bräutigam zu gefallen, und
das Jesulein offenbarte ihr mehr als einmal,
wie sehr Gott die Verehrung seiner Kindheit
angenehm sei. An einem Tag im Advent
1718 hatte sie eine Vision, in der eine Person
zu ihr kam und ihr ein Schächtelchen mit Geld
als Schadenersatz für einen zerbrochenen Gegenstand
brachte. «Als ich es aufmachte», berichtet sie,
«fand ich anstatt des Geldes eine kleine Wiege
mit einem allerliebsten Kindlein darin. Sehr
verwundert darüber bat ich Gott, mir die Bedeutung
dieses Bildes zu erschließen.
Ich erfuhr alsbald vom Herrn, daß man durch
die Verehrung der Kindheit Jesu alle Sündenschuld
beim himmlischen Vater abtragen könne. Mithin
solle ich mir die heiligste Menschwerdung recht
tief in das Herz einprägen.» |
Oft wurde Maria Anna durch die Nachstellungen
des bösen Feindes belästigt. Sie suchte dann
beim heiligsten Namen Jesu Hilfe, den sie immer
mit tiefer Ehrfurcht auszusprechen pflegte.
Ganz besonders liebte sie es, das Namen-Jesu-Fest
feierlich zu begehen, wozu sie wohl schon durch
die Novenen und äußerlichen Feierlichkeiten
in der Karmelitenkirche angeregt wurde. Eine
große Gnade wurde ihr an einem Freitag nach
dem Namen-Jesu-Fest geschenkt. Gleich der hl.Theresiavon Avilasahsie, wie sich ihr
«ein Engel in himmlisch-schönem Kleid, einen
Pfeil in der Hand haltend näherte und denselben
in ihr Herz schoß» Später vertraute sie
ihrem Beichtvater an: «Ich verspürte einen großen
Schmerz am Herzen,... der mir stets ein Antrieb
zur göttlichen Liebe blieb, dann seit jener
Zeit hat mich die Liebe Gottes nicht mehr ruhen
lassen und große Wirkungen in mir hervorgebracht.»
Wenn auch Maria Anna Josepha Lindmayr nicht
durch ihre Verehrung Gottes in Kindsgestalt
in die Geschichte des Karmels eingegangen ist,
sondern man eher auf ihre Verdienste am politisch-religiösen
Leben ihrer Zeit hinweist (die Rettung München
vor der Zerstörung) und ihres geheimnisvollen
Umgangs mit den armen Seelen im Fegfeuer gedenkt,
so schließt das nicht aus, daß sie eine der
wenigen Vertreterinnen der Verehrung zum Jesulein
in Deutschland ist, und daß sie wahrhaftig durch
die Nachahmung der Kindheitstugenden den Gipfel
christlicher Vollkommenheit und die Vereinigung
mit Gott erreicht hat.
Maria Anna war es dabei nicht so sehr um Vorstellung
und Verwirklichung der Gottesgeburt im Herzen
zu tun, als um die Verwirklichung der Gotteskindschaft,
um durch sie zur Vereinigung mit Christus aufzusteigen.
Es ist schwer zu sagen, wie weit ihre Andacht
zum Jesuskind in einer Übernahme theresianischen
Erbgutes gründet und wie weit sie auf eigenes,
mystisches Erleben zurückzuführen ist. Aber
sicher hat sie das Geschaute und geistig Erlebte
durch ein gewolltes Eindringen in das Kindheitsmysterium
weiterzubilden versucht und sich damit in den
Rahmen der theresianischen Spiritualität gestellt,
um sich von ihr durchformen zu lassen,
wozu sie das ihr charakteristische antithetische
Bewußtsein ihres Nichts gegenüber dem Alles
in Gott anregte. Das Jesuskind hat ihr den Zugang
zum höchsten Glück der Vermählung mit Christus
geöffnet. Ist es nicht bezeichnend, daß gerade
sie, der es verwehrt blieb, in jungen Jahren
den Schleier zu nehmen, als reife Frau auf göttliche
Mahnung hin zum Kind werden mußte und durch
das Kindsein zur letzten Entfaltung ihrer Persönlichkeit
gelangte?

Die ehrw. Maria Isabella vom Hl. Geist
Trotz der Unruhen des Dreißigjährigen Krieges
rollte 1637 ein verschlossener Wagen über die
holprigen Landstraßen Flanderns gen Osten. Das
Ziel war Köln, wo nicht unweit der alten
Basilika St. Severin, die der Volksmund den
«Dom des Südens» genannt hat, ein theresianischer
Taubenschlag entstehen sollte. Die Stifterinnen,
M. Theresia von Jesus aus Brüssel und M. Isabella
vom Hl. Geist aus Antwerpen, waren gekommen,
um endlich den langgehegten Wunsch der sel.
Anna vom hl. Bartholomäus zu verwirklichen,
die in prophetischer Schau die Stiftung in der
alten Stadt am Rhein bereits vorausgesehen hatte:
«Die Stiftung der Klosterfrauen Barfüßigen Karmelitinnen
zu Cöllen wird eine glorwürdige Fundation sein».
Der Tod hatte Anna vom hl. Bartholomäus an ihrem
Vorhaben gehindert. So war es zehn Jahre später
ihren Töchtern vergönnt, die theresianische
Reform nach Deutschland zu verpflanzen.
Maria Isabella vom Hl. Geist erblickte am 28.
Juli 1606 in Flandern das Licht der Welt.
Ihr Vater, der Großkanzler
König Philipps III.,
Mateo de Urquine, war während des niederländischen
Krieges nach Brüssel gesandt worden. Sie war
22 Jahre alt, als sie im Kloster von Antwerpen
das Kleid des Karmels empfing. Noch war das
Leben und der Tod der seligen Stifterin Anna
vom hl. Bartholomäus in frischem Andenken. Kaum
drei Jahre waren verflossen, seit die Nachricht
von ihrem Hinscheiden nach Brüssel gelangt war.
Carlota erinnerte sich gut daran, wie verödet
die Stadt erschien, weil alles, hoch und niedrig,
nach Antwerpen geeilt war, um die heilige Leiche
noch einmal zu sehen, bevor sie begraben wurde.
Die Landstraßen waren mit Menschen angefüllt,
und eine unabsehbare Reihe von Wagen des Adels
schlängelte sich wie ein buntes Band durch die
sommerlichen Wiesen Flanderns.
Am 12. Januar 1630 legte Isabella ihre Ordensprofeß
ab. Am folgenden Tag fand das Schleierfest statt.
Bei dieser Feierlichkeit ließ man sie den weißen
Mantel der verstorbenen Stifterin tragen, um
so anzudeuten, sie solle zur Erbin ihrer Tugenden
werden. Nur wenige Jahre später wurde ihr bereits
die Aufgabe übertragen, mit Maria Theresia von
Jesus zur Gründung des ersten reformierten Klosters
nach Deutschland zu reisen.
Am 30. Oktober begaben sich die beiden Nonnen
nach Köln, wo Maria Isabella mit ihrem außerordentlichen
Organisationstalent und ihrem feinen Kunstsinn
persönlich den Bau des Klosters leitete und
Vorbereitungen für die Errichtung der Kirche
traf. Selten hat es wohl eine Karmelitin gegeben,
die eine ihr gleiche architektonische Begabung
besaß. Diese ermöglichte es ihr, mit gewisser
«Sachkenntnis» die Bauarbeiten zu überwachen
und mit konkreten Anordnungen und praktischem
Rat tatkräftig einzugreifen.
Ein altes Manuskript, das nach ihrem Tod von
einer ihrer Töchter verfaßt wurde, gibt uns
reichen Aufschluß über ihr gottverbundenes und
fruchtbares Leben. Aus ihm erfahren wir, wie
sie lange Jahre der Klostergemeinde als liebende
Mutter und treue Fürsorgerin vorstand. In ihm
lesen wir von ihrer großen Liebe und Verehrung
des Gnadenbildes Unserer Lieben
Frau vom Frieden, das über Maria de' Medici
den Karmelitinnen zugekommen war. Maria de'
Medici hatte die Statue der Muttergottes mit
dem Jesuskind aus dem Holz einer wundersamen
Eiche schnitzen lassen, die in Scherpenheuvel
bei Brüssel stand und mit einem Marienbild geschmückt
war. Als der Baum unter der Last der Jahre zusammenzustürzen
drohte, war das «heilige Holz» in die Schatzkammer
des Kardinal-Infanten gebracht worden. Während
ihres Aufenthaltes in Brabant hatte sie es dort
erhalten und einem geschickten Meister übergeben,
der es in eine große und mehrere kleine Marienstatuen
verwandelte. In dem gleichen Manuskript finden
sich aber auch einige Gedichte, die ein lebendiges
Zeugnis ihrer innigen Liebe zum Jesuskind bilden.
Sie sind zum Teil in spanischer und zum Teil
in französischer Sprache verfaßt und verraten
ein tiefes Einfühlen in das Wunder der Hl. Nacht.
Obwohl sie in ihrer Art recht verschieden sind,
so bleibt ihnen doch immer die gleiche Bitte
um Vervollkommnung in der Tugend eigen. Und
gerade diese Bitte ist charakteristisch für
den Zeitgeist und für den Wandel, den die Andacht
zum Jesuskind im deutschen Karmel vollzieht.
Ihr «Villancico para el dia de la Navidad» (Weihnachtslied
für den Tag der Geburt des Herrn) plätschert
schlicht und einfach wie ein echtes Volkslied
dahin. In seinem ungezwungenen, kindlichen Reim
erinnert es an die zahlreichen Villancicos ihrer
fernen spanischen Heimat:
«Dieses Gotteskind ist gut.
Laßt uns seine Güte nachahmen,
Und das Weihnachtsfest wird froh sein.
In der
zweiten Strophe heißt es dann:
«Dieses Kind ist demütig,
Laßt uns seine Demut nachahmen:
Und das Weihnachtsfest wird froh sein.»
Und so werden in sieben Strophen die Tugenden
des hl. Kindes besungen, seine Sanftmut, Heiligkeit,
Großmut, Milde und Armut, und gleichzeitig erklingt
die Mahnung zur Nachahmung, um ein wahrhaft
freudiges Weihnachtsfest zu feiern.
Ein anderes Gedicht, das an Jesus, den König
der Herrlichkeit gerichtet ist, - und sicher
hatte sie dabei den kleinen König von Brüssel
vor Augen - bringt in ähnlicher, aber weitaus
gemessener Reihenfolge fast die gleichen Bitten:
O süßer Jesus, König der Herrlichkeit, Du Quelle
aller Tugenden,
Damit wir dir gefallen können,
Uns allen gib, so bitt' ich Dich,
Die wahre Liebe Und völlige Selbstentblößung!
Inständig bitt' ich Dich Für diese Kommunität,
Um echten Ordensgeist Und gut fundierte Vollkommenheit,
Die wahre Liebe gib uns Und völlige Selbstentblößung.»
Dann fleht sie den kleinen König der Gnade an,
ihre Klostergemeinde durch «pünktlichen Gehorsam
und vollkommene Demut» zu «beständigem Gebet
in seiner Gegenwart» anzuleiten, ihr «den großen
Reichtum eines wahren Geistes der Armut» zu
schenken und jeder einzelnen durch «vollkommene
Abtötung die Kraft zu verleihen, ihre Leidenschaften
zu beherrschen»,
«Damit wir so bereitet, Den Hl. Geist empfangen,
Und uns, gestärkt in seiner Kraft, Nur mehr
in Ihm bewegen.
Gib wahre Liebe uns Und völlige
Selbstentblößung.»
Auch M. Isabella gehört zu jenen Karmelitinnen,
die in der Schule Christi zur vollkommenen Gottesliebe
herangereift sind. Wie stark sie Christus, das
ewige Wort, im Inneren berührt hat, zeigt eine
ihrer Visionen der «Herzbücher». Während das
geistige Auge ein Herz schaut, das inmitten
einer Wolke ein mit sieben Siegeln verschlossenes
Buch betrachtet, schreibt ihre Feder: «Siehe,
allhie wird der Seele gezeigt die Person des
ewigen Wortes in seiner göttlichen Eigenschaft,
welche da ist die ewige Weisheit, so aus dem
Mund des Allerhöchsten ausgegangen; es ist das
Wort des Vaters, in welchem vollkommentlich
ausgesprochen wird die göttliche Natur, samt
allen ihren Großheiten und Eigentümlichkeiten.
So ist also dieses göttliche Wort wahrhaftig
das verschlossene Buch, darin alle Geheimnisse
des göttlichen Wesens verzeichnet sind.
O selig, wer das Wort aus diesem Buch anhöret
und von diesem Brunn der Weisheit ersättigt
wird. »
M. Isabella hatte in den ersten Jahren ihres
Ordenslebens in Antwerpen verschiedene
fromme Bräuche in Vorbereitung auf das Weihnachtsfest
kennen gelernt, die sie im Kölner Karmel treu
weiterführen wollte. Am ersten Adventssonntag,
am Tag der Erwartung Mariens (18. Dez.) und
am Weihnachtstag herrschte die Gewohnheit, kleine
Zettel zu ziehen, die eine bestimmte Tugendübung
zu Ehren des göttlichen Kindes oder einen Segenswunsch
des Jesulein enthielten. Ein solcher Zettel
aus dem Jahr 1637, der sich heute im Archiv
des Karmel in Echt befindet, sagt z. B.: Der
kleine Jesus schenkt Ihnen einen liebenden Blick,
mit dem er Ihr liebendes Herz segnen will und
bewirken möchte, daß Sie immer mit ihm vereinigt
leben.
Wir können uns sehr leicht eine Vorstellung
machen, welcher Art die Zettel für den ersten
Adventssonntag waren, da im Karmel von Lüttich-Potay bis
heute die gleiche Übung aufrechterhalten geblieben
ist. Es heißt dort: Advent des Herrn. Denk daran,
warum Er kommt. Und dann folgt eine Reihe je
verschiedener Anmutungen anstatt des «warum
Er kommt». Man liest z. B.: Denk' daran, mit
welchem Gehorsam Er kommt, oder mit welcher
Unterwerfung. Auf den Zetteln für den 18. Dezember
erfolgt das Spiel in umgekehrter Reihenfolge.
Eine jede Tugend wird in Beziehung zum Jesuskind
gesetzt: Der Glaube wird Es anbeten, die Hoffnung
wird Es finden, die Geduld wird Es besitzen,
usw.
Es sind alles rührend einfache Übungen, die
vom liebenden Suchen des Karmels nach
einer Antwort auf seine Sehnsucht zur Vereinigung
mit Christus zeugen. Die einzelne Karmelitin
hatte sich bewußt dem Mysterium Verehrung zugewandt,
weil sie überzeugt war, so am leichtesten die
Möglichkeit des Verbleibens in den von Christus
vorgezeichneten Tugenden während des täglichen
Lebens zu finden. In Antwerpen und Lüttich ist
es noch heute Brauch, jeden Monat vom 16.
bis 25. eine Novene zu Ehren des Jesuskindes
abzuhalten. Welch anderem Zweck dient sie,
als im Herzen eine ständige Adventsstimmung
aufrechtzuerhalten?
Damit beginnt bereits am Ende des 17. Jahrhunderts
sich eine Form des karmelitischen
Lebens anzubahnen, die später als der «kleine
Weg» bezeichnet worden ist. Nicht mehr so sehr
das Außergewöhnliche und Wunderbare des Jesuskindes
und seiner Statuen war es, das den deutschen
Karmel erfüllte. Er wollte vielmehr durch Nachahmung
der Kindestugenden des Herrn zu einer neuen
inneren Haltung heranwachsen, die ihn eine Art
Lebensnorm bedeutete. Ihre Ausgestaltung blieb
aber erst dem 19. Jahrhundert und vor allem
der großen Heiligen der modernen Zeit, der kleinen
hl. Theresia von Lisieux, vorbehalten.

Die hl. Teresia Benedicta vom Kreuz
(Edith Stein)
«Weihnacht im Karmel! Man könnte auch sagen:
Himmel auf Erden! Edith feierte sie zum erstenmal
mit, diese selige Nacht, die einzige im ganzen
Jahr, wo im Karmel das Stillschweigen aufgehoben
ist, wo es in allen Gängen und Räumen, auf
allen Treppen und Stiegen musiziert und jubiliert,
in allen Ecken und Winkeln die Kripplein aufgebaut
sind, eins schöner und lieblicher als das andere.
Diese Hl. Nacht, wo man statt mit der schnarrenden
Ratsche mit silbernen Glöcklein und Engelsliedern
geweckt wird, daß man wirklich meint, auf den
Fluren Bethlehems geschlafen zu haben und nun
eilt, schneller als die Hirten, ins Präparatorium
zu kommen. Da stehen schon die Schwestern in
weißen Mänteln und warten darauf, daß die Glocken
zum drittenmal läuten und das Zeichen gegeben
wird zum Einzug in das lichterstrahlende Chor.
NiewirddieMatutin
schöner gesungen als in dieser gesegneten Nacht
vordem ausgesetzten Allerheiligsten.
Leise Geräusche, die durch das weitgeöffnete,
wenn auch verschleierte Gitter dringen, verraten,
wie draußen das Kirchlein sich füllt. Es ist
ja fast Mitternacht. Das jubelnde Te Deum laudamus
verklingt. Die Schwestern ziehen sich zurück
ins Präparatorium, wo sie brennende Kerzen empfangen.
Dort vor dem Altar liegt auf seidenem Kissen
das Christkindlein. Sorgsam erhebt es die Mutter
Priorin, zeigt es der Kommunität, und nun zieht
diese, die Jüngsten voran, unter klingendem
Spiel wieder ins Chor zurück. In der Kirche
herrscht Totenstille. Alles lauscht dem Gesang
der Schwestern: «Bethlehem hörst den Heiland
du? Laß Ihn ein...» In zwei Chören stehen die
Schwestern, während das Christkind auf den Armen
der Priorin zur Grotte getragen und in die Krippe
gelegt wird. Nun schlägt es zwölf. Die Orgel
braust, die Priester ziehen an den Altar. Der
Sängerchor setzt ein, urewig schön: «Dominus
dixit ad me: Filius meus es tu...
- [Der HERR sagt zu mir: MEIN Sohn bist DU]»
Was im Chor der Schwestern symbolhaft angedeutet
wurde, soll nun Wirklichkeit werden. Das Christkind
kommt auf die Welt. Es kommt herab auf den Altar.
Es kommt herein in die Krippe unseres Herzens.
Ave Jesus! Der Priester erteilt den Weihnachtssegen
mit dem hochwürdigsten Gut. Die Leviten verlassen
den Altar. Die zweite und dritte Messe folgen.
Jetzt darf das Volk zu Wort kommen und die alten
trauten Weisen anstimmen... Nach dem letzten
Amen leert sich die Kirche.
Nun regt es sich wieder im Schwesternchor. Die
Laudes beginnen im hohen Sangeston. Die Bräute
des Herrn können es an der Krippe nicht mehr
erwarten, bis die erhabene Liturgie beendet
ist und sie in ihrer deutschen Muttersprache
die Liebe ihrer Herzen aussingen können. Flöten
und Lauten bilden die Begleitung. Wer denkt
an Schlaf? Wer an Erquickung des Leibes? Bis
zuletzt die ehrwürdige Mutter mit der Aufforderung:
«Ihr Kinderlein kommet...» das Zeichen zum Aufbruch
gibt»".
Diese tiefergreifenden Weihnachtsbräuche, die
im letzten ja nur dem Ziel des Karmels, das
Leben Christus immer gleichförmiger zu gestalten,
dienen, hatten einen tiefen Eindruck auf Sr.
Teresia Benedicta a Cruce, wie Edith Stein
mit ihrem Ordensnamen hieß, hinterlassen.
Einige Jahre später schrieb sie: «Das innere
Leben ist die tiefste und reinste Quelle des
Glückes für die ihre Karmelitin. Aber die
hl. Mutter hat ihre Töchter noch mit anderen
Freuden beschenkt. Ihre Liebe zum Heiland war
Liebe zum Gottmenschen, und sie hat die Andacht
zur heiligsten Menschheit in den mannigfachsten
Formen ausgebaut und im Karmel heimisch gemacht.
Nirgends kann die Hl. Nacht und die ganze Weihnachtszeit
schöner und freudenreicher
begangen werden.»
Wie ein gewaltiger Spiegel hatte das äußere
Symbol der Weihnacht, seine mannigfache Gestaltung
in alten Formen und Bräuchen, das Licht des
inneren Geschehens des Inkarnationsmysteriums
in ihre Seele zurückgeworfen und sich in ihr
immer mehr in Wort und Bild gedrängt: Das Kind
in der Krippe hatte sich ihr als der eigentliche
König der Welt enthüllt. So regte sie ein Bild
des Prager Jesulein an, den Gedanken der Weltherrschaft
des hl. Kindes zu formulieren.
«Gestern kam mir vor dem Bildchen des Prager
Jesulein auf einmal der Gedanke», schreibt
sie in einem Brief, «daß es ja den kaiserlichen
Krönungsstaat trägt und sicherlich nicht zufällig
gerade in Prag mit seiner Wirksamkeit zum Vorschein
gekommen ist. Prag ist ja doch Jahrhunderte
hindurch der Sitz der alten deutschen bzw. römischen
Kaiser gewesen und macht einen so majestätischen
Eindruck, daß sich keine andere Stadt, die ich
kenne, damit messen kann, auch Paris und Wien
nicht. Das Jesulein kam gerade, als es mit der
politischen Kaiserherrlichkeit in Prag zu Ende
ging. Ist es nicht der «heimliche Kaiser»,
der einmal aller Not ein Ende machen soll?
Er hat ja doch die Zügel in der Hand, wenn
auch die Menschen zu regieren meinen.»
Gott hatte Edith Stein ein befruchtendes Eindringen
und gnadenhaftes Erkennen des
Inkarnationsmysterium geschenkt. In einem
Vortrag, den sie 1930, also vor ihrem Eintritt
in den Karmel, verfaßte und «Weihnachtsgeheimnis»
nannte, wird das leise Vibrieren ihrer vor der
Geburt Christi zutiefst erfaßten Seele offenbar
und verbirgt sich das demütige Bekenntnis eines
vom göttlichen Kind empfangenden und erwählten
Menschen. Sie kannte die Werke der hl. Theresia
von Avila und war von ihrer christozentrischen
Mystik innerlich stark berührt. Doch läßt sich
wohl kaum von hier aus ein Einfluß suchen. Es
war vielmehr die Erfüllung der Messiashoffnung
des Alten Bundes, die ihr in der Menschwerdung
Christi entgegen leuchtete. Das «Jerusalem,
frohlocke mit großer Freude, denn Dein Heiland
kommt zu Dir!» war ihr beglückende Wirklichkeit geworden. Und von der Geburt des Gottessohnes
ging sie zur Gotteskindschaft über.
Sie beginnt mit dem Antagonismus von Licht und
Dunkel oder von Gut und Böse. «Wo ist der
Friede auf Erden? Friede auf Erden denen, die
guten Willens sind. Aber nicht alle sind guten
Willens. Darum mußte der Sohn des Ewigen
Vaters aus der Herrlichkeit des Himmels herabsteigen,
weil das Geheimnis der Bosheit die Erde in Nacht
gehüllt hatte. Finsternis bedeckte die Erde
und Er kam als Licht, das in der Finsternis
leuchtet, aber die Finsternis hat Ihn nicht
begriffen. Die Ihn aufnahmen, denen brachte
Er das Licht und den Frieden; den Frieden mit
dem Vater im Himmel, den Frieden mit allen,
die gleich ihnen Kinder des Lichtes und Kinder
des Vaters im Himmel sind, und den tiefen inneren
Herzensfrieden; aber nicht den Frieden mit
den Kindern der Finsternis. Ihnen bringt
der Friedensfürst nicht den Frieden, sondern
das Schwert. Ihnen ist Er der Stein des Anstoßes,
gegen den sie anrennen und an dem sie zerschellen.
Das ist eine schwere und ernste Wahrheit, die
wir uns durch den poetischen Zauber des Kindes
in der Krippe nicht verdecken lassen dürfen.
Das Geheimnis der Menschwerdung und das Geheimnis
der Bosheit gehören eng zusammen. Gegen das
Licht, das vom Himmel herabgekommen ist, sticht
die Nacht der Sünde um so schwärzer und unheimlicher
ab.
Das Kind in der Krippe streckt die Händchen
aus und Sein Lächeln scheint schon zu sagen,
was später die Lippen des Mannes gesprochen
haben: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig
und beladen seid. Und die Seinem Ruf folgen,
die armen Hirten, denen auf den Fluren von
Bethlehem der Lichtglanz des Himmels und die
Stimme des Engels die frohe Botschaft verkündeten,
und die darauf treuherzig ihr: ,Laßt uns nach
Bethlehem gehen sprachen und sich auf den Weg
machten; die Könige, die aus fernem Morgenland
im gleichen schlichten Glauben dem wunderbaren
Stern folgten, ihnen floß von den Kinderhänden
der Tau der Gnade zu und sie ,freuten sich mit
großer Freude'. Diese Hände geben und fordern
zugleich: ihr Weisen, legt eure Weisheit nieder,
und werdet einfältig wie die Kinder; ihr Könige,
gebt eure Kronen und eure Schätze und beugt
euch in Demut vor dem König der Könige; nehmt
ohne Zögern Mühe und Leiden und Beschwerden
auf euch, die Sein Dienst erfordert. Ihr Kinder,
die ihr noch nichts freiwillig geben könnt,
euch nehmen die Kinderhände euer zartes Leben,
ehe es noch recht begonnen hat: es kann nicht
besser angewendet werden, als aufgeopfert zu
werden für den Herrn des Lebens. ,Folge mir
nach', so sprachen die Kinderhände...
Vor dem Kind in
der Krippe scheiden sich die Geister. |
Er ist der König der Könige und der Herr über
Leben und Tod. Er spricht Sein ,Folge mir',
und wer nicht für Ihn ist, ist wider Ihn. Er
spricht es auch für uns und stellt uns vor die
Entscheidung zwischen Licht und Finsternis.»
In der Nachfolge des göttlichen Kindes sieht
Edith Stein den Weg zum «Einssein mit Gott»
und zum «Einssein in Gott» in der Einheit des
mystischen Leibes.
«Legen wir unsere Hände in die Hände des göttlichen
Kindes, sprechen wir unser ,Ja' zu Seinem ,Folge
mir', dann sind wir Sein, und der Weg ist frei,
daß Sein göttliches Leben auf uns übergehen
kann.
Das ist der Anfang des ewigen Lebens in uns.
Es ist noch nicht seliges Gottschauen im Glorienlicht;
es ist noch Dunkel des Glaubens, aber es ist
nicht mehr von dieser Welt, es ist schon Stehen
im Gottesreich... Das göttliche Leben, das in
der Seele entzündet wird, ist das Licht, das
in die Finsternis gekommen ist, das Wunder der
Hl. Nacht. Wer es in sich trägt, der versteht,
wenn davon gesprochen wird. Für die anderen
aber ist alles, was man darüber sagen kann,
ein unverständliches Stammeln. Das ganze Johannes-Evangelium
ist ein solches Stammeln von dem ewigen Licht,
das Liebe und Leben ist. Gott in uns und wir
in Ihm, das ist unser Anteil am Gottesreich,
zu dem die Menschwerdung den Grund gelegt hat.»
Gotteskindschaft ist für sie «das ganze Christusleben
durchleben», das in Bethlehem beginnt und auf
Golgotha endet. Gott ist ja Mensch geworden,
«um uns aufs neue teilhaben zu lassen an Seinem
Leben». «Nun ist das göttliche Kind zum Lehrer
geworden und hat uns gesagt, was wir tun sollen.
Um ein ganzes Menschenleben mit göttlichem Leben
zu durchdringen, genügt es nicht, einmal im
Jahr vor der Krippe zu knien und sich von dem
Zauber der Hl. Nacht gefangen nehmen zu lassen.
Dazu muß man das ganze Leben lang in täglichem
Verkehr mit Gott stehen, auf die Worte hören,
die Er gesprochen hat und die uns überliefert
sind, und diese Worte befolgen.
«Das Wort ist Fleisch geworden.» Das ist Wahrheit
geworden im Stall zu Bethlehem. Aber
es hat sich noch erfüllt in einer anderen Form.
«Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt,
der hat das ewige Leben.» Der Heiland, der weiß,
daß wir Menschen sind und Menschen bleiben,
kommt unserer Menschheit auf wahrhaft göttliche
Weise zu Hilfe. Wie der irdische
Leib des täglichen
Brotes bedarf, so verlangt auch das göttliche
Leben in uns nach dauernder Ernährung.
«Dieses ist das lebendige Brot, das vom Himmel
herabgekommen ist.» Wer es wahrhaft zu seinem
täglichen Brot macht, in dem vollzieht sich
täglich das Weihnachtsgeheimnis, die Menschwerdung
des Wortes.»
Menschwerdung Christi, Eucharistie und Erlösung
am Kreuz. Auf dieser Linie bewegt
sich das Leben des Gotteskindes. «Die Opferhandlung
prägt uns immer wieder das Zentralgeheimnis
unseres Glaubens ein, den Angelpunkt der Weltgeschichte,
das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung...
Die Mysterien des Christentums sind ein unteilbares
Ganzes. Wenn man sich in eines vertieft,
wird man zu allen anderen hingeführt. So führt
der Weg von Bethlehem unaufhaltsam nach Golgotha,
von der Krippe zum Kreuz.
Als die heiligste Jungfrau das Kind zum Tempel
hintrug, da ward ihr geweissagt, daß ihre
Seele ein Schwert durchdringen werde, daß dieses
Kind gesetzt sei zum Fall und zur Auferstehung
vieler, zum Zeichen, dem man widersprechen würde.
Es ist die Ankündigung des Leidens, des Kampfes
zwischen Licht und Finsternis, der sich schon
an der Krippe zeigte!
In manchen Jahren fallen Lichtmeß und Septuagesima
[früher Beginn der Vorfastenzeit] fast zusammen,
die Feier der Menschwerdung und die Vorbereitung
auf die Passion. In der Nacht der Sünde strahlt
der Stern von Bethlehem auf. Auf den Lichtglanz,
der von der Krippe ausgeht, fällt der Schatten
des Kreuzes. Das Licht erlischt im Dunkel des
Karfreitags, aber es steigt strahlender auf
als Gnadensonne am Auferstehungsmorgen. Durch
Kreuz und Leiden zur Herrlichkeit der Auferstehung
ist der Weg des fleischgewordenen Gottessohnes.
Mit dem Menschensohn durch Leiden und Tod zur
Herrlichkeit der Auferstehung zu gelangen, ist
der Weg für jeden von uns, für die ganze Menschheit.»
Schwester Teresia Benedicta war diesen Weg gegangen.
Eines ihrer letzten Worte aus dem Konzentrationslager
in Westerbork war:
«Das liebe Jesuskind ist auch hier unter
uns.» Begleitete sie geheimnisvoll seine
Gegenwart auf der letzten Reise nach Osten,
Gott entgegen? Wir wissen es nicht. Aber vielleicht
dürfen wir es annehmen. Hatte nicht auch ihr
Leben von Bethlehem nach Golgotha geführt und
war nicht auch ihr Licht in der Todesnacht des
Karfreitags verloschen, sehnsüchtig bangend
nach dem Glockenschlag des Auferstehungsmorgens?
So reiht sich Edith Stein in die Schar «heiliger»
Männer und Frauen des Karmels, denen sich im
Geheimnis des Weihnachtslichtes Gottes weltüberwindende
Liebe offenbarte. Nicht durch Erscheinungen
oder wundersame Worte enthüllte sich ihr Gott
in Menschengestalt als zartes Kind in der Krippe,
aber in Gnadengaben, die das Innere erfaßten
und ihr Denken in den Bereich des Übernatürlichen
stellten. Und in schlichter Demut und glaubender
Hingabe beugte auch sie sich mit den Hirten
vor dem göttlichen Kind, um sich wie Theresia
von Avila
«in den Dienst der Liebe zu begeben». Sie wurde
1999 heiliggesprochen.

DAS GEHEIMNIS DER KINDHEIT JESU IM FRANZÖSISCHEN
KARMEL
Das 19. Jh.
ist in der Geschichte
der Kirche ein Zeitabschnitt der
Wiederherstellung
zahlreicher Klöster,
die die französische Revolution, die folgenden
Jahre napoleonischer Herrschaft, in Österreich
der josephinische Klostersturm und in Deutschland
die Säkularisation unterdrückt und aufgehoben
hatten.
Naturgemäß wirkte sich die allgemeine Restauration
auch auf das geistliche Leben und seine Ideale
aus und so ging es gerade im reformierten Karmel
um eine bewußte Wiederbelebung seiner theresianischen
Spiritualität. Wenn auch die Formen barocker
Frömmigkeit verschwunden blieben und ein gesunder
Realismus das religiöse Leben des Ordens zu
bestimmen begann, so hieß das für den Karmel
durchaus nicht, auf die Innigkeit seines Empfindens
und auf den Willen, sich in der Einsamkeit und
inneren Einkehr mit dem Geliebten zu vereinen,
verzichten zu müssen. Im Gegenteil, unabhängig
von allen in andere Richtung fließenden geistigen
Strömungen lebte im Karmel die Liebesmystik
in ungetrübter Frische fort und brachte Blüten
reinster Christusliebe hervor, die sich nicht
zuletzt im Geheimnis der Kindheit des Herrn
konzentriert haben.
Die Reihe jener Gestalten des französischen
Karmels im 19. Jahrhundert, die das Erlösungswerk
des zum Kind gewordenen Gottes bis in die letzten
Fasern ihres Seins erspürten, wird durch
P. Augustin-Maria vom hlst. Sakrament eröffnet,
der als Künstler und Komponist unter seinem
weltlichen Namen Hermann Cohen bekannt ist.
In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts
bezauberte der «melancholische Putzi», wie ihn
George Sand getauft hatte, als Lieblingsschüler
des großen Franz Liszt das Pariser Publikum.
Nach seiner Bekehrung von einem glaubenslosen
und lockeren Künstlerleben, - er stammte aus
einer jüdischen Familie, die in Hamburg ansässig
war -, zog ihn die Gnade mit unwiderstehlicher
Kraft zum Karmel. Und er, der selbst schon als
ein Kind durch sein geniales Pianospiel die
Welt zu seinen Füßen sah, kniete jetzt, nicht
mehr als 15 Jahre später, als dreißigjähriger
Mann und kleiner Novize vor einem Jesuskind
in Broussay, in dem ersten, 1839 durch einen
spanischen Pater in Frankreich wiederhergestellten
männlichen Karmel.
«Verkoste nur einmal die Andacht zum Jesuskind»,
lesen wir in einem seiner Briefe an den Grafen
Cuers, vom 30. Dez. 1849. «Sie bringt Glück
und entreißt die Seele allen irdischen Gedanken.
Unser Noviziat steht unter dem Schutz des Jesuskindes.
Während des Adventes besucht eine kleine Statue
des Jesuskindes täglich einen der Novizen und
bleibt während vierundzwanzig Stunden in dessen
Zelle. Jeder errichtet ihm ein Altärchen und
bereitet sich so auf das Weihnachtsfest vor.
Das Jesuskindlein wird Dir Glück bringen, wenn
Du Ihm eine besondere Andacht weihest. Es ist
reizend! Ich habe Ihm auch ein Weihnachtslied
komponiert, das am Abend, in den außergewöhnlichen
Rekreationen dieser Festzeit, gesungen wird.»
Was sein Herz aufjubeln machte, das formte sich
in ihm zu Lied und Ton. Sein
«Weihnachtscanticum», das er für diese erste
Hl. Nacht im Karmel komponierte, verrät die
unaussprechliche Tiefe inneren Erlebens, die
seine feinfühlende Künstlernatur mit glühender
Liebe durchbebte. Sein Antlitz strahlte vor
Freude, wenn er den Namen des Jesuskindes nennen
hörte, berichtet sein Novizenmeister. Er war
ein Tor der Liebe Jesu geworden. Und er wollte
auf alle, die ihm nahestanden, diese Torheit
der Liebe ausdehnen. «Ich wünsche, daß das Jesuskind
Sie so sehr in Liebe entbrennen lasse, daß Ihr
Herz zu Asche werde», schrieb er an Schwester
Maria Pauline de Fougerais.
«Dieses liebenswürdige Kind hat uns in Wahrheit
den Kopf verdreht; wir sind ganz närrisch mit
Ihm geworden! Es ist ein kleiner, geschickter,
listiger Jäger, der uns in seinen Netzen
gefangen und uns das Herz gestohlen hat. Möge
Er es niemals mehr zurückgeben!... Seien wir
närrisch mit dem Jesuskind! Ist Es nicht um
unseretwillen zum Toren geworden? Tun auch wir
ein Gleiches!»
Nicht weniger als zu P. Augustin hatte der Stall
von Bethlehem mit seinem tiefen Schweigen und
wunderbaren Geheimnissen unermeßlicher Liebe
des menschgewordenen Gottes zu Schwester
Maria vom hl. Petrus gesprochen. Von ihr
führt ein direkter Weg zur kleinen Heiligen
von Lisieux, die ein Kind Gottes sein wollte
und als Kind Gottes gelebt hat, um der Welt
die Botschaft vom Kindsein in einmaliger Schönheit
zu vermitteln. Nicht zuletzt, um noch eine der
vielen Karmelitinnen zu nennen, die nach Theresia
vom Kinde Jesu den kleinen Weg geistiger Kindschaft
eingeschlagen haben, war das Weihnachtsmysterium
mit seinem wunderbaren Licht in Schwester
Marie-Aimee von Jesus aufgeleuchtet und
hatte mit seinen Strahlen ihr Inneres in gnadenhaftem
Erkennen durchzittert. Sie wollte das große
Angebot Gottes verkünden: Die Ihn aber aufnahmen,
denen gab Er die Macht, Kinder Gottes zu werden.

Schwester Maria vom hl. Petrus
Nachdem die sel. Mutter Anna vom hl. Bartholomäus
am 14. Jan. 1605 den Karmel von Pontoise gegründet
hatte, kehrte sie im September des gleichen
Jahres wieder nach Paris zurück, wo sie zweieinhalb
Jahre lang dem ersten Karmel als Priorin vorstand.
Von dort aus lenkte sie 1608 ihre Schritte nach
Tours, wo sie bis zum Jahr 1611, als man sie
nach Flandern rief, als Priorin blieb.
Am 18. Mai 1608, also kaum vier Jahre nach der
Gründung des ersten theresianischen Taubenschlags
in Paris, hielten die Nonnen in dem neuen Klösterlein
ihren Einzug, und am selben Tag, es war der
Sonntag nach Christi Himmelfahrt, wurde das
allerheiligste Sakrament in die Kapelle getragen.
M. Anna vom hl. Bartholomäus bat den Herrn,
Er möge über dieses Haus, über die Schwestern
und über alle, die dieses Kloster bewohnen würden,
seinen himmlischen Segen ausgießen. «Dieser
anbetungswürdige Meister», sagte sie darauf,
«versicherte mir ganz fest, daß Er meine Bitte
erhören würde». Die Geschichte des Karmels
von Tours sollte zeigen, daß es wahrhaft niemals
an einem besonderen göttlichen Beistand gefehlt
hat.
Von Anfang an ging von der Neugründung ein solcher
Ruf von Heiligkeit aus, daß viele
junge Mädchen aus den höchsten Ständen und aus
weiter Ferne um die Gunst baten, aufgenommen
zu werden. Als M. Anna vom hl. Bartholomäus
Tours verließ, gab sie den Schwestern ihren
weißen Mantel und mit diesem, wie einst Elias
seinem Schüler Elisäus, gewiß auch etwas von
ihrem Geist, denn die Karmelitinnen von Tours
zeichneten sich immer durch eine unverbrüchliche
Treue im Gehorsam und durch ein sorgfältiges
Bemühen aus, den Geist der hl. Theresia von
Avila rein und unversehrt zu bewahren.
Trotz der verheerenden
Wirkungen des Jansenismus, der überall in Frankreich
die katholische Frömmigkeit bedrohte,
hat der Karmel von Tours stets einen unverfälschten
Glauben bewahrt und die Bestimmung der hl. Kirche
in demütiger Unterwerfung angenommen. Auch die
Revolution vermochte den Glaubensmut der neunzehn
Profeßschwestern nicht zu schwächen. Nicht eine
einzige zeigte sich ihres Berufes unwürdig.
Allen Herausforderungen der Beamten zuwider
beriefen sie sich auf Gott und ihre Ordensgelübde.
Als diese feststellen mußten, daß ihre Drohungen
und Schmähungen erfolglos blieben, vertrieben
sie die Nonnen aus ihrem Kloster, um sie bald
darauf zu verhaften und ins Gefängnis zu bringen,
wo sie achtzehn Monate lang Unbeschreibliches
erlitten.
Als sich die
Gewitterwolken der Revolution verzogen hatten, konnten sie wieder
ihr Klosterleben aufnehmen.
Aber erst 1822, also nach 24 Jahren, gelangten
sie in den Besitz ihres alten Klostergebäudes,
dessen Kirche 6 Jahre als Vorratsraum gedient
hatte. Zum Glück war der Hochaltar mit seinem
Gemälde, das das Geheimnis der Menschwerdung
darstellte, unter dessen Titel der Karmel von
Tours errichtet worden war, erhalten geblieben.
Die allerseligste Jungfrau hatte über das ihrem
Namen geweihte Gebäude sichtbar gewacht.
Als Schwester Maria vom hl. Petrus, Perrine
(Petronella) Eluère, im Karmel von Tours eintrat,
waren erst siebzehn Jahre verflossen, seitdem
die Kommunität nach der Revolution in ihr Kloster
zurückgekehrt war. Noch lebten unter ihnen die
Erinnerungen an die Tugendbeispiele der Schwestern,
und einige der alten Mütter konnten durch ihre
Erzählungen von den Schreckensjahren mithelfen,
daß der gute, alte Karmelgeist sich frisch und
unangetastet erhielt und fortgepflanzt wurde.
Schwester Maria vom hl. Petrus war am 4. Okt.
1816 in der Rennes in der Bretagne geboren.
Ihre Eltern, die einer gut katholischen Arbeiterfamilie
angehörten, waren Christen vom «alten Schlag»
und sorgten für eine gute Erziehung. In
den zwei Jahren, in denen sie eine Schule besuchte,
lernte sie ein wenig lesen und schreiben. Aber
trotz guter natürlicher Anlagen kam sie nicht
über den gewöhnlichen Bildungsgrad ihrer Zeit
hinaus. Von zwei Tanten wurde sie ein wenig
in weiblichen Handarbeiten unterwiesen, denn
im Alter von zwölf Jahren war ihre Mutter gestorben.
Sie flehte damals die allerseligste Jungfrau
an, ihr fortan Mutter zu sein, wie sie es im
Leben der hl. Theresia von Avila gehört oder
gelesen hatte. Ihr kindliches Gebet blieb nicht
unerhört. Ihr ganzes Leben lang durfte sie
sich eines besonderen Schutzes Mariens erfreuen.
Maria vom hl. Petrus dachte schon als junges
Mädchen, sich Gott in einem Orden zu schenken.
Aber es mußten erst Jahre der Prüfungszeit vergehen,
in denen sie zu Füßen des Allerheiligsten um
Kraft rang und in der Liebe zum Herzen Jesu
reifte, zu dessen Verehrung sie ihre Umgebung
unentwegt anspornte, bis sich ihr am 13.
Nov. 1839 die Klausurpforte des Karmels von
Tours öffnete. Sie war überzeugt, daß der
hl. Martin, Bischof von Tours, ihr diese Gnade
erfleht hatte.
Bald erkannte sie, zu welchem Zweck sie Gott
in den Karmel gerufen hatte. Nicht nur um
ihrer Selbstheiligung willen hatte Er ihr die
Wege zum Eintritt geebnet, sondern damit sie
seine Ehre verteidige und für die Bedürfnisse
der hl. Kirche und das Heil der Seelen sich
hinopfere. «Eines Tages (nach der hl. Kommunion)
zeigte Er mir eine Menge Seelen, die in die
Hölle stürzten. Er äußerte den Wunsch, ich
möge mich Ihm ganz schenken und Ihm alles überlassen,
was ich mir an Verdiensten in meinem neuen Stande
erwerben könne, um damit seine Absichten zu
erfüllen. Er versicherte mir, daß Er für meine
Interessen Sorge trage und mir von seinen eigenen
Verdiensten mitteilen wolle... Ich hatte große
Lust, mich Ihm gleich ganz zum Opfer zu bringen.
Doch wollte ich diesen Akt nicht unmittelbar
vornehmen, sei es, daß ich darin dem Rat meines
göttlichen Meisters folgte oder weil ich fürchtete,
gegen den Gehorsam zu fehlen, und so unterbreitete
ich ihn erst unserer ehrwürdigen Mutter...
Da unsere ehrwürdige Mutter noch nicht wußte,
wie mich der Herr führte, schenkte sie
der Mitteilung einer Postulantin nicht viel
Glauben und verweigerte mir die Erlaubnis. Der
Herr begnügte sich einstweilen mit meinem guten
Willen. In der Folge gab Er mir aber öfters
ein, die gleiche Bitte erneut an meine Vorgesetzten
zu richten. Erst als ich die Erlaubnis erhalten hatte,
teilte Er mir das Werk der Sühne vollständig
mit.»
Maria vom hl. Petrus hat diesen ersten Anruf
Gottes immer als Grundlage ihres Sühnewerkes
betrachtet.
Das Leben dieser kleinen Karmelitin war durch
einen starken Willen zur Hingabe und Läuterung
gezeichnet, ein Wille, der von der Liebe zu
Christus durchglüht wurde und danach verlangte,
sich dem ihr immer mehr offenbarenden Licht
bereitzustellen. Der Weg der Novizin begann
bei dem Geheimnis des göttlichen Kindes. Und
als sie am Ende ihres Lebens die Höhen des mystischen
Ergriffenseins von Gott erklommen hatte, schaute
sie wiederum die Geheimnisse göttlicher Liebe
im Mysterium der Menschwerdung.
Dank der Aufzeichnungen ihres inneren Aufstiegs,
die sie trotz größtem Widerwillen im
Gehorsam und «mit Hilfe des Jesuskindes» machte,
wissen wir, daß sie bereits im Noviziat
«das Jesuskind und die hl. Familie fand, die
sie über alles liebte» und sich mächtig zu einer
inneren Verehrung des göttlichen Kindes hingezogen
fühlte. «Als ich im Karmel als Neuling, wie
ein kleines Kind, aufwuchs, regte mich der Herr
in ganz besonderer Weise zur Verehrung seiner
hl. Kindheit an. Er gab mir zu verstehen,
was ich zu seiner Ehre in diesem Stand tun könne.
So wurde mir für alle Tage des Monats eine bestimmte
Übung vorgeschrieben, die ich mit größter Freude
und mit Nutzen für meine Seele auch ausführte.
Ich betrachtete mich als die kleine Magd der
Hl. Familie. Und ich verlangte sehnlichst, das
Gewand der Muttergottes, das Kleid des Karmels
zu tragen.»
Am 21. Mai 1840 empfing sie in unbeschreiblicher
Seligkeit den weißen Schleier der Novizin.
«An diesem Tag», fährt sie in ihrem Bericht
fort, «weihte ich mich ganz und gar der HI.
Familie». Und sie bat inständigst um die
Gnade, sich «in Wahrheit rühmen zu können, ihre
Magd zu sein».
Seit dieser Ganzhingabe beseelte sie einzig
die Absicht, in allem, was sie tat, der Hl.
Familie
in Nazareth zu dienen. Der Gedanke des Dienens
vermehrte in ihr das Bewußtsein jener Unwürdigkeit,
die nur durch das Wirken göttlicher Gnade die
Tiefe der Seele ausfüllen kann. Sie fühlte sich
aber auch als empfangende Magd, die Gott ihre
Dankbarkeit zu Füßen legen wollte. Darum hatte
sie den Wunsch, das Eselein des Jesuskindes
zu werden. Wenn der königliche Prophet sich
vor Gott als Lasttier betrachtet hatte, so dürfte
sie sich wohl mit Recht diesen Namen zulegen.
Und wenn der Sohn Gottes aus Liebe zu uns so
arm geworden war, daß Er bei seinem feierlichen
Einzug in Jerusalem seine Jünger ausschickte,
um ein so geringes Lasttier zu suchen, so wäre
es ihr wohl erlaubt, sich Ihm in Zukunft für
diesen Dienst anzubieten. «O mein Erlöser, ich
möchte jetzt, da Du im Himmel bist, daß Du auf
Erden ein Eselein Dein eigen nennst, das zu
Deinem Dienst bereitsteht und Dir angehört,
und das Du nach Deinem Belieben auf allen Wegen
herumführen kannst.»
Entzückendes Spiel unschuldiger Liebe! Theresia
von Lisieux wollte der Ball des kleinen
Jesus sein, den Er nehmen oder wegwerfen konnte,
wie es Ihm gefiel. Maria vom hl. Petrus wollte
das geduldige Lasttier sein, das Ihn auf seinen
Reisen trug oder das göttliche Kindlein erwärmte.
Doch ihre Mutter Priorin wollte ihr nicht die
Erlaubnis zu dieser Hingabe erteilen. Wohl war
sie bereit, dem Jesulein den Esel zu «leihen»,
aber nicht, ihn ganz «abzutreten». So blieb
Maria vom hl. Petrus nichts anderes übrig, als
sich dem Herrn durch die Vermittlung Mariens
und des hl. Josef als «geliehener Esel» vorzustellen.
Diese Einfalt gefiel ohne Zweifel dem hl. Kind,
denn Es begann sie geheimnisvoll in den Bereich
des Wirkens von oben hineinzuziehen.
Sie fühlte sich wunderbar von seiner Gnade erfaßt,
so daß sie ihre Seele als den Stall von Bethlehem
betrachtete, wo sie das göttliche Kind mit der
allerseligsten Jungfrau und seinem Nährvater
anbetete. Dort, in ihrem verborgensten Heiligtum,
schenkte sie sich Ihm ganz als seine kleine
Magd. Und das göttliche Kind leitete sie an,
Es an jedem Tag des Monats durch eine Tugendübung
zu verehren.
Doch schon in dieser Zeit begann sie erschreckend
den Pesthauch Satans zu spüren.
«Als er sah, wie ich damit beschäftigt war,
die Erniedrigung des menschlichen Wortes zu
verehren, ergrimmte er darüber voller Neid.
Eines Tages hatte ich eine Handlung verrichtet,
die ihm sichtbar mißfiel. Er wollte sich dafür
rächen. Als ich am Abend im Bett lag und einzuschlafen
versuchte, spürte ich plötzlich über meinem
Kopf ein dickes Tier, das mich zu ersticken
drohte. Ich dachte sogleich, daß es der Teufel
wäre. Seine Krallen durchwühlten meinen Kopf
und ich rief mit aller Kraft die allerseligste
Jungfrau um Hilfe an. Als ich ihren Namen
aussprach, ergriff er die Flucht. In einem Dankgebet
sang ich die anbetungswürdigen, Hölle so furchtbaren
Worte: «Et Verbum Caro Factum Est - [Und das
Wort ist Fleisch geworden]»... Obgleich ich
den Teufel nicht mit den Augen des Leibes gesehen
hatte, so spürte ich innerlich doch recht wohl,
daß dies kein Traum gewesen war. Satan wollte
ohne Zweifel das Eselein des göttlichen Kindes
ersticken. Aber die allerseligste Jungfrau war
ihm zu Hilfe geeilt.»
Die Andacht zum göttlichen
Kind blieb Schwester Maria vom hl. Petrus bis
zum letzten Augenblick ihres irdischen Daseins
teuer. Um Es nicht aus dem Auge zu verlieren,
hatte sie sich, so gut sie es vermochte, zwei
kleine Statuen in sinniger Weise angefertigt.
Die eine nannte sie ihren «Kleinen König», die
andere ihren «Armen König». Eine dieser beiden
Statuen trug sie immer bei sich, und noch auf
ihrem Sterbebett wußte sie die Gnaden des «Kleinen
Königs» treuherzig mit ihrer frommen und dankbaren
Liebe gegen die Wohltäter des Klosters
zu verbinden.
Der Ordensbrauch verlangte, daß Maria vom hl.
Petrus sich dreimal im Kapitel vorstellen mußte,
um zu den hl. Gelübden zugelassen zu werden.
«Da kam ich auf den Gedanken», erzählt sie ein
wenig schelmisch, «jedesmal eine kleine Frömmigkeitsübung
zu verrichten, um desto sicherer zum Ziel zu
gelangen und das göttliche Kind als himmlischen
Bräutigam zu bekommen». Dabei wandte sie sich
an den himmlischen Vater, an die Muttergottes
und an den hl. Josef. Ihr sehnliches Verlangen
wurde auch wirklich erhört. Am 8. Juni 1841
legte sie ihre Gelübde ab. Die Entscheidung
unauflöslicher Hingabe war besiegelt. Hatte
sie ihr Opfer nicht dem des Herrn vereint, der
um uns von der Sünde loszukaufen, alles dem
Vater hingeben wollte?
Am Tag ihrer Profeß
fügte sie ihrem früheren Namen das Prädikat
«von der Hl. Familie» hinzu.
Jesus hatte sie als seine geringe Magd angenommen
und gab ihr zu verstehen, sie solle «seine Herden
auf den Ländereien der göttlichen Kindheit hüten».
Dazu half ihr ein Plan zu Ehren der zwölf Jahre
des göttlichen Kindes.
Für Maria vom hl. Petrus hatte eine neue Phase
ihres inneren Lebens begonnen. Nicht
mehr der eigene Wille, sondern einzig das Wollen
des göttlichen Kindes sollte von nun an ihre
Handlungen bestimmen. Trotz des Amtes der Windnerin,
das leicht Ursache zu Zerstreuungen sein kann,
beschloß sie ganz nach innen gerichtet zu leben.
Sie bat deshalb, eine Statue des göttlichen
Kindes nahe bei der Winde aufstellen zu dürfen,
um ständig an seine göttliche Gegenwart erinnert
zu werden. Als «ich das hl. Kind in unserem
Pförtnerhäuschen hatte, war ich einfach überglücklich»,
lesen wir in ihren Aufzeichnungen.
«Alle kleinen Arbeiten opferte ich Ihm auf,
und als Gegenleistung flehte ich Es um Seelen
an. Trotz meiner Unwürdigkeit verlieh mir
das göttliche Kind alle die zu meinem Amte notwendigen
Gnaden, so daß nichts mein inneres Leben hinderte
und mich auch nichts abhielt, so wie früher
während des Gebetes mit Gott vereint zu bleiben.
Während des Tages arbeitete ich für das Heil
der Schäflein des göttlichen Kindes, und beim
Gebet vergalt Es mir hundertfach meine Mühe.
Manchmal, wenn ich seine Nähe fühlte, ließ
ich meine Arbeit einen Augenblick ruhen, um
Ihm in größerer Sammlung zuzuhören. Doch
dann glaubte ich, dazu die Erlaubnis erhalten
zu müssen und ich bat die ehrwürdige Mutter
darum. In ihrer mütterlichen Liebe zu meiner
Seele, die nichts unterlassen wollte, um mich
in der Tugend zu üben, verbot sie mir jedoch,
mich bei diesen inneren Gnadenwirkungen aufzuhalten
und fügte hinzu: Nur wenn Du ganz zerstreut
bist, erlaube ich Dir, Dich ein wenig zu sammeln.»
Dieses mütterliche Verbot war aber keineswegs
ein Hindernis für Gott, sie immer mächtiger
mit seinem Geist zu durchdringen und sie drängender
die Bitten des Herrn fühlen zu lassen, sich
Ihm im Akt vollkommener Hingabe auszuliefern,
so wie Er es von ihr kurz nach ihrem Eintritt
in den Karmel gefordert hatte.
Er offenbarte ihr, was seinem Herzen am meisten
mißfiel und seinen gerechten Zorn herausforderte.
Wie sehr verlangte Er nach Sühne! Sie
sollte sein göttliches Herz durch Akte und Gebete,
die Er ihr selbst eingab, trösten.
Im August 1843 hörte sie Ihn bitterlich klagen:
Ȇberall wird mein Name entheiligt. Selbst
die Kinder lästern Gott! Viel tiefer und
schmerzlicher verwundet mein göttliches Herz
diese verabscheuungswürdige Sünde als ein jedes
andere Verbrechen. Der Gotteslästerer flucht
mir ins Antlitz. Er übt offene Feindschaft gegen
mich. Er macht mein Werk der Erlösung zunichte
und spricht sich selbst das Urteil der Verwerfung
und ewigen Verdammnis. Die Gotteslästerung
ist ein giftiger Pfeil, der immerdar in meinem
Herzen haftet. Ich will dir daher einen
goldenen Pfeil geben, mit dem Du Wunden der
Liebe schlagen sollst, die jene Wunden heilen,
die die Bosheit der Sünder (meinem Herzen) geschlagen
hat». Und sie sah, wie aus dem Herzen Jesu,
das der goldene Pfeil des Gebetes
getroffen hatte, Ströme der Gnade zur
Bekehrung der Sünder hervorquollen. Unentwegt
wollte ihr Herz daher wie dieser goldene Pfeil
erklingen:
«Es sei immerdar gelobt, gesegnet, angebetet
und verherrlicht der allerheiligste, anbetungswürdige,
und unaussprechliche Name Gottes, im Himmel,
auf Erden und unter der Erde, von allen Geschöpfen,
die aus Gottes Hand hervorgegangen sind und
durch das allerheiligste Herz unseres Herrn
Jesus Christus im hochheiligen Sakrament des
Altares. Amen!» |
Der Herr gab ihr zu verstehen, daß sie zu jeder
Stunde des Tages den goldenen Pfeil des Gebetes
zur Sühne der Gotteslästerungen abschießen solle.
Dann erfuhr sie die Gnade häufiger göttlicher
Mitteilungen, in denen sie mit dem furchtbar
ernsten Werk der Sühneleistung für die Gotteslästerungen
beauftragt wurde. Sie war auserwählt, die Sühneandacht
unter ihren Schwestern und auch in der Welt
zu verbreiten. Am 24. November hörte sie die
Worte des Herrn: Bis jetzt habe ich dir die
Absichten meines göttlichen Herzens nur teilweise
geoffenbart. Heute sollst du sie ganz erfahren.
Die Erde ist von Missetat überflutet. Der Frevel
wider die drei ersten Gebote Gottes hat meinen
Vater erzürnt. Lästerungen des allerheiligsten
Namens Gottes und die Entheiligung des Sonntags
machen das Maß der Verbrechen zum Überfließen
voll. Die Sünden sind bis zum Thron Gottes
emporgestiegen und fordern seinen ganzen
Zorn heraus, der sich über die schuldbeladene
Menschheit ergießen wird, wenn sie seiner Gerechtigkeit
nicht Sühne leistet. Niemals war das Maß der
Sünden so voll. Darum wünsche ich, daß ein kirchlich
gutgeheißener und wohlgeordneter Verein gebildet
werde, der den Namen meines Vaters ehren will.»
Und am Schluß schien der Herr ihr in unbeschreiblicher
Zärtlichkeit zu sagen: «An wen sollte ich mich
denn wenden, als an eine Karmelitin, deren
Lebensaufgabe darin bestehen muß, immerfort
meinen Namen zu verherrlichen», wobei Er
darauf hinwies, daß Er durch dieses Sühnewerk
Barmherzigkeit an den Sündern üben werde.
Am Weihnachtsfest 1843 legte Maria vom hl. Petrus
das langersehnte Gelübde in die Hände der
allerseligsten Jungfrau, sich dem Herrn
rückhaltlos zur Erfüllung seiner Absichten hinzugeben
und bat sie, die Mutter aller Gnaden, es dem
neugeborenen Kindlein in Bethlehem aufzuopfern.
«O heiliges und liebenswürdiges Jesuskind. Der
heißersehnte Tag ist endlich angebrochen
und ich kann mich Dir, ohne gegen den Gehorsam
zu fehlen, in aller Freiheit ganz schenken.
Verfüge du frei über meine Seele, damit Deine
Absichten verwirklicht werden. Zwar bin ich
sehr unwürdig, Dir dieses Geschenk anzubieten,
doch es scheint mir, daß Du, o göttliches Kind,
es wünschest, und so reinige mein Opfer mit
den Tränen Deiner Kindheit und durch Dein kostbares
Blut. Zu Deinen Füßen, vor der Krippe, in dieser
denkwürdigen Nacht Deiner gnadenreichen Geburt,
o mein göttlicher Bräutigam, schenke ich mich
Dir nun ganz in völliger Freiheit... Gib, daß
ich von nun an, vereint mit Dir, mich mit dem
beschäftige, was den Dienst Deines himmlischen
Vaters betrifft, für die Ehre seines heiligsten
Namens.
O heiligstes Kind, Gott und Mensch zugleich,
ich verzichte auf alles, was ich bin und schenke
mich dir ganz zu eigen. Mache mit mir und in
mir, was Dir gefällt, zur Verwirklichung Deiner
Absichten. Ich bin Dein Eigentum, nimm mich
ganz zu eigen. Ja, mein göttliches Kind, aus
ganzem Herzen, aus Liebe zu Dir, entäußere ich
mich für immer von allem. Bekleide Du mich in
Deiner großen Barmherzigkeit mit dem Gewand
Deiner Verdienste, damit ich am Tage des Gerichtes
den Segen Deines himmlischen Vaters empfange.»
Neue Mitteilungen des Herrn erfüllten die folgenden
Jahre. Er verlangte nicht nur einen gewöhnlichen
Sühneverein, sondern eine Erzbruderschaft,
die den Mittelpunkt ähnlicher Bruderschaften
in den verschiedenen Diözesen Frankreichs bilden
sollte. Er machte ihr Mut, selbst mit dem Erzbischof
darüber zu sprechen. Doch dieser gab ihr wenig
Hoffnung, da er viele Schwierigkeiten voraussah.
Um so inständiger wurde das Drängen des Herrn.
Er ließ sie die abgrundtiefe Wahrheit
verstehen, daß wir bei der Anbetung des heiligsten
Altarssakramentes unsere Huldigungen gleichsamdemhier
«sichtbaren» heiligsten Herzen Jesu zuwenden,
dessen unendliche Erbarmungen aus dem Sakrament
der Liebe quellen. In ganz ähnlicher Weise soll
uns beim Sühnewerk der Anblick des heiligsten
Antlitzes Abbild, Widerstrahl und sichtbarer
Ausdruck des leidenden und gelästerten Gottmenschen
sein und zu heiligem Liebeseifer anfachen.
Durch die Kraft seines verehrungswürdigen
Antlitzes, das wir dem Vater entgegenhalten,
sind wir imstande, seinen gerechten Zorn zu
besänftigen und die Bekehrung der Ruchlosen
und Gotteslästerer zu erwirken.
Gleich Veronika empfing sie die Gnade, daß der
Herr ihr sein heiligstes Antlitz zeigte:
«Ich gebe Dir mein göttliches Antlitz, damit
Du es durch Deine Huldigungen abtrocknest und
durch den Duft Deines Lobes verherrlichst.
Je mehr ihr Sorge tragen werdet, mein durch
die Gotteslästerer
verunstaltetes Antlitz wieder in seiner vollen
Schönheit herzustellen, umso mehr werde auch
ich für das eurige, das durch die Sünde entstellt
ist, Sorge tragen.
Ich werde ihm mein Bild aufdrücken und ihm jene
Schönheit wiedergeben, die es einst in der hl.
Taufe erhielt. Überlasse Dich ganz meinen Händen
und sei bereit, alles, was zur Wiederherstellung
dieses Bildes erforderlich ist, zu erdulden.»
Am 16. Juli 1847, am Fest Unserer Lieben Frau
vom Berg Karmel, wurde das Sühnewerk
kanonisch errichtet. Wie der Herr vorausgesagt
hatte, war es die Gottesmutter, durch deren
Vermittlung sich die Wege geebnet hatten. Die
Bestätigung erfolgte durch ein päpstliches Breve
vom 27. Juli des gleichen Jahres, und drei Tage
später erhob ein zweites Breve die Sühnebruderschaft
zur Erzbruderschaft. Es war ein Werk, das den
Bedürfnissen der Zeit entsprach. Hatte nicht
kurz zuvor die Muttergottes in La Salette
bittere Tränen geweint und Sühne gefordert?
Unvergleichlich rasch verbreitete sich die
Erzbruderschaft in der katholischen Welt, so
daß sie im gewissen Sinn die Quelle aller Sühnewerke
unserer Zeit wurde.
Neue geheimnisvolle
Offenbarungen,
die vom Lichtkreis des Sühnegedankens durchflutet
waren, sollten die Opfer und Mühen belohnen,
die Maria vom hl. Petrus die Erfüllung ihrer
Aufgabe gekostet hatte. Die Mutter Jesu zog
die demütige Karmelitin in jene wunderbare Innigkeit
der ersten Kindheit des Herrn, die nur ein Mutterherz
empfinden kann. Sie hatte das Flehen der treuen
Magd des Jesulein erhört: «Liebe Muttergottes»,
hatte sie ausgerufen,
«erinnere Dich daran, daß Du meine Mutter bist
und ich die kleine Schwester des Jesuskindes».
Und Maria gab ihr zu erkennen, daß sie die
«Tugenden seiner Kindheit nachahmen müsse».
«Als ich mich einmal ein wenig davon entfernt
hatte», gesteht sie. «verlor ich für acht Tage
die Gegenwart der allerseligsten Jungfrau und
des göttlichen Kindes. Aber dann habe ich mich
vor Gott verdemütigt und an mein tiefes Elend
gedacht. Er senkte ein lebhaftes Gefühl der
Reue in mein Herz, und ich habe meine begangenen
Sünden bitter beweint... Dann fand ich das Jesuskind
an der Brust seiner heiligsten Mutter wieder.»
Einen Monat lang verbrachte sie in Vereinigung
mit den Engeln zu, um sich ungetrübt
der Betrachtung dieses lieblichen Geheimnisses
hinzugeben, das einen hl. Bernhard von
Clairvaux und einen Fulbert, den hl. Bischof
von Chartres, so wunderbar tief berührt hatte.
«Aus Gehorsam gegen seinen himmlischen Vater
liegt das Ewige Wort des Vaters schweigend an
der Brust seiner Mutter. Um des Vaters unbeschränkte
Macht anzuerkennen, ist Es sein kleines, hilfloses
Kind geworden, das sich von einer Milch nährt,
die sich bald in sein kostbares Blut verwandeln
und für das Heil der Welt vergossen werden wird.»
Maria vom hl. Petrus sieht in der Milch, die
die Nahrung der ersten Kindheit des Herrn ausmachte,
ein Sinnbild der Gnade und Barmherzigkeit, die
von der Mutter aller Gnaden
ausströmt.
Eines Tages, als sie die hl. Kommunion empfangen
hatte, ermahnte sie das göttliche Kind, für
die unreinen Seelen zu beten. «Ich habe Dich
bereitet und rein gemacht. Jetzt gehe hin und
suche mir die Seelen, damit ich über sie herrsche.»
Das Jesuskind wollte von ihr, daß sie durch
Nachahmung der Tugenden seiner heiligsten Kindheit
und in seiner Gnade den Teufel des Hochmuts
und der Unreinheit bekämpfe. Sie hatte zutiefst
verstanden, daß das Geheimnis der Kindheit des
Herrn, «so unbekannt es auch in der Welt sein
mag,
unsagbar groß, wunderbar und unaussprechlich
ist. Seine Tiefe wird nur vom Jesuskind und
von seiner lieben Mutter, der allerseligsten
Jungfrau, ergründet werden... Ja, göttliches
Kind, Du bist unserer Ehrerbietung und Anbetung
genau so würdig, wenn Du an der Brust Deiner
jungfräulichen Mutter (schlummerst), wie Du
es im Schoß Deines ewigen Vaters bist. Du bist
Gott in alle Ewigkeit und wirst es immer sein.»
Nicht nur zum Nutzen ihres eigenen religiösen
Lebens war Maria vom hl. Petrus zur Teilnahme
am lieblichen Geheimnis der Kindheit Jesu berufen.
Wie ihre früheren übernatürlichen Erkenntnisse
und Erfahrungen, so waren auch diese für das
Wohl der ganzen Kirche bestimmt. Der himmlische
Vater drohte der lästernden Welt mit Strafgerichten.
Da trat zwischen Ihn und die Schuldbeladenen
Maria, die Mutter der Barmherzigkeit. In La
Salette hatte sie über die Verirrungen ihrer
Kinder viele stille Tränen geweint. Die Stunde,
um ihre gnadenspendenden Hände zu öffnen, war
noch nicht gekommen. Jetzt aber, nachdem ein
Anfang zur Sühneleistung gemacht worden war,
erschien sie in Milde und Heiterkeit. Ihre Hände
breiteten sich weit aus, um Fürbitte einzulegen
und um die Menschheit zu segnen. Ein erquickender
Gnadenstrom entquoll ihrer mütterlichen Brust.
«Der Herr hält mich immer dazu an, Ihn als
Kindlein an der Brust seiner Mutter anzubeten.
Dort erteilt Er mir wunderbare Belehrungen über
die Mutterschaft der allerseligsten Jungfrau
und ihre Beziehung zu den Menschen, die Er ihr
zu Kindern gegeben hatte, als sie auf dem Kalvarienberg
unter dem Kreuze stand... O Geheimnis der Güte
und Liebe! Kaum daß Er uns unter den schrecklichsten
Schmerzen am Kreuze geboren hatte, als Er uns
alle als seine Kinder in die Arme Mariens legte,
damit sie uns nähre und für das ewige Leben
erziehe... Maria ist jener wunderbare Kanal,
durch den seine unendlichen Verdienste der hl.
Kirche, seiner Braut, zufließen.»
Immer neue Aspekte erschließen sich ihr im Kindheitsmysterium
Jesu. Sie versteht, daß
«der Mensch, solange er auf Erden weilt, sich
im Zustand der Kindheit befindet. Erst im
Himmel erreicht er das volle Mannesalter.
Er soll deshalb ohne Unterlaß wie ein kleines
Kind bei seiner Mutter Zuflucht nehmen.»
War es ihr nicht vorgekommen, daß der Herr ihr
eines Tages zugeflüstert hatte: «Ich will, daß
Du ganz klein seiest, aber daß Du ein großes
Herz besitzest»? Sie war wirklich ganz klein
vor Gott geworden. Darum erwählte Er sie, sich
in beglückenden Erkenntnissen anbetend über
«das ewige Wort in arme Windeln gewickelt» zu
neigen, das «im tiefen Schweigen ruht. Alle
die unendlichen Vollkommenheiten des lebendigen
Gottes sind unter der Hülle der Menschheit verborgen.
Der Allmächtige scheint in Ohnmacht versetzt
zu sein. Seine Größe so klein! O, welche Ehre
hat das Jesuskind seinem himmlischen Vater in
diesem Zustand der Armut und Erniedrigung erwiesen!...Welch'
glänzende Taten hätte Es vollziehen können schon
bei seinem Eintritt in die Welt. Es hat sie
sich versagt, um dem Vater zu gehorchen und
um uns ein Beispiel tiefer Demut zu geben.»
Niemals hat das göttliche Kind eine vertrauensvolle
Bitte abgewiesen. Auch Maria vom
hl. Petrus machte die gleiche Erfahrung:
«Eines Tages erkannte ich durch göttliche
Erleuchtung, daß der himmlische Vater mir alles
gewähren wird, wonach ich verlange, wenn ich
Ihn im Namen des Jesuskindes an der Brust seiner
Mutter darum bitten werde.»
Und wieder bricht es im Übermaß inneren Erkennens
aus ihrer Seele: «O unaussprechliches
Geheimnis! Derjenige,
der ewig im Schoß des Vaters ruht, ist zugleich
im Schoß einer demütigen Jungfrau zugegen.
Auf diesem königlichen Lager, von Rosen und
Lilien umgeben,
bete ich Dich an, heiligstes Jesuskind. Meine
Seele empfindet eine unsagbare Freude, wenn
sie Dich in diesem goldenen Hause, das die ewige
Weisheit gebaut hat, so wohl geborgen sieht.»
«Da erwartet Dich das menschliche Geschlecht.
Seit viertausend Jahren seufzte die ganze Natur
nach Deiner glückseligen Geburt... Oh göttlicher
Jesus, verlasse den jungfräulichen Kerker, in
dem die Liebe Dich gefangen hält. Gib, daß ich
Dich als kleines Kind umarmen kann...»
Unter verschiedenen Bildern und in immer neuen
Wendungen kehrt Maria vom hl. Petrus stets auf
das gleiche Thema zurück. Sie hatte gnadenhaft
erkannt, daß das Muttersein Mariens sich als
unerschöpfliche Quelle der Barmherzigkeit und
Liebe auf alle Menschen erstreckt. Das Jesuskind,
dem sie als demütige Magd gedient hatte und
das sie manchmal ihren «kleinen Bruder» nannte,
hatte ihr den Zugang zu diesem marianischen
Geheimnis eröffnet, das zu dem Zartesten gehört,
was Maria und ihr göttliches Kind betrifft.
Ihre Liebe zum Jesuskind ließ sie jedoch niemals
den Sühnegedanken vergessen. «Ich opfere Es
dem himmlischen Vater in diesem Zustand der
Schwäche und Erniedrigung auf, um Ihn in würdiger
Weise zu verherrlichen», heißt es in ihren Aufzeichnungen.
Am letzten Weihnachtsfest, das sie auf Erden
verlebte, beendet sie ihren Bericht mit einem
Gebet zu ihrem kleinen Bräutigam: «O allerheiligstes
und liebenswürdigstes Jesuskind! Ich danke Dir,
daß Du mir geholfen hast, diesen kleinen Bericht
zu Deiner Ehre und zur Ehre Deiner göttlichen
Mutter zu verfassen. An diesem denkwürdigen
Tag Deiner gnadenreichen Geburt lege ich ihn
Dir zu Füßen und bitte Dich demütig, abermals
von meiner Seele Besitz zu ergreifen. Ich will
bis zum Ende meines Lebens Deine kleine Hirtin
sein, die Deine Schafe hütet, und Deine kleine
Magd, die Dir, wie Deine hl. Mutter dient. Ja,
o göttliches Kind, himmlischer Bräutigam meiner
Seele, ich verzichte auf alles, was ich bin
und schenke mich Dir ganz. Verfüge Du über mich.
Amen!»
Die letzte Mitteilung aus der Feder der kleinen
Karmelitin aus Tours trägt das Datum 12. April
1848. Es sind ein paar schlichte Worte, die
sie an ihre Mutter Priorin gerichtet hat. «Seit
einigen Tagen habe ich mich von neuem in die
Betrachtung der heiligsten Kindheit des menschgewordenen
Wortes versenkt. Sie wissen, daß meine Seele
sich diesem Geheimnis ganz hingegeben hat. Von
Zeit zu Zeit führt mich Unser Herr zur Betrachtung
der anderen Geheimnisse seines heiligsten Lebens.
Aber der Stall von Bethlehem bleibt immer für
mich ein Zentrum der Freude.
Am letzten Sonntag hat mir Unser Herr zu erkennen
gegeben, daß sich viele gute Menschen mit der
Betrachtung der Verdemütigungen seines Leidens
beschäftigen, aber nur sehr wenige mit den
Erniedrigungen seiner heiligsten Kindheit.
Er möchte, daß ich mich ihr ganz hingebe,
um durch seine Demut, seine Armut in der Krippe
(...) den Geist des Hochmuts, des Ehrgeizes
und der Unabhängigkeit zu bekämpfen. Auf diese
Weise glaube ich, daß dem ewigen Vater das Antlitz
des kleinen Jesus, um unserer Sünden willen
mit Tränen bedeckt und in der Krippe verlassen,
nicht weniger wohlgefällig sein wird als das
Antlitz Jesu, mit Blut überströmt und am Kreuz
verlassen. So opfere ich dieses göttliche Kind
dem ewigen Vater auf...»
Eine Lungentuberkulose hatte Maria vom hl. Petrus
Schritt für Schritt ihren Kalvarienberg
ersteigen lassen. Am 7. Juli begann die letzte
Agonie. Am folgenden Morgen fragte sie ihre
Priorin: «Wann ist es soweit?» «Bald, noch einige
Augenblicke, mein Kind», war die Antwort. Bis
zum letzten Augenblick blieb sie bei Bewußtsein.
Gegen Mittag schloß sie ihre Augen für immer.
Sie war 31 Jahre alt, von denen sie nur
acht im Karmel verbracht hatte.
Sie hatte ihre Mission auf Erden vollendet.
Das Werk der Sühneleistung war errichtet. Der
Gedanke, durch die Verehrung des heiligsten
Antlitzes Jesu die Gotteslästerungen wieder gutzumachen,
hatte Verständnis gefunden und sollte auf die
folgenden Jahrzehnte nachhaltig einwirken. Das
Antlitz des Herrn fand sie aber nicht nur im
Veronikabild. Es strahlte ihr in gleicher Weise
im Stall zu Bethlehem entgegen, wenn sie die
Tränen des Jesuskindes trocknen wollte, die
über sein zartes Gesichtlein herab rannen. Von
hier aus erklärt sich die innere Beziehung ihrer
Andacht zur hl. Kindheit des Herrn. Gleichzeitig
verwoben sie feine Fäden in den Schleier, der
wundersam das mütterliche Verhältnis Mariens
zum göttlichen Kind verbirgt. Nur die Unschuld
eines reinen Herzens konnte unter diesen unsagbar
zarten Harfenklängen vibrieren.
Damit hat der Weg der geistlichen Kindheit,
den Theresia von Lisieux der Welt verkünden sollte,
bereits im Leben Schwester Marias vom hl. Petrus
eine vollständige Verwirklichung gefunden und
wurde auch, wenigstens in seinen großen Linien,
in den Berichten ihres inneren Lebens, dargelegt.
Unsere Gegenwart kann in ihren Aufzeichnungen,
in dem, was sie «Mitteilungen oder Erkenntnisse»
nennt, vieles entdecken, was das Verständnis
des Mysteriums der Kindheit Jesu befruchtend
bereichern wird.

Mutter Theresia von Poitiers
Im Noviziat des Karmels von Poitiers steht eine
Statue des Jesuskindes aus der Mitte des 17.
Jahrhunderts, die so schwer ist, daß eine Person
allein sie wohl kaum zwei Schritte zu tragen
vermag. Eines Abends, spät nach der Mette, als
sich die Schwestern bereits zur Ruhe begeben
hatten, schritt M. Theresia von Jesus, die vor
kurzem zur Priorin erwählt worden war, lautlos
den langen Korridor zu dem entfernt gelegenen
Noviziat entlang, bis sie bei der Jesuleinstatue
angekommen war. Durch besondere Umstände war
sie gezwungen, einer zarten und weniger gesunden
Schwester eine Zelle anzuweisen, in der diese
den Härten des Klimas ausgesetzt war. Das tat
ihrem mitfühlenden Mutterherzen weh. Um der
Schwester nun über die ersten Schwierigkeiten
hinwegzuhelfen, war sie ins Noviziat geschlichen,
um das schöne Jesulein in ihre Zelle zu tragen.
Sie nahm alle ihre Kräfte zusammen, um sich
die heilige Last aufzubürden. Und siehe da,
«Liebe vermag alles!», wie Paulus sagt.
Sie erklomm die steile Stiege, und voll innerster
Freude stellte sie das hl. Kind auf das kleine
Zellentischlein, damit Es die neue Bewohnerin
am folgenden Morgen begrüße. Zu seinen Füßen
legte sie ein Brieflein, in dem sie geschrieben
hatte: «Heiliges Kind Jesu, segne Du meine liebe
Tochter, segne ihre Freuden und Leiden, die
sie an diesem Orte haben wird. Wenn sie die
Kälte fühlt, dann gib Du ihr die Gnade, daran
zu denken, daß Du in der Nacht vom 24. zum 25.
Dezember für sie so viel Kälte erduldet hast
und vermehre ihre Liebe durch die Deine. Wenn
sie unter der Hitze leidet, weil Deine Sonnenglut
auf sie scheint, dann erinnere sie daran, daß
Du für sie die Last des Tages und Deiner Reisen
getragen hast.»
Mutter Theresia
von Jesus, oder Xaveria de Maistre,
wie sie in der Welt hieß, zeichnete sich von
früher Jugend an durch eine große Liebe zum
Jesuskind aus. Sie war am 17. April
1838 als Enkelin des Grafen Joseph Marie
de Maistre geboren, der als katholischer
Denker, Diplomat und Publizist weithin bekannt
war. Ihr Vater bekleidete hohe militärische
Ehrenstellen und wurde zum Gouverneur von Nizza
ernannt.
Obwohl Xaveria sich mit ihrem lebendigen und
liebenswürdigen Wesen überall Freunde erwarb,
hatte sie dennoch mit ihrem Charakter zu
kämpfen, der allerhand Launen und Eigensinn
unterworfen war. Sie hatte es ihrer älteren
Schwester Franziska zu verdanken, daß sie lernte,
ihre Fehler ernsthaft zu bessern. Allerhand
innere Leiden und körperliche Schmerzen, die
sie mit großer Geduld ertrug, so daß ihre Umgebung
kaum etwas davon ahnte, ließen sie zum Ordensberuf
heranreifen. Dreißigtägige Exerzitien und der
Tod ihrer Schwester Franziska brachten die Entscheidung.
Am 21. August 1862 erhielt sie den weißen Schleier
der Novizin im Karmel von Poitiers.
Der Einfluß ihrer neuen Umgebung trug wesentlich
dazu bei, daß ihre Liebe und Andacht
zum göttlichen Kind immer inniger wurde. Am
Weihnachtsfest wurde sie auserwählt, den Weiheakt
des Noviziates an das hl. Kind in der Krippe
zu vollziehen. Kindlich schlicht, aber mit großer
Andacht sprach sie die Hingabeformel in ihrem
und ihrer Gefährtinnen Namen. Seither verließ
sie Jesus in der Krippe nie mehr. Wenn sie sich
von Bethlehem entfernte, so war es nur, um mit
Jesus den Kalvarienberg zu ersteigen. In den
stillen Stunden, in denen sie vor dem Tabernakel
kniete, fand sie zugleich das Kindlein von Bethlehem
und den Mann der Schmerzen.
Eine besondere Freude bereiteten ihr die kleinen
sonntäglichen Feste, die die Novizinnen dem
Jesulein veranstalteten. Dann war sie es, die
einen von ihr selbst verfaßten Weiheakt vorbetete.
Sie wollte die Züge des Jesuskindleins fest
in sich einprägen. Aber sie wußte, daß sie nur
durch das umgestaltende Wirken der Gnade sein
wahres «Abbild» werden konnte. Und so bekämpfte
sie unermüdlich ihre lebhafte italienische Natur,
die sich nicht leicht an den französischen Ernst
gewöhnen konnte und auf zahlreiche Schwierigkeiten
stieß.
Am Tag ihres Schleierfestes schrieb sie: «Ich
glaube, daß das Leben einer wahren Karmelitin
nicht nur ein Leben der Vereinigung mit Jesus
ist, sondern in einer Umgestaltung in Ihn besteht.
Das Ziel des Karmels bedeutet, Opfer der
Liebe zu bringen und selbst zum Opfer zu werden.
Solange sich eine Karmelitin damit begnügt,
mit Jesus vereint zu bleiben, wird sie vielleicht
viele Akte des Opfers vollbringen. Aber erst,
wenn sie in Jesus umgestaltet sein wird, vermag
sie wirklich Opfer zu werden und Tag und Nacht
und zu jeder Stunde ihr ganzes Wesen Gott
als Hostie zur Sühne und Danksagung darzubringen.»
Diesen Vorsatz suchte sie bei den jährlichen
Exerzitien, die sie in Gegenwart des göttlichen
Kindes machte, zu vertiefen.
Sie fühlte sich geheimnishaft zu der «Verborgenheit
der göttlichen Kindheit» hingezogen
und versuchte, im Glauben und in der Liebe in
die innersten, unbekannten Empfindungen der
Seele des Jesuskindes einzudringen und sich
stillschweigend mit ihnen zu vereinen. Den ganzen
Tag dachte sie an die ungekannte und verkannte
Liebe Jesu, und ihr Herz schlug in tiefer Dankbarkeit,
wenn sie Ihn der allerheiligsten Dreifaltigkeit
für die Seelen aufopferte. Oft konnte sie sich
nicht darüber hinwegtrösten, Ihn so wenig geehrt
und geliebt zu sehen. Nur das Wohlgefallen,
das Gott an der Anbetung und der so vollkommenen
Liebe des Jesuskindes hatte, half ihr darüber
hinweg und erfreute sie, da ja dieses Wohlgefallen
für Jesus unendliche Freude und Dank bedeutete.
Ihre Vorsätze am Schluß der Exerzitien zeigen,
wie weise ihr Beichtvater gehandelt hatte, als
er sie aufforderte, in den Tagen der Einsamkeit
und der Gnade Licht in der Betrachtung und in
der Liebe zum Jesuskind zu suchen. Sie nahm
sich vor, in einer geistigen Armut zu leben,
die bereitwillig einen jeden inneren Zustand
annehmen will, in den Gott eine Seele versetzt.
Sie wollte immer zufrieden sein, auch dann,
wenn sie nichts verstehen und nichts
sehen würde, oder wenn sie die Geschöpfe vergessen
und der Schöpfer sie selbst wie ein Ding behandeln
würde, von dem man nicht weiß, was man mit ihm
anfangen soll. Dann öffnete sie ihr Inneres
dem Wort des Apostels: «Die Güte und Menschenfreundlichkeit
unseres Gottes ist erschienen.» Inständig verlangte
sie, daß in ihr diese Güte wie ein Widerschein
des Kindes Jesu aufleuchte, und um dafür bereit
zu sein, versprach sie Gott, sanft, liebevoll
und zärtlich gegen ihre Mitschwestern, einfältig
und offen gegen ihre Oberen zu sein.
Selten gründet das göttliche Kind sein Reich
in einer Seele, ohne in ihr das Zepter seines
Kreuzes aufzurichten. M. Theresia sollte es
nur zu bald spüren. Krankheit und lange dauernde
Rekonvaleszenz zwangen sie zu Ausnahmen, die
ihrer Natur schwer fielen. Dann erfolgte
der fast plötzliche Tod ihres Vaters. Man erwählte
sie zur Subpriorin und einige Jahre später zur
Priorin, was ihr durchaus nicht leicht war.
Ein Brief aus jener Zeit erschließt ihre innere
Verfassung: «Ich schaue unseren Erlöser
auf den Armen Mariens, in kindliches Schweigen
gehüllt, noch fast ohne Bewegung. Aber schon
weiß Er vollkommene Akte der Liebe, der Anbetung
und des Lobes hervorzubringen. Ich denke an
den Schatz von Verdiensten, die dieses kleine
Kind für die Seelen erworben und angehäuft hat.
Sie waren Ihm von Anfang an immer gegenwärtig
und werden es auch immer sein.»
Wenige Zeilen später fügt sie in einem fast
mystischen Eindringen hinzu: «Es ist wunderschön,
wenn man betrachtet, wie das innige Leben Jesu
mit seinem Vater, und der Blick des Vaters und
des Sohnes einer ewigen Kommunion gleicht.
Der Sohn verlangt immer, sich seinem Vater hinzugeben,
und der Vater will immer empfangen, was Ihm
der Sohn gibt. Diese Vereinigung, dieser
göttliche Kuß, dieses Eingehen des Sohnes
in den Schoß seines Vaters bedeutet etwas so
Unaussprechliches, Heiliges und Großes, daß
man es nur anbeten kann und danach hungert,
es anzubeten. Opfern wir es als Vorbereitung
und als Danksagung auf! Es bringt der Seele
tiefe Gnaden der Sammlung, des inneren Lebens
und der Vereinigung mit Ihm.»
In einem Brief vom 25. Juni 1867 lesen wir:
«Heute Morgen haben wir das Andenken an
die Menschwerdung und Geburt Jesu begangen.
In der Weise, in der Jesus in unsere Natur eingehen
wollte und in der Er Besitz von seiner heiligsten
Menschheit genommen hat, in dieser Weise der
Vereinigung habe ich ein Vorbild dessen gesehen,
was eine Seele für Ihn sein muß, die Er sich
zu seiner Braut erwählt hat. Oh, wie sehr verlange
ich, Ihm, diesem kleinen Jesus, eine Braut mehr
zu geben...»
Im Jahr 1868 wurde es M. Theresia klar, daß
es ihre Aufgabe sein sollte, für die Heiligung
priesterlicher Seelen zu leiden und zu beten.
In langen Jahren hatte sie Gott langsam für
diesen Beruf vorbereitet. In einer Betrachtung
über die Menschwerdung verstand sie gnadenhaft,
daß eine der edelsten und größten Gestalten,
unter denen der Messias vorausverkündigt wurde,
die des Priesters war. Auch Maria hatte Ihn
als ewigen Priester erwartet, der durch die
Darbringung des neuen Opfers das Opfer des Alten
Bundes ablösen sollte. Als sie Ihn in ihrem
jungfräulichen Schoß empfing, erkannte sie,
daß ein Priester in ihr wohne. Und in der Seele
der begnadeten Karmelitin leuchtete wunderbar
das Bild der jungfräulichen Mutter auf, die
das Priestertum Jesu anbetete und an ihm mitwirkte.
Erstaunt fragte sie nach dem Sinn der geheimnisvollen
Schau. Betend fand sie die Antwort:
«Ich habe erkannt, daß Maria während der Passion
Christi fortwährend gefleht hat, das göttliche
Wort, das sie vom Himmel herabgezogen hatte,
möge jetzt offenbar und von den Menschen,
zu deren Erlösung Es gekommen war, aufgenommen
werden. In diesem Sinn stand sie Jesus als Gehilfin
zur Seite... Sie löschte ihren Durst am selben
Kelch und mit Ihm zusammen. Ich bin weit entfernt
davon, zu glauben, daß sie in jenen Tagen der
Bitterkeit unter der Last des Leidens ohnmächtig
und schwach geworden sei. Vielmehr fühle ich,
daß sie ihren Kelch geliebt und mit Freude getrunken
hat... Wie für Jesus, so war der Kelch der Passion
auch für Maria ein erwählter Kelch, ein mit
Leiden, aber auch mit Freuden berauschender
Kelch.» In Erinnerung ihrer Schau drängt es
sich ihr dankbar auf die Lippen: «Ich wage zu
sagen, daß Maria den Jungfrauen die Gnade
bewirkt, hat, durch ihre Vereinigung, Hilfe
und
Hingabe den Priestern
einen nützlichen Dienst zu erweisen.»
Der Gedanke, eine
Hostie zu sein, die «nur durch den Priester
lebt», bemächtigte sich ihrer
mit unwiderstehlicher Gewalt und zog sie ins
Menschwerdungsgeheimnis: «Die erste Opferhostie,
die der Hl. Geist bereitet hat, ist die heiligste
Menschheit Jesu, und sie ist die Opferhostie
des Vaters!» Auch sie wollte eine Opferhostie
werden, die überall dort hingeopfert wird, wo
es sich um die Ehre des höchsten Gottes handelt.
Der Herr ließ ihre Bitte nicht unerhört.
Zur Zeit, als die Kirche das erste Vatikanische
Konzil zusammengerufen hatte, war M.
Theresia Priorin. Sie litt unsagbar unter den
äußeren Ereignissen, die nach der Unfehlbarkeitserklärung
des Papstes die Kirche bedrohten. In Rom waren
die Piemontesen eingedrungen und hatten dem
Hl. Vater den Kichenstaat geraubt. Das Kaiserreich
war gefallen und Frankreich wurde die Beute
der doppelten Geißel des Krieges und der Revolution.
Das furchtbare Sakrileg, das ihre Landsleute
begangen hatten, die Gefahr, in der Pius IX.
ständig schwebte, die Leiden der Kirche, die
Übel Frankreichs, das ihr ein zweites Vaterland
geworden war, all das durchbohrte ihr Herz wie
ein Schwert.
Einer göttlichen
Eingebung zufolge weihte sie ihren Karmel dem
Jesuskind.
Bei dieser Gelegenheit schrieb sie: «Andenken
an die Gnaden, die das Kind Jesu dem Kloster
der Menschwerdung von Poitiers in den Jahren
1870 und 1871 erwiesen hat.» Die feierliche
Weihe wurde am 1. September vorgenommen und
eine Woche lang wiederholt. An einem Tag wurde
auch das allerheiligste Sakrament ausgesetzt.
Am 8. September gab der Herr M. Theresia zu
verstehen,
daß ihre Leiden
ein Blitzableiter für das Kloster sein würden,
und obwohl die Lage immer drohender wurde und
man von Einfällen in viele Klöster erfuhr, blieb
der Karmel in Poitiers verschont. Das göttliche
Kind, auf das man all sein Vertrauen gesetzt
hatte, belohnte sichtbar die Weihe der Kommunität
und streckte seine schützende Hand aus.
Äußere und innere Leiden hatten die Gesundheit
der guten Mutter zerrüttet. Die Hostie
war zum letzten Opfer bereit. Von Tag zu Tag
nahm ihre Schwäche zu, ohne daß dem erschöpften
Körper die Schmerzen erspart blieben. Wie ein
kleines Kind war sie hilflos auf die anderen
angewiesen, und geduldig, ohne eine Klage zu
erheben, wie das hl. Kind im Tempel bei seiner
Beschneidung, ließ sie alles geschehen. Sie
starb am 6. Okt. 1871, Gott dankend, als Kind
der heiligen katholischen Kirche geboren zu
sein und gelebt zu haben.

Die hl. Theresia vom Kinde Jesu
Es hat etwas Beglückendes an sich, in stillen
Stunden die «Geschichte einer Seele» in ihrer
letzten, ursprünglichen Fassung der «Manuscrits
autobiographiques» in die Hand zu nehmen und
den eigenartigen Zauber dieser schlichten Hefte
mit den charakteristischen Schriftzügen der
kleinen Heiligen auf sich wirken zu lassen.
Wunderbarer Friede, Gottesnähe und Trost dringt
in die Seele, wenn man vor sich das Bild der
kleinen Theresia sieht, die ihr ganzes Leben
nichts anderes tun wollte, als Jesus lieben
und für Jesus existieren. «Nichts wollte
sie Ihm verweigern, selbst dann nicht, wenn
sie sich traurig und allein auf dieser Erde
fühlte. Sie wußte ja, daß Er trotz allen
- in ihr bleiben würde.» Darum verlangte
sie danach, ganz und ohne jede Bedingung sein
eigen zu sein, wie ein Ball, den der kleine
Jesus zum Spiel in die Hand nimmt.
Gerade dieser Gedanke hielt ihre Vorstellungskraft
während ihrer Romreise gefesselt.
Am 14. Nov. 1887 schrieb sie an ihre Schwestern
Maria vom hlst. Herzen und Pauline, voller Hoffnung,
daß ihr der Hl. Vater die gewünschte Erlaubnis
zum Eintritt in den Karmel im Alter von 15 Jahren
erteilte: «Es muß der kleine Jesus sein, der
alles bereitet, damit sein kleine Ball nun dorthin
rolle, wo Er ihn haben will.» Sechs Tage später,
als sie am Morgen des 20. Nov. Leo XIII. ihre
Bitte vorgetragen hatte und eine bittere Enttäuschung
erfahren mußte, klagte sie Pauline: «Ich bin
der kleine Ball des Jesuskindes. Wenn Er sein
Spielzeug zerbrechen will, so ist Er frei, es
zu tun. Ja, ich will alles, was Er will...»
Dies schreibt sie auch im 6. Kapitel ihrer «Geschichte
einer Seele»:
«Seit jener Zeit hatte ich mich dem Jesuskind
als sein Spielzeug angeboten. Ich hatte
Ihm gesagt, Es möge mich nicht wie ein kostbares
Ding behandeln, das man nur sehen darf, ohne
es anzurühren, sondern wie einen kleinen Ball
ohne Wert, den die Kinder zu Boden werfen, mit
den Füßen stoßen, durchbohren, in einem Winkel
liegenlassen - ebensogut, wie Es mich an sein
Herz drücken könne, wenn es Ihm gefalle. Mit
einem Wort, ich wollte nur dem Jesuskind Freude
machen und mich seinen kindlichen Einfällen
überlassen. Nun hatte Es mein Gebet gehört.
In Rom durchbohrte Es sein kleines Spielzeug;
Es wollte zweifellos sehen, was darin sei, und
von seiner Entdeckung befriedigt, ließ Es seinen
kleinen Ball fallen und schlief ein...
Du begreifst, liebe Mutter, wie es dem kleinen
Ball zumute war, da er sich am Boden liegen
sah. Dennoch hörte er nicht auf, auch wider
alle Hoffnung zu hoffen.»
Theresia fühlte sich als Spielzeug des Jesuskindes,
«le petit jouet de Jesus», wie sie es Leonie
in einem Brief vom 28. April 1895 gesteht: «Aber
ich bin jetzt glücklich, es zu sein, nur habe
ich gedacht, daß das göttliche Kind genügend
andere Seelen habe, die - reich an hohen Tugenden
- sich als seine Spielzeuge bezeichnen. Ich
habe daher gedacht, daß sie seine schönen Spielzeuge
wären und daß meine Seele nur ein kleines Spielzeug
ohne Wert sei. Um mich zu trösten, habe ich
mir gesagt, daß die Kinder oft mehr Freude an
den kleinen Spielzeugen haben, die sie wegwerfen
oder in die Hand nehmen, zerbrechen oder mit
Küssen bedecken können, als an den anderen von
größerem Wert, die sie kaum zu berühren wagen.
Darauf habe ich mich gefreut, arm zu sein. Ich
habe mir gewünscht, es jeden Tag mehr zu werden,
damit Jesus jeden Tag größere Freude gewinne,
mit mir zu spielen...»
Die kleine Heilige war zutiefst überzeugt, daß
das Kleinsein und Nichts-Besitzen die liebenden
Arme des Jesuskindes öffnet. «Man ist umso fähiger,
Jesus zu lieben, sein Opfer der Liebe
zu sein, je armseliger und schwächer man ist...
Halten wir uns von allem fern, was glänzt!
Lieben wir unsere Kleinheit.»
Unter den wenigen, aber entscheidenden und grundlegenden
Wahrheiten, die im Leben
Theresias immer wieder in neuen Wendungen und
Ausdrücken auftauchen, muß an erster Stelle
der Gedanke der Kindheitstugenden und damit
die Nachahmung des Jesuskindes genannt werden.
Sie wollte klein sein, wie das Jesuskind, das
sie zärtlichst liebte. Als sie noch ein junges
Mädchen war, hatte es ihr eine besondere Freude
bereitet, den beiden Töchterchen einer armen
Familienmutter, die sie ein wenig betreute,
«vom ewigen Lohn (zu erzählen), den das Jesuskind
guten Kindern geben wird. Die Ältere, deren
Geist zu reifen begann, sah mich mit dem Ausdruck
lebhafter Freude an und stellte allerliebste
Fragen über das Jesuskind und den schönen Himmel.»"
Wir können uns leicht vorstellen, mit welcher
Begeisterung Theresia von dem göttlichen Kind
gesprochen hat, das um der Menschen willen im
armen Stall von Bethlehem geboren wurde.
Bei ihrem Eintritt in den Karmel am 9. April
1888 gab man ihr den Namen Theresia vom Kinde
Jesu, und das geschah sicher nicht ohne
göttliche Voraussicht, denn die ser Name trug
das Symbol ihres Wesens und ihrer Sendung in
sich. Im Kreuzgang fand sie eine Statue des
Jesulein, die sie mit viel Liebe und Treue mit
Blumen schmückte. Am Tag ihrer Einkleidung schien
ihr das göttliche Kind ein ganz besonderes Lächeln
zu schenken: «Als ich wieder die Klausurschwelle
überschritt», erzählt sie selbst, «fiel mein
Blick zuerst auf die hübsche Statue meines Jesuskindes,
das mich zwischen Blumen und Kerzen anlächelte.»"
Wie viele Stunden vertrauter Zwiesprache hat
Theresia zu Füßen dieses hl. Kindes verbracht!
Und hatte sie nicht bei Ihm ihren «kleinen Weg»
gefunden?
Jahre später, als man ihr während ihrer letzten
Krankheit eine Rose brachte, sah sie in
ihr das Symbol ihres Herzens, das sie dem göttlichen
Kind schenken wollte:
Der Rose Blätter, die
als Kind ich streute wohl in den Wind,
sie sind mein Herz: das opferte sich heute Dir,
göttlich Kind.
Auf den Altären blühn in tausend
Farben viele Rosen Dir -
ich träum' von jenen, die entblättert starben:
zum Gleichnis mir.
Für Dich, mein liebster Jesus, werd' ich sterben
- welch schönes Los! -
entblättert noch um Deine
Liebe werben und lächeln bloß.»
Theresia hatte die Vollkommenheit in der Schule
des Jesuskindes gelernt. «Die Vollkommenheit
erscheint mir als etwas Einfaches: ich sehe,
es genügt, sein Nichts zu erkennen und sich
wie ein Kind in die Arme des lieben Gottes hinzugehen.
Die schönen Bücher, die ich nicht verstehen,
geschweige denn in die Tat umsetzen kann, lasse
ich gerne den großen Seelen, den erhabenen
Geistern, und freue mich, klein zu sein, da
ja den Kindern und denen, die ihnen gleich sind,
das himmlische Gastmahl vorbehalten ist.» (Mt
19,14)."
«Klein sein, heißt sein Nichts erkennen und
alles vom lieben Gott erwarten, so wie ein
kleines Kind alles von seinem Vater erwartet.» |
Für das Kleinsein gibt es für sie ein sprechendes
Vorbild: Nazareth, «das Königreich der Kindheit
Jesu» und die Hl. Familie in ihrem demütigen
und bescheidenen Leben. Die Heilige zeigt uns
das Jesuskind, das Maria und Josef untertan
war. «Wie einfach ist das!», ruft sie aus und
zieht daraus den Schluß, daß auch «das wirkliche
Leben Mariens in Nazareth und
später ganz gewöhnlich gewesen sein muß».
«Ich weiß, in Nazareth, o Jungfrau voll der
Gnaden,
lebst du ganz arm und schlicht und ohne Wunsch
dahin;
nicht von verzückten Schauern, Wundern
fremd beladen,
erglänzt dein Leben, auserwählte
Königin!
Der Kleinen Zahl, von keiner Schätzung zu erreichen,
hebt frei den Blick zu dir und braucht zu fürchten
nicht:
denn auf bescheidenem Weg, o Mutter ohnegleichen,
gingst ja auch du vor ihnen zu des Himmels Licht.»
Dieses schlichte, einfache Leben, das Maria
und Josef in Nazareth an der Seite des Jesuskindes
führten, kann ein jeder nachahmen, der den von
Theresia vorgezeichneten «KleinenWeg» einschlägt.
«Fürchte dich nicht», tröstet die Heilige, «je
ärmer du bist, desto mehr wird Jesus dich lieben».
Und sie ermahnt, «nie auf eigene Kraft zu
bauen, die doch nur Schwäche ist. Ich versuche,
mich gar nicht mehr mit mir selbst zu befassen.
Was Jesus in mir zu wirken geruht, das überlasse
ich Ihm ohne Vorbehalt.»"
Das Geschehen der Menschwerdung Gottes, «der
durch das Wirken des HI. Geistes
Mensch und Sohn Mariens wurde», hatte nachhaltig
auf Theresia eingewirkt. Hatte sie nicht am
8. September 1890, als sie ihre ewige Profeß
ablegte, ihre mystische «Hochzeit mit dem Verbum,
dem Sohn Gottes» feiern wollen? Im Archiv von
Lisieux wird ein kostbares Autogramm der kleinen
Heiligen aufbewahrt, das von großer Bedeutung
für das Zentrum ihres Innenlebens ist und «eine
Art Synthese ihrer geistigen Aspirationen bildet»."
Es handelt sich um vier Gebete, die sie auf
einen Karton, rund herum um ein Bildchen des
zwölfjährigen Jesusknaben, geschrieben hatte,
um es Schwester Maria von der hlst. Dreifaltigkeit
zu schenken, die am 16. Juni 1894 in den Karmel
von Lisieux eingetreten war. Die vier Gebetlein
lauten:
«Alles, um was ihr meinen Vater in meinem
Namen bitten werdet,
das wird Er euch geben...»
«Ewiger Vater, Dein eingeborener Sohn, das Süße
Jesuskind, gehört mir...»
«Ich bin Jesus von Theresia» (Worte des Jesulein
an die hl. Theresia von Avila).
«O göttliches Kind! Mein einziger Schatz...»Auf
der Rückseite des gleichen Kartons zitiert sie
die Worte des Herrn an Schwester Maria vom hl.
Petrus." Bekannt ist auch das kleine Bildchen
eines lilienpflückenden Jesusknaben. Auf eine
der herab gefallenen Lilien hatte sie ihren Namen
geschrieben, auf die andere den von Celine.
In einer Ecke des Bildes bemerkte sie, daß es
eine Erinnerung an die Weihnachtsnacht 1895
sei."
Mehr als einmal griff Theresia zur Feder, um
das Jesuskind in Versen und Prosa zu begrüßen.
Für den 25. Dez. 1894 hatte sie ein kleines
religiöses Schauspiel verfaßt, so wie es in
den Karmelklöstern anläßlich einiger Feste üblich
ist. Es trug den Titel: Die Engel an der Krippe
Jesu. Hauptperson war das göttliche Kind. Die
anderen Rollen wurden auf fünf Engel verteilt:
Der Schutzengel des Jesuskindes, die Engel des
hlst. Antlitzes, der Auferstehung, der Eucharistie
und des letzten Gerichtes. Im folgenden Jahr
kam am Weihnachtstag Le petit Mendiant de Noel,
der kleine göttliche Bettler, in die Rekreation
der Schwestern zur Aufführung. Ein Engel trug
ein Jesuskind im Arm und bot ein Körbchen mit
Zetteln dar; eine jede Schwester zog einen;
dann sang der Engel dessen Inhalt vor. Es sind
kleine geistige Liebesgaben an das Kind von
Bethlehem, das am Schluß durch den Mund des
Engels jeder einzelnen dankt:
Das göttlich' Kind, Es dankt euch! entzückt,
ob euer Gaben!
Mit euren Namen wird Es sie, in sein Buch des
Lebens schreiben.
Am Namenstag von Mutter Agnes, dem 21. Jan.
1896, gelangte «Die Flucht nach Ägypten» zur
Aufführung. Die erste Szene stellt das kleine
Haus in Nazareth dar. Maria befindet sich allein
in der Werkstätte des hl. Josef und ist mit
einer Näharbeit beschäftigt. Auf ihrem Schoß
hält sie ihr göttliches Kind. Die zweite Szene
zeigt eine Räuberhöhle. Zuerst finden wir dort
nur die Hl. Familie, dann werden legendäre Personen
hinzu gelassen: Der Räuberhauptmann, seine Frau,
sein Sohn usw.
Für das Weihnachtsfest 1896 dichtete Theresia
«Das Vogelhaus des Jesuskindes:
Jesus, unser
kleiner Bruder, für uns verließest Du den schönen
Himmel,
doch, göttliches Kind, Du weißt es gut,
Dein Vogelhaus ist der Karmel.»
Im Dezember des gleichen Jahres verfaßte sie
für eine kranke Mitschwester, wahrscheinlich
für Maria vom hl. Josef, ein kleines Gedicht
«An das Jesuskind». Wenn auch diese Dichtungen
vom literarischen Standpunkt aus gesehen keinen
besonderen Wert haben, so sind sie doch zur
Dokumentation ihrer Liebe zum göttlichen Kind
wichtig. Es ist interessant, daß sie in ihnen
mit einer gewissen Vorliebe vom «Verbum» spricht.
In dem Gedicht: «Jesus, rappelle-toi», dessen
erste Strophen vom Inkarnationsmysterium handeln,
kommt der Ausdruck «göttliches Wort» und «ewiges
Wort» vor: «Verbe Dieu, souviens-toi de ce mystère
etrange...», und
«Tu fus errant, toi, le Verbe eternel!» In ihrer
Dichtung: Die Engel an der Krippe ist die Rede
vom «Verbe-Dieu» und vom «Verbe adorable», und
so ließen sich noch andere Beispiele nennen.
Es ist daher zu verstehen, daß die Liebe der
kleinen Heiligen zu ihrem kleinen Jesus, der
gekommen war, um die Welt zu retten, ihrer Umgebung
nicht verborgen blieb. Vielleicht hat sich gerade
im Karmel von Lisieux diese kindlich einfache
Liebe Theresiens im inneren Leben der ihr dort
nachfolgenden Karmelitinnen erhalten. Mutter
Maria Angela vom Kinde Jesu, Mutter Isabella
vom hlst. Herzen, Mutter Theresia von der Eucharistie
und selbst Mutter Agnes von Jesus sind dafür
Beispiele.
Mutter Maria Angela erzählt von einer Postulantin,
die während der Prozession vom 5. August zu
Ehren des Jesuskindes plötzlich von einem Hustenanfall
und heftigen Halsschmerzen gepeinigt wurde.
Sie bat daher das Jesulein, Es möge bewirken,
daß man sie nicht vom Karmel wegschicke. Sie
hatte sich selbst zum Opfer angeboten: «Der
kleine Jesus braucht Opfer, und wie bin ich
Ihm dankbar, daß Er mich erwählt hat», schrieb
sie später. Tatsächlich hatte das Jesuskind
sie zum Opfer angenommen.
Während ihrer letzten Krankheit betrachtete
sie oft ein Bild des Jesulein in der Krippe.
«Dort liegt Es», wiederholte sie mehr als einmal,
«und das gibt mir die Kraft, still zu liegen»!
Man hatte in der Kommunität einen Gebetssturm
zum Prager Jesulein um ihre Genesung entfacht.
«Seine Statue in natürlicher Größe war auf das
schönste hergerichtet. Mit ihr begannen wir
unsere Prozession», berichtet die Chronistin
des Karmels von Lisieux, «und sangen die Namen-Jesu-Litanei.
In der Zelle der Kranken angekommen, wurde das
göttliche Kind auf einen kleinen Altar gestellt.
Mit tränenerstickter Stimme sangen wir unsere
Flehrufe. Dann boten wir unserer lieben Mutter
ein Körbchen mit Rosenblättern dar, die sie
mit fast erstorbener Hand dem göttlichen Kind
zu Füßen streute. Mit leiser Stimme fragten
wir, ob wohl ein Wunder geschehen sei. «Nein!»...
antwortete sie mit einem zarten Lächeln.
Wir ließen sie eine Stunde lang allein. Wie
groß war unser Erstaunen, als wir sie bei unserer
Rückkehr auf den Knien fanden, die gefalteten
Hände und den Kopf auf die Füße des Jesuskindes
gelehnt. «Meine Mutter», sagte sie, die Augen
voller Tränen, «ich habe Es inständigst gebeten,
mich wieder gesund zu machen, weil es die Kommunität
so sehr wünscht.»
Die gleiche demütig-vertrauende Liebe zum Jesulein
offenbart ein Weihnachtsbrief der M. Agnes,
wenn auch die Form eine andere ist. Am 20. Dez.
1918 schrieb sie: «Dies ist der Augenblick,
in sanfter Freude des Wortes der Engel an die
Hirten von Bethlehem zu gedenken:
«Friede auf Erden den Menschen guten Willens.»
Was aber kann ein solcher Friede für uns sein?
Die gegenwärtigen Ereignisse könnten uns täuschen
über den wahren Sinn des Friedens, den die Geburt
Jesu der Welt gebracht hat... Und doch haben
die Engel nicht gelogen, als sie über der Wiege
des Jesuskindes den Frieden verkündeten. Der
göttliche Friede ist also unser, wenn wir guten
Willen haben, wenn wir einfältig sind wie die
Hirten, sanft und demütig wie Jesus...
Das kleine Jesuskind, das wir in der Krippe
wiedersehen werden, ist gekommen, um auch seinerseits
zu kämpfen, und von seinem ersten Tag an bringt
Es uns zugleich den Frieden und das Schwert.
Dieser Friedensfürst ist zur selben Zeit der
starke und mächtige Gott der Schlachten, auf
dessen Schultern die Herrschaft ruht, die nichts
anderes ist als die Standarte des Kreuzes. Laßt
uns kämpfen in ihrem Schatten, und vergessen
wir nicht, daß unter ihr durch das Blut Jesu
der ewige Friede unterzeichnet wurde.»"

Der «Kindheitsgedanke» nach dem Evangelium»
Als im Jahr 1863 in Frankreich Renans «Vie de
Jesus» erschien, brach in allen katholischen
Kreisen ein wahrer Sturm der Empörung los.
Renan hatte in seinem Buch die Gottheit des
Herrn geleugnet. Er hatte Jesus Christus
als einen genialen Menschen, aber als einen
bloßen Menschen dargestellt und an Ihm das allzu
Menschliche in fast lächerlicher Weise betont.
Die Antwort der Kirche war eine öffentliche
Aufforderung zur Sühne, und in erster Linie
war den Klöstern die Aufgabe zugefallen, mit
ihrem Gebet und Opfer Genugtuung zu leisten.
Besonders tief hatte der allgemeine Schmerz
eine Karmelitin in Paris, Schwester Marie-Aimee
von Jesus, verwundet. Von Christus erwählt,
die Geheimnisse seiner Liebe und Gnade tiefer
und durchdringender zu begreifen, um durch sie
immer mehr in seine Nähe getragen zu werden,
litt sie unsagbar unter dem Geschehenen. Als
sie zum erstenmal von Renans gotteslästerlichem
Werk erfuhr, hatte sie die Feder in ihr eigenes
Blut getaucht und die Worte des Johannes-Evangeliums:
«Im Anfang war das Wort und das Wort war bei
Gott, und Gott war das Wort» gezeichnet.
Dann hatte sie einen langen Blick auf die Menschheit
des Sohnes Gottes geworfen und in ihr die Offenbarung
der Fülle seiner Gottheit betrachtet. Eine eigenartige
Unruhe bemächtigte sich ihrer dabei. Der Gedanke,
Genugtuung zu leisten, durchzuckte sie wie ein
glühender Funke. Erneut griff sie zur Feder,
und fast ohne zu wissen, was sie tat, füllte
sich Seite um Seite. «Ach, wenn man mir erlauben
würde zu schreiben, wie würde ich jenen Unglücklichen
beschämen« rief sie bei ihrer nächsten Begegnung
mit P. Gamard, ihrem Beichtvater, aus."
Die
Erlaubnis ließ nicht auf sich warten, und von
geheimnisvoller Kraft getragen, die ihr
ein Wissen schenkte, das sich jeder menschlichen
Belehrung entzieht, entstanden zunächst vier
Bände: N. S. Jesus-Christ etudie dans le Saint
Evangile mit dem Untertitel: Sa vie dans
l’ame fidele, die später auf sechs Bände
erweitert wurden. Der erste Band, in dem
deutlich die apologetische Note hervortritt,
ist dem menschgewordenen Wort gewidmet. Von
den Worten des Johannesprologs ausgehend hält
sie fest, daß dieses Wort «Anfang ohne Anfang»
war und in sich «Ewiges Sein vom Ewigen Sein»
trägt. Daher kann das Wort, das Menschengestalt
angenommen hat, keineswegs ein bloßer Mensch
gewesen sein.
Im zweiten Band wird das verborgene Leben unseres
Herrn von Bethlehem bis Nazareth behandelt.
Er beginnt mit der zeitlichen Geburt Jesu Christi.
«Wer ist dieses kleine Kind? Wer ist dieser
Sohn? - Dieses kleine Kind ist der Erstgeborene,
von dem der Vater, als Er Ihn in die Welt einführte,
gesagt hat, daß Ihn die Engel anbeten würden.»
Jetzt «ruht Er in einem Stall, liegt auf Stroh,
da Gott die Himmel herabgesenkt hat und auf
die Erde niedergestiegen ist (Ps. 17,11), um
den sündigen Menschen zu retten. Darum eilt
herbei, ihr Mächte des Himmels, um mit uns diesen
Gott, das menschgewordene Wort, anzubeten.»
Die zeitliche Geburt des Herrn wird Ausgangspunkt
zur geistigen Geburt Jesu in der Seele:
«Jesus naht spirituell in sie,... eine kostbare,
unvergleichlich zarte Gnade», für die sich der
einzelne durch Überwindung des eigenen Ichs
und seiner egozentrischen Tendenzen vorbereiten
muß. Aber eine solche «neue Gegenwart Jesu in
der Seele erfordert keineswegs neue Entscheidungen
und bedarf auch keiner neuen Frömmigkeitsübungen,
sondern sie verlangt einzig ein Wachsamsein
in der Liebe, durch das Jesus Christus langsam
seine Braut umwandeln und ihr jeden Tag etwas
mehr von seinem göttlichen Bild zu geben vermag».
Dieses «Wachen in der Liebe» ist das Entscheidende,
damit Jesus im Herzen geboren werde und dort
sein Leben fortsetze.
Doch andere Fragen beschäftigen zunächst unsere
Karmelitin: «Wer ist dieses Kind in der Krippe?
Was hat Es der Welt zu verkünden?»
«Was am meisten am Jesuskind in der Krippe aufleuchtet
und was Es dem menschlichen Geschlecht gebracht
hat, das ist der Friede. In der Krippe ist
alles von Frieden und Ruhe umgeben. Darum ist
Es gerade dort der Friedensfürst. Wenn der
Mensch das göttliche Kind dort betrachtet, dann
wird etwas vom himmlischen Lächeln Gottes in
Kindesgestalt in seiner Lebensführung, in seinen
Unterhaltungen und in seinem Handeln sichtbar
werden: er wird den Frieden um sich verbreiten.»
Beim Betrachten des Jesuskindes in der armseligen
Krippe von Bethlehem, inmitten des
Schweigens der Nacht, erschließen sich Schwester
Marie-Aimee wunderbar die Geheimnisse Gottes.
Sie sieht das Kind, wie Es «seine kleinen Hände
über seine Brust gekreuzt hat und seinen Blick
gen Himmel richtet. Unsere Augen bemerken nur
seine Kleinheit, Armut und Entblößung, aber
der Glaube zeigt uns dieses kleine Kind in unvergleichlicher
Herrlichkeit, in einer Herrlichkeit, von der
der hl. Johannes sagt, ,daß sie jene des eingeborenen
Sohnes des Vaters ist, voll von Gnade und Wahrheit'
(Joh. 1,14). Und was macht das Jesuskind?
Es betet! Es betrachtet!
Das Wort, welches unentwegt in Ihm weilt, setzt
seine ewige Betrachtung des einen Gottes in
drei Personen fort. Infolge der hypostatischen
Union sieht seine menschliche Seele Gott, ohne
aus sich selbst herauszugehen, und zwar sieht
sie Ihn infolge dieses einzigartigen Privilegiums
so, wie Er ist. Diese Seele wundert sich darüber,
daß sie sich in einem Stall, in einer Krippe
und auf Stroh befindet. Und das Herz des menschgewordenen
Wortes versinkt in einen Abgrund der Zärtlichkeit
und Liebe angesichts einer so großen Majestät,
die sich so wunderbar herab gelassen hat. Der
eingeborene Sohn des lebendigen Gottes stillt
seinen Durst an den Quellen des Lebens, dort,
im Schoß des Vaters, im Kuß des Hl. Geistes.
Seine Seele kann und wird
sich niemals auch nur einen Augenblick von dieser
Schau (object) abwenden können, denn unvergleichlich
mächtig ist die Anziehungskraft, die ihr bei
dieser Beschauung mitgeteilt wird, einzigartig
leuchtend das Licht, in welchem sie sieht, und
unendlich glühend die Flamme, die in ihr brennt.
In Anbetracht eines derartigen Schweigens, eines
solchen Lobens und Anbetens des menschgeworden
Wortes auf Stroh, vermag das Geschöpf nichts
anderes zu tun als sich niederzuwerfen und mit
Ihm vereint zu schweigen, zu loben und anzubeten:
O Jesus von Bethlehem! Du bist der Kleinste
der Einsiedler, aber der Größte aller Beschaulichen.
Du bist mein Vorbild, mein Meister und das Buch
meines Lebens.»
Ein Blick auf das Kind in Bethlehem, auf seine
Beschneidung, auf seine Flucht nach Ägypten,
auf seine ersten Jahre in der Fremde, auf sein
verborgenes Leben in Nazareth! Wie viele Tugenden
vermag der einzelne von diesem göttlichen Vorbild
zu erlernen! Vor allem die Einfachheit, Demut,
Bescheidenheit und das Kleinsein vor Gott. «Wie
glücklich ist derjenige zu nennen, der ganz
einfach den Weg des geistigen Kindsein einschlägt,
für den Jesus Christus von Nazareth das vollkommene
Beispiel ist, und wer, ohne zu sich selbst zurückzukehren,
geradewegs seinem Ziel zuschreitet und dabei
auf die Güte Gottes vertraut. Nichts wird sich
seinem Weg entgegenstellen, denn die Liebe führt
ihn und hilft ihn, über Hochmut und Leidenschaften
zu triumphieren, die so viele auf dem Weg der
Vollkommenheit anhalten.»
Was ihn auf diesem Weg lenkt, das ist die barmherzige
Liebe Gottes in uns, die zu demütiger
Selbsterkenntnis und Ergebung in den Willen
des Herrn hilft. Wenn es dann geschehen sollte,
daß «die Seele fällt, so verwundere sie sich
nicht darüber, sondern versuche so bald als
möglich wieder aufzustehen und Gott zu danken,
daß sie nicht tiefer gefallen ist». Nur möge
sie ein Blick auf Gottes Barmherzigkeit daran
erinnern, sich bei ähnlicher Gelegenheit besser
in acht zu nehmen, damit sich nicht Ähnliches
wiederhole. «Sollte sie den Fehler jedoch in
der Öffentlichkeit begangen haben, so sei sie
deswegen nicht bestürzt, sondern sie verdemütige
sich und bemühe sich, ihr Unrecht großmütig
und zugleich ganz einfach einzugestehen.»
Das
wird ihr keine besonderen Schwierigkeiten bereiten,
denn «sie hat ja die Demut in der Schule des
hl. Kindes Jesus gelernt, das gegenüber den
Menschen so sehr auf seine
eigene Herrlichkeit vergessen hat. Und sie verlangt
ja danach, Ihm zu gleichen.»"
An anderer Stelle befaßt sich Schwester Marie-Aimee
eingehend mit der Demut des göttlichen Kindes.
Sie zeigt Es uns, wie Es demütig in der Werkstätte
des hl. Josef arbeitet, ohne sich auch nur die
geringste Mühe zu ersparen, und wie Es in vollkommener
kindlicher Liebe Maria und Josef dient, um uns
allen ein Beispiel wahrer Demut zu geben. Demütig
erträgt es «Kälte, Hitze, Sonne und Schnee,
und sieht in allem einen Ausdruck des Willens
seines himmlischen Vaters». In seinen Reden
und im Verkehr mit den anderen Menschen bleibt
Es bescheiden im Hintergrund, erduldet schweigend
Verdemütigungen, ungerechte Einschätzung und
gleichgültige Behandlung. «Voilà l'humilte du
Christ, notre Sauveur!»", ruft Marie-Aimee aus.
Dort steht dieses Kind, wartend und bittend,
daß wir Menschen endlich unseren Hochmut ablegen
und wie Es ein demütiges Kind werden.
Vom Jesuskind kann ein jeder das Geheimnis der
Heiligkeit erlernen, das für Schwester Marie-Aimee
in jener Gefügigkeit besteht, sich in allem
und zu jeder Zeit vom Hl. Geist lenken zu lassen.
«Wenn ich mich dem Jesuskind nähere, wenn ich
sehe, wie Es je nach den Anordnungen Marias
oder Josefs forteilt oder zurückkommt oder handelt,
dann verstehe ich durch einen Lichtstrahl von
oben, daß seine äußere Gefügigkeit den Geschöpfen
gegenüber nichts
anderes als ein
Abbild seiner inneren Gefügigkeit gegenüber
dem Hl. Geist ist,
und ich habe keinerlei Zweifel, daß dies alles
um unsertwillen geschieht.
Wenn ich so in das Innere meines Jesus herabblicke,
in sein heiligstes Herz hinein, und
wenn ich seine glühenden Eifer für die Herrlichkeit
Gottes und das Heil der Menschen erkenne, dann
finde ich Ihn, der jeden Augenblick unterwürfig
und geduldig dem Willen seines Vaters folgt,
und ich sage mir: Ich habe das Geheimnis
der Heiligkeit gefunden.»
Schwester Marie-Aimee beschränkt die Nachahmung
des göttlichen Kindes nicht nur auf
sein Tugendleben. Sie verlangt noch mehr. Auch
die Empfindungen und Regungen seines Innenlebens,
seine Schmerzen, Freuden und seine natürlich-kindliche
Liebe zu Maria und Josef sollen dem einzelnen
ein Vorbild werden, um alles gleich dem Jesuskind
zu heiligen und es in den Bereich des Übernatürlichen
zu erheben. «Jesus Christus ist uns in allem
ähnlich geworden», schreibt sie, «und so hat
Er seit seinem Eingang in die Welt durch alle
Phasen der Kindheit und durch alle Verdemütigungen
seines Alters gehen wollen. Wie wir hat auch
Christus gelitten, geweint, seine Freuden gehabt
und jenen, die seine Kinderjahre mit ehrfürchtiger
Sorge umgaben, den zarten Trost seines liebenden
Herzens erwiesen. Aber alle Handlungen des Christkindes
tragen bereits das Siegel göttlicher Größe,
denn sie sind immer die Handlungen eines Gottmenschen!
Jesus leidet und weint! Ein jedes Leid, das
Er erträgt, eine jede Träne, die Er vergießt,
ist auf Grund seiner Person ein unvergleichlich
großes und göttliches Werk, denn Er ist der
Sohn Gottes, und es ist es auch infolge der
Liebe, die das Motiv seines Schmerzes und der
Tränen seiner Augen ausmacht. Und warum vergießt
Jesus Christus Tränen? Jesus weint, weil Gott
beleidigt wird und der Mensch verloren geht:
das ist das Mysterium eines weinenden Gottes...
Aber das Christkind hat auch seine Freuden gehabt.
Natürliche Freuden, die mit seinem
unschuldigen Alter gegeben sind. Es freute sich
über die beseelte und unbeseelte Schöpfung,
die Ihn mit ihrem lieblichen Anblick, mit ihrer
Schönheit und mit ihrem Duft umgaben. Es freute
sich über die Zärtlichkeiten Marias und Josefs,
die sein Herz über die Undankbarkeit der Menschen
hinwegtrösteten. Es kannte geistige Freuden,
die durch die Wirkungen seiner Annäherung an
einfache und ehrliche Seelen entstanden, oder
Freuden, wenn Es den Reichtum der tätigen Gnade
erkannte, die, wenn es sein Wille war, bis in
die letzte Tiefe der Herzen drang, und nicht
zuletzt erfüllten seine Seele göttliche Freuden,
die an seiner ganzen Person aufstrahlten,
Und wie konnten diese Freuden des anbetungswürdigen
Kindes äußerlich in Erscheinung
treten? War es dem HI. Geist zuzuschreiben,
daß sich auf seinen Lippen jenes selige Lächeln
bildete, das man nur auf dem Antlitz Gottes
zu erkennen vermag? Oder ließ Es sein Herz in
einem Freudenausbruch überquellen, das seine
Empfindungen verriet? Es ist uns erlaubt, das
anzunehmen und das strahlende Gesicht des kleinen
Jesuskindes anzuschauen...
Wenn das Christkind seine Freuden kannte, so
wollen wir nicht schweigend jene übergehen,
die Es Maria und Josef bereitete... Es ist unvergleichlich
süß, im Glauben das hl. Kind Jesus in den Armen
seiner Mutter zu betrachten, einen Blick des
Wohlgefallens auf sie zu werfen, sich mit ihr
über sein Lächeln und über seine Worte zu erfreuen
und zu sehen, wie Es seine kleine Hände um den
Hals dieser unvergleichlichen Mutter schlingt,
sich eng an sie schmiegt, sie tröstet und ihr
Beweise seiner Liebe gibt!...
Und ist es nicht weniger rührend, Josef zu
betrachten, der nach einem mühsamen Tag,
den er ohne Jesus verbracht hat, sich demütig
seiner göttlichen Majestät nähert und von seinen
Händen tausend Zärtlichkeiten empfängt, oder
zu sehen, wie Jesus ihm den Kuß des Kindes aufdrückt,
seinen Schweiß trocknet und vielleicht auch
seine Tränen...?» So «menschlich» schildert
Schwester Marie-Aimee das göttliche Kind, und
doch zugleich so göttlich in seiner Menschlichkeit.
Zeigt das nicht alles, daß es etwas wahrhaft
Großes um das Kleinsein ist? Und daß sich unter
dem Kleid der Demut und der Erniedrigung etwas
unaussprechlich Erhabenes verbirgt?
Noch manches ließe sich über ihre Kindheitsgedanken
hinzufügen. Es würde uns jedoch über die Grenzen
dieses Buches hinausführen. Wir glauben, daß
das Gesagte genügt, um eine lebendige Vorstellung
von demtiefen Durchdrungensein dieser Karmelitin
vom Kindheitsmysterium zu erwecken. Sie hat
mit dem Jesuskind gelebt, gelitten und geliebt.
Sein Denken und Handeln prägte sich wunderbar
in ihrer Seele ab und umgab sie mit dem Licht
der Unschuld und der kindlichen Reinheit. Am
Schluß des zweiten Bandes ihres Werkes hat sie
ein kleines Gebet an das göttliche Kind verfaßt,
das ihre innere Haltung getreu wieder spiegelt.
Sie schreibt dort:
«O heiligstes Kind Jesus! Laß mich Dir
voller Beschämung und Liebe zugleich meine Dankbarkeit
zu Füßen legen! Du hast für mich tausendmal
mehr getan als die zärtlichste Mutter für ihr
kleines Kind tut! Du hast mein Gewissen herangebildet,
Du hast mir die schlechten Neigungen meiner
Natur gezeigt und an ihrer Stelle die heiligen
Neigungen Deiner Seele gesät. Du hast mir die
Notwendigkeit der Abtötung und der Abhängigkeit
in allen Formen enthüllt! Du hast mich die Vergänglichkeit
der Dinge dieser Welt begreifen lassen und mich
in die Schönheiten der Einsamkeit hineinschauen
lassen, in jene süßen Freuden des Friedens,
der Einfachheit und der Armut! Ich liebe nicht
nur die Reinheit des Körpers und der Sinne,
sondern weit mehr jene des Herzens und des Geistes.
Dank Deiner göttlichen Unterweisungen trage
ich kein anderes Verlangen als Schweigen und
Gebet. Nicht um der Süßigkeit, die man dabei
kostet, sondern um Dich zu ehren, zu loben und
zu benedeien. Du hast mich alles gelehrt und
mir gezeigt, wie ich alles heiligen kann. Indem
Du mir Deine Mutter und Dich selbst geschenkt
hast, wußtest Du mich mit Gaben zu überschütten
und ließest mich an Deiner Seite wachsen und
groß werden. Es ist wahr, ich bin Dir nicht
mehr gleichaltrig. Ich schaue nur noch aus der
Ferne auf die glückseligen Gärten eines mystischen
Edens, wo die reine Seele mit ihrem Gott lebt,
auf jenen glücklichen Stand der ursprünglichen
Einfachheit und Unschuld! Aber, dank Dir, göttliches
Kind, bin ich wenigstens auf dem Weg, der dorthin
führt... Oh, verlasse mich nicht, Du, der
gesagt hat, wenn eine Mutter ihr Kind verlassen
sollte, so verlasse ich ihn niemals!»

Geheimnis heiliger Kindheit
Wenn wir eine Begegnung mit Karmeliten und Karmelitinnen
suchen, die durch ihre Verehrung des göttlichen
Kindes in die Geschichte des französischen Karmels
eingegangen sind und die, getragen vom Offensein
für das Geheimnis der Kindheit des Herrn, in
unsere Zeit hineinleuchten, so können wir nicht
ganz an vier Gestalten vorübergehen. Es sind
M. Maria Theresia von den Engeln, hl. Elisabeth
von der hlst. Dreifaltigkeit, Sr. Denyse von
Jesus und Sr. Maria
Johanna Angela vom
Kinde Jesu.
Vergessen wir aber nicht, daß neben ihnen eine
unübersehbare
Schar «ungenannt» gebliebener Mönche und Nonnen
steht, die ganz im verborgenen dem Inkarnationsgeheimnis
gelebt haben und die mächtig von seinen Wirkungen
erfaßt, ihre Sendung nur Gott allein ersichtlich
erfüllten. Es sind alle jene, die den «kleinen
Weg» eingeschlagen haben und auf ihm das Ziel
erreichen konnten. Unerschöpfliches wäre von
ihnen zu berichten, wenn wir das Buch ihres
Lebens kennen würden. Da es uns verwehrt bleibt,
können wir uns nur Vermutungen hingeben, die
dem umwandelnden Reichtum der Gnade des Jesuskindes
keine Grenzen zu stellen vermögen. Eines ist
aber sicher: Alle diese ungenannten «heiligen»
Männer und Frauen des Karmels sind als vom göttlichen
Kind «Erwählte» zu begrüßen.
In den «Erinnerungen» M. Maria Theresias
von den Engeln lesen wir am Weihnachtsfest
1898: «Ich will versuchen, das wiederzugeben,
was unaussprechlich ist. In einer Atmosphäre
des Schweigens hat mir das Jesuskind gesagt,
ich würde seine Braut von Bethlehem und noch
mehr von Nazareth sein. Es hat sich mir als
Meister, Bräutigam und Kind gezeigt. Nichts
vermag zum Ausdruck zu bringen, was dieses Kind
ist: ein absoluter Meister und zur gleichen
Zeit so klein und ohnmächtig. Es hat sich mit
mir im Gehorsam und in der Liebe vereint, ganz
einfach und in tiefem Frieden. Es kam einem
Ausgießen meines Herzens gleich, das zum Kind
geworden in sein Kinderherz in einfacher Union
einging. Das Jesuskind ist in meiner Seele,
um alles im Geiste seiner Kindheit und Einfachheit
zu leiten. Ich bin seine Hostie, die für Es
in Bethlehem hingeopfert wurde. Ich habe die
Vollkommenheit seines Lebens in Nazareth gesehen...»
Im geistigen Nazareth vollendete sie ihr irdisches
Dasein in unermüdlicher Dienstbereitschaft,
in Leid und Entbehrungen, und nicht selten traf
ein Widerschein göttlichen Lichtes ihr Inneres,
wo sich ihr in unvorstellbarer Schönheit das
göttliche Kind mit Maria und Josef enthüllte.
Von einem ganz zarten Hauch sind jene Karmelitinnen
umweht, die vom Jesuskind zur mystischen Vermählung
gerufen wurden. «Das göttliche Kind hat meiner
Seele ein unendliches Glück vorbehalten», schrieb
die Elisabeth von der hlst. Dreifaltigkeit
am 25. Dez. 1902.
«An diesem schönen Weihnachtsfest hat Es mir
gesagt, daß Es als mein Bräutigam kommen
würde, und am Sonntag von Epiphanie (Dreikönig)
wird Es mich durch das Band der Ordensgelübde
zu seiner Königin erwählen.» Si ist inzwischen
heiliggesprochen.
«Ich bete Jesus im Schoß der hl. Jungfrau
an», gab Sr. Denyse von Jesus zur
Antwort, als man sie fragte, wie sie sich auf
Weihnachten vorbereite. «Ich vereinige mich
mit Ihm in diesem großen Geheimnis der Menschwerdung,
das Er mir erschließen wird. Wenn ich die Worte
ausspreche: Et Verbum caro factum est, fühle
ich, wie meine Seele ganz davon erfaßt wird.»
In Erinnerung an das erste Weihnachtsfest, das
sie im Karmel erlebte, rief sie aus:
«Wenn wir die Geburt Jesus feiern, dann erfüllen
sich unsere Herzen mit Freude!... Wir gehen
oft zur Krippe, um die Tugenden Jesu zu erlernen,
vor allem seinen Gehorsam, seine Demut und seine
unendliche Liebe. Ach, möge Er uns doch sein
Herz schenken, um Ihn zu lieben!" Und mit den
Worten:
‘Göttlicher Erlöser durch die Hände deiner Mutter,
was soll ich Dir an diesen neuen Weihnachten
opfern? Nimm mich um auf Erden Cyrenenäer zu
sein, o mein Emmanuel...’
begann sie sechs Jahre später ein Weihnachtsgedicht,
in dem die Hilfsbereitschaft und
Liebe ihres Herzens überströmen.
Zur gleichen Zeit etwa, kaum nach Beendigung
des ersten Weltkriegs, ging Sr. Maria
Johanna Angela vom
Kinde Jesu
im Hl. Land, auf
dem Berg Karmel, ihren Kreuzweg von
der Krippe nach Kalvaria. Im Noviziat fand sie
ein reizendes Jesulein, zu dessen Ehre sie jeden
Tag ein selbstverfaßtes Gebet sprach:
«Ich grüße Dich, mein göttliches Jesukind, als
das schönste aller Menschenkinder. Du bist der
Urheber der göttlichen Gnade, der anbetungswürdige
Sohn des ewigen Vaters und der gesegnete Sohn
der unbefleckten Jungfrau. O heiliges Jesuskind!
Sei Du der König meines Herzens; ich nahe mich
in Ehrerbietung den Geheimnissen Deiner heiligsten
Kindheit. Ich bitte Dich inständig, mir alle
Gnaden und Tugenden Deiner Kindheit zuzuwenden,
damit ich zur Zahl jener glücklichen Kinder
gehöre, denen Du das Königreich des Himmels
versprochen hast.»
Und es gereichte ihr zur größten Freude, dieses
Jesuskind in ihrer Zelle aufbewahren
zu dürfen, um Es mit aller Liebe und Sorgfalt
zu umgeben, gerade so, als ob Es wirklich und
lebendig gegenwärtig wäre.
Wenn man daher auch nur einen flüchtigen Blick
auf den französischen Karmel des 19. Jahrhunderts
wirft, so hat man den Eindruck, daß wahrhaft
das göttliche Kind an seine Pforte getreten
ist: «Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe
an» (Offb. 3, 20). Der französische Karmel hatte
Ihm die Tür geöffnet und Es in sein innerstes
Heiligtum eingelassen. Dort nahm Es wunderbar
Besitz, und von dort wirkt Es bis heute in unzähligen
Seelen, umgestaltend, heiligend und beglückend.

DIE VEREHRUNG DES KINDES JESU IN DEN NIEDERLANDEN
Im Leben und in
der Erfahrung eines großen belgischen Karmeliten
der Gegenwart, P. Gabriel von der hl. Maria
Magdalena, wird man deutlich ein progressives
Ergriffenwerden vom Inkarnationsgeheimnis und
vom Gedanken der evangelischen Kindheit und
des Kind-seins vor Gott feststellen können.
Immer wieder klingt in seinen Schriften und
Briefen als dominierende Note das gleiche Motiv
auf: Das Leben des Christen bedeutet im Grunde
genommen nichts anderes als das sein zu wollen,
was Jesu seiner Natur nach ist: ein Kind Gottes.
Hatten P. Gabriel nicht schon die Ordenskirchen
seiner Heimaterde, die so echt das religiöse
Empfinden des niederländischen Karmeliten wiederspiegeln,
mit ihren bildlichen Darstellungen des göttlichen
Kindes zu einem tiefen Durchdrungenwerden vom
Geheimnis der Kindheit Jesu geholfen und ihm
die Augen für das unsagbar Große dieses Mysteriums
geöffnet?...
Auf Bitten der ehrw. M. Anna von Jesus waren
1610 P. Thomas von Jesus, einer der bedeutendsten
Theologen des Ordens, und einige andere Patres
nach Brüssel gekommen. Von dort hatte sich die
Reform auffallend rasch verbreitet. Nach seiner
Rückkehr nach Rom (1623) ist es nicht zuletzt
dem unermüdlichen Wirken P. Gratians vom Kreuz
(^
1654)
zu verdanken, daß eine Stiftung nach der anderen
entstand und man bereits 1665 die belgische
Provinz in eine flandro-belgische und eine gallo-belgische
Provinz aufteilen mußte, deren Territorien durch
die Sprachgrenze festgelegt wurden. 1761 wurde
dann Brabant mit Brüssel, Antwerpen, Mecheln,
Löwen und Nethen als eigene Provinz von der
flandrisch-belgischen Provinz abgetrennt, während
bereits 1681 aus den zur gallo-belgischen Provinz
gehörenden Klöstern in Lüttich, Huy, Jemeppe
sur Meuse und Visa eine eigene wallonisch-belgische
Provinz gebildet worden war. Gleichzeitig mit
der Ausbreitung der Unbeschuhten Karmeliten
vermehrten sich auch die Klöster der Schwestern,
die sich mit Vorliebe dort niederließen, wo
sie einen Konvent der Patres in der Nähe wußten.
Das religiös lebendige Wirken der Karmeliten
wird durch eine aufschlußreiche Ikonographie
in den einzelnen Provinzen bezeugt. Wenn man
die Themenzyklen der Kirchen und Oratorien verfolgt,
trifft man häufig auf bildliche Darstellungen
des göttlichen Kindes, sei es in Einzel- oder
vorwiegend in Gruppenbildern, in denen Ihm aber
stets eine Vorzugsstellung zukommt, so daß man
den Eindruck gewinnt, daß das Jesuskind eine
unerschöpfliche Quelle für das künstlerische
Schaffen gewesen ist.
Wie ist diese Erscheinung zu erklären? Kann
man von seiten des Ordens mit einer bewußten
Verbreitung dieses Themas und seiner religiös-geistigen
Vertiefung rechnen? Es ist schwer, auf dieses
Problem eine Antwort zu geben. Chroniken
und Berichte aus dem 17. und 18. Jahrhundert
sind zum großen Teil in der Revolutionszeit
zerstört worden oder verschwunden. Die uns
erhalten gebliebenen Werke wie z. B. die Vinea
Carmeli oder das Speculum Carmelitanum P. Daniels
von der Jungfrau Maria oder der Lust-Hof der
Karmeliten von Br. Oliverius vom hl. Anastasius
geben uns keinerlei Aufschluß, und auch das
Werk De Stralen der zonne P. Jakobs von der
Passion weiß nicht viel über niederländische
Karmeliten oder Karmelitinnen zu erzählen, die
sich durch eine besondere Andacht zum Jesuskind
auszeichneten.
Wohl wurde bereits 1704 die Bruderschaft vom
Prager Jesulein in der Karmelitenkirche
von Gent eingeführt, und man kann annehmen,
daß damit auch die Andacht zum kleinen König
von Prag wuchs, die durch die Verbreitung des
Lebens P. Franziskus vom Kinde Jesu im gewissen
Sinn vorbereitet worden war. Dieses Werk P.
Quirogas war 1628 in Köln in lateinischer Übersetzung
erschienen. 1647 wurde es in Paris in französischer
Sprache gedruckt und gleichzeitig fand eine
Übersetzung ins Deutsche statt, die um die Mitte
des 17. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich
weit verbreitet war, wie ein altes Andachtsbuch
aus Köln bezeugt. Außerdem wurde im Auftrag
und Imprimatur vom 6. Dez. 1728 des Fürstbischofs
von Köln ein deutsches Offizium zu Ehren des
Kindes Jesu herausgegeben. Zwar liegt dem Text
ein Bild des Salzburger Jesulein zugrunde,
aber das dürfte kein Hindernis gewesen sein,
daß dieses Offiziumbüchlein eventuell auch im
Karmel der flandrischen Provinz benutzt werden
konnte, jedenfalls so weit es die Sprachgrenze
ermöglichte. (In Salzburg gibt es bei den Kapuzinerinnen
in der Paris-Lodron-Strasse ein kleines, sehr
verehrtes Loretokindl.)
Da uns das Schrifttum keine befriedigende Antwort
geben kann, wollen wir uns den «bildlichen»
Zeugen der Vergangenheit zuwenden. Es ist sehr
richtig festgestellt worden, daß die bildliche
Kunst in den Karmelitenkirchen der Niederlande
den Geist und das Ideal des Ordens wieder spiegelt,
oder besser wiedergespiegelt hat, denn nicht
alles, was das 17. und 18. Jahrhundert an Kunstwerken
herstellte, ist erhalten geblieben, und nur
ein sehr kleiner Teil davon befindet sich heute
an seinem ursprünglichen Platz.
Es ist bekannt, daß bereits seit Ende des
Mittelalters in den Kunstwerkstätten von Brüssel
und Mecheln Statuen des Jesulein mit der Weltkugel
in der einen Hand und die andere zur Segensgeste
erhoben aus Holz geschnitzt wurden, die
sich durch seltene Lieblichkeit auszeichneten.
Als daher die Karmeliten Maler und Bildhauer
mit der Anfertigung von Bildern oder Statuen
des göttlichen Kindes betrauten, bedeutete dies
für sie nichts anderes, als ein bewußtes Aufnehmen
ihrer ureigensten Tradition, was sicher wesentlich
zu der charakteristischen Konzeption der Jesuskind-Darstellungen
in den Niederlanden beitrug. Es waren zumeist
Gruppendarstellungen der Hl. Familie und der
Kindheitsgeheimnisse. Aber auch Bilder oder
Holz- und Kupferstiche entstanden, die einen
Heiligen des Karmels vor Maria mit dem Jesuskind
kniend abbildeten, und gerade diese Darstellungen
bewiesen, daß für den Maler das Jesuskind
die Hauptperson war. So wird z. B. auf einem
Bild Diepenbeekes die hl. Maria Magdalena de
Pazzi in dem Augenblick gezeigt, wo sie von
Maria das Jesuskind empfängt und dieses zärtlich
in ihre Arme schließt. Darunter stehen folgende
Worte in lateinischer, französischer und holländischer
Sprache: Jesulum, in forma qua natus est, a
Beatissima Virgine Maria recipit, et alloquitur.
Hieronymus Wierix zeigt uns eine Christus- und
Muttergotteserscheinung des hl. Johannes vom
Kreuz, die er durch eine, in keinem geschichtlichen
Dokument bestätigten Einzelheit bereichert.
Er zeigt nämlich das Jesuskind, das sich aus
den Armen seiner heiligsten Mutter zu lösen
scheint, um zu den Heiligen herabzusteigen.
Dabei legt es liebevoll sein Händchen auf das
Haupt des knienden Johannes und senkt seine
halbgeschlossenen Augen in unendlicher Zärtlichkeit
in die zu Ihm hinaufschauenden Augen des Karmelreformatoren.
Eine derartige künstlerische Konzeption ist
nur denkbar, wenn man annimmt, daß Wierix eine
Kenntnis von der innigen Liebe des Heiligen
zum göttlichen Kind besaß. Und wo anders, als
bei den Karmeliten selbst, hätte er sich diese
erwerben können?
Altarblätter mit Darstellungen des Jesuskindes
gab es in fast allen Karmelitenkirchen des
17. und 18. Jahrhunderts. Wir brauchen nur an
die Hl. Familie zu denken, die Abraham Janssens
für da Patres in Brüssel anfertigte oder an
die Werke der Maler Lukas Franchois, Van der
Mandel und der Schüler Poussins für Mecheln,
Gent und Mons. Nicht weniger charakteristisch
sind die Geheimnisse der Kindheit Jesu, die
Quellin der Jüngere für die Unbeschuhten Karmeliten
von Antwerpen malte. Es handelt sich um die
Anbetung der Engel, eine Anbetung der HI. Drei
Könige, die Beschneidung des Herrn und die Flucht
nach Ägypten. Noch heute kann man in der alten
Kirche des hl. Andreas ein Bild des Malers Van
Oost des Jüngeren" sehen, das die Karmeliten
von Lille bestellten, wo das Jesuskind inmitten
Marias und Josefs so dargestellt wird, daß das
Blickfeld von dem kleinen Erlöser der Welt beherrscht
zu sein scheint. Das Gleiche wiederholt sich
auf einem alten Gemälde in Gent, «Le Maitre
de la Religion carmelitaine» genannt, wo man
eine Reihe von Karmeliten in weißen Mänteln
sieht, die dem von Maria an der Hand geführten
Jesusknaben folgen". Obwohl der kleine Jesus
nicht im Zentrum des Bildes steht, so konzentriert
sich dennoch die Szene um seine lichterfüllte
Gestalt, die den inhaltlichen Mittelpunkt bildet.
Ohne Zweifel ist es die Absicht des Künstlers
gewesen, das göttliche Kind in seiner Kleinheit
und Demut als den Meister des innerlichen Lebens
des Karmeliten darzustellen. Ihm, diesem hl.
Kind, folgen die «Söhne der Jungfrau». Vor Ihm
neigten sie sich und bringen Ihm das Gebäude
ihrer Kirche und ihres Klosters dar. Nur aus
einer ganz tiefen, gläubigen Verehrung und Liebe
zur Kindheit Jesu konnte ein solches Gemälde
entstehen. Sollte es lediglich der Phantasie
des Künstlers entsprungen sein? Wir glauben
eher, daß seine Komposition der genauen Angabe
eines Karmeliten zu verdanken ist, dessen Name
uns die Geschichte verschweigt.
Nicht uninteressant ist es, daß auch in holzgeschnitzten
Medaillons, wie an der Kommunionbank der Pfarrkirche
von Aartselaar, die höchstwahrscheinlich aus
der Karmelitenkirche von Antwerpen stammt, oder
an den hölzernen Wandbekleidungen (Lambren)
der Genter Kirche Christus als Kind wiedergegeben
wird", was sicher ein Hinweis auf die dort bestehende
Verehrung der Kindheit Jesu ist.
Aber nicht nur in Einzelbildern spiegelte sich
das Geheimnis der Kindheit Jesu wieder. Eine
ikonographische Analyse der Karmelitenkirchen
in den Niederlanden hat zu dem Ergebnis geführt,
daß dort in der Reihe ihres ikonographischen
Programms durchaus nicht das Thema
der Kindheit des Herrn fehlte, wie es in Brügge
und in Lüttich der Fall gewesen ist". In der
alten Kirche der Unbeschuhten Karmeliten zu
Brügge konnte man, abgesehen vom Hauptaltarblatt,
das zum Zeichen der Dankbarkeit während der
Pest gestiftet wurde, also einem äußeren Anlaß
zufolge in die Kirche gelangte, einen vollständigen
Zyklus der Geheimnisse der Kindheit Jesu finden:
Geburt, Anbetung der Engel, Anbetung der HI.
Drei Könige, Beschneidung, Darbringung im Tempel,
Flucht nach Ägypten, die Hl. Familie und den
hl. Josef, der das auf einer Erdkugel stehende
Jesuskind trug".
Die Karmeliten von Lüttich baten den Maler Walther
Damery, für ihre Kirche einen vierbildrigen
Zyklus zu malen, der ebenfalls die Kindheitsgeheimnisse
zum Thema hatte: Geburt, Anbetung der HI. Drei
Könige, Flucht nach Ägypten und der zwölfjährige
Jesus im Tempel. Diese Gemälde, die heute in
der Pfarrkirche des hl. Bartholomäus hängen,
bildeten mit der HI. Familie des monumentalen
Hochaltars ein harmonisches Ganzes.
Aus all diesem ergibt sich, daß die Karmeliten
des 17. und 18. Jahrhunderts in den Niederlanden
Wert darauf legten, daß neben elianischen und
marianischen Zyklen auch das Thema der Kindheit
Jesu in ihren Kirchen vertreten war. Und man
darf wohl annehmen, daß sie es als zur typisch
karmelitischen Spiritualität gehörend betrachteten
und als solches verbreiten wollten.
Neben dem Kunstwerk fehlte nicht die schlichte
Jesuleinstatue. Wohl ist es wahr, daß gerade
in den Niederlanden das Prager Jesulein als
das Jesuskind des Karmels verehrt wurde und
dort seit Anfang des 18. Jahrhunderts Prager-Jesulein-Bruderschaften
bestanden. Doch daneben gab es auch die
eigene Jesuleinstatue, die aus dem Meißel des
niederländischen Bildhauers geformt worden war.
Wie uns bereits bekannt ist, hatte Anna vom
hl. Bartholomäus bald nach ihrer Gründung
in Antwerpen einen dortigen Bildschnitzer beauftragt,
für ihr Heimatkloster, St. Josef in Avila, eine
Hl. Familie herzustellen. Während Maria und
Josef auch tatsächlich die Reise in das ferne
Spanien antraten und glücklich ans Ziel gelangten
- (noch heute zeigt man die Statue des hl. Josef
im gleichgenannten Karmelitinnenkloster zu Avila),
blieb das Jesulein auf Bitten einer kleinen
Laienschwester im Kapitelsaal von Antwerpen,
wo es seit 400 Jahren nicht aufgehört hat, zu
tanzen und zu lächeln. Im Kloster der Unbeschuhten
Karmelitinnen zu Brüssel thront noch heute dasselbe
Jesulein, das Anna von Jesus aus Spanien mitgebracht
hatte. Bald wurden von Ihm Kopien in freier
Nachbildung hergestellt. Die am besten erhaltene
dürfte wohl das Jesuskind vom Karmel in Löwen
sein. Es handelt sich um eine Statue aus bemaltem
Holz, 22,5 cm hoch, die auf einem 7 cm hohen
Sockel steht. Der Typus ist derselbe des kleinen
Königs von Brüssel. Wahrscheinlich stammt die
Statue aus dem 17. Jahrhundert, oder spätestens
aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Sie wurde
bei der Stiftung aus Kortrijk mitgebracht, wo
noch heute zwei kleinere «Brüderlein» desselben
Jesuskindes vorhanden sind, über deren Ursprung
man aber nichts sicheres weiß, da die Karmelchronik
in der Revolutionszeit verloren ging. Die Überlieferung
will jedoch, daß die erste dieser Statuen bereits
vor 350 Jahren von Doornik, von wo aus der Karmel
in Kortrijk gestiftet worden war, mitgebracht
wurde.
Die Geschichte des Löwener Jesulein ist
an eine reizende Begebenheit gebunden. Als die
unter Joseph II. vertriebenen Karmelitinnen
1840 nach Löwen zurückkehrten, wollten sie sich
auf ihrer Reise den Segen des Kardinal-Erzbischofs
von Mecheln erbitten. Als dieser die Nonnen
fragte, ob sie wohl einen Stifter hätten, der
für sie bürgen würde, mußten sie sich eingestehen,
daß sie niemand hatten. Doch einer plötzlichen
Eingebung folgend legte die Mutter Priorin ihre
Hand auf die Statue des Jesulein, die sich im
Reisegepäck befand,
und gab mit ruhiger Sicherheit zur Antwort:
«Eminenz, wir haben einen sehr guten Stifter».
Und seine Eminenz zeigte sich damit vollauf
befriedigt. Seither hat man im Karmel das Jesulein
«Notre Petit Fondateur» genannt, und bei vielen
Gelegenheiten konnten die Schwestern seinen
besonderen Schutz spüren.
Im Karmel Doornik (Tournai-Kain) befindet sich
eine Jesuleinstatue, die der Sorge des Noviziats
anvertraut ist. Vor der Revolution wurde sie
in großen Ehren gehalten. Hie und da liehen
sie die Nonnen zu Profeßfeierlichkeiten einem
großen Internat der Stadt, wie die Annalen erzählen.
So führte der kleine König des Karmels den Vorsitz
bei der Selbsthingabe vieler geistlicher Schwestern.
Aus den gleichen Annalen geht hervor, daß
gerade in Doornik seit Jahrhunderten eine lebendige
Jesuleinverehrung herrschte. Wohl wird dort
vorwiegend von der Andacht zum Prager Jesulein
gesprochen. Aber es kommt auch die Rede auf
ein Jesuskind, das zusammen mit einem Korb von
frischen Äpfeln aus dem Klostergarten der Königin
Maria Theresia geschenkt wurde, die sich damals,
zur Zeit des Krieges unter Ludwig XIV., in Doornik
aufhielt. War es ein Prager Jesulein oder eine
andere Jesuleinstatue? Die Chroniken wissen
es nicht zu sagen, und die Geschichte hat diesen
unbedeutenden Zwischenfall vergessen. Eines
ist aber sicher, daß in Doornik stets eine heilige
Liebe zum Jesuskind bestanden hat. Eine Priorin
ließ in allen «Ämtern» des Klosters kleine Jesuleinstatuen
aufstellen und zu Weihnachten Wachsjesulein
für alle anfertigen.
Von den übrigen Karmelitinnenklöstern sind uns
keine Einzelheiten überliefert. Doch dürfen
wir annehmen, daß es in ihnen nicht an einer
innigen Liebe zum Jesuskind gefehlt hat. Noch
weniger wissen wir über Karmeliten oder Karmelitinnen.
Von der letzten Novizin der ehrw. Anna vom hl.
Bartholomäus und mystisch begnadigten M. Maria
Margarete von den Engeln wird zwar berichtet,
daß sie als junge Schwester während ihres Noviziatsjahrs
ein Kleidchen für das Antwerpner Jesulein stickte.
Aber aus ihrem späteren Leben werden uns keine
Episoden überliefert, die auf eine besondere
Verehrung des göttlichen Kindes schließen lassen.
Erst am Anfang des 19. Jahrhunderts begegnen
wir in Gent einem Karmeliten, der von Gott zu
einem Apostel des Prager Jesulein vorbestimmt
worden war: P. Amatus von der hl. Familie.
Am 30. Mai 1704 war in der Kirche der Unbeschuhten
Karmeliten in Gent die Bruderschaft vom
Prager Jesulein eingeführt worden. Trotz rationalistischer
Kritik und politischer Stürme hatte sich dort
immer die Verehrung des göttlichen Kindes durchsetzen
können. Zwar verlangte die Revolution 1796 die
Aufhebung des Klosters. Doch schon 1802 kehrten
die Patres zurück." Man darf sicher annehmen,
daß P. Amatus im Genter Karmel eine besondere
innere Beziehung zum Kindheitsmysterium gefunden
hat. Die Chronik berichtet, daß er sowie seine
Nachfolger kleine Bildchen des Jesulein verschenkten
und wohl auch für seine Verehrung sorgten, denn
allenthalben sprach man von Gnaden, die durch
die Fürsprache des Prager Jesulein gewährt wurden.
Eines dieser Bilder sollte ausschlaggebend für
die Gründung des Karmels in Brüssel werden.
In der Chronik lesen wir, daß den Patres «der
Gedanke kam, das liebe Jesuskind für die Gründung
als Vermittler zu benützen. Es wurde also
unser Bildchen an das ehrw. Provinzkapitel geschickt,
das im Mai 1855 unter dem Vorsitz Seiner Exzellenz
des apostolischen Nuntius Msgr. Genella, dem
damaligen Oberen der Unbeschuhten Karmeliten
in Belgien, in Gent versammelt war. Unser ehrw.
General seligen Andenkens, P. Natalis von der
hl. Anna, der in jener Zeit in unserem Land
weilte, war auch beim Kapitel.
Das Jesuskind veranlaßte die Versammlung, sich
mit der Gründung eines Klosters in Brüssel,
wo es so viel Gutes zu tun gab, zu befassen.
Ich habe durch unseren guten Pater Natalis erfahren,
daß diese naive Kundgebung bestens aufgenommen
sei. Die Bittschrift wurde laut vorgelesen und
die Angelegenheit in Erwägung gezogen. Welch
ein Erfolg auch immer durch sie erzielt worden
sein mag, so bleibt doch bemerkenswert, daß
kurze Zeit nachher ein Herr aus Gent sich in
Brüssel niederließ und daß es... gerade diesem
gelang, einen passenden (Bauplatz) zu finden.
Er tat auch alle nötigen Schritte zu einem vorteilhaften
Ankauf. Darf man da nicht sagen, daß der kleine
göttliche Heiland selbst den Ort gewählt hatte,
von dem Er wußte, daß dort seine erste Kirche
erbaut wurde?»
Tatsächlich erlebte gegen Ende des 19. Jahrhunderts
der PragerJesulein-Kult in Belgien einen ungeheuren
Aufschwung. In Brüssel fand das göttliche Kind
eine eigene Kapelle mit einem schönen Altar,
auf dem die hl. Messe gefeiert werden konnte.
Die Karmelitinnen in Audenaerde zeichneten sich
als erste für seine öffentliche Verehrung aus.
Drei Jahre später,
1889, wurde der
neugegründete Karmel in Luxemburg dem «wunderbaren,
heiligen Jesuskind von Prag» geweiht.
Gleichzeitig sorgten allerhand Publikationen
für die Verbreitung und Förderung seiner Verehrung.
Es würde uns in unserem Zusammenhang zu weit
vom Thema wegführen, wenn wir die
weitere Geschichte des Prager Jesulein in den
Niederlanden verfolgen würden, bis zu seinem
letzten Heiligtum im Karmel von Beek. Wir möchten
nur darauf hinweisen, daß in einigen holländischen
Karmelklöstern auch die Verehrung des Jesulein
von Beaune bekannt war. Alles dies beweist uns,
daß der Karmel in den «nordischen» Ländern Europas
nicht weniger für den Kindheitsgedanken und
die Verehrung des Menschgewordenen in Kindesgestalt
aufgeschlossen war, als die Brüder und Schwestern
in den südlichen oder mitteleuropäischen Ländern.

BETHLEHEM UND DER GEIST DES KARMELS
Wer sich auch nur ein wenig mit der Geschichte
der Orden der hl. Kirche beschäftigt hat, dem
ist es sicher nicht entgangen, daß einem jeden
Orden eine eigentümliche geistliche Färbung
anhaftet, die überall dort sichtbar wird, wo
seine Mitglieder längere Zeit gewirkt haben.
Auch im Karmeliterorden läßt sich etwas aufzeigen,
das ihn von anderen religiösen Gemeinschaften
abhebt und ihm sein eigenes Gepräge verleiht.
Dieses Unterschiedliche ist der Geist von Bethlehem.
An diesem Geist erkennt man unter Tausenden
von Ordenspersonen den Karmeliten, den «Bruder
der allerseligsten Jungfrau vom Berg Karmel»
und den treuen Verehrer ihres göttlichen Kindes.
Schon rein äußerlich gesehen versucht der Karmel
ein wahres Bethlehem zu sein. Alles soll einfach
und arm aussehen. «Dem neugeborenen Gotteskind
ist ja die Vielheit irdischen luxuriösen Lebens
gänzlich fremd», schreibt P. Paulinus a S. Ther.
in den Analecta der bayr. Provinz (1953). «Primitiv
könnte man diesen Anfang und Beginn der Erlösung
nennen. Es war alles so einfach und unauffällig
abgelaufen, daß es der lauten Welt unbekannt
blieb. Die einfachen Personen im Stall, die
das göttliche Kind umgeben, die schlichten Hirten,
die zur Anbetung kamen, runden noch das Bild
der Einfachheit beim Wunder von Bethlehem ab,
das in seiner letzten Auswirkung wie die vielfachen
Strahlen der Sonne sich in Gnade und Segen allerwärts
über die ganze Erde ergoß.»
Diese Einfachheit kommt im Leben des Karmeliten
zum Ausdruck. Seine kleine Zelle birgt nur
drei bis vier Möbelstücke aus weichen Brettern,
die ganz einfach zusammengefügt sind und niemals
gestrichen werden. Ein glänzendes, gut poliertes
Möbelstück würde durchaus nicht in eine Karmelzelle
passen, wo alles vom Geist der Armut getragen
ist! Bei der Geburt des Herrn in Bethlehem fehlte
es nicht nur an Luxus, sondern «es war dort
bittere, entbehrende Armut», fährt P. Paulinus
fort. «Es fehlten selbst die Dinge, die zum
menschenwürdigen Leben gehören. Und doch: welche
Fülle großen, herrlichen Reichtums, der mit
der Geburt des Gotteskindes über die Erde ausgeschüttet
wurde!»
Der Karmelit fühlt diesen Reichtum, wenn er
sich in seiner kleinen Zelle der Betrachtung
des Gesetzes des Herrn hingibt. Aber er spürt
auch die Armut. Nichts schützt ihn vor Kälte
und Hitze, und sein oft von harter Arbeit ermüdeter
Körper kennt nur sehr wenige Stunden Ruhe auf
einem Strohsack, der ihn an das Stroh in der
Krippe von Bethlehem erinnert, das dem neugeborenen
Kind als erstes Lager diente. An der Zellenwand
hängt gewissermaßen als Symbol der Armut und
des Entsagens ein großes schwarzes Kreuz ohne
das Bild des Gekreuzigten, das sich scharf von
der weißgetünchten Mauer und dem übrigen Kolorit
der Zelle abhebt. «Dieses Kreuz hat seine geheimnisvolle
Bestimmung», lesen wir im «Skapulier» zu Weihnachten
1932. «Der Geist von Bethlehem - so kündet es
- muß in Nazareth, im trauten Verkehr mit dem
Heiland und seiner jungfräulichen Mutter, sich
zum Geist von Golgatha auswachsen. Dort wird
dann nicht mehr der Heiland gekreuzigt, sondern
der Karmelit selber nagelt sich geistigerweise
ans Kreuz. Darum ist der Platz darauf noch leer.
Wie traut und wohnlich macht Bethlehem solch
eine Klosterzelle! Nur wer Bethlehem nicht mehr
versteht, erschrickt vor ihrer Nüchternheit
und Armut!»
Und wie verwirklicht man im Karmel den Geist
von Bethlehem? Indem man sich den einfachen,
schlichten, demütigen, aber gottfrohen Sinn
zu eigen macht, der von der kleinen hl. Theresia
vom Kinde Jesu ausstrahlt. «Bei ihr können alle
Ruhelosen und Gehetzten, alle Nervösen und Überarbeiteten
Genesung finden, um dann in Ruhe an der Selbstheiligung
zu arbeiten», betont ein Karmelitenpater (Skapulier,
1933). «Alles Fadsüße, alles Verzuckerte war
dem Karmel jederzeit fremd und deshalb auch
fremd sowohl der großen wie der kleinen hl.
Theresia und einem hl. Johannes vom Kreuz, weil
ganz und gar unvereinbar mit dem Geiste von
Bethlehem. Dort wurde Opfersinn und Selbstverleugnung
von allerhöchster Stelle gutgeheißen. Noch mehr:
als Heilsbedingung aufgestellt. Da versagt alle
Gefühlsduselei und muffige Frömmigkeit... Alle
jene, die gewohnt sind, sich ihre Kost aus der
Konditorei zu holen, müssen entweder umlernen,
oder sie werden nie in den Geist des Karmels,
der Bethlehems Geist ist, eindringen. Der göttliche
Heiland selbst weiß auch mit solchen Seelen
nichts anzufangen. Wie werden sie Ihm das Kreuz
nachtragen?»
«Wie ist nun die Liebe, die Bethlehem uns
lehrt, die unsere hl. Mutter Theresia von
uns verlangt, geartet?» «Sie ist jene reine,
unbefangene Liebe, wie sie nur aus ganz gesunden
Seelen, aus bedingungslos edlem Gemüt kommt.
Jene Liebe, die nichts sucht und nichts begehrt,
als nützen zu können. Jene Liebe, die da mit
froher Zuversicht sich hinschenkt, wo sie mit
Anerkennung und Verständnis nicht rechnen darf.
Diese Liebe ist jenes aufrichtige Wohlwollen,
das nur aus vollständig gutem Herzen hervorquillt,
aus einem Herzen, das nicht schmerzlich zusammenzuckt,
das sich nicht krampfhaft schließt, weil aus
den Niederungen menschlichen Innenlebens rohe
Gemeinheit ihr Haupt erhoben hat. Jene Liebe
zeigt uns das göttliche Kind von Bethlehem.
Jene Liebe fordert Theresia von uns, die das
Gute im
Menschen freudig bejaht, jede Spur guten Willens
anerkennt und jedes noch so schwache
Flämmchen Eifer zu mächtigem Brande anzufachen
sucht.»
Der Karmel lebt in dieser Liebe, die ihm etwas
ganz Natürliches geworden ist, da er sie im
Umgang mit dem göttlichen Kind in Bethlehem
erlernt hat. Sie erfüllt ihn Tag und Nacht,
begleitet ihn auf allen seinen Wegen und leuchtet
aus einem jeden seiner Worte, die in die Welt
dringen. Besonders aber zur Weihnachtszeit,
wenn in seinem Herzen das Verlangen stärker
brennt, sich mit allen seinen Fähigkeiten in
das «geistige Bethlehem» zu versenken, will
er sein inneres Empfinden auch äußerlich durch
eigene Zeremonien kundtun. So entstand im Lauf
der Jahrhunderte ein reiches Brauchtum, in dem
karmelitische Liebe zum Jesuskind, oft kindlich
und naiv, ein freudiges Echo gefunden hat. Doch
darf man dabei nicht vergessen:
«Daß dieses fromme Tun allein von dem gefühlsmäßigen
Überschwang, den solch heilige Festtage mit
sich bringen, getragen ist, kann man bei der
tiefen religiösen Grundhaltung der Männer und
Frauen unseres Ordens nicht annehmen», bemerkt
P. Paulinus in den bereits erwähnten Analecta
(1952).
«Es muß vielmehr bei diesen Andachts- und Gebetsformen
auch an einen inneren Zusammenhang vom Geist
unseres Ordens mit dieser frommen Eigenart gedacht
werden. Die Innigkeit und Beschaulichkeit des
Jugendlebens Jesu in der Idylle des Hauses Nazareth
oder schon gleich in der Krippe von Bethlehem,
müssen doch wohl auch das in harter Gebetsübung
gereifte Herz des wahren Karmeliten und der
Karmelitin rühren und die Affekte reichlicher
und wärmer werden lassen. Nach manch trockener
Gebetsperiode, einer leeren, öden Sandwüste
gleich, wird die geistige Beschäftigung mit
dem Jesukind oder dem Jugendleben Jesu wie eine
liebliche, friedliche Oase mit erfrischendem
Wasser empfunden werden.»
«Das Haus Nazareth in seiner Stille, seiner
Einsamkeit, seiner Arbeit, seiner Gottinnigkeit
und Beschaulichkeit, mit dem steten Mittelpunkt
des göttlichen Kindes kann doch wohl ein wirkliches
Vorbild echt karmelitischen Lebens in seiner
beschaulich-tätigen Weise geben und muß schon
deshalb in seinem Mittelpunkt, dem Jesuskind,
jedem wahren Karmeliten verehrungswürdig bleiben.»
«Und kommt der Karmelit mit der Verehrung des
Jesuskindes nicht auch seiner Herrin und Patronin
Maria besonders nahe? Im göttlichen Kind und
seinen Schicksalen umweht ihn geradezu fühlbar
und spürbar die Liebe und Fürsorge der himmlischen
Mutter, und ihre weiche Mütterlichkeit gibt
jeder Jesuskindverehrung eine eigene liebliche
Note. Wer die Mutter liebt und verehrt, kann
an ihrem göttlichen Kind nicht vorübergehen.»
Seit dem ersten
Atemzug seines Bestehens hat der Karmel die
Muttergottes verehrt.
So wie er Elias, den großen Einsamen und glühenden
Gottesstreiter, der sich für die Ehre des Allerhöchsten
verzehrte, als seinen Vater bezeichnet, so weiß
er, daß Maria seine wahre Mutter ist, die ihm
das göttliche Kind geschenkt hat. Von Maria
führt ihn der Gedanke zum hl. Josef, den stillen
Anbeter im Stall von Bethlehem. Gerade die schlichte,
rührende Einfalt, mit der sich der keusche Bräutigam
der seligsten Jungfrau Gottes Führung in widerspruchsloser
Bereitschaft zur Verfügung gestellt hat, ist
dem Karmel ein Vorbild für seinen Geist der
Einfachheit und Bescheidenheit.
So lebt er in inniger Beziehung zur Heiligen
Familie. Aber in ihrer Mitte steht immer das
göttliche Kindlein, das ihn unentwegt ans Kleinwerden,
an die Demut und den Gehorsam ermahnt. Aus dieser
inneren Haltung des Karmels ist es zu verstehen,
daß die Andacht zum menschgewordenen Gott in
Kindesgestalt ein Wesenselement seiner Spiritualität
werden
mußte. Ohne eine solche betonte Verehrung des
Jesuskindes, würde dem Karmel ein Stück seines
Herzens fehlen, und seine Botschaft hätte sich
wohl kaum die Welt erobert, wenn sie nicht im
letzten aus dieser schlichten Liebe zum menschgewordenen
Gott erblüht wäre.
Mit seiner Aufforderung zur Andacht zum Jesuskind
will der Karmel etwas von der Freude, von dem
überströmenden und beseligendem Glück mitteilen,
das jene kosten, die sein Kleid in irgendeiner
Weise tragen. Das hl. Kindlein ist ihr unversiegbarer
Born, aus dem erquickende Labung fließt, und
seine göttliche Liebe ist die Quelle, die sich
in ihre durstenden Herzen verströmen will. Sie
kann aber nur dann als wirkliche Freude Gottes
in das Innerste dringen, wenn sie im Leben des
einzelnen zur Wahrheit wird. «Wenn ihr das wißt,
dann seid ihr selig» (Joh. 13,17), darum «geht
den Weg, den ich euch weise, dann geht's euch
gut» (Jer. 7,23).
Der Karmel fordert daher zu einer engen Lebensverbundenheit
mit dem menschgewordenen Gott auf. Aber er verbirgt
es niemanden, daß das göttliche Kind nicht
nur schenkt, sondern auch ein Joch aufbürdet.
Zwar ist dieses Joch «süß» für den, der es mit
Liebe trägt. Aber es bleibt doch immer ein Joch,
das auf den Schultern liegt.
Die Andacht zum
göttlichen Kind will nun ein Mittel sein,
um in diesem Joch, das die Pflichten des Christen
versinnbildlicht, einen Weg zur Freude zu entdecken.
Wenn man wirklich das Jesulein aus ganzer Seele
liebt, dann wird man auch bereit sein, alles
Schwere anzunehmen, das Gott schickt. Man wird
sogar das Leid erwählen und nicht zuletzt die
Kraft finden, um die Konflikte der Gegenwart
im demütigen Glauben zu überwinden. Ja, gerade
das Gegensätzliche des Lebens wird dazu dienen,
um die innere Vertrautheit mit Christus zu festigen
und um das Herz zu öffnen, damit das göttliche
Kind sich immer erfüllender und «Wohltaten spendend»
mitteilen kann.
Dann wird der schmale
Weg des Gesetzes Christi weit werden
(Augustinus), weil durch die Gemeinschaft mit
dem menschgewordenen Gott sich die beglückende
Gewißheit des christlichen Bewußtseins vertieft,
zur Wohnstätte des dreifaltigen Gottes erwählt
worden zu sein, wohl wissend,
daß es von der Treue
im Kleinen abhängt, daß Gott immer mehr von
der Seele Besitz ergreift.

Der kleine Rosenkranz zum Jesuskind
Der Rosenkranz besteht aus 15 Perlen, drei am
Anfang und dann zwölf.
Man betet dreimal: Und das Wort ist Fleisch
geworden und je ein Vaterunser.
Einmal: Und das Wort ist Fleisch geworden und
hat unter uns gewohnt.
Zwölfmal: Ave Maria -
Gegrüßt seist Du, Maria,
Einmal: Ehre sei dem Vater.
Die drei Vater Unser sind zu Ehren der drei
Personen der Hl. Familie.
Die zwölf Ave Maria sollen an die zwölf Jahre
der Kindheit Jesu erinnern.
Die sel. Karmelitin Margarete vom Allerheiligsten
Sakrament empfahl bei den zwölf Ave
Maria folgende Geheimnisse der Kindheit Jesu
zu betrachten:
Die Menschwerdung
Die neun Monate im Schoß der hl. Mutter
Die Geburt Christi
Die Anbetung der Engel und Hirten
Beschneidung des Herrn
Die Anbetung der Könige
Die Darstellung im Tempel
Die Flucht nach Ägypten
Seine Rückkehr aus Ägypten
Das verborgene Leben in Nazareth
Die Wallfahrten mit Maria und Josef
Sein Aufenthalt im Tempel mitten unter den Schriftgelehrten.
Ein altes Lied
O Du liebes Jesuskind,
laß Dich vielmals grüßen! Alle Kinder, die hier
sind, fallen Dir zu Füßen. All um Deine Liebe
bitten, die so viel für uns gelitten. I:Schenk
uns Deine Liebe!:I O Du süßes Jesuskind, in
der Kripp im Stalle wehte gar so kalt der Wind,
littst Du für uns alle. Aber jetzt sollst warm
Du liegen, jetzt soll unser Herz Dich wiegen,
I: komm in unsere
Herzen! :I
Liebes Jesuskind, wie früh, in wie jungen Jahren
hast Du schon so manche Mühe, manches
Kreuz erfahren. Kommt’s für uns in spätern Tagen,
o so lehre uns es tragen I: treu Dir nachzufolgen.
:I
So viel Himmelssegen hast Du gebracht der Erde;
O daß unser Herz erfaßt Von dem Heile werde,
Daß auch wir im frommen Lieben Unser Leben lang
uns üben I: und Dich nie betrüben.
:I
Öffne Deine Segenshand Auch für jene Kleinen
Die im fernen Heidenland So verlassen weinen.
Segen die Gebet’ und Spenden, Die wir gläubig
ihnen senden; I: Laß Dein Heil sie finden. :I
O Du süßes Jesuskind, höre unser Flehen! Laß
die Kinder, die hier sind, in den Himmel gehen,
daß sie mit den Engeln droben Dich und Deine
Mutter loben, I: Jesus und Maria!:I
 |
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König
der Gnade
Jesuskind von Beaune |
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Das Jesuskind
der hl. Theresia
von Avila |

Das Münchner Augustiner Kindl
in der Bürgersaalkirche
(hinter dem Grab des sel. P. Rupert Mayer)
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