IX.
Meide die Verschlossenheit!
„Das Leben,“ sagt eine amerikanische Schriftstellerin, „besteht aus zwei Zuständen, aus Sprechen und Zurückhalten, und jedes hat seine Pflichten. Liebe, Freude, Hoffnung, Vertrauen, Mitgefühl sollen wir kundgeben, Neid, Zorn, Bosheit, Rache, Unfreundlichkeit sollen wir zurückhalten und unterdrücken.“ Aber es gibt Eheleute, die den Fehler begehen, die Zurückhaltung auch auf dasjenige auszudehnen, was kundgegeben werden soll; sie denken nicht daran, das diese Verschlossenheit eine glückliche Ehe unmöglich macht. Ein wahres Glück kann nur in den Familien sein, wo die Eheleute aufrichtig und offen gegeneinander sind, wo der gegenseitigen Liebe und Achtung, der Freude und dem Mitgefühl offener Ausdruck gegeben wird.
Christliche Gattin, meide daher gegen deinen Mann alle Verschlossenheit. Erkenne mit Freude und Dankbarkeit seine Sorgen und Mühen für die Familie an. Teile liebevoll mit ihm Freud und Leid, Hoffnung und Enttäuschung. Sei gegen ihn in allem offen und aufrichtig; gib ihm Rechenschaft über deine eigenen Arbeiten, deine Ausgaben, deine Haushaltung; suche ihm nichts zu verhehlen, sage ihm alles, was dazu beitragen kann, den Frieden und die Eintracht zu bewahren, sonst sind Mißverständnisse und Unfriede unausbleiblich; dein Mann muss überzeugt sein, dass er unbedingt auf dich bauen kann.
X.
Verabscheue die Tadelsucht und die Unduldsamkeit!
Ein gefährliches Spiel der Eheleute ist es, wenn der eine am andern witzelt, spöttelt, tadelt, wenn er auch in der harmlosesten Absicht die Schwächen oder Fehler oder Übereilungen desselben zum Gegenstande seiner Witzeleien macht, namentlich noch, wenn es geschieht vor einem Dritten. Es beleidigt immer, weil sie der schuldigen Rücksicht und Liebe ganz widerstreben, um so mehr, als der Witz oder Spott oder Tadel vom Munde desjenigen kommt, mit dem man durch die Heiligsten Bande verknüpft ist. Und wie oft wird in dieser Beziehung gefehlt!
Hat der Mann zum Beispiel etwas verloren, zerbrochen, zu teuer gekauft oder zu wohlfeil verkauft, so sagt die Frau ironisch: „Hab ich etwas zu bewahren, so geb ich es nur meinem Manne, der verliert oder zerbricht es nicht; auch in An- und Verkauf hat er Verstand und ist er geschickt; nie wird er zu teuer oder zu billig verkaufen, und so weiter.“ Wenn solche oder ähnliche Sticheleien bei jeder Gelegenheit und sogar vor Fremden wiederholt werden, so wird dieses auch dem sanftmütigsten Manne unerträglich werden. Die kluge, verständige Frau wird sich daher vor diesem lieblosen Tadel in acht nehmen. Selbst wenn es sich nach ihrer Ansicht um etwas Wichtiges, aber doch Geschehenes handelt, so wird sie es liebevoll zu vergessen suchen und nach dem bekannten Sprichwort verfahren: „Was man nicht kann ändern, muss man lassen schlendern,“ da ja Geschehenes nicht ungeschehen gemacht werden kann.
Die Gattin muss sich ferner hüten, bei kleinen Mißhelligkeiten sich soweit zu vergessen, dass sie ihrem Gatten droht oder Worte und Ausdrücke gegen ihn gebraucht, die ihn erniedrigen. Wird dieses auch zuerst schonend überhört, mit Schweigen oder Lächeln verziehen, so wird es doch nicht so leicht vergessen, und es lockert Anhänglichkeit, Achtung und Liebe. Auch soll die Frau niemals ihre Mißstimmung, Erbitterung, ihren Groll oder Ärger gegen ihren Mann durch liebloses Tadeln auslassen, wenn sie von anderswoher in diese Gemüts-stimmung gebracht worden ist; es ist eine leider alltägliche Erfahrung, dass Eheleute ihre inneren Erbitterungen über andere Personen gegeneinander auslassen, weil sie dieselben nicht an Fremden, die sie dazu brachten, zum Ausdrucke kommen lassen dürfen. Es ist aber ohne allen Zweifel unliebsam und ungerecht, wenn die Gattin ihren Gatten zum Blitzableiter ihrer bösen Laune und ärgerlichen Stimmung durch liebloses Tadeln macht. Deshalb verabscheue die Tadelsucht!
Nicht weniger gefährlich als die Tadelsucht ist die Unduldsamkeit. Die Unduldsamkeit gegen die Eigentümlichkeiten, Unvollkommenheiten und Fehler des anderen Eheteiles ist eine der häufigsten Ursachen der unglücklichen Ehe. Dagegen liegt in dem gegenseitigen Verzeihen, Nachgeben und Zuvorkommen, in dem „Ineinanderschicken“ gleichsam eine Kraft des Glückes für Eheleute, und nur so können Gatten miteinander glücklich sein. Beide haben nämlich ihre kleineren oder größeren Eigentümlichkeiten, Unvollkommenheiten und Fehler. Daher werden sie nur dann miteinander glücklich sein können, wenn sie sich ineinander schicken, sich nichts in Bitterkeit und Hass nachtragen, sondern immer in Sanftmut und Geduld einander alles schnell und gern verzeihen.
Diese Nachsicht verlangt auch schon die Gerechtigkeit. Denn wie ein jeder wünscht, dass man mit seinen eigenen Fehlern Nachsicht und Geduld habe, so verlangt es schon die Gerechtigkeit, dass man dieses auch mit den Fehlern anderer tue, und je näher einer dem andern steht, desto mehr ist man zu dieser Nachsicht verpflichtet. Ohne allen Zweifel gilt somit für Eheleute an erster Stelle die Ermahnung des Heiligen Paulus: „Der eine trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal. 4, 2.)
Und wäre auch einmal das Blut in Aufwallung geraten und der eine heftig gegen den andern geworden, so sei damit die Sache abgetan, kein Zwist bleibe zwischen beiden unbeendigt und unversöhnt, man lasse die Sonne nicht über den Zorn untergehen. Sofort vergebe man sich gegenseitig Unbill, Hitze, Heftigkeit, Übereilung, und denke später an das Vorgefallene auch nicht im geringsten mehr. Ist ein Fehler einmal bereut, ist der Fehlende anders geworden, so darf man ihm denselben nie mehr, auch nicht mit einer Silbe vorwerfen; sonst ist an keinen ehelichen Frieden und eben deshalb auch an kein eheliches Glück zu denken. Sehr oft fehlt hierin gerade die Gattin. Mancher Mann kommt nur deshalb zum Trunke und Spiele und oft noch zu schlimmeren Dingen, weil seine Frau zu Hause ihm das Leben durch mürrisches und zänkisches Wesen und unvernünftiges „Predigen“ verbittert. Dass unter solchen Verhältnissen und Umständen eine rechthaberische, zänkische und streitsüchtige Frau zuletzt auch von Mißhandlungen des gereizten Mannes zuweilen nicht verschont bleibt, ist sehr leicht zu begreifen.
Eine Frau ging einst zu einem Einsiedler, der im Rufe eines Wuntertäters stand. Nachdem sie ihm ihr Leid geklagt, insbesondere die grausame Behandlung, die sie täglich von ihrem Manne zu erdulden hatte, bat sie ihn um Rat und das rechte Heilmittel. Der Einsiedler hatte schweigend zugehört, ging dann in seine Zelle und brachte ein Krüglein Wasser herbei und sagte: „Dies ist das rechte Mittel. Nimm einen Schluck jeden Abend, wenn der Mann ins Haus tritt, und behalte den Schluck solange im Munde, als du nur kannst; in kurzer Zeit wird dein Mann dich in Ruhe lassen.“ - Die Frau ging und tat nach der Anweisung des Einsiedlers, und der gute Erfolg blieb nicht aus. Der Mann wurde ruhig und schlug die Frau nicht mehr. Überfroh hierüber, eilte sie deshalb zum Einsiedler, ihm zu danken und mehr von diesem kostbaren Wasser zu erbitten. „O,“ sprach der Einsiedler, „nimm das Wasser nur aus deinem Brunnen, halt es nur gut im Mund, dann kannst du nicht schelten und widersprechen, sondern musst stillschweigen, und das macht, dass dein Mann sich auch stillhält und nicht aufbraust.“
Christliche Gattin, lerne von dieser Frau schweigen und dich fügen und deinem Gatten nie zu widersprechen, wenn er gereizt und aufgeregt ist. Sei überzeugt, dass nur durch Liebe, Versöhnlichkeit und Nachgeben, aber keineswegs durch Zank, Unduldsamkeit und Trotz der eine Eheteil den andern auf bessere Wege bringen kann. Biete daher deinem fehlenden Manne liebevoll die Hand, um ihn von seinem Irrtum, seinen Unvollkommenheiten und Fehlern zurückzuhalten. Stürmt dein Mann, so wirst du als verständige Gattin schweigen, weil du weißt, dass bei der Aufregung deine Vorstellungen keinen Anklang und Annahme finden; du wirst selbst Härte und unverdienten Vorwurf mit Geduld ertragen, um nicht durch Widerspruch die Erregtheit oder Erbitterung deines Mannes noch zu vergrößern. Und was wird die Folge einer solchen Handlungsweise sein? Dein Mann wird bald zur ruhigen Besonnenheit zurückkehren, er wird sich seiner Lieblosigkeit gegen dich erinnern, sich schämen und sich in Zukunft vor einem ähnlichen Fehler hüten. Auch wird er gegen deine Fehler und Unvollkommenheiten nachsichtiger und aus Dankbarkeit selbst da zum Nachgeben bereit sein, wo du im Unrecht wärest.
Noch wirksamer als nachgeben ist das gegenseitige Zuvorkommen. Liest du die Wünsche des andern in dessen Augen und erfüllst sie mit Güte und Liebe, bevor der Gatte es erwartet, so erhält die geringfügigste Kleinigkeit einen hohen Wert für denselben, und er wird die Gabe mit Liebe zu erwidern suchen. Dieser gegenseitige zärtliche Wettkampf, es dem andern in Liebe und Gunst zuvorzutun, macht die Eheleute glücklich.
Christliche Gattin, du wünschest nichts sehnlicher, als mit deinem Gatten in Frieden zu leben; daher fliehe immer sorgfältig die Tadelsucht und die Unduldsamkeit, welche den Familienfrieden und das Familienglück vollständig zerstören!
Fortsetzung folgt!