Die Menschwerdung des Sohnes Gottes lässt uns einen klaren Blick in die unendliche Tiefe der göttlichen Barmherzigkeit werfen. Ebenso lässt uns aber auch das ganze Leben des menschgewordenen Gottessohnes, insbesondere sein Verhalten gegen die Sünder, auf das Innerste der Barmherzigkeit des göttlichen Herzens tun. Dies sei an einigen Beispielen aus den Evangelien erläutert.
Um den Sündern Mut zu machen und ihnen Vertrauen einzuflößen, hat der Sohn Gottes zunächst einige Gleichnisse erzählt. Da gibt es jenes vom Hirten, der hundert Schafe hatte (vgl. Lk 15, 3-7, Mt 18,12-14,). Eines Tages verirrte sich ein Schaf und kehrte nicht mehr zur Herde zurück. Kaum hatte der Hirte den Verlust entdeckt, so ließ er die anderen neunundneunzig Schafe zurück und eilte fort, um das verlorene Schäflein zu suchen. Endlich hat er es gefunden und als er es gefunden hat, nimmt er es fröhlich auf seine Schultern und trägt es zur Herde zurück. Abends kaum nach Hause gekommen, eilt er voll Freude zu seinen Nachbarn, um ihnen zu erzählen, welches Glück er hatte. Es muss schon eine große Freude gewesen sein, die dieser Hirte empfand, denn nur dann, wenn wir eine recht große Freude haben, wünschen wir, dass auch andere sie mit uns teilen.
Ein weiteres Gleichnis erzählt von einer Frau, die zehn Drachmen Vermögen hatte (vgl. Lk 15,8-10). Nun verlor sie eine Drachme, und kaum hat sie den Verlust bemerkt, so zündet sie sofort ein Licht an und nimmt den Besen in die Hand, um das ganze Haus auszukehren und die verlorene Drachme wieder aufzufinden. Es gelingt ihr auch, und kaum hat sie dieselbe erblickt, empfindet ihr Herz eine große Freude. Die Größe dieser Freude geht daraus hervor, dass die glückliche Frau zu ihren Nachbarinnen eilt, um ihnen zu erzählen, was ihr begegnet ist und sie einlädt, sich mit ihr zu freuen.
Diesen zwei Gleichnissen fügte der göttliche Heiland noch ein drittes, das wohl bekannteste darunter, an: das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 -32). Eines Tages sitzt ein wohlhabender angesehener Mann vor seiner Haustüre um zu sehen, wie die Arbeiter vom Felde heimkehren und wie der Erntesegen eingebracht wird. Einen gewahrt er, der ganz allein geht, und plötzlich steht der Mann, der auf der Bank sitzt, auf, um den Einzelnen genauer zu betrachten - er meint nämlich, er habe ihn früher schon gesehen. Das Gesicht ist zwar abgemagert, die Wangen eingefallen, aber die Züge scheinen ihm doch bekannt. Sofort eilt er dem Wanderer entgegen, umarmt und küsst ihn vor Freude. Auch der Wanderer hat sein Gegenüber sofort erkannt: es ist der eigene Vater, den er vor einigen Jahren so leichtsinnig verlassen hat. Reue und Scham überkommen ihn und er sagt: „Vater, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen!" Aber der Vater nimmt ihn an der Hand und führt ihn in das Haus. Und er lässt für sein ganzes Gesinde ein üppiges Festmahl anrichten sowie neue Kleider für seinen Sohn bereitstellen, da dieser nun wieder zurückgekehrt ist.
All diese Beispiele zeigen uns, wie geneigt das heiligste Herz Jesu ist, die Sünder vor schwerem, ewigem Leid zu bewahren und wollen uns sagen, wie sehr sich Gott freut, wenn er seine Barmherzigkeit offenbaren kann.
Ganz besonders ist das heiligste Herz Jesu der heiligen Magdalena entgegengekommen. Sie war eine große Sünderin, wegen ihres Lebenswandels stadtbekannt, die aus Neugier eine Predigt des göttlichen Heilandes anhörte. Sie ist gerührt, empfindet Reue über ihr bisheriges Leben. Kaum hat der Herr mit seinem alles durchdringenden Auge in ihr Herz geblickt und ihre Reue gesehen, so lässt er ihr auch alle Sünden nach und befreit sie von den bösen Geistern, die von ihr Besitz ergriffen hatten. Nach seiner glorreichen Auferstehung aus dem Grabe macht er ihr die große Freude, dass er ihr zuerst erscheint, noch ehe er sich den frommen Frauen oder einem der Apostel gezeigt hat.
Noch viele andere Zeugnisse für die Barmherzigkeit des göttlichen Herzens tut uns die Heilige Schrift kund: die Rettung der Ehebrecherin (Joh 8,1-11), die Verleugnung durch Petrus (Lk 22,54-62) oder der Schächer am Kreuz (Lk 23,26-43). Aus diesen Zeilen können wir klar ersehen, wie liebevoll geneigt der Sohn Gottes war, auch die schwersten Sünden zu verzeihen, und wie das göttliche Herz Jesu sich freut, wenn sich ein Sünder bekehrt. Nach Vollendung seines irdischen Weges wollte der Sohn Gottes die Erde nicht verlassen, ohne zwei Denkmäler zurückzulassen, die die Größe seines Erlösungswerks in alle Ewigkeit künden und seine Barmherzigkeit den Menschen aller Zeit im Gedächtnis halten sollten.
Das eine dieser Denkmäler ist das Bußsakrament. Ehe der göttliche Heiland in den Himmel zurückkehrte, hat er Menschen die wunderbare Gewalt gegeben, dass sie ihren Mitmenschen die Barmherzigkeit Gottes zuwenden dürfen. Auch gegen die größten Sünder dürfen sie die Barmherzigkeit Gottes üben. Wenn ein Mensch viele Jahre lang ein gottloses, sündhaftes Leben geführt hat und dann in den Beichtstuhl kommt, um aufrichtig und reumütig seine Fehltaten zu beichten und sich zu bekehren, so werden ihm seine Sünden nachgelassen; und in demselben Augenblick, in dem der Priester die Lossprechung vornimmt, erschallen Freudenrufe im Himmel, denn die Engel des Himmels eilen zum Sohne Gottes und wünschen ihm Glück, weil er wieder einen Sohn oder eine Tochter gefunden hat, die verloren waren.
Auch in dem zweiten Denkmal, dem Allerheiligsten Altarsakrament, will das heiligste Herz Jesu den Sündern seine unendliche Barmherzigkeit offenbaren. Durch seine Einsetzung hat er es möglich gemacht, mit den Sündern, wenn sie im heiligsten Bußsakrament gleich dem verlorenen Sohn ein neues Kleid, Schuhe und den Ring mit dem Familienwappen erhalten haben, ein Gastmahl zu halten und sich mit ihnen zu freuen, dass er sie wiedergefunden hat.
Jesus will die ganze Barmherzigkeit seines heiligsten Herzens über die reumütigen Sünder ausgießen, ihnen seine ganze Liebe schenken, sie in seine Arme schließen wie verirrte Schafe, und er will sie sorgfältig pflegen wie eine Mutter ihr krankes Kind; er will sich ihnen ganz weihen, damit sie auf ewig sein sind.
Noch schlägt das heiligste Herz voll Liebe und Erbarmen. Und hätte jemand tausendfach schwerer gesündigt als Magdalena, so fände er Zuflucht im erbarmungsreichen Herzen des Herrn. Die Menschen beleidigen Gott - er liebt sie, sie fliehen ihn - er läuft ihnen nach, er ruft sie - und sie verstopfen ihre Ohren. Wir führen Krieg gegen ihn und er überschüttet uns mit Wohltaten und Barmherzigkeit.
Der göttliche Heiland wünscht, dass wir sein göttliches Herz recht oft als den Thron der Barmherzigkeit begrüßen. Darum wollen wir recht oft vor dem Tabernakel oder beim Anblick eines Herz-Jesu-Bildes rufen: „O heiligstes Herz Jesu, Du Thron der Barmherzigkeit, erbarme dich meiner!" und das besonders jetzt im gnadenreichen Herz-Jesu-Monat.
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