Autor Thema: FÜR JEDEN NEUEN TAG  (Gelesen 83277 mal)

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« Antwort #64 am: 23. Januar 2016, 13:04:41 »
BEGRENZT

Die Grenze ist der eigentliche Ort der Erfahrung.

Paul Tillich



Der Rabbi von Alexander faßte einmal einen wichtigen
Beschluß. Da die Erde voller Streit und Leid war, beschloß er,
gleich am nächsten Tag damit zu beginnen, die ganze Welt zu
verbessern.
Als er aufstand, erschien ihm das geplante Projekt doch etwas
zu hoch gestochen, und er beschloß, nur das Land, in dem er
lebte, in Ordnung zu bringen. Alsbald jedoch schien ihm  auch
dies eine schwere Aufgabe. Vielleicht genügt es, so dachte
er, wenn ich meine Heimatstadt zu einer besseren Moral ver-
helfe. Oder die Gasse, in der ich lebe, oder wenigstens das
Haus, in dem ich wohne, besser mache.
Als der Rabbi einsah, daß es ihm wahrscheinlich nicht einmal
gelingen werde, seine Familie zur Besserung zu bewegen, faßte
er den endgültigen Beschluß: "Also muß ich halt mit mir selbst
beginnen."


Man muß vom Menschen alles verlangen, wozu er fähig ist,
und ihn dabei doch so akzeptieren, wie er ist.

Elie Wiesel


Ein Vogel im Käfig weiß im Frühling sehr wohl, wozu er taugt,
weiß sehr wohl, daß er etwas tun kann, aber er kann nichts tun,
was ist es doch? Er kann sich nicht daran erinnern. Dann kommen
ihm unbestimmte Vorstellungen. Er sagt sich: "Die anderen bauen
Nester und zeugen Junge und ziehen die Brut groß."
Dann prallt er mit dem Kopf an die Stäbe des Käfigs. Und der
Käfig bleibt.Und der Vogel ist wahnsinnig vor Schmerz.

Vincent van Gogh



Dein Kerker bist du selbst.
Die Welt, die hält dich nicht,
du selber bist die Welt,
die dich in dir mit dir
so stark gefangen hält.

Angelus Silesius



Wenn du gleich hundert Jahre pflügtest und aller Welt Arbeit
tätest, so könntest du doch nicht einen Halm aus der Erde her-
vorwachsen lassen, sondern Gott tut alles ohne alle deine
Werke. Während du schläfst, macht er aus dem Körnlein einen
Halm und viele Körner darauf.

Martin Luther



Wer überall sein will, ist nirgends.

Friedrich Schwanecke



Oft hat man Grund zu sagen: "Der Teufel ist los." Nie heißt
es: "Gott ist los."
Halten ihn die Kirchen so sicher unter Verschluß?

Kurt Marti


« Letzte Änderung: 23. Januar 2016, 15:23:09 von amos »
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« Antwort #65 am: 29. Januar 2016, 17:33:58 »

GEMEINSAM

Vergiß nicht, wir reisen gemeinsam!



Ein Schotte sitzt gut gelaunt in der Eisenbahn. "Sie fahren in
Urlaub?" fragt sein Gegenüber. "Ich bin auf Hochzeitsreise."
"Und Ihre Frau?" "Ist daheim. Sie kennt die Gegend schon."



Die Einsamkeit hat mich gelehrt, daß das Zusammensein mit
anderen etwas ziemlich Schönes ist, und das Zusammensein
mit anderen hat mich gelehrt, daß die Einsamkeit etwas ziem-
lich Schönes ist, und so habe ich viel Abwechslung und ein
ziemlich schönes Leben.

Günter Radtke



Weder Ameisenstaat noch schrankenloser Egoismus sind die
Lebensform der Zukunft, sondern einzig die persönliche Ent-
faltung im Dienst an der Gemeinschaft hat Zukunft.

Teilhard de Chardin



Dort, wo die Nächstenliebe wohnt, ist die Menschheit eine
Familie, und es kann dort niemand glücklich sein, wenn nicht
alle es sind.

Robert Walser
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« Antwort #66 am: 05. Februar 2016, 11:39:23 »
BEHUTSAM

Wer mit sich selbst nicht behutsam umgeht, wem kann der
gut sein? Denke also daran: Gönne dich dir selbst.



Unter lautem Geräusch, Bremsenkreischen und Knirschen
der Gummireifen kam der große Laster zum Stehen. Ich
lief ihm auf der Straße entgegen. Warum hatte der Fahrer
so plötzlic gehalten? Ich sah ihn aus seinem Wagen klettern,
ein großer, starker Mann, Fernfahrer. Mit schnellen Schritten
trat er vor den Kühler, bückte sich und hockte vor etwas nieder.
Da ich vermutete, er habe eine Panne, ging ich zu ihm, um ihm
behilflich zu sein. Der Mann sah mit einem lächelnden Gesicht
zu mir auf. "Beinahe  hätte ich doch diesen kleinen Kerl über-
fahren", sagte er und deutete auf einen Igel. Dieser saß see-
lenruhig vor dem linken Vorderrad des Lasters und beäugelte uns
vergnügt. Der Fahrer schaute eine Weile belustigt auf den klei-
nen Schelm, dann trug er ihn sachte weg.



Wir haben nicht zu wenig Zeit,
aber wir verschwenden zu viel davon.

Seneca



Der Wind, den es mir zuweht
aus milderem Land,
streicht mir über die Wangen,
so sanft, als habe er unterwegs
und sehr weit von hier
deine Lippen berührt im Vorübergehn
und trüge nun ganz behutsam
deinen Atem herüber zu mir.

Lothar Zenetti



Nimm dir Zeit, den Himmel zu betrachten.
Suche Gestalten in den Wolken.
Höre das Wehen des Windes
und berühre das kalte Wasser.
Gehe mit leisen, behutsamen Schritten.
Wir sind Eindringlinge,
die von einem unendlichen Universum
nur für eine kurze Zeit geduldet werden.

Indianische Weisheit



Schließe mir die Augen beide
mit den lieben Händen zu!
Geht doch alles, was ich leide,
unter deiner Hand zur Ruh.
Und wie leise sich der Schmerz
Welle um Welle schlafen leget,
wie der letzte Schlag sich reget,
füllest du mein ganzes Herz.

Theodor Storm
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« Antwort #67 am: 12. Februar 2016, 15:39:14 »
Wesentlich

Mensch, werde wesentlich.
Denn wenn die Welt vergeht,
so fällt der Zufall weg.
Das Wesen, das besteht.

Angelus Silesius



Bald werden wir alle sterben, und alles Andenken wird dann
von der Erde geschwunden sein, und wir selbst werden für eine
kleine Weile geliebt und dann vergessen werden. Doch die
Liebe wird genug gewesen sein; alle diese Regungen von Liebe
kehren zurück zu der einen, die sie entstehen ließ. Nicht ein-
mal eines Erinnerns bedarf die Liebe. Da ist ein Land der
Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen
ihnen ist die Liebe - das einzige Bleibende, der einzige Sinn.

Thornton Wilder



Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von
dir erwartet: nichts als Recht üben und Freundlichkeit lieben
und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.

Micha 6,8



Blicke in dich! In deinem Inneren ist eine Quelle, die nie ver-
siegt, wenn du nur zu graben verstehst.

Marc Aurel



Ein König hatte einen Sohn, der stets unzufrieden auf dem
Balkon saß und sich langweilte. Er wußte selbst nicht, was ihm
fehlte. Die Weisen  rieten: "Majestät, sucht einen ganz zufrie-
denen Menschen und vertauscht sein Hemd mit dem eures
Sohnes!" Alle Beamten wurden ausgesandt, einen solchen
Menschen zu entdecken - vergebens!
Da stößt der König bei der Jagd auf einen fröhlich singenden
Arbeiter im Weinberg. Der gesteht: "Ich bin restlos zufrieden,
möchte weder mit Papst noch König tauschen. "Der König bit-
tet: "Mein Sohn ist sterbenskrank. Er braucht als Medizin das
Hemd eines zufriedenen. Ich werde dir jeden Preis zahlen."
"Majestät, da kann ich nicht dienen - ich habe kein Hemd!"

Italienisches Märchen



Ich habe in meinem Leben viele kluge und gute Bücher gele-
sen. Aber ich habe in ihnen  allen nichts gefunden, was mein
Herz so still und froh gemacht hätte, wie die vier Worte aus
dem 23. Psalm: "Du bist bei mir."

Immanuel Kant
« Letzte Änderung: 12. Februar 2016, 15:49:57 von amos »
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« Antwort #68 am: 18. Februar 2016, 12:40:04 »

Begeistert

Auch wer begeistert ist, darf nicht vergessen:
Erfolg ist keiner der Namen Gottes.



Was hilft dir alles Gefühl, wenn dir nicht ein klarer
geweckter Verstand weite Ausblicke eröffnet, wenn
du nicht an seiner Hand in Tiefen gelangst, die dir
sonst ewig verschlossen geblieben wären? Nein,
Gefühl und Verstand gehören aufs engste zusammen.
Aber das Gefühl ist das Größte von ihnen.

Christian Morgenstern




Wenn wir auferweckt werden, dann werden wir sehen, was wir
jetzt geglaubt haben. Wir sind wohl zu heiser und haben nicht
die rechte Stimme, dennoch wollen wir mitbrummen, was wir
können: Ehre sei Gott!

Martin Luther



Eine junge und schöne Kirche, manchmal träume ich davon,
eine tanzende Kirche mit Blumen im Haar,
ein großes, fröhliches Kind,
himmelhochjauchzend verzückt, mit geschlossenen Augen,
verrückt vor Liebe in deinen Armen, Jesus,
an dich geschmiegt, die Schönste von allen.
Manchmal sehe ich sie schon mit meinen Augen,
diese junge verliebte Kirche, in all diesen großen Kindern
und in diesen ausgewachsenen Leuten,
die immer noch ein bißchen wie Kinde sind.

Lothar Zenetti
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« Antwort #69 am: 26. Februar 2016, 13:20:20 »
UNVERHOFFT

Die unverhofften Augenblicke unseres Lebens
zählen oft zu den schönsten.



Ich blieb mit den Kindern allein. Mein Mann ging mit einer
andern Frau weg. Die Leute sagten mir: "Du mußt vorwärts
gehen." Ich habe mir Arbeit gesucht und gemerkt, daß ich
allein ohne Mann vorankomme. Ich kümmerte mich um
meine Kinder. Ich schickte sie in die Schule. Ich versuchte,
ihnen mehr Liebe zu geben, als mein Mann ihnen geben
wollte. Ich arbeitete und arbeitete.
Eines Abends sah ich ihn kommen. Er kam zurück. Ich fühlte
großes Mitleid mit ihm. Er kam rein, setzte sich schweigend an
den Tisch, als ob er müde wäre, niedergeschlagen, reumütig.
Ich schaute ihn nicht an.
Er sagte zu mir: "Rosa, ich komme nach Hause zurück." Ich
schaute ihn nicht an, als ich ihm die Tasse Tee anbot.

Aus Chile



Aufstehen, Straßenbahn, vier Stunden Büro oder Fabrik,
Essen, Straßenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen Schlafen,
Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag,
immer derselbe Rhythmus - das ist sehr lange ein bequemer
Weg.
Eines Tages aber steht das "Warum" da, und mit diesem Über-
druß, in den sich das Erstaunen mischt, fängt alles an.

Albert Camus


Simon Silberfisch hat die Gebote sein Leben lang großzügig
ausgelegt. Sein Freund bezweifelt, daß er in den Himmel
kommen wird. "Werde ich kommen", behauptet Simon.
"Ich werde gehen zur Himmelstür, werde sie zumachen,
werde sie aufmachen und werde sie zumachen.
Dann wird kommen der heilige Petrus und schreien:
"Raus oder rein!" Na, geh ich hinein."
« Letzte Änderung: 27. Februar 2016, 11:41:33 von amos »
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« Antwort #70 am: 17. März 2017, 16:00:36 »
Verändert


Schön ist alles, was man mit Liebe betrachtet.

Christian Morgenstern



Als ich Gefangener war in deinem Haus und die Türen noch
verschlossen waren, plante mein Herz ständig zu fliehen.
Jetzt, da du die Türen und Fenster geöffnet hast, bleibe ich.

Rabindranath Tagore



Verhältnisse verändern ist entweder ein mühsames oder ein
gewaltsames Beginnen . Wer sich gegen die Gewalt entschei-
det, muß die Mühsal wählen. Wer die Mühsal scheut, hat sich
schon für die Gewalt entschieden.

Friedrich Schwanecke



Niemand hat heute eine Vision. Niemand sagt, was werden
soll und wo es langgeht. Das geistige Leben ist durch Ratlo-
sigkeit und beklemmende Leere charakterisiert.
Es muß doch möglich sein, die marktwirtschaftlichen Struk-
turen so zu ergänzen, daß die Menschen veranlaßt werden,
sich menschlich zu verhalten und nicht wie Raubtiere nach
Beute zu gieren.

Marion Gräfin Dönhoff



Da habe ich einen gehört,
wie er aufseufzte: "Du liebe Zeit!"
Was heißt da "Du liebe Zeit"?
"Du unliebe Zeit", muß es heißen.
"Du ungeliebte Zeit!"
von dieser Unzeit, in der wir
leben müssen. Und doch:
Sie ist unsere einzige Zeit,
unsere Lebenszeit.
Und wenn wir das Leben lieben,
können wir nicht ganz lieblos
gegen diese unsre Zeit sein.
Wir müssen sie ja nicht genau so lassen,
wie sie uns traf.

Erich Fried
« Letzte Änderung: 17. März 2017, 16:03:13 von amos »
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