Die Hölle – ewige Strafe der Verdammten
Predigt Prof. Dr. Georg May 7. Oktober 2007
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Eine tiefe Weisheit enthält die Parabel: Der Atheist sprach zum Christen: Du armer Christ, wie du betrogen bist, wenn der Himmel eine Fabel ist! Da sprach der Christ zum Atheisten: Du armer Atheist, wie du betrogen bist, wenn die Hölle keine Fabel ist! Es dürfte sich gewiß lohnen, dieses Sprüchlein zu beherzigen. Wie du doch betrogen bist, wenn die Hölle keine Fabel ist!
Dass es eine Hölle gibt, ist Dogma, ist Glaubenssatz der katholischen Kirche, den jeder, der den Namen eines Katholiken führt, annehmen muss. Dieses Dogma spricht ein Geheimnis aus, aber ein furchtbares Geheimnis. Allein Jesus, der Sohn Gottes, der viele liebliche und erhebende Glaubenswahrheiten offenbarte, konnte uns diese erschreckende Wahrheit mit Bestimmtheit verkünden, mit Worten, an denen sich nicht deuteln und nicht drehen lässt, wenn wir ihn nicht selbst der Lüge und der Übertreibung zeihen wollen. Der Herr redet auch nicht nur einmal über die Hölle, sondern oft. 15 mal, 15 mal im Neuen Testament spricht der Herr von der Hölle. Wir kennen manche seiner Aussprüche: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können, nicht aber die Seele. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in das Feuer der Hölle stoßen kann. Ja, sage ich euch: den sollt ihr fürchten!“ An einer anderen Stelle: „Wenn dir deine Hand oder dein Fuß zum Ärgernis wird, so hau sie ab! Es ist dir besser, dass du lahm und verkrüppelt in das Leben eingehst, als dass du mit beiden Händen und Füßen in das ewige Feuer geworfen wirst.“ Und wo der Herr vom Letzten, vom Endgericht spricht, da sagt er zu den auf der linken Seite Stehenden: „Weicht, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist!“
Nun gibt es heute Theologen – heute gibt es nämlich alles mögliche! – nun gibt es heute Theologen – Theologen! –, die erklären, die Hinweise Jesu auf die Hölle haben nur den Zweck, die Menschen aufzuwecken und zu erschrecken, aber es ist noch niemand in die Hölle gekommen, und es wird auch niemand hineinkommen, die Hölle ist leer. Meine lieben Freunde, diese Erklärung ist so töricht wie diejenigen, die sie erfunden haben. Denn wenn die Drohung mit der Hölle eine leere Drohung ist, dann braucht sich niemand davor zu fürchten. Wenn die Hölle sich niemals verwirklicht, dann kann man auch niemand damit erschrecken. Wie kann man einen solchen Unsinn erklären als katholischer Theologe? Nein, meine lieben Freunde, wenn kein Mensch jemals in die Hölle gekommen ist oder kommen wird, dann verliert die Drohung mit der Hölle ihre Kraft. Sobald man die Exegese dieser Leute durchschaut, hat die Drohung mit der Hölle ihre Wirkung verloren.
Hören wir nicht auf diese Falschlehrer, die den Menschen eine falsche Beruhigung verschaffen wollen. Nein, es gibt eine Hölle, denn Jesus hat es uns geoffenbart. Aber was heißt das: Es gibt eine Hölle? Erstens, es heißt nicht, es ist irgendwo eine Stelle, wo die Menschen hinkommen, wenn sie verdammt werden, aber es ist niemand dahin gekommen. Es gibt eine leere Hölle. Das ist offenkundiger Unsinn. Die Hölle entsteht nämlich erst, wenn jemand verdammt wird. Wenn niemand verdammt wird, gibt es keine Hölle. Die Hölle ist der Zustand der Verdammten. Wenn keine Verdammten existieren, existiert auch kein solcher Zustand. Diese Erklärung der Hölle ist offensichtlich unsinnig. Was heißt es aber dann zweitens, es gibt eine Hölle? Das heißt: Es gibt Menschen, die in die ewige Unseligkeit gestoßen sind. Erst dann und nur dann, wenn es Menschen gibt, die Höllenqualen erleiden, existiert die Hölle. So also müssen wir die Worte Christi verstehen. Wenn er sagt, dass es eine Hölle gibt, dann besagt dies, dass es Verdammte gibt. Wir müssen annehmen, dass es Menschen gibt, die in ewiger Unseligkeit die Gerechtigkeit Gottes preisen müssen.
Wie ist der Höllenzustand beschaffen? Was wissen wir vom Höllenzustand? Wir wissen erstens, dass die Hölle ewig ist. Der Herr lässt keinen Zweifel daran: Die Hölle ist ein endloses Heute, dem kein Morgen der Erlösung folgt. Den Verdammten leuchtet kein Hoffnungsschimmer mehr. Wäre es anders, dann würde die Hölle aufhören, eine Hölle zu sein. Der freie Mensch hat die Entscheidung zwischen gut und böse getroffen. Gott lässt ihm seinen Willen; er lässt ihm den Willen für eine ganze Ewigkeit. Gäbe es drüben in der anderen Welt die Möglichkeit der Umkehr, dann wäre diese Umkehr so selbstverständlich, dass sie jeder sittlichen Güte entbehren würde. Dann hätte auch das diesseitige Leben seinen Sinn und seinen Ernst, seine eigentliche Aufgabe, seine Menschen- und Gotteswürdigkeit eingebüßt. Die Hölle ist ewig. Darum schreibt Dante in seinem großen Drama der Göttlichen Komödie: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!“
Zweitens, die Verdammten leiden ewige Qual. Diese Qual ist eine doppelte. Zunächst einmal ist es die Qual der Gottesferne. Ihr ganzes Wesen ruft nach Gott, denn der Mensch ist für Gott geschaffen und sehnt sich nach Gott. Aber diese Sehnsucht wird den Verdammten nie und nimmer erfüllt. Der verdammte Mensch lebt also in der Zerrissenheit. Er sehnt sich nach Gott und kann doch diese Sehnsucht nicht befriedigen. Wie entsetzlich diese Verbannung von Gott ist, begreifen wir auf dieser Erde nicht. Warum nicht? Weil wir uns hier mit anderen Dingen über den Verlust Gottes hinwegtrösten. Mit Essen und Trinken, mit Reisen und Fahrten, mit anderen Genüssen täuschen sich die Menschen über den nicht vorhandenen Besitz Gottes hinweg. Drüben aber sind ihnen alle vergänglichen Güter entzogen. Sie haben nichts mehr, was sie trösten könnte. Nur die Sehnsucht der Seele hat noch ihr angeborenes Ziel, nämlich die Anschauung Gottes. Sie leiden unter dem zermalmenden Gedanken: Ich habe Gott verloren, und ich habe ihn für immer verloren.
Zu dieser äußersten Qual kommen Strafqualen. Die unwiderrufliche Trennung von Gott ist nicht die einzige Strafe der Unseligen. Die Heilige Schrift spricht vom Feuer, und das ist gewiß ein Bild, aber ein sehr treffendes Bild, denn was auf Erden schmerzt denn mehr als das Feuer? Wenn wir mit den Händen ins Feuer geraten, dann spüren wir, wie schrecklich diese Qual ist. Ähnlich-unähnlich müssen wir uns die Qualen der Hölle denken, und deswegen ist die Rede vom „Heulen und Zähneknirschen“. Heulen ist Ausdruck des Schmerzes, Zähneknirschen ist Ausdruck der Wut. Vor Schmerz heulen die Verdammten auf, und vor Wut über ihr verfehltes Leben knirschen sie mit den Zähnen. Von dem reichen Prasser heißt es im Evangelium: „Ich leide große Qual in diesen Flammen.“
Drittens, auf Erden erhellen Flammen unseren Tag. Wenn wir ein Feuer anzünden, dann wird es hell um uns. Die Flammen der Hölle schaffen kein Licht. In der Hölle herrscht ewige Dunkelheit. Den Verdammten ist die Sonne der Gnade für immer untergegangen. Wir lesen zuweilen von Bergleuten, die in ihren Bergwerken verschüttet wurden und dort elendig zugrunde gegangen sind, in der Finsternis begraben im Berg. Wie mag denen zumute sein, die die ganze Ewigkeit in äußerster Finsternis zubringen müssen?
Viertens, dazu kommt „der Wurm, der nicht stirbt“, wie der Herr sagt. Der Wurm, der nicht stirbt, nämlich welcher Wurm? In den Verdammten lebt die entsetzliche Erkenntnis: Ich konnte zu Gott gelangen, ich musste zu Gott gelangen, aber ich bin nicht zu Gott gelangt. Das ist der Wurm, der nicht stirbt. Ich allein habe meinen Untergang herbeigeführt. Dieses Schuldbewusstsein nagt an der Seele wie ein Wurm, und dieser Wurm wird nicht sterben.
Fünftens, auf Erden tröstet uns die Gesellschaft anderer. Auch die Verdammten sind in Gesellschaft, aber diese Gesellschaft tröstet sie nicht. Auf Erden haben sich die Sünder beschwichtigt, dass sie sagten: Die anderen machen es ja auch so, man muss mit den Wölfen heulen, man muss mit der Zeit gehen. Nicht wahr, wir kennen diese Sprüche. Meine lieben Freunde, in der Hölle ist eine Gesellschaft, aber eine Gesellschaft, die in Haß gegeneinander entbrennt, eine Gesellschaft, die im Haß gegeneinander wütet, eine Gesellschaft, die sich zerfleischen würde, wenn sie nicht der gemeinsame Haß gegen Gott und alles Heilige zusammenhielte. Nicht nur der grimmige Schmerz, auch der grimmige Haß lässt die Verdammten aufheulen.
Es muss, meine lieben Freunde, in unserer Verkündigung auch die ewige Hölle eine Stelle haben. Wir Priester dürfen nicht schweigen von dem, was der Herr geoffenbart hat. Wir müssen von der Verworfenheit, von der Verdammnis reden, damit wir nicht in diese Verworfenheit und in diese Verdammnis eingehen. Ein Stern leuchtet uns: In die Hölle kommt nur, wer sich auf Erden aus der Hölle nichts machte. Wer sich aber oft und oft vornimmt: Ich will, ich darf nicht verloren gehen, der braucht die Hölle nicht zu fürchten. „Das hab ich mir vorgenommen: In den Himmel will ich kommen. Mag es kosten, was es will, für den Himmel ist nichts zuviel.“ Viel besser ist es, Gott zu fürchten als die Hölle, Gott, der Leib und Seele ins ewige Verderbnis stoßen kann. Noch besser ist es, Gott zu lieben und ihm zu dienen, so dass man vor lauter Freude fast darauf vergisst, an die Schrecken der Gottesferne zu denken.
Vor einigen Jahren starb ein frommer Mann, der sein ganzes Leben der Nächstenliebe gewidmet hatte. Auf dem Sterbebette sagte er dem Priester, der ihm die Wegzehrung spendete: „Warum sollte ich Gott fürchten? Ich liebe ihn ja so sehr!“ Warum sollte ich Gott fürchten, ich liebe ihn ja so sehr. Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm. Leben wir in der Gottesliebe, bleiben wir in der Nächstenliebe, meine lieben Freunde, dann brauchen wir die Hölle nicht zu fürchten. Beten wir oft, wie es die Allerheiligenlitanei uns lehrt: „Von dem ewigen Tode erlöse uns, o Herr!“ Und beten wir auch im Te Deum, das wir Priester ja jeden Tag im Brevier beten, beten wir im Te Deum: „Herr, wir bitten dich, komm deinen Dienern zu Hilfe, die du mit deinem kostbaren Blut erlöst hast. Laß sie in ewiger Herrlichkeit deinen Heiligen zugezählt werden.
Amen.