Liebe Leser/innen!
Pfarrer Christian Sieberer (
http://www.pfaffenheini.com/) hat einen weiteren anschaulichen Beitrag zum Thema
"Wie geht es heute einem „ganz normalen” Pfarrer in einer „ganz normalen” Pfarre, für den der heilige Pfarrer von Ars Vorbild und Norm ist", bei kath.net veröffentlicht.
Teil 8Der Dialogprozess der AutofahrerWie wir im 6. Teil gesehen haben, ist es meist nur eine Frage der Zeit, wann der Aufstand der bisherigen „Elite” der ganz normalen Pfarre gegen den neuen, ganz normalen Pfarrer beginnt, ob nach ein paar Wochen, Monaten oder Jahren. Der Hauptvorwurf wird immer und überall derselbe sein: „Du spaltest die Pfarre”.
Der 7. Teil wollte darauf hinweisen, dass sich der Pfarrer auf der Anklagebank in guter Gesellschaft befindet, denn auch Jesus von Nazareth, die ersten Christen in Rom, der heilige Pfarrer von Ars und auch der selige Papst Johannes Paul II. und sein Nachfolger Papst Benedikt XVI. sind bekannt dafür, dass sie immer und überall für Spaltung sorgen.
Nun sollen drei kleine, harmlose Geschichtchen das bisher Gesagte weiter verdeutlichen.
1. Eine Schule und ihr DirektorEs war einmal ein Schuldirektor, der leitete eine große Schule mit tausend Schülern in dreißig Klassen und hundert Lehrern. Er war ein guter Mensch und von der Sinnhaftigkeit einer Schule überzeugt. Selbst war er natürlich auch einmal in die Schule gegangen, hatte danach aber nur kurz als Lehrer gearbeitet und schon bald in die Lehrerausbildung gewechselt. Niemals in seinem Leben war er Klassenvorstand gewesen.
Sein Vorgänger als Direktor war ganz anders gewesen, insbesondere hatte er die Schulordnung selbst genau beachtet und sie mit großer Autorität gegen Eltern, Lehrer und Schüler durchgesetzt. Nach jahrelangem Mobbing von allen Seiten hatte ihn die Schulbehörde zum frühesten möglichen Zeitpunkt in Pension geschickt.
Seitdem war diese Schule ihrem Selbstverständnis nach etwas ganz Besonderes. Hier sollten sich vor allem alle wohlfühlen, dann würden sie die notwendigen Leistungen fast von selbst erbringen.
Die angeblich schlimmen Zustände, die die Lehrer in ihrer eigenen Schulzeit und unter dem früheren Direktor erlebt hatten, und die sie immer wieder in den grauesten Farben schilderten, sollten endgültig der Vergangenheit angehören.
Unter diesen Voraussetzungen ist es leicht zu verstehen, dass Tag für Tag kleinere Verstöße gegen die Schulordnung bewusst übersehen wurden. Zu spät Kommen, nicht gemachte Hausübungen, kleine Rangeleien, freche Bemerkungen, etc. gehörten einfach dazu.
Im Laufe der Zeit wurden diese Abweichungen zu einem liebgewonnenen Bestandteil des Schullebens. Alle fühlten sich wohl, denn auch die Lehrer mussten nicht mehr pünktlich im Unterricht sein, die Hausübungen reduzierten sich, weil sie immer öfter nicht gemacht wurden, und der Umgangston entwickelte sich immer kumpelhafter. Vor Schularbeiten und der Matura war es üblich, dass die Lehrer den Schülern kleine Hinweise gaben, sodass nach außen hin kein Leistungsabfall zu erkennen war.
Die Rangeleien zwischen den Schüler gewannen an Brutalität, wurden aber als Ausdruck ihrer außergewöhnlichen Fröhlichkeit und Kampfsportlichkeit verstanden.
Jedes Jahr feierte die Schule mehrere Feste, eines davon ganz besonders groß: Den Tag der Amtsübernahme des Direktors, des gefeierten Helden der ganzen Gemeinschaft, des Garanten für eine heile, ja geradezu heilige kleine Schulwelt. In dieser Rolle gefiel er sich auch selbst sehr gut, mit ein bisschen Lob für seine unschätzbaren Verdienste konnte man bei ihm nahezu alles erreichen.
Das Leben war harmonisch, bis eines Tages ein neuer Lehrer in die Schule aufgenommen wurde. Auch er war von der Sinnhaftigkeit von Schule überzeugt und fachlich qualifiziert, doch gab es einen großen Unterschied. Er kam aus einer anderen Schule, die ausgezeichnet funktionierte, obwohl sich dort alle an die Schulordnung hielten.
Zufriedene Eltern, Lehrer und Schüler gab es auch dort, und dennoch kamen alle pünktlich, die Hausübungen wurden selbstverständlich gemacht, schwächere Schüler vor Raufbolden in Schutz genommen und an Hinweise vor Schularbeiten und Matura nicht einmal gedacht.
Jeder weiß, wie die Geschichte für den neuen Lehrer ausgehen musste... Und wenn er nicht entlassen wurde, dann mobbt man ihn noch heute. Von oben, unten und von der Seite.
2. Ein Orchester und sein DirigentDer alte Dirigent eines Orchesters war aus Krankheitsgründen zurückgetreten, nachdem er das Ensemble jahrelang mit dem einfachen System geleitet hatte: „Spielt, wie ihr wollt.”
Wer meint, dies könne nicht funktionieren, übersieht, dass eine Gemeinschaft immer von jemandem geleitet wird, sei es nun vom legitimen Leiter oder von einem illegitimen Krypto-Leiter.
Auch hier hatte sich eine Persönlichkeit ohne jegliche Legitimation zur Leitung durchgesetzt, und zwar typischerweise jemand, der trotz aller Bemühungen selbst niemals Dirigent geworden war.
Der Krypto-Leiter betonte sogar ständig, dass er nicht der Leiter sein wolle, aber dass manche Dinge aufgrund der Entscheidungsschwäche des Dirigenten von anderen erledigt werden müssten. Diese enorme Demut machte ihn bei allen anderen endgültig zum Helden.
Als nun ein neuer, junger Dirigent seine Tätigkeit begann, fand er neben viel Gutem auch einige Kuriositäten vor. Mozart wurde grundsätzlich mit einem zusätzlichen Saxophonisten gespielt, der mit seinen Improvisationen den Werken angeblich eine ganz spezielle Note gab.
Der neue Dirigent war damit nicht einverstanden, und schon war der Aufstand perfekt. Seine sture, autoritäre Haltung konnte niemand verstehen, dieses Festhalten an veralteten Formen, diesen Mangel an Toleranz, das beharrliche Negieren von Gefühlen und Kreativität und das völlige Fehlen der Wertschätzung jahrelanger Bemühungen hochverdienter Stützen des Ensembles. Würde Mozart heute leben, hätte er garantiert alle seine Werke mit Saxophon komponiert…
Die Orchesterleitung beschloss daraufhin, ein Mediationsverfahren einzuleiten, als besonders geeignete Mediatoren kamen nur zwei in Betracht: Ein alter Dirigent und ein junger Saxophonist.
3. Der Dialogprozess der AutofahrerUnd dann waren da noch zwei Gruppen von Autofahrern, die einen hielten sich an das Geschwindigkeitslimit, die anderen nicht.
Die für die Überwachung der Geschwindigkeit zuständigen Organe waren zu faul, zu feig oder zu harmoniebedürftig, um die einen vor den anderen zu schützen und die Ordnung im Straßenverkehr zu gewährleisten.
Eines Tages hatten diese genug. Über das ganz, ganz böse und verwerfliche Internet formten sie eine Verschwörungsgruppe und tauschten ihre Gedanken über ein völlig nebensächliches Thema aus: Die Einhaltung des Geschwindigkeitslimits.
Dann versuchten sie sogar mit so genannten Gesprächen, die um Harmonie zwischen allen Autofahrern bemühten Aufsichtsorgane unter Druck zu setzen. Ungeduldig wie sie waren, wollten sie nicht einmal ein paar Jahrzehnte auf eine Umsetzung der schönen Versprechungen warten.
Sie schrieben daher Briefe an die Straßenaufsichtsbehörde und denunzierten dort in Stasi-Manier die engagierten, glücklichen Schnellfahrer und die toleranten, weltoffenen Aufsichtsorgane.
Diese hatten schließlich endgültig genug von den ständigen Märchen über eine angebliche Spaltung zwischen den Autofahrern, daher setzten sie einen Dialogprozess in Gang.
Die Raser durften dort voll Freude erzählen, wie schön und erfrischend das Schnellfahren sei und forderten, dass endlich alle Geschwindigkeitslimits, an die sich sowieso niemand halten würde, und die man keinem modernen Menschen verständlich machen könne, abgeschafft werden sollten.
Jeder mündige Autofahrer könne aufgrund seines Gewissens selbst entscheiden, welche Geschwindigkeit für ihn und seine ganz speziellen Bedürfnisse die richtige sei.
Die Aufsichtsorgane freuten sich über so viel offene Gesprächsatmosphäre und natürlich auch über das selbstlose Lob, das ihnen von den dialogbereiten Rasern gespendet wurde.
Selbstverständlich betonten sie, dass sie auf keinen Fall disziplinäre Maßnahmen ergreifen würden, um nur ja niemanden in seiner Sorge um einen lebendigen Straßenverkehr einzuschränken.
Dafür erklärten die Schnellfahrer feierlich, sie würden loyal zu den Aufsichtsorganen stehen. Ein Loyalitätsbekenntnis zur Straßenverkehrsordnung war daher nicht mehr notwendig, ja geradezu unerwünscht.
Die konstruktive, begeisterte Versöhnungsstimmung ließ man sich auch nicht von einigen letzten Entschleunigungsfanatikern verderben, die sich in erbärmlicher Kleingeistigkeit an irgendwelchen Limits festklammerten.
Diese aggressiven Grenzwächter verstanden noch immer nicht, warum überhaupt ein Dialog über Selbstverständliches geführt werden müsse, warum Übertreter der Straßenverkehrsordnung ständig als gleichberechtige Gesprächspartner angesehen wurden, und warum man schließlich sogar voll Stolz und Freude ein Ergebnis der Gespräche präsentierte, das keinen Bezug auf die Straßenverkehrsordnung nahm.
Und wenn ihnen das Geld nicht ausgegangen ist, dann dialogisieren sie noch heute, ohne Rücksicht auf Verletzte und Tote, die halt besser hätten aufpassen sollen, wenn die fröhlichen Raser unterwegs sind.