Hl. Hildegard von Bingen
EinführungHildegard ist Visionärin und Mystikerin; sie wird bezeichnet als "prophetissa teutonica" (die deutsche Prophetin) und als bedeutendste Frau des christlichen Abendlandes zu ihrer Zeit, als Ärztin, Naturforscherin, Politikerin, Musikerin, Theologin, Kosmologin. Sie hatte einen besonderen Zugang zu der geistigen Welt Gottes, da sie, wie sie selbst erklärt, mit der Begabung der "Inneren Schau" ausgestattet war. Sie schaute mit den inneren Augen ihrer Seele und hörte mit dem inneren Ohr, bei wachen äußeren Augen und Ohren. In dieser Schau wurden ihr die Geheimnisse Gottes, des Menschen, des Kosmos, der Natur und der innere Sinn der Heiligen Schriften durchscheinend klar. Sie schaute beeindruckende symbolhafte Bilder, die für den heutigen Menschen nicht leicht verständlich sind. Hildegard konnte die Kräfte erkennen, die Gott in die Schöpfung gelegt hat und auf welche Weise diese Kräfte in den Geschöpfen wirken. Eine ungewöhnliche Begabung, der man sich nur behutsam nähern kann.
Visionsdarstellung Hildegards
Heute finden wir vielfältige, manchmal verwirrende und auch entstellende Deutungen ihrer Person und ihres Werkes. Hildegard besticht durch ihre mutiges Auftreten als Frau, durch eine großartige Kosmologie, eine ganzheitliche Naturheilkunde, ihre Mystik und Musik - und doch ist das alles auch wieder eigenartig fremd und läßt sich nicht ohne Brüche in unser modernes Welt- und Menschenbild einfügen. Besonders sperrig ist ihre visionäre Theologie, die allen modernen Interpretationen zum Trotz, das Christusereignis in den Mittelpunkt der Weltgeschichte stellt.
Hildegard bietet in ihrer umfassenden Zusammenschau von Natur, Mensch und Gott für unsere Gesellschaft notwendige Denkanstöße, da der Mensch in dieser rein diesseitigen, materialistischen und naturwissenschaftlich ausgerichteten Welt spirituell ausgehungert ist. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist drängend geworden und verlangt nach Antworten. Wer Hildegard von Bingen fundiert kennen lernen will, ist gut beraten, sich mit ihren Originalwerken zu beschäftigen, die sich allerdings nicht leicht erschließen. (siehe Bibliographie)
Die Biografie der Hildegard von BingenHildegard wurde geboren 1098, vermutlich in Bermersheim b.Alzey, als 10. Kind einer adeligen Famillie. Im Jahre 1112 wurde sie in die Klause auf dem Disibodenberg/Nahe in die Obhut von Jutta von Sponheim gegeben und wurde Benediktinerin. Nach dem Tode Juttas im Jahre 1136 wurde Hildegard zur Meisterin der kleinen Ordensgemeinschaft gewählt. Sie führte bis zum ihrem 43. Lebensjahr ein völlig verborgenes Leben. Schon als Kind erlebte sie erstaunt eine besondere Fähigkeit. Sie selbst sagt dazu in ihrer frühesten Lebensbeschreibung folgendes:
"Schon als ich im Schoß meiner Mutter heranwuchs, vom Hauch Gottes lebendig gemacht, hat er mir dieses Schauen eingeprägt... Als ich drei Jahre alt war, schaute ich ein so helles Licht, dass ich innerlich erzitterte. Weil ich aber noch so ein kleines Kind war, konnte ich nicht darüber sprechen. Bis zum fünfzehnten Lebensjahr schaute ich vieles, und manchmal erzählte ich es einfach. Aber jene, die es hörten, wunderten sich sehr darüber, woher ich das alles wisse und woher es komme. Nun wunderte ich mich selbst darüber, dass offenbar nur ich diese Schau hatte. Daraufhin schwieg ich über das, was ich schaute, so gut ich konnte."
Hildegard schreibend
Im 43. Lebensjahr hörte sie den Anruf Gottes, zu sagen und aufzuschreiben, was sie innerlich schaut. Sie weigerte sich jedoch zunächst, weil sie erfahren hatte, dass die Menschen über sie spotteten und sie für verrückt erklärten. Erst durch Krankheit gezwungen legte sie Hand an die Abfassung ihres ersten Visionswerkes: Scivias - Wisse die Wege. Da sie selbst auf keinem Gebiet eine systematische Schulung hatte und deshalb ein schlechtes Latein schrieb, diente ihr der Mönch Volmar als Sekretär. Sie selbst bezeichnet sich immer als "ungelehrte Frau", die nur das weiß, was sie in ihrer inneren Schau sieht.
Um 1150 gründete sie, begleitet von vielen Schwierigkeiten, ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen. Hier entfaltete sie ihr reichhaltiges Lebenswerk durch Niederschrift zahlreicher Bücher (siehe Bibliographie), durch eine ausgedehnte Korrespondenz mit vielen einflussreichen und mächtigen Persönlichkeiten ihrer Zeit, durch die Leitung ihres Rupertsberger Klosters und ihrer Zweitgründung, des Klosters Eibingen jenseits des Rheines, das sie wöchentlich zweimal besuchte. Ihr Biograph Wibert von Gembloux berichtet begeistert, dass ihr Kloster sehr zweckmäßig eingerichtet und in alle Arbeitsräume Wasserleitungen gelegt seien. Sie hatte daneben den Ansturm vieler Ratsuchenden und Kranken zu bewältigen. Es werden von ihr zahlreiche Gebetsheilungen berichtet.
Im Alter von 60 Jahren begann sie damit, Missions- und Predigtreisen zu machen, nach Franken, nach Lothringen und Trier, nach Köln und Lüttich, und mit 72 Jahren reiste sie nach Schwaben bis nach Hirsau, Maulbronn und Zwiefalten.
Nach einem sehr belastenden Konflikt mit dem Mainzer Domkapitel starb sie hochbetagt am 17. September 1179 in ihrem Kloster Rupertsberg, schon zu Lebzeiten anerkannt und als Heilige verehrt. Ihre Gebeine ruhen in der Wallfahrtskirche Eibingen; hier wird jährlich an ihrem Sterbetag ein großes Fest gefeiert.
Reste des Klosters Disibodenberg
Heute sind kaum noch bauliche Überreste ihrer Wirkungsstätten erhalten, wie links im Bild die Klosterruine auf dem Disibodenberg. Ihr geistiger Einfluss aber ist gerade heute wieder weit verbreitet, Diese Äbtissin aus dem Mittelalter stellt bei aller Faszination für den modernen Menschen eine Verunsicherung und Herausforderung dar.
Die Theologie der Hildegard von BingenIn ihrer inneren Schau erfährt Hildegard Gott immer als das überhelle, ursprungslose Licht, von dem alle anderen Lichter ihre Leuchtkraft erhalten. In diesem Licht schaut Hildegard die Geheimnisse des ganzen Kosmos. Gottes Licht ist die lebenschaffende und lebenserhaltende Kraft in allem Geschaffenen. "Gottes Thron ist ja Seine Ewigkeit, in der ER allein sitzt, und alle Lebewesen sind gleichsam Funken der Strahlung Gottes."
Im Mittelpunkt des Kosmos aber steht der Mensch, der ein Kosmos im Kleinen ist und in den alle Geschöpfe eingezeichnet sind. So geht "ein Weg vom Herzen des Menschen zu den Geschöpfen." Ihm hat Gott die Verantwortung für die Welt übertragen.
Hildegards KosmosvisionFür diesen Menschen hat Gott das Weltall geschaffen, weil er wusste, dass sein Wort in Jesus Christus Mensch werden soll. Sie sieht dieses Antlitz der Liebe heller leuchten als die Sonne. So gibt die Schau Hildegards dem christlichen Menschen- und Gottesbild eine umfassende, kosmische Dimension und führt sie zugleich auf ihren Ursprung in Christus zurück. Damit passt sie in kein Schema.
Gleichwohl wird immer wieder von verschiedenen Gruppen oder spirituellen Strömungen versucht, Hildegard für eigene Zwecke einzuspannen. Dabei wird ihre Theologie oft auf wenige Aspekte reduziert oder gar entgegen ihrer ursprünglichen Absicht entstellt. Nur wer sich nahe an ihre Originalwerke hält, kann ihr letztendlich gerecht werden, und "wer scharfe Ohren hat, mit innerem Sinn zu hören..."
Die Ganzheitliche Heilkunde der Hildegard von BingenHildegard von Bingen schrieb eine ganzheitliche Heilkunde, die sich einerseits in die sogenannten alternativen Heilverfahren einreiht, andererseits aber weit darüber hinaus geht. Sie ist vergleichbar den traditionellen Heilweisen anderer Kulturen, die in der Behandlung von körperlichen Krankheitssymptomen auch den spirituell-religiösen, den kosmischen, den seelischen und sozialen Aspekt sehen.
Für Hildegard als christliche Mystikerin steht immer der ganze Mensch im Mittelpunkt, der heil werden und sein Heil finden soll. Es geht bei ihr nie allein um die Behebung von äußerlichen Beschwerden sondern immer auch um Erforschung und Behebung von inneren Konflikten, weil sich die Seele immer im Leib ausdrückt. Sie beschreibt, auf welche Weise sich Negativ-Gefühle oder -Gedanken in den verschiedenen Organen auswirken. Dabei können sowohl die Heilkräfte aus der Natur helfen, als auch eine Besinnung auf sich selbst und das Anrufen der Hilfe Gottes. "Gott will dich. Doch du verschließest dich vor ihm. Wenn du willens bist, zu ihm zu eilen, wird er dir helfen."
Die Hildegard-Heilkunde baut auf der Lebenseinstellung auf und schließt die ganze Lebensführung wie Ernährung, richtiges Maß in allen Lebensbereichen und die Freude als die gesundmachendste Kraft mit ein. "Der Mensch baue seinen Leib als ein wohnliches Haus, damit die Seele gern darin wohnt." Der Mensch kann selbstverantwortlich Gesundheit und Wohlbefinden fördern. Nach der mystischen Erkenntnis der hl. Hildegard ist der christliche Glaube eine therapeutische Religion gegen die Angst.
Die Medizin der Hl. HildegardHildegard schrieb ein medizinisches Werk, das "liber simplicis medicinae" - das Buch der einfachen Medizin, heute bekannt unter dem Titel "Die Heilkraft der Natur-Physika", und das "liber compositae medicinae" - das Buch der zusammengesetzten Medizin, heute bekannt unter dem Titel "Heilwissen" - causae et curae.
Sie beschreibt darin die inneren Kräfte der verschiedenen Naturen, die Wesensfeinheiten der Geschöpfe, die sie, nach eigenen Angaben, durch ihre besondere Begabung der "inneren Schau" erkennen und empfinden kann. Bei sicher anzunehmender Kenntnis der zeitgenössischen und antiken Medizin schafft sie ein völlig eigenständiges medizinisches Werk, da sie "aus den tradierten Indikationen nur einige wenige, allerdings sinnvolle Anwendungsbereiche herausgreift und sich bei zahlreichen Drogenbeschreibungen keine Entsprechungen im mittelalterlichen oder antiken Schrifttum angeben lassen." (Irmgard Müller, Medizinhistorikerin)
Die Musik der Hildegard von BingenHildegard schrieb siebzig Lieder, Antiphonen und Hymnen, geschaffen aus ihrer Erfahrung der himmlischen Harmonien, als "Posaunenklang vom lebendigen Licht". "Die ganze Welt ist erfüllt von Klang und jedes Geschöpf hat einen Ton." Es ist ein einmaliges musikalisches Werk, das nicht in eine Stilrichtung eingeordnet werden kann. Vor allem in den USA hat ihre Musik viele begeisterte Bewunderer. Bei der ganz eigenen Art, die Hildegards Denken und Wort auszeichnet, finden wir auch in ihrer Musik ein originelles kunstvolles Werk.
In den vergangenen Jahren haben sich immer wieder verschiedene Gruppen qualifizierter Musiker zusammengefunden, um die Lieder Hildegards getreu ihrer Entstehungszeit aufzuführen. Auch wurden ihre Lieder oder Teile davon vereinzelt mit experimentellen, modernen Arrangements versehen, und so eine interessante Synthese zwischen Mittelalter und heutiger Zeit geschaffen.
Informationen rund um Hildegard im Internetwww.bingen.deInformationen über Sehenswürdigkeiten, das Museum am Strom Hildegard von Bingen, Veranstaltungen
www.disibodenberg.deDer Berg mit imposanten Klosterruinen, der Ort, an dem die hl. Hildegard den größten Teil ihres Lebens verbracht hat, Führungen, Museum und Hofladen.
www.sponheimer-hof.deNaturkostladen mit Nahrungsmitteln, Gewürzen u.ä. nach Hildegard von Bingen; Gästezimmer, Ferienwohnungen, Weinhandlung.
www.hildegard.deJura-Naturheilmittel, Pharmazeutische Fabrik Gollwitzer KG, Nestgasse 2 D-78464 Konstanz
tel +49 7531 31005 fax +49 7531 33403
www.hildegard.atÖsterreiche Hildegard-Gemeinschaft, Hildegard-Naturhaus in A-5232 Kirchberg/Österreich
www.hildegardvonbingen.infoBund der Freunde Hildegards
www.hildegarda.plPolskie Centrum sw. Hildegardy - Polnisches Zentrum der heiligen Hildegard
Hildegard-Praxis mit Sprechstunde und die Bezugsquelle für Hildegard-Mittel und Dinkel-Produkte
Alfreda Walkowska