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Vorwort: Die Bilder der Buchmalerei der „Bamberger Apokalypse“
I. Einführung: Die Gesamtkomposition der biblischen Johannesapokalypse
II. Die sieben Siegel
- Die Rätsel der menschlichen Geschichte
1. Der Thronsaal Gottes
2. Die Öffnung des Buches
3. Die Öffnung der ersten vier Siegel:
Die vier apokalyptischen Reiter
4. Die Öffnung des fünften und sechsten Siegels:
Die Verfolgung der Gerechten in der Geschichte
und die „Trauer“ der Schöpfungswelt
5. Die Öffnung des siebten Siegels
und die Posaunen der sieben Engel:
Das drohende „Wetterleuchten“ des Untergangs
der Schöpfungswelt
- Kosmische Katastrophen
- Innerer „Schrecken“ der Bewohner der Erde
III. Der Posaunenstoß des siebten Engels
Die messianische Endzeit
- Dämonische Mächte und Gewalten in der Schöpfung
und ihr Untergang
- Das „Sterben“ der Schöpfungswelt
1. Die Frau und der Drache
2. Der Sturz des Drachen
3. Der Kampf des Drachen gegen die Frau
4. Das „Tier aus dem Meer“ und
das „Lügentier aus der Erde“
5. Das „Gericht“ über die Schöpfungswelt
- Die „Ernte“
Die sieben Schalen des Zorns:
Das Sterben der Schöpfungswelt
6. Die Hure „Babylon“
7. Der Sturz „Babylons“
IV. Das endgültige Gericht
_ - Das Gericht über die dämonischen Mächte
_ - Die Herstellung der Gerechtigkeit
_ 1. Christus erscheint zur Entscheidungsschlacht:
Die Heere des Himmels
_2. Der Sieg über das „Tier aus dem Meer“ und das „Lügentier aus der Erde“
- Die Fesselung des „Urdrachen“ und seine Auflösung
_3. Das „letzte Gericht“
- Die Gerechtigkeit
- Die Vernichtung des Todes und seiner Welt
V. Die Neue Schöpfung
_-Das Neue Jerusalem als Stadt und Paradiesesgarten
VORWORT: DIE BILDER DER BUCHMALEREI DER „BAMBERGER APOKALYPSE“
Die „Bamberger Apokalypse“, ein handschriftlicher Buchcodex, ein Werk der Buchmalerei der Reichenauer Schule, gehört zu den Prunkstücken ottonischer Buchmalerei. Der Codex ist in der Zeit zwischen dem Jahr 1000 und vor dem Jahr 1020 im Benediktinerkloster auf der Insel Reichenau im Bodensee entstanden. Auftraggeber war vermutlich Kaiser Otto III (reg. 983 - 1002). Nach dessen Tod ließ Kaiser Heinrich II (reg. 1002 - 1024) die Arbeiten am Codex fortsetzen und ihn fertigstellen.1) Mehrere Schreiber haben den Text in lateinischer Sprache auf Pergament niedergeschrieben und Buchmaler ihn bebildert.
Die Buchmalerei des Bodensee-Klosters Reichenau wurde von der Weltkulturorganisation Unesco im Jahr 2003 in das Verzeichnis des Weltdokumentenerbes aufgenommen und gehört zum „Gedächtnis der Menschheit“.
Die aus 106 Pergamentblättern bestehende Handschrift enthält in 49 (7x7) Bildern die Apokalypse des Johannes und ein Evangelistar, und kam im Jahr 1020 anlässlich der Gründung des Bistums Bamberg durch eine Schenkung von Kaiser Heinrich II und seine Gemahlin Kunigunde nach Bamberg. Sie befindet sich heute in der Staatsbibliothek Bamberg.
Die Apokalypse gewann gegen Ende des ersten Milleniums an Aktualität, weil sie von der Entfesselung des Satans nach 1000 Jahren spricht. Das Interesse richtete sich auf das Jahr 1033, da das Todesjahr Christi den Berechnungen zugrundegelegt wurde.2)
Im Folgenden soll eine größere Auswahl von Texten aus der Apokalypse des Johannes 3) meditiert und interpretiert werden, teilweise anhand von Bildern aus der Buchmalerei der „Bamberger Apokalypse“, weil sich diese eindrucksvollen Bilder eng an den Text der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes anlehnen und auch den heutigen Betrachter noch sehr beeindrucken können.
Eine Annäherung an die Apokalypse und ihre Deutung kann wahrscheinlich nur durch Malerei, Dichtung oder Musik und Schauspiel erfolgen, weil sich die Apokalypse an die Phantasie, die Intuition, die Kreativität und die Vorstellungskraft des glaubenden Menschen wendet, und sie eine Nähe zum Traum und zum Träumen besitzt. In verfremdeten Traumbildern tritt sie uns gegenüber, wie ein Traumbild muß sie entwirrt und gedeutet werden.
I. EINFÜHRUNG: DIE GESAMTKOMPOSITION DER JOHANNESAPOKALYPSE
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Tafel 1:
Die Apokalypse, die Offenbarung des Johannes, beginnt mit der Übergabe der Offenbarung:
„Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat, damit er seinen Knechten zeigt, was bald geschehen muss; und er hat es durch seinen Engel, den er sandte, seinem Knecht Johannes gezeigt.“ (Offenb. 1,1)
Im Bild des Buchmalers wird dem Seher Johannes symbolisch das, was er erst in Visionen schauen wird, aus dem Himmel heraus in einem Buch übergeben.
Die Offenbarung, die Christus von Gott empfangen hat, übergibt er durch einen der sieben Engel, die vor dem Angesicht Gottes stehen, an den Seher Johannes. Der Engel ist der Mittler der Visionen an Johannes und ist auch der, der sie deutet. Das Weltgeschehen und die endzeitliche Weltgeschichte laufen in den Augen des Sehers Johannes nach einem Plan Gottes ab, den Gott seit Ewigkeit her beschlossen hat, und sie steuern bald ihrem Ende entgegen (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O., S.28).
Der Fortgang der bald herannahenden Endzeit liegt begründet im ewigen Ratschluss Gottes.
Die Apokalypse wurde vermutlich auf der Insel Patmos in Kleinasien geschrieben von einem Mann, der sich „Johannes“ nennt, und aus der römischen Provinz Asia stammt.
Möglicherweise war er ein Wanderprediger und Prophet, der ursprünglich aus Palästina kam.
Sie datiert etwa aus dem Jahr 94 n. Chr., als der römische Kaiser Domitian (81-96 n. Chr.) herrschte, oder sie wurde am Ende seiner Regierungszeit geschrieben. Sie wurde in griechischer Sprache verfasst, aber die sprachlichen Besonderheiten weisen auf einen judenchristlichen Verfasser hin.
In einer krisenhaften Zeit gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. erfahren die Christen, dass für sie Gott zwar nur in Verborgenheit existiert, aber dass er ihnen doch unverbrüchlich nahe ist. Er ist Alpha und Omega, er umschließt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Welt, er ist Herr der Schöpfung, er leitet die Geschichte und bewahrt durch alle Katastrophen, durch alles Grauen hindurch, die Seinen. So ist die Johannesapokalypse Hoffungsliteratur.4) Sie ist Prophezeiung und Vision, Deutung von Gegenwart und Vision der endzeitlichen Zukunft.
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Tafel 2:
Zu Beginn der Apokalypse erscheint Christus dem Seher Johannes in einer geheimnisvollen Vision inmitten der sieben Leuchter (Offenb. 1,9-20), es sind die sieben christlichen Gemeinden der römischen Provinz Asia, sie erhellen die Welt, sie lassen ihr Licht in der Welt leuchten. In ihnen ist Christus anwesend und auch seine Macht.
Am Tag des Herrn, am Sonntag, wird der Seher Johannes vom Geist Gottes ergriffen und er hört die Stimme Gottes, die klingt wie Musik, und sie trägt ihm auf, aufzuschreiben, was er sieht und sehen wird. Der Seher Johannes erzählt:
„Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der wie ein Menschensohn aussah; er war bekleidet mit einem Gewand, das bis auf die Füße reichte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. Sein Haupt und seine Haare waren weiß wie Wolle, leuchtend weiß wie Schnee, und seine Augen wie Feuerflammen, seine Beine glänzten wie Gold, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen. In seiner Rechten hielt er sieben Sterne, und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne.“ Offenb. 1,12-16
Er ist der auferstandene Christus, der in der Herrlichkeit Gottes thront, er hat die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt, er ist der Weltenrichter. Das Schwert, das aus seinem Mund kommt, bedeutet, dass er die Welt mit seinem Wort richten wird. Er hält die sieben Sterne als Symbol der Weltherrschaft in den Händen, sie bedeuten zugleich die Engel der sieben Gemeinden, die diese im Auftrag Gottes beschützen sollen. Christus schreitet einher unter dem hellen Licht der sieben Gemeinden und richtet seine Botschaft in sieben Schreiben an sie: Er warnt sie und schenkt ihnen zugleich Hoffnung in Bezug auf die Endzeit.
„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“, heißt es im Prolog des Johannesevangeliums, „er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ (Joh 1, 9-12). Darin liegt auch der Ausgangspunkt der Apokalypse : Die Welt, die ihn nicht erkannt hat (...) und die Kinder Gottes in dieser Welt.
Die Apokalypse, in Briefform verfasst, beginnt mit den Sendschreiben an die sieben Gemeinden in Kleinasien, es sind apokalyptische Sendschreiben an die Christengemeinden von Ephesus und Smyrna,von Pergamon und Thyatira, von Sardes und Philadelphia, und von Laodizea. Alle Gemeinden sind Sitz römischer Behörden. Die sieben Gemeinden sind Repräsentanten der christlichen Gemeinden in Kleinasien, und diese stehen in Kleinasien unter gewaltigem Druck des römischen Imperiums, das die Christengemeinden in ihrer Existenz bedroht.
Den sieben Gemeinden entsprechen die sieben Planeten (Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn, Sonne - die den sieben Wochentagen entsprechen), und sie werden gegenübergestellt der unterdrückenden Weltmacht mit den sieben Köpfen, dem siebenhügeligen Rom, dem dämonischen Drachen aus dem Meer mit den sieben Köpfen. Die Gemeinden werden zur Entschiedenheit aufgerufen, sich für oder gegen Christus zu entscheiden angesichts der herannahenden Endzeit.5)
Vielleicht liegt der Apokalypse eine Tradition zugrunde, die Gerichtsvisionen enthält. Es liegt in ihr ein bitterer Zug, erbarmungslos schreitet die Endzeitgeschichte voran wie ein Uhrwerk, doch wird sie überformt und durchbrochen von der Hoffnungsgeschichte. Es ist ein Schauspiel, geschrieben in verschiedenen Szenen, ein Drama in mehreren Akten, ein mythisches Gedicht, das beim Gottesdienst in der Urkirche verlesen werden sollte. Auf der „Weltenbühne“ stehen Gott und das „Lamm“, der auferstandene und erhöhte Christus auf der einen Seite, auf der anderen Seite der „Drache“, dazwischen aber die Menschen,die sich entscheiden müssen.
Der Ablauf des Geschehens der eigentlichen Apokalypse ist ähnlich dem Aufbau des Dramas des antiken Theaters:
a) Die Bühne entsteht: der in Allmacht thronende Gott und das Lamm - das Buch mit den sieben Siegeln, das den Ablauf des Geschehens enthält - die apokalyptischen Reiter: die leidvollen Erfahrungen der Menschheit;
b) Die Entfaltung: das Leid der Menschen und die vorherrschende Ungerechtigkeit - die Trauer der Schöpfungswelt darüber
- der drohende Untergang am Welthorizont
- die Macht des Urdrachens und weiterer Drachen
- die Macht des „Imperiums“, das die Welt beherrscht;
c) Der Wendepunkt: Der Untergang der Schöpfungswelt und des römischen Imperiums;
d) Die Lösung: Die kommende neue Welt Gottes
Prophetische und apokalyptische Schriften des Alten Testaments (Daniel, Ezechiel, Sacharja, Joel) , das Markus- und das Mattäusevangelium, vielleicht auch die kulturelle Welt des Johannesevangeliums, Mythologien und Zeitgeschichte gehen in die Bilder- und Vorstellungswelt der Apokalypse ein. Der Verfasser erzählt vorwärtsschreitend durch die Geschichte bis zur Verwandlung der Welt im himmlischen Jerusalem das Geschehen aus verschiedenen Sichten und in verschiedenen Visionen, wobei auch Akte, die gleichzeitig geschehen, vom Verfasser hintereinander aufgereiht oder ineinander verschoben werden wie in einem Theaterstück. Es sind Traumbilder, Tagträume; aus verschiedenen Perspektiven leuchten Menschheitsträume, Angstvisionen und Hoffnungsträume auf. Die Apokalypse beinhaltet eine symbolische Sprache, eine mythische Erzählweise, und ihre Bilderwelt ist vieldeutig. Es ist eine Symphonie von Bildern 6) mit Metaphern, Chiffren, Projektionen und Symbolen. Es ist eine in Wundern endende Schreckensreise 7) des Menschen durch die Weltenzeit. Die Apokalypse ist nicht stringent logisch, sondern assoziierend, verknüpfend geschrieben.
Die Darstellung übersteigert das Geschehen apokalyptisch „maßlos“ und „unvorstellbar“, sie ist von großer Wucht, sie interpretiert die Weltgeschichte als einen Kampf von Mächten hinter den sichtbaren Erscheinungen, wobei die guten Mächte siegen. Unerwartet wird der Weltenrichter am Ende kommen.
Inhaltlich geht es um die die Menschen unterdrückende und zerstörende „Mächte“ und um die Herstellung der Gerechtigkeit. In Bildern des Exodus, in Geburtswehen, in einer „Passion“ steuert die alte Erde auf die Neue Stadt Gottes zu, die herabsteigen wird vom Himmel. Die„apokalyptische Frau“, Gottes Volk, das in Wehen liegt, bringt letztendlich als Nachkommen die Menschen des himmlischen Jerusalems hervor, sie bringt die Menschen hervor, die von Gott verwandelt werden am Ende der Geschichte.
Von oben aber schenkt Gott selbst die Neue Stadt, in der die Kinder Gottes wohnen werden.
Die herabsteigende Stadt, das „Neue Jerusalem“, ist einerseits das verwandelte Gottesvolk, die „Braut“, die sich mit Christus, dem „Lamm“ vermählt, andererseits aber die Wohnstätte Gottes, die Gottesherrschaft. Alldem aber geht das „Gericht“ voran, die Gerechtigkeit wird hergestellt. Schon in kurzer Zeit wird Christus als der Weltenrichter erscheinen. Der Exodus aus der alten Erde in die Neue Welt geschieht unter „Plagen“, der „Geburtsvorgang“ unter Wehen.
Die abgründige Bosheit, das Schuldigwerden, das in Versuchung-Fallen der Menschheit personifiziert und manifestiert sich in einem dämonischen „Urdrachen“ und im „Tod“, die dahinterstehen, sowie in der „Bedrohung“ und im „Leid“. Der „Urdrache“ erschafft die sich durch die Geschichte ziehende strukturelle Gewalt, den „Drachen aus dem Meer“. Vordergründig ist das römische Imperium gemeint, hintergründig aber die sich durch die ganze Geschichte ziehende globale Gewalt, die Unrecht schafft und zerstörerisch wirkt.
Auf diesem „Drachen aus dem Meer“ reitet vordergründig die „Hure Babylon“, die Weltstadt Rom, hintergründig aber geht es um unterdrückende, versklavende Machtzentren als globale Phänomene in der Menschheitsgeschichte, seien sie monozentrisch oder polyzentrisch gelagert in wechselnder Variation.
Der Begleiter des „Drachen aus dem Meer“ aber ist das „Tier“, der „Drache aus der Erde“. Er ist vordergründig der vergottende Kaiserkult in Kleinasien, hintergründig aber die stets die unterdrückende Machtstruktur begleitende religiös verbrämte Ideologie. Immer wieder steigt sie auf aus der Erde und dominiert die Menschen, als würde die Erde sie gebären, als würde sie aus Staub geboren. Auf diesem vorstellungsmäßigen Hintergrund spielt sich in der Apokalypse der Kampf zwischen guten und dämonischen Mächten ab.
Die Prophezeiung, die Analyse der Verhältnisse erfolgt in apokalyptischen Bildern. Es sind Visionen, die teilweise der erlebten Wirklichkeit, teilweise der Phantasie entspringen. Es sind aufsteigende Bilder aus der Tiefe, Archetypen menschlicher Ängste und Hoffnungen, die sich vermischen mit realen Schrecknissen und Glückserlebnissen, mit Wunschvorstellungen antropomorpher Art. Es sind Sehnsüchte, die mit der realen Geschichte sich überschneiden. Es sind Deutungen in einem unentwirrbaren Geflecht von Wünschen, Schrecknissen und Realitäten.
Entscheidend aber ist die Zielrichtung der Apokalypse: Gott als Inbegriff des Guten und Gerechten wird letztlich den Sieg davontragen, die Mächte des Lichtes sind stärker als die Mächte der Finsternis. Dies ist die „Gute Nachricht“, das Evangelium, dass durch Leid und Tod hindurch den Glaubenden die Auferstehung, die Neue Erde erwartet.
Gott, der Herr der Schöpfung und der Geschichte, und das „Lamm“, der gekreuzigte und auferstandene Christus, der am Ende wiederkehren wird, sind stärker als die Imperatoren jeglicher Couleur, die den „Drachen“ reiten. Dies ist die entscheidende Aussage der Apokalypse.
Aller Schrecken und alle Gräuel, die über die Erde kommen, sind eingeschlossen zwischen die Visionen vom Thronsaal Gottes, wo die himmlische Liturgie gefeiert wird oder dem Erscheinen des „Lammes“, Christus. Die Kinder Gottes sind inmitten aller Schrecken in Gott geborgen und werden von ihm gerettet. Die Christen werden zu endzeitlichen Mose- und Elia-Gestalten, Mose und Elia leben in ihnen weiter. Sie lassen ihr Licht leuchten in der Welt. Sie ziehen wie Mose voll Vertrauen zum Gelobten Land und vermehren wie Elia das Brot der Armen. Die unschuldig Ermordeten, die Martyrer, alle, die Unrecht erleiden, - schreien nach Gerechtigkeit, sie wird „bald“ kommen. Alle aber, die nicht an Christus glauben, keine Kinder des Lichtes sind - Johannes nennt sie die „Bewohner der Erde“ - müssen sich in Angst verbergen, wenn die Posaunen erschallen, die Schalen des „Zorns“ ausgegossen werden. Die Apokalypse erzeugt eine Phantasie von Bildern, die den inneren Schrecken, die innere Verzweiflung der Menschen in Bilder fassen, die fern von Gott und Kinder des Dunkels sind.
Die dämonische Gewalt aber wendet sich schließlich gegen sich selbst, bestraft sich selbst, löst sich in Luft auf wie ein Geisterreich, wie ein böser Traum. Die Kinder Gottes aber bleiben in all der Not geborgen. Am Ende verbrennt alles Dämonische und selbst der Tod im „nie erlöschenden Feuer“, es löst sich für immer auf. Die Engel aber, die eingreifen, sind die sieben Geister Gottes, sie sind die mächtigsten Engel Gottes. Sie bewerkstelligen die Selbstauflösung des Dämonischen, das im Wind verfliegt wie Asche. Die Schreckensbilder, die Fratzen der „Nacht“, lösen sich auf im Lichtglanz der „Sonne“.
Eine neue Schöpfung entsteht, bunt, farbig, in Bewegung, wie Wasser ständig sich verändernd, im hellen Lichtglanz Gottes - aller Glanz der Welt in unvergänglichen Edelstein gefaßt. Das Leben der Welt ist nur ein vergängliches Intermezzo, der Mensch aber ist geschaffen zur Ehre Gottes, er wird in der Neuen Stadt Gottes wohnen und Gott wird mitten unter den Menschen wohnen.
Das Universum - es wurde von Gott aus sich selbst heraus geboren, und es gebiert immer weiter in unendlicher Folge neue Räume. Alles Leben in diesem Universum gebiert ständig neues Leben. Ob am Ende das Universum wieder in seinen Anfangspunkt zusammenstürzt oder in endloser Kälte erstarrt, ist für den Menschen nicht wichtig. Für ihn persönlich stürzt bei seinem Tod die Welt und das Universum zusammen, es stürzt für ihn der Himmel ein. So kommt für alle Menschen in ihrem Leben die Geschichte mit Gott an ein Ende.
Wird es für ihn zur Katastrophe oder zum Glücksfall?
II. DIE SIEBEN SIEGEL
- DIE RÄTSEL DER MENSCHLICHEN GESCHICHTE
II. 1. DER THRONSAAL GOTTES
Danach sah ich: Eine Tür war geöffnet am Himmel; und die Stimme, die vorher zu mir gesprochen hatte und die wie eine Posaune klang, sagte: Komm herauf, und ich werde dir zeigen, was geschehen muss. Sogleich wurde ich vom Geist ergriffen. Und ich sah: Ein Thron stand im Himmel; auf dem Thron saß einer, der wie Jaspis und Karneol aussah. Und über den Thron wölbte sich ein Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah.
Und rings um den Thron standen vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste in weißen Gewändern und mit goldenen Kränzen auf dem Haupt. Von dem Thron gingen Blitze, Stimmen und Donner aus. Und sieben lodernde Fackeln brannten vor dem Thron; das sind die sieben Geister Gottes. Und vor dem Thron war etwas wie ein gläsernes Meer, gleich Kristall. Und in der Mitte rings um den Thron, waren vier Lebewesen voller Augen, vorn und hinten. Das erste Lebewesen glich einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte sah aus wie ein Mensch, das vierte glich einem fliegenden Adler. Und jedes der vier Lebewesen hatte sechs Flügel, aussen und innen voller Augen. Sie ruhen nicht, bei Tag und Nacht, und rufen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung; er war, und er ist, und er kommt.
Offenb. 4, 1-8
Mit dem vierten Kapitel beginnt die eigentliche Apokalypse. Der Seher Johannes sieht eine Tür am Himmel geöffnet und wird in den Thronsaal Gottes entrückt, in die Mitte des Himmels, dem Zentrum und Ausgangspunkt des Geschehens, der fortan sich abspielenden Akte des dramaturgisch gestalteten Schauspiels.
Hier thront der Herr der Schöpfung und der ganzen Geschichte, dessen Augen Schöpfung und Geschichte überblicken 8), der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich vereint. Er ist der Inbegriff von allem strahlenden Glanz, er ist der Ewige, der über allem dahinfließenden Geschehen thront, dessen Augen nichts verborgen ist, von dem, was verborgen scheint. Er ist der, der alle Rätsel löst. Siebenfach ist seine Erkenntnis, erhellt durch siebenfaches Licht, vor ihm stehen die sieben mächtigsten Engel als lodernde Fackeln. Umgeben ist er von vier Wesen, die Gottes Schöpfungskraft versinnbilden. Von ihm geht alles aus und zu ihm kehrt es zurück. Er ist vorauswissendes „Auge“, Licht, Leben und Geheimnis.
Er ist der in Ewigkeit thronende Gott, aber zugleich ist er auch der Herr der Geschichte, wie sich im Fortgang der Apokalypse zeigen wird.
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Tafel 3:
Im Bild des Buchmalers sitzt Gottvater in einer Mandorla, einer mandelförmigen Umschließung im blauen Grund auf dem „Thron“, einem brückenartigen Gewölbe in Gold, mit Edelsteinen besetzt. Der blaue Grund versinnbildet, dass er über den Wassern des Urmeeres thront, die Mandorla versinnbildet vielleicht den Regenbogen, dessen heller Schein Gottvater in der Vision des Propheten Ezechiel umgibt (vgl. Ez 1,28).
Er hat seine Füße auf einen dreifarbigen, kreisrunden Bogen gesetzt, der ihm als Schemel seiner Füße dient. Der Buchmaler will hinweisen auf den Propheten Jesaja (Jes 66,1): „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße“. Gottvater hält die Buchrolle in seiner Linken, die den Sinn der Lebenswelt und den Sinn und den Ablauf der Geschichte in sich birgt, die Rechte hat er im Redegestus erhoben: Mit seinem Wort erschafft er Himmel und Erde. Das Licht des Bogens strahlt auf über dem „gläsernen Meer“, dem Firmament, das das Gesicht des Okeanos in den Wellen zeigt und durchsichtig ist wie Kristallglas. Die „oberen Wasser“ bilden nach der Vorstellung des alten Weltbildes das Firmament, über dem sich der Thron Gottes erhebt.
Der dreifarbige Bogen trägt in sich die grüne Farbe der Erde, das Blau des Urmeeres und das Rot des Feuerhimmels im alten Weltbild: Gott ist der Herr über das All, über das grüne Land der Erde, über das blaue Urmeer und den roten Feuerhimmel, der auf das Firmament herabstrahlt, es mit seinen Blitzen erhellt.
Die vierundzwanzig Ältesten, der Hofrat Gottes, dargestellt vom Buchmaler stellvertretend in acht Personen, - sie tragen das siebenfache Licht Gottes in ihren Händen, in einem grünen Füllhorn der Hoffnung, in dem das Feuer brennt; es sind die sieben Geister Gottes, die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die sie erfüllen. Das Grün des Füllhorns korrespondiert mit dem Grün, dem Kern des Bogens.
Sie haben dreifach gekrönte Häupter, die Stufenkronen mit Perlen besetzt; sie tragen den grauen Bart der Ältesten, sie symbolisieren die mächtigen Scharen der Engel, die Gott loben seit alters her. Sie repräsentieren die kosmische Ordnung, den Rhythmus der Schöpfung, sie sind die Musik des Himmels, die Oktaven der himmlischen Musik und auch seine Liturgie.
Sie sind gekleidet in den Farben des Regenbogens , der Gott und Menschen immerwährend verbindet seit Noahs Landung der Arche. Alles von Gott Kommende steht im Goldgrund, aber noch stehen die Füße der Ältesten auf dem Grund der grünen Erde, denn die Engel betreten auch die Erde als Gottes Boten.
Um den thronenden Gottvater sind die vier geflügelten Lebewesen gruppiert, die einem Löwen, einem Stier, einem fliegenden Adler und einem Menschen gleichen und der Vision des Propheten Ezechiel (Ezechiel 1) entstammen. Sie sind Figurationen der Schöpfungsmacht Gottes ( sie sind auch zu Symbolen der vier Evangelisten geworden ). Sie versinnbilden den „Mut“ des Löwen, die „Kraft“ des Stiers, den „Weitblick“ des fliegenden Adlers und die auf den Menschen bezogene Art, die „Menschenfreundlichkeit“, mit der Gott Himmel und Erde schuf. Und die Lebewesen des Himmels und die Werke Gottes loben immerfort den Herrn von Schöpfung und Geschichte. „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“.
Sie stehen in Bezug zum Kosmos, und sie drücken die Mächtigkeit, die gewaltige Energie, die innewohnende Weisheit und die majestätische Schönheit des Kosmos aus, die von Gott kommt.
Jedes der vier Lebewesen um den Thron Gottes ist sechsfach geflügelt und mit Augen überdeckt.
Sie sind die stets Wachenden, nie Schlafenden, sie sind dazu da, Tag und Nacht den Lobpreis der ewigen Macht Gottes zu singen. Sie symbolisieren die vier Winde und die vier Enden der von Gott beherrschten Welt. Sie symbolisieren die Herrschaft Gottes über die ganze Schöpfung, sie sind als Cheruben zur Wacht Gottes bestellt, die Augen drücken die Wachsamkeit aus ( vgl. dazu : Jürgen Roloff,a.a.O., S.69 f.). In den Psalmen heißt es: Gott fuhr auf dem Cherub und flog daher, er schwebte auf den Flügeln des Windes (Psalm 18,11).
Sie sind der Erdenschwere enthoben. Sie ruhen in sich und sind doch voller Bewegung. Sie sehen nach innen und aussen, sie sehen das Wesen und die Erscheinung. Sie sehen den innersten Kern, ihr Wesen ist Schauen, sie sind ein einziges Auge. Sie sehen nicht einzelne Dinge, sie schauen das Ganze. Tief in ihnen, im Grund ihres Wesens bildet Gott als Herr der Schöpfung und der Geschichte sich ab, er ist das Licht ihrer Augen.
Die sechsfach geflügelten Lebewesen entstammen der himmlischen Welt, der Geistwelt, sie kommen von oben; eingepflanzt aber ist der Schöpfungswelt unten und der Geschichte der Menschen ihr Wesen: der Forschungsmut (“Löwe“), „macht euch die Erde untertan“ - die Kraft des Voranschreitens und der Weiterentwicklung (“Stier“), „seid fruchtbar und mehret euch“ - Weisheit und Erkenntnis, Weitblick von oben (“fliegender Adler“). Gott schuf den Menschen nach seinem Bild in Majestät; der „Mensch“ ist Mittelpunkt der Erdschöpfung , auf ihn ist sie bezogen : Er soll herrschen in Verantwortung Gott gegenüber über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und alle Kreaturen.
Die geflügelten Wesen beobachten nicht die Menschen, sondern es ist ein sorgendes Schauen. Mit seinen Flügeln beschirmt Gott die Menschen, heißt es in den Psalmen; die geflügelten Wesen sind die sehende Güte Gottes. Sie durchschauen die Mächte und Gewalten, sie decken das Verborgene auf, sie bringen die Wahrheit ans Licht, sie erkennen das Gesicht hinter der Maske.
Sie hocken nicht in der Erdenschwere, sie werden getragen von den Lüften, sie schauen von oben und loben Gott in der Höhe: Gloria in excelsis Deo. Doch nicht nur oben in der Höhe lebt Gott, sondern auch unten auf der Erde. Und nicht nur im römischen Imperator oder im ägyptischen Pharao lebt Gott, sondern in jedem Menschen. Die Menschen, Gottes Volk, sind dazu bestimmt, wie die vierundzwanzig Ältesten Könige zu werden, die vor Gottes Thron stehen - und auf Thronen werden sie sitzen und Gott schauen.
Denn, der da ist in der Höhe des Himmels, er ist auch in der Tiefe des Menschen.9)
Er ist nicht nur ein Gott, der in der Höhe thront, er zieht auch mit den Menschen durch ihre Geschichte, durch Höhen und Tiefen, bis an das Ende der Zeiten. Doch diese Geschichte ist mit Rätseln besetzt und erscheint in ihrem Sinn wie ein versiegeltes Buch.
II. 2. DIE ÖFFNUNG DES BUCHES
Und ich sah auf der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, eine Buchrolle; sie war innen und außen beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt. Und ich sah: Ein gewaltiger Engel rief mit lauter Stimme: Wer ist würdig, die Buchrolle zu öffnen und ihre Siegel zu lösen? Aber niemand im Himmel, auf der Erde und unter der Erde konnte das Buch öffnen und es lesen. Da weinte ich sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen und es zu lesen.
Da sagte einer von den Ältesten zu mir: Weine nicht! Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Sproß aus der Wurzel Davids; er kann das Buch und seine sieben Siegel öffnen.
Offenb. 5, 1-5
Wer kann den Sinn der Welt erklären, ihre Rätsel und Chiffren lösen, ihre Siegel aufbrechen?
Wer kann den Sinn der Welt als Natur und Geschichte - Anfang, Mitte und Ende des Ganzen deuten - , die Welträtsel lösen? 10) Wer kann das Rufen der Menschheit erhören, ihre Tränen trocknen und ihre Sehnsucht stillen? Wer kann die Welt in Gottes Auftrag an ihr Ende führen? Ein ungeheures Verstummen entsteht im Himmel und auf Erden. Der Seher weint: Wieviele Tränen wurden vergossen im Warten auf den Messias?
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Tafel 4:
Im Bild des Buchmalers sitzt Gottvater auf dem Thron, vor ihm, dargestellt in acht Personen die vierundzwanzig Ältesten, die Engel des Hofrats Gottes. Sie sind vierundzwanzig, da sie vierundzwanzig Stunden am Tag Gott loben. Sie versinnbilden die vierundzwanzig Stunden des Tages: Nächte und Tage, lobet den Herrn, singen die Jünglinge im Feuerofen. Über ihnen schweben sieben Schalen, sie sind vom Heiligen Geist erfüllt. Sie legen Gottvater sieben goldene Kränze, die aussehen wie Halbmonde als Schemel unter die Füße. Aber es sind keine Halbmonde, es ist der Lichtglanz Gottes, der ihre Häupter wie Kränze umstrahlt. Sie legen Gottvater ihren siebenfachen Lichtglanz zu Füßen, und er lässt sein siebenfaches Licht in Schalen wie Öllampen über ihnen leuchten, sie sind die von Gott Erleuchteten.
Gottvater sitzt da im blutroten Übergewand, das Buch der sieben Siegel in der Rechten, die Linke erhoben, hindeutend auf das siebenfache Licht, das die Ältesten erleuchtet..
Der Engel Gottes, der Deuteengel der Apokalypse, - im unteren Bildrand, gegenübergestellt dem Seher Johannes, der die Offenbarung Gottes in der Linken hält - , ruft mit lauter Stimme: „Wer ist würdig, die Buchrolle zu öffnen und ihre Siegel zu lösen?“ Im Buch Gottes ist die Geschichte der Welt niedergeschrieben von Anfang an, versiegelt sind die Rätsel der Welt. Wer kann die Rätsel lösen und die Geschichte deuten?
Gottvater hält das versiegelte Buch, die versiegelte Rolle in der Hand, in der die Geschichte der Welt aufgezeichnet ist, damit der Herrscher des Himmels sie wisse.11) Er übergibt sie Christus, dem Lamm (Offenb. 5,7), das sieben Augen und sieben Hörner hat, Ausdruck des Allwissens und der Macht . Die sieben Augen sind die sieben Engel Gottes, die im Auftrag Gottes tätig sind; die sieben Hörner sind in Gegensatz gestellt zu den sieben Köpfen mit den zehn Hörnern des dämonischen Urdrachen. Das Lamm, der auferstandene Christus, wird als Weltenrichter „ inthronisiert“.
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Tafel 5:
Im Bild des Buchmalers weist der Deuteengel mit langem Zeigefinger den Seher Johannes im unteren Bildteil hin auf das „Lamm“, das im Goldgrund Gottes steht. Der Buchmaler stellt das Lamm mit den sieben Hörnern in der Gestalt eines „Widders“, eines Leittieres dar, einem Symbol des Messias in den alttestamentlichen Schriften. Die Brust des Lammes ist verletzt und blutet.
Es bedeutet den zu Gott erhöhten Christus, der gekreuzigt wurde und von den Toten erstand. Das Lamm steht in der Mitte einer ummauerten, befestigten Stadt, niemand außer ihm kann die Siegel des Buches lösen und das Buch lesen. Es wird bewacht von den sechsflügeligen Lebewesen, die vor Gottes Thron stehen. Obwohl das Buch mit den sieben Siegeln geschützt ist wie eine befestigte Stadt, die den Zutritt verwehrt, so ist doch das große Tor der Stadt bereits weit geöffnet. Das Lamm steht mit Würde und Kraft und Hoheit auf dem purpurfarbenen Buch auf den Festungszinnen, es übt die Macht darüber aus. Doch steht es zugleich auch grazil und leichtfüßig auf dünnen Hufen, als würde es tanzen. Ihm obliegt es, die Geschichte der Welt an ein Ende zu bringen. Es steht über dem noch geschlossenen Buch der Weltgeschichte als Herr, aber seine Herrschaft ist nicht drückend, sondern leicht und befreiend.
Die himmlische Hofversammlung, die Ältesten, die Engelscharen und alle Geschöpfe singen das neue Lied der Freiheit: Nicht die unterdrückenden Mächtigen, die dämonischen „Drachen“ und der furchtbare Tod, sondern die von Christus vom Tod Freigekauften werden in der endzeitlichen Zukunft die Erde beherrschen.
In der Übergabe der versiegelten Schriftrolle an das „Lamm“ (Offenb. 5, 1-14) wird dem auferstandenen und erhöhten Christus die Herrschaft über die Geschichte übertragen,
und er hat die Vollmacht, die Endzeitereignisse der Welt in Gang zu setzen. Er führt den endzeitlichen Plan Gottes aus, er ist der endzeitliche Messias und der endzeitliche Weltenherrscher. Die versiegelte Buchrolle beinhaltet den Auftrag Gottes an Christus, das endzeitliche Geschehen herbeizuführen (vgl. Jürgen Roloff, a.a.O., S. 24 f.)
Die Schriftrolle mit der Herrschaftsübertragung und mit dem verborgenen Geschichtsplan Gottes wird von Christus geöffnet,und er setzt mit dem Öffnen des ersten Siegels die Endzeit in Gang. Das Weiterlesen der Buchrolle ist nur möglich, indem immer wieder ein weiteres Siegel der Buchrolle gelöst wird. Der Seher Johannes sieht, was beim Öffnen der weiteren Siegel geschehen wird. Während der auferstandene Christus die Schriftrolle öffnet und sie liest, läuft das Geschehen der Endzeit ab.
Christus, der Sohn Gottes, der von Anbeginn bei Gottvater war, als die Welt erschaffen wurde, der Logos, der Mensch geworden ist und unter uns gewohnt hat, das „Lamm Gottes“, - er kann die Geschichte der Welt deuten und ihre Rätsel lösen. Er lenkt die endzeitliche Geschichte der Menschen.
Die Tränen darüber, die Rätsel unseres Daseins nicht lösen zu können, die Siegel nicht öffnen zu können, erinnern uns an die Tränen über die Weltkatastrophen, über die Kriege, die unheilbaren Krankheiten und über unsere eigenes Vergehen. Was ist der Sinn allen Leids und aller Not, aller Kriege und Katastrophen, der Sinn unseres Lebens und unseres Sterbenmüssens? Wer kann die Rätsel der Welt und des ihr innewohnenden Leids lösen und erklären und ihnen einen Sinn geben?
Nicht die Vernunft der Philosophie wird sie lösen 12), sondern der, der alle Tränen trocknet, der Trauer, Leid und Schmerz hinwegnimmt, der Mitleid und Erbarmen hat, der die Liebe im Herzen trägt, der trauert mit den Trauernden und weint mit den Weinenden wie bei des Lazarus Erweckung. Er, der das Leid der Menschen kennt, der dieses Leid wie ein Lamm, das geschlachtet wird, an sich erfahren hat, - der den Weg darüber hinausweist, weil er von den Toten auferstanden ist, - er wird die Rätsel lösen. Er wischt die Tränen ab - , er schreit an gegen den Tod (“Lazarus, komm heraus..“) - , er fährt die Dämonen an und läßt sie weichen - , er öffnet den Blinden die Augen, damit sie auch als Blinde hinter den Dingen Gott schauen - , er richtet die Gelähmten auf und nimmt alles Schwere von ihnen, das auf ihnen lastet - , er löst den Stummen die Zunge, damit sie mit Gott in ihrem Inneren sprechen - , er gibt den Tauben das Gehör, damit sie Gottes Stimme hören - , er bringt den Menschen das Leben und ruft sie heraus aus ihrem täglichen Tod.
Am Anfang der Welt war das schöpferische Wort- der Logos, die Weisheit Gottes, das Licht Gottes, welches das Licht der Welt erschaffen hat. Das Licht Gottes ist Mensch geworden und hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen. Und Er, Christus wohnt unter uns und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit voller Güte und Menschenfreundlichkeit. Er ist gekommen in die Dunkelheit der Welt und unserer Herzen, um uns von seinem Vater zu erzählen.
Er ist einer, der uns nicht hintergeht und uns nicht täuscht, einer, der die Liebe im Herzen trägt, einer, der voller Wahrhaftigkeit ist, der unsere Freude und unser Leid miterlebt hat. Keiner hat Gott je gesehen, nur der Einzige, der den Herzschlag Gottes hört, weil er an seinem Herzen ruht, er hat von ihm erzählt.
Wird Gott einmal die Rätsel lösen und uns die Lösung sagen, warum seine Geschöpfe in Leid und Tod so elendiglich zugrunde gehen. Hat er es gesehen, das Elend seiner Kreaturen? Steuert unser eigene persönliche Geschichte und die Geschichte der Schöpfungswelt auf eine Neue Welt Gottes zu, oder ist alles Leben nur vergänglicher Windhauch und steuert ziel- und planlos dem Untergang entgegen?
Gott, der Herr der Geschichte, geht mit den Menschen durch die Zeit und er wird kommen in Christus am Ende der Geschichte. Er wird sich als Pantokrator, als Herrscher über die ganze Schöpfung zeigen, und er wird in Christus endzeitlicher Richter sein über die Weltgeschichte.
In einer Vision sieht der Seher Johannes, wie Christus die Siegel löst und die Endzeit in Gang setzt, und er schaut im Jetzt und im Voraus, was die Lösung der Siegel bewirkt; er schaut Gegenwart und Zukunft. Er sieht, wie Christus die Siegel löst und die Geschichte des Buches liest, und er schaut zugleich den Ablauf der Ereignisse.
II. 3. DIE ÖFFNUNG DER ERSTEN VIER SIEGEL:
DIE „VIER APOKALYPTISCHEN REITER“
DIE LÖSUNG DES ERSTEN SIEGELS:
DER REITER AUF DEM WEISSEN PFERD: DER „LEBENSKAMPF“, DIE „GEWALT“, UND DIE „UNTERDRÜCKUNG“
Dann sah ich: das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel; und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm! Da sah ich ein weißes Pferd; und der, der auf ihm saß, hatte einen Bogen. Ein Kranz wurde ihm gegeben, und als Sieger zog er aus, um zu siegen...
Offenb. 6, 1-2
Vier Reiter erscheinen dem Seher Johannes als die Grundkräfte der Schöpfungswelt. Vier ist die Zahl der Schöpfung, an deren vier Himmelsrichtungen vier Engel stehen.13) Sie bewachen die Tore zur Unterwelt, die sich nach dem Mythos an den vier Enden der Erde befinden.
„Vier Engel standen an den vier Ecken der Erde, sie hielten die vier Winde der Erde fest, damit der Wind weder über das Land noch über das Meer wehte...“ (Offenb.7,1).
Die vier Reiter verkörpern aber auch das Unheil, das immer und immer wieder über die Menschen hereinbricht im Gang der Geschichte. Die vier apokalyptischen Reiter - sie kommen von allen „vier“ Himmelsrichtungen, sie kommen von Norden, von Süden, vom Osten und vom Westen, sie kommen von überallher, und sie beherrschen und dezimieren unaufhörlich die Bewohner der Erde; ihr Programm heißt letztendlich der „Tod“ und ein Viertel der Erde ist von ihnen betroffen.
In den Bildern des Buchmalers sind die Pferde der apokalyptischen Reiter dargestellt mit einem mächtigen Körper, zu langen Beinen und einem zu kleinen Kopf - es sind apokalyptische Pferde.
Sie gehen in einem bestimmten Takt, die Hufe sind im Vorwärtsschreiten gesetzt wie Musiknoten, der Schweif schwingt im Takt der unhörbaren Musik, in dem sie schreiten, die Ohren sind gespitzt, sie hören im Tanzschritt die Musik der Endzeit.
Die Reiter halten die Zügel der Pferde locker, sie lassen sie gehen, die Pferde wissen von selbst ihren Weg. Sie schreiten auf dem Grün der Erde, doch sind sie getaucht in den Goldgrund der göttlichen Macht. Sie ziehen mit ihren Reitern über die Erde, und sie verfügen über gleichsam göttliche Macht über die Menschen der Erde, indem sie unaufhaltsam vorwärtsdringen über die Fluren der Erde, Unheil mit sich tragend. Ihnen gegenübergestellt im Goldgrund des Himmels ist ein widderähnliches Lamm, das entweder einen Siegelring oder ein Buch trägt. Die Macht der apokalyptischen Reiter ist begrenzt durch das „Lamm“, den auferstandenen Christus.
(http://www.johannes-apokalypse.de/tafel06_small1.jpg)
Tafel 6:
Der erste Reiter auf dem weißen Pferd, (der Buchmaler hat es ockerfarben gemalt), bekleidet mit einem blutroten Mantel, den Bogen gespannt, zieht aus, um zu siegen. Von Beginn an ist das Leben ein Kampf, schon von Geburt an mit Schmerzen verbunden, aber immer nach vorwärts gerichtet: ein immerwährendes Werden und Entstehen. Ständig quillt aus der Erde eine neue Geburt und drängt vorwärts ins Leben.
Unschuldig - wie die Farbe weiß des Pferdes ausdrückt, die den vorwärtsdrängenden Reiter trägt, ist zunächst das Werden.14) Voller Unschuld entsteht das neue Leben und wird doch hineingeboren in eine Welt von Kampf und Schmerz, wie der blutrote Mantel und der gespannte Bogen zeigen.
Das neue Leben stürmt voran in vollem Lauf, voller Spannkraft, es will seinen Sinn im Dasein finden - ist positiv nach Vorne gerichtet - will alle Mühsal überwinden, um zu siegen. Es ist die Schöpfung, die im Werden nach vorne drängt, „unschuldig“ setzt sie Leben in die Welt, das heranwächst und auszieht, die Welt zu „erobern“. Es zieht in den Lebenskampf, den Bogen gespannt wie eine Triebfeder, um das Glück zu erjagen, sein Ziel zu finden - zu suchen, was das wunderbare Leben ihm alles bieten kann.
Positiv gerichtet ist das Leben, auf dem schmalen Grad zwischen Chaos und Erstarrung bewegt es sich zielgerichtet nach vorne (...) und Gott sah, dass es gut war, was er geschaffen hatte: die ständig sich erneuernde Schöpfung: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde (...)
(Gen 1,28)
Ist der Sinn der Geschichte aber wirklich ein positiver, und wohin treibt die Geschichte der Menschen - kommt die Kraft der Schöpfung an ein Ende, wird sie am Ende erlahmen? Der Reiter reitet auf dem tiefgrünen Grund der Hoffnung: Was wird ihm das Leben bieten, was hält es für ihn bereit? Kann es seine Sehnsucht stillen oder war alles nur vergebens, ein leeres Trugbild? Ist alles nur vergänglicher Windhauch, wie das Buch Kohelet sagt?
So macht das Leben sich auf die Reise durch die verschiedenen Welten - zum Kampf gerüstet - voller Hoffnung, voller Kraft - immer im Aufbruch. Der Reiter zieht als Sieger aus, das ist seine Aufgabe, sein Ziel: Leben bestehen, Leben erhalten, Leben weitergeben. Vorwärtsdrängen, Wachsen und immer neu entstehen will das Leben, in Natur, Geschichte und Wissenschaft, im Flug zu den Sternen. Grenzenloses Sichentwickeln ist ein Grundzug des Lebens. Aber auch die vorwärtsdrängende Hoffnung, die uns Menschen innewohnt, wird sichtbar. Es ist ein immerwährender Aufbruch, eine unendliche Geschichte.
Doch der Reiter auf dem weißen Pferd, das vorwärtsdrängende Leben, besitzt auch eine dunkle Variante:
Der Kampf, der Lebenskampf, die Suche nach Lebenszielen und Lebenserfolg, wird auch mit Brutalität geführt. Es gibt ein Dominanzstreben in der gesamten Schöpfung: stärker sein als der andere, über ihm stehen, ihn besiegen, bezwingen, unterjochen und beugen. Der „Ober“ sticht den „Unter“ heißt es im Kartenspiel, die „Dame“ schlägt den „Bauern“ im Schachspiel. Es reicht der Kampf bis hinunter in die Tiefen der Schöpfung: Wer steht über dem anderen, wer ist der Stärkere, wer nimmt dem anderen das Licht, wer nimmt dem anderen die Nahrung in der Welt der Menschen, der Tiere und Pflanzen? „ Denn die einen stehn im Dunkeln und die andern stehn im Licht“, sagt der Dichter Bert Brecht.
Unermüdlich jagen die Menschen nach Zielen - ist es am Ende doch nur vergänglicher Windhauch?
Aber dieses Jagen nach Zielen, es bewegt die Welt und die Geschichte, ein Kampf ums Überleben, ein Kampf um das Mehr an Glück, an Licht, an Nahrung und Genuss - ein ewiger Kampf im Leben der Geschöpfe.
Auch die Herrschaft des römischen „Imperiums“ gründet in den Augen des Sehers Johannes in rücksichtsloser, unterdrückender Dominanz und gewalttätigem Expansionsstreben und steht Christus, dem „Lamm“ gegenüber, der die Menschen in die Freiheit der Kinder Gottes führen will.
Die „Macht“ der Kriegsherren, der „Kampf“ der Imperatoren, der „Stolz“ der Machthaber reitet über die Erde und beherrscht und dominiert sie, und die Menschen erzittern . Mit Siegeslust donnern die weissen Schlachtrosse über die Erde, auf dass sie unter ihnen erbebe.
Die Weltmacht Rom kommt auf dem weißen Pferd des siegreichen „Friedensfürsten“ geritten, sie kommt scheinbar voller „Unschuld“, das Leben zu entfalten, - aber sie trägt den roten Mantel des Bluts und der Gewalttat und reitet über die Erde, diese unter ihre Gewalt zu bringen. Sie ist ein apokalyptischer Reiter.
Der Reiter auf dem weißen Pferd trägt einen Bogen, die gefürchtete Waffe der Parther. Leuchtet hier der Alptraum auf, dass ein wiederkehrender römischer Kaiser („Nero“) sich verbünde mit den Reiterheeren der gefürchteten, bogentragenden Parther, und sie zusammen als Fremde das Land unterdrücken und beherrschen?
Auch das expansionistische Reich Roms wird immer wieder bedroht an der Ostgrenze, am Eufrat, von den Reitervölkern der Parther, obwohl die Römer auch Verträge mit ihnen abschlossen (z.B. 63 n. Chr. Vertrag zwischen Nero und der Parthern nach einem Krieg). Die Legende erzählt, Kaiser Nero (Selbsttötung 68 n. Chr.) sei nicht tot gewesen und zu den Parthern geflüchtet, und er werde einst wiederkommen an der Spitze der Partherheere und Rom vernichten. Der Verfasser der Apokalypse lässt ihn wieder „auferstehen“.
DIE LÖSUNG DES ZWEITEN SIEGELS:
DER REITER AUF DEM FEUERROTEN PFERD: DER „KRIEG“ UND DER „BÜRGERKRIEG“
Als das Lamm das zweite Siegel öffnete, hörte ich das zweite Lebewesen rufen: Komm! Da erschien ein anderes Pferd, das war feuerrot. Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben.
Offenb. 6, 3-4
Während das Leben sich entwickelt und vorwärtsdrängt, kommt eine zweite Grundkraft hinzu, die den Frieden raubt: der Krieg und der Bürgerkrieg, - ein vernichtendes Element, schon zugrundegelegt im neidenden Brudermord des Kain.
(http://www.johannes-apokalypse.de/tafel07_small2.jpg)
Tafel 7:
Der Reiter auf dem feuerroten Pferd, der Farbe des Blutes und des Kampfes (der Buchmaler hat es braun gemalt), hat ein großes Schwert in der Hand - er nimmt der Erde den Frieden und weist hin auf die mordende Aggressivität und den Überlebenskampf, der der Schöpfung immanent ist.
Der Krieg, der das Leben des anderen auslöscht wie das Licht einer Kerze, durchzieht das Leben der Völker und der einzelnen Menschen, die Geschichte ist eine Geschichte von Kriegen. Der mordende Kain sieht sich nicht als der Hüter seines Bruders Abel, aus Neid ermordet er ihn. „Homo homini lupus“, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, sagten die Römer. Tiere fressen einander, um leben zu können, und die Menschen wiederum fressen die Tiere und Pflanzen.
Einer überhebt sich über den anderen, einer wendet sich gegen den anderen. Ist der Mord, die Gewalttat, der Schöpfung inhärent? Der eine lebt auf Kosten des anderen. Ein unaufhörliches Gewoge der Interessengegensätze, des Machtspiels, der Gewinn- und Verlustrechnungen, des Kampfes um Kapital, um sich ein Mehr zu sichern auf Kosten des anderen, begleitet das Leben...
Der Krieg reitet durch die Geschichte, ein fahles Bild in der Darstellung des Buchmalers, fahl das Pferd, fahl der Untergrund, auf dem er reitet - gegenübergestellt der weißen Unschuld des Lammes.
Schlachtengetümmel, ein Meer von Blut - es stürmen die Massen gegeneinander - ein Grund findet sich immer, um sich gegenseitig abzuschlachten - die „Schlacht“ heißt es - bis sie ermatten und sich später fragen: Warum ist das geschehen? Wann wird man es je verstehen? Wie weit reicht der Krieg hinab in die Schöpfung?
Den Frieden der Weihnacht gibt es nur im messianischen Reich: Der Wolf wohnt beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein, Kalb und Löwe weiden zusammen, Kuh und Bärin freunden sich an, der Löwe frißt Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter - das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. (Jes 11,6 ff.)
In schicksalshafter Verkettung versucht immer wieder der eine sich über den anderen zu erheben, ihn zu unterdrücken im Kampf ums Überleben, und er lebt auf Kosten des anderen - oftmals aber tötet er den anderen im Kampf oder mordet ihn.
Die Befreiung und der Auszug aus der Unterdrückung geschieht unter Plagen, sonst lässt man den anderen nicht ziehen, weil man seinen Vorteil verliert. Und am Ende sucht man eher den Kampf, als dass man den Unterdrückten freigibt. „Lass mein Volk ziehen“, sagt Gott zum unterdrückenden Pharao und er spaltet das Meer, um Israel zu retten, im biblischen Mythos.
Immer wieder errichten die Völker den Turmbau von Babel, stellt einer sich über den anderen, um „Herrenmensch“ zu sein über den vermeintlichen Untermensch darunter. Es spukt in den Köpfen bis heute die angebliche Überlegenheit von Rassen, bis ihre in wahnhafter Arroganz errichteten „Türme“ wieder einstürzen in furchtbaren Kriegen.
Ein Grundzug der Schöpfung und der Geschichte ist der „Krieg“ der Kreaturen, der Kampf untereinander um das Überleben, geprägt von Aggression und Dominanzstreben. Bei den Menschen aber kommt noch der Aspekt der vollständigen Vernichtung des anderen hinzu; sie sind auch fähig zum Völkermord, zum Holocaust. Sie besitzen apokalyptische, alles zerstörende Waffen; die Kernkraft der Sonne haben sie auf die Erde geholt.
Auch die Herrschaft „Roms“ basiert auf Dominanzstreben,Aggressivität und Krieg in den Augen des Sehers Johannes. Die Weltmacht Rom bringt Krieg und Bürgerkrieg über die Völker der Erde, um sie zu beherrschen, und mit dem Krieg unendliches Elend, Armut und Krankheit und Tod.
Was immer schon in der Schöpfungswelt zugrundegelegt ist, entwickelt und verwandelt es sich in der Geschichte der Menschen immer drängender zu apokalyptischen Reitern? Setzt es am Ende die Erde in Brand?
DIE LÖSUNG DES DRITTEN SIEGELS:
DER REITER AUF DEM SCHWARZEN PFERD: DER „HUNGER“ UND DIE „TEUERUNG“
Als das Lamm das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Lebewesen rufen: Komm! Da sah ich ein schwarzes Pferd; und der, der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage. Inmitten der vier Lebewesen hörte ich etwas wie eine Stimme sagen: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu.
Offenb. 6, 5-6
Die Kargheit des Daseins und die Begrenzung der Möglichkeiten des Daseins sind die dritte Determinante, die unsere Schöpfung bestimmen. Die Begrenztheit der menschlichen Existenzweise reitet über das Land: der Hunger und die Teuerung, die Inflation.
(http://www.johannes-apokalypse.de/tafel08_small1.jpg)
Tafel 8:
Der Reiter auf dem schwarzen Pferd hält im Bild des Buchmalers eine Waage in der Rechten, ihm gegenübergestellt ist das Lamm mit einem Siegelring. Christus, das Lamm, kann das Rätsel der menschlichen Begrenztheit, des fortdauernden Hungers und der Kargheit lösen, er kann das versiegelte Geheimnis aufdecken. Er kann im Fortgang der Weltgeschichte dieses Weltenrätsel lösen.
Die Früchte der Erde, die den Hunger stillen, sind dem Menschen zugemessen. Öl und Wein gibt es in bestimmten Zeiten im Überfluss, aber in anderen Bereichen herrscht oft der Mangel und der Hunger. Was dem Menschen zukommt, wird abgewogen, maßvoll zugeteilt - der Mensch lebt nicht im Überfluss. Steine zu Brot werden lassen, kann der Mensch nicht, im Schweiße seines Angesichtes muss er sein Brot essen.
Die Erde stößt immer wieder an ihre Grenzen, der Mangel ist ihr eingepflanzt. Zeiten des Überflusses wechseln sich ab mit Zeiten des Hungers in der Menschheitsgeschichte. Und so beten wir im Vaterunser: Unser tägliches Brot gib uns heute (im Überfluss).
Der Mensch muß zählen - wiegen - teilen, damit er den Mangel verwalten kann. Karg und mühselig ist das Dasein, die Waage begleitet den Menschen durch das ganze Leben. Seine Lebenschancen werden ihm zugeteilt. Ständig ist er am Rechnen und Berechnen.
Klimaveränderungen, Missernten, Hunger und fehlende Lebenschancen treiben die Menschen über die Länder der Erde auf der Suche nach Nahrung und Wohlstand und münden in Wanderbewegungen der Völker. Klimaveränderungen führten zum „Hunnensturm“, der die Völkerwanderung auslöste. Hungerepidemien, ungerechte Verteilung der Lebenschancen, der Kampf um Nahrung, Wasser und Energiequellen, führen zum Krieg unter den Völkern. Das Überlebenmüssen ist der ständige Begleiter der Kreaturen. Die „Begrenzung“ und das „Maß“ ist der Schöpfung immanent.
Doch der Stärkere sichert sich seinen Anteil auf Kosten der anderen. Der Reichtum des römischen „Imperiums“ wie jedes unterdrückenden „Imperiums“ basiert auf der Armut der ausgebeuteten Völker. Und der Hunger jagt immer wieder über die Erde wie ein apokalyptischer Reiter. Der große wirtschaftliche Wohlstand des römischen Imperiums im 1. Jahrh. n. Chr. begünstigte lediglich eine Minderheit und erstreckte sich nicht auf die Mehrheit der städtischen Bevölkerung in Kleinasien, die in Armut lebte. Dasselbe gilt wohl auch für die anderen römischen Provinzen(es gab zum Beispiel unter Kaiser Domitian eine Überproduktion im Weinanbau in den Provinzen und eine Unterproduktion im Getreideanbau, was Domitian zum Eingreifen veranlasste. Es wurden riesige Mengen Wein nach Rom geliefert). Ein Denar war der Tageslohn eines Arbeiters, damit musste er seine Familie ernähren.
Das Mehr-Haben-Wollen Roms, die Ausbeutung, - der Wille, alles an sich reissen zu wollen, führt zur Knappheit, zur Teuerung und zur Inflation in den ausgebeuteten Ländern.
Doch grundsätzlich will der Seher sagen, dass Gott dem Meer und dem Land seine Grenzen gesetzt hat und auch allen Kreaturen der Erde. Die Lebenstage aller Geschöpfe der Erde sind begrenzt, begrenzt sind auch alle ihre Fähigkeiten. Allem Mühen der Menschen sind auf Erden Grenzen gesetzt : Seine Begrenztheit und der Mangel begleiten ihn alle Tage seines Lebens.
V. DIE NEUE SCHÖPFUNG
- DAS NEUE JERUSALEM ALS „STADT“
UND PARADIESESGARTEN
„Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie ein Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat; da hörte ich eine laute Stimme von Thron her rufen: Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt.
Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den sieben letzten Plagen getragen hatten. Er sagte zu mir: Komm, ich will dir die Braut zeigen, die Frau des Lammes. Da entrückte er mich in der Verzückung auf einen großen, hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis. Die Stadt hat eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf.
Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Throne Gottes und des Lammes aus. Zwischen der Straße der Stadt und dem Strom, hüben und drüben, stehen Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal; und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt stehen. Es wird keine Nacht mehr geben, und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.“
Offenb. 21, 1-6.9-12.; 22,1-3.5
Die Auferstandenen werden mit Christus in der Stadt Gottes wohnen, die herabsteigt vom Himmel.
In mehrdeutigen Bildern, Metaphern und Symbolen beschreibt der Verfasser der Apokalypse die Herabkunft des“ Neuen Jerusalem“, einer „Gegenstadt“ zu „Babylon“. Die Stadt „Babylon, die „Hure Babylon“, ist untergegangen, das „himmlische Jerusalem“ aber steigt auf die Erde herab und wird zur „Braut“ des „Lammes“. Einer der Engel, der die Zornesschalen trug, führt den Seher Johannes in einer Vision auf einen hohen Berg und lässt ihn wie Mose in das Neue Land hineinsehen und zeigt ihm die Neue Stadt, die vom Himmel herabkommt auf die neue Erde, denn Gott hat bereits einen neuen Himmel und eine neue Erde geschaffen. Einer der Engel der „Passion“ verwandelt sich in einen Engel der „Auferstehung“. Ist die ganze Apokalypse eine Passionsgeschichte in mehreren Akten, wo durch Schmerz und Leid und Tod hindurch die Neue Stadt geboren wird ?
http://www.johannes-apokalypse.de/tafel39_small1.jpg
Tafel 39:
Im Bild des Buchmalers zieht der Engel mit ausgestreckter Hand den Seher Johannes auf den Berg, um ihm die vom Himmel herabsteigende Stadt Gottes zu zeigen. Aber der Buchmaler stellt nicht die Stadt selbst dar, sondern nur die Mauern der Stadt mit zwölf niederen Türmen, deren rote Dächer wie Sahnehäubchen wirken. Die Mauern bilden eine Mandorla, in deren Mitte das „Lamm Gottes“ steht, das eher die Gestalt eines Widders hat. Es steht wuchtig da und hat seine Füße auf die versiegelte Buchrolle gesetzt, es hat von ihr Besitz ergriffen; nur Christus, das „ Lamm“, kann die Siegel lösen und die Buchrolle entschlüsseln. Das Entsiegeln der Buchrolle führt die Kinder des Lichts zur Neuen Schöpfung. Der wiederkehrende Christus ist das Zentrum der Neuen Schöpfung, doch ist die Stadt ein Geheimnis, und nur das „ Lamm Gottes“ kann das Geheimnis der Stadt aufdecken. Noch sind die Tore der Stadt geschlossen, die Türme der Stadt zeigen keine Tore, denn das „Lamm Gottes“ ist für die Menschen das Tor zum neuen Himmel und zur neuen Erde, nur der wiederkehrende Christus kann den Menschen den Zugang verschaffen zur Stadt Gottes. Wie ein Ring umschließen die Mauern der Stadt das „Lamm Gottes“, - das Bild eines Siegelrings, - noch ist versiegelt die neue Erde, noch ist die Stadt ein Geheimnis der Zukunft, sie ist erst am Kommen; von ferne kann man sie kommen sehen, herabsteigen vom Himmel. Wenn sie da ist, wird sie sich über die ganze Erde erstrecken.
Die Neue Stadt ist die Antipode zu „Babylon“, das untergegangen ist. Die „apokalyptische Frau“, das Volk Gottes, das in Wehen liegt, bringt die Menschen des himmlischen Jerusalems „hervor“, sie selbst verwandelt sich in das „himmlische Jerusalem“ - von oben wird es von Gott geschenkt. Sie ist geschmückt wie eine Braut zur Hochzeit mit dem „Lamm“, dem wiederkehrenden Christus. Das „ himmlische Jerusalem“ steigt herab auf die bereits neu geschaffene Erde, es ist die Wohnstätte Gottes, in ihm erscheint die Herrlichkeit Gottes und es umfasst die ganze Erde. Das Volk Gottes, das unter messianischen Wehen an dem Endpunkt seiner Geschichte angekommen ist, wird von Gott verwandelt, und vereinigt sich mit der vom Himmel herabsteigenden Stadt; es zieht ein in das Gelobte Land.30)
Er, der auf dem Thron sitzt, in der Mitte der Stadt, spricht: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende“. Alle Buchstaben des griechischen Alphabets sind zwischen dem ersten und dem letzten Buchstaben eingeschlossen, alle Worte sind daraus gebildet. Die ganze Schöpfung von Anbeginn ist damit gemeint, denn durch das“ Wort“, den Logos, ist alles entstanden. Der Logos ist die menschgewordene Weisheit Gottes, die von Anfang der Schöpfung schon beim Vater war. Christus, der Logos, war schon von Beginn an beim Vatergott. Gott ist es, der die Erde schuf (Alpha) und sie vollendet (Omega). Gott ist es selbst, der die Geschichte der Welt und der Geschichte schreibt, den Sinn sie hineinlegt, er ist das Alpha und das Omega, und am Ende werden die Rätsel gelöst, der Lebensdurst der Menschen wird gestillt mit dem Wasser des Lebens, das von Gott kommt. Die“ Buchrolle“, die versiegelte Geschichte, enthält die Frohe Botschaft, aber auch das Gericht - nur Christus kann ihren Inhalt entschlüsseln. Gott ist das Alpha und das Omega, Anfang und Ende des Alphabets und somit alles Geschriebenen, aller Schriften, aller Weissagungen, aller gesprochenen Worte; mit seinem Wort hat er Himmel und Erde geschaffen, Beginn und Ende der Schöpfung ist er. Er versinnbildet die Reihenfolge der Buchstaben - geschriebene, buchstabierte Geschichte, die an ihr Ende kommt wie das gesprochene Alphabet.
Im Bild der neuen Erde umgibt eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf die Neue Stadt, die vom Himmel herabgestiegen ist. Der Paradiesesgarten ist in das Zentrum der Stadt, wo Gott wohnt, integriert. Die Sternbilder, die vom Himmel gefallen sind, schmücken die Grundpfeiler, die Grundfesten der Stadt als Edelsteine, die Lichter der Apostel, auf denen die Stadtmauer gründet, verbinden sich mit dem Glanz der Sterne - die Sterne selbst bilden die Grundfesten der Mauer, weil man sie am Himmel nicht mehr braucht. Sonne und Mond verbinden sich mit Christus und sind das neue Licht in Gottes Welt, er selbst ist die Sonne der Stadt. Die Grundsteine der Stadtmauer sind die zwölf Sterne Israels, Abbild der zwölf Stämme Israels 31), Abbild der zwölf Apostel. Sie sind das zur Mauer gewordene alt-und neutestamentliche wandernde Volk Gottes, das an sein Ziel gekommen ist. Die Grundsteine, die Grundfesten der Stadtmauer sind mit wunderbaren, farbigen Edelsteinen geschmückt, die in Verbindung stehen mit den Tierkreiszeichen der Sterne. Die mit zwölf Edelsteinen besetzten Mauern sind die Einfassung, in der Mitte aber sitzt die Stadt als“ Diamant“, ein kostbarer Jaspis. Der Sternenhimmel ist auf die neue Erde herabgestiegen, um sie zu schmücken.
Die Neue Stadt ist viel größer als die sie umschließenden Mauern, sie sprengt die Mauern der Stadt und weist über sie hinaus. Gottes Neue Stadt mit den offenen Toren lädt alle Völker und Religionen ein, in die Stadt einzuziehen zur Wallfahrt der Völker: „Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. Zahllose Kamele bedecken dein Land, Dromedare aus Midian und Efa. Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold“, heißt es beim Propheten Jesaja (Jes 6o). Sie kommen wie die Magier, von denen das Mattäusevangelium erzählt, dass sie ihre Geschenke trugen zur Krippe in Bethlehem, - jetzt aber kommen sie als Könige zu Gottes Herrlichkeit, zu seinem Lichtglanz. Die Stadtmauer ist eine lebendige Mauer, aus den Menschen des wandernden Gottesvolkes, der Kirche gebaut. Die Stadt aber ist das Leben selbst, sie ist ein lebendiges Wesen.
Das Leben, das von Gott kommt, sprengt die Mauern der Stadt, greift über sie hinaus. Das „Leben“ ist viel größer als die „Kirche“, es weitet sich aus auf alle Völker und Religionen. Im Innersten des Lebens aber sitzt Gott, er ist der Ursprung des „Lebens“.
Die zwölf Türme der Stadt sind keine Wachtürme mehr, sie sind in schmückendes Beiwerk der Mauer verwandelt, es ist eine lebendige Mauer aus lebendigen Steinen gebaut. Die Türme sind zum Wahrzeichen geworden, zum Orientierungspunkt, zu Leuchttürmen, die den Völkern den Weg weisen durch die Stürme der Zeit. Auf den Mauern der Stadt stehen Engel, - keine Soldaten, sie sind die Wächter der Stadt. Engel, Lichtwesen bewachen die Stadt und schützen sie, kein Dämon nähert sich mehr den Toren der Stadt, das Licht hat die Finsternis verdrängt. Sie erwarten die Jungfrauen mit den brennenden Lampen, - die wachsam gebliebenen Knechte, -die Könige, die den hellen Stern suchen, - die Seliggepriesenen der Bergpredigt, - sie alle geleiten sie in die Stadt.
Die zwölf Tore sind offen, sie sind kostbare Perlen, die der Kaufmann im Gleichnis des Mattäusevangeliums (Mt13, 45-46) sucht, - er sucht nach dem geöffneten Tor des Himmels - jedes Tor ist eine kostbare Perle, - es ist ein Zugang für dich persönlich bestimmt, einer ist dein Zugang, von welcher Seite du auch die Stadt betreten willst und von wie weither du auch kommen magst von allen Enden der Erde.
Eine bunte Welt zieht ein durch die offenen Tore der Stadt, von überall her und durch alle zwölf Tore, - durchsichtig und klar ist die Stadt, Arglist und Hinterhalt sind ihr fremd, die Lust des Raubtieres ist verloren gegangen, das Kind spielt am Schlupfloch der Natter, der Löwe sitzt neben dem Kalb und frisst Gras, Lamm und Wolf weiden nebeneinander. Die ungeheure Fresslust, wo einer den anderen frisst, ist verschwunden; die Bewohner der Stadt leben nicht voneinander, sie leben von Gott und den Früchten, die er schenkt. „Homo homini lupus“, es gilt nicht mehr. Alle Gewalttätigkeit und Unterdrückung ist entschwunden.
Stadt und sie umkränzende Mauer sind durchsichtig wie Glas, die Mauer steht auf Edelsteinen, die glitzern wie die Sterne am Himmel, man hat die Sterne vom Himmel auf die Erde geholt. Das Licht der Sterne ist der Grund der Stadtmauer, Sonne und Mond sind schmückendes Beiwerk für die Herrlichkeit Gottes, die die Stadt erhellt, -das Firmament bildet die Straßen der Stadt, es schimmert wie Gold und ist klar wie Glas, und die Bewohner sind die Heiligen Gottes.
Die Menschen, die Zeugnis geben für Wahrheit und Gerechtigkeit, bevölkern die Stadt, sie sind die Söhne und Töchter des Vaters, seine Kinder, und auch sie sind „durchsichtig“ geworden wie die Stadt, keine Arglist und keine Täuschung wohnt mehr in ihnen. In der Stadt gibt es keine Traurigkeit, keine Angst, keine Aggression, keinen Schmerz,- nur die Sehnsucht, die Liebe bleibt. Die Perlen der Stadt sind auch die geweinten Tränen der Menschen, die Unrecht erlitten haben, und diese Tränen haben sich in Perlen verwandelt, sie sind die offenen Tore der Stadt.
Die Stadt ist quadratisch angelegt, ein Quader, ein Riesenwürfel des „Glückspiels“ - endgültig sind die Würfel gefallen, „aureae jactantur“ sagten die Römer, wenn eine Sache entschieden war. Der letzte Würfel ist gefallen, das „Spiel“ Gott - Mensch - Teufel ist zu Ende.“ Glück“ für die Guten, sie haben gewonnen, „Pech“ für die Schlechten, sie haben verloren; erlöst sind die Guten, gebunden die Schlechten, sie verbrennen wie Spreu; das „Pech“ der „Pechmarie“ im Märchen wird über sie ausgegossen und bleibt an ihnen haften. „Goldene Stadt“ - und „Feuersee“ stehen einander gegenüber, die Stadt - ein Würfel aus Gold und Edelstein - ein „Glückswürfel“ - und glücklich, wer gewonnen hat und zu dessen Gunsten am Ende der Würfel gefallen ist ... ein Spiel der himmlischen und dämonischen Mächte um die Seele des Menschen - ein faustisches Spiel.
Doch ist es nicht Zufall, es ist Gnade, die das Mühen des Menschen um Sinnfindung und Gottsuche begleitet. Der Mensch, der auf Seiten Gottes steht, findet am Ende sein Glück, Gott lässt es ihn finden. Selbst, wenn er alles verloren hat, was er sich an Reichtümern im Leben erworben hat, so wird er doch am Ende bei Gott glücklich sein, ein „Hans im Glück“.
Die Neue Stadt ist eine Wunschvorstellung, die prolongiert wird aus der Mühsal des Lebens, der Freude am Schönen, der Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Glück - dem Wunsch nach Harmonie mit Gott. Die Gier soll zu Ende sein, ein Übermaß an Reichtum, Gold und Edelsteinen soll uns umgeben, kein Hunger und kein Durst soll mehr herrschen, das „Raubtier“ soll seine Fresslust verlieren und der „Krieg“ der Geschöpfe sich in ewigen Frieden verwandeln. Lasst uns drei Hütten bauen, heißt es in der Verklärungsgeschichte vom Berg Tabor im Mattäusevangelium, für Christus, Mose und Elia eine, damit die Menschen dort in der „ jetzigen Endzeit“ in Frieden wohnen können, und nicht auf die neue Welt Gottes zu warten brauchen. Gott hat seine Hütte in Bethlehem bereits unter uns gestellt - am Ende wird er in der Neuen Stadt unter uns wohnen. Die Menschen suchen die Neue Stadt, die Neue Erde als Inbegriff ihrer Sehnsucht und Phantasie, sie suchen die „ewige Heimat“, sie wollen am Ende „nach-Hause-kommen“, sie wünschen sich überbordenden Reichtum, ihr Schicksal soll vergoldet werden, sie wollen offene Tore, Empfangen werden wie der verlorene Sohn vom barmherzigen Vater, ein Fest ohne Ende soll es sein.
Es sollen die Stummen reden, die Lahmen gehen, die Tauben hören, keine kleinen Tode des Abschiednehmens mehr sein, sondern das Reiseziel endgültig gefunden werden. Es soll ein Hochzeits-Mahl sein mit einer Feier ohne Sorgen, Lachen ohne Trauer, ein Leben, bei dem der Tod nicht mehr mit am Tisch sitzt.
Unablässig leuchtet das Licht in der Neuen Stadt und fließt das Wasser des Lebens, unaufhörlich ist der Glanz der Ewigkeit. Nichts ist mehr verborgen, alles erstrahlt im hellen Lichte Gottes, es gibt keine geheimen Gedanken, keine versteckten Wünsche mehr. Alle Gebrechen und Nöte sind wunderbar geheilt, alle Sehnsucht gestillt, alle Tränen getrocknet, alles Leid verwandelt in einer bunten Welt voller Glanz. Alle Tore sind offen, weil alle Bedrohung gewichen ist, die Freiheit geht spazieren durch die Tore der Stadt und trifft ihre Freundinnen. Es ist eine Stadt, in der die Zeit verwandelt ist, die Zukunft ist zur Gegenwart geworden.
(http://www.johannes-apokalypse.de/tafel40_small1.jpg)
Tafel 40:
Die Neue Stadt, das Neue Jerusalem wird einerseits als wunderschöne, kostbare Stadt dargestellt, andererseits aber auch im letzten Kapitel der Apokalypse in einem varianten Bild als Paradiesesgarten, der in die Stadt integriert ist.
Im Bild des Buchmalers schwebt der Seher Johannes über dem grünen Land der Hoffnung, auf dem die Bäume des Lebens wachsen, sie tragen ständig Früchte, und ihre Blätter heilen die Menschen von all ihrem Leid und von ihren Tränen, von Krankheit und Tod. Der „Fluch“ Gottes, das Arbeiten im Schweiße seines Angesichtes, das Gebären unter Schmerzen, das Sterbenmüssen nimmt ein Ende. Die überlangen Finger der rechten Hand streckt der Engel dem Seher entgegen, der seine Hände bittend nach vorne ausgestreckt hält. Der Kopf des Engels ist umrahmt vom Schein des Lichtglanzes Gottes in den Farben des Regenbogens, wobei die smaragdgrüne Farbe korreliert mit dem Grün der Neuen Erde. Der Seher trägt das Kleid in den Farben des Thrones Gottes, er trägt das Kleid Gottes, das Kleid des Himmels.
Von dem, der auf dem Thron sitzt im Goldgrund des Himmels, - es ist der Thron Gottvaters und des wiederkehrenden Christus, - strömt das Wasser des Lebens in breitem Fluß unablässig herab auf die neue grünende Erde und bewässert sie. Wie die Morgenröte leuchtet hinter ihm der Himmel, er ist die aufgehende Sonne.
Hinter dem Seher stehen die Bäume des Lebens, voll mit Früchten, die den Bewohnern der Neuen Erde ewiges Leben schenken, jeden Monat tragen sie Früchte.
Es ist der Traum des Menschen, zu essen vom Baum des Lebens und zu verlieren die Angst vor dem eigenen Tod. Deshalb steigt seine Sehnsucht hinauf zu den „ewigen“ Sternen, die am Himmel stehen und als ewige Lichter scheinen. Der Mensch hat seine Geborgenheit verloren und sehnt sich zurück in das längst vergangene Paradies. Er sucht den Ort, wo sein ewiger Lebensdurst gestillt wird von der Quelle, die hervorbricht unter Gottes Thron und den Garten bewässert, wo die Bäume des Lebens immerwährend Früchte tragen, die ewiges Leben schenken. Wie Adam und Eva wollen die Menschen mit Gott im Abendwind spazierengehen. Keine Schlange soll sie mehr verführen mit Hinterlist - Arglist und Misstrauen sollen verschwinden, auch Tränen und Not.
Von Angesicht zu Angesicht werden sie Gott schauen, den niemand je gesehen hat. Er ist kein verfremdetes Spiegelwesen mehr, sondern er ist herausgetreten aus dem Spiegel, sein Thron steht im Licht der Morgenröte, er ist selbst das aufgehende Licht der Sonne, und er lässt die Menschen sich lagern auf dem Grün der Neuen Erde wie die Menschen der Brotvermehrung. Der Herr ist mein Hirte, heißt es im Psalm, nichts wird mir fehlen, er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Das Lukasevangelium erzählt im Gleichnis, wie der barmherzige Vater den verlorenen Sohn wieder als Erben aufnimmt, obwohl er seinen Erbanspruch im Lebensrausch schon verspielt hat. Er schenkt ihm sein Erbe umsonst, er hat keinen Rechtsanspruch mehr, zu wohnen im Hause des Vaters. Die Kinder Gottes werden am Ende das Himmelreich erben - es wird ihnen umsonst geschenkt. Der Frau am Jakobsbrunnen verheißt Jesus im Johannesevangelium lebendiges Wasser, das ihren Durst für immer stillt. Er verheißt es ihr, weil sie am „Verdursten“ war im „Leben“ wie Hagar, die Magd Abrahams in der Wüste.
Der Mensch hat Angst vor der „Sintflut“ des Lebens, Angst, unterzugehen in den Wirnissen seiner persönlichen Geschichte, kein Land mehr zu sehen und zu verdursten mitten auf dem Meer, umgeben von den Mächten des Chaos. Dieses Wasser, das von Gott kommt, ist nicht das Unheilswasser der Sintflut, das ständig den Menschen bedroht in der Zeit seines Lebens, sondern es ist das Wasser des Lebens, das in jedem, der davon trinkt, zur sprudelnden Quelle wird.
Wenn die Wüste austrocknet und das Wasser der kleinen Oase „verschwindet“, begreifen dies die Tiere nicht. Sie suchen das Wasser irgendwo in der Wüste, - es war doch gerade noch da - wie kann es verschwinden? Aber auch die Menschen begreifen es nicht, wenn ihr „Lebenswasser“ plötzlich zu Ende geht, und sie suchen nach dem „Wasser des Lebens“, aber sie können es erst finden, wenn das „Wasser von oben“ kommt, ihnen von oben geschenkt wird, ansonsten verdürsten sie in der „Wüste“.
Urplötzlich und gewaltig wird die Neue Welt Gottes auf die Erde kommen, wie der Regen urplötzlich kommt über die ausgetrocknete Wüste und sie über alle Maßen überschwemmt mit Wasser, auf dass sie blühe und sich verwandle in einen Garten.
Der Schluss des Apokalypse mündet in einen Gottesdienst, wo die urchristliche Gemeinde den auferstanden Christus bittet: „marana tha“, komm, Herr! Die Christen bitten den auferstanden Christus, er möge beim Gottesdienst in ihrer Mitte erscheinen , und er möge bald kommen als Weltenrichter am Ende der Tage (Offenb. 22, 20) und die Erde verwandeln.32)
Sie werden ermutigt, in Treue zu Christus zu stehen, dann werden sie Anteil haben am „Baum des Lebens“, und sie werden vom „Wasser des Lebens“ trinken.
Sehnsucht:
„Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.“
(Joseph von Eichendorff:“Mondnacht“)
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Anmerkungen:
1) Der Codex der „Bamberger Apokalypse“ befindet sich in der Bamberger Staatsbibliothek (Ms.Bibl.140). Er ist in lateinischer Sprache verfasst, besteht aus 106 Pergamentblättern und enthält als Buchschmuck 57 Miniaturen und 103 ganzseitige Initialen. Im vorderen Teil enthält die Handschrift des Codex den Text der Apokalypse (fol 1-58r) mit 49 ganzseitigen oder in die Schriftpassagen inserierten Miniaturen, daran schließt sich ein Evangelistar. (Ingo F. Walther und Norbert Wolf, Codices illustres, Köln 2001, S. 118f.)
2) Vgl. Rudolf Hoppe, in: Apokalypse, herausg. von Herbert W. Wurster u. Richard Loibl, Passau 2000, S. 162
3) Johannes-Apokalypse im Text der Einheitsübersetzung, Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 1980
4) Vgl. Rudolf Hoppe, a.a.O., S. 139-158
5) An die Gemeinde von Laodizea schreibt der Seher: „Wärest du doch kalt oder heiß.Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien“ (Offenb. 3,15 f). In Hierapolis, in der Nähe von Laodizea waren heiße Quellen, die beim Abfließen lauwarm wurden, und als lauwarmes Wasser nicht mehr zu gebrauchen waren, weder zum Trinken noch zum Waschen. Laodizea war auch bekannt wegen seine Textilproduktion (Kleider) und berühmt waren seiner Banken,und es gab auch eine pharmazeutisch-medizinische Schule (s. Heilung der Augen) dort (vgl. dazu Alexander Sand, in: Bibel heute, Die Apokalypse des Johannes, 33. Jahrg., Stuttgart 1997, S. 59 ff.)
6) Siehe Elisabeth Schüssler Fiorenza, Das Buch der Offenbarung, Stuttgart 1994, S. 51
7) Vgl. ebd. S. 57
8) Vgl. Sacharja 4,10: Die sieben Augen Gottes schweifen über die Erde
9) Vgl. Martin Gutl, Der tanzende Hiob, Graz 1975, S. 120
10) Vgl. Hans Urs v. Balthasar, Die Apokalypse, in: Ja, ich komme bald, Die Endzeit im Licht der Apokalypse, Herausgeber: Informationszentrum Berufe der Kirche, Freiburg 1985, S. 120 f.
11) Nach dem altorientalischen Mythos besitzt der höchste Gott Bücher oder Tafeln, in denen oder auf denen das Geschick der Welt geschrieben steht. ( Elisabeth Schüssler Fiorenza, a.a.O. S. 82)
12) Vgl. Hans Urs v. Balthasar, a.a.O., S. 120
13) Vgl. ebd. S. 121
14) Vgl. ebd. S.121
15) Vgl. ebd. S. 122
16) Der Moloch Rom beutete die unterworfenen Provinzen aus und zog allen Reichtum und Luxus in die römische Metropole. Die „Bürger“ Roms beherrschten im 1. Jahrh. n. Christus das römische Kaiserrreich, waren dem Kaiserkult zugetan, der römischen Staatsideologie, der römischen Götterreligion. Die Christen, die ja das römische Bürgerrecht kaum besaßen, waren lediglich verachtete oder verfolgte Untertanen ,vielfach der Unterschicht zugehörig, die auf die Herstellung der Gerechtigkeit durch Gott hofften, letztlich auf die Herstellung der Gottesherrschaft.
Der Verfasser der Apokalypse sieht die Herrschaft Roms natürlich aus einer bestimmten Sicht, aus einer bestimmten Perspektive und aus seiner Situation heraus und zwar in der Zeit gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus. Er sieht sie als kosmopolitisch ausbeutende und unterdrückende Macht, die besonders Christengemeinden feindselig gegenübersteht und sie bedroht. Er kann deshalb der Herrschaft Roms und der Römer nichts Positives abgewinnen. Aus wissenschaftlich fundierter weltgeschichtlicher Sicht kann man die römische Herrschaft natürlich im Nachhinein etwas anders akzentuiert sehen. Ob es unter Domitian überhaupt echte Christenverfolgung gab, ist ungesichert, aber es gab eine Bedrohung der Christengemeinden.
17) In Ephesus, der Metropole in der römischen Provinz Asia, kam es häufig zu Erdbeben. Der Sonnenfinsternis in Verbindung mit einem Erdbeben maßen die Menschen große Bedeutung zu. Ephesus zählte in seiner Blütezeit im 1./2. Jahrh. n. Chr. ca. 200 000 Einwohner. Die Christengemeinde unter der Leitung von Timotheus, der 96 n. Chr. von Anhängern des Dionysoskultes erschlagen wurde, spielte in Ephesus keine große Rolle. Im Jahr 96 n. Chr. wurde der römische Kaiser Domitian ermordet. Ephesus hatte ihm zu Ehren einen Kaisertempel errichtet, Domitian ließ sich schon zu Lebzeiten als Gott verehren, als Inkarnation des Gottes Apollo. Der Kaiserkult spielte in der Provinz Asia zur Regierungszeit Domitians anscheinend eine große Rolle.
18) In Ephesus stand ein Standbild des römischen Kaisers Domitian, dem man Weihrauch opferte als Zeichen der Verehrung. Wer nicht opfern wollte, konnte der Kaufmanngilde nicht angehören und keinen Handel treiben, weil er nicht das „Zeichen“ des Kaisers trug. Die bekennenden Christen waren somit stark benachteiligt, ihnen war die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen.
19) Die Göttin „Roma“ galt als die Mutter der Götter und auch des Apollo. Der römische Kaiser Domitian sah sich als eine Inkarnation des Apollo. Mit dem Namen des Heuschreckenherrschers Apollyon, einem Synonym für Apollo, will der Verfasser sagen, dass die dämonischen Wesen den römischen Kaiser zum König haben (vgl. Elisabeth Schüssler Fiorenza, a.a.O., S. 94).
20) Die Heuschreckenplage ist latent vorhanden, jederzeit kann sie ausbrechen wie ein Chaos wegen der zahlreich gelegten Eier, die vor sich hinschlummern. Der klirrende Flügelschlag erinnert an klirrende Schwerter, sie tragen einen „Panzer“ und wirken wie eine Armee. Sie vermehren sich plötzlich ungeheuer, wenn es viel regnet.
21) Die Skorpione kommen in der Dunkelheit heraus, jagen in der Nacht, lähmen mit dem Gift ihres Stachels das
Opfer und fressen es schnell auf. Sie kämpfen auch gegeneinander, nur beim „Liebestanz“ der Skorpione, der Paarung, sind sie sanft zueinander. Sie vermehren sich stark und haben gleich bis zu hundert Junge. 400 Millionen Jahre Erfahrung haben die Skorpione im Überlebenskampf.
22) Die griechische Göttin Artemis steht in einer gewissen mythologischen Verbindung zur apokalyptischen Frau: Sie ist die Göttin des Mondes, die darum den Bogen führt, der über Leben und Tod entscheidet. Sie wurde besonders in der Metropole Ephesus verehrt. Man hatte ihr dort früher ein Heiligtum errichtet (Artemisium).
In dem Heiligtum versteckte sich Kleopatras Schwester (1. Jahrh. v. Chr.), weil ihr Kleopatra nach dem Leben trachtete. König Krösus hatte im 7. Jahrh. vor Christus zu Ehren von Artemis einen Tempel errichten lassen, der als eines der sieben Weltwunder galt.
Artemis war die Schutzgöttin der Insel Patmos, die der Stadt Milet in Kleinasien vorgelagert ist. Nach der griechischen Mythologie ließ sich die Göttin, die Königin über alles Leben in der Natur, auf der höchsten Stelle der Insel nieder. Nach der Legende hatte Leto, als sie von Zeus schwanger war, die Eifersucht Heras herausgefordert. Hera hatte den Drachen Python ausgeschickt, um sie zu verfolgen. Nachden Leto diesem entkommen war, gebar sie Artemis. Leto gebar auch den Zwillingsbruder von Artemis, Apollo. Apollo hatte einen Sohn, Asklepios. Dieser suchte ein Mittel, um die Menschen von dem Tod zu befreien, sie unsterblich zu machen, aber Zeus tötete ihn mit einem Blitz.(vgl. Bibel heute, Heft 131, Stuttgart 1997). /// In der ägyptischen Mythologie wird die Göttin Isis vor der Geburt ihres Kindes, des Sonnengottes Horus, von dem roten Drachen Typhon verfolgt, und sie gebiert ihren Sohn auf einer Insel im Nildelta. Horus tötet dann später den Drachen Typhon.- Wenn am Himmel die Sonne ins Sternbild der Jungfrau tritt, das vielfach mit Isis gleichgesetzt wurde, dann steht am Nachthimmel der Vollmond zu ihren Füßen. Am Himmel steht dem Sternbild der Jungfrau das Sternbild der Wasserschlange Typhon gegenüber. Eine alte mythologische Tradition erzählt von der Himmelsgöttin, die täglich die Sonne gebiert, und von dem Finsternisdrachen, der diese zu verschlingen trachtet.(vgl.J. Roloff, a.a.O, S.123 ff.).
23) Die Vorstellung des Urdrachen könnte hier mythologisch zwei Wurzeln haben: Zum einen den Mythos vom Kampf im Himmel (Offenb. 12,7-12), wo der Drache auf die Erde gestürzt wird, zum andern die Vorstellung vom Untier des Urchaos, das aus dem Urmeer auftaucht und die bestehende Ordnung gefährdet, die Sonne verfinstert und in die Welt und Zeit der Menschen einbricht, das Erwachen der Urschlange aus dem Schlaf (vgl. Jonageschichte).
Die feuerspeiende, geflügelte Riesenschlange lebt im Meer und erhebt sich selten in die Lüfte, sie geht auch an Land.
Gottvater, der Himmel und Erde geschaffen hat, ist der Sieger über die chaotische Gewalt, weil er das Licht schuf aus dem Chaos (Gen 1). Christus ist Herr über das Chaos, weil ihm Wind und Wellen gehorchen (Erzählung vom Seesturm), und er wandelt über das Wasser, weil er über die Mächte des Chaos hinweggehen kann.
Das nächtliche Gefängnis der Sonne ist mythologisch das Meer, in dem die Sonne versinkt. Durch das Meer führt der Weg der Sonne vom Untergang bis zum Aufgang. Licht- und Schattenwelt kämpfen gegeneinander, das Licht aber besiegt die Schattenwelt, weil die Sonne immer wieder aufgeht. In der Unterwelt, der Schattenwelt, ist die Welt der Toten, ihr „Gefängnis“ - das Licht, Christus,ist die neue Sonne, er hat die Schlüssel zur Unterwelt, er befreit die Toten aus der Schattenwelt. Er ist es, der auf den Wellen des „Meeres von Galiläa“ geht, er geht nicht unter,er ist stärker als der Tod.
24) In Ephesus hatte der römische Statthalter eine Statue des Kaisers Domitian errichten lassen, in dem der Seher den wiedererstandenen Nero erblickte. Vielleicht konnte diese Statue auch durch eine Mechanik sprechen und Feuer herabregnen lassen. Die Menschen sollten staunen und die Gottähnlichkeit des Kaisers anerkennen.(vgl. Dieter Bauer, in: Bibel heute, Heft 131, 1997, S. 86ff.).
Das „Zeichen“ des Kaisers Nero ist die Zahl 666, insofern Kaiser Domitian der neue „Nero“ ist, kann diese Zahl auf ihn übertragen werden (vgl. Heinz Giesen, Johannesapokalypse, 1996, S. 112). Wenn man „neron kaisar“ (Kaiser Nero) in hebräischen Buchstaben schreibt, wo jedem Buchstaben auch eine Zahl zugeordnet ist, so ergibt die Gesamtzahl der hebräischen Buchstaben die Zahl 666 ( vgl. J. Roloff, a.a.O.).
25) Vgl. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. M. 1959, S. 1482-1493.
26) Vgl. Exodus 15, 1-21: ...Rosse und Wagen warf er ins Meer (...) da standen Wogen als Wall, Fluten erstarrten im Herzen des Meeres...
27) Leviathan, die gewundene Schlange und Drache zugleich, bezeichnet in mythischer Sprache das Meer, die gottfeindlichen Mächte.
28) Vgl. Gerd Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole, Düsseldorf-Köln, 3. Aufl. 1974, S. 101
29) Siehe Rudolf Hoppe, a.a.O. , S. 155.
30) Der Verfasser der Apokalypse orientiert sich bei der Vorstellung vom Neuen Jerusalem an der früheren Metropole Babylon, möglicherweise auch an der Stadt Ephesus. Ephesus besaß einen riesigen Marktplatz und prächtige Bauten mit Straßen aus Marmor. In der Stadt ensprang auch eine Quelle. Die Stadt, die am Meer lag, eine riesige Metropole, war durch Handel reich geworden, sie erlebte ihre Blüte im 1./2. Jahrh. n. Chr. und schwelgte im Reichtum. Überall standen Büsten des Kaisers und seiner Gemahlin.
31) Die Brustkette des jüdischen Hohenpriesters trug zwölf Edelsteine, die die zwölf Stämme Israels symbolisieren.
32) Das „marana tha“, Komm, Herr, erinnert an die Emmauserzählung (Lk 24,13 ff), wo die zwei Jünger den Fremden dringlich zum Mahl einladen und im Fremden beim Mahl, im Brechen des Brotes, den auferstandenen Christus erkennen. Die Emmauserzählung vom Gang nach Emmaus ist eigentlich ein „Gang“ durch den frühchristlichen Gottesdienst mit folgendem Aufbau:
- Kyrie: „Trauer“ - Herr, hab Erbarmen mit uns
- Erzählung über Jesu Leben, über seine Kreuzigung und der Auferstehungsbericht (Zwiegespräch?)-
- Prophetische Schriften (Altes Testament)
- Gebet - Bittruf: Marana tha (Komm, Herr) oder dringliche Einladung an den Herrn (vgl. Emmausjünger)
- Lobpreis und Brotbrechung
- Verkündigung an die anderen, Aufruf zur Weiterverkündigung : Geht hinaus und sagt es weiter
Wahrscheinlich war es ursprünglich ein Abendgottesdienst: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend
werden, und der Tag hat sich schon geneigt. Da trat er ein, um bei ihnen zu bleiben. (Lk 24,29)
Der biblische Text der Johannesapokalypse ist entnommen der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 1980
Literaturangabe zur Johannes-Apokalypse:
Heinz Giesen, Johannesapokalypse, Stuttgart 1986, 4. Aufl. 1996
Hubert Ritt, Offenbarung des Johannes, in: Die Neue Echter Bibel, Bd. 21, 4. unveränderte Aufl., Würzburg 2000
Jürgen Roloff, Die Offenbarung des Johannes, 3. Aufl., Zürich 2001
Elisabeth Schüssler Fiorenza, Das Buch der Offenbarung, Stuttgart-Berlin-Köln 1994
Hans Urs von Balthasar, Die Apokalypse, in: „Ja, ich komme bald“, Die Endzeit im Licht der Apokalypse, herausg. vom Informationszentrum Berufe der Kirche, Freiburg 1985
Apokalypse, Zwischen Himmel und Hölle, herausgegeben von Herbert W. Wurster und Richard Loibl, Begleitheft zur Ausstellung in Passau, Passau 2000
Die Apokalypse des Johannes, in: Bibel heute, 33. Jahrg., 3. Quartal 1997, Heft 131, Verlag Kath. Bibelwerk Stuttgart
Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 1980
Das Neue Testament, übersetzt von Fridolin Stier, München 1989
Quellenangaben:
Der biblische Text der Johannes-Apokalypse, der Offenbarung des Johannes, wurde entnommen aus: Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 1980.
Die Erlaubnis für die Übernahme von Bildern des Buchcodex der „Bamberger Apokalypse“ erfolgte durch das freundliche Entgegenkommen der Staatsbibliothek Bamberg, bei der die Urheberrechte liegen ( Staatsbibliothek Bamberg Msc. Bibl. 140 ). Der Buchcodex der „Bamberger Apokalypse“ befindet sich in der Staatsbibliothek Bamberg.
Die vollständige Anzahl der Bilder des Buchcodex der „Bamberger Apokalypse“ ist im Internet zu finden unter:
Category Bamberg Apocalypse – Wikimedia Commons.
Die im vorliegenden Manuskript verwendeten Bilder der „Bamberger Apokalypse“ wurden mit freundlicher Genehmigung des Zentrums für Berufungspastoral, Freiburg, entnommen aus dem Buch: „Ja, ich komme bald“, Die Endzeit im Licht der Apokalypse, Freiburg 1985.