Franziskus scheitert mit der sexuellen Revolution
"Barmherzigkeit" für Homosexuelle und Geschiedene fordert der Papst. Doch bei der Sex-Synode im Vatikan schmettern die konservativen Kleriker jegliche Öffnung der katholischen Kirche ab.
Es war, als sei der Tiber noch breiter geworden, als sei er ein Graben, der die Welt der Menschen am einen Ufer von den katholischen Kirchenvätern am anderen trennte, obwohl es doch Brücken gibt: Während am Samstag in Roms Rathaus auf dem Kapitolshügel 18 homosexuelle Paare mit Bürgermeister Ignazio Marino Hochzeit feierten, schrieben im Vatikan – nur wenige Hundert Meter jenseits des Tiber – 183 Bischöfe und Kardinäle aus aller Welt fest, dass diese Paare auch künftig nicht mit dem offiziellen Segen ihrer Kirche rechnen können.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, wollte zur Homo-Ehe in Rom keinen Kommentar geben, das sei Aufgabe der italienischen Kollegen. Doch die Enttäuschung, dass es seiner Kirche bei der eben beendeten Sonderversammlung nicht gelungen war, die Kluft zwischen katholischer Lehre und säkularer Gesellschaft zu verringern, stand ihm am Samstagabend ins Gesicht geschrieben. Er tröstete sich mit der Weisheit, dass bei solchen Versammlungen immer "zwei Schritte nach vorn und einer zurück" gemacht würden. "Ein bisschen mehr Frische, ein bisschen mehr Aufbruchsszenario wären vielleicht wünschenswert gewesen", fügte er hinzu.
Ebendiese fehlten im Abschlussdokument der Synode, das am Samstagabend vorgestellt wurde: Bei heiklen Themen, vor allem dem Umgang mit Homosexuellen und Geschiedenen in der seelsorgerischen Praxis der Gemeinden, gibt es nichts Neues. Die Synodenväter aus fünf Kontinenten – die meisten waren Vorsitzende von Bischofskonferenzen, Kurienmitglieder und andere hohe Kirchenvertreter – hatten über jedes der 62 diskutierten Themen per Knopfdruck abgestimmt. Die Ergebnisse wurden auf ausdrücklichen Wunsch von Papst Franziskus einzeln veröffentlicht.
Zweidrittelmehrheit für strittige Punkte verfehlt
Ausgerechnet die strittigen Punkte bekamen keine Zweidrittelmehrheit. Sie ist nötig, damit ein Thema als repräsentativ für den Geist der Versammlung gelten kann. Konservative schmetterten jene Paragrafen ab, in denen es hieß, man dürfe gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht mit der Ehe von Mann und Frau gleichsetzen, man müsse aber Homosexuellen mit "Respekt und Taktgefühl" begegnen. Ein weiterer Punkt ist die Zulassung zur Kommunion der Geschiedenen und Wiederverheirateten.
Ein Zwischenbericht der Synodenväter hatte vor einer Woche zur Halbzeit der Versammlung die Hoffnung auf eine kleine Revolution in der Kirche angeheizt. Da hieß es etwa, dass Homosexuelle "eine Bereicherung" für die Kirche darstellen könnten. Davon ist in der Schlussversion nichts mehr zu finden. Es war die Rede von Sakramenten für Geschiedene.
Marx beeilte sich zu unterstreichen, dass es bei Abstimmungen dieser Art keine "Sieger und Besiegte" gebe, dass er sich noch vor zwei Jahren eine "so offene Diskussion" gar nicht hätte vorstellen können. Papst Franziskus habe persönlich darauf bestanden, dass nun auch die kontroversen Themen zumindest in den Abschlusstext eingefügt werden und damit in die Debatte der nächsten Monate Einzug halten dürfen – wenigstens ein kleiner Erfolg!
Der Text ist die Grundlage für die reguläre Familiensynode, die im Oktober 2015 stattfinden wird. Franziskus' Geste, auch die strittigen Themen festzuschreiben, zeige, dass die reformfreudigen Synodenväter keine "einsamen Rufer in der Wüste seien".
"Gott hat keine Angst vor Neuem", erinnerte Papst Franziskus am Sonntagmorgen vor rund 70.000 Gläubigen auf dem Petersplatz. Doch da war die Atmosphäre kühler, als es die warme Oktobersonne erhoffen ließ. Kommentare am Rande zeigten, dass das Kirchenvolk nach der Synode gespalten ist, genau wie Kurie und Kirchenväter in aller Welt: in ein progressives Lager, zu dem auch viele deutsche Geistliche gehören, und in Konservative, die von Neuerungen nichts wissen wollen. Was erstaunt: Zu den Traditionalisten gehören auch viele junge Gläubige. "Wer die Lehre aufweichen will, der soll doch in eine andere Kirche gehen", schimpfte eine 35-jährige Frau, Managerin und Mutter von zwei Kindern.
Die Messe war offizieller Abschluss der Synode. Anlässlich der Seligsprechung von Papst Paul VI. lobte Franziskus aber die Courage seines Vorgängers, dessen Pontifikat von 1963 bis 1978 dauerte, weil er den Mut gehabt habe, "die Zeichen der Zeit" zu erkennen. Paul VI. hatte das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende geführt, das der inzwischen heilige Papst Johannes XXIII. gewollt hatte. Das Konzil hatte eine Öffnung zu anderen Religionen und die Anpassung von Teilen der Liturgie an die Bedürfnisse der moderneren Gesellschaft erreicht. Es gilt nicht als Zufall, dass Franziskus daher die Seligsprechung seines Vorgängers auf den Schlusstag der Synode legte.
Wiederholt hatte Papst Franziskus seit seinem Amtsantritt 2013 von mehr "Barmherzigkeit" für Homosexuelle und Geschiedene gesprochen: Noch zu Beginn der Synodenarbeit appellierte er an die Teilnehmer, sich der veränderten Lebensrealität der Gläubigen zu öffnen. Die Einberufung der Sonderversammlung in diesem Herbst galt als Zeichen, dass er die Öffnung der Familienpolitik in der Kirche vorantreiben will.
Das Treffen hatte die Ergebnisse einer Umfrage zur Grundlage, für die Fragebogen in die Bistümer in aller Welt geschickt worden waren. Die Ergebnisse machten eindeutig klar, wie dringlich das Kirchenvolk eine Erneuerung der Doktrin in Fragen um Ehe, Familie und Sexualleben empfindet.
Franziskus hatte in einer Abschlussrede zur Synode am Samstag die Atmosphäre "voller Offenheit und Mut" gelobt. Da habe es "Spannungen und Versuchungen gegeben", aber man habe "tatsächlich eine Erfahrung von Synode gemacht, einen gemeinsamen Weg" beschritten. Für seine Worte bekam der Pontifex "stehende Ovationen", wie Vatikansprecher Federico Lombardi am Abend amüsiert berichtete.
Doch vor allem weiß Papst Franziskus seit Samstag ganz genau, wo die Schikanen auf seinem eigenen Kurs zu Reformen der Weltkirche liegen. Während der zwei Wochen andauernden Synodenarbeit meldete er sich nie zu Wort, saß aber immer dabei und hörte zu. Viele Synodenväter hatten nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts scharf protestiert, der gerade zum Thema der Homosexuellen und Geschiedenen fast revolutionäre Neuerungen einbringen wollte.
Zwischenbericht zur Synode schockierte Traditionalisten
So reformfreudig etwa ein großer Teil deutscher Kirchenväter ist, so wenig sind es andere: Kardinal Ludwig Gerhard Müller, der als Chef der Glaubenskongregation der Oberhüter katholischer Kirchenlehre ist, war nicht glücklich über die Revolutionsversuche von Landsleuten wie Kardinal Marx. Die wollen nicht länger "Schwarz und Weiß" sehen, wenn es um die pastorale Praxis geht, sondern den "einzelnen Menschen und sein Leben" betrachten. Am Rande einer Arbeitsgruppe soll Müller einem Zeitungsbericht zufolge den Zwischenbericht als "beschämend und komplett falsch" bezeichnet haben. Das wurde allerdings offiziell dementiert.
Der amerikanische Kardinal Leo Burke bezeichnete den Bericht als "Verrat", und der polnische Bischof Stanislaw Gedecki will die "pastorale Unterstützung von Familien" schützen, man dürfe nicht auf sie "einschlagen". Auch afrikanische Synodenväter machten Front.
Der Protest kam auch in Kirchenkreisen gut an, die sich während der Synode nicht öffentlich äußerten. Diesen Kreisen Nahestehende gehen nach "Welt"-Informationen sogar davon aus, dass sich eine breite Front im Vatikan gegen die Reformversuche von Papst Franziskus bilden könnte. Immerhin will Franziskus nicht nur die Kirchenlehre modernisieren: Erst einmal hat er in der mächtigen römischen Kurie und in der Vatikanbank IOR aufgeräumt. Damit hat er sich viele Feinde gemacht.
Nur auf einen ist hinter den hohen Mauern für Franziskus Verlass: auf seinen Vorgänger, den emeritierten Papst Benedikt XVI. Auch an diesem Sonntag kam Joseph Ratzinger zur Messe auf den Petersplatz. Die beiden weiß bekleideten Nachfolger Petri begrüßten sich mit einer liebevollen Geste, bevor die Seligsprechung von Paul VI. begann.