Der Finger Gottes
3.03.2024
Predigt von Professor May
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Jesus hat einen Stummen geheilt. In ungenauer Ausdrucksweise wird die Stummheit des Besessenen auf den Dämon selbst übertragen. Einige der Augenzeugen führen in ihrer feindlichen Einstellung gegen Jesus die Wundertat, die sie nicht leugnen können, auf einen Bund mit Beelzebul, dem Obersten der Teufel, zurück. Beelzebul ist demnach nur ein anderer Name für Satan. Jesus verteidigt sich gegen diesen unerhörten Vorwurf. Er liefert einen doppelten Vernunftbeweis. 1. Jede Herrschaft zerfällt durch Uneinigkeit. Ein Staatswesen geht durch Bürgerkrieg zugrunde, ein Hauswesen wird durch einen Zwist zerrüttet. Folgerichtig muss das auch bei Satan, welcher der Zusammenfasser aller dämonischen Kräfte ist, der Fall sein. „Wie kann der Satan den Satan austreiben?“ Die Anklage ist absurd. Satan kann nicht durch Jesus die anderen Dämonen austreiben, ohne dadurch seine eigene Herrschaft über die Menschen zu zerstören, gleichsam Selbstmord zu begehen. Das ist so selbstverständlich, dass die Beurteilung der Dämonenaustreibungen Jesu durch die Schriftgelehrten nur aus völliger geistiger Verblendung zu erklären ist. 2. Wer Jesu Kampf gegen Satans Reich mit offenem Auge, nicht mit Hass, betrachtet, muss daraus den Schluss ziehen: Da Satan unmöglich selbst sein eigenes Reich zerstören kann, so muss Jesus der Stärkere sein, der in das Haus, in den Machtbereich Satans eingedrungen ist, ihn überwältigt und ihm seine Habe geraubt hat (Is 49,24). Die Dämonenaustreibungen Jesu sind der offenkundige Beweis, dass Satans Macht gebrochen und die Gottesherrschaft angebrochen ist.
Jesus erhebt den Anspruch, bei seinen Dämonenaustreibungen mit göttlicher Vollmacht zu handeln. Er treibt „durch den Finger Gottes“, das Sinnbild der göttlichen Macht (Ex 8,15; Ps 8,4), die Dämonen aus. Das bedeutet den Anbruch einer Stunde von größter heilsgeschichtlichen Bedeutung: Die Gottesherrschaft ist da. Dieses machtvolle Wort ist für Jesu Selbstbewusstsein aufschlussreich. Er ist nicht bloß der Stärkere, der Satan überwindet, sondern in seinem siegreichen Kampf gegen Satan und die ihm unterstehenden Dämonen reicht (in gewissem Sinne) schon das zukünftige Gottesreich, der künftige Äon, in den gegenwärtigen hinein.
Den Gegnern sagt Jesus, dass sie als Zeugen seines Kampfes gegen Satan nicht neutral bleiben können. „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich. Und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ Er sammelt kraft göttlicher Vollmacht die Herde Gottes um sich. Darum bedeutet Unentschiedenheit schon Zerstreuung der Herde, Gegnerschaft gegen Gott. Wer hat je wie dieser Nazarener gesprochen, aus der Höhe göttlichen Selbstbewusstseins; aus einer Höhe, die keinen Widerspruch kennt und jedes Menschenmaß übersteigt; hört seine Worte! „Wer nicht mit mir ist, den betrachte ich als meinen Feind. Ich lasse mich nicht lau ignorieren. Ich bin der Eckstein, an dem sich die Herzen scheiden. Jede Halbheit ist hier Verrat. Wer nicht mit mir sammelt, ist wie einer, der mich befehdet.“ Jesus beherrscht nicht nur die drei geschöpflichen Bereiche: das Reich der stummen Natur, des Sturmes, der Wellen, der Landschaft; das Reich des lebendigen Menschen in den Krisen körperlicher Krankheit, seelischen Zweifels und auflösenden Todes; das Reich der Toten, die er aus ihren Gefilden in die atmende Wirklichkeit zurückruft. Seine übermenschliche Gewalt greift in das Reich der Geister. Die Stufenleiter zwischen dem endlichen Menschen und dem unendlichen Gott füllen die endlichen reinen Geister. Ihre Seelen sind nicht auf Körper zugeschnitten und von Körpern stilisiert. Sie finden ihr Gleichgewicht in sich selber und sind keines sinnenhaften Werkzeuges bedürftig. Der Nazarener ist Herr auch dieses Reiches. Dabei gibt er zu, dass auch gottverbundenen Menschen in gewissem Umfang Eingang in das Reich der Geister gegeben ist. Ihm aber ist über dieses Reich unbegrenzte Macht gegeben. Er ist der Überstarke, der das bewaffnete Haus des Starken zertrümmert, seine Trophäen nimmt und die Beute verteilt. Die nörgelnden Juden, die solche Macht als seinen Bund mit den Dämonen ausgeben, schüttelt er mit spöttischem Lächeln ab. „Wenn eure Schüler es im Geiste Gottes tun, wie könnt ihr mich des dämonischen Geistes bezichtigen? Wenn ich durch den Finger Gottes die Teufel austreibe, so ist ja wahrhaftig das Reich Gottes zu euch herabgestiegen.“
Man erzählt in den Tälern des Sees Genesareth, es stehe schlimm um Menschen, in die der Dämon zurückkehrt. Man sagt, wenn er ausgetrieben ist, wandert er durch Wüste und Steppe, durch wasserloses Land. Nirgends Heimat, voller Sehnsucht nach dem Gehäuse, in dem er einst souverän geherrscht hat. „Ich will in mein Haus zurückkehren.“ Dieses Haus ist zum Empfang bereit, mit Besen gereinigt, mit Girlanden geschmückt, über der Tür das Transparent: „Herzlich willkommen!“ So geht es im Leben. Der Dämon wird ausgetrieben. Er kehrt zurück. Man öffnet ihm die Tür. Er haust schlimmer denn je. Er bleibt nicht allein. Er nimmt noch sieben andere Geister mit sich, die ärger sind als er. Sie gehen hinein und hausen daselbst. Und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten. Übersetzt in die Gegenwart besagt dies: Das Volk soll wissen, dass es keine Rettung gibt, wenn es immer wieder in die Arme des einmal von Christus Ausgetriebenen zurückfällt. Immer tiefer wird die Verstrickung. Immer dichter die Blindheit der schwankenden Galiläer, die im ersten Jubel den Messias ausrufen und im jähen Temperamentsturz ihn wieder von sich weisen. So ist die Rede des Herrn ein letztes gewissenhaftes Mahnwort an seine Zeitgenossen, der Wühlarbeit der Pharisäer zu trotzen.
Die synoptischen Evangelien sprechen von „unreinen Geistern“, „bösen Geistern“ oder „Dämonen“, die von bestimmten Menschen Besitz ergriffen haben und durch Jesus und seine Jünger aus diesen ausgetrieben werden. Mit dieser dämonischen Besessenheit sind regelmäßig schwere körperliche und psychische Schädigungen der betreffenden Menschen verbunden, wie Stummheit, Taubheit, Blindheit, schwere Lähmungen, Epilepsie, Tobsucht. Dabei werden diese Krankheiten nur als Folge der dämonischen Besessenheit beschrieben und es wird zwischen Besessenheit selbst und Krankheit deutlich unterschieden. Auch werden nicht alle Krankheiten auf dämonischen Einfluss zurückgeführt. Nie werden ferner die Besessenen als sittlich schlechte Menschen geschildert. Sie sind vielmehr die wehr- und hilflosen Opfer satanischer Mächte. Es wird nie gesagt oder auch nur angedeutet, dass die dämonische Besessenheit Strafe für frühere Sünden ist. Es ist auch nie die Rede, dass sie Dämonen ihre Opfer zu sittlich schlechten Taten verführen und ins ewige Verderben stürzen wollen. Sie haben lediglich die Absicht, die Menschen zu quälen. Darum ist Jesu Kampf gegen sie nicht ein Kampf gegen die Sünde. Weil die Dämonen die Gehilfen Satans sind, darum sind sie die Feinde Gottes und der Menschen, und das Unheil, das sie anrichten, widerspricht Gottes Willlen. Die Dämonenaustreibungen Jesu gehören zu seinem Kampf gegen die Satansherrschaft. Das Auffallende an den in den synoptischen Evangelien erzählten Fällen von dämonischer Besessenheit ist ihre große Häufigkeit. Doch sie ist alles andere als verwunderlich. Denn in Jesus von Nazareth ist der stärkste Feind des Dämonenreiches erschienen. Daher bietet sein Herr, der Satan, alles auf, um sich dem entgegenzustellen. Er mobilisiert sein Reich der Dämonen und führt es gegen Jesus ins Feld. In Jesu Behandlung der Dämonen fehlen die sonst üblichen magischen Formeln und Praktiken vollständig. Die Austreibung der Dämonen erfolgt einzig und allein durch den „Finger“ oder „Geist“ Gottes (Lk 11,20), durch Jesu bloßes Machtwort, das von bestimmten Formeln unabhängig ist und unbedingte Wirkung hat.
Kirchliche Lehre ist: Alles außer dem einen Gott ist radikal geschöpflich. Es gibt kein absolutes Urböses, sondern nur ein endliches Böses. Die kirchenamtliche Lehre beschränkt sich auf wenige Punkte: die Lehre von der Existenz endlich geschaffener, durch eigene Schuld böser und verworfener Mächte personaler Art, also auf die Lehre eines Bösen in der Welt, das weder absolut ist noch mit dem menschlich Bösen identisch ist. Die Existenz außermenschlicher böser „Mächte und Gewalten“ personaler Art (Dämonen) in ihrer Wirksamkeit in der Welt ist eine Glaubenswahrheit (D 428 806 894 907 909). Dementsprechend ist die grundsätzliche Möglichkeit diabolischer Besessenheit mindestens theologisch sichere Lehre. Besessenheit ist ein außergewöhnlicher, von Gott zugelassener Einfluss des Teufels über den menschlichen Leib, sei es als mehr von außen kommende Belagerung und Schädigung der physischen und niederen psychischen Kräfte (Umsessenheit), sei es als innere Besitzergreifung des Menschen, die ihn in seiner Eigentätigkeit weitgehend lähmt, aber in seinem Personsein selbst nicht zerstört. Die Besessenheit wird bekämpft durch den Exorzismus. Exorzismus (Beschwörung) ist ein im Namen Gottes (Jesu) an den Teufel gerichteter Befehl, Menschen oder Gegenstände zu verlassen bzw. sich eines schädigenden Einflusses auf sie zu enthalten. Die dem Exorzismus wesentliche Anrufung der Kraft Gottes zeigt, dass er keine Magie ist. Theologisch ist der Exorzismus ein Moment des endzeitlichen Geschehens der Aufrichtung des Reiches Gottes und zugleich Anamnese des eschatologischen Sieges Christi über die Mächte des Bösen. Im Exorzisten wirkt Christus, der göttliche Arzt.
Die Kirche leitet die Vollmacht zum Exorzismus ab vom Auftrag Christi und dem Beispiel der Apostel (Mk 1,25 = Lk 4,35; Mk 16,17). Er ist so alt wie die Kirche. Der Exorzismus war ursprünglich eine charismatische Gabe, die jedem Christen zukommen sollte. Gegen das 3. Jahrhundert wurde er amtliche, einem besonderen Ordo (Weihe) anvertraute Handlung und Befugnis. Im alten Ritus der Priesterweihe war der Exorzistat die zweite kirchliche Weihestufe. Die Ordination geschah dadurch, dass der Bischof dem Ordinanden ein Buch überreichte, das den Exorzismus enthielt. 1972 wurde der Exorzistat (als eigene Weihestufe) ersatzlos gestrichen. Die Vornahme von Exorzismen wurde jedoch nicht aufgegeben. Der Exorzismus wird vollzogen durch sinnbildliche Handlungen (Aushauchen, Ausspucken nach Westen, Wegstoßen, Handausstrecken, Handauflegung, Kreuzzeichen). Zum Exorzismus gehört sodann eine Wortgestalt: Anrufung des Namens Gottes (oder Christi), direkte Anrede an den Teufel, dem im Namen Gottes gedroht wird, Ausfahrbefehl.
Noch jetzt ist der dreifache Exorzismus im Ritus der Kindertaufe üblich, ein Überrest des Exorzismus, der vorgenommen wurde bei der Aufnahme ins Katechumenat und bei der Taufe. Das Rituale Romanum enthält auch einen Exorzismus für die Taufe Erwachsener. Der große Exorzismus an wirklich Besessenen darf nur nach sorgfältiger Prüfung, ob Besessenheit und nicht etwa ein anormaler Zustand vorliegt und nur mit Erlaubnis des Bischofs vorgenommen werden. Außerhalb der Taufe wird im römischen Ritus der sog. kleine Exorzismus für circumsessi und für Sachen angewandt, so bei der Weihwasserweihe und bei der Salzweihe, bei der Weihe der hl. Öle am Gründonnerstag, die Anrufung des hl. Michael in den Muttergottesgebeten nach der hl. Messe. „Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe. Gegen die Bosheit und die Nachstellungen des Teufels sei du unser Schutz. Gott gebiete ihm, so bitten wir flehentlich. Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen, stoße den Satan und die anderen bösen Geister, die in der Welt umherstreifen, um die Seelen zu verderben, durch die Kraft Gottes in die Hölle.“
Satan war nie verlegen, wie er Menschen in seine Netze treiben kann. Er kennt die böse Begierlichkeit, d.h. den aus der Erbsünde stammenden, auch im Gerechtfertigten bleibenden selbstsüchtigen Drang nach den vergänglichen Gütern, und er weiß sie zu reizen, anzustacheln und anzuheizen. Durch die sinnliche Vorstellung erregt Satan die Versuchung zur Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens. Im Zeitalter der sexuellen Freizügigkeit sind Produkte der Popkultur neben esoterischen Heilsangeboten ein wichtiges Einfallstor für Dämonen. Die Kirche ist weder blind noch taub gegenüber der Aktivität Satans. Sie hat weder die Besessenheit vergessen noch ihre Bekämpfung aufgegeben. In Rom werden Kurse für Exorzisten angeboten. In Polen ist die Zahl der Exorzisten von vier auf 120 angestiegen. In Stettin wurde ein Zentrum für Exorzismus eingerichtet. In Tschenstochau treffen sich alle zwei Jahre Exorzisten aus aller Welt. Die polnischen Bischöfe wissen, warum sie Exorzisten aufstellen. Etwa 3 Millionen ihrer Landsleute nehmen die okkulte Hilfe von Medien und Wahrsagern in Anspruch. Der Apostel Petrus mahnt die Christen seiner Zeit: Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe, und sucht, wen er verschlinge (1 Petr 5,8). Diese Mahnung ist heute so aktuell wie gestern.
Amen.