Ein Dokument aus dem zweiten Weltkrieg
Die Memoiren eines Anti-Apostels
über die Einschleusung von kommunistischen Agenten in die katholische Kirche
Vor kurzem erschien im Rahmen der „Diffusion de la pensée francaise“ in 3. Auflage ein kleines, aber höchst bedeutsames Buch von Maria Carré, das sich „ES 1025“ („ES = Eleve Seminariste Nr. 1025) betitelt. Wie üblich ist aus Gründen der Sicherheit die Ähnlichkeit der Personen „purement fortuite“ als quasi zufällig erfunden erklärt. Im Prolog erfährt man, dass die Autorin, als sie als Krankenpflegerin in einem absichtlich nicht genannten Spital, bei Einlieferung eines bei einem Unfall verunglückten Mannes, der keinerlei Ausweispapiere bei sich trug, eine Mappe fand, deren Inhalt sie bei der Suche nach Anhaltspunkten für die Identität des Mannes zu überprüfen hatte. Der Mann schien noch jung und slawischer Abstammung zu sein. Die Mappe enthielt hundert maschinenschriftlich geschriebene Blätter, von deren Bedeutung die Pflegerin jedoch sehr bald überzeugt war. Eine Aussage über den Toten selbst fand man nicht. Er konnte also nicht identifiziert werden und die Sache verlief sich im Sand der Zeit; es war eben Krieg.
Nach dem Krieg kehrte die Pflegerin in ihre Heimat zurück und begann sich näher mit den zurückgelassenen Blättern zu befassen. Sie erkannte deren Wichtigkeit und dass dieser Mann mitten in der Erfüllung eines politischen Auftrages vom Tod überrascht wurde. Er hätte diese Aufzeichnungen als Agent einer Kriegsmacht, der er diente, aus Gründen der politischen Sicherheit nie machen dürfen, doch hatte ihn die innere Einsamkeit, in der sich schließlich jeder Agent befindet, verleitet, seine Belastung in Form von „Memoires d‘ un Anti-Apotre“ etwas zu erleichtern.
Nun lag sein Leben offen da vor fremden Augen. Aber die ehemalige Krankenpflegerin und jetzige Herausgeberin der „Memoires d‘un Anti-Apotre“ (Erinnerungen eines Anti-Apostels) löste mit der nötigen Rücksicht und Diskretion, die einem Toten gebührt ihre doppelte Aufgabe, in dem sie aus persönlichen und sachlichen Gründen die nötige Zeit über das Geschehen verstreichen ließ und dann vielfach über Drängen anderer sich entschloss, diese Aufzeichnungen einem Verlag zu übergeben.
Marie Carré , die ehemalige Krankenpflegerin, war zwar schriftstellerisch wenig begabt, fand aber einen sehr glücklichen Weg, um das ganze schwere Erleben in die geeignete Form zu bringen. Sie gab diesem unbekannten Mann den Namen „Michael“ (denkbar ungeeignet für einen Zerstörer der Kirche) und ließ ihn in ihrem Bericht „ES 1025“ handeln und sprechen, um alles sehr wirklichkeitsnah zu gestalten.
In dieser Dokumentation, die nun an Hand von „ES 1025“ um der Bedeutung des Tatsachenkernes willen hier gebracht werden soll, kann nur eine gekürzte sinngemäße Wiedergabe der Handlung erfolgen; der Wortlaut der Aufzeichnung aber, die jener Agent in Bezug auf seine Aufgabe: die Kirche durch ihren eigenen Klerus von innen her zu zerstören, benützte, wird unter Anführungszeichen genau zitiert. Freilich kann nicht alles zitiert werden, was das Buch bringt, das würde zu weit führen; doch alles zum Verständnis der Gefahr, Notwendige.
1. Kapitel
Michael fragte sich, weshalb er Memoiren schreiben wolle. Er weiß es nicht ganz genau, er will sich nur im unbestimmten Drang seinen Lebensdruck von der Seele schreiben, und er hofft, dass er sie rechtzeitig vernichten werde.
„Ich bin ein Mensch ohne Namen, ohne Familie, ohne Vaterland und ohne Erbe. Ich gehöre zu denen, welche von den Bürgern und Bürokraten verachtet werden... Daran habe ich schwer gelitten... Ich war schon als kleines Kind ohne Namen. Ich dürfte drei Jahre alt gewesen sein, als man mich weinend auf einer polnischen Straße dahinschleppte. Das war 1920. Ich war also 1917 geboren worden, aber wo und von wem?“ Michael bekam Stiefeltern, welche ihn sehr liebten. Sie waren fromm, zu fromm für den kritischen und skeptischen Geist Michaels. Er begann Abneigung gegen sie zu empfinden und er hasste ihre Güte. Mit 14 Jahren war er als Vorzugsschüler allen schon so weit voraus, dass sich seine Adoptiveltern entschlossen, ihn nach Paris und Rom zur höheren Ausbildung zu schicken. „Ich war darüber sehr zufrieden“, schreibt Michael in seinen Aufzeichnungen, „sodass ich versuchte, immer weniger zu schlafen. Der Schlaf war mir nur eine verlorene Zeit. In meiner Vorstellung verschlang ich diese beiden Städte schon im Voraus.“ Das war äußerst charakteristisch für Michael: doch eines Tages übermannte ihn der Schlaf und Michael suchte im Schlafzimmer seiner Adoptiveltern nach einem schlafvertreibenden Mittel. Bei dieser Gelegenheit hörte er seine Adoptiveltern über ihn sprechen. Sie beunruhigten sich wegen der Paßbeschaffung für ihn, da er ja nicht ihr Kind war. Michael schreibt: „Der Blitz! Wisst, das war der Blitz... ich hatte sterben wollen... wie schlug mein Herz wild... dann war ich zu Granit verwandelt. Ich wollte ganz nackt fliehen, nichts mehr behalten von diesen Leuten da. Der Hass, den ich gegen sie empfand, war maßlos wie ihre Liebe, die sie mir bezeugten. Aber ich hasste sie nun, denn sie hatten mich belogen die ganze Zeit, selbst wenn sie mich liebten. Und das verzieh ich ihnen nicht. Aus Prinzip... durch sie bin ich heute einer der schrecklichsten Geheimagenten und bin der persönliche Feind Gottes geworden, der dazu bestimmt wurde, in der ganzen Welt den Tod Gottes zu verkünden, zu lehren und zu propagieren, dass Gott nie existiert habe.“
Michael floh von daheim und lief in seinem Schmerz bis nach Wladiwostok. Er wurde aufgegriffen und kam zu Leuten, die ihm versprachen, ihn über die russische Grenze zu schaffen. Seine Adoptiveltern ließen ihn suchen, fanden ihn aber nicht. „Ich habe keine Eltern“, erklärte er kurz, wenn er gefragt wurde. Michael hatte einen Freund, der von seiner Flucht wusste. Dieser hatte einen Onkel in Leningrad und zu diesem schickte er Michael. Dieser Onkel war ein hoher Parteifunktionär, an den Michael einen Brief mit folgenden Worten schickte: „Ich will in die Partei eintreten und dort etwas Großes werden.“ Der Onkel fand Gefallen an Michael und nahm sich seiner in jeder Hinsicht an. Vor allem erzog er ihn von Anfang an ausschließlich für die Partei. Michael musste vor allem die Parteidoktrin und Sprachen lernen. Er war wie immer Vorzugsschüler und überflügelte gar bald alle Mitschüler, ja sogar Professoren. Er war das, was man ein Phänomen nannte. Der Onkel erhoffte sich von ihm alles für die Zukunft. Auch Michael empfand zum ersten Mal wieder nach seiner Flucht etwas wie Freude und Zufriedenheit. Für die Partei, für sie würde er Großes leisten. Er schrieb: „Ich studierte mit einer gewissen Wildheit sechs Jahre lang. Meine einzigen Freuden waren: mein Besuch beim Onkel zu jedem Trimester und mein Hass gegen Gott! Ich hatte die Gewissheit, unbestrittener Chef des „Universalen Atheismus“ zu werden.“
2. Kapitel
„Mein Onkel war mein einziger Freund... Frauen interessierten mich nicht. Ein Maximum zu lernen, war mir leicht, denn ich hatte ein erstaunliches Gedächtnis. Eine aufmerksame Lesung und ich wusste ein ganzes Buch auswendig. Auch schrieb ich einen glänzenden Stil... Meine Vorliebe für die atheistische Lehre, welche Basis und Fundament der Partei ist, steigerte meinen immensen Eifer.“ Nach sechs Jahren rief der Onkel Michael zu sich in sein Büro und da konnte er feststellen, dass er ein hoher Parteifunktionär war. Er sagte zu Michael, dass er ihn nun aussenden werde, um den militanten und internationalen Atheismus praktizieren zu lernen, insbesondere gegen die katholische Kirche, die die beste Struktur habe. Um das zu verwirklichen, müsse er ins Seminar eintreten und römisch katholischer Priester werden. Darauf zuerst Schweigen; aber dann erfüllte diese Aussicht Michael mit großer Freude. Ja, sagte er, Michael müsse, um ins Priesterseminar eintreten zu können, nach Polen zurückgehen, sich mit den Adoptiveltern aussöhnen und sich dem Bischof vorstellen. Michael revoltierte, fügte sich aber schließlich. Der Partei wollte er ja schließlich Zeit seines Lebens dienen. Er müsse aus Marmor werden und dürfe keine Gefühle persönlicher Art hegen, erklärte der „Onkel“. Michael fragte: „Sechs Jahre Seminar?“ Der Onkel bejahte. Ein Geheimagent habe kein Blut in seinen Adern zu haben, kein Herz, liebe niemanden, nicht einmal sich selbst. Er sei eine Sache der Partei, die ihn lebend verschlingen könne, ohne Vorwarnung. Er habe festzuhalten, dass er überwacht werde, wo immer er sich auch aufhalten möge, und dass man sich seiner bei der ersten Unvorsichtigkeit entledigen werde. Auch wenn er sich ohne seine Schuld in Gefahr befände, so dürfe er nicht auf die Partei rechnen. Er würde verleugnet werden. Michael antwortete: „Ich weiß das alles, aber ich erlaube mir zu fragen, warum ich meiner falschen Familie Liebe heucheln soll. Ich habe ihr niemals den Hass verborgen, den ich für die empfinde.“ Der Onkel antwortete: „Der Hass nützt uns nichts, außer gegen Gott. Sie müssen durch einen echten Bischof Ihres Heimatlandes Polen angenommen werden. Wir haben kein Interesse, Ihre Studien in diesem Lande abschließen zu lassen. Sie werden auf die andere Seite des Atlantiks geschickt werden. Aber das ist vertraulich und Sie werden staunen, wenn sie diesen Befehl erhalten werden. Ja, wir haben allen Grund, einen europäischen Krieg zu fürchten mit diesem Narren, der jetzt Deutschland regiert. Also scheint es klüger, Ihre Studien in Kanada abschließen zu lassen. Auch ein anderer Grund bestimmt uns, nämlich die europäischen Seminare sind viel strenger als die amerikanischen. Ich weiß, dass Sie 6 Jahre strenges Seminar ohne weiteres ertragen können, ohne davonzulaufen; das ist keine Frage. Aber wir brauchen einen, der die Welt kennt, und der es versteht, klug zu reden, damit sie den Glauben verliert; selbstverständlich so, dass niemand Verdacht schöpft. Es würde uns wenig nützen, die jungen Leute in die Seminare zu schicken, wenn sie sich dort zugrunderichten lassen. Nein, Sie werden Priester bleiben bis zum Tod und Sie werden als treuer keuscher Priester leben.“
Michael trat also in ein polnisches Priesterseminar ein. Von nun an sollte er sich bemühen, zu entdecken, wie man alles das, was man ihn lehrte, zerstören könne. Deshalb musste er zwar aufmerksam, aber ohne Leidenschaft (denn Michael hasste die Kirche) Kirchengeschichte studieren. Er sollte bedenken, dass Verfolgung zu nichts nütze sei und nur Märtyrer schaffe, die nur Same zu neuem Christentum wären, wie er sagen hörte. Und nicht vergessen, dass alle Religionen auf Furcht aufgebaut sind. Wenn man dieses unterdrückt, trifft man die Religion selbst. Furchtlose Generationen würden gebraucht werden. Der Onkel befahl die Ausforschung der besten Methode, den wöchentlichen Bericht zu übersenden und verhieß die baldige Zusammenarbeit mit dem Netz selbst. Michael würden 10 Personen unterstellt und diese hätten ihrerseits wieder 10 Personen unter ihrem Befehl. Die unter seinem Befehl stehenden würden ihn (Michael) nicht kennen. Außerdem erklärte der Onkel: Wir haben schon zahlreiche Priester in allen Ländern, wo der Katholizismus sein strenges Regime führt, aber ihr kennt euch nicht untereinander. Der eine davon ist ein Bischof. Vielleicht treten Sie in Beziehung zu ihm. Das wird vom Grad abhängen, den Sie erreichen werden. Wir haben überall Beobachter, insbesondere ehemalige Agenten, die die Weltpresse durchstöbern. Ein Übersichtsbericht wird Ihnen regelmäßig zugehen. Wir werden also leicht feststellen können, wann Ihre eigenen Ideen wirksam werden. Michael fragte den Onkel, wie er in Verbindung mit ihm bleiben könne, wenn der Krieg ausgebrochen sein würde. Es war schon alles vorgesehen. Michaels Geheimnummer würde ES 1025 sein. „Also sind vor mir schon 1024 Priester und Seminaristen in diese Karriere eingetreten!“ rief Michael aus. „Das könnte wohl sein“, erwiderte der Onkel. „Braucht es denn so viele?“ fragte Michael noch. Der Onkel lächelte nur.
3. Kapitel
Nach diesem denkwürdigen Abend lud der Onkel Michael ein zur Einsichtnahme in einige Geheimakten. Obwohl Michaels Memoiren niemals veröffentlicht werden dürfen, nahm er sich vor, vorsichtig zu bleiben. Im Augenblick dachte er nur daran, dem Onkel eine Idee für die Generaldirektion vorzulegen. Der Onkel lächelte leicht. Er lobte den Eifer Michaels und befahl ihm, sich kurz darüber zu äußern. Michael sagte also: „Anstatt religiöse Gefühle zu bekämpfen, würde ich vorschlagen, sie für künftige Ideen zu engagieren. Man muss den Menschen in den Kopf setzen, besonders den Kirchenmännern, auf jeden Fall über eine universelle Kirche nachzudenken, in der sich alle Kirchen vereinigen könnten. Damit diese Idee Leib und Leben erhalte, muss man sie den frommen Leuten einimpfen, insbesondere den römisch-katholischen; man muss ihnen ein Gefühl der Schuld gegenüber den Protestanten beibringen.“ Der Onkel fragte: „Sind Sie nicht ein wenig zu optimistisch in der zweiten Hälfte Ihres Vorschlages?“ „Nein, nein“, rief Michael aus, „ich war katholisch, will sagen, sehr fromm und sehr eifrig bis zu meinem 14. Lebensjahr, und ich glaube, dass es relativ leicht ist, den Katholiken zu zeigen, dass es auch bei den Protestanten, bei den Moslems und bei den Juden heilige Menschen gibt. „Angenommen“, antwortete der Onkel, „aber welches Gefühl werden die anderen Religionen haben?“ „Das wird verschieden sein“, sagte Michael, „und ich werde diesen Aspekt des Problems noch studieren; aber die Hauptsache ist, die katholische Kirche tief und endgültig zu treffen; sie ist die gefährlichste.“ „Und wie stellen Sie sich die universelle Kirche vor?“ fragte der Onkel wieder. „Ich sehe sie sehr einfach“, sagte Michael, „sie kann niemals anders als einfach sein. Damit alle in sie eintreten können, darf sie nur vage Ideen haben von einem mehr oder weniger schöpferischen Gott, der mehr oder weniger gut ist, je nach Bedarf. Und im Übrigen wird dieser Gott nur in Notzeiten nützlich sein. Dann wird die angegebene Angst die Tempel füllen, sonst aber werden sie leer stehen.“ Der Onkel überlegte eine Weile, dann sagte er: „Ich fürchte, dass der katholische Klerus schnell genug die Gefahr erkennen wird und sich zu unserem Projekt feindlich einstellen wird.“ Michael erwiderte lebhaft: „So ist es ja jetzt noch. Meine Idee ist ja von Nichtkatholiken propagiert worden, aber die Kirche hat sich solchen Programmen gegenüber immer verschlossen. Deshalb will ich ja die Art und Weise studieren, wie man ihre Meinung ändern könnte. Ich weiß, dass dies nicht leicht sein wird, dass man daran 20 – 50 Jahre wird arbeiten müssen, aber wir werden es erreichen.“ „Durch welche Mittel?“ fragte der Onkel. „Durch zahlreiche und subtile Mittel“, antwortete Michael. „Ich sehe die Kirche wie eine Kugel. Um sie zerstören zu können, muss man sie an vielen Punkten angreifen, bis sie an nichts mehr gleicht. Man muss dabei sehr geduldig sein. Ich habe haufenweise Ideen, die zunächst recht dürftig, ja kindisch, aussehen, die ich aber aufrecht erhalte, weil die Summe dieser Ideen eine unsichtbare Armee von großer Wirksamkeit sein wird.“ Michael legte dann im Verlaufe des Gespräches seinem Onkel eine kleine Arbeit vor, die dieser mit Interesse las und versprach, er werde diese Arbeit von seinen Beratern überprüfen lassen. Unterdessen sollte sich Michael für die Reise nach Polen vorbereiten. Er stellte Michael noch einem höheren Funktionär als er selber war, vor. Dieser fragte Michael, was ihm als das Höchste gelte, worauf Michael antwortete: „Der Triumph der Partei.“ Das hohe Tier (Bruto) sagte: „Von nun an sind Sie unter die aktiven Geheimagenten eingetragen. Sie werden jede Woche Ihre Weisungen ausgeben. Ich zähle auf Ihren Eifer. Ich will zugeben, dass es eine Weile braucht, um die Religionen von innen her zu zerstören, indessen ist es notwendig, dass die gegebenen Befehle ihr Echo finden, insbesondere bei den Schriftstellern, Journalisten, aber auch bei den Theologen. Selbstverständlich haben wir auch eine Stelle, die das religiöse Schrifttum der ganzen Welt überwacht und ihre Meinung äußert über die Nützlichkeit der von den diversen Agenten ergangenen Weisungen. Aber ich hoffe auf Sie, denn es scheint mir, dass Sie schon selbst alles verstanden haben.“ Michael schrieb: „Das hohe Tier war sichtlich kein Idiot. Es hörte von meiner Arbeit sprechen, dessen war ich sicher. Ich kannte zu gut die Verwundbarkeit der Christen, um nicht an meinem zukünftigen Erfolg zweifeln zu können. Ich glaube, dass diese Wunde Liebe heißt (Charité). Im Namen dieser sakrosankten „Liebe“ kann man alle Gewissensbisse einimpfen. Und Gewissensbisse sind immer ein Zustand des „geringsten Widerstandes“. Michael grüßte respektvoll, dankte aber mit einer gewissen Kühle. Er wollte nicht, dass dieser sich einbilden sollte, er habe ihn beeindruckt. Schließlich gelangt er dazu, dass er selbst der größte war.
4. Kapitel
Michael reiste nach Polen. Nachdem er sechs Jahre lang als armer, aber ehrgeiziger Student einsam und allein gelebt hatte, wollte er nun mit seinen 21 Jahren wieder ein normaler junger Mann werden, freundlich, zuvorkommend, gehorsam und fromm, brennend vor Verlangen, in das Priesterseminar einzutreten. Von einer bekannten Familie, die an seinen „Beruf“ glaubte, ließ er sich eine Audienz beim Bischof vermitteln. Dieser zählte zu jenen Katholiken, die der Meinung sind, es sei besser, an keine Berufung zu glauben, sondern sie zu bekämpfen. Eine wahre Berufung würde schon über alle Hindernisse siegen. Michael spielte seine Rolle gut und blieb bei aller Ablehnung durch den Bischof demütig und bescheiden. Der Bischof schickte ihn weiter zu seinem Pfarrer und dann noch zu einem Ordensmann, der im Rufe der Gabe zur Unterscheidung der Geister stand. Michael lächelte leise. Er war sich des Gelingens seiner Pläne voll bewusst. Der besagte Ordensmann prüfte Michael nach allen Regeln der Kunst, stellte ihm derartige Fallen, dass dieser hätte hineinfallen müssen, würde er keine Berufung gehabt haben. Michael wich allen Schlingen aalglatt aus und das Gespräch wurde nach und nach ausgesprochen warm und herzlich und man schied voneinander wie gute Freunde. Einige Tage verliefen im Schweigen, wie wenn die Kirche keine Eile hätte, wieder einen Seminaristen mehr zu haben. Michael aber arbeitete an den nächsten Direktiven, die via Russland die ganze Welt erreichen sollten. Endlich wurde Michael zum Bischof gerufen. Und da – Michael glaubte, die Erde öffne sich vor ihm – sagte der Bischof mit ganz ruhigen, schier teilnahmslosen Worten: der Ordensmann, zu dem er geschickt wurde, meine, Michael habe keine Berufung.
5. Kapitel
Michael ging seinen Weg weiter. Er suchte in Erfahrung zu bringen, was jenen Ordensmann bewogen hatte, ihm die Berufung abzusprechen. Zu diesem Zwecke bat er seinen Korrespondenten, der den Ordensmann gut kannte, diesen unter irgendeinem Vorwand bei sich einzuladen in Anwesenheit Michaels. „Während ich auf diesen wartete“, schrieb Michael in sein Buch, „ließ ich mir meine Arbeit durch den Kopf gehen. Ich sagte mir, es ist äußerst wichtig, dass die Christen sich heftige Vorwürfe machen über das Ärgernis einer geteilten Kirche. Denn es gibt drei Arten von Christenheit: die katholische, mehrere orthodoxe und gegen 300 protestantische Sekten. Das niemals erhörte Gebet dieses Jesus von Nazareth: „Seid eins, wie mein Vater und ich eins sind“, muss endlich erfüllt werden. Es heißt also, diesbezügliche Gewissensbisse zu züchten, insbesondere bei den Katholiken. Man muss herausstellen, dass der Fehler auf Seite der Katholiken liegt, die durch ihre Halsstarrigkeit selbst die Schismen und Häresien verursacht haben. Man muss bis zu dem Punkt kommen, wo der Katholik sich derart schuldig fühlt, dass er um jeden Preis die Wiedergutmachung anstrebt. Man muss ihm suggerieren, dass er selbst versuchen muss, sich den Protestanten zu nähern, ebenso den anderen, doch ohne das Credo anzutasten. Das Credo muss bewahrt bleiben. Oder? Nur eine kleine Abänderung! Die Katholiken sagen: ich glaube an eine katholische Kirche, die Protestanten: ich glaube an eine allgemeine Kirche, das ist doch das gleiche, denn das Wort katholisch will sagen: allgemein (universell). Zum mindesten wollte man das so am Anfang. Aber im Laufe der Jahre hat das Wort katholisch einen tieferen Sinn angenommen, es wurde fast ein magisches Wort. Und ich sage, dieses Wort muss im Credo um eines höheren Gutes willen unterlassen werden wegen der Einheit mit den Protestanten. Mehr noch: jeder Katholik muss sich bemühen, nachzudenken, was den Protestanten gefallen könnte. Selbstverständlich darf dabei der Glaube und das Credo nicht in Frage gestellt werden. Niemals! Man muss die Geister immer nur zu einer größeren Liebe und Brüderlichkeit hinführen, niemals von Gott sprechen, sondern von der Größe des Menschen.
Nach und nach muss der Sprachgebrauch und die Mentalität umgeformt werden. Der Mensch muss an erster Stelle stehen. Man muss das Vertrauen zum Menschen kultivieren, welcher seine Größe beweisen wird, indem er die universelle Kirche gründen wird, in der sich alle, die guten Willens sind, verschmelzen werden, und aufzeigen, dass der gute Wille des Menschen, seine Aufrichtigkeit und seine Würde mehr wert sind als ein immer unsichtbarer Gott. Zeigen, dass der Luxus und die Kunst, welche die katholischen und orthodoxen Kirchen umgeben, ein Ärgernis sind für die Protestanten, für Juden und Moslems; suggerieren, dass es der Mühe wert sei, diesen unnützen Rahmen um eines höheren Gutes willen zu sprengen. Auch einen Bildersturm muss man entfachen. Die jungen Leute sollten all diesen Plunder demolieren: die Statuen, Bilder, Reliquien, die priesterlichen Ornate, die Orgeln, Kerzen, Lampen, die Fenster der Kathedralen usw. Auch wäre es gut, wenn man eine Prophezeiung in die Welt hinausgeben würde: Ihr werdet verheiratete Priester sehen und die Messe in der Volkssprache vernehmen. Ich erinnere mich mit Freude daran, dass ich der erste war, der solche Dinge schon 1938 gesagt hat. Im selben Jahr trieb ich die Frauen dazu an, das Priestertum zu verlangen und ich pries eine Messe, die nicht in der Pfarrkirche, sondern zuhause in der Familie von Vater und Mutter vor der Mahlzeit gelesen werden sollte, die sogenannten Hausmessen. Eine Menge solcher Ideen fiel mit ein, eine kühner als die andere. Als ich dieses ganze Programm in Codebuchstaben übertragen wollte, kam mein Freund und teilte mir mit, dass der Ordensmann erst am nächsten Tage ihn besuchen würde.“
Soweit die Eintragungen in Michaels Buch. Im weiteren bestand Michael darauf, den Grund zu erfahren, weshalb dieser Ordensmann ihm die Berufung abgesprochen habe. Jener erklärte, er habe persönlich keinen Grund, doch der Herr habe seiner Seele das nötige Licht gegeben. Michael wurde nervös. Diese Antwort war keine Antwort, doch glaubte Michael, dass er ihn nicht anlog. Er hatte tatsächlich keinen eigentlichen Grund, ihn in das Nichts zurückzustoßen, er besaß nur einen gewissen Spürsinn. Michael war entschlossen, sich anderswo vorzustellen. Doch der Ordensmann sagte ihm mit seinem sanften, engelsgleichen Lächeln, dass Michael sich ins Unrecht setze, wenn er nun doch in ein Seminar eintrete. Michael erklärte ihm kalt, dass er durchaus fähig wäre, ihn umzubringen. Der Ordensmann antwortete, dass er das wisse. Michael war bestürzt. Augenblicke lang sahen sie sich gegenseitig in die Augen. Der Ordensmann sagte ruhig: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Dann ging er. Michael gesteht, dass er in diesem Augenblick am liebsten bis ans Ende der Welt geflohen wäre, denn dieser Mann besaß eine Macht, die er sich nicht erklären konnte. Michael trug in sein Buch ein: „Da machte mein Freund mir ein Zeichen, denn er spürte, dass ich schwach wurde, und er wusste, dass alles für mich vorbei sein würde, wenn ich dem Befehl meines Onkels nicht nachkam. Ich wollte ja selbst alle Hindernisse beseitigen. Also entschloss ich mich kurzerhand zur Herbeiführung des Todes ohne Verletzung (la mort sans blessures). Männer von meinem Wert für die Partei hatten alle die Gelegenheit gehabt, eine Spezialausbildung zu erhalten, deren kostbarste Geheimnisse wir aus Japan bezogen. Zu dieser Zeit kannten nur wenige Menschen des Westens diese außergewöhnlichen Möglichkeiten, die der menschliche Körper bot, sei es zur Verteidigung, sei es zum Angriff, ja selbst zum Mord mit bloßen Händen. Obwohl Russland auf diesem Gebiet Bescheid wusste, war doch Japan in Führung. Ich war stolz, einer der ersten Eingeweihten in dieser Kunst gewesen zu sein. Ich habe also mit zwei raschen Handgriffen den Tod ohne Verletzung desjenigen bewirkt, welcher die fast komische Kühnheit gehabt hatte, sich gegen den Marxismus – Leninismus zu stellen, indem er mich abwies. Ich kehrte ganz friedlich nach Hause. Das Hinscheiden würde normal gemeldet werden. Todesursache: Herzschlag. Am anderen Morgen war mein Körper mit kleinen Pünktchen übersät. Ich war wütend, denn das war ein Zeichen, dass meine Leber diese Spannung nicht ausgehalten hatte. Zu dumm! Dann beglückwünschte ich mich, denn meine Sache hatte letzten Endes doch Erfolg gehabt.
6. Kapitel
Michael bereitete sich offen zum Eintritt ins Seminar vor. Man schickte ihn nach Paris und Rom. Dort hatte er ein interessantes Gespräch mit einem Professor, der später sein Seminarprofessor werden sollte, wenn er die Priesterweihe empfangen würde. Dieser Professor gehörte zum Agenten-Netz und gab sich optimistisch. Er hatte sich auf die Hl. Schrift spezialisiert und arbeitete an einer neuen Bibelübersetzung in englischer Sprache. Ein einziger Mitarbeiter war ein lutherischer Pastor, der übrigens mit seiner Kirche nicht mehr übereinstimmte. Selbstverständlich blieb diese Zusammenarbeit geheim. Das Ziel der beiden Männer war, die Menschen von allen Systemen zu befreien, die sie sich durch die Interpretation der Bibel, besonders des Neuen Testamentes, festgelegt hatten. Ihrem Plan gemäß sollte die Jungfräulichkeit Mariens, die Realpräsenz in der Eucharistie und die Auferstehung Christi nach ihrem Wunsch in Klammer gesetzt werden, um dadurch schließlich ein ganz einfaches Verschwinden zu erreichen. Die Würde des modernen Menschen schien ihnen dieses Preises wert zu sein. Michael berichtet dann weiter: „Der Professor hatte mir auch eine recht brauchbare Art, die Messe zu lesen, beigebracht. Denn ich werde nach meiner Weihe verpflichtet sein, sie zu lesen. Da er eine tiefe Veränderung durch diese Zeremonie annahm, sprach er die Konsekrationsworte niemals aus. Aber um nicht in Verdacht zu kommen, sprach er die Endungen der Worte ähnlich lautend aus. Ich machte es ebenso. Alles, was diese Zeremonie einem Opfer anglich, sollte nach und nach weggelassen werden. Das ganze sollte nur ein gemeinsam eingenommenes Mahl sein, wie bei den Protestanten. Der Professor arbeitete auch an einem neuen Messformular und riet mir, dasselbe zu tun, denn es scheine ihm sehr wünschenswert, der Welt eine Anzahl ganz verschiedener Messformulare vorzulegen. Man brauche sehr kurze für die Familien und für kleinere Gruppen, längere für die Festtage. Im Übrigen wäre auch ihm das wahre Fest für die arbeitenden Menschen ein Spaziergang in die Natur. Er meine, dass man sehr leicht den Sonntag zu einem Tage der Natur umwandeln könne. Er sagte mir, dass ihm seine Arbeiten nicht Zeit ließen, das Studium der jüdischen, mohammedanischen und anderer orientalischer Religionen zu betreiben, dass aber diese Arbeit von größerer Wichtigkeit wäre, als die neue Übersetzung der Bibel. Er riet mir in allen nichtchristlichen Religionen nachzuforschen, was den Menschen am besten erhöhe und dann dafür Propaganda zu machen. Er gab mir auch die Adresse eines Franzosen bekannt, der als Musikprofessor in der Stadt lebte, wo ich mich für 6 Jahre hinbegeben sollte, um mich denkbar langweiligen Wissenschaften zu widmen. Er versicherte mir, dass ich volles Vertrauen zu jenem Manne haben könne, dass er mir alle Dienste erweisen würde, auch die heikelsten. Auch die Zivilkleidung könne ich zur Aufbewahrung bei ihm abgeben, freilich gegen gute Bezahlung. Eines Tages saßen wir auf der Terrasse eines Cafés, als er mir plötzlich sagte: „Stellen Sie sich diese Stadt vor ohne eine einzige Soutane, ohne ein einziges Gewand von Mönch und Nonne. Welch wunderbare Leere! Denn in Rom erfasst man erst die enorme Wichtigkeit der Priesterkleidung. Aber ich schwöre mir, dass sie aus unseren Straßen verschwinden werden, auch aus den Kirchen, denn man kann die Messe sehr wohl auch in Zivilkleidung lesen.“ Dieses Spiel, das darin bestand, sich die Straßen ohne Soutane vorzustellen, verfing sich in meinem Geiste und ich empfand einen immer mehr wachsenden Hass gegen dieses Stückchen schwarzen Stoffes. Es schien mir, dass die Soutane eine stumme Sprache sei, aber wie beredt. Sie sagte dem Gläubigen, wie dem Gleichgültigen, dass der so bekleidete Mensch sich einem unsichtbaren Gott geschenkt habe, den er für allmächtig halte. Als ich selbst genötigt war, in dieses lächerliche Kleid hineinzuschlüpfen, nahm ich mir zwei Dinge vor: das Warum und das Wie der priesterlichen Berufung bei den jungen Burschen verstehen zu lernen, und jenen, die die Soutane tragen, einzugeben, dass sie die Gleichgültigen wie auch die Feinde besser erreichen würden, wenn sie die Soutane nicht trügen. Ich nahm mir vor, bei diesem Vorhaben den Schein höchsten Eifers zu geben. Bei diesem überaus wichtigen Werk fühlte ich mich berechtigt, mich schon im Vorhinein zu freuen. Viel mehr noch: diese neuen Priester der kommenden Zeiten würden, da sie einer für alle weit geöffnete Kirche angehören werden, nicht mehr den gleichen Unterricht haben. Da sie sich nicht untereinander verständigen können, zum Mindesten nicht in der Theologie, werden sie nur geringes gegenseitiges Verständnis besitzen; sie werden sich höchstens über philosophische Fragen besprechen können, aber nicht über mehr. Und Gott wäre tot, das genügt. Im Grunde ist dies alles nicht schwer und ich frage mich, warum bisher niemand diese Methode verwendet hat. Freilich, gewisse Jahrhunderte sind günstiger als andere für solche Entwicklungen. Meine erste Zeit im Seminar war die glücklichste. Jeder wollte mir, dem mutigen Polen, seine Sympathie zeigen. Ich ließ dies alles von mir aussagen, mit Bescheidenheit natürlich. Ich wollte in allem der Erste sein, und so war es auch. Meine Sprachkenntnisse in den lebenden Sprachen waren wirklich erstaunlich. Auch in Latein und Griechisch arbeitete ich mit Feuereifer. Ich glänzte auf dem Gebiet des Sportes, ließ mir aber meine Spezialausbildung im Nahkampf, jene Kenntnisse, die ich aus Japan bezogen hatte, nie anmerken. Kurz, alles ging so gut vonstatten, dass ich mich langweilte. Ich suchte daher eine spektakuläre Leistung zu bieten, die mich wieder lebendig machen sollte und ich fand nichts Gescheiteres, als dass ich mich entschloss, eine Beichte bei jenem meiner Professoren abzulegen, die mir noch am sympathischsten waren.
7. Kapitel
Michael legte nun seine Pseudo-Beichte bei einem Professor des Seminares ab. Das Ganze war nur ein Experiment für ihn; er wollte wissen, wie sich der Priester aus der ganzen Sache heraushalten würde: einerseits um das Beichtgeheimnis zu wahren, andererseits sein Mitwissen um Michaels eigentliche Aufgabe und Absicht nicht zu verraten. Würde er seinen Austritt aus dem Seminar veranlassen? Michael hält in seinen Aufzeichnungen folgendes fest: „Ich bat ihn also, meine Beichte hören zu wollen. Ich erzählte ihm alles: dass ich Kommunist und dem Geheimdienst verpflichtet sei und zwar der Sektion des militanten Atheismus, dass ich einen polnischen Priester ermordete, der behauptet habe, dass ich keine Berufung hätte. Sonderbar, der Professor glaubte mir alles, auch wenn ich alles nur erfunden hätte. Er reagierte ziemlich banal, indem er mich auf mein ewiges Heil verwies, um das es in erster Linie ginge. Fast hätte ich laut gelacht. Glaubte er wirklich, dass ich auch nur ein Atom von Glauben hätte? So war ich genötigt, ihm zu erklären, dass ich weder an Gott noch an einen Teufel glaubte. Eine solche Beichte war wahrscheinlich ganz neu für ihn. Er tat mir leid. Er sagte zu mir: „Was erwarten Sie sich, wenn Sie in einen Orden eintreten?“ - „Die Kirche von innen her zu zerstören“, antwortete ich mit Freimut. „Sie sind wohl sehr anspruchsvoll“, entgegnete er mir. Ich ärgerte mich ein wenig, aber freute mich auch, ihm sagen zu können, dass wir schon mehr als tausend Seminaristen und Priester seien. Darauf sagte er kurz: „Das glaube ich nicht.“ „Wie Sie wollen“, sagte ich, „aber ich trage bereits die Nummer 1025, und wenn auch einige gestorben sind, es sind ein rundes Tausend.“ Er schwieg lange. Dann fragte er ziemlich trocken: „Und was erwarten Sie sich von mir?“ Es fiel mir schwer zu antworten, denn ich wollte mich ja nur amüsieren und wissen, wie er sich herauszöge aus der Angelegenheit bei Einhaltung des Beichtgeheimnisses und bei einem solchen Geständnis. So sagte ich einfach: „Ich vermute, dass Sie versuchen werden, mich zurückzuschicken.“ „Sie zurückschicken?“ fragte er zurück. „Sind Sie nicht einer der besten Schüler von uns und einer der frömmsten?“ Ich war sprachlos und wusste nicht zu antworten. Dann meinte er: „Klärt Sie meine Beichte wirklich nicht auf über meine Persönlichkeit ?“ Er sagte kurz und knapp: „Die Beichte ist von unserem Herrn Jesus Christus eingesetzt zum Heil der Seele, die Ihre hat also keinerlei Nutzen.“ „Nicht einmal um sich besser zu verstehen?“ meinte ich. „Nein, denn wenn Sie diesen Ort verlassen haben werden, werde ich alles vergessen haben.“ „Wirklich?“ „Sie wissen es sehr gut, Sie studieren bei uns.“ „Also war das der Grund Ihrer unglaublichen Beichte?“ „Vielleicht!“ „Wenn Sie einen anderen Zweck verfolgen, so wäre es besser, ihn mir zu sagen.“ „Nein“, sagte ich artig, „ich wollte Sie nur studieren, Sie selbst, das ist alles.“
Es schien, dass er überlegte, dann sagte er zu mir: „Vergebliches Bemühen. Es wird nichts passieren.“ „Wirklich nichts?“ „Nichts, Sie wissen es ja.“ Er stand auf und ließ mich in Verlegenheit und Unsicherheit zurück. Am nächsten Tag sagte mir ein Mitschüler, der glaubte mein Freund zu sein, weil er mich liebte, ganz leise: „Der Professor hat die ganze Nacht in der Kapelle gebetet.“ Ich schwieg. Hätte er mich nicht fragen müssen, ob ich mich bekehren oder abreisen wolle? Aber hatte er nicht gesagt: ich werde alles vergessen. Was konnte er also gegen mich sagen, was nicht zur Beichte gehörte? Nichts. Ich hätte ja gar nicht gebeichtet, wenn ich nicht immer das Bild eines vollkommenen Seminaristen hätte abgeben müssen. Wusste er nicht, der alte Mann, dass ein Kommunist zu jedem Opfer bereit ist? Alle diese Leute glauben immer, dass nur Christen Opfer bringen. - Die folgenden Tage beobachtete ich ihn aufmerksam und fand, dass er immer der Gleiche blieb: ruhig, sanft und kindlich heiter. Im Grunde hatte ich eine gewisse Vorliebe für ihn. Nach und nach beichtete ich bei allen Professoren und amüsierte mich, wie sie an diesem schrecklichen Beichtgeheimnis kauten. Aber ich konnte niemals verstehen, wie sie diese Last meiner Gegenwart ertragen konnten.
Sein Onkel verlangte jetzt nur mehr eine Arbeit pro Woche, ein Projekt, das er auszuarbeiten hatte. Dann schrieb Michael weiter: „In der Zeit, wo ich mit der Beichte mein loses Spiel trieb, war ich besonders empfindlich in der sogenannten Tugend des hl. Gehorsames, wie sie hier sagen. Dieser bezieht sich ganz besonders auf den Papst. Ich wälzte Probleme hin und her, ohne es zu verstehen. Ich war also geneigt, unseren Überwachungsdienst fragen zu wollen, was es für eine Bewandtnis habe, mit dem Vertrauen der Katholiken zu ihrem Papst. Ich wusste nicht, dass ich hier etwas Schwieriges fragen wollte. Dennoch schien es mir vordringlich, die Katholiken aufzureizen, am Papst Kritik zu üben. So wurde also jemand beauftragt, alle Schriften des Vatikans zu überwachen, um darin, wenn auch kleine Details die irgendjemand missfallen könnten, zu entdecken. Die Qualität jener, die den Papst kritisieren sollten, galt wenig. Hauptsache war, dass er überhaupt kritisiert wurde. Das Ideal wäre freilich, dass er von sich aus allen missfällt, den Traditionalisten wie den Modernisten. Was die Tugend des Gehorsams betrifft, so ist sie eine der Hauptkräfte der Kirche. Ich gedachte sie ein wenig zu erschüttern, indem ich die Gewissensbisse bezüglich der Einheit der Christen anheizte. Jeder soll sich selbst mitschuldig fühlen an der gegenwärtigen Geteiltheit der Kirche. Jeder Katholik spreche sein mea culpa und trachte danach, wie er selbst vier Jahrhunderte der Verachtung gegen die Protestanten auslöschen könne. Ich konnte hier nachhelfen, indem ich alles herausstellte, woran die Protestanten Anstoß nahmen und verlangte mehr Liebe. Die Liebe hat den Vorteil, dass man ihr jede Dummheit aufladen kann. Ich fürchtete nur, dass meine Methode erkannt werden könnte und dass viele darin eine hinterlistige Art, Gott zu töten, erkennen würden. Übrigens will ich nicht behaupten, dass die Protestanten keinen Glauben hätten, aber sie sollen sich nicht zum Katholizismus bekehren, sondern im Gegenteil, die katholische Kirche soll ihnen entgegen kommen.
8. Kapitel
Nach zwei Jahren fragte sich nun Michael ernstlich, ob er fortsetzen sollte. Der Wille allein reicht nicht immer hin, und Michael war noch jung genug, um nicht nur vom Hass leben zu können. Indessen bemerkte er aber, dass dieser Hass wuchs und sich nicht nur auf Gott allein erstreckte, sondern auch auf Michaels Umgebung. „Wenn sie wüssten, wie ich sie verwünschte“, schrieb er weiter in seinem Buch. „Heute noch bewundere ich mich selbst, dass ich dieses aushalten konnte. Ich hatte auch einen Befehl erhalten, gewisse weltliche Einladungen anzunehmen; sie kamen, ohne dass ich wusste woher und wieso. Ich musste also gehorchen. Ich wagte auch niemals an den Onkel zu schreiben, um ihn über die Nützlichkeit dieser äußerst frivolen Unterhaltung zu fragen. Er kannte zwar meine Abneigung gegen diese Art Vergnügungen und hatte mir schon mitgeteilt, dass er es dennoch für gut finde, wenn ich die Welt ein wenig kennen lernen würde.“ Eines Abends lernte Michael bei einem großen Empfang ein junges Mädchen kennen, das ihm gefiel. Er kam in näherem Kontakt mit ihm. Wegen ihrer schwarzen Haare nannte er sie nur „Cheveux noire“ (Schwarzhaar). Sie war streng katholisch. Was macht sie da in solcher Gesellschaft? Michael befasste sich immer mehr mit ihr und ihrer Eigenart. Sie führten auch religiöse Gespräche. Michael reizte das. Eines Tages entwickelte ihr Michael sein Vernichtungsprogramm gegen die Kirche. Er sprach zunächst über das, was den Katholiken ermöglichen würde, von den Protestanten akzeptiert zu werden. Bis heute hatten die Katholiken auf die Rückkehr der Protestanten in den Schoß der Kirche gehofft. Es wäre nun Zeit, dass sie ihre Arroganz aufgeben würden. Die Liebe verlangte dies als Pflicht. Wenn die Liebe im Spiel ist, behauptete ich, kann nichts Schlimmes passieren. Ich prophezeite also mit Sicherheit das Weglassen des Latein, der priesterlichen Ornate, der Statuen, Bilder, Kerzen und der Kniebänke, damit sich niemand mehr niederknien konnte. Auch startete ich einen Feldzug zur Weglassung des Kreuzzeichens. Dieses Zeichen wurde nur in den römischen und griechischen Kirchen gemacht. Es wäre an der Zeit, dass sich die Katholiken besinnen, dass sie dadurch die anderen Kirchen beleidigen, die ebenso große Qualitäten besäßen wie sie. Dieses Zeichen, ebenso die Kniebeugen, seien nur eine lächerliche Gewohnheit. Ich prophezeite auch, und das war erst 1940, die Aufgabe der Altäre, die durch einen absolut leeren Tisch ersetzt werden würden und all die Kruzifixe, damit Christus wie ein Mensch und nicht wie ein Gott angesehen werde. Ich bestand darauf, dass die Messe nur als ein gewöhnliches Mahl angesehen werde, zu dem alle eingeladen seien, sogar die Ungläubigen. Schließlich prophezeite ich noch, dass die Taufe für den modernen Menschen nur zu einer lächerlichen – magischen Zeremonie herabgesunken sein wird. Ob mit oder ohne Eintauchen, die Taufe müsse aufgegeben werden zugunsten einer Erwachsenenreligion. Ich suchte auch nach Mitteln zur Unterdrückung des Papstes, doch fand ich niemals die rechte Möglichkeit dazu. Ich tröstete mich und hoffte, dass wir bald dahin kommen werden, den Papst für jedermann unsympathisch zu machen. Die Hauptsache ist, jedes Mal gegen ihn zu schreien, wenn er etwas Neues einführen will, und selbst wenn er auch nur Altes wiederholt, was aber zu hart ist, es ertragen zu können. Alles, was bei den Protestanten erlaubt ist, selbst wenn es nur eine einzige Sekte wäre, soll auch bei den Katholiken erlaubt werden, so die Wiederverheiratung Geschiedener, die Polygamie, die Empfängnisverhütung und die Euthanasie. Ehe die universelle Kirche alle Religionen und selbst die Ungläubigen aufnimmt, wäre es nötig, dass die christlichen Kirchen auf ihr Dekorum verzichten. Ich lud also zu einem ungeheuren Kehraus ein. Alles was Herz und Geist zu einem Kult für einen unsichtbaren Gott bewegen sollte, müsste unerbittlich unterdrückt werden.
Man soll nicht glauben, dass ich nicht wusste, wie auf gewisse Leute, die ich nicht nennen will, die Macht der Gesten und alles, was zu den Sinnen spricht, wirkte. Ein nur ein wenig überlegender Geist hätte bemerkt, dass ich alles das, was liebenswert in einer Religion ist, unterdrückte und durch Strengeres ersetzte. Ihnen die Strenge zu lassen, war eine hübsche List. So brachte ich ihnen bei, dass dieser grausame Gott vielleicht doch nur menschliche Erfindung war, ein Gott, der seinen einzigen Sohn zum Kreuzigen schickte! Doch musste ich vorsichtig sein, dass mein Hass nicht durch meine Schriften aufschien, es musste milder klingen, wie ein Bedauern. Als ich mich an diesen Weisungen und Prophetien berauschte, ließ mich der Musikprofessor rufen und lud mich für den Abend zu einem Konzert ein, wo ich die „Cheveux noire“ wiedersehen sollte. Glücklicherweise erhielt ich leicht die Erlaubnis zum Ausgehen. Ich hatte eine schöne Stimme und die Kirchenleute haben die Musik immer hochgehalten