Ansprache auf der Gedenkfeier für die 21 Märtyrer von Tripolis
Michael Hesemanns Ansprache auf der Gedenkfeier für die 21 Märtyrer von Tripolis in der koptisch-orthodoxen Marienkirche zu Düsseldorf.
Hochwürdigster Herr Erzpriester, lieber Abuna Boulos Shehata,
liebe Brüder und Schwestern,
damit hatten die feigen Mörder aus den Reihen des Islamischen Staates wohl nicht gerechnet. Sie wollten uns einfach Angst einjagen, uns drohen, die Überlegenheit ihrer totalitären und unmenschlichen Ideologie unter Beweis stellen. Es war, wie der Titel verriet, „Eine Botschaft, geschrieben in Blut, an die Nation des Kreuzes“. Die Drohung, das Mittelmeer mit Blut zu füllen. Eine Drohung, direkt gegen Rom gerichtet, das Zentrum der katholischen Christenheit, den Sitz ihres, also, da ich katholisch bin: unseres Papstes. Es gab ja auch Isis-Videos, die zeigten, wie ihre schwarze Flagge über Rom wehte. Eine offene Kampfansage an uns alle, das war dieses Video: Ihr seid als nächstes dran, wenn ihr Euch nicht uns ergebt.
Doch sie erreichten damit das Gegenteil. Sie rüttelten uns alle auf. Und sie machten einen Fehler bei aller Bearbeitung dieses so professionell fabrizierten Dokuments des Grauens, aufgenommen mit mindestens drei Kameras, einer davon an einem Schwenkarm befestigt, beinahe in Hollywood-Machart. Ihr Fehler war, dass sie die Gesichter dieser 21 Kopten in Großaufnahme zeigten, dieser Männer, die genau wussten, was ihnen bevorstand. Die nur einmal die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis, hätten sagen brauchen, um ihrem blutigen Schicksal zu entgehen. Die erhobenen Hauptes, den Blick zum Himmel oder gerade nach vorne gerichtet, ihren Henkern begegneten. Die noch einmal ein Gebet sprachen. Und deren letzte Worte, man hört es deutlich, lauteten: Mein Herr Jesus!
So lieferten uns ihre Mörder kein Video des Horrors, sondern das eindrucksvollste Glaubenszeugnis unseres jungen Jahrhunderts. Ich musste immer wieder an den Film „The Passion of Christ“ von Mel Gibson denken, als ich es sah. Es schien, als sei dieser Film das Vorbild. Aber nein, kein Film, sondern die Passion des Herrn selbst war das Vorbild für das Martyrium dieser 21. Sie traten im Moment ihres heroischen Sterbens auf die höchstmöglich authentische Weise die Nachfolge Christi an. Sie wurden wie Schafe zur Schlachtbank geführt – ganz wie das Lamm Gottes selbst, das ihnen voran ging.
Wie heißt es im 8. Kapitel des Evangeliums, das ausgerechnet jener Markus schrieb, der die Kirche dieser 21 Christen, Ihre heilige koptisch-orthodoxe Kirche, begründet hat? Dort werden die Worte des Herrn widergegeben: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“ (Mk 8,34-35)
Diese Worte trösteten die ersten Märtyrer der Kirche. Und ich musste beim Anblick dieser 21 immer an den heiligen Stephanus, den ersten Märtyrer denken, von dem die Apostelgeschichte (7,55-59) berichtet:
“Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen… So steinigten sie Stephanus; er aber betete und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“
Wir haben in diesem Video vom Tod der 21 nicht nur eine ergreifende Ikone, auf der sich die Verfolger selbst als schwarze Schatten ihrer selbst darstellten, ohne menschliches Antlitz, ja geradezu entmenschlicht, während ihre Opfer im Rot der Märtyrer mit verklärtem Gesicht vor Ihrem Gott knien. Wir haben in ihm auch ein erschütterndes Dokument des Glaubens. Denn bislang kannten wir Berichte vom Sterben der Märtyrer nur aus frommen Legenden, von Ikonen und Gemälden, und hatten gewiss manches Mal das Gefühl, da könnte geschönt und idealisiert worden sein. Nun aber wissen wir: Der Heroismus der Märtyrer ist eine Realität. Er ist nicht nur eine Realität aus der Frühzeit des Christentums, sondern auch in unserer Gegenwart. Wer fest genug glaubt, wer im Herrn verankert ist, der fürchtet keine Löwen, keine Folterqualen, kein Feuer und auch nicht die Messer dieser eiskalten, von einer dämonischen Ideologie verblendeten Mörder. Er schaut voll Vertrauen in den Himmel, wo ihn die Herrlichkeit des Herrn bereits erwartet!
Und so haben sie ihren Sieg gefeiert, einen Sieg, den ihnen kein irdischer Henker rauben konnte. Der Name des Herrn, den sie im Augenblick ihres Todes ausriefen, er wurde zum Siegel ihres Martyriums. Sie wurden uns allen zu Vorbildern unseres Glaubens. Und sie sind für uns alle zu Fürsprechern bei Gott, unserem Herrn, geworden, um dessen Thron sie längst versammelt sind.
Denn so steht es in der Offenbarung des Johannes: Diejenigen, die das Martyrium bestanden haben, haben ihre Gewänder weiß gewaschen im Blut des Lammes und stehen nun vor dem Thron des Lammes, das alle Tränen von ihren Augen abwischt (5,14-17). Sie werden als Zeugen Jesu (μαρτυροι) bezeichnet, von deren Blut die Hure Babylon betrunken ist (17,6). Die Kirche steht bei der Feier der Liturgie in der großen Gemeinschaft der Märtyrer. Die Hymnen der himmlischen Kirche vor dem Lamm, von denen die Offenbarung des Johannes voll ist, finden ihren Wiederhall in der Liturgie der irdischen Kirche; mit unseren Hymnen stimmen wir in das himmlische Lob der Märtyrer ein. Darum singen wir Katholiken im Lobgesang des „Te Deum“: „Dich lobt der Chor der Märtyrer“.
So wird noch einmal deutlich: Die Kirche ist Märtyrerkirche, oder sie ist nicht wahrhaft Kirche Jesu Christi.
Natürlich trauern wir mit den Angehörigen, den Frauen und Kinder dieser tapferen Männer, um den Verlust ihrer geliebten Ehemänner und Väter. Doch ein Martyrium ist kein Trauerfall. Paulus mahnt im Brief an die Philipper, den man zu Recht eine Märtyrerschrift genannt hat, gleich zwei Mal zur Freude: „Freuet euch! Nochmal sage ich euch, Freuet euch!“ (3,1; 4,4).
Die Märtyrerakten sprechen immer wieder von der inneren Ruhe und
Freude und ja gleichsam dem Entrücktsein beim Martyrium, wie wir es so eindrucksvoll auf diesem Video gesehen haben. Es wird berichtet, wie die Heiden staunten, wie geduldig und tapfer die Christen das Martyrium annahmen und wie sie ihren Peinigern vergaben.
So wurde ihr Martyrium nicht zu einer Niederlage, sondern zu einem Sieg, der oft genug zur Ausbreitung des Glaubens beitrug, wie es Tertullian in seinem berühmten Wort bezeugte: „Sanguis martyrum est semen christianorum“ – „Das Blut der Märtyrer ist der Samen neuer Christen.“
Auch der Tod der 21 Märtyrer von Tripolis war nicht vergebens. Ihnen ist es gelungen, nicht nur alle Ägypter in dieser bislang so gespaltenen Nation zu vereinen und zumindest für einen Augenblick Ägyptens Kopten und Muslime zu Brüdern werden zu lassen. Ihnen ist es auch gelungen, die gesamte Christenheit zu vereinen zu einer Ökumene des Blutes. Je suis Copte – wir sind heute alle Kopten!
Ich möchte hier an die Worte von Papst Franziskus von vergangener Woche erinnern:
„Sie sagten nur noch: Jesus, hilf mir! Man brachte sie alleine deshalb um, weil sie Christen waren… Das Blut unserer christlichen Brüder gibt ein lautes Zeugnis – egal, welcher Konfession sie angehören, es sind Christen! Und das Blut ist dasselbe; das Blut bekennt Christus.“ Die Christen sollten angesichts der neuen Martyrien enger zusammen rücken, so der Papst, denn „die Märtyrer gehören allen Christen“.
Sie sind nicht mehr die Märtyrer einer gespaltenen Christenheit, sie sind die Märtyrer einer vereinten Christenheit!
Möge die Kirche, die nun ihnen zu Ehren in Samalut errichtet wird, dem Heimatdorf der meisten dieser 21 Märtyrer, zu einem Heiligtum aller Konfessionen werden. Ist es nicht ein wunderbares Symbol, dass dieses Dorf schon von der Heiligen Familie besucht wurde, dass dort das Heilige Kind eines seiner ersten Wunder wirkte, dass dort die Heilige Helena eine der ältesten Kirchen Ägyptens, die herrliche Felsenkirche von Gabal al-Tayr, bauen ließ, in und über der sich noch heute so viele Wunder ereignen? Es gibt kaum einen würdigeren Ort für das Heiligtum, das diesen neuen Märtyrern geweiht sein wird.
Ja, wir alle sind die Nation des Kreuzes, denn das Kreuz, das auch diese 21 auf sich genommen haben, ist unser Stolz und unsere Hoffnung über alle Zeiten und Grenzen hinweg: in ihm werden wir siegen! Den Mächten der Unterwelt, das hat der Herr dem Petrus in Caesarea Philippi versprochen, wird es nicht gelingen, diese Kirche zu überwältigen. “Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit“, schreibt der heilige Paulus im Korintherbrief, „uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft.“(1 Kor 1,18)
Märtyrer von Tripolis, die ihr dem Herrn auf dem Kreuzweg gefolgt seid, bittet für uns, auf dass auch wir würdig werden der Verheißung Christi, derer Ihr Euch als so würdig erwiesen habt. Stärkt auch uns in unserem Glauben! Amen.