Die göttliche Vorsehung
Franz Spirago - Katholischer Volkskatechismus 1914
Göttliche Vorsehung nennt man die Erhaltung und die Regierung der Welt.
Keine Wahrheit wird in der Hl. Schrift so oft erwähnt wie die göttliche Vorsehung.
1. Gott erhält die Welt, d. h. er bewirkt, dass die Schöpfung fortbesteht.
In Städten, wo Gaslicht oder elektrisches Licht brennt, befindet sich eine Anstalt, wo das Gas oder der elektrische Strom hergestellt wird. Hört man dort arbeiten auf, so erlischt in der Stadt das Licht. Geradeso würde die ganze Schöpfung untergehen, wenn Gott nicht für ihren Fortbestand sorgen würde. Eine am Faden angebundene Kugel fällt sogleich nieder, wenn man den Faden loslässt. Ebenso würde die Erde und die ganze Welt sogleich in nichts zurücksinken, wenn sie Gott, der sie durch seine Allmacht ins Dasein gerufen hat, nicht auch durch seine Allmacht erhalten würde. Wie könnte etwas bestehen ohne deinen Willen? (Weish 11,26). Gott trägt alles durch das Wort seiner Kraft (Heb 1,3). Damit die Geschöpfe erhalten bleiben, gibt ihnen Gott alles, was sie zum Fortbestande brauchen. Daher wiederholt sich alljährlich die wunderbare Brotvermehrung (Mt 14) auf unsern Feldern (hl. Aug.). Aus einem Körnchen werden hier 30-100 neue, aus einer kleinen Kartoffel 10-20 große. Aus einem Kirschenkern, Pflaumenkern u. dgl. wird ein Baum, der dann alljährlich Hunderte Früchte trägt. „Es geschehen tagtäglich Wunder, und weil wir sie beständig sehen, so machen sie auf uns keinen Eindruck mehr" (hl. Aug.). Auch erhält Gott das Sonnenlicht und hält die Gestirne in ihren Bahnen; wäre das nicht der Fall, so würden wir und alles auf Erden zugrunde gehen. - Doch wird einmal die ganze sichtbare Welt in ihrer gegenwärtigen Gestalt vergehen. Denn Christus sagt: „Himmel und Erde werden vergehen" (Lk 21,33); damit ist aber nicht gesagt, dass Gott die Welt vernichten werde. Das wäre der vollste Widerspruch mit seinen Eigenschaften. Gott wird die Welt umändern und zwar in eine bessere. „Wir erwarten einen neuen Himmel und eine neue Erde" (2 Petr 3,13). (Über den Weltuntergang wird sehr ausführlich bei der Lehre vom Weltgerichte gehandelt.)
2. Gott regiert die Welt, d. h. er sorgt dafür, dass die Schöpfung zu seiner Verherrlichung und zu unserm Wohle diene.
Wie ein Steuermann das Schiff leitet, damit es sein Ziel erreicht, so leitet Gott die Welt, damit sie ihren Zweck erfülle. Der Zweck der Welt ist Gottes Verherrlichung und das Wohl der Geschöpfe. Gott leitet die Gestirne des Himmels nach festen Gesetzen (Jes 40,26), sodass das Firmament die Herrlichkeit Gottes verkündet (Ps 18,2). Er leitet alle Völkerschaften (Dan 4,23), insbesondere leitete er das jüdische Volk. Im Leben mancher Menschen, so des ägyptischen Josef, des Moses, sehen wir auffallend die Leitung Gottes. Auch die Schicksale der Katholischen Kirche zeigen zuweilen das unmittelbare Eingreifen Gottes. Doch können wir die Fügungen Gottes zumeist nicht gleich verstehen; sie sind uns ein Rätsel. Die göttlichen Fügungen sind uns unverständigen Menschen ebenso rätselhaft, wie der wohlgeordnete Gang der Zeiger auf einer Turmuhr einem Beobachter, der von einem künstlichen Uhrwerke nichts versteht. Sieht man das Fadengewirr auf der Rückseite eines schönen Teppichs, könnte man meinen, aus diesem Gewirre könne unmöglich eine Ordnung entstehen, und doch ist die schönste Ordnung auf der andern Seite. Geradeso stoßen uns verschiedene Schicksale zu, die uns anfangs schädlich zu sein scheinen. Doch Gott weiß sie so zu lenken, dass sie zu seiner Verherrlichung und zu unserm Wohle dienen. Deshalb müssen wir oft nachträglich staunend ausrufen wie David: „Vom Herrn ist das geschehen; und es ist wunderbar in unseren Augen" (Ps 117,23).
Es ist kein einziger Mensch auf Erden, für den Gott nicht sorgen würde.
Eher vergisst eine Mutter auf ihr Kind, als Gott auf uns (Jes 49,15). Gott sorgt ja sogar für die Tiere und für die leblosen Geschöpfe. Christus sagt, dass Gott selbst für die Vögel des Himmels, für die Lilien auf dem Felde und für das Gras sorge (Mt 6,25-30). Es gibt kein Geschöpf, das nicht unter der Vorsehung Gottes steht, es mag wollen oder nicht (hl. Aug.).
Gott sorgt besonders für den, der niedrig und von der Welt verachtet ist.
Gott hat den Kleinen wie den Großen gemacht und sorgt auf gleiche Weise für alle (Weish 6,8). Ja Gott ist auch groß im Kleinen. Das beweist jeder Wassertropfen, unter dem Mikroskop betrachtet, der Bau der kleinsten Pflanze und des kleinsten Würmchens. Gott verherrlicht sich am liebsten durch das Kleine (1 Kor 1,27). Niedrige Männer, wie Josef, Moses, David, Daniel und viele andere, erhob er aus der tiefsten Niedrigkeit zu den höchsten Ehrenstellen; den armen Hirten, nicht aber den stolzen Pharisäern ließ er durch die Engel die Geburt des Erlösers verkünden; schlichte Fischer berief er zu Aposteln; eine arme Jungfrau erwählte er sich zur Mutter; den Armen lässt er das Evangelium verkünden (Mt 11,5); den Demütigen gibt er seine Gnade (Jak 4,6) usw. Daher ruft David aus: „Wer ist wie der Herr, unser Gott, der in der Höhe wohnt und auf das Niedrige schaut" (Ps 112,5). „Aus dem Kote erhöht er den Armen und setzt ihn neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes" (Ps 112,8). - Daher ist der ein törichter Mensch, der meint, Gott kümmere sich nicht um das, was auf Erden geschieht.
Nichts widerfährt uns in unserem ganzen Leben ohne den Willen oder die Zulassung Gottes.
Doch kann man nicht sagen, dass Gott alles, was auf der Welt geschieht, wolle. Wie könnte z. B. der höchst gütige und heilige Gott wollen, dass uns jemand töte, bestehle, beschimpfe u. dgl.? Wohl aber lässt Gott manches Böse zu, d. h. er hindert es nicht, obwohl er könnte. Dieses Zulassen ist kein Erlauben; denn was man erlaubt, das billigt man. Die Zulassung des Bösen kommt daher, weil Gott dem Menschen den freien Willen gegeben hat. Doch weiß Gott auch das Böse, das er zugelassen hat, zum Guten zu wenden.
Das Böse, das Gott zulässt, wendet er zu unserem Besten.
Denn Gott, der uns unendlich liebt (Joh 4,16), hat in allem nur die Absicht, uns glücklich zu machen. Deshalb wendet er Unglücksfälle, Versuchungen, ja sogar die Sünden der Menschen zu unserem Besten (1. Mos. 50,30). Man denke nur an den ägyptischen Josef. Dieser wurde verkauft und ins Gefängnis geworfen; doch das alles trug nur dazu bei, dass er König wurde, ein Volk vom Hungertode errettete und seine Verwandten glücklich machte. Die Wegführung der Juden in die Gefangenschaft diente dazu, damit die Heiden Kenntnis erhielten vom wahren Gotte und vom kommenden Erlöser (Tob 13,4). Die großen Christenverfolgungen der Urkirche dienten dazu, das Christentum nur noch weiter auszubreiten; die Heiden bewunderten die Standhaftigkeit der Christen und erforschten das Wesen der christlichen Religion. Die Wache am Grabe Christi diente dazu, die Auferstehung des Heilandes nur noch umso deutlicher zu bestätigen. Der Unglaube des Thomas nützt uns mehr als der Glaube der übrigen Apostel (hl. Aug.). Die Sünde des Petrus sollte diesen demütig und gegen seine Mitapostel nachsichtig machen. Die Sünde des Judas trug bei zur Erlösung des Menschengeschlechtes. Also wie man sieht, muss sogar der Teufel zur Verherrlichung Christi und zu unserem Wohle beitragen. „Wie unbegreiflich sind Gottes Gerichte und wie unerforschlich seine Wege" (Rom 11,33). Sprichwörter: „Was Gott schickt, das ist wohlgemeint, und wenn's auch anfangs anders scheint!" „Wodurch man uns zu schaden denkt, wird uns von Gott zum Heil gelenkt."
Manche Ereignisse, die unerwartet und überraschend eintreten (und daher von uns „Zufall" genannt werden), sind oft augenscheinliche Fügungen Gottes.
Deshalb sprach Josef als Vizekönig von Ägypten zu seinen Brüdern: „Nicht durch euern Verrat bin ich hierhergekommen, sondern durch den Willen Gottes" (1. Mos. 45,8). König Friedrich der Große von Preußen (+ 1786) ging im Schlosse zu Sanssouci bei Potsdam eines Morgens ins Frühstückzimmer, um seine Schokolade zu trinken. Er stand auf und holte das vergessene Buch. Zurückgekommen schwebte über der Schokolade eine Spinne, die sich an einem Faden von der Decke herabgelassen hatte. Der König stellte die Tasse weg und verlangte vom Koch eine andere. Dieser erschoss sich sofort; er hatte den König vergiften wollen und meinte nun, sein Verbrechen sei entdeckt. (An der betreffenden Decke im Schloss ist ein Spinnnetz gemalt und eine Spinne darin.) Als der neugewählte ungarische König Mathias Korvinus 1458 in der Königsburg zu Ofen Festlichkeiten veranstaltete, erschien auch Fürst Lazar von Serbien. Ein Dieb schlich sich in die Burg ein und befand sich gerade im Schlafzimmer des serbischen Fürsten, als sich dieser mit seiner Gemahlin dem Zimmer näherte. Der Dieb kroch unter ein Bett und wurde hier Zeuge, wie der Fürst seiner Gemahlin mitteilte, er wolle den König aus dem Leben schaffen. Als beide schliefen, entfloh der Einbrecher und ließ sich sofort vor den König führen, dem er den Plan mitteilte. Als der Serbenfürst abreiste, lud er den König zum Abschied auf ein Glas Wein ein. Der König nötigte aber den Fürsten, den Becher selbst zu trinken. Eine Stunde darauf war der Serbenfürst eine Leiche. Der König dankte Gott für die wunderbare Lebensrettung (Spirago, Beispiele). Ein Schriftsteller nennt den Zufall den „kleinen Finger an der Hand des Allmächtigen". Christus sagt, dass selbst die Haare unseres Hauptes gezählt sind, d. h. dass sich die Vorsehung Gottes selbst auf die geringfügigsten Schicksale unseres Lebens erstreckt (Mt 10,30). Nichts auf der Welt geschieht also zufällig. Freilich wissen wir nicht die Ursache vieler Ereignisse, wohl aber weiß sie Gott, der alles leitet. „Wer sagt, es gebe in der Welt einen Zufall, der lästert die Gottheit" (hl. Ephr.). Ein Sprichwort: „Nichts geschieht von ungefähr, von Gottes Hand kommt alles her."
3. Ein frommer Christ soll sich deshalb im Unglücke in den Willen Gottes ergeben.
Christus hat uns daher zu Gott beten gelehrt: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden." Der hl. Petrus ermahnt uns: „Alle euere Sorge werfet auf den Herrn; denn er sorgt für euch" (1. Petr 5,7). Wer ein reines Gewissen hat, kann mit David sprechen: „Wenn ein Heerlager wider mich aufsteht, so wird sich mein Herz nicht fürchten" (Ps 26,3). Wir sollen zunächst bei unbedeutenden Dingen uns nicht betrüben oder aufregen, so z. B. wenn uns die Witterung nicht behagt. Namentlich sollen wir bei Schicksalsschlägen, die wir nicht ändern können, uns in Gottes Willen ergeben, so bei Krankheiten, bei Verlust des Vermögens, beim Tode der Verwandten, bei Verfolgungen, bei Hungersnot, Krieg u. dgl. Am meisten sollen wir uns aber im Tode in den Willen Gottes ergeben. Leider folgen aber viele Jesus nur nach, wenn er Brot austeilt, wenn sie aber mit ihm den Leidenskelch trinken sollen, da verlassen sie ihn, wie die Apostel auf dem Ölberge (Th. Kp.).
Wer sich im Unglücke in den Willen Gottes ergibt, erleichtert sich sein Leiden, erlangt Seelenruhe, große Vollkommenheit und wird von Gott gesegnet.
Der Gottergebene erleichtert sich das Leiden. Ein tauber und erblindeter Bischof namens Coulquier, der auf seinem Krankenlager gefragt wurde, wie es komme, dass er so geduldig sei, sprach: „Ich habe ein schönes Gebet, das ich oft spreche, nämlich: "Mein Jesus, ich bin taub und blind; es geschehe dein heiligster Wille!" Wer leidet, soll ähnlich beten; er wird sehen, dass dieses Gebet hilft (Spirago, Beispiele). Ein gottergebener Mensch fühlt seine Leiden nicht, weil er sie liebt, da sie von Gott und seinem heiligen Willen herrühren (M. Lat.). Ein solcher Mensch fährt gleichsam in einem Wagen mitsamt seinem Kreuze, braucht es also nicht zu tragen. Die diesen Vorteil nicht kennen, müssen mühsam ihr Kreuz schleppen (hl. Dorot.). Die Gottergebenheit führt daher zur wahren Zufriedenheit. Ein Kreuz entsteht nur dadurch, dass über einen längeren Balken querüber ein kürzerer gelegt wird. Der längere von oben nach unten gehende bedeutet den Willen Gottes, der kürzere und quer gehende den Willen des Menschen. Dadurch, dass unser Wille sich dem göttlichen widersetzt, entsteht ein Kreuz, das heißt: Leiden und Unzufriedenheit. Würde sich der eine Balken nicht dem anderen quer entgegenstellen, sondern mit ihm parallel laufen, so gäbe es kein Kreuz mehr. Und würde sich der Mensch dem Willen Gottes fügen, so gäbe es weit weniger Kreuz und Leiden auf Erden, weil der Mensch die wahre Zufriedenheit hätte. Die gottergebene Seele gleicht der Magnetnadel, die, wenn sie gegen die Pole zeigt, trotz unruhiger Umgebung stets in Ruhe bleibt (Rodr.). Wer sich den weisen Fügungen Gottes unterwirft, hat schon den Himmel auf Erden (hl. Aug.). Wer seinem Willen am meisten entsagt und den Willen Gottes am vollkommensten zu erfüllen trachtet, gelangt sehr schnell zur höchsten Vollkommenheit (hl. Ther.). Denn man kann nichts Gott Wohlgefälligeres tun, als sich in den Willen Gottes ergeben. Der gottergebene Mensch erlangt daher sicher die ewige Seligkeit. Er gleicht jenen, die sich auf einem Schiffe befinden und sich nur in der Richtung des Schiffes bewegen; sie gelangen so in den sicheren Hafen (hl. Fr. S.). Ja der Gottergebene hat jetzt schon Glück und Segen. Ein Landmann, dessen Felder immer mehr trugen als die anderen, wurde von seinem Nachbarn gefragt, wie das komme. Er sprach: „Weil ich immer das Wetter habe, das ich wünsche." Gefragt, wie das zu verstehen sei, antwortete er: „Ich bin immer mit dem Wetter zufrieden, das Gott schickt. Das gefällt Gott und deshalb segnet er meine Felder." Betrachte auch, wie der liebe Gott den geduldigen Job segnete. Ein schönes Beispiel von Gottergebenheit hat uns Christus auf dem Ölberge gegeben.
Christus betete auf dem Ölberge: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe" (Lk 22,42). Christus war seinem himmlischen Vater gehorsam bis zum Tode am Kreuze (Phil 2,8). Gottergeben war auch der edle Dulder Job in seinem Leiden. Viele Millionen heiliger Engel finden in der Erfüllung des göttlichen Willens ihre Seligkeit. Die hl. Magdalena von Pazzis sagte: „Die grausamsten Qualen und die schwersten Trübsale würde ich mit Freuden ertragen, sobald ich wüsste, es sei der Wille Gottes." Ähnlich sprachen die übrigen Heiligen.
4. Wie verträgt sich das Unglück der Frommen und das Glück der Sünder mit der göttlichen Vorsehung?
Das Unglück der Frommen und das Glück der Sünder darf uns nicht irremachen im Glauben an die göttliche Vorsehung; denn dies ist nur scheinbar. „Die Glückseligkeit derer, die in Purpur gekleidet sind, ist oft nicht größer als die Glückseligkeit jener, die in der Komödie mit einem Zepter oder mit einem Feldherrnhute bekleidet sind" (Seneca). Beim Sündigen kommt es endlich soweit, dass man keinen Genuss mehr davon hat (hl. Bern.).
Keinem Sünder geht es wirklich gut, und keinem wahrhaft Frommen geht es wirklich schlecht. Denn zum Glücke gehört die innere Zufriedenheit; diese besitzt nur der wahrhaft Fromme, keineswegs aber der Sünder.
Die Welt, nämlich Reichtum, Essen, Trinken, Vergnügen, Ehren usw. kann uns keinen wahren Frieden geben; diesen erlangen wir nur durch Befolgung der Lehren Christi. Der innere Frieden und die Glückseligkeit sind eine Frucht des Heiligen Geistes, die nur aus der Tugend entspringt (Lud. Gran.). Wer aber die Seelenruhe hat, der ist wahrhaft reich; denn er ist nicht arm an den höchsten Schätzen (hl. Amb.). - Die Gottlosen haben keinen Frieden; sie sind wie ein tobendes Meer, das nicht still sein kann (Jes 57,20). Der Gerechte lebt in beständiger Wonne, wäre er auch in Lumpen gehüllt und müsste er Hunger leiden. Er ist weit glücklicher, als wer mit Diadem und Purpur geschmückt ist und in Lüsten schwelgt. Frohsinn und Freude kommt eben nicht von größerer Macht, von vielen Schätzen, von körperlicher Stärke, von köstlichen Tafeln und prächtigen Kleidern, noch von irgendeinem anderen derartigen Dinge; sondern einzig von der Tugend und einem guten Gewissen (hl. Chrys.). Es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Übrigens ist das Glück der Sünder meistens nur vorübergehend.
Das Volk sagt: „Gott lässt die Bäume nicht in den Himmel wachsen." Wie schnell ging das Glück eines Kaisers Napoleon, der seines Ehrgeizes wegen Millionen Menschen ums Leben brachte, vorüber. Der Gottlose gleicht einer hochgewachsenen Zeder des Libanon, die nach einigen Tagen schon gefällt und daher nicht mehr zu sehen ist (Ps 36,36). Das Gebäude seines Glückes ruht auf Sand; es kommen Wassergüsse, und das Gebäude stürzt ein (Mt 7,27). Das Glück des Sünders gleicht einem Pilze, der in einer Nacht emporwächst und ebenso schnell zugrunde geht.
Die eigentliche Vergeltung tritt erst nach dem Tode ein.
Deshalb sagt Christus: „Viele aber, welche die Ersten sind, werden die Letzten, und welche die Letzten sind, werden die Ersten sein" (Mt 19,30). Mancher Reiche oder Vornehme wird im Jenseits tief unter jenem stehen, der jetzt als Bettler zu seiner Türe kommt. Man denke an den reichen Prasser und armen Lazarus. „Gott bereitet den Seinigen ein anderes Leben, das viel besser und wonnevoller ist, als das gegenwärtige. Wenn es nicht so wäre, so hätte er nicht zugegeben, dass so viele Ruchlose in lauter Freuden, dagegen so viele Gerechte in lauter Mühseligkeiten dahinleben müssen. Er hätte dafür gesorgt, dass die Ruchlosen noch hier die ihnen gebührende Strafe, die Gerechten aber den ihnen gebührenden Lohn empfangen hätten" (hl. Chrys.). Jetzt erfreuen sich die Gottlosen, wir aber sind traurig; hernach aber wird es umgekehrt sein: wir werden uns freuen, die Gottlosen aber werden traurig sein (Tertull.).
Der Sünder wird schon auf Erden belohnt für das wenige Gute, das er getan hat. Ebenso wird der Gerechte meistens schon auf Erden bestraft für das Böse, das er getan hat. Daher sagt Christus: „Aber wehe euch, ihr Reichen, denn ihr habt euern Trost", d. h. ihr habt euern Lohn schon auf Erden (Lk 6,24).
5. Wie verträgt sich die Sünde mit der göttlichen Vorsehung?
Auch die Sünde und ihre Folgen können uns nicht irremachen im Glauben an die göttliche Vorsehung.
Nicht Gott ist an der Sünde und ihren Folgen schuld (Kz. Tr. 6, 6), sondern der Missbrauch unseres freien Willens.
Gott hat den Menschen als freies Wesen erschaffen; deshalb hindert er nicht dessen freie Handlungen, selbst wenn sie böse sind. Auch hat Gott Grund dazu, das Böse nicht zu hindern. Gäbe es nämlich nichts Böses in der Welt, so hätte der Mensch nie die Wahl zwischen Gutem und Bösem, sondern müsste wie eine Maschine handeln, dann könnte er für das vollbrachte Gut dereinst nicht belohnt werden. Man denke auch an das Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24). Gott würde das Böse, das aus der missbrauchten Freiheit des Menschen entsteht, nie zulassen, wenn er nicht Macht genug hätte, aus dem Bösen Gutes zu ziehen (hl. Aug.).
Gott wendet in seiner Weisheit auch die Sünde zum Guten.
Mit Recht sagte der ägyptische Josef zu seinen Brüdern: „Ihr sännet Böses gegen mich, Gott aber wandte es zum Guten" (1. Mos. 50,20). Auch den Verrat eines Judas wandte Gott zum Guten; er trug bei zur Erlösung des Menschengeschlechtes. „Gott fand es für besser, aus Bösen Gutes zu machen, als gar nichts Böses zuzulassen" (hl. Aug.). Die Biene bereitet auch aus giftigen Pflanzen Honig; der Töpfer macht aus schlechter Erde herrliche Gefäße. Etwas Ähnliches gilt von Gott.
Übrigens geziemt es uns nicht, ergründen zu wollen die verborgenen Absichten Gottes; wir armseligen Geschöpfe müssen sie anbeten und uns mit Ehrfurcht ihnen unterwerfen.
Was von der Sünde gilt, gilt auch von den Folgen der Sünden, von den irdischen Leiden.
(Quelle: "Dienst am Glauben", Heft 3 - 2015, S. 74-79, A-6094 Axams)
https://adorare.ch/vorsehung2.html