römisch-katholisch > Grundsatztexte
Der geistliche Kampf
Misericordia:
11. Kapitel: Erwägungen, die den Willen anspornen, in allen Dingen das Wohlgefallen Gottes zu suchen
Um deinen Willen mit größerer Leichtigkeit dahin zu lenken, daß er in allen Dingen nur das Wohlgefallen Gottes und seine Ehre suche, erinnere dich häufig daran, daß Gott dich zuerst auf mannigfache Weise bevorzugt und geliebt hat:
durch die Erschaffung, indem er dich aus dem Nichts zu seinem Ebenbild gemacht und alle anderen Geschöpfe zu deinem Dienste bestimmt hat;
durch die Erlösung, indem er nicht einen Engel, sondern seinen eingeborenen Sohn sandte, um dich nicht mit einem vergänglichen Preise von Gold und Silber zu erkaufen, sondern durch sein kostbares Blut und einen qualvollen und schimpflichen Tod.
Jede Stunde, ja jeden Augenblick beschützt er dich bereitwillig vor deinen Feinden, streitet für dich mit seiner Gnade und hält zu deinem Schutz und zu deiner Stärkung im Sakrament des Altars seinen vielgeliebten Sohn beständig bereit.
Ist dies alles nicht ein Zeichen einer unbeschreiblichen Hochachtung und Liebe, die der unendliche Gott für dich hegt?
Kein Mensch vermag zu begreifen, wie hoch dieser erhabene Herr uns arme Menschenkinder achtet, wie er sich unseres Elends und unserer Niedrigkeit annimmt, und wie sehr wir deshalb seiner unaussprechlichen Majestät gegenüber verpflichtet sind, die für uns so Vieles und so Großes getan hat.
Wenn die Großen dieser Welt sich verpflichtet fühlen, die ihnen von anderen, wenn auch armen und kleinen Leuten erwiesenen Ehrenbezeugungen dankbar zu erwidern, wie müssen erst wir Armselige uns dem höchsten König des Weltalls gegenüber verhalten, von dem wir uns so hoch geehrt und so innig geliebt sehen?
Außerdem mußt du in dauernder und lebendiger Erinnerung behalten, daß die göttliche Majestät schon in sich selbst unserer Verehrung und unserer Dienste, weil es ihr so gefällt, unendlich würdig ist.
Misericordia:
12. Kapitel: Von den verschiedenen sich widerstreitenden Willensneigungen
Man kann wohl sagen, daß in diesem Kampfe der Wille von zwei verschiedenen Seelenkräften bewegt werden kann. Wird der Wille von der Vernunft geleitet, nennt man ihn den vernünftigen oder höheren, da er der höchsten Seelenkraft folgt. Die andere Willensneigung folgt den niederen Seelenkräften, die man auch als Begierlichkeit, Fleischeslust, Sinnlichkeit oder Leidenschaft bezeichnet.
Die letztere verdient im eigentlichen Sinne nicht die Bezeichnung Wille, denn da wir durch die Vernunft zu Menschen erhoben sind, kann man nicht behaupten, daß wir das wirklich wollen, was die Sinne uns vorhalten, solange wir nicht mit dem höheren Willen zustimmen.
Unser ständiger geistlicher Kampf hat infolgedessen hauptsächlich darin seine Ursache, daß unser vernünftiger Wille zwischen dem höheren Willen Gottes und dem niederen, sinnlichen hingestellt ist und fortwährend von beiden bestürmt wird, da jeder ihn auf seine Seite zur Unterwürfigkeit und zum Gehorsam zu ziehen versucht.
Deshalb erleiden Anfänger, die noch mit verkehrten Gewohnheiten behaftet sind, viele Mühen und Beschwerden, wenn sie sich entschließen, ihr sündhaftes Leben zu bessern, der Welt und der Sinnenlust zu entsagen und sich ganz der Liebe und dem Dienste Jesu Christi hinzugeben. Denn die Angriffe, die ihr vernünftiger Wille vom göttlichen Willen und von ihren sinnlichen Willensneigungen, die einander beständig bekämpfen, zu ertragen hat, sind überaus heftig und empfindlich und nicht ohne große Pein.
So ergeht es jedoch nicht denen, welche bereits an die Tugend oder ans Laster gewohnt und entschlossen sind, ihren Weg fortzusetzen. Denn die Tugendhaften gehen leicht auf den Willen Gottes ein, während die Lasterhaften ohne Widerstand der Sinnlichkeit nachgeben.
Niemand soll sich aber einbilden, er werde eine echte, christliche Tugend erlangen und dem lieben Gott auf echte Weise dienen, wenn er nicht entschlossen ist, sich energisch Gewalt anzutun und tapfer das Weh zu ertragen, das der Mensch empfindet, wenn er nicht nur auf die größeren, sondern auch auf die kleinen Genüsse verzichten muß, in die er durch seinen erdhaften Sinn verstrickt ist.
Daher kommt es, daß nur sehr wenige das Ideal der Vollkommenheit erreichen.
Viele, die mit Mühe die größeren Laster überwunden haben, wollen sich nicht beständig Gewalt antun und das Unangenehme der andauernden Kämpfe mit den unzähligen kleineren Gelüsten und Leidenschaften auf sich nehmen, die dann in ihnen derartig wachsen, daß sie schließlich die Oberhand gewinnen und die Herrschaft und Gewalt über ihr ganzes Herz an sich reißen.
Unter ihnen befinden sich solche, die allerdings kein fremdes Gut anrühren, aber mit Leidenschaft an ihrem Besitz haften. Oder solche, die sich zwar nicht mit unerlaubten Mitteln Ehrenstellen verschaffen, jedoch dieselben nicht gebührend verachten und nicht aufhören, nach denselben zu verlangen und sie auf anderem Wege zu suchen. Wieder andere, die zwar die vorgeschriebenen Fasten beobachten, aber sonst ihre Gaumenlust nicht abtöten, sondern sich der Unmäßigkeit im Essen hingeben und mit Gier nach ausgesuchten Speisen ausschauen. Ebenso jene, die wohl ein enthaltsames Leben führen, aber gewissen Vergnügen nicht entsagen, welche der Vereinigung mit Gott und einem geistlichen Leben sehr im Wege stehen und für jede auch noch so heilige Seele, besonders aber für jene, die dieselben weniger fürchtet, von großer Gefahr und darum von jedermann möglichst zu meiden sind.
Infolgedessen werden auch ihre übrigen guten Werke im Geiste der Lauheit verrichtet und sind von starker Ichsucht und geheimer Unvollkommenheit begleitet, namentlich von einem gewissen Ehrgeiz und dem Verlangen, für die guten Werke von den Leuten gelobt und geachtet zu werden.
Wer in einem derartigen Zustand lebt, macht nicht nur keine Fortschritte auf dem Wege des Heiles, sondern geht sogar rückwärts und schwebt in großer Gefahr, in die alten Sünden zurückzufallen. Ein solcher liebt keineswegs die wahre Tugend und erweist sich wenig dankbar gegen den Herrn, der ihn der Tyrannei des bösen Feindes entrissen hat. Zudem ist er unwissend und blind; er will die Gefahr nicht sehen, in welcher er schwebt, indem er sich fälschlich einredet, er sei in einer guten Seelenverfassung.
Hier offenbart sich eine umso gefährlichere Selbsttäuschung, je weniger sie beachtet wird. Viele, die sich dem geistlichen Leben widmen, sich selbst aber mehr lieben als sie sollten (obwohl sie nicht einmal sich selbst wahrhaft zu lieben verstehen), verlegen sich meistens auf jene Übungen, die ihrem Geschmack zusagen, und unterlassen dann jene, welche sie in ihren natürlichen Neigungen und sinnlichen Trieben empfindlich treffen würden. Und doch sollte vernünftigerweise gerade gegen diese ihre ganze Kampfesbegeisterung gerichtet sein!
Und darum ermahne ich dich, meine christliche Seele, recht eindringlich, die Mühe und das Weh, welches die Selbstüberwindung mit sich bringt, liebzugewinnen. Denn hierauf kommt alles an.
Der Sieg wird umso sicherer und näher sein, je entschlossener du die Schwierigkeiten auf dich nimmst, die der Kampf um die Tugend den Anfängern verursacht.
Wenn du die Mühen und Opfer des Kampfes mehr liebst als den Sieg und die Tugendkrone, dann wirst du alles umso schneller erlangen.
Misericordia:
13. Kapitel: Vom Kampfe gegen sinnliche Triebe und von den Akten des Willens, um in der Tugendübung Fertigkeit zu erlangen
Sooft die sinnliche Neigung einerseits und der göttliche Wille anderseits um den Sieg über deinen vernunftbegabten Willen streiten, mußt du verschiedene Übungen vornehmen, damit der göttliche Wille in dir jederzeit die Oberhand gewinnt.
Erstens: Sobald dich die sinnlichen Triebe anfallen und bestürmen, leiste ihnen energischen Widerstand, damit dein höherer Wille denselben nicht nachgebe.
Zweitens: Haben sie wieder nachgelassen, dann erwecke sie in dir aufs neue, um sie mit doppelter Energie und Kraft zu unterdrücken. Fordere sie dann zu einem dritten Kampfe auf, um dich daran zu gewöhnen, sie immer mit Entrüstung und Abscheu zu vertreiben. Diese doppelte Herausforderung zum Kampfe darf man bei jeder ungeordneten Sinnesregung tun. Ausgenommen sind jedoch die Regungen des Fleisches, von welchen an geeigneter Stelle (Kap. 19) im besonderen die Rede sein wird.
Schließlich mußt du Tugendakte erwecken, die deiner ungeordneten Neigung entgegengesetzt sind.
Angenommen, du wirst von Regungen der Ungeduld befallen. Wenn du dich innerlich sammelst und wohl acht gibst, dann wirst du bemerken, wie diese den höheren Willen ständig angehen, um ihn zur Einwilligung zu bewegen.
Durch die erste Übung widersetze dich also mit entgegengesetzten Willensakten jeder Regung und wirke nach besten Kräften dahin, daß der Wille nicht zustimme. Du darfst dann von diesem Kampfe nicht ablassen, bis du merkst, daß der Feind, gleichsam ermattet und getötet, sich besiegt gibt.
Nun aber vergiß nicht die Hinterlist des bösen Feindes! Sobald er nämlich wahrnimmt, daß wir uns der Regungen einer Leidenschaft energisch erwehren, sieht er nicht nur davon ab, sondern sucht sie sogar, nachdem sie wach geworden sind, zu beschwichtigen, damit wir uns durch diese Übung nur ja keine Fertigkeit in der jener Leidenschaft widerstrebenden Tugend aneignen und damit wir überdies in die Schlingen der Hoffart und Eitelkeit geraten, indem er uns raffiniert die Meinung beizubringen sucht, wir hätten als tüchtige Krieger unsere Feinde schnell überwunden.
Aus diesem Grunde mußt du jetzt zum zweiten Kampfe übergehen.
Rufe dir jene Gedanken, die dich zur Ungeduld reizten, wieder ins Gedächtnis zurück und erwecke sie aufs neue, damit sich dein sinnliches Begehrungsvermögen wieder erregt. Dann aber unterdrücke durch wiederholte Willensakte und mit noch größerer Gewalt als das erste Mal diese Regungen.
Freilich, so sehr wir auch unsere Feinde abweisen und damit Gutes tun und Gott gefallen, wir laufen dennoch Gefahr, bei einer anderen Gelegenheit überwunden zu werden, wenn wir die Gegner nicht aus tiefster Seele hassen. Deshalb rücke ihnen mit einem dritten Angriff zu Leibe und vertreibe sie nicht allein mit Unwillen, sondern auch mit Abscheu von dir, bis sie dir schließlich ganz verhaßt und verächtlich geworden sind.
Endlich mußt du, um deine Seele zu vervollkommnen und mit dem Kleid der Tugend zu schmücken, innere Akte erwecken, die deinen ungeordneten Neigungen gerade zuwiderlaufen.
Willst du dir beispielsweise eine vollkommene Fertigkeit in der Geduld erwerben und reizt dich jemand durch Verachtung zur Ungeduld, dann ist es nicht genug, daß du dich durch den dreifachen Kampf ertüchtigst, sondern du mußt auch die widerfahrene Geringschätzung wollen und lieben, indem du danach verlangst, aufs neue auf dieselbe Weise und von derselben Person beleidigt zu werden. Mach dich auch auf noch Schlimmeres gefaßt und nimm dir vor, es zu erdulden.
Der Grund, warum solche entgegengesetzten Akte notwendig sind, um uns in der Tugend zu vervollkommnen, liegt darin, daß die anderen Übungen, so zahlreich und wirksam sie auch sein mögen, gar nicht hinreichen, um auch die Wurzel auszurotten, aus der die Laster hervorsprießen.
Willigen wir bei der uns zugefügten Kränkung nicht in die Regungen der Ungeduld ein und bekämpfen wir dieselben auf die im vorigen angegebene dreifache Weise, so werden wir uns trotzdem niemals von dem Fehler der Ungeduld, der in unserer Neigung zur eigenen Hochschätzung und unserer Scheu vor Verachtung seine Wurzel hat, freimachen, wenn wir uns nicht durch häufige und öfters wiederholte Akte daran gewöhnen, die Geringschätzung selbst liebzugewinnen und uns ihrer zu erfreuen.
Solange noch die Wurzel des Fehlers lebt, wuchert sie beständig weiter, so daß sie die Tugend zum Welken bringt und bisweilen sogar ganz erstickt. Außerdem setzt sie uns der Gefahr aus, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit wieder zurückzufallen. Daraus folgt, daß wir ohne entgegengesetzte Akte eine wahre Festigkeit in der Tugend nie erlangen werden. Des weiteren mußt du beachten, daß diese Akte so häufig und so zahlreich sein müssen, daß sie imstande sind, die üble Gewohnheit vollständig zu zerstören. Denn gerade wie eine solche durch viele sündhafte Akte von unserem Herzen Besitz genommen hat, so muß sie auch durch viele entgegengesetzte Akte mit der Wurzel herausgerissen werden, damit eine tugendhafte Gewohnheit Eingang finden kann.
Ja, ich behaupte noch mehr. Es sind viel mehr gute Akte erforderlich, um eine tugendhafte Gewohnheit zu bilden, als sündhafte zu einer üblen, weil jene nicht wie diese von einer durch die Sünde verdorbenen Natur unterstützt wird.
Zu dem Gesagten bemerke ich außerdem, daß bei einer Tugendübung auch äußere, den inneren entsprechende Akte gesetzt werden müssen, indem man sich (um bei dem angeführten Beispiel zu bleiben) zur Übung der Geduld sanfter und liebevoller Worte bedient und sich dem gehässigen Urheber des Verdrusses gegenüber möglichst entgegenkommend und gefällig erweist.
Und sollten diese inneren wie äußeren Akte tatsächlich oder scheinbar mit einer derartigen Interesselosigkeit gesetzt werden, daß es dir vorkommt, als ob du sie nur widerwillig ausführtest, so darfst du sie trotzdem nicht unterlassen. Denn, so schwach sie auch sein mögen, sie verleihen dir dennoch Kraft und Ausdauer im Kampfe und bahnen dir den Weg zum Siege.
Aber nicht bloß die großen und heftigen, sondern auch die geringfügigen sündhaften Triebe sollst du mit innerer Aufmerksamkeit bekämpfen, weil diese für jene die Bahn freimachen, woraus dann allmählich die üblen Gewohnheiten entstehen.
Gar manche ließen es sich zu wenig angelegen sein, auch die schwächeren Triebe einer Leidenschaft mit der Wurzel aus ihrem Herzen zu reißen, nachdem sie die stärkeren Gelüste derselben Leidenschaft bereits überwunden hatten. Und so kam es, daß sie, als sie es am wenigsten ahnten, von denselben Feinden heftiger und gefährlicher angegriffen wurden als zuvor.
Des weiteren gebe ich dir zu bedenken, daß du darauf achtest, bisweilen dein Verlangen in erlaubten, aber nicht notwendigen Dingen zu bezähmen und abzutöten, woraus viel Gutes erwächst. Denn dadurch wirst du immer fähiger und bereitwilliger, dich auch in anderen Dingen zu überwinden. Du machst dich stärker und erfahrener im Kampfe gegen die Versuchungen und wirst vielen Nachstellungen des bösen Feindes entgehen und dem Herrn einen überaus wohlgefälligen Dienst erweisen.
Aufrichtig sage ich es dir, christliche Seele: Fährst du in diesen guten und heilsamen Übungen in der angegebenen Weise fort, um dich zu vervollkommnen und deiner Herr zu werden, dann gebe ich dir die Versicherung, daß du in kurzer Zeit große Fortschritte machst und nicht nur dem Scheine nach, sondern in Wahrheit ein geistliches Leben führen wirst.
Auf andere Weise aber und bei anderen Übungen - mögen sie nach deinem Dafürhalten noch so vorzüglich sein und deinem Geschmack noch so stark zusagen, daß es dir scheint, als wärest du dabei in tiefster Sammlung und in süßes Zwiegespräch mit dem Herrn versunken - darfst du niemals erwarten, jemals eine Tugend und den wahren Geist zu erlangen. Dieser besteht ja nicht, wie ich dir bereits im ersten Kapitel darlegte, in Übungen, welche unseren Sinnen schmeicheln und ihnen angenehm sind; auch wird er nicht aus ihnen geboren, sondern aus solchen, welche unsere Sinne mit ihren Werken ans Kreuz heften, wodurch der in den Tugenden des Evangeliums gefestigte und erneuerte Mensch mit dem Gekreuzigten und seinem Schöpfer vereint wird.
Wie sich alle sündhaften Gewohnheiten durch viele und wiederholte Akte des höheren Willens, der den Trieben der Sinnlichkeit nachgibt, bilden, so steht es anderseits außer Zweifel, daß umgekehrt auch die Fertigkeit in den Tugenden des Evangeliums durch häufige Akte erworben wird, die mit dem göttlichen Willen übereinstimmen und von ihm bald zu der einen und bald wieder zu einer anderen Tugendübung angeregt werden.
Mag unser Wille auch noch so heftig von den niederen Trieben und der Sünde angefallen werden, er wird niemals sünd- und erdhaft, solange er weder nachgibt noch sich selbst ihnen frei zuwendet. Ebenso wird er auch nie tugendhaft und eins mit Gott, wie sehr er von göttlichen Einsprechungen und Gnadenerweisen aufgefordert und bestürmt wird, wenn er sich nicht durch innere und äußere Akte mit dem göttlichen Willen gleichförmig macht.
Misericordia:
14. Kapitel: Von dem Verhalten, wenn der Wille scheinbar von den niederen Seelenkräften und anderen Feinden überwunden und unterdrückt ist
Wenn es dir zuweilen scheint, der höhere Wille vermöge nichts wider den niederen und wider seine Feinde, weil du in dir kein wirksames Wollen verspürst, dann harre dennoch ruhig aus und gib den Kampf nicht auf! Du darfst dich nämlich nicht für überwunden halten, solange du dir nicht klar bewußt bist, daß du wirklich nachgegeben hast.
Gleichwie unser höherer Wille der niederen Triebe nicht bedarf, um seine eigenen Akte zu setzen, so kann er auch niemals, trotz heftiger Angriffe, ohne seine Zustimmung gezwungen werden, sich ihnen als besiegt zu ergeben. Gott hat ja unseren Willen mit Freiheit und einer solchen Energie ausgestattet, daß - mögen sich auch alle sinnlichen Triebe, alle Teufel und die ganze Welt miteinander gegen ihn verschwören und rüsten, um ihn mit aller Macht anzugreifen und zu bedrängen - er trotz ihrer Anfeindungen vollkommen frei das wollen und nicht wollen kann, was er will oder nicht will, und zwar sooft und solange (und in solcher Weise) und in der Absicht, wie es ihm beliebt.
Sollten dich bisweilen jene Feinde mit solcher Heftigkeit anfallen und dir so zusetzen, daß deinem Willen, gleichsam wie erstickt, der Atem vergeht: Laß den Mut nicht sinken und wirf die Waffen nicht zu Boden! Bediene dich in diesem Falle deiner Zunge zur Verteidigung und sprich: „Ich gebe nicht nach! Ich will nichts mit dir zu tun haben!" Mache es wie ein Krieger, der wenigstens mit dem Schwertknauf zuschlägt, wenn der Feind ihm auf dem Nacken sitzt und er ihn nicht mit des Schwertes Spitze zu treffen vermag. Und wie er dann, um den Feind mit der Spitze töten zu können, zurückspringt, so ziehe dich auf deine Selbsterkenntnis zurück: daß du nichts bist und nichts vermagst. Und im Vertrauen auf Gott, der alles vermag, versetze der feindlichen Leidenschaft mit den Worten einen Hieb: „Hilf mir, Herr! Hilf mir, o Gott! Helft mir, Jesus und Maria, damit ich ihr nicht nachgebe." Läßt der Feind dir Zeit, dann kannst du der Schwäche deines Willens zu Hilfe kommen, indem du dir verschiedene Gedanken vor die Seele führst, aus deren Betrachtung der Wille wieder Atem und Kraft wider seine Feinde schöpfen kann.
Du wirst zum Beispiel durch irgendeine Versuchung oder eine sonstige Drangsal in einer Weise von der Ungeduld bestürmt, daß dein Wille kaum zu widerstehen vermag; da kannst du ihn stärken, indem du in deinem Geiste folgende oder ähnliche Gedanken erwägst:
Erstens: Prüfe dich, ob du das Übel, das du leiden mußt, vielleicht verdienst, weil du selbst dazu den Anlaß gegeben hast. Hast du es verdient, dann mußt du eben das Harte und Unangenehme, das du dir selber zugefügt hast, wie es die Gerechtigkeit verlangt, auch geduldig in Kauf nehmen.
Zweitens: Hast du keine Schuld daran, dann denke einmal an andere Fehltritte, für die dich Gott noch nicht gestraft hat und für die du nicht genügend Buße getan hast. Erkennst du dann, daß Gottes Barmherzigkeit die Strafe, welche entweder die ewige oder die zeitliche im Fegfeuer wäre, in eine unbedeutende in diesem Leben umwandelt, so mußt du diese Strafe nicht nur gerne, sondern auch dankbar hinnehmen.
Drittens: Sollte es dir scheinen, als hättest du zuviel Buße getan und die göttliche Majestät nur ein wenig beleidigt, was du dir aber durchaus nicht einbilden darfst, so bedenke, daß man nur durch die enge Pforte der Trübsale ins Himmelreich eingeht.
Viertens: Selbst wenn du auf einem anderen Weg dahin gelangen könntest, so dürftest du schon um des Gesetzes der Liebe willen nicht einmal daran denken, da doch der Sohn Gottes und all seine geliebten Freunde nur durch Dornen und Kreuze in das Himmelreich eingegangen sind.
Fünftens: Du mußt dir bei dieser und jeder anderen Gelegenheit vor allem den Willen Gottes vor Augen halten, der bei der Liebe, die er zu dir hegt, ein überaus großes Wohlgefallen an jedem Werk der Tugend und Abtötung hat, das du, um seine Liebe zu erwidern, als treuer und hochherziger Streiter vollbringst. Sei auch überzeugt, daß, je unsinniger diese Unbill an sich ist und je unangemessener vonseiten desjenigen, der sie dir zufügt, und je lästiger und schwerer es dir daher fällt, sie zu ertragen, du desto angenehmer dem Herrn sein wirst, wenn du selbst in solchen Dingen, die außer der Ordnung scheinen und dir daher umso bitterer sind, den göttlichen Willen und die Pläne seiner Vorsehung erkennst und liebst, die jedes Ereignis – so widersinnig es scheinen mag - zu einem guten und äußerst vollkommenen Ende zu ordnen und zu lenken weiß.
Misericordia:
15. Kapitel: Ratschläge für die Art des Kampfes
Du hast nun gesehen, in welcher Weise du kämpfen mußt, um dich selbst zu überwinden und mit Tugenden zu schmücken.
Außerdem mußt du dich überzeugen lassen, daß du, um über deine Feinde mit größerer Schnelligkeit und Leichtigkeit den Sieg davonzutragen, wie es sich geziemt, Tag für Tag besonders gegen deine Eigenliebe zu kämpfen hast und dich gewöhnst, die Verachtung und Widerwärtigkeiten, welche die Welt dir antut, als liebenswerte Wohltaten zu betrachten.
Vernachlässigst du diesen Kampf und legst ihm zu wenig Gewicht bei, so bleibt der Sieg schwierig und nur vereinzelt, unvollkommen und unsicher.
Auch darauf mache ich dich aufmerksam, daß du den Kampf mit Starkmut führen mußt. Die Tugend wirst du von Gott leicht erlangen, wenn du darum inständig flehst und einerseits die Wut und den unversöhnlichen Haß deiner Feinde sowie die große Zahl ihrer Schlachtreihen und Heere bedenkst, anderseits aber auch erwägst, daß Gottes Güte und Liebe zu dir unendlich größer ist und unvergleichlich mehr Engel und Heilige des Himmels mit ihrem Gebet an unserer Seite kämpfen.
Dieser Gedanke ist von solcher Wirkung, daß eine Menge schwach scheinender Personen die gesamte Macht und Weisheit der Welt, alle Angriffe des Fleisches und die ganze Wut der Hölle überwand und besiegte.
Deshalb brauchst du nie zu erschrecken und mutlos zu werden, wenn es dir auch scheint, als würde der Ansturm deiner Feinde immer heftiger und als sollte der Kampf dein ganzes Leben andauern und als drohten dir gleichsam von vielen Seiten sichere Niederlagen. Außer dem oben Gesagten vergiß nicht, daß alle Macht und List unserer Feinde in der Hand unseres göttlichen Herrn ruhen, für dessen Ehre wir ja streiten. Da dieser uns unsagbar liebt und uns selbst mit strengem Befehl zum Kampfe ruft, wird er nicht zulassen, daß wir überwältigt werden, sondern auch selbst für dich kämpfen und dir deine Feinde unterwerfen, wann es ihm gefällt und falls es dir von größerem Nutzen ist; sollte er damit auch bis zum letzten Tage deines Lebens zögern.
Deine Sache ist es also, hochherzig zu kämpfen, niemals die Waffen zu strecken und die Flucht zu ergreifen, auch wenn du verwundet wirst. Um tapfer streiten zu können, merke dir noch zum Schlusse, daß niemand dem Kampfe entfliehen kann und daß jeder, der nicht kämpft, unausweichlich gefangen oder getötet wird. Überdies haben wir es in diesem Kampfe mit Feinden zu tun, die mit einem derartigen Haß gegen uns erfüllt sind, daß wir in keinem Falle Frieden oder Waffenstillstand zu erwarten haben.
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