Kardinal Brandmüller: Kirche in schwerster Krise seit der Reformation
Brandmüller in Predigt: Viele Katholiken legen auf Sakramente keine Wert mehr, hunderte von Priestern bekämpfen den Glauben und die Ordnung der Kirche, selbst Gebildete sind religiös erschütternd unwissend.
Rom (kath.net) „Leere Kirchen, … Sakramente – ich denke vor allem an die Beichte und die Krankensalbung - , auf die viele Katholiken keinen Wert mehr legen, und zu alledem hunderte von Priestern, die den Glauben und die Ordnung der Kirche geradezu bekämpfen, und nicht zuletzt die erschütternde religiöse Unwissenheit selbst vieler Gebildeter, die zwischen Wahr und Falsch nicht zu unterscheiden wissen – dann kann man nur noch von einer existenzbedrohenden Krise des Glaubens sprechen, wie die Kirche sie seit der Reformation des 16. Jahrhunderts nicht mehr erlebt hat.“ Dies sagte Walter Kardinal Brandmüller am vergangenen Sonntag in Rom bei seiner Predigt anlässlich des Stiftungsfestes der Studentenverbindung „Capitolina“. Das Fundament, auf dem alles ruhe, sei aber der Glaube, dieses Fundament gelte es zu erneuern. „Existentiell diesen Glauben bejahen, das aber heiβt, die Wirklichkeit Gottes, die Wirklichkeit der Gnade, der Übernatur in unserem Alltag mindestens ebenso ernst zu nehmen wie den Stand unseres Bankkontos.“
kath.net dokumentiert die Predigt von Walter Kardinal Brandmüller zum Stiftungsfest der Studentenverbindung „Capitolina“ am 29.4.2012 zum „Jahr des Glaubens“
Die Gottesdienstgemeinde, die sich am Stiftungsfest einer katholischen Verbindung versammelt, vereint Männer und Frauen, die in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft , Kultur – und in gewisser Weise auch in der Kirche Verantwortung tragen und gestaltenden Einfluβ ausüben. Dies im Blick möchte ich heute einmal auf die Auslegung der Lesungstexte des heutigen Sonntags verzichten und statt dessen das gröβte Problem ins Auge fassen, das Gesellschaft und Kirche unserer Tage zutiefst erschüttert und natürlich den Heiligen Vater mit gröβter Sorge erfüllt: Es ist die die Fundamente bedrohende Krise des Glaubens – vor allem in der sogenannten westlichen Welt.
Leere Kirchen, viele Kinder, die nicht geboren, geborene, die nicht getauft werden, Ehen, die nicht geschlossen und geschlossene, die nahezu zur Hälfte geschieden werden, Sakramente – ich denke vor allem an die Beichte und die Krankensalbung - , auf die viele Katholiken keinen Wert mehr legen, und zu alledem hunderte von Priestern, die den Glauben und die Ordnung der Kirche geradezu bekämpfen, und nicht zuletzt die erschütternde religiöse Unwissenheit selbst vieler Gebildeter, die zwischen Wahr und Falsch nicht zu unterscheiden wissen – dann kann man nur noch von einer existenzbedrohenden Krise des Glaubens sprechen, wie die Kirche sie seit der Reformation des 16. Jahrhunderts nicht mehr erlebt hat. Und dieser Krise schauen nicht wenige von denen, die Verantwortung tragen, resigniert, verunsichert, tatenlos zu.
Das, also, ist die Lage, deren Ernst auch noch so hoffnungsvolle Aufbrüche innerhalb der Jugend wenigstens fürs erste nicht vermindern können.
Das ist – wie gesagt – die Lage, deren klare Erkenntnis den Heiligen Vater bewogen hat, im Hinblick auf den bevorstehenden 50. Jahrestag der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils ein „Jahr des Glaubens“ anzukündigen.
Es gilt die Fundamente zu erneuern, zu sichern, damit der Bau selbst nicht einstürzt. Das Fundament, auf dem alles ruht, ist der Glaube.
I
Da stellt sich nun sogleich die Frage: Was ist das, „Glaube“?
a) Für nicht wenige ist Glaube ein undefinierbares frommes Gefühl, etwas, das mit Poesie, Seelentrost oder Ähnlichem zu tun hat. Ein bekannter Historiker meinte einmal, seine Mutter sei eine sehr gläubige Frau gewesen. Sie habe bei jedem Gewitter eine Kerze angezündet! Nun, auch Folklore, Brauchtum, sollten wir nicht mit „Glauben“ verwechseln.
b) Beim Glauben geht es zunächst – rein menschlich gesehen – um ein Geschehen zwischen Personen: „Ich glaube dir, weil ich dir traue“! Der Glaube, um den es uns hier geht, geht darüber hinaus: Ich glaube Gott, der sich in Jesus Christus den Menschen, also auch mir, geoffenbart hat. „Niemand hat Gott je gesehen. Der Eingeborene, der seit Ewigkeit am Herzen des Vaters sitzt, er hat Kunde gebracht“. So lesen wir im Johannesevangelium.
Ich glaube also jenem Jesus von Nazareth, mit dem seine Jünger und Zeitgenossen Erfahrungen gemacht haben, die den Rahmen menschlicher Möglichkeiten sprengten. Erfahrungen, die Simon Petrus ausrufen lieβen: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Und – fügen wir hinzu - : das alles ist uns historisch glaubwürdig bezeugt.
Nun aber ist ein weiterer gedanklicher Schritt zu tun: Nach der Frage „Wem glaube ich?“ ist sogleich die weitere zu stellen: „Was glaube ich?“ Es geht beim Glauben also nicht nur um ein – schon gar nicht um ein blindes – Vertrauen, es geht um konkrete, klare Inhalte, Wahrheiten, zu denen mein „Credo, ich glaube“ gefordert ist. Und diese haben wir in Kurzform im Glaubensbekenntnis, ausführlich im Katechismus der katholischen Kirche des Seligen Johannes Paus II. vor uns.
Glaube, meine Freunde, ist also das ebenso verstandesmäβige wie existentielle Ja zu der Offenbarung Gottes, die uns die Kirche Gottes bekanntmacht und auslegt. Existentiell diesen Glauben bejahen, das aber heiβt, die Wirklichkeit Gottes, die Wirklichkeit der Gnade, der Übernatur in unserem Alltag mindestens ebenso ernst zu nehmen wie den Stand unseres Bankkontos.
II
Und nun die Frage: kennt die Mehrzahl unserer Gläubigen, kennen wir selbst diese Glaubenswahrheiten? Haben wir sie verstanden, soweit ein Mensch das kann?
Es ist eine der deprimierenden Erfahrungen, die man als Priester heute machen muss, dass ein groβer Teil der sogenannten praktizierenden Katholiken nicht einmal elementare Fragen bezüglich des katholischen Glaubens zu beantworten vermag. Wie viele wissen nicht, dass, wenn wir von „Unbefleckter Empfängnis Mariens“ sprechen, nicht davon die Rede ist, dass Jesus keinen menschlichen Vater hat, sondern, dass die Mutter des Herrn vom ersten Augenblick ihres Daseins an vor der Erbschuld bewahrt blieb?
Allzu lange hat sich an vielen Orten der Religionsunterricht auf soziale, ökologische, politische Fragen und nichtchristliche Religionen beschränkt, anstatt das Glaubensbekenntnis, die zehn Gebote und die sieben Sakramente zu erklären oder das liturgische Leben und die Geschichte der Kirche darzustellen!
Ist es nicht merkwürdig, dass Männer und Frauen von hoher professioneller Kompetenz gerade da, wo es um die existentiellsten aller Fragen geht, oftmals so unwissend sind?
Meine lieben Bundes- und Kartellbrüder, von dem Appell des Heiligen Vaters, das kommende Jahr des Glaubens als Auftrag und Chance für unser persönliches Leben mit Gott wie für die Kirche im deutschen Sprachraum zu begreifen, müssen wahrlich kräftige Impulse ausgehen – auch auf unsere Semesterprogramme!
Deren erster wäre es, zuverlässiges Glaubenswissen zu erwerben, das uns selber ein vor unserer Vernunft verantwortetes Ja zum Glauben ermöglicht. Nur so können wir dann auch jenen Antwort geben, die, wie der Apostel sagt, nach dem Grund unserer Hoffnung fragen.
Nur so sind wir auch in der Lage, in dem Dschungel religiöser Meinungen etc. zwischen Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden.
Wir sollten auch den mannigfachen religiösen Gurus – mögen sie auch Priestergewand tragen - , mögen auch die Zahl ihrer Fernsehauftritte und die Auflagenziffern ihrer Bücher imponieren – nicht einfach auf den Leim gehen.“Prüfet alles, was gut ist, behaltet“ mahnt der Apostel. Wer aber prüfen will, muss wissen!
Folgen wir dieser Spur, meine Freunde, wird unser Glaube vielleicht nüchterner, aber darum ebenso tiefer und krisenfest.
III
Rational verantwortet, auf solidem Wissen um das Glaubensgut der Kirche gründend, muss unser Glaube sein – zweifellos.
Vergessen wir aber nicht: Glauben-Können ist eine Gnade, ein unverdientes, freies Geschenk Gottes. Gnaden aber muss man erbeten.
Das tägliche Gebet um die Gnade des Glaubens ist unter den heutigen gesellschaftlichen, kulturellen Verhältnissen ungleich notwendiger geworden als es zu einer Zeit war, wo es in Gesellschaft und Kultur noch mancherlei Stützen für den Glauben des Einzelnen gab. Nun steht nur noch jeder für sich. Vor allem Ihr, junge Bundes- und Kartellbrüder, werdet notwendigerweise feststellen, dass Euer jugendlicher, durch schöne religiöse Erlebnisse beflügelter Glaube ins Wanken geraten kann, wenn religiöse Erfahrungen und Gefühle gleichsam austrocknen. Aber gerade dann erst beginnt ein reifer, solider Glaube. Das ist natürlich keineswegs ein Spazierweg unter Palmen und strahlendem Himmel.
Der Glaubende sieht sich mehr und mehr der alle Kategorien und Begriffe sprengenden Wirklichkeit Gottes gegenüber, die sein Verstehen, sein Vorstellungsvermögen zumal hoffnungslos überfordert. Je weiter der Christ auf dem Weg des Glaubens vorausschreitet, desto mehr erkennt er – wie dies auch Mutter Theresa von Kalkutta erfahren hat – dass dieser Weg durch Dunkel, Dürre und Kälte führt. Glauben, das ist auch einem Blindflug zu vergleichen, bei dem der Pilot ohne Bodensicht lediglich auf die Instrumente angewiesen ist.
Dies alles durchzuhalten, auf diesem Weg unverzagt voranzuschreiten, ist ohne die Gnade Gottes unmöglich. Darum ist das tägliche Gebet um die Gnade des Glaubens geistlich überlebenswichtig.
Wir haben dieses Gebet in der Schule gelernt: „O mein Gott, ich glaube alles, was Du geoffenbart hast und durch Deine heilige Kirche uns zu glauben lehrst, weil Du die ewige Wahrheit bist. Vermehre, o Gott, meinen Glauben.“
Nun, liebe Bundes- und Kartellbrüder, liebe Freunde, feiern wir das Stiftungsfest Capitolinae und nehmen zusammen mit den schönen Erlebnissen, die uns noch bevorstehen, von diesem gemeinsamen Fest die Verpflichtung mit, die unser Bundesbruder, der oberste Hirt und Lehrer der Kirche Jesu Christi, auf den Weg nach Hause mitgibt. Gemeinsam mit ihm, geführt von ihm, den Weg in das Jahr des Glaubens anzutreten, einen Weg, der uns und die ganze Kirche zu wahrer Erneuerung und Vertiefung unseres Verhältnisses zum Dreieinigen Gott führen soll, auf dessen Namen wir getauft sind.
S.E. Walter Kardinal Brandmüller