Einblick
in das Fegfeuer
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Deutsche Übersetzung: P. Holdener
Für die deutsche Ausgabe: Oktober 1995 Parvis-Verlag CH-1648 Hauteville/SchweizISBN 3-907523-63-6
Inhaltsverzeichnis
«Kind, stell den Himmel in deine Seele,
das Fegfeuer in dein Herz
und die Erde in deine Hände...
Das heißt, der Himmel möge zum Gegenstand
deiner Beschauung, das Fegfeuer bevorzugter Gegenstand deines Betens,
die Erde zum Ort werden, wo du dich durch deine Werke
und das Erfüllen deiner Standespflicht heiligst.»
Vorwort
Nachlassen des Interesses
Schon seit langem hatte niemand mehr gewagt, über das
Fegfeuer zu schreiben.
Das
Museum der Seelen im Fegfeuer, das durch den Eifer, wie
er vor einem Jahrhundert brannte, in der Nähe des
Justizpalastes in Rom mit Spuren und Verbrennungen aus
dem Jenseits eingerichtet worden war, ist längst
vergessen. (Link
Fegefeuermuseum) Die Kongregation der Helferinnen für das
Fegfeuer hat ihren Namen geändert. Die Altäre mit den
Fegfeuerdarstellungen, einst zahlreich in den Kirchen
sind verschwunden. Man liest nicht mehr die
Offenbarungen der heiligen Katharina von Genua über
dieses Thema und man redet nicht mehr von den 6 Vater
unser und den 6 Gegrüßt für die Seelen im Fegfeuer,
welche die heilige Theresia von Lisieux bis zu ihrem
Tode betete, noch vom heldenhaften Hingabeakt, durch den
sie sich Gott aufopferte, um an deren Stelle zu leiden (Dictionnaire
de Spiritualite l, 177-178 und 12,2674-2675).
Sogar
der Vatikan zeigt sich als sehr verschwiegen. Es wird
nicht das überlieferte Wort dafür gebraucht und er
redet nur beiläufig «von den andern Christen, die aus
diesem Leben geschieden sind und noch gereinigt werden»
(Lumen gentium Nr. 49).
Denn
das Fegfeuer ist kein festumschriebenes Dogma. Es gehört
an den Rand. Somit überließ man es zur Stunde, wo man
allerlei hinzunimmt und wegläßt, dem Vergessen. Wer
wagt es schon, heute über das Fegfeuer zu predigen?
Die
Theologen (in Frankreich, H. Rondet, Y. Congar, J.
Guitton) haben zuerst versucht das Fegfeuer neu zu
interpretieren: es ist nicht ein Ort, sondern ein
Zustand. Es ist nicht eine Strafe, sondern eine Mühe,
es ist kein Feuerofen, sondern eine Reinigung. Es ist
nicht nur ein Leiden, sondern ein
zu-Gott-Hingezogen-werden. Es ist nicht mehr unsere
geschichtliche Zeit, es ist eine andere Dauer.
Doch
heute wird der Weg der Verneinung noch radikaler
beschritten. Man redet einfach nicht mehr davon, außer
um das Nachlassen des Interesses bei den Christen für
diesen Begriff zu unterstreichen, wie es die gelehrte
Monographie eines erstklassigen Historikers tut in J. Le
Goff: Die Entstehung des Fegfeuers, Paris, Gallimard,
1981, 486 Seiten. Man leugnet zwar nicht das Fegfeuer,
man ist aber dahin gelangt, daß man es als heute nicht
von Interesse und ohne Belang betrachtet: «nicht
integrierbar im Feld der modernen Praktiken und
Vorstellungen» (H. Bourgeois, in Catholicisme 12, 306).
Trotzdem
ist es seit Jahrhunderten die Lehre der Kirche. Sie
wurde verbürgt durch die Texte des Lehramtes,
namentlich durch die beiden Konzilien von Lyon (Denzinger-Schönmetzer
456 und 466) und durch das von Florenz (D 1304; vgl.
auch den alten Denzinger D 483 und 498). Der Katechismus
von Johannes Paul II. wagt davon zu sprechen (Nr.
1030-1032).
Grundlage
und Sinn
Wenn
wir den Wortschatz und die Vorstellungen beiseite
lassen, so drängt sich das Geheimnis der jenseitigen
Reinigung am Schnittpunkt von drei
Offenbarungswahrheiten auf.
1.
Die meisten Menschen sterben mehr oder weniger als Sünder,
denn «selbst der Gerechte fällt des Tages siebenmal».
2.
[Die Sünde findet keinen Platz im göttlichen Leben,
das wir von innen her zu teilen berufen sind, gleichsam
wie zusätzliche Personen in der Dreifaltigkeit.] Es
braucht doch wohl ein Sieb zwischen dem Heiligen Gott
und dem sündigen Menschen, zwischen der verunreinigten
Dauer und der ewigen Seligkeit. Es wäre ein Irrtum mit
dem Platonismus zu meinen, daß nur der Leib unrein ist
und daß die Seele, wenn sie vom Leib befreit ist, rein
wird.
3.
Trotz allem wird in der Liturgie seit dem Alten
Testament (2 Makk 12,41 f) gebetet und Fürsprache für
die Verstorbenen eingelegt, selbst wenn die
postkonziliare Liturgie das, was das Fegfeuer angeht,
auf eine implizite Erwähnung einschränkt.
Diese
gegebenen Tatsachen, die sogar in die Praxis der Kirche
eingetragen sind und die von impliziten, aber
konvergierenden Aussagen der Schrift gestützt werden,
bleiben unumgänglich, auch wenn ihr Schnittpunkt
(einem) entgeht. Sie lassen sich in die Logik der Liebe
einordnen. Die Liebe aber ist Feuer, so wie auch das
Leben Feuer ist: ein langsamer Verbrennungsvorgang, der
aus unserem Leib einen Heizkörper mit einer
Idealtemperatur von 37 Grad macht. Die Seele mochte als
unser «Fünklein von göttlichem Feuer» lebhaft
dargestellt werden und als unsere dauernde Beziehung zum
transzendenten Feuerherd des Schöpfers, der nur Liebe
ist (1 Job 4,8.16).
Die
Liebe wärmt die Herzen. Ihre Milde schenkt Ruhe und
ihre Glut treibt an.
Doch
sie verwundet und brennt, wenn das Feuer der Vereinigung
sich in verzehrendes Feuer des Hasses verwandelt. Das
ist schon wahr bei der menschlichen Liebe, wenn es sich
um eine tiefe, zurückgewiesene Liebe handelt. Es ist
radikal, wenn es um die Zurückweisung der absoluten
Liebe geht: der einzigen Quelle allen Seins und
jeglichen Glücks. Wer die höchste Liebe zurückweist,
entzündet einen verheerenden und unauslöschlichen
Brand in seinem eigenen Herzen. Denn Gott als die Liebe
hat uns aus Liebe für seine transzendente Liebe
geschaffen, wovon alles andere nur Teilhabe ist. Dieses
Feuer von unsrer Erfüllung abwenden, heißt in uns das
Feuer der Hölle anfachen und das ist leider eine
Erfahrungstatsache, deren Wahrheit schon hienieden ihre
Gültigkeit bekommt.
Da
aber, wo die Liebe nicht zurückgewiesen, sondern nur
behindert, verwässert oder durch den Egoismus, der den
andern ausnützt, anstatt ihm zu dienen, verpestet wird,
da sehnt sie sich normalerweise nach dem Läuterungsfeuer
und bejaht es mit ganzer Seele. Das ist der Werdegang
vieler Bekehrungen.
Es
ist dieses Geheimnis der Liebe, wovon der anonyme Seher
erfaßt worden ist. Wer ist es? Ich weiß es nicht und
ich bedaure es. Ich halte nicht viel von schützender
Anonymität, die dem Schreiber des Vorwortes nicht
erlauben, seine kritischen Fragen oder Vermutungen
abzuklären, doch Leute von großer Autorität und maßvoller
Unterscheidungsgabe, majestätisch in ihr Geheimnis gehüllt,
haben über ihn ein positives Urteil gefällt. Deshalb
wage ich eine Ausnahme von meiner Richtlinie, wenn auch
nicht ohne ein Zögern, niemals von anonymen Leuten zu
sprechen. Denn dieser Seher hat Erleuchtungen, die
verdienen, daß man sie der Unterscheidungsfähigkeit
eines jeden unterbreite.
Dieser
Seher ist nicht der einzige, der diese Herausforderung
wagen darf. Jene von Medjugorje und anderswo haben auf
eine naivere Weise «Reisen» ins Fegfeuer gemacht (sei
es nun im Geist oder sogar in ihrem Leib, meinen zwei
von ihnen) und sie zögern nicht, treuherzig darüber zu
sprechen, sogar vor erstaunten und ironischen
Journalisten. Ihre Beschreibung ist konkreter, aber übereinstimmend.
Sie haben kein Feuer gesehen, einen rauchigen Nebel, der
von Schreien widerhallte, worin die Hoffnung über das
Leiden vorherrscht und ein unwiderstehliches
Emporstreben zum Himmel.
Was
man Reinigungsort (Purgatorium) nennt mit einem
befremdlichen Wort, wie die Theologen es zu schmieden
verstehen, ist die Läuterung einer Seele, die von ihrem
Leib getrennt ist, und somit an sich unsichtbar. Ein
materielles Feuer hat dort also keinen Platz. Aber wenn
Gott offenbart, dann spricht er konkret vom
Unsichtbaren. Die Sprache des Alten Testamentes ist
keine Abstraktion, sondern sinnbildlich. Sie ist
bilderreich, was aber nicht heißen soll unwirklich. Die
Sinnbilder sind manchmal näher bei der Wirklichkeit als
bei der verarmenden Abstraktion. Diese Sprache ist nicht
irrational, wie allzu leicht die Scholastiker meinten,
sondern die Vernunft übersteigend, wie es unsere
Bilderzivilisation irgendwie ahnt. Die Bibel spricht oft
von Reinigung in feurigen Ausdrücken: Gott wird sich im
Feuer offenbaren und dieses Feuer wird die
Beschaffenheit des Werkes eines jeden offenbaren... wenn
sein Werk verzehrt wird, wird er dessen Verlust
erleiden, doch was ihn selbst betrifft, so wird er wie
durch das Feuer hindurch gerettet werden (1 Kor 3,
13-15): einer der Texte, worauf sich die Theologie des
Fegfeuers stützt.
In
der Bibel offenbart sich Gott wie ein Feuer unter
verschiedenen Gestalten: das Feuer, das herabkommt, um
das Opfer Abrahams zu verzehren und vollenden (Gen
15,17), das Feuer des brennenden Dornbusches, das
brannte, ohne ihn zu zerstören (Ex 3,2-4), das Feuer
auf dem Sinai.
Näher
bei uns fand Pascal, der große Mathematiker und Denker
des siebzehnten Jahrhunderts, ein so grimmiger Kritiker
den Jesuiten und ihrer Kasuistik gegenüber, in diesem
Sinnbild das einzige Mittel, um die unaussprechliche
Erfahrung Gottes zum Ausdruck zu bringen, die
schlagartig sein Leben verwandelt hat. Dieser Mann, der
sonst so meisterhaft seine Sprache gebrauchte, weiß
keine Sätze mehr zu bilden. Es bleibt ihm nur noch das
Wort «Feuer», «Freude», «Freudentränen».
Jesus
hat gesagt: «Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu
werfen, und was will ich anderes, als daß es schon
angezündet wäre» (Lk 12,49).
Der
Kontext weist auf ein reinigendes Feuer hin, aber auch
auf das Feuer des Leidens, wo seine Liebe unter Beweis
gestellt werden wird.
Ist
es etwa deshalb daß Jesus auf das Bild vom Feuer
sogleich das Bild vom Wasser folgen läßt: «Mit einer
Taufe (mit jener der Leiden seiner Passion) muß ich
getauft werden und wie bedrängt es mich, bis sie
vollbracht ist» (Lk 12,50).
Die
Sprache der Bibel ist nicht die der Abstraktion, sondern
die der Sinnbilder, die keineswegs eine infra-rationale
(unter dem begrifflichen Denken liegende) Ausdrucksweise
ist, sondern eine supra-rationale (darüber liegende),
die näher bei Gott angesiedelt ist als unsere
Sprechweise von Zauberlehrlingen.
«Selig,
die nicht gesehen haben»
Was
taugen die Visionen und Überlegungen der Seher über
diese umstrittene Frage, über das Fegfeuer?
Die
Kirche hält sich ihnen gegenüber sehr zurück. In
diesem Punkt bleibt sie Christus treu, der zum Apostel
Thomas sagte: «Selig sind die nicht Sehenden, die aber
doch glauben»: also nicht die Seher, sondern die
Glaubenden! Sie betont deren bedingte Geltung im
Vergleich zum Wort Gottes in der Heiligen Schrift. Sie
warnt vor blinder Begeisterung, die aus diesen
zweitrangigen Zeichen den heißen Draht zu Gott hin
machen würde als das Letztgültige. Wo die Kirche
Privatoffenbarungen gutheißt, läßt sie die Gläubigen
frei, daran zu glauben oder nicht daran zu glauben, denn
in diesem Punkt lehrt sie nicht mehr das Dogma, sondern
legt eine Unterscheidung vor, die auf Vermutungen
beruht... Sie hat übrigens gar kein vom Lehramt her
verbindliches Urteil über dieses Buch ausgesprochen.
Es
richtet sich also in brüderlicher Liebe an die
christliche Freiheit. Euch steht es zu, darüber zu
urteilen, ob der Seher in euch ein inneres Mitschwingen
weckt, das von Gott kommt oder Gottes würdig ist. Die
Theologen, die dieses Buch geprüft haben, haben daran
nichts auszusetzen gefunden. Ein Bischof hat sogar die
französische Ausgabe mit einem Vorwort versehen, da er
aber den kritischen Eifer der deutschen Theologen kennt,
hat er sich nicht durch Herausforderung gegen die großen
Denker dieses Landes verfehlen wollen; ich hingegen habe
nichts mehr zu verlieren.
Zum
Hören bereit
Sodann
habe ich mich wie ein Bruder in Hörbereitschaft
versetzt gegenüber den unermüdlichen Niederschriften
dieses Sehers. Sie haben mich überrascht. Ich habe
keinen Anstoß daran genommen. Vielmehr hat es mir
geschienen, daß er dem Fegfeuer seine innere
Wahrscheinlichkeit wiedergegeben hat, weil er darüber
nur vom wesentlichen Standpunkt der Liebe her spricht,
denn Gott ist die Liebe.
Als
Theologe umschreibe ich auf eine abstrakte Weise das,
was man nicht auszudrücken vermag. Mit seinem Charisma
des Sehers und Propheten, hat er die Gabe bekommen,
lebhaft und auf eine ansprechende, überzeugende Weise
diesen unbeschreiblichen Ort der Läuterung auf eine
literarisch gefällige Art darzustellen.
Sein
Hauptverdienst liegt im ansprechenden Darstellen der
jenseitigen Reinigungen in geradliniger Fortsetzung der
christlichen Ausdrucksweise. Er läßt uns ahnen, wie
sehr unsere guten Absichten, die mit vielem anderem
durchmischt sind, und unsere unvollkommenen Werke einer
Läuterung bedürfen vor dem Angesicht des dreimal
Heiligen Gottes, der uns gegen alle Erwartung sagt: «Seid
heilig wie ich Heilig bin» (Lev 19,2). «Seid
vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist» (Mt
5,48).
Der
Seher hat auch das Verdienst, die christliche Bilderwelt
zu wecken, die doch so lebendig war bis zur Renaissance,
wo sie zum Heidnischen hin verdorben wurde, und bis zur
verdächtigenden und verneinenden Kritik der modernen
Leute, wodurch sie zwar desintegriert, aber nie
widerlegt wurde. In meiner Kindheit wurde noch der
Himmel, das Fegfeuer und die Hölle auf der Linie Dantes
mit anschaulichen Bildern illustriert. Heute sind diese
Bilder aus unsern Katechismen und Kirchen verschwunden.
Sie seien überholt durch den Wandel der Zeit. Doch
dieses Buch erweckt sie von innen her, ganz anders.
Der
Seher beschreibt anschaulich den Weg zu Gott hin, den
der Sünder, was wir ja alle sind, zurücklegen muß; er
tut es mit oft neuen Bildern, die uns betreffen und uns
eines Tages, mehr als wir es jetzt vermuten, betreffen
werden; denn wir haben allzu sehr vergessen, daß wir Sünder
sind, und daß die Sünde das schlimmste aller Übel
ist; dann wird es nicht mehr die hübschen
Phantasiebilder von der Welt geben, aus der Perspektive
unsrer kleinen und großen Bildschirme, wie wir sie beim
Fernsehen und Lichtspieltheater vorgesetzt bekamen, denn
nur allzu leicht halten wir diese seelischen Exkremente
für edele Früchte unsrer Freiheit.
Allzu
sehr haben wir vergessen, wie heilig Gott als der
dreimal Heilige ist: seine Heiligkeit ist seine Liebe,
sein Wesen und seine Transzendenz. Allzu sehr haben wir
vergessen, wie sehr Gott erstrebenswert und nahe ist.
Denn ER, den wir seltsamerweise den «ganz Andern»
nennen, ist derjenige, der uns erschaffen hat nach
seinem Bild und Gleichnis, IHM ganz ähnlich, und der
uns zu sich ruft, denn er ist die einzige Liebe, die
imstande ist, die Ewigkeit auszufüllen und im höchsten
Maße zu erfüllen, für die wir ja gemacht sind. Über
das alltägliche Leben, über unsere irdischen
Hoffnungen hinaus entzündet er in uns eine unstillbare,
«unermeßliche» Hoffnung, ja die einzige, die zählt,
denn wir sind keine Tiere, die etwa zum Verschwinden
bestimmt wären. Und wenn das Wort «Fegfeuer» und die
Bilder, die man damit verknüpft, heute lächerlich sein
mögen, so bleibt doch, ich weiß nicht, was, das man
nicht ausschütten darf, und wovon wir eines Tages zu
unsern Lasten die bittere Erfahrung machen werden, weil
wir nicht von hienieden an die überragende Wichtigkeit
des Gebotes, den zu lieben, begriffen haben, der nur
Liebe ist (1 Joh 4,8), und von dem wir gemäß der
Echtheit unseres eigentlichen Wesens hervorgehen.
Eine
vorsichtige Ausdrucksweise
Der
Interpret (Vermittler und Deuter) dieser
Privatoffenbarungen spricht mit vorsichtiger Klugheit.
Oft trägt er Bedenken damit, ob seine Deutungen wohl
begründet seien. Er weiß um die Relativität der
Bilder für das Unsichtbare, die wahr sind aber nicht
materiell streng wissenschaftlich.
Wenn
sein Engel zu ihm sagt:
«Mein
Kind, das sind Bilder, die dazu bestimmt sind, dich eine
Anzahl von geistlichen Dingen verstehen zu lassen, die
zu durchdringen, du nie imstande wärest ohne diese
Hilfe»,
so
verursacht dies eine lebhafte Überraschung bei ihm und
seine Seele wird leicht verängstigt.
«Wenn
das alles Einbildung ist, sagte ich mir, dann hat es mit
der Illusion zu tun.»
Und
der Engel erwidert ihm:
«Nein,
mein Kind, da ist keine Illusion. Seit wann sind
imaginative Visionen Trugbilder? Sie sind ganz einfach
eine Erkenntnisweise, die der Herr den Seelen verleiht».
Es
ist also sehr wohl eine supra-rationale Bilderwelt, die
er uns vorlegt, um unsere blinden Augen (des Herzens) für
das Licht zu öffnen, vor dem wir fliehen, wie die
Nachtvögel vor dem Sonnenlicht bei seinem Aufgang
entweichen.
Rene
Laurentin
Einführung
In
Anbetracht der Tiefe des veröffentlichten Textes, war
es unerläßlich, Anmerkungen hinzuzufügen, um manche
schwierigen Stellen zu beleuchten. Diese Anmerkungen schöpfen
ihre Eingebung besonders aus der Lehre des heiligen
Thomas von Aquin, bei dem die Kirche «den besonders
hohen, vollständigen und treuen Ausdruck des Lehramtes,
wie auch des Glaubensbewußtseins (sensus fidei) des
ganzen Gottes Volkes» wiederzuerkennen meint.1
Der
Leser wird sich wahrscheinlich beeindrucken lassen durch
die Dichte, die Klarheit und die Nüchternheit dieses
Berichtes über das Fegfeuer, dessen Hauptkennzeichen es
ist, den lichtvollen Aspekt dieses Geheimnisses
hervorzuheben. Und das ist besonders beglückend, denn
«wir dürfen aus dem Fegfeuer mehr Trost schöpfen als
Befürchtungen» (Kardinal Journet). Das Fegfeuer ist
ein Geschenk des verwundeten Herzens des Lammes, wo die
Barmherzigkeit die Gerechtigkeit umhüllt; sein
staunendes Betrachten soll zur Quelle des Dankes und der
Lobpreisung werden: wir sollen nicht dorthin kommen
wollen, nicht etwa aus knechtischer Furcht, sondern «um
dem lieben Gott Freude zu bereiten» (heilige Theresia
vom Kinde Jesu).
Einige
Anmerkungen über die Art, wie dieser Bericht vorgelegt
wird: er wurde in chronologischer Reihenfolge auf Blätter
niedergeschrieben. Damit dem Publikum Belehrungen
erteilt werden können, aus denen alle Nutzen ziehen mögen,
wurde mit Zustimmung erfahrener Theologen alles getilgt,
was den Blick vom wesentlichen hätte ablenken können;
es wurden also die Stellen beseitigt, die das persönliche
Leben des Verfassers betrafen und einige stilistische
Unrichtigkeiten und Unbeholfenheiten berichtigt. Um das
Verständnis des Textes zu erleichtern, wurde er in drei
Teile aufgeteilt: Im ersten Teil wurde alles
zusammengestellt, was sich auf den Zweck der
Privatoffenbarungen bezieht und auf die Art daraus
Nutzen zu ziehen. Im zweiten Teil wurden in
systematischer Anordnung die Belehrungen mit vorwiegend
belehrendem Inhalt gesammelt, die gewissermaßen einen
Traktat über das Fegfeuer bilden. Der dritte und letzte
Teil ist einigen Erscheinungen der Seelen im Fegfeuer
gewidmet. Die dabei befolgte Reihenfolge berücksichtigt
nicht streng den chronologischen Ablauf des Berichtes
und zwar in dem Maße, in welchem sich manchmal deutlich
ein Interesse abhob, gewisse Mitteilungen um ein
gemeinsames Thema herum neu zu gruppieren.
Anmerkung
zu den Privatoffenbarungen
«Die
katholische Kirche hält sie für möglich, für tatsächlich
in gewissen Fällen, da sie mehrere davon gutheißt,
doch für relativ selten und für notwendigerweise der
öffentlichen Offenbarung zu unterstellen» (D.A.F.C.
siehe Artikel über die Offenbarung, Band 4, 1928,
Spalte 1008). Diese Privatoffenbarungen fügen der
Glaubenshinterlage, die mit dem Tod des letzten Apostels
abgeschlossen ist, nichts hinzu. In der Tat, «da er uns
seinen Sohn gegeben hat, der sein WORT ist, hat er uns
kein anderes Wort mehr zu geben. Er hat uns alles
zugleich und auf einmal in diesem einzigen WORT gegeben».2
Die Sonderoffenbarungen lassen sich in
Privatoffenbarungen, die für einen einzelnen Gläubigen
bestimmt sind, und in öffentliche Offenbarungen, die
das Leben der Kirche betreffen unterscheiden.3
Öffentliche Offenbarungen sind nützlich für das
Verhalten der Gläubigen, damit sie über das, was sie
zu tun haben, unterrichtet sind, «je nach dem, wie es
empfehlenswert ist für das Heil der Erwählten».4
Die Kirche heißt sie erst nach sorgfältiger Prüfung
gut; sie vergewissert sich vor allem über die
Objektivität der Tatsachen und die Übereinstimmung der
Botschaften mit der allgemeinen Offenbarung; selbst wenn
sie approbiert wurden, werden sie nicht zum Gegenstand
des Glaubens; nichts desto weniger «verpflichten diese
Offenbarungen, insofern sie göttlich sind, diejenigen,
denen sie zuteil werden und jene, für welche die
historische und theologische Wahrheit feststeht» (D.A.F.C.
im erwähnten Artikel). Hinsichtlich der
Privatoffenbarungen «ist Vorsicht geboten, nicht aber
systematische Geringschätzung, noch höhnische Skepsis».5
Verzeichnis
der Abkürzungen
D.T.C. Dictionnaire de Theologie Catholique
D.A.F.C. Dictionnaire Apologetique de la Foi Catholique
Ouvr. Cit.
Zitiertes Werk
Col. Spalte
S.T. Summa
Theologiae des heiligen Thomas von Aquin
Ia = Prima
Pars (Erster Teil der Summa)
Q = Quaestio
(Untersuchung)
IIa = Secunda
Pars (Zweiter Teil)
a = Artikel
IIa Ilae = Secunda Secundae
Obj = Objectio (Einwand)
IIIa = Tertia
Pars (Dritter Teil)
ad 1 = Antwort
auf den ersten Einwand
Suppl. =
Anhang, Ergänzung
Erster
Teil
Ein
Kinderherz haben
«O
Liebe, was kann man von dir sagen?
Wer
dich verspürt, begreift dich nicht,
Wer
dich verstehen will, kann dich nicht erkennen...
O
Liebesfeuer, was tust du in diesem Menschen? Du läuterst
ihn, wie das Feuer Gold läutert, Und sodann führst du
ihn mit dir in die Heimat, zu dem Ziele hin, wofür du
ihn erschufst.»
Heilige
Catharina von Genua
Traktat
über das Fegfeuer, Dritter Dialog
Ich war im Gefängnis
und ihr habt mich besucht
Jesu
Stimme läßt sich sehr deutlich und innig in meiner
Seele vernehmen:
Ich
will, daß man für diese heiligen Seelen des Fegfeuers
bete, weil mein göttliches Herz vor Liebe zu ihnen
brennt. Ich wünsche eindringlich ihre Befreiung, um sie
endlich vollständig mit mir zu vereinen!
Bete
für sie, laß für sie beten und schreibe alles auf,
was dir offenbart wird. Vergiß nicht mein Wort: «Ich
war im Gefängnis und ihr habt mich besucht» Wende es
auf diese heiligen Seelen an: Denn mich besuchst du in
ihnen durch dein Gebet und deine Werke zu ihren Gunsten,
nach ihren Meinungen; blicke auf ihre Vollkommenheit,
sie soll dir als Lehre dienen: obwohl sie die
schrecklichsten Qualen erleiden, haben sie trotzdem
nicht einen Blick auf sich selber gerichtet, noch auf
ihre Qualen, vielmehr sind sie ganz meiner Liebe und dem
reinen Wollen meines Vaters ausgeliefert.
Das
ist ihre einzige Besorgnis: unsere Verherrlichung.
Lernet von diesen heiligen Seelen die Reinheit der
Liebe, die euch einzig zu meinem Herzen hinwendet.
Verharre im Frieden, mein Kind, tu, was ich von dir
erbitte!
Welch
herrliche Belehrung, welcher Trost und welcher Friede!
Mein Gott, verleihe mir die Gnade eines gründlichen,
vertrauensvollen, vollkommenen Gehorsams, der mich deine
Wünsche nicht nur erfüllen läßt, sondern ihnen
zuvorkommt! Herr, erleuchte mich, gib mir die Kraft, dir
treu zu bleiben.
Der
Schutzengel
meldet sich an
Im
Verlauf der Morgenbetrachtung, als ich für die Seelen
im Fegfeuer betete, tat sich mein Schutzengel meiner
Seele kund und ließ sie ganz innerlich den gewohnten
Gruß vernehmen: Gelobt sei Jesus Christus! Ich
verneigte mich, um ihm zu antworten; der Engel gab mir
ein, das Haupt zu erheben, um das Kreuzzeichen
entgegenzunehmen, das er auf meine Stirne zeichnete. Ich
durfte ihn beschauen als den Boten der göttlichen
Liebe, wie er an seinem Haupt von Licht umstrahlt wurde,
und meine Seele befand sich in tiefem Frieden und großer
Seligkeit: Sein Antlitz war glanzvoll, mild und ernst
blickte er mich an. Als ich ihn mit violetter Farbe über
seine weiße Tunika gegürtet sah, begriff ich, was der
Herr von mir erbat: Gebet und Buße.
Er
ließ mich verstehen, wie sehr der Herr uns liebt und
wie sehr er jeder Seele die Wunder seiner Liebe
aufdecken möchte. Jesus wollte mich von nun an auf eine
noch eingehendere Weise einladen im Lichte seines
Herzens das Geheimnis des Reinigungsortes zu entdecken
und staunend zu beschauen. Ich wurde dabei von einer
leisen Angst erfaßt, doch der Engel beruhigte mich mit
wenigen Worten:
Hab
gar keine Angst und mach dir keine Sorge. Das Fegfeuer
ist ein Geheimnis der Liebe und des Erbarmens, und deine
Seele wird zu einer größeren Liebe zum Herrn berufen,
indem sie dies entdeckt. Die Kenntnis des Fegfeuers wird
dir große Gnaden der Heiligung einbringen; sie wird dir
erlauben, deine Nächstenliebe zu erweitern und tiefer
in den reinen Willen Gottes vorzudringen. Und ich stehe
dir zur Seite, um dich zu stützen: somit sollst du
nichts befürchten.
Denn
wird der Engel uns nicht beigesellt, um unsere Seelen zu
unterstützen, zu behüten und erleuchten? Ich sollte
also nichts befürchten, mich bereiten, um mich dem
reinen Wollen Gottes auszuliefern: das Übrige ist so
unwichtig! Das also habe ich dem Schutzengel
geantwortet, indem ich ihn bat, mir zu helfen, mich zu
lehren, das, was der Herr wünscht, daß ich es tue,
immer besser und mehr zu erfüllen: Jesus sollte nach
seinem Belieben über meine Armseligkeit verfügen, denn
er ist so gütig, daß er seine Absichten über uns nur
allmählich enthüllt, da er sehr wohl weiß, daß
unsere Schwachheit keine unmittelbare und umfassende
Gegenüberstellung mit den Forderungen seiner göttlichen
Liebe ertragen könnte... Nur mit Hilfe der Gnade und in
einer fortschreitenden Kenntnisnahme vermag sie es
aufzunehmen, denn unsere Natur muß unablässig geläutert
werden. Und der Engel fuhr fort:
Das
Fegfeuer ist ein großes Geheimnis. Bald wirst du vieles
lernen und entdecken: Gewisse Dinge werden sehr schön
und tröstlich sein, andere werden dir schrecklich
erscheinen. Vergiß jedoch nie, daß es — wie hart und
schmerzhaft dir das Fegfeuer erscheinen mag — ein
Geheimnis des Erbarmens wie auch der Gerechtigkeit ist,
ja es ist vor allem ein unverdientes Geschenk der Liebe.
Was auch kommen mag, verharre im Frieden. Du wirst viel
zu leiden haben, um viel lieben zu lernen. Du weißt, daß
dich Jesus zu immer mehr emporheben will von Erkenntnis
zu Erkenntnis, von Liebe zu Liebe, bis hin zu seinem
eucharistischen Herzen, Quell aller Liebe.6
Dann
entschwand der Engel meinem innern Schauen. Ich
verharrte in einem tiefen Frieden trotz diesen sehr
ernsten Worten. Aber die Aussicht, schreiben zu müssen,
verdüsterte mich: auch das noch eine Auswirkung jenes
furchtbaren Eigenwillens, der uns hindert, uns andauernd
auf unserem Weg zum einzigen Gut hin hemmt!
Der Schutzengel
Ich
empfange im Verlauf der Betrachtung rein innere und
geistige Erleuchtungen, aber mein Schutzengel7
greift manchmal unmittelbar ein, um mir einige nähere
Angaben zu machen und vor allem um mir bei der
Formulierung der geheimnisvollen Wirklichkeiten
behilflich zu sein, die mein Verstand erfaßt. Ich nehme
die sehr lichtvolle Anwesenheit des Schutzengels auf
eine sehr deutliche Weise mit den Augen der Seele wahr;
es ist ein Bild, das ist sicher, denn er besitzt keinen
Leib, und er ist für die äußere Sehkraft nicht
wahrnehmbar: aber dieses Bild ist so fest umrissen, so
offensichtlich, daß ich nicht an der Anwesenheit dessen
zweifeln kann, der sich dessen bedient, um sich mir
mitzuteilen. Die Anwesenheit ist wichtiger als das Bild,
nämlich der Austausch zwischen der Seele und dem Göttlichen.
Gott ist der Herr über seine Gaben, er bedient sich
ihrer zu seiner Verherrlichung und unserer Heiligung, um
in uns den Glauben, die Hoffnung und die Liebe
anzuregen.
Wenn
der Engel in Erscheinung tritt, so geschieht das fast
immer auf eine unerwartete Weise. Eine große Gefahr würde
es bedeuten, wenn einer die Einbildungskraft auf ein glühendes
Verlangen, zu sehen und zu hören, festlegen würde.
Gott sei Dank, haben mir der Gehorsam meinem geistlichen
Vater gegenüber und auch die Furcht, die das
Einschreiten des Engels anfänglich verursachte,
erlaubt, diese Klippe zu vermeiden. Die Vision des
Engels, die sich der Einbildungskraft — als Seelenvermögen
— einprägte, deckt sich in etwa mit der
intellektuellen Schau und bereichert das Erinnerungsvermögen.
Ich habe nie eine imaginative Vision gehabt, der nicht
eine intellektuelle Schau derselben Wirklichkeit
vorausgegangen wäre, denn die Rolle der imaginativen
Vision ist zweitrangig, sie übermittelt nur den
niederen Seelenkräften (Einbildungskraft, Erinnerungsfähigkeit,
Urteilskraft), was diese sonst von der übernatürlichen
Wirklichkeit wahrzunehmen unfähig sind.
Die
Unterweisungen des Engels sind vor allem ein Aufruf zum
Beten und zu einer beständigen Innern Läuterung. Sie
erfüllen die Seele mit Ruhe, mit Frieden, mit Sanftmut,
wobei sie diese mit Liebe entflammen und beschämen vor
Gottes Angesicht aufgrund einer unablässig wachsenden
Demut. Wollte Gott, daß diese Demut und diese Liebe,
die so wirksam werden im Verlauf der Vision, sich auch
nachher im Alltag fortsetzen! Das ist ja ihr Zweck...
Unterweisung
durch den Schutzengel
Als
ich über die zuletzt empfangenen Gnaden nachdachte, tat
sich mein heiliger Engel in einem lebhaften Licht meinem
Innern Auge kund. Das erschreckte mich zuerst wie immer.
Er zeichnete ruhig ein Kreuz auf meine Stirne, dann
sagte er ernst:
Mein
Kind, höre mir zu, behalte gut alles, was ich dir sage.
Der Allerhöchste wird gestatten, daß gewisse Seelen,
die noch im Fegfeuer sind, sich dir auf geheimnisvolle
Weise kundtun. Du sollst dich davor nicht fürchten,
sondern dich tief vor Gottes Majestät verdemütigen und
dich in den Dienst des Herrn stellen. Diese heiligen
Seelen können nur mit göttlicher Erlaubnis kommen und
sie werden dir nie etwas Böses tun, ganz im Gegenteil!
Diese
Worte setzten mich noch mehr in Schrecken. Ich fragte
den Engel, wie ich denn diese Tatsachen von eventuellen
Täuschungen von meiner Seite unterscheiden könnte —
denn die Einbildung arbeitet manchmal mehr als gut ist!
— oder gar von Wunderzeichen oder Kundgebungen aus dem
Bereich des Teuflischen, denn der Dämon bemüht sich ja
immer darum, die Seelen in die Ungewißheit, in
Verwirrung oder Irrtum zu stürzen. Ich fragte ihn auch,
ob diese Kundgebungen wirklich unerläßlich wären. Mit
Güte antwortete er:
Wenn
der Allerhöchste so gegen dich handelt, so ist das für
dein Wohl und das der Kirche; er bedient sich deiner wie
eines Kanals: an dir ist es, das Wasser an deine Brüder
weiterzuleiten zu wissen, ohne es eifersüchtig für
dich zurückzubehalten! Deine Seele muß in einer
dreifachen Verfassung sein: in vollständiger
Unterwerfung unter Gottes reinen Willen, in tiefer Demut
vor diesen heiligen Seelen, in restlosem und
vertrauensvollem Gehorsam gegen deinen Vater. Gott ist
die Liebe; wenn er diese Gnaden zuläßt, so dient es
deiner Heiligung, um deine Seele seiner unendlichen
Liebe zu öffnen, um sie in der Liebe zu all deinen Brüdern
auszuweiten, um dich im Kreuze Jesu Christi zu läutern.
Denn diese Gnade werden dir Anlaß zu Leiden sein, wie
auch zu tiefen geistlichen Freuden. Opfere alles für
diese heiligen Seelen auf, um die Barmherzigkeit Gottes
zu verherrlichen.
Still
willigte ich ein, ich betete. Sogleich fuhr der Engel
fort:
Wenn
die eine oder die andere dieser heiligen Seelen kommen
wird, so wirst du sie im Namen Jesu Christi begrüßen;
immer wird sie dir antworten, entweder mit einem Zeichen
oder mit einem Wort. Gewisse Seelen können nicht mit
dir sprechen, denn sie befinden sich im Großen
Fegfeuer; sie sehen dich nicht einmal, sie werden dir
zum Einblick deiner Seele von Gott gezeigt, damit du für
sie betest. Es wird jedoch vorkommen, daß sie auf dein
«Laudemus Dominum» antworten können, oder daß sie
sich bekreuzigen, wenn sie zu dir kommen. Bitte immer um
ein Zeichen: das ist keine Frechheit, sondern Klugheit.
Stelle einer Seele nie eine Frage: Gott allein befindet
als Herr darüber, was sie dir sagen werden, wenn sie
dich belehren sollen. Siehst du, bei diesen Gnaden des
Fegfeuers wird nur eins von dir gefordert: zu lieben und
deshalb zu beten, das ist ganz einerlei.
Wenn
der Höchste für dein inneres Auge das Fegfeuer öffnet,
dann geschieht das, um in dir die Liebe anzustacheln.
Wenn er will, daß du schreibst, dann um die Liebe in
den Seelen zu wecken.
Alles,
alles, alles muß sich auf das eine zurückführen
lassen: die Liebe.
Meine
Seele befand sich in tiefem Frieden. Ich dankte dem
Engel, der mich mit einer Geste ermutigte und schloß:
Wenn
ihr wüßtet, wer die Liebe ist! Die Liebe ist Gottes
Gabe, weil sie Gott ist, der sich euch schenkt. Lies
doch die folgenden Schriftstellen wieder:
«Gott
ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt
in Gott, und Gott bleibt in ihm.»
Wiederhole
unablässig diesen Vers: Er wird dir Kraft, Freude und
Frieden geben. Wenn ihr wüßtet, daß ihr Kinder Gottes
seid, wenn ihr überzeugt wäret, daß ihr wahrhaftig
die Kinder der unendlichen Liebe seid!
Laßt
Gott in euch kommen, laßt die Liebe sich bei euch
niederlassen, sich durch euch mitteilen, dahinströmen
wie ein feuriger Fluß, der das ganze Weltall in Brand
stecken wird! Seid Bringer dieses Feuers der Liebe,
dieses Lichtes! Gott ist die Liebe... Gott ist die
Liebe... Gott ist die Liebe...
Indem
er diese Worte aussprach, wurde der Engel glanzvoll, wie
in einer Ekstase emporgehoben, aufflammend, in das
Antlitz dieser unendlichen Liebe selbst voll Staunen
schauend. Ich erblickte durch ihn die Offenbarungen der
göttlichen Liebe und kniete vor diesem Beten des Engels
nieder, ohne mir überhaupt davon Rechenschaft zu geben.
Man kann sich gar nicht vorstellen, was das ist, meine
Seele geriet außer sich vor dem Anblick dieses
Zwiegespräches der Liebe, zwischen der Liebe und ihrem
Boten, sie fühlte sich diesem Austausch der Liebe
beigesellt und es war süß, lieblich unaussprechlich:
indem der Engel die göttliche Liebe besang, redete der
Engel zu mir, um mir diese Liebe mitzuteilen, und er
brachte mich zu dieser Liebe hin, ich weiß nicht, wie
ich es sagen soll. Auf jeden Fall verlor ich den
Gebrauch aller Sinne, der innern wie der äußern, und
meine Seele wurde in die Liebe hineinversenkt.
Bilder, damit
du begreifst
Am
Ende des Nachmittags stellte ich mir eine etwas seltsame
Frage: Wie geschah es denn, daß ich so viele Dinge, die
sich auf das große Geheimnis des Fegfeuers bezogen,
wahrnehmen konnte und warum unter diesen so merkwürdigen
Gestalten? Mein Schutzengel tat sich von diesem
Augenblick an dem Auge meiner Seele strahlend und lächelnd
kund; mehr denn je flammte das schöne purpurfarbene
Kreuz auf dem Brustteil seines Kleides auf und zierte es
prächtig. Er legte seine Hand auf meinen Arm und sagte
mild:
Mein
Kind, das sind Bilder, die dazu bestimmt sind, dich eine
Anzahl von geistigen Dingen verstehen zu lassen, die zu
durchdringen, du nie imstande wärest ohne diese Hilfe.
Der Höchste will sich allen Reichtums deiner Einbildung
bedienen, um dich zu erleuchten und dich immer weiter in
diese Geheimnisse vordringen zu lassen.
Diese
Erklärungen verursachten eine lebhafte Überraschung
bei mir und meine Seele wurde, ich weiß nicht warum,
leicht verängstigt. «Wenn das alles Einbildung ist,
dann hat es mit Illusion zu tun», sagte ich mir. Und
die Angst packte mich. Da sagte der Engel gütig zu mir:
Nein,
mein Kind, da ist keine Illusion. Seit wann sind
imaginative Visionen Trugbilder? Sie sind ganz einfach
eine Erkenntnisweise, die der Herr den Seelen verleiht;
und es ist vor allem wichtig, sie nicht umzugestalten,
auszuschmücken oder durch menschlichen Fleiß in eine
eigene Ordnung zu bringen. Darum fordere ich immer,
alles, was du gesehen oder gehört hast, aufzuschreiben,
und das sofort zu tun, nachdem du die Gnaden empfangen
hast: man darf keine Zeit verstreichen lassen, aus
Furcht davor, daß menschlicher Fleiß sich in die Gabe
Gottes einmischt. Harre aus im Frieden Jesu Christi.
Darauf
lächelte er noch einmal und entschwand schlagartig.
Meine Seele war beruhigt und hatte den Frieden wieder
gefunden.
Die
Einbildungskraft im Dienste des Verstandes
Als
ich im Garten arbeitete, zeigte sich mein Schutzengel
meinem innern Auge in einem blendendhellen Licht, so
grell, daß es alles fortriß, mich völlig mit Kraft in
sich hineinzog und alles vor meinem Blick hinwegnahm,
was sich nicht in ihm befand. Da sagte der Engel:
Gelobt
sei Jesus Christus!
Doch
der Überraschungseffekt war so gewaltig, daß ich mit
offenem Mund dastand und mich zugleich zu überzeugen
suchte, ich sei die Beute eines Trugbildes geworden.
Dann kam der Engel, ohne etwas zu sagen, auf mich zu und
zeichnete mit seinem Daumen ein Kreuzzeichen auf meine
Stirne. Das tut er zwar immer, aber diesmal war es
wirklich eigenartig: er drückte so schwer drauf, daß
ich aufsprang. Und er fuhr sodann mit einer ruhigen
Stimme fort:
Seit
wann sind die imaginativen Visionen Trugbilder?
Meine
Verwirrung war so groß, daß ich dastand, ohne etwas zu
sagen, und das Kreuz auf der Stirn tat mir weh. Es war
also kein Trugbild, wenigstens diese Empfindung! Der
Engel fuhr sehr ernst fort:
Nun
gut, ich soll dir erklären, was eine imaginative Vision
ist: und du wirst es niederschreiben und bei Gelegenheit
wieder lesen, und du wirst es deinem geistlichen Vater
überbringen.
Mein
Gott! Da wollte ich mich also deinem Willen entziehen,
doch in deiner unendlichen Zärtlichkeit mir gegenüber,
schickst du mir deinen Engel und erinnerst mich durch
seinen Mund, daß es nicht auf meinen Willen ankommt,
sondern allein auf den Deinen! Wie armselig ich doch
bin... und ich sagte zum Engel, der still neben mir
betete, während ich meine Seele zum Herrn erhob:
Gelobt
sei Jesus Christus!
Hochheiliger
Engel, sei mir ein Bringer des Lichtes und der
unendlichen Liebe Gottes, den unablässig zu schauen,
dir als Gunst zuteil geworden ist!
Bei
diesen Worten, die fast mehr aus meinem Herzen als aus
meinem Mund hervorgegangen waren und unter einem mächtigen
innern Aufschwung, beugte sich mein Engel tief nieder
— wobei er noch mehr von Licht erglänzte — verhüllte
sein Antlitz und rief aus:
Anbetung,
Lobpreis, Ehre und Herrlichkeit sei unserem dreimal
heiligen Gott, unserem Schöpfer und unserem Vater!
Dann
richtete er sich langsam wieder auf, kreuzte seine Hände
über der Brust und fuhr mit seiner Belehrung fort:
In
Gott sind Sehen und Verstehen ein und dasselbe. Die
imaginativen Visionen sind nur ein Mittel, das der Seele
vom Herrn gewährt wird, um sie verstehen zu lassen, was
er ihr zu erkennen gibt.
Gott
gießt in den Verstand ein Licht ein, und die Seele
nimmt dieses Licht als intellektuelle Vision wahr. Doch
oft vermag sie es nicht auszudrücken, noch in eine
Mitteilung umzusetzen, so daß andere Seelen es als
Bericht oder gar als Belehrung aufzunehmen vermöchten.
Es kommt dann vor, daß der Herr diesem Licht, das dem
Verstand eingegossen und von der Seele als
intellektuelle Vision wahrgenommen wurde, die Möglichkeit
verleihen möchte, verstanden und mitgeteilt zu werden:
dann verwirklicht er selber in der Einbildungskraft
Bilder, die dieses Licht in sinnenfällige Kräfte
umsetzen, welche die Seele beschauen und beschreiben
kann: so verhält es sich mit der imaginativen Vision,
du siehst, daß sie nichts von einem Trugbild an sich
hat.
Ich
hörte mir diese Erklärung mit viel Interesse und
Aufmerksamkeit an. Ich bat meinen heiligen Engel, mir zu
erklären, wie er selber für mein inneres Auge
wahrnehmbar wurde. Er sagte es mir mit folgenden Worten:
Du
weißt, daß die Engel keinen Leib haben, daß ihr sie
also nicht sehen könnt, wie sie wirklich sind: daher
tun wir uns durch Bilder kund, die für eure innern
Sinne wahrnehmbar
sind, Bilder, die sich mit
unsrer Anwesenheit bei euch decken und diese gewissermaßen
kundtun.
Auf
dieselbe Weise tun sich die Heiligen kund und die armen
Seelen im Fegfeuer. Eure Augen können sie nicht sehen,
und trotzdem existieren sie in der Wirklichkeit!
Wenn
der Herr will, daß sie sich euch kundtun, so gießt er
in euren Verstand die gewichtige Wirklichkeit ihrer
Anwesenheit bei euch ein und tut diese Anwesenheit auf
sinnenfällige Weise kund, indem er ihr Bild eurer
Einbildungskraft einprägt. In eurem geistlichen Leben
ist es wichtig, daß eure Einbildungskraft beständig
gereinigt und beherrscht wird: sie muß zur Dienerin des
Verstandes werden. Doch die Einbildungskraft ist eine
Vagabundin und sie findet im Gedächtnis oft eine
treffliche Verbündete: die Erinnerungskraft ist ein
Vielfraß, sie verschlingt alles, was die Phantasie ihr
liefert, nachdem sie es da und dort aufgelesen hat.
Diese beiden Kräfte sind sehr flatterhaft, sie arbeiten
gern unabhängig von Willen und Verstand. Nun aber müssen
sie sich unterwerfen! Wenn du solche Visionen bekommst,
wirst du sie nur beachten, wenn sie dir Licht bringen,
wenn sie dir erlauben, besser zu erfassen, was dir der
Herr in einer intellektuellen Vision mitteilt. In der
Tat soll man nie eine imaginative Vision allein
beachten, wenn sie nicht die unmittelbare Fortsetzung
einer intellektuellen Erleuchtung ist. Für das Wachstum
der Seele im Erkennen und Lieben gewährt Gott solche
Gnaden; man soll sie nicht überschätzen, es wäre
jedoch tollkühn, sie zu verachten, denn sie sind Gaben
Gottes. Achte immer auf den Schenkenden: die Gabe, die
er dir in seiner Barmherzigkeit verleiht, soll dich
immer bis zu ihm aufsteigen lassen.
Nachdem
der Engel seine Belehrung beendet hatte, kreuzte er
seine Hände langsam und legte sie auf das Kreuz, das
seine Lichttunika schmückt. Dann verneigte er sich in
schweigendem Anbeten Gottes und er entschwand meinem
innern Blick.
Die große
Hoffnung
Bei
der Abendbetrachtung. Meine Seele war ganz versunken in
der Beschauung des eucharistischen Herzens Jesu, und ich
sah plötzlich eine große Menge von Leuten, die — wie
in ein großes Feuer versenkt — innig beteten. Ich
begriff, daß sich meiner innern Schau die Seelen des
Fegfeuers zeigten... Dann ließ der Herr für meine
Seele seine Stimme ertönen:
Kind,
bete für diese Seelen, um das Kommen des Zeitpunkts zu
beschleunigen, wo sie vollkommen mit mir vereint sein
werden. Ihre Einigung für die Dauer des Fegfeuers
besteht nur in meinem Verlangen, einem Wunsch, der sie
wie Feuer brennt. Ihr Beten ist Hoffen, denn dort im
Fegfeuer entfaltet sich diese Tugend in ihrer Reinheit
und Vollendung. Das Fegfeuer ist das große Erbarmen
meines eucharistischen Herzens. Die größte Läuterung
für eine Seele besteht in der Sehnsucht, die sie nach
mir hat, Sehnsucht, die mein eucharistisches Herz in
euren Herzen entflammt; sie ist ganz Hoffnung, die ich
in eure Seelen lege. In der kommenden Zeit, werden viele
Seelen von diesem Feuer entbrennen, von dieser Sehnsucht
nach mir, die ich in sie hineinlegen werde. Meine Kirche
wird diese brennende Sehnsucht nach mir kennenlernen,
und die Seelen werden die Hoffnung erlernen durch diese
Prüfung der Liebe...
Da
berührte nun der Herr meine Seele mit einem blendenden
Feuergeschoß, das aus seinem göttlichen Herzen
hervorschnellte, und während ich die Kräfte verlor
unter dem milden Brennen — wie von einem Feuergeschoß
— sagte er zu mir mit unendlicher Sanftmut:
Du
kleine Seele, ich will dich entbrennen lassen von dieser
Sehnsucht, denn deine Sehnsucht nach mir schreit nach
meiner Vereinigung mit dir!
Ich
kann die Trunkenheitszustände, die Wonnen nicht
beschreiben, von denen meine Seele dabei im Übermaß
erfaßt wurde: sie wurde gleichsam in die Liebe des
eucharistischen Herzens versenkt, des göttlichen
Herzens Jesu, und dabei litt sie grausam, daß sie
dieser nicht vollkommen zu entsprechen vermochte und
trotzdem war sie von unaussprechlicher Seligkeit erfüllt.
Welche Glückseligkeit dabei! O unendliche Liebe!
Die
Bedeutung
der Gnaden, die du empfängst
Am
Ende der Abendbetrachtung sah ich meinen heiligen
Schutzengel vor mir erscheinen. Ein feuerrotes Kreuz
schmückt seine Tunika mit unerträglichem Glanz; ein
grelles Blutrot, sehr strahlend. Ich verstehe, daß ich
mein armseliges Gebet noch intensiver machen und mich
auf neue Leiden vorbereiten muß. Er sagt zu mir:
Gelobt
sei Jesus Christus!
Einer
deiner nahen Angehörigen weilt noch im Fegfeuer, bete
und laß beten für seine Befreiung: die seligste
Jungfrau ersehnt es gar sehr. Wenn sie es dürfte, so würde
sie das Fegfeuer auf einmal leeren! Wenn ihr betet und
Opfer bringt, so wird diese Seele auf den Karfreitag
befreit werden.
Diese
Worte bringen mich aus der Fassung, das scheint mir so
lang und so kurz zugleich, ich weiß nicht, was ich
sagen soll. Doch die Zeit existiert nicht mehr nach dem
Tode, wenigstens nach unsrer Art. Es ist etwas ganz
anderes.8
Ich frage den Engel, ob dieser Mann viel zu leiden hat,
und was zu tun ist.
Der
Engel antwortet:
Ja,
er leidet viel, und immer mehr, weil er seiner Befreiung
nahe kommt. Aber es ist Liebesleiden, wie du weißt.
Bete, opfere deine Messen für ihn auf, sprich oft das
Gebet «O gütiger und liebster Jesus, ich knie vor
dir...» (KGB 374),
besonders nach der
Kommunion. Vor allem tue Buße! Das Fasten und die Buße
sind sehr hilfreich für die heiligen Seelen im
Fegfeuer. Aber für diese Abtötungen mußt du die Ermächtigung
von deinem Beichtvater erbitten...
Töte
die Sinnen ab, besonders die Augen und die Zunge, denn
Gott braucht verinnerlichte, schweigsame Seelen. Behalte
deine Mühen und Betrübnisse für Jesus, nur ihm sollst
du sie anvertrauen. Belästige nicht deine Brüder: du
sollst eine freudvolle Seele sein in Kreuz und Leid. Und
da du die Fehler dieser Seele kennst, ersetze, indem du
die ihnen entgegengesetzten Tugenden übst, die ihnen
sozusagen in Wertumkehr entsprechen...
Ich
sehe diese Person in hellen Flammen. Ich sage zu meinem
Engel und zu dieser Seele, daß ich manchmal nicht mehr
weiß, was ich tun soll, weil ich oft Angst habe, mich
zu täuschen, ein Opfer meiner Einbildung zu sein. Der
Engel schaut mich sehr streng an, sowie diese Seele, die
entschieden zu mir sagt:
Was
denn! Du weißt, was du zu tun hast. Du mußt viel
lieben, viel beten, schweigen über Gottes Gaben, und
vor allem im Gehorsam zu deinem Beichtvater verharren.
Gib der Entmutigung nicht nach! Möge deine Müdigkeit
uns keinen Nachteil bringen. Wir bedürfen eurer Gebete,
eurer Hilfen, für uns selber, besonders aber für Gott!
Denn es ist eine Pflicht für euch, es verherrlicht den
Herrn.
Dieser
Verweis stellt mich wieder auf, wenn man so sagen darf.
Und die Person fährt fort ebenso entschieden wie sanft:
Du
mußt dir keine Fragen stellen: Gott weiß, was er mit
dir verwirklicht... Laß an dir geschehen, laß dich von
der Gnade treiben! Diese Gnaden werden dir verliehen, um
der heiligen Kirche mitgeteilt zu werden. Gott will sich
deren bedienen zum Wohl, um die eingeschlafenen Seelen
zu wecken, um die in ihrer Ichsucht Befangenen daran zu
erinnern, daß ihr Leben nicht auf der Erde zu Ende
geht, daß es sich vielmehr nach dem leiblichen Tod
entfaltet.
Heutzutage
denkt man kaum mehr ans Fegfeuer, man kommt sogar
soweit, daß man dessen Existenz leugnet, ganz wie die
der Hölle: du aber mußt sagen, daß der Himmel, das
Fegfeuer und die Hölle existieren! Ja, sogar die Hölle,
die Hölle existiert, und sie ist leider nicht leer!
Sie
wurde mir gezeigt, für den Zeitraum eines Blitzes,
dieses Geheimnis der Hölle. Ich meinte, ich würde ohnmächtig
unter dem Schock. Mehr sag ich darüber nicht. Mein
Engel unterstützte mich und die Seele fuhr fort:
Gott,
der reinste Güte ist, hat trotzdem dieses große
Geheimnis der Läuterung durch seine Liebe
erkennenlassen wollen. Mehrere Heilige, durch die göttliche
Weisheit belehrt und mit seinen Erleuchtungen der
Wahrheit überhäuft, haben über dieses Geheimnis der
Liebe gelehrt und geschrieben, um den Herrn in seiner
Barmherzigkeit zu verherrlichen, um die Seelen zu
erleuchten und zu warnen, um in der heiligen Kirche mehr
Gebete und Fürbitten zu unsern Gunsten zu wecken.
Diese
Person verstummte, erhob strahlend die Augen zum Himmel
und fuhr sodann mit Ernst weiter:
Hör
gut zu, was ich dir sage. Das eben ist der Sinn der
Gnaden, die du bekommst, die Gott dir trotz deiner Unwürdigkeit
so freigebig schenkt, denn er hat sich deines Elendes
erbarmt. Die Beschauung dieses großen Geheimnisses, die
Erwägung der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes,
das Betrachten der Wirklichkeiten der Letzten Dinge,
sollen für euch eine Schule und ein Beispiel sein: denn
es ist eure Pflicht, euch zu bemühen, heilig zu sein,
euch darauf vorzubereiten, in das Haus Gottes
einzutreten gleich von eurem Sterben hienieden an. Um
dich und die Seelen zur Heiligkeit anzuspornen, wurden
dir all diese Gnaden gewährt, wurden dir diese
Belehrungen überreich geschenkt. Ja, ihr müßt heilig
sein: Gott will euch heilig, darin besteht euer wahres
Glück.
Alle
Mittel werden euch durch Jesus in der Kirche geschenkt:
Wisset sie zu verwenden, daraus Nutzen zu ziehen! All
das wird dir gesagt und gezeigt, damit die Seelen sich
in Liebe entflammen, damit sie schmachten nach Gott,
damit sie keinen andern Wunsch haben als seinen reinen
Willen. Tut alles, um das Fegfeuer zu vermeiden, nicht
aus Furcht, aber aus Liebe. Betet für uns, die wir es
nicht zu vermeiden verstanden haben, ohne euch dabei
selber Seelen besonders auszulesen, ausgenommen jene, für
die zu beten, ihr eine persönliche Pflicht habt;
vielmehr übertragt alles der Mutter der Güte, der
himmlischen Schatzmeisterin: sie wird alle Fürbitten
nach Gottes Willen verteilen. Ich will dir sagen,
welches die wirksamsten Mittel sind, um die Qualen des
Fegfeuers zu vermeiden: in allem nur die Ehre Gottes
allein zu suchen, vollkommen von allen Geschöpfen
losgelöst zu sein, in allem nur den reinen Willen
Gottes9
erfüllen zu wollen, sich mit Liebe auf das Sterben
vorzubereiten, die Tugenden des Gehorsams, der Demut und
der Verschwiegenheit zu üben und das Skapulier der Königin
vom Karmel zu tragen. Im Grunde ist es das Programm
eures Lebens hienieden. Wenn ihr hin und wieder eine
gute Abhandlung über das Fegfeuer lesen würdet, so wüßtet
ihr es genau, denn da gibt es nichts Neues. Aber wer
nimmt sich jetzt schon die Zeit dazu? Weißt du, daß es
eine Art geistlicher Feinschmeckerei gibt, die darin
besteht, nur Bücher zu lesen, die der Seele Trost und fühlbare
Befriedigungen einbringen? Viele fromme Leute wollen nur
lesen, was ihnen gefällt, unter dem Vorwand, daß dies
ihnen entspricht. Doch das, was gefällt, ist selten das
Beste und indem man so seinen geistlichen Neigungen
schmeichelt, verirrt man sich sehr rasch in Selbstgefälligkeit.
Er
schwieg nun und lächelte. Ich habe niemals etwas
anderes gelesen als den Traktat über das Fegfeuer der
heiligen Catharina von Genua, und ich habe begriffen, daß
dies einer von den guten Lesestoffen sei, auf welche die
Person angespielt hatte. Und alles entschwand.
Die Hölle
Die
Seele befindet sich schlagartig in eine absolute
Einsamkeit versenkt, die so etwas wie die Verdichtung
des Chaos, des Todes, des Nichts ist. Alles ergibt
Gegenwartslosigkeit, Mitteilungslosigkeit,
Lieblosigkeit. Es ist ein
vollständiges Fehlen von Bewegung, von Sehnsucht, ein
Versunken-Sein in der Sünde im Rohzustand, im
absoluten, vergegenständlichten Bösen. Die Seele weiß,
daß sie Sünderin ist, aber die Sünde gehört ihr
nicht mehr an, es ist nicht mehr ihre Sünde, vielmehr
wird sie von ihr besessen, von ihr durchtränkt, von ihr
durchdrungen. Die Seele weiß, daß sie verdammt ist und
sieht ein, daß sie zur eigenen Sünde geworden ist. Es
gibt so etwas wie ein Ineinander-verschlungen-Sein vom
Verdammten und der Sünde. Das ist Hölle. Es ist
schwierig, sie darzulegen. Im Nachhinein möchte ich es
mit einer Art von Atomisierung vergleichen, eine
furchtbare Verdichtung des Bösen, denn die Hölle ist
nicht leer, sie ist angefüllt mit dem Nichts: es
herrscht da ein unerhörter Druck, eine Dichte, eine
schreckliche Undurchsichtigkeit. Wenn ich vom Nichts
rede, so ist das nicht das Nichtsein, nein, es ist das
Gegensein, das der Liebe Entgegengesetzte.
In
diesem Zustand empfindet die Seele nichts, sie spürt
nichts im sinnenfälligen Bereich, es ist tausendmal
schlimmer als ein bekanntes Leiden: es ist ein
Todeskampf des Geistes, wovon man weiß, daß er in
nichts anderes münden wird als in sich selbst, wobei es
immer tiefer geht, weil der Geist sich dann gezwungen
sieht, sich mit der unendlichen Beleidigung
auseinanderzusetzen, worin die Sünde besteht, mit der
er sich identifiziert, ja immer mehr gleichsetzt.
Trotzdem gibt es da keine Bewegung, kein Fortschreiten.
Es herrscht außerdem eine Kommunikationslosigkeit
zwischen den Verdammten, die eng nebeneinander
hingesetzt sind, ja aneinander kleben und sich
gegenseitig bedrücken allein dadurch, daß sie da sind.
Das ist schlimmer als der Haß, der eine
leidenschaftliche, triebhafte Regung ist, und den man
gleichsam zerstückeln und sozusagen auskosten kann,
nein, es ist die Lieblosigkeit in ihrer eisigen
Objektivität. Denn obwohl man in der Hölle brennt,
wird man zugleich in eine Eiseskälte, welches der
zweite Tod, der ewige Tod ist, hineinversenkt. Auch
dabei handelt es sich nicht, wohlverstanden, um ein
Eingehen ins Nichts, um eine Auflösung, es ist die
Leblosigkeit: kein lebendiger Dynamismus, keine
Kreativität, keine Evolution. Es ist ein Dauerzustand
von Schwindel und Bedrücktsein, der immer zunimmt und
sich verstärkt, weil dieser Tod endlos ist und ewig die
Hölle. Dieses Leiden ist abscheulicher als alles; das
am heißesten brennende Feuer hienieden ist eisig im
Vergleich zu diesem Höllenfeuer und die schneidendste Kälte
hienieden ist noch brennendheiß neben dieser eisigen Kälte
des zweiten Todes. Es ist nicht ein Erfahren des
Nichtseins, sondern nicht das zu sein, was man ist, die
absolute Unmöglichkeit jemals zu sein, zu werden, was
man ist, weil man berufen war, es im Geheimnis des
heilbringenden Kreuzes zu werden und weil man das
Geheimnis zurückgewiesen, die unverdiente Gabe des
Heiles verschmäht hat.
O Jesus, alles
für die Seelen!
Meine
Seele steht noch unter dem Eindruck der Vision des
Fegfeuers, die mir gestern gewährt wurde, und ich bete
für diese heiligen Seelen, besonders an diesem Fest der
Erwartung der Jungfrau Maria.10
Im Lichte dieses Festes opfere ich Gott das heitere
Warten seiner Mutter zugunsten der armen Seelen auf, die
sich in einem so schmerzlichen Warten verzehren; denn
wie das friedliche und vertrauensvolle Warten Mariens
den Herrn verherrlicht hat, ebenso wird er durch das
Warten der Seelen im Fegfeuer verherrlicht, wenn auch
auf eine andere Weise. Und die seligste Jungfrau kann fürbitten
für diese Seelen. Diese Gebetsmeinung hat einen Großteil
des Tages in Anspruch genommen, aber das Herannahen von
Weihnachten erfüllt meine Seele mit Freude und Frieden,
mit Kraft und Vertrauen. Gegen Ende des Nachmittags hat
sich meinem innern Auge mein heiliger Engel gezeigt. Er
stand neben mir und sagte ermutigend:
In
dieser Weihnachtszeit wirst du nichts mehr vom Fegfeuer
sehen. Das soll dich zu einer großem Treue beim Gebet
zugunsten der heiligen Seelen im Fegfeuer anspornen.
Wenn deine
Seele
sich ihnen zuwendet, erhebe zum Höchsten diese einfache
Bitte: «O Herr, alles für die Seelen!»11
Laße dich vom Sinn dieser Worte tief durchdringen,
sprich sie mit Glauben und mit Liebe aus, und vergiß
nicht, daß es nicht langer Reden bedarf, um die Liebe
zu äußern. Begreift doch, daß es für euch sehr
wichtig ist, für die Seelen im Fegfeuer zu beten! Es
ist eine eurer Liebespflichten, und wenn ihr euch darin
gegen Gott verfehlt, so könnt ihr einst streng dafür
bestraft werden: es gibt viele Seelen, die deshalb im
Fegfeuer weilen, sie büßen dafür, daß sie für ihre
nächsten Verwandten nicht gebetet haben.
Der
Engel schwieg. Mit einer Geste seiner Hand, zeigte er
mir das Fegfeuer, rascher, kurzer Einblick, aber wie
dicht... und er fuhr fort:
Wie
könnt ihr gefühllos bleiben vor soviel Liebesleiden?
Ihr seid auf Erden, aber ihr habt Anteil an der
Gemeinschaft der Heiligen: habt ihr nicht die Möglichkeit,
Zuflucht zu nehmen zur Fürbitte der Seligen und ganz
besonders der Muttergottes? Und hören sie einen
einzigen Augenblick auf, für euch zu beten, und euch
Gnaden und Erleuchtungen zu erlangen? Nun gut, die
Seelen im Fegfeuer brauchen auch Fürbitter, und sie
finden sie unter euch, so sehr wie im Himmel. Betet für
sie, die eurer Fürbitten bedürfen, da sie von euch
Treue und Dankbarkeit erwarten. Gott will es so, weil
euer Beten für diese heiligen Seelen ein Akt der Nächstenliebe,
ein Zeugnis der Liebe ist: es läßt euch in dieser
Tugend und im Glauben vorankommen, es weitet die
Horizonte eurer Liebe und vertieft euren Glauben, es
bereichert und festigt eure Hoffnung. Und all das
verherrlicht Gott und tröstet die heiligen Seelen im
Fegfeuer.
Still
betete ich, indem ich unablässig folgende Anrufung
wiederholte: «O Jesus, alles für sie, alles für diese
heiligen Seelen!» Der Engel billigte mit Kopfnicken,
dann fuhr er fort:
Der
Herr will, daß du all das zu seiner Ehre aufschreibst,
und sich damit das Feuer der Bruderliebe auf der ganzen
Erde ausbreite. All das wird einer großen Zahl von
Seelen dienen: deinen Brüdern auf Erden, die es lesen
werden, der Herr wird seine Liebe noch mehr aufdecken,
denn niemand darf gefühllos bleiben vor soviel Leiden!
Wenn die Seelen das mit Glauben und Vertrauen lesen,
wird es sie trösten und in Glaube, Liebe und Hoffnung
wachsen lassen. Und eine große Anzahl von Seelen im
Fegfeuer werden Vorteil aus den Suffragien der Gebete
und guten Werke ziehen, die deine Brüder halten, durch
ihre Leiden und Nöte bewegt. Begreifst du jetzt, warum
du schreiben mußt? Du mußt dich ganz in den Dienst des
Herrn stellen, der sich deiner bedienen möchte, als
eines Werkzeugs, das in seiner Hand verborgen liegt.
Als
ich diese Worte vernommen hatte, war ich für kurze Zeit
verwirrt. Der Engel schloß gelassen, ohne daß er
darauf zu achten schien:
Bleib
im Frieden! Im Frieden Gottes und nicht in dem der Welt,
der nur Zerrbild und Schein vom echten Frieden Gottes
ist. Verharre im treuen Gehorsam gegen deinen
geistlichen Vater: Öffne ihm deine Seele, verschließe
deine Ohren vor dem eitlen Lärm der Welt. Verharre in
Gottes Verschwiegenheit, so daß du in den Augen der
Welt nichts giltst! Gott allein weiß, mit Redlichkeit
und Billigkeit zu urteilen, die Welt weiß nur, jene mit
Weihrauch zu ehren, die ihr schmeicheln und zu
verurteilen, die sie verachten. Bleibe im reinsten
Herzen Mariens, eurer Unbefleckten Mutter: in ihr gibt
es nur Licht und Wahrheit, sie öffnet euch ihres göttlichen
Sohnes eucharistisches Herz. Da ging der Engel fort. Ich
bin im Frieden.
Zweiter
Teil
Selig
die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen
«Liebe
kann nur durch Liebe bezahlt werden.»
Johannes
vom Kreuz
Das
Erbarmen
Gottes über dem Fegfeuer
Nach
der Betrachtung ließ mich der Herr seine unendliche
Barmherzigkeit schauen, die auf das Fegfeuer ausgeübt
wird und sich über die heiligen Seelen ergießt, die
dort Qualen der Liebe erdulden. Ich schaute zuerst den
liebevollen Blick der göttlichen Dreieinigkeit, der
sich auf all diese heiligen Seelen richtete, angefangen
beim Vorhof bis hinunter in die tiefsten Tiefen des Großen
Fegfeuers12,
und jede einzelne dieser Seelen eigens betrachtete: ich
sah, wie der Vater auf diese Seelen blickt, die alle vom
Blute seines Sohnes erglänzen, welches der einzigartige
und sehr kostbare Preis für ihre Rettung ist; und er
blickt auf sie und liebt sie unendlich in seinem
gekreuzigten und verherrlichten Sohn. Ich schaute den
auf die Seelen im Fegfeuer gerichteten Blick des WORTES,
und das WORT freut sich, sie in den reinen göttlichen
Willen versenkt zu sehen und in die bis auf den Grund
gehende Zustimmung zur Liebe des Vaters; und er liebt
sie für den Vater, der auch unser Vater ist. Ich
schaute den Heiligen Geist, ihren Geist der Liebe, mit
unendlichem Wohlgefallen auf diese heiligen Seelen
blicken und sich völlig in sie hinein wie in erlesene
Gefäße der göttlichen Liebe ergießen. Es war sehr
schön und gar erhaben. Mein heiliger Engel zeigte sich
und sagte zu mir:
Siehst
du, Kind, die heiligen Seelen im Fegfeuer sind die
geliebten Töchter des göttlichen Erbarmens. Sie sind
dazu bestimmt, die ewigen Juwelen des himmlischen
Jerusalem, die Schmucksteine der unbefleckten Gemahlin
zu werden. Daher müssen sie vollkommen rein sein, und
der geringste Fehler, das kleinste Vergehen werden
vollständig gesühnt, der mindeste Makel wird restlos
ausgetilgt: Darum werden diese Töchter der
Barmherzigkeit den Härten der göttlichen Gerechtigkeit
ausgesetzt. Ich befand mich im Zustand einer großen
Freude beim Hören dieser tröstlichen Worte. Der Engel
betete neben mir, wodurch er mich anspornte, ihn
zugunsten der heiligen Seelen nachzuahmen. Nach einer
geraumen Weile sagte er noch: Im Fegfeuer erkennen die
Seelen ihre Fehler, sie vermögen sie voll zu erfassen:
da sie sie in Wahrheit geschaut haben beim besondern
Gericht, behalten sie diese sodann dem Geiste gegenwärtig,
aber auf eine allgemeine und verworrene Weise. Nicht
dabei sollen sie sich aufhalten: sie beten die göttliche
Barmherzigkeit an und verherrlichen mit Dank und Liebe
die Heiligste Dreieinigkeit. Du weißt, daß die
Barmherzigkeit das Fegfeuer erschaffen hat, durch einen
Beschluß der Barmherzigkeit weilen die Seelen im
Fegfeuer, durch reines Gnadengeschenk der göttlichen
Liebe. Denn die Strafen, so furchtbar sie auch sein mögen,
sind immer unvergleichlich leicht im Vergleich zur
unendlichen Beleidigung, die in der Sünde drin liegt.
Dann
schaute ich im Himmel Zehntausende von Engeln, die für
die Seelen im Fegfeuer beten und auch große Mengen von
Heiligen, welche die Jungfrau Maria umgeben, und meine
Seele freute sich über den Trost, der ihnen auf diese
Weise gebracht wurde. Ich habe das Gebet der Kirche
hienieden zugunsten dieser Seelen geschaut wie einen
reichlichen Regen, der von den Engeln in goldenen
Schalen aufgefangen und der seligsten Jungfrau Maria
vorgelegt wird, welche ihn der göttlichen Dreieinigkeit
darbringt. Der Herr segnet dieses Gebet, das die Engel
in klaren, tröstlichen Regengüssen über das Fegfeuer
ausgießen. Mein heiliger Schutzengel sagte zu mir:
Das
ist auch eine Auswirkung der göttlichen Barmherzigkeit
dieses große Geheimnis der Gemeinschaft der Heiligen
und ihrer Wirksamkeit für das Fegfeuer: Gott gibt den
Engeln und den Heiligen im Himmel, aber auch euch, die
ihr noch hienieden weilt, die ausdrückliche Erlaubnis,
für diese heiligen Seelen zu beten und ihnen so einigen
Trost zu verschaffen. Es ist eine Pflicht für euch, ein
Werk der Barmherzigkeit zugunsten dieser heiligen
Seelen.
Es
wurde mir gezeigt, daß die Seelen im Fegfeuer manchmal
nach den Absichten der göttlichen Vorsehung die Möglichkeit
empfangen, sich in unserem Leben hienieden kundzutun.
Diese Kundgebungen können vielfältige Gestalten
annehmen. Bei dieser Gelegenheit sagte der Engel zu mir:
Diese
Kundgebungen werden auch vom göttlichen Erbarmen
zugelassen. Sie verfolgen einen dreifachen Zweck für
die streitende Kirche: das Volk Gottes wieder zum Gebet
für diese Seelen aufzurufen, das Gottesvolk zur Buße
aufzurufen zu seiner Heiligung, das Gottesvolk zu
warnen, daß es auf dieser Erde nur durchgeht. Diese
Seelen haben manchmal Einblick in die Zukunft, den der Höchste
ihnen unter gewissen Umständen gewährt: sie dürfen
euch diese bedingte Zukunft, die euch betrifft,
mitteilen, entweder um euch Zeichen zu geben, die dazu
bestimmt sind, euren Glauben zu stärken, oder um euch
zu behüten, zu warnen, zu beschützen. Dafür sollt ihr
danken und für diese Botinnen der Barmherzigkeit beten.
Mein
Gott, wie viele Gnaden und Auswirkungen deiner
barmherzigen Liebe gibt es doch! Der Engel aber schloß
in einem etwas strengeren Ton:
Es
gibt viele überspannte oder für Eindrücke empfängliche
Leute, die kein Möbel knarren, keinen Fußboden krachen
oder einen Vorhang rascheln hören können, ohne sich
sogleich einzubilden, daß heilige Seelen aus dem
Fegfeuer mit ihnen verkehren möchten.
Dann
suchen sie, anstatt für sie zu beten, allerlei Mittel,
um mit diesen heiligen Seelen in Verbindung zu treten.
Das ist Zeitverschwendung und auch eine Sünde: Sünde
der Neugier, der Anmaßung. Man muß vorsichtig bleiben
auf diesem Gebiet: Es gibt da viel Mißbrauch und viele
Irrtümer. Das Geheimnis des Fegfeuers ist nicht eine
Zerstreuung, es ist ein großes Geheimnis der göttlichen
Liebe.
Darauf
entschwand er in einer blendenden Helle, die ihn meinen
Blicken entzog. Ich setzte mein Gebet fort.
Einblick in das
Geheimnis des Fegfeuers
Morgenbetrachtung.
Ein unermeßliches Feuermeer deckt sich dem Blick meiner
Seele auf, still und unbeweglich, aber von einer Glut
ohnegleichen, dessen Hitze unvorstellbar ist, ich
befinde mich in einem Feuerbad, meine Seele wird sowohl
äußerlich wie innerlich verbrannt. Und ich begreife.
Das ist das Fegfeuer, das mir in seinem Geheimnis
gezeigt wird.
Zuerst
ein Feuer, Feuer der Liebe, Feuer von Gott entzündet,
Feuer, das eine Offenbarung des Geheimnisses des
Fegfeuers ist und auch dessen eigentlicher Ort. Ich weiß
nicht, wie ich es auslegen soll. Dieses Feuer scheint
mir zugleich konkret, materiell und zur selben Zeit
geistig, mystisch. Das Mysterium des Fegfeuers ist die
Reinigung der Seelen in diesen Flammen, es ist die
Wiedergutmachung, die sie Gott schulden für die Sünde
und für das ganze Gefolge der Sünden in ihnen, und für
alle Folgen ihrer Sünde über sie hinaus im Bereich der
Schöpfung. Es gibt jedoch keine Sünde mehr in den
Seelen des Fegfeuers.13
Die
Wiedergutmachung besteht in einer fürchterlichen
Strafe: im aktuellen Entzug Gottes, im derzeitigen
Verlust der beseligenden Schau. Ein unbenennbarer
Leidenszustand, eine schreckliche Sühne für die Seele,
die vollkommen gerade und von der göttlichen Liebe
durchdrungen ist, gänzlich erfaßt von der Liebe, die
sie in Besitz genommen hat, die sie anzieht und sich in
ihrer Fülle schenken will, und die sie selber —
gleichsam in der Unbeweglichkeit festgehalten, im Warten
gefesselt und auf ihrer Stufe der Bruderliebe auf ewig
festgelegt — noch nicht erfassen und völlig besitzen
kann.
Meine
Seele wurde von diesem Leiden zerrissen. Es ist eine
sehr schmerzhafte Liebessehnsucht, die Verbannung fern
vom Geliebten, das unersättliche Verlangen ihn zu
besitzen. Es ist wie eine Wartefrist, die sie sich
selber auferlegt hat wegen ihres eigenen Verhaltens: der
Geliebte ist zwar gekommen, doch sie war nicht bereit...
Im Fegfeuer kann die Seele keine Fortschritte mehr
machen, und nichts verdienen. Sie befindet sich
gefestigt in der Hoffnung, ganz von Liebe entbrannt und
in allem dem reinen Wollen des Geliebten unterworfen:
einem glühenden Verlangen, das brennt ohne zu
verzehren, einer Sühnestrafe, wofür sie dankbar ist
und, ach, wie sehr!
So
sieht es mit der eigentlichen Strafe des Fegfeuers aus:
dem Entzug Gottes, der sich in der Seele auswirkt gemäß
drei schmerzlichen Arten und Weisen. Obwohl die Seele
vom göttlichen Licht erfaßt wird, bleibt sie noch im
Dunkel; angezogen von der göttlichen Liebe, bleibt sie
ihr fern; gefesselt von Gottes Schönheit und
Heiligkeit, bleibt sie davon bedrückt. So sehen also
die drei Arten und Weisen der Strafe des Verlustes
Gottes aus, Strafe, die allen gemeinsam ist, welche sich
im Fegfeuer befinden und woraus alle andern Strafen sich
ableiten, die fühlbarer und wandelbarer sind je nach
den einen und andern, eigentümlicher, mehr auf die
einzelne.
Bedauern
über die verlorenen oder vergeudeten Gnaden, Leiden
darunter, daß man hier vergessen wird und von seinen
Angehörigen getrennt ist, die noch auf der Erde sind,
angstvolles Warten auf die Befreiung aus dem Fegfeuer,
dessen Dauer man nicht erkennen, noch vermuten kann.
Diese
Strafe der Trennung von Gott ist der Zustand im Fegfeuer
und daher kommen alle andern Sühneleiden: die
objektiven, läuternden Leiden als ein Wirken der
Gerechtigkeit. Dieser Zustand ist vorübergehend, das
Feuer wird eines Tages erlöschen, das wissen die
Seelen: sie befinden sich in der vollkommenen Hoffnung,
ganz von Liebe entzündet... Ich bete, und diese
intellektuelle Vision geht bald schlagartig zu Ende.
Das
Feuer der
Liebe im Fegfeuer
Stilles
inneres Gebet. Es wird mir die Erfahrung des Feuers der
Läuterung gewährt, ausgehend von einem sehr einfachen
und klaren Anblick des eucharistischen Herzens Jesu, das
Pfeile der Liebe auf uns lossendet. Das Feuer am Läuterungsort
ist Feuer der Liebe: «Die Liebe ist stark wie der Tod»,
und seine Geschosse sind Pfeile Gottes, Blitzflammen
Gottes. Liebesfeuer, jawohl! Das gewaltig hervordringt
aus dem Herzen Gottes, die Seele fesselt und sie mit der
Sehnsucht nach der beseligenden Anschauung Gottes
entflammt... Ich habe dieses Feuer des Reinigungsortes
als in den Seelen — in ihrem Innersten — von Gottes
Liebe entzündet, wahrgenommen, denn Gottes Liebe
brennt, sie steckt die Seelen aus Liebe zu ihm in Brand.
Dieses
Feuer ist furchtbar, weil Feuer der Liebe: Die Liebe
Gottes entzündet in der Seele, die im Läuterungsort
ist, ein lebhaftes Verlangen nach Gott, wie eine
schmerzliche Sehnsucht, eine gewaltsame Flamme; und die
Seele ist dann Trägerin dieses in ihr von Gott angezündeten
Feuers, sie wird entflammt, zu Gott hingedreht, der sie
mächtig anzieht, von ihm gefesselt und vom Verlangen
nach der beseligenden Schau, die Einigung ist,
entflammt. Und eben von diesem Liebesfeuer, aus dieser
furchtbaren Liebessehnsucht gehen alle andern Peinen
hervor: sie werden gleichsam neu zusammengefaßt in
diesem Feuer. Dieses Feuer ist so entsetzlich, daß sich
das Feuer der Erde im Vergleich dazu als ein sehr milder
Balsam enthüllt! Und es ruft in den Seelen des
Fegfeuers einen gräßlichen mystischen Durst hervor,
einen heftigen Durst nach Gott:
Meine
Seele dürstet nach dir, nach dir schmachtet mein Leib,
wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser (Ps 63,2).
Gewiß
kann man in diesem Psalmwort eine Metapher sehen, die
das Verlangen nach Gott ausdrückt, das wir hienieden
verspüren. Aber mein Engel deutet es nicht so, denn er
fragte mich, ob es denn hier auf Erden so viele Seelen
gebe, die genug in der Liebe zu Gott fortgeschritten
sind, um diese Worte der Schrift ganz gerecht auf sich
anwenden zu dürfen. In der Tat fällt es mir noch viel
leichter, sie auf das Fegfeuer anzuwenden, da sie mir
bei dessen Verständnis helfen, denn ich bin selber
leider zu weit davon entfernt, solchen Durst nach Gott
zu verspüren, um mich darin wiederzuerkennen...!
Allzeit
sehe ich die heiligen Seelen des Fegfeuers zugleich
kraftvoll von Gott angezogen, den sie wahrnehmen und
dessen Liebe sie erfahren — Liebe, die sie verzehrt
vor Verlangen, wie ein glühendes Feuer, das, wenn ich
so sagen darf, bis zum Mark der Seele vordringt — und
zur selben Zeit im Fegfeuer durch die Notwendigkeit,
ihre Fehler zu sühnen, ihre Schulden abzuzahlen, die
Strafen für die Sünde, die noch in ihnen zu finden
ist, zurückgehalten wird. Sogar diese Sühne wird
geliebt und gewollt, in Ehren gehalten — wie
schmerzhaft sie auch sein mag — weil darin das Mittel
liegt, um zur Anschauung Gottes, zur Vereinigung mit Ihm
zu gelangen; sie wird geliebt, trotzdem sie so
schmerzhaft ist, weil die Seelen im Fegfeuer keinen
andern Willen kennen als den von Gott selber, die Erfüllung
des reinen Willens Gottes und weil sie die Sünde
hassen: nun aber besteht das reine Wollen Gottes darin,
daß er alle Seelen völlig mit sich vereinen will, und
die Sündenstrafen bilden ein Hindernis vor dieser
Einigung. Das einzige Mittel, zur Einigung mit Gott zu
gelangen, besteht darin, das Hindernis aufzuheben, nämlich
die Sündenstrafen, die an der Seele haften, und das ist
im Fegfeuer nur möglich durch die sühnende
Wiedergutmachung. Somit wollen die Seelen diese Sühne,
da sie ihrerseits glühend nach der Vereinigung mit Gott
verlangen: die Sühne läutert sie und somit ist die Sündenstrafe
abbezahlt und die heiligen Seelen können endlich zur
beseligenden Einigung mit Gott gelangen; so wird das
reine Wollen Gottes erfüllt in der Fülle der Liebe,
und darin besteht das einzige Verlangen der Seelen im
Fegfeuer, ein Verlangen das zugleich geweckt und nicht
zufrieden gestellt wird; gerade dieser Gegensatz brennt
sie wie ein glühendes Feuer, eben das Fegfeuer des Läuterungsortes:
es ist einfach diese derzeitige Hinderung, welche die
Seele verspürt, Gott und der heftigen Anziehung seiner
Liebe völlig zu entsprechen, und auf vollkommene Weise
ihr Verlangen nach der beseligenden Schau erfüllt zu
sehen, nach der vollendeten Einigung in der
Herrlichkeit. In diesem Zustand rufen die Seelen oft
aus: «Herr, du bist gerecht und deine Entscheide sind
richtig!» (Ps 119,137).
Denn
das Verlangen der Seelen im Fegfeuer ist ein Verlangen
nach allumfassender Zustimmung und Gleichförmigkeit mit
dem reinen Willen Gottes; ganz von Gott, der sie
anzieht, gefesselt und ganz auf ihn hingewandt, besitzt
die Seele kein eigenes Wollen mehr, keine eigene
Ansicht, kein Blicken auf sich oder die andern mehr; ihr
ganzer Blick wird klar, wobei er sich in der Gleichförmigkeit
seines Wollens mit dem reinen Willen Gottes vereint, und
so richtet er sich nur noch auf Gott und auf Gott
allein.
Auf
diese Weise vermochte ich einigermaßen das glühende
Feuer des Reinigungsortes in meine Erfahrung
einzubringen, doch mir scheint, daß es da etwas anderes
gibt, ein echtes Feuer, gleichsam materiell, das einige
Analogie aufweist mit unserem Feuer auf Erden, obwohl es
anders ist, unvergleichlich brennender und
schrecklicher, sehr geheimnisvoll; und mein Schutzengel
hat mir diese meine Intuition bestätigt, indem er
sagte, man könne dessen materielle Beschaffenheit an
den Auswirkungen sehen, die es auf die Materie ausüben
kann.14
Ich
habe dieses Feuer wie eine Art von glühendem,
entflammtem, dunkelrötlichem Schatten gesehen, denn das
Fegfeuer ist wie ein Schattenbereich, eine Zone der
Dunkelheit im Vergleich zum unaussprechlichen und
strahlenden Licht des Paradieses, zu diesem Licht, wovon
die Seelen ganz kurz einen Widerschein beim besondern
Gericht mitbekommen. Verglichen mit der Hölle ist das
Fegfeuer unvergleichlich lichtvoll, denn die Hölle ist
das Reich der ewigen Finsternis, selbst wenn auch dort
ein Feuer brennt... Mir scheint es, daß das Feuer des
Reinigungsortes die Seele gefangen hält, durchdringt,
aber auch umkreist und umschließt, so daß sich die
Seele durch dieses materielle Feuer wie gefesselt erfährt;
und das ist für sie ein großer Schmerz, eine tiefe Demütigung!
Als rein geistig wird die Seele von diesem Feuer, das
ein bloß materielles Element ist, gefesselt; sie wird
dadurch in ihren normalen geistigen Tätigkeiten
behindert, und auf diese Weise bis in die tiefsten
Wurzeln dem reinen Willen Gottes unterworfen, den sie
liebt, der sich ihr kundtut unter dieser erstaunlichen
Gestalt eines materiellen Feuers. Ich glaube somit, daß
es ein doppeltes Feuer ist: das innere Feuer der in
der Seele durch Gott entzündeten
Liebe und auch ein echtes äußeres Feuer, das eine
Bekundung des ersten ist.
Ich
glaube ebenfalls, wenn ich richtig verstanden habe, daß
das Feuer des Reinigungsorte und das der Hölle dasselbe
Feuer ist, ich weiß zwar nicht warum: im Fegfeuer
einerseits ist es positiv, es reinigt und entflammt
durch Liebe; in der Hölle andererseits ist es negativ,
es züchtigt und ruft den Haß hervor.15
All das mag unwahrscheinlich klingen. Doch ich schreibe
es auf, wie es mir gesagt und gezeigt wird: wenn ich
mich täusche, dann wäre es, weil ich schlecht
verstanden hätte; das Fegfeuer ist nun einmal ein so
großes Geheimnis! In allem verlasse ich mich dabei auf
die Mutter Kirche, die Bescheid weiß und urteilen wird.
Die
Strafen des
Fegfeuers
Abendbetrachtung.
Der Herr wollte mich sehen, wissen und begreifen lassen,
was die Strafen des Fegfeuers in ihrer Ganzheit sind;
gewiß können wir hienieden nie genau wissen, was sie
sind, da wir sie nicht erfahren. Der eine oder andere
kann aber vom Herrn die Gnade einer echten Annäherung
an dieses Geheimnis des Fegfeuers empfangen, um seinen
Brüdern eine Unterweisung zu geben, die sie zum Mitleid
und zum Gebet zugunsten der heiligen Seelen des
Fegfeuers anregt.
Ich
habe gesehen, daß es im Fegfeuer eigentlich nur eine
einzige Strafe gibt, in ihr besteht an sich das
Fegfeuer: es ist der derzeitige Entzug der Anschauung
Gottes; so beschaffen ist an sich und direkt die große
und einzige Fegfeuerstrafe, alle andern sind nur Arten
und Weisen davon, sie lassen sich davon ableiten.16
Diese Hauptstrafe ist um so schrecklicher, weil die
Seele im Fegfeuer sehr lebhaft von Gott angezogen wird;
sie weiß es und drängt sich von sich aus zu ihm hin in
einem sehr heftigen und bis in die Wurzeln
hinabreichenden Aufschwung. Und trotzdem bleibt sie wie
gelähmt, denn es besteht in ihr und für sie die
Notwendigkeit unbeweglich zu verharren trotz dieser
Liebeswerbung, die sie verspürt und trotz der Liebe,
die sie vorantreibt: Diese Notwendigkeit liegt in der
Seele und stammt von ihr, von ihrem Zustand. Das wird
verständlich aufgrund der Tatsache, daß die Seele im
Fegfeuer nur nach der Verherrlichung Gottes verlangt.
Sie stürzt sich ins Fegfeuer getrieben von ihrer Liebe
nach der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes, und da sie
die Ehre Gottes über ihr eigenes Interesse setzt, so
will sie vollumfänglich dieses Leiden, diese Sühne,
die Gott verherrlicht. Die Seele im Fegfeuer liebt
dieses Leiden, das Gottes Heiligkeit lobpreist, die sich
in diesem Geheimnis der Gerechtigkeit offenbart,
tausendmal zieht sie diese einer möglichen Begegnung
mit Gott vor, worin sie zwar ihr Interesse, aber nicht
die volle Verherrlichung Gottes, den sie mehr als sich
selber liebt, finden würde. Dieses Fegfeuerleiden ist fürchterlich,
es ist eine Liebesqual, eine brennende Sehnsucht, wie es
sonst keine gibt auf Erden. Ich glaube, man kann die
Seele im Fegfeuer ein wenig mit diesem Gelähmten
vergleichen, der sich am Rande des Schafteiches
aufhielt: dieser Mann hatte das heftige Verlangen, in
das Wasser einzutauchen, wenn es aufzuwallen begann,
aber er war nicht imstande es zu tun, und das mußte ihm
einen entsetzlichen Schmerz verursachen (vgl. Joh
5,2-7).
Etwa
so sieht also die große und einzige Strafe des
Fegfeuers aus, gerade darin besteht das Fegfeuer: es
brennt eine zerreißende Liebessehnsucht in der Seele.
Alle andern Strafen sind nur Arten und Weisen oder
Folgen dieser Liebessehnsucht: ein Gefühl der Ferne,
des Vergessenseins, der Dunkelheit, des Hungers nach
Gott, ein sich Hinziehen der Strafe, ein Vergessen oder
ein Vernachlässigtwerden vonseiten der Leute, die noch
auf der Erde sind, eine klare Einsicht in die Sünde,
Schmerz gesündigt zu haben usw. Mein Schutzengel hat
mir einigermaßen das erklärt, was das sich Hinziehen
der Strafen betrifft, denn es ist für uns schwierig,
uns vorzustellen, daß ein Geist gewissermaßen in die
Zeit eingefangen sein könne:
Im
Fegfeuer gibt es die Zeit, so wie ihr sie auf der Erde
kennt, nicht. Aber die Seelen im Fegfeuer vollbringen
aufeinander folgende und verschiedene Akte im Bereich
der Liebe; und in dieser Abfolge von Akten besteht
gleichsam so etwas wie das Maß einer einförmigen
Dauer. Das hat jedoch nichts mit der Zeit Vergleichbares
an sich, so wie ihr sie kennt. Vergeßt nicht, daß
tausend Jahre wie ein Tag sind in den Augen des Höchsten
(vgl. Ps 90,4). Ich habe gesehen, was die verschiedenen
Stufen des Fegfeuers ausmacht, ist nicht ein Unterschied
in der Natur, sondern in der Dauer der Strafen, und eine
mehr oder weniger große Intensität derselben; sowie
eine mehr oder weniger grosse Fülle an Tröstungen.
Nichts desto weniger habe ich an dem Ort, den die
Menschen das Große Fegfeuer oder den Untergrund des
Fegfeuers nennen, wo die Teufel für die Seelen
bemerkbar werden, was sie gar sehr quält, denn diese
machen großen Betrieb um sie herum. Das war für mich
immer ein Anlaß zu Überraschung, doch der Schutzengel
hat mir in dieser Hinsicht erklärt: Die Dämonen haben
gar keinen direkten Einfluß auf die Seelen im Fegfeuer,
keine Zugriffsmöglichkeit bei ihnen. Aber das
Wahrnehmen ihrer Anwesenheit und ihres unseligen
Treibens ist eine von Gott bei gewissen Seelen
zugelassene Qual. Der Dämon bewahrt so etwas wie einen
Rest von Herrschaft dort, wo es nur noch ein Folgewirken
der Sünde gibt.17
Diese
Art von Seelenstrafen im Großen Fegfeuer gehört einzig
einer Art von moralischem Verdruß an, einer Demütigung,
welche den brennenden, andauernden Schmerz ihrer
Liebessehnsucht noch vermehrt: diese ist nämlich wie
das Feuer des Reinigungsortes. Ich habe auch gesehen, daß
sich die Stufen unterscheiden gemäß der Art und Weise,
welche diese Liebessehnsucht annehmen kann, und daß in
der letzten Läuterungsstufe, welches der Vorhof oder
der Vorhimmel ist, diese Liebessehnsucht keine
unterscheidbaren Gestalten mehr annimmt, sondern allein
ganz einfach fortbesteht.
Die
Seelen im Fegfeuer leiden sehr darunter, daß sie von
den Leuten, die auf der Erde leben, vergessen und
vernachlässigt werden; sie leiden darunter nicht direkt
ihretwegen, denn sie haben keinen Blick mehr für sich
selber übrig und auch gar keine Selbstgefälligkeit
mehr; sie leiden darunter, weil sie darin von unsrer
Seite eine Vernachlässigung, eine mangelnde
Aufmerksamkeit, einen schweren Mangel an Rücksicht
gegen die Gemeinschaft der Heiligen und für die
Verherrlichung dieses Gottes sehen, den sie über alles
hochschätzen. Sie tragen die Folgen davon, indem sie
nicht diese große Hilfe an Fürbitte empfangen, die
ihre Sühnestrafen abkürzen würden. Die leidenden
Seelen begehren nicht für sich selber, das Fegfeuer
rascher verlassen zu dürfen, sondern allein um der Ehre
Gottes willen, welches der einzige Gegenstand ist,
worauf sich ihr Blick und ihre Liebe richten. Diese
hochheiligen Seelen haben uns vieles zu lehren über das
Geheimnis der Ehre Gottes, über unsere Pflicht, ihn zu
verherrlichen, und auch über die Schuldigkeit, die wir
haben, unseren Innern Blick zu vereinfachen.
Alles,
absolut alles steht für diese Seelen im Fegfeuer in
Funktion zu dieser Verherrlichung Gottes, — sei das
nun eine nach der andern oder alle zusammen von den
Strafen oder den Tröstungen — denn sie bleibt
sozusagen ihre einzige Beschäftigung: gern würden sie
tausend Jahre lang das Fegfeuer erdulden, wenn sie auf
diese Weise die Herrlichkeit Gottes vermehren könnten.
Sie befassen sich nicht mit uns, noch mit sich selbst,
und das bedeutet keineswegs, daß sie uns nicht lieben,
im Gegenteil! Sie lieben uns jetzt viel besser und mehr
als alle Leute hier auf Erden, ausgenommen vielleicht
sehr große Heilige unter uns, obwohl diese zum Teil den
Gesetzen des Mitgefühls unterworfen bleiben; die Seelen
im Fegfeuer hingegen lieben uns in der lauteren Liebe
Gottes und in einem vollkommenen Üben der Bruderliebe:
ihre Liebe ist sehr erhaben, sehr objektiv und sehr
rein. Und wenn sie für uns beten, dann haben sie nur
unser Wohl im Blick, das auf die Ehre Gottes
ausgerichtet ist.
Die Heiligkeit
Gottes
Gegen
Ende der Betrachtung von heute morgen wurde mir etwas
von der Heiligkeit Gottes gezeigt, es ist vernichtend.
Ich habe ein unermeßliches Kristallmeer in Flammen
gesehen, sehr ruhig, von unergründlicher Tiefe. Dieses
Meer teilte sich der Heiligen Kirche mit, sie gleichsam
umschwemmend und befeuchtend, sie ernährend und
belebend; alles in sich verzehrend, was Sünde oder
Unvollkommenheit ist; es verbrannte, tilgte und zerstörte
in seiner Glut jegliche Unreinheit oder Spur von
Unreinheit. Dieses Kristallmeer ist unbeschreiblich: in
ihm versenkt sich der ganze Himmel, der dadurch
erleuchtet und entflammt wird; in ihm lebt und besteht
die Kirche fort, da sie in ihm beständig gereinigt, geläutert
und ganz entflammt wird; in ihm ist auch auf eine
geheimnisvolle Weise der höllische Abgrund enthalten,
dessen so schreckliches Feuer es gewissermaßen begründet.
Ich
schaute das Fegfeuer als feuriges Vorzimmer der
himmlischen Herrlichkeit, wobei die Seelen eingetaucht
werden in Gottes Heiligkeit, um darin geläutert zu
werden. Aus dieser Heiligkeit Gottes gewinnen die Seelen
im Fegfeuer ihre größten Freuden: ihre Festigung in
der Gnade, ihre Zusicherung des Heils, mit der Unmöglichkeit
für sie, künftighin zu sündigen, sowie ihre Freude am
Sühnen, und bei diesem Sühnen zu erkennen, daß sie
lieben, eine Verherrlichung der Heiligkeit Gottes; ihre
Freude darüber, in der göttlichen Liebe erhalten und
alle ihren Flammen ausgeliefert zu bleiben. Ich habe
auch eingesehen, daß die kleinste Sünde eine
unendliche Beleidigung Gottes, seiner Heiligkeit ist, so
etwas wie ein Geschoß, das in dieses glühende
Kristallmeer hineingeschossen wird, und dieses Geschoß
verliert sich jedoch in diesem Meer, es wird darin
verzehrt. Denn dieses Meer ist unwandelbar, ohne
irgendeine Veränderung, unendlich. Es ist unfaßbar für
unseren Geist.18
Ich
schaute die Fluten der Heiligkeit Gottes, wie sie sich
in das innerste des Fegfeuers voll ergossen, wie eine
unbewegliche Feuerwoge; die Seelen lassen sich davon
durchdringen, mit Eifer tauchen sie da hinein, wenn auch
unter schrecklichen Leiden, unter großen Schmerzen. Und
je mehr sie sich diesem göttlichen Feuer ausliefern in
einem lebhaften Aufschwung der Liebe, um so
durchsichtiger, lichtvoller, schöner werden sie; je
mehr sie darunter leiden, sich in diesem Meer zu
befinden, um so mehr verlangen sie, dankend darin zu
verbleiben, bis sie völlig geläutert sind, und so Gott
Ehre zu erweisen. Ich vermag nicht, das alles richtig
auszudrücken, was sich meiner Seele zeigt: es ist sehr
schwierig, rein intellektuelle Einsichten, die sehr
dicht und erhaben sind, zu übersetzen.
Was
an diesem großen Geheimnis des Fegfeuers umwerfend ist,
das ist vor allem die Tatsache, daß die heiligen
Seelen, die sich darin befinden, keinen Blick, keine
Selbstgefälligkeit für sich übrig haben, daß sie
sich vielmehr ganz der göttlichen Liebe ausliefern; in
ihren größten Schmerzen haben sie nur die
Verherrlichung Gottes im Auge, sie versenken sich
gleichsam in den Abgrund seiner Heiligkeit.
Strom des
Erbarmens vom Kreuz hervorgegangen
Der
Herr hat meiner Seele heute neue Erleuchtungen über das
Geheimnis des Fegfeuers geschenkt. Es wurde mir wie ein
Strom mit reichlichem Wasser gezeigt, hervorgegangen vom
Kreuz beim Tode des Erlösers: ein Strom des Erbarmens
mit feurigen Wassern. Es ist eine rein intellektuelle
Schau, die ich mich bemühe, auf die beste Weise zu übersetzen.
Ich
habe eingesehen, daß das Fegfeuer durch Christus, den
Heiland, erschaffen wurde — oder genauer durch den
Vater in Ihm — der am Kreuz gestorben, um alle
Menschen zu erlösen, als Sieger über den Tod, dessen
Herrschaft er gebrochen und dessen Macht er zurückgedrängt
hat. Vor des Menschengeschlechtes Erlösung aufgrund des
Opfers Christi war der Himmel für uns verschlossen, die
Erbsünde hatte dessen Zugang verriegelt, und trotzdem
zog die göttliche Liebe die Gerechten dorthin; aber es
war notwendig, daß Christus sich zum Tor des Himmels
machte durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung:
er allein besitzt die Macht, dem Menschen zu öffnen,
was durch die Sünde des Menschen verschlossen war, er
allein ist die Himmelstür, durch ihn allein haben wir
Zugang zum Himmel.19
Vor
der Erlösung konnten die Seelen der Gerechten keinen
Zugang zum Himmel finden, sie warteten in der Vorhölle
oder in der Unterwelt; die göttliche Liebe zog sie an,
doch die Gerechtigkeit hielt sie noch außerhalb des
Himmels zurück. Das Tor mußte sich öffnen, es hat
sich geöffnet im gekreuzigten und auferstandenen
Heiland, in dem die Gerechtigkeit sich voll auswirken
und so sehr zufrieden gestellt werden konnte, daß die
Barmherzigkeit, die bisher in Gott zurückgehalten
wurde, sich in Fülle über das Menschengeschlecht ergießen
konnte. Der Heiland, der die barmherzige Liebe ist, hat
in seinem Leiden und seinem Sterben die unendliche Liebe
und die strenge Gerechtigkeit vereint, die sich nun voll
auswirken.20
Das
Fegfeuer wurde uns durch Christus, den Erlöser
geschenkt, der die barmherzige Liebe ist, als Unterpfand
und Stätte der Begegnung der strengen Gerechtigkeit und
der unendlichen Liebe: in ihm müssen die der
unendlichen Liebe Gottes ausgelieferten und durch ihn
gefesselten Seelen jedoch noch — soweit dies nötig
ist — der göttlichen Gerechtigkeit ihre Schuld
abbezahlen.21
Das
ist ein bißchen schwierig in Worte zu fassen, ich hoffe
aber, daß ich mich verständlich machen kann trotz der
Unbeholfenheit im Ausdruck, da ich die Gewißheit habe,
daß, wenn das dunkel und verworren ist, so wird die
Mutter Kirche es gern verdeutlichen. In diesem innern
Licht also habe ich das Fegfeuer geschaut wie einen
Feuerstrom, einen Strom des Erbarmens, der vom Kreuze
hervorgeht. In diesem Strom des Erbarmens, welches das
Fegfeuer ist, werden die Seelen durch die flammende
Liebe Gottes umkleidet, die sie läutern will, um sie in
ihre innige ewige Vertrautheit einzuführen: den Himmel.
Ich habe eingesehen, daß der Himmel uns in Christus zugänglich
gemacht wird, der das für immer offene Tor ist; aber um
durch dieses Tor hindurchzugehen, muß man von jeder
Schuldenlast gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit
frei sein; das Fegfeuer dient nun genau den Seelen, sich
von ihrer Schuld zu entledigen. Ich habe es geschaut als
einen Feuerstrom, der von den Flammen der göttlichen
Barmherzigkeit genährt wird, und diese Flammen gehen
aus dem am Kreuz für das Heil des Menschengeschlechts
durchbohrten Herzen Jesu hervor. In diesem Sinn befindet
sich das Fegfeuer in gewisserweise im erbarmungsreichen
Herzen Jesu, wie auf eine andere Weise die streitende
Kirche darin ist, und noch einmal auf eine andere Weise
das Paradies: alles wird in der Liebe als seinem Haupt
zusammengefaßt.
Das
Siegel des
Kreuzes ist auf das Fegfeuer gesetzt
Als
ich den Rosenkranz für die armen und heiligen Seelen im
Fegfeuer betete, schaute ich — auf eine ganz
innerliche Weise — ein sehr beeindruckendes Bild: das
Fegfeuer wurde mir als ein sehr dicht bevölkerter Ort
der Sühne gezeigt, der sich im Erdmittelpunkt befinden
soll. Aber das ist wahrscheinlich ein Sinnbild, um
verstehen zu lassen, wie sehr diese Seelen im Fegfeuer
zugleich noch weit weg sind von der himmlischen
Herrlichkeit und auch schon von uns hienieden. Das
Eindrucksvollste war ein unermeßlich großes
dunkelrotes Kreuz, das gleichsam auf dem Fegfeuer
angebracht war, um es in seinen Grenzen zu halten und
zum Teil vom Himmel, zum Teil von der Erde abzusondern.
Ich
sah dadurch ein, daß all unsere Gebete, all unsere Fürbitten
zugunsten der Seelen zuerst zum Himmel emporgehoben
werden, um sodann als Regen der Tröstungen über die
Seelen im Fegfeuer niederzugehen; ebenso ergießen sich
Fürbittgebete der Heiligen und durch sie erlangte
Gnaden auf eben diese Weise: durch das Kreuz und
sozusagen in der Kraft des Kreuzes. Mein Schutzengel
erschien dann, um mir zu sagen:
Das
Siegel des Kreuzes ist auf das Fegfeuer gesetzt. Das
heilige Kreuz ist das Zeichen der Barmherzigkeit und das
Instrument für euer Heil, alle zu eurem Heil
notwendigen Gnaden werden euch in ihm gewährt. Das
Fegfeuer ist ein Geschenk der Barmherzigkeit, eine Schöpfung
der barmherzigen Liebe, die vom heiligsten Kreuz
hervorgegangen ist: es ist eine Gnade des Erbarmens und
der Rettung. Deshalb wird das Kreuz darauf gesetzt, wie
es auf alles, was auf euer Heil hingeordnet ist, aufgeprägt
wird.
Dann
gab er mir ein Zeichen, ich solle fortfahren für die
Seelen im Fegfeuer zu beten. Ich betete also den
Rosenkranz zu Ende. Sodann nahm mein Engel die
Unterweisung an mir wieder auf:
Ohne
das Heilige Kreuz gäbe es keine Kirche, und es gäbe
kein Fegfeuer. Die Heilige Kirche ist die Kirche des
gekreuzigten Jesus, sie muß mit ihm in das Geheimnis
des Kreuzes eingehen, um in ihm in das Licht der ewigen
Herrlichkeit zu gelangen. Und das Fegfeuer gestattet
zahlreichen Seelen, die nicht vollständig in Jesus, den
Gekreuzigten, eingegangen sind, die nicht in sich selber
die Sühnopferberufung der Kirche angenommen haben,
schlußendlich doch in Christus dem Gekreuzigten
vollendet zu werden und in ihm zur Herrlichkeit des
Himmels zu gelangen. Deshalb wurde das Kreuz wie ein
Siegel auf das Fegfeuer aufgeprägt.
Gott liebt die
Seelen im Fegfeuer
An
diesem besonders den Verstorbenen geweihten Tag, zeigte
sich der Schutzengel meinem innern Auge im Licht erglänzend.
Er sagte:
Schau
her und sage dem Höchsten Dank!
Ich
schaute das ganze Fegfeuer in einen dreifachen Strahl
von Licht, Wasser und Blut eingetaucht, der aus dem
eucharistischen Herzen Jesu hervorkam. Meine Seele
jubelte bei dieser herrlichen Vision, und der Engel fuhr
fort:
Um
dir begreiflich zu machen, wie sehr Gott diese heiligen
Seelen liebt, geschah dies. Denn sie sind heilig, wie du
weißt. Im Blutstrom, der das Fegfeuer umfängt,
betrachtet der Vater mit Erbarmen die leidenden Seelen,
er sieht sie freigekauft im Blut seines göttlichen
Sohnes, und in ihrer Rettung findet er seine größte
Herrlichkeit. Im Strom des durchsichtigen Wassers, der
sich ergießt über das Fegfeuer wie ein erfrischender
Tau, und worin die Seelen eingetaucht und gewaschen
werden, übt Jesus auf sie eine Anziehung der Liebe aus:
er lädt sie ein, in die Herrlichkeit des Himmels
einzugehen, er zieht sie in sich hinein zum Vater hin.
Im Strom feurigen Lichtes, der das Geheimnis des
Fegfeuers erleuchtet, ergießt der Geist seine
Liebesflammen durch das eucharistische Herz Jesu, um
damit die heiligen Seelen zu entflammen.
Ich
befand mich in äußerstem Jubel, da ich diese Worte
vernahm. Der Engel schloß:
Die
göttliche Dreieinigkeit liebt die Seelen im Fegfeuer;
der Vater liebt sie in seinem Sohn und in ihrem Geist,
der Sohn liebt sie für den Vater und in ihrem Geist,
der Geist liebt sie mit dem Vater und dem Sohn; jede von
den drei Personen betrachtet in diesen Seelen das große
Geheimnis der Rettung der Menschen, was ihre größte
Ehre ausmacht und den Beweggrund ihres beständigen
Jubels. Der Vater hat die Menschen durch den Sohn und in
ihm gerettet, der Sohn hat sie für den Vater
losgekauft, der Geist verwirklicht in ihnen das Heil,
das ihnen durch den Vater im Sohn angeboten wird. Und
ihre Herrlichkeit ist vollkommen und vollendet ihr
Jubel.
Diese
Worte waren ein bißchen schwer zu fassen, aber der
Engel hat mich eingeladen, es aufzuschreiben, wie er es
mir sagte. Ich hoffe keinen Irrtum begangen zu haben.
Dank sei Gott! Alles ist vor meinem innern Blick
entschwunden.
Des ewigen
Tages Morgenröte
«Nacht
wird es keine mehr geben; und sie brauchen weder das
Licht einer Lampe, noch das Licht der Sonne, denn der
Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten und sie werden
herrschen in die Ewigkeit der Ewigkeiten» (Offb 22,5).
So
sieht die glanzvolle Vision des Himmels aus, die der
Herr uns in der Offenbarung gewährt, eine Schau des
ewigen Tages Gottes. Wie jeden Tag habe ich eine Stelle
aus der Heiligen Schrift gelesen und betrachtet, und
diese Worte des Apostels Johannes haben mir viel
gebracht. Ich dachte darüber nach, um meinen Glauben zu
stützen und meine Hoffnung zu nähren, als mein Geist
sich stark hinneigen ließ, für die Seelen im Fegfeuer
zu beten und für sie eine baldige Befreiung zu
erbitten, damit sie im Himmel dieses anmutige Licht
Gottes verkosten.
Und
ich begriff, daß das Fegfeuer so etwas wie die Morgenröte
dieses Tages ist: eine Art Bereich des Halbschattens im
Vergleich zum Licht des Paradieses, und im Vergleich zur
Dunkelheit des Glaubens hienieden auf Erden. Das war
weder eine Vision, noch ein Bild, sondern die Frucht
einer Betrachtung, die sich ganz der Führung des
Heiligen Geistes überließ.
Es
schien mir, wir befänden uns auf der Erde in der Nacht
und daß wir uns bemühen, diesen ewigen Tag zu
erreichen, welches der Himmel ist. Und wir empfangen bei
unsrer Arbeit hienieden zahlreiche Erleuchtungen und
viele Tröstungen dank der Heiligen Kirche, die uns führt,
die uns erleuchtet, die uns unterweist, die uns ernährt
und uns beisteht... All das soll uns das Arbeiten
erlauben, um den Himmel zu erlangen! Wenn wir unser Werk
vollbracht haben, wenn alles vollendet ist, gut
verwirklicht, ohne Hemmnis oder Verspätung, gehen wir
geradewegs in den Himmel, um dort unsere Belohnung und
Ruhe zu empfangen. Wenn aber unsere Arbeit nicht gemacht
ist, wenn sie schnell zusammengepfuscht, geflissentlich
unbrauchbar gemacht wurde, wenn alle Hilfen, die wir
bekamen, verachtet, verworfen, ja sogar entweiht wurden,
dann erfolgt die Verdammung, die ewige Nacht... Der Herr
behüte unsere Seelen, er möge uns davor bewahren! Und
wenn das Werk unvollendet ist, wenn Nachbesserungen,
Berichtigungen zu machen sind, kommen wir ins Fegfeuer,
in diese Morgenröte, die dem Tag vorausgeht, in den
Schattenbereich, der dem Himmelslicht vorausgeht. Aber
dort können die Seelen nicht mehr wirken: im Fegfeuer
kann man keine Verdienste mehr erwerben! Wir werden
darauf warten müssen, daß unsere Brüder auf Erden
unsere unvollendete Arbeit durch ihre Gebete und Fürbitten
auf irgendeine Weise zu Ende führen und das Verlorene
wieder einholen, denn das ganze Wirken der Menschheit
ist ein Zusammengehöriges zur Verherrlichung Gottes und
zum gemeinsamen Aufrichten seiner Königsherrschaft in
Ihm.
Feuriger
Vorraum zum Hause des Vaters
In
einer sehr deutlichen innern Schau wurde mir gezeigt, daß
das Fegfeuer so etwas ist wie der feurige Vorraum zum
Hause des Vaters, Vorraum, durch den gewisse Seelen
hindurchgehen und sich darin mehr oder weniger lang
aufhalten müssen, ehe sie Zugang zu den himmlischen
Wohnungen bekommen. Ich habe es mit Leichtigkeit
begriffen aufgrund einer starken, meinem Verstand gewährten
Erleuchtung. Zur selben Zeit schaute ich ein sehr schönes
Bild:
Der
Himmel wurde mir als eine weitläufige Wohnanlage
gezeigt, ein reichhaltiges zusammengehöriges Ganzes mit
herrlichen, lichtvollen Gebäuden, wobei die einen mit
den andern durch Lichtgalerien verbunden waren, und das
Ganze lag in einem wundervollen Garten, der mit
Lichtmauern umgeben war und von einer Engelschar behütet
wurde. In der Mitte des Gartens ragte ein riesiger Baum
empor, grünend, prachtvoll, mit allerlei köstlichen Früchten
und wohlriechenden Blütengirlanden beladen, und überreich
an Laub. Dies war eine sinnbildliche Darstellung des
Baumes des Kreuzes und der Gnaden, wofür er die Quelle
ist. Über dem Baum leuchtete eine glänzende Sonne, die
ihr Licht in der ganzen Wohnanlage verbreitete und sich
überallhin als eine siebenfache Lichtquelle mitteilte.
Ich
schaute Tausende von Seelen, die an die Tore des Himmels
gelangten. Einige wurden in die Wohnungen des Vaters
eingeführt, andere — in größerer Anzahl — wurden
von den Engeln in den feurigen Vorraum zu diesen
himmlischen Wohnungen hingeführt: sie sollten dort im
Feuer Flecken oder genauer Makel reinigen, die ihre weißen
Kleider beschmutzten, Überreste von früheren Flecken,
die zwar gewaschen, aber nicht vollständig getilgt
waren.
Im
Himmel pflückten Engel und Heilige allerlei Früchte
und Blüten am Baum des Kreuzes und legten sie in feine
Goldkörbe nieder, welche andere Engel zur Kirche auf
Erden hintrugen, aber auch zum feurigen Vorraum, um die
Seelen auf Erden und im Fegfeuer zu unterstützen und
ihnen beizustehen. Und von der Erde stiegen die Engel zu
Zehntausenden wieder zum Himmel empor mit ihren Körben,
die diesmal mit Weihrauchkörnern gefüllt waren, und
die sie vor Gottes Angesicht verbrannten, welches die
Gebete und die guten Werke der Kirche hienieden waren.
Eine gewisse Menge dieser Weihrauchkörner wurden auf
besondern Altären verbrannt, die von Engeln bedient
wurden und diese gaben dafür Früchte und manchmal
Blumen, die für den feurigen Vorraum bestimmt waren.
Ich begriff, daß diese Weihrauchkörner die Fürbitten
zugunsten der armen und heiligen Seelen im Fegfeuer
sind. All das geschah im Licht und unter Gesängen,
unter Gebet und Jubel... Ich sah ebenfalls, daß, je
zahlreicher die Fürbitten zugunsten der Seelen im
Fegfeuer sind, um so reichlicher sind die Früchte und
die Blüten: Gebetsgnaden und Ablaßgnaden, welche die
Seelen, die noch im Fegfeuer weilen, trösten und ihre Läuterungszeit
abkürzen oder gelegentlich gewisse von ihren Qualen
mildern. Unablässig kamen Seelen aus dem feurigen
Vorraum, aus dem Fegfeuer, um in den Himmel einzugehen,
da ihre Kleider strahlend weiß geworden waren, sie
gesellten sich der Schar der Heiligen bei, und dabei
sangen sie die Lobgesänge Gottes und besaßen ihn für
immer und jubelten vor ewiger Freude.
Gefangene der
Barmherzigkeit und von der Gerechtigkeit bewacht
In
einer ganzen Anzahl von Innern Einsichten, die mir der
Herr über das Fegfeuer gewährt hat, vermochte ich in
dieses große Geheimnis einzudringen, insofern er es für
meine unwürdige Seele als gut erachtet hat und für die
geistliche Erbauung der Leute, die diese Seiten lesen würden;
ohne Zweifel hat er sich vorbehalten, sie zu heiligen,
indem er diese Geheimnisse seines Herzens einem so
armseligen Werkzeug wie mir anvertraute... Er wird
gestatten, daß man für mich betet, wenn man diese so
ungeschickten Niederschriften liest.
Das
Fegfeuer wurde mir als ein mystisches Gefängnis
gezeigt, das von der göttlichen Barmherzigkeit22
errichtet und von der Gerechtigkeit bewacht wurde; aber
dieses Gefängnis besitzt eine gewisse Anzahl von
Eigenheiten, die daraus etwas Einmaliges machen. Das
Fegfeuer ist wie ein Gefängnis aus Licht und Feuer, das
von der göttlichen Barmherzigkeit erbaut wurde: die
Seele muß dort die Strafe für ihre Sünde abbüßen;
um fähig zu werden, danach in die ewige Seligkeit
einzugehen, muß sie sich von allem, was sie noch an
ihrem Eintritt in den Himmel hindert, reinigen lassen.
Was jedoch am bemerkenswertesten an diesem Gefängnis
ist, es gibt da keine Mauern, keine Zellen, keine Wächter:
die Seele allein wacht gewissermaßen über sich, es
widerfährt ihr kein anderer Zwang, als der ihrer vollständigen
Gleichförmigkeit mit dem reinen Willen Gottes. Die
Seele ist nicht eingeschlossen: sie hält sich sehr frei
im Fegfeuer auf. Da sie eine sehr klare Einsicht über
sich selber und ihre derzeitige Unfähigkeit, in den
Himmel einzugehen, besitzt, so läßt sie sich durch die
göttliche Liebe gefangennehmen und mächtig anziehen,
die sie einlädt, und zugleich durch die göttliche
Gerechtigkeit zurückhalten, die ihre Forderungen
stellt, und der sie, was es sie auch kosten mag,
Genugtuung leisten muß und will.
So
daß der einzige, rein mystische Zaun dieses Gefängnisses
die göttliche Gerechtigkeit ist: die ganze
Verpflichtung der Seele im Fegfeuer und damit ihr Leiden
besteht darin, sich liebevoll Gott auszuliefern, der sie
mächtig anzieht in einem ungestümen Ansturm der Liebe,
und ihr zugleich die Forderungen seiner Gerechtigkeit
kundtut. Und die Seele brennt darauf, sich in die Arme
der unendlichen Liebe zu stürzen, aber sie vermag es
nicht, solange sie nicht all ihre Schumlden der göttlichen
Gerechtigkeit gegenüber beglichen hat: das also ist das
Fegfeuer.
Ich
habe gesehen, daß eine Seele lieber tausend und
abertausendmal bis zum Jüngsten Gericht im Sühneleiden
des Fegfeuers bleiben möchte, als es zu wagen (wenn das
möglich wäre) im vertrauten Umgang mit Gott zu
erscheinen, ohne ihre Schulden der göttlichen
Gerechtigkeit gegenüber restlos beglichen zu haben: sie
zieht es lieber vor, noch weiterhin geläutert zu
werden, und ihr Kleid gewaschen und wiedergewaschen zu
sehen, als zum ewigen Gastmahl des Himmels mit dem
kleinsten Makel an ihrem Kleid zu erscheinen. Doch was
das betrifft, so stellt sich diese Frage für die Seelen
im Fegfeuer überhaupt nicht, denn sie haben eine so
klare Sicht über sich selber und über die göttliche
Barmherzigkeit, daß sie sich restlos in allem Gott überlassen,
wobei sie ihm in allem die Führung ihrer Läuterung und
die Initiative für ihre Befreiung überlassen.
Vision vom Großen
Fegfeuer
Als
ich mich eben zur Ruhe gelegt hatte und noch einige
Gebete für die heiligen Seelen im Fegfeuer23
verrichtete, zeigte sich mein Schutzengel bei mir; und
er sagte mit Ernst:
Schau,
mein Kind, und bete viel!
Ich
schaute mit den Augen meiner Seele ein entsetzliches,
grenzenloses und gestaltloses Feuer, das brannte, ohne
sich je zu verändern unter einer lästigen Stille.
Nicht ein Knistern, noch gar ein dumpfes Brummen, wie im
allgemeinen die Brandherde es aufweisen, nichts als
dieses Feuer, das unveränderlich schien, mit
andauernder Intensität, von immer gleicher Gewalt und
Glut. Ich verspürte an meinem ganzen Leib die
Verbrennungen durch dieses Feuer und einen glühenden
Durst im Mund. Das entsetzte mich. Diese Angst nahm noch
zu, als ich in diesem Feuer tausende und abertausende
von armen Seelen sah, eine an die andere geklemmt, aber
ohne miteinander in irgendeiner Verbindung zu stehen, außer
durch dieses Feuer selbst. Sie schienen bedrückt und
sozusagen zerdrückt von diesem Glutherd, in dem sie
sich aufhielten. Zugleich war es mir vergönnt,
verschiedene Dinge zu erkennen. Was ich da so staunend
betrachtete, das ist das Große Fegfeuer, das — wenn
ich richtig verstanden habe, wie die Hölle ist,
vermindert um die Ewigkeit der Strafen und den Haß
gegen Gott und die andern Seelen; weg fällt auch die
Verzweiflung. Dieser furchtbare Zustand ist
unaussprechlich, ich habe ihn so wahrgenommen.
Die
Seelen in diesem Großen Fegfeuer sind fortwährend in
ihrem bloßen und trockenen Zustand in die Hoffnung
eingetaucht, durch eine große Einsamkeit gleichsam
gefesselt und eingeschlossen in dieses Feuer der göttlichen
Liebe, in der Verfügbarkeit dem reinen Willen Gottes
gegenüber, in einem schmerzhaften von Angesicht zu
Angesicht mit der Heiligkeit Gottes. Es schien mir,
diese Seelen seien auf eine verworrene Art auf Gott
hingewendet, das heißt ohne ihn auf eine bestimmte Art
wahrzunehmen, und einfach auf eine sehr schmerzliche Art
in seinem reinen Wollen angesiedelt. Wenn ich mich nicht
täusche, so habe ich gesehen, daß sie in diesem
Zustand mehr gereinigt als getröstet wurden, mehr
gebrannt als erleuchtet: es ist ein furchtbarer Zustand.
Ich vermochte zu begreifen, daß in diesem großen
Fegfeuer das Wichtigste für die Seelen, die sich dort
aufhalten, eine langwierige Arbeit dauernder Zerstörung
dieses Gangsteins24
ist, wovon ich gesprochen habe, und welches die Sündenstrafe
ist. Es geht da um eine in gewissem Sinn sehr passive Läuterung,
obwohl die Seele mit all ihren Kräften aufgrund der
vollkommenen Einigung ihres ganze Wesens, all ihrer Wünsche
und ihres ganzen Wollens mit dem reinen Willen Gottes
mitwirkt. Aber dabei kann die Seele weder ihre Läuterung,
noch die fortschreitende Arbeit dieser in ihr durch die
göttliche Liebe bewirkten Läuterung ermessen, sie
verspürt in diesem Fegfeuer weder den geringsten
Fortschritt, noch die geringste Linderung ihrer Qualen:
sie weiß keineswegs, ob diese Strafe lang dauern wird
oder nicht, sie besitzt nur eine ziemlich genaue
Kenntnis ihres Zustandes, um zu wissen, daß sie hofft,
weil sie gerettet ist, und daß sie aus diesem Ort der
Reinigung herauskommen wird, aber sie weiß nicht wann:
sie vermag die Dauer dieser Strafe nicht abzuschätzen,
und auch nicht die Etappen ihrer Reinigung abzumessen.
Aufgrund dieser verworrenen, aber sehr lebhaften
Kenntnis ihres Zustandes, wird die Seele, die sich im
Großen Fegfeuer aufhält, gleichsam in ein Geheimnis
großer Einsamkeit eingetaucht; aber sie weiß
gleichfalls, daß sie von Gott nicht verlassen ist, und
auch nicht von der Heiligen Kirche; ihre Erkenntnisse
sind jedoch von einer so allgemeinen Art, daß sie
grausam ihren Zustand verspürt, und dabei kann sie gar
keinen andern Trost finden, als eine trockene Hoffnung,
weil ihre Fähigkeiten geheimnisvoll in ihrer Tätigkeit
gebunden sind, nicht imstande zu irgend etwas anderem
als zu einer blinden Unterwerfung unter die Forderungen
der Heiligkeit Gottes25
zu sein.
Das
Große Fegfeuer ist zwar ein sehr schmerzhafter Zustand,
aber es gibt dort so etwas wie Tröstungen. Die erste
ist die wichtigste und begründet die eigentliche
Hoffnung der Seelen im Fegfeuer: es ist einfach zu
wissen, daß man gerettet ist, vollumfängliche und
beruhigende Gewißheit, als Quelle der Tröstungen, des
Friedens, des Glückes, des Dankes an Gott und des
Wunsches, ihn zu verherrlichen. Aber es gibt auch kürzere
Lichtschimmer und so etwas wie blitzartiges Aufleuchten
in diesem Feuer von einer sehr beeindruckenden Gewalt
und Farbe: denn dort ist das Feuer wie in einer
Schmiede, das Feuer ist fast schwarz, so gewaltig ist
dessen Hitze. So wenigstens habe ich es betrachten dürfen,
der Herr wollte ohne Zweifel mich durch dieses
symbolische Bild die Auswirkungen dieses Feuers, das für
die Seelen, die sich darin versenkt befinden, mehr
Reinigungskraft als Leuchtkraft besaß, verstehen
lassen. Es gibt also in diesem Feuer so etwas wie
Lichtschimmer, als weit entfernte, sehr gedämpfte Echos
von der lauten Freude des Himmels und vom Gebet der
Heiligen Kirche für die Seelen im Fegfeuer. Aber in
diesem Großen Fegfeuer verspüren die Seelen keineswegs
auf fortdauernde Weise die Erleichterungen, die ihnen
die Fürbitten zu ihren Gunsten verschaffen; im übrigen,
und das bedeutet für sie eine unerhörte Qual, sind die
Seelen in einem solchen Verlangen nach Gott versunken,
das fortwährend geweckt und neu belebt wird, daß sie
darunter leiden, schon dadurch, daß sie es empfinden,
aber nicht wahrnehmen können, wie sehr Gott liebevoll
darauf anspricht.
Diese
armen Seelen des Großen Fegfeuers verkosten ebenso
wenig eine gewisse andere sehr süße Tröstung, womit
die Seelen im Mittleren Fegfeuer und besonders im Vorhof
begünstigt werden: sie haben nicht die Freude, die
Jungfrau Maria und auch nicht die Heiligen zu sehen, die
im Himmel für sie beten und sie dürfen manchmal nur
ganz kurz — wie in einem Aufblitzen — ihre
Schutzengel sehen, die ohne Unterlaß für sie beten.
Anläßlich von gewissen liturgischen Festen, hören sie
etwas wie ein sehr gedämpftes Echo von der lauten
Freude der Himmelsbewohner, die sie ermutigen und trösten.
Ich rede von Sehen und Hören, um eine gewisse Art von
Beziehungen und Austauschvorgängen auszudrücken, deren
Ablauf uns aber unbekannt bleibt, die aber nichts desto
weniger existieren, vergleichbar mit der Art und Weise,
wie die Engel und die Heiligen das Angesicht Gottes
schauen und sein Wort vernehmen und wie sie miteinander
in Verbindung stehen. Von den Fürbitten der streitenden
Kirche zu ihren Gunsten nehmen diese Seelen im Großen
Fegfeuer überhaupt gar nichts wahr. Diese Fürbitten
werden ihnen aber nichts desto weniger zugewendet, aber
sie wissen nichts davon; sie bewirken vor allem eine
Verkürzung der Dauer des Großen Fegfeuers.
Während
ich dieses Geheimnis staunend betrachtete, betete ich
eifrig für diese leidenden Seelen, und ich flehte zu
meinem Schutzengel, er möge sein Gebet mit meinem
Flehen verbinden. Wie ist es möglich, so große Qualen,
so schwere Schmerzen zu ertragen? Der Engel hielt mich
fest an meinem Arm; das ist offenbar ein Bild, dazu
bestimmt, mich verstehen zu lassen, daß er mich stärkt,
mir beisteht und mir von Gott her die Gnade mitteilt,
diese übernatürlichen Wirklichkeiten aufmerksam zu
betrachten. Ich weiß jedoch nicht, wie ich bei diesen
besondern Anlässen seine Gesten, diese Gnaden
geistlicher Art, die eine konkrete Ausdrucksform
besitzen, wahrzunehmen vermag. Und er sagt dann zu mir
in einem Ton tiefen Ernstes:
Du
weißt, daß der kleinste Fehler eine unendliche
Beleidigung Gottes ist.26
Diese heiligen Seelen wissen es auch, und inmitten ihrer
Leiden hören sie nicht auf, dem Höchsten für die
Leichtigkeit ihrer Strafe zu danken. Denn die Strafe ist
endlich, während die Beleidigung unendlich ist, und da
es nicht nur eine Beleidigung gab, sondern eine große
Anzahl unendlicher Beleidigungen! Im Großen Fegfeuer
gibt es gewiß sehr große Sünder, doch befinden sich
dort im allgemeinen alle Seelen, die viele Gnaden
empfangen haben und die ihnen nicht zu entsprechen wußten,
Seelen, die schwere Verantwortungen übernehmen mußten
und die nicht imstande waren, dies vollkommen zu tun.
Deshalb
wirst du im Großen Fegfeuer eine sehr große Zahl an
Priestern und gottgeweihten Seelen sehen, Prälaten,
Bischöfe, Kardinäle und sogar Päpste. Du wirst dort
auch zahlreiche führende Politiker, Staatsoberhäupter
und Führer von Völkern sehen, Könige, Kaiser, Fürsten
und Regierende. All diese armen Seelen müssen die
Strafen des Großen Fegfeuers erleiden, neben
Verbrechern, Prassern und allen großen Sündern, die
die göttliche Barmherzigkeit gerettet hat und die —
oft in der letzten Stunde — dem ewigen Abgrund zu
entrinnen vermochten... Bete, ja bete viel, und laß für
diese Seelen beten! Betet auch ganz besonders für die
Gottgeweihten und für eure Leiter, denn sie müssen
Gott genaue Rechenschaft geben. Verharre im Frieden, fürchte
nichts, sei treu!
Als
er diese Unterweisung beendet hatte, verschloß sich das
Geheimnis des Großen Fegfeuers wieder in sich, indessen
sangen Stimmen mit einem tieftraurigen Ton: «Meine
Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott: wann
darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?» (Ps 42,3).
Sodann
erloschen all diese Dinge für mein inneres Auge. Ich
stellte fest, daß während diesen Visionen meine Haut
rot geworden war und mich schmerzte, wie wenn ich einen
Sonnenstich bekommen hätte und meine Hände und meine
Lippen waren gesprungen. Dank sei Gott! Der Herr läßt
manchmal solche äußere, recht nebensächlichen Zeichen
zu, um den Zweifel zu verscheuchen, der sich nach
solchen Mitteilungen in meinen Geist einzuschleichen
versucht. Wenn solche Zeichen unangenehm oder sogar
schmerzhaft sind, machen sie eine kleine Opfergabe aus
zugunsten dieser heiligen Seelen: ihre Bedeutung, ihr
Wert liegt vielleicht vor allem darin.
Vision des
Mittleren Fegfeuers
Spät
am Abend, während ich mich in der Stille und Einsamkeit
befinde, um ein wenig für die Seelen im Fegfeuer zu
beten, tut sich der Schutzengel, ganz von Licht umgeben,
neben mir kund. Während er die Hand ausstreckt, sagt
er:
Schau,
mein Kind, und bete viel!
Da
schaute ich mit den Augen meiner Seele, wie sich ein
Feuermeer vor mir auftat. Es braust und donnert,
riesige, sehr helle Flammen bilden sich und lösen sich
unablässig auf, sie krachen und zischen mit solcher
Wucht, daß mir die Ohren davon gellen.
Und
dort strecken tausende und abertausende von Seelen die Hände
empor, versenkt ins Feuer und von den Flammen
gepeitscht, die sie emporschleudern in einer Art
schwungvollen Ansturmes. Dieses Schauspiel läßt mich
zurückweichen, ich bete mit größtmöglichem Fleiß,
doch es scheint mir, als würde dieses Feuer sogar
meinen Leib erreichen, daß Feuerriemen mich unablässig
ohrfeigen, und mein Mund ist trocken und hart, ich bin
am Ersticken...
Es
scheint mir, daß alle Seelen, die ich sehe — und es
sind Riesenscharen! — sich in dieser Folter des
Erstickens befinden, und es ist keineswegs so statisch
wie gestern; ich meine, sagen zu dürfen, daß ich in
dieser derzeitigen Schau eine sehr diskrete und zugleich
gewaltsame Bewegung, in ihren Kundgaben kaum spürbar
und trotzdem sehr dynamisch, wahrnehme: die Seelen
befinden sich in dieser Bewegung, ich glaube, daß sie
davon eine verworrene, sehr schmerzliche Wahrnehmung
haben. Es gibt da in diesem Mittleren Fegfeuer so etwas
wie eine Seelenbewegung, ein Beginn, sich auf den Weg
zum Himmel zu machen, aber ohne den leisesten persönlichen
Wunsch; es ist wie ein innerer Aufschwung, der sie trägt
oder sogar zu Gott hintreibt, Schwung, den ihnen ein
bewegendes Einwirken der unendlichen Liebe auf sie und
in ihnen verleiht, gleichsam als würde sich Gott über
sie herabneigen, um sie an sich zu ziehen. All das ist
schwierig, darzulegen.
Vom
Beginn dieser Beschauung an habe ich begriffen, daß es
sich dabei um das Mittlere Fegfeuer handelt, worin mir
die Seelen, wie in die sich bewegenden Flammen eines
hellen Feuers eingetaucht, gezeigt werden. Sie sind
allein und stehen vor der Majestät und Heiligkeit
Gottes in einer unsagbaren Hoffnung, die ihr Trost ist.
Es wird ihnen gestattet, Gott in seinen Erweisen der
Barmherzigkeit wahrzunehmen, wofür sie ihn unaufhörlich
verherrlichen. Sie haben von Gott präzisere
Erkenntnisse als jene, welche die Seelen im Großen
Fegfeuer haben, und sie werden gewiß gereinigt, —
wodurch sie viel leiden — aber auch erleuchtet, was
sie tröstet und ihnen erlaubt, Gott zu verherrlichen,
nicht nur indem sie sich ihm und seinem reinen Willen
radikal ausliefern, sondern indem sie eine
Dankesinitiative ergreifen. Es ist ein Zustand großer
Leiden und großer Tröstungen. Im Großen Fegfeuer
werden die Seelen passiv in einer trockenen, ganz
nackten Hoffnung dem reinen Willen Gottes ausgeliefert;
hier, im Mittleren Fegfeuer, werden sie angezogen und
nehmen das mit Offensichtlichkeit wahr; sie können
jedoch nicht auf den zugehen, der sie anzieht, sie
werden zugleich gewaltig angezogen und fest zurückgehalten.
Doch stehen sie in einer radikalen Verfügbarkeit für
die göttliche Liebe, wobei sie mit Dank dieses Feuer,
diese Leiden, dieses innerste Zerrissenwerden annehmen,
und keineswegs die Intensität und die Dauer ihrer
Strafen zu erahnen suchen, worüber sie strikt keine
Kenntnis, ja gar keine Vorstellung haben; sie leiden,
ohne zu wissen, wieviel noch, wie lange. Die Seelen im
Fegfeuer haben gar keinen Blick auf sich selber und sie
haben nicht die Fähigkeit, ja nicht einmal den Willen
oder den bloßen Wunsch, sich Fragen zu stellen. Sie
lieben, beten und sühnen durch Liebe in einer
liebevollen Verfügbarkeit für die Forderungen der
Heiligkeit Gottes.
Diese
Seelen im Mittleren Fegfeuer leiden viel. Ich glaube, je
mehr die Seele gegen Ende ihrer Läuterung von Gott
angezogen wird, um so heißer wird in ihr das Verlangen
nach Gott und das verursacht bei ihr immer lebhaftere
Schmerzen: je mehr man sich einem Ziel nähert, um so
mehr drängt es einen, dies zu erreichen. So verhält es
sich im Fegfeuer, Gott jedoch läßt die Stunde der
Befreiung nicht wissen; einzig das Leiden an der Liebe
wird immer stürmischer und brennender, während die
Empfindungsstrafen fortschreitend verschwinden. Im
Mittleren Fegfeuer genießen die Seelen sehr große Tröstungen
und Freuden, die sie nicht nur mit Jubel und Dank erfüllt,
sondern ihr Verlangen, Gott zu schauen, noch entflammt
und auf diese Weise das große Leiden der Sehnsucht nach
Gott noch anfacht.
Die
erste unter diesen Tröstungen ist die Erfahrung, welche
diese Seelen mit der unendlichen Zärtlichkeit, die Gott
ihnen entgegenbringt, machen. Sie nehmen die göttlichen
Liebesanstürme wahr, die sie anziehen, während sie
diese als Jubel und Schmerz in ihrem Innersten
empfinden; ihre Nächstenliebe wird dadurch erweitert,
nicht in sich, aber in ihren Anwendungen. Denn es werden
ihnen von
Zeit zu Zeit die Fürbitten gezeigt, die ihnen
zugewendet werden, die guten Werke, die von der Erde zum
Thron der göttlichen Dreieinigkeit aufsteigen und für
sie bestimmt sind: sie jubeln und sagen Dank. Aber auch
umgekehrt können sie sehen, daß gewisse Leute nicht für
sie beten oder sie völlig vergessen haben: sie werden
dadurch betrübt, nicht etwa für sich selber, sondern für
diese Leute, die sich dadurch um kostbare Gnaden bringen
und vor allem wegen Gottes Herrlichkeit, die sie gar
wenig bedient und angebetet, jedoch vernachlässigt
sehen, und das ist für sie ein großer Schmerz, sehen
zu müssen, daß Gott nicht geliebt und verherrlicht
wird, wie es sich gehören würde.
Eine
andere Tröstung für diese heiligen Seelen des
Mittleren Fegfeuers besteht darin, daß sie häufige
Besuche der seligsten Gottesmutter bekommen, die dahin
kommt, um zu stärken, beizustehen und besonders die
Hoffnung zu bringen, deren süße Mutter sie ist; als
Botin der göttlichen Liebe kommt die Jungfrau Maria bei
jedem ihrer Feste ins Fegfeuer und sie befreit dann
immer eine große Anzahl von Seelen daraus; das Große
Fegfeuer jedoch hat nicht den Trost, sie sehen zu dürfen,
während die Seelen im Mittleren Fegfeuer Gewinn aus
ihren regelmäßigen Besuchen ziehen; im allgemeinen
haben sie auch die Freude, sehr oft bald ihre
Schutzengel, bald ihre Schutzpatrone zu sehen, die
beten, sie zur Geduld und zum Frieden ermuntern und die
sie zur Nächstenliebe und zum Dank anregen!
Es
wurde mir auch gezeigt, daß diese heiligen Seelen des
Mittleren Fegfeuers vom Herrn manchmal die Erlaubnis
bekommen, sich uns hienieden kundzutun, sei es um uns
das Geheimnis des Fegfeuers entdecken zu lassen, sei es
um uns zum Beten aufzurufen, sei es sogar um uns vor
gewissen Gefahren zu warnen, die ihnen durch die
Barmherzigkeit des Herrn gezeigt werden. Sehr deutlich
habe ich gesehen, daß diese Kundgebungen, die man
schlecht kennt, und die man manchmal Gespenster nennt,
oft Zurufe von Seelen im Fegfeuer sind. Oft, aber nicht
immer: ist es Satan, der Vater der Lüge, der Meister für
Illusion und Betrug. So habe ich gesehen, daß alle
angeblichen Gespenster, die sich anläßlich von
spiritistischen Sitzungen kundtun, nie Seelen aus dem
Fegfeuer sind: vielmehr sind es teuflische Geister, die
den Namen und manchmal sogar das Erscheinungsbild
bekannter Personen leihweise annehmen, um zu lügen,
Verwirrung zu säen, das Urteilsvermögen der Leute zu fälschen
usw. Der Spiritismus ist eine Emanation der Hölle, eine
echte Satansreligion, die auf Eitelkeit, Neugierde und Lüge
beruht... Er richtet zur Zeit Verheerungen an. Der
Schutzengel, der neben mir steht, stärkt und erleuchtet
mich, indem er sanft sagt:
Du
darfst das Mittlere Fegfeuer aufmerksam betrachten, das
ein weniger schrecklicher Zustand als das Große
Fegfeuer ist. Aber du sollst nicht meinen, daß es sich
dabei um zwei Stufen handelt oder um zwei unabhängige
Zustände; im allgemeinen gehen alle Seelen, die diese
Strafen erleiden müssen, durch das Große Fegfeuer, ehe
sie in das Mittlere eintreten. Sehr selten sind die
Seelen, die nicht durch das Große Fegfeuer
hindurchgehen. Sie bleiben mehr oder weniger lang
drinnen, manchmal eine Minute, manchmal Jahre, ja
Jahrhunderte. Die Sünde ist eine unendliche Beleidigung
Gottes... Oft geht die Seele vom besonderen Gericht an
ins Große Fegfeuer: sie ist darin wie stumpfsinnig und
zermalmt, denn es kommt für sie das Entdecken der Sünde,
ihrer Schwere, ihrer Auswirkungen, mit ihren
Verwicklungen.
Bei
dieser Einsicht ist die Seele wie gelähmt: unbeweglich,
sie beschaut zugleich Gottes Gerechtigkeit, die sich an
ihr auswirkt und die Barmherzigkeit Gottes, die ihr die
Rettung eingebracht hat. Dann setzt sie sich in Bewegung
auf Gott hin, der sie anzieht, der sie hinreißt in den
Aufschwung seiner unendlichen Liebe: das ist der Übergang
in das Mittlere Fegfeuer. Im Mittleren Fegfeuer bleibt
die Seele der Liebe gegenübergestellt, aber sie
beschaut diese unendliche Liebe, die sie anzieht, sie
sieht diese in Fülle in sie ausgegossen, gewiß, aber
auch in die ganze Kirche: im Mittleren Fegfeuer geht die
Seele aus sich heraus und entdeckt, was ihre Zugehörigkeit
zur Kirche alles bedeutet. Du wirst im Mittleren
Fegfeuer Seelen aus jedem Stand, Alter und Zeitalter
erblicken. Man muß ohne Unterlaß für sie beten, man
muß für alle Seelen im Fegfeuer beten!
Dann
verschloß sich das Geheimnis des Fegfeuers wieder
meinem innern Auge und in der Ferne hörte ich Stimmen,
die sangen: «All mein Sehnen liegt offen vor dir, Herr,
mein Seufzen ist dir nicht verborgen» (Ps 38,10).
Vision vom
Vorhof des Himmels
Nach
der Betrachtung führte mich der Engel in die Vision vom
Vorhof des Himmels, der gleichsam der Gipfel des
Fegfeuers ist, eine Welt brennenden Lichtes und des
Friedens. Er wurde mir kund getan als eine Art sich weit
ausdehnenden, blassen Feuers mit einer unsagbaren
Intensität und Tiefe, versenkt in das Licht, das vom
Himmel über ihn hereinfließt. Ich sah dort tausende
und abertausende von Seelen im Gebet, ruhig, versunken
in einem unerhörten Lieben und Leiden. Auch meine Seele
ist in dieses Feuer eingetaucht, das sie im innersten
verzehrt und das mir in meinen Adern in langem glühendem
Strömen zu fließen scheint. Der ganze Leib brennt mir,
aber eine sanfte Heiterkeit dringt zugleich in meine
Seele ein, und ich bete still.
Man
kann nicht in Worte fassen, was der Vorhof ist: es ist
das Leiden der Liebe, die ihren höchsten Grad erreicht
hat, ein bloßes Leiden der Liebe, ein allumfassender
Jubel mit vom Anmutigsten, verbunden mit dem
schrecklichsten, stechendsten Schmerz. Aber mehr kann
ich darüber nicht sagen. Die Seelen im Vorhof werden in
einem unsagbaren Aufschwung durch die Liebe angezogen,
die sie erfaßt, sie zieht, sie durchdringt und sich
ihnen in Überfülle mitteilt; und sie, sie antworten
mit glühendem Eifer, indem sie sich ganz und gar dieser
Anziehung der göttlichen Liebe ausliefern, die sie entzückt
und gefangen nimmt und die sie doch noch nicht erreichen
können. Und darin besteht der Gipfel der Liebe, die sie
erfahren, dieses bloße Liebesleiden. Im Vorhof gibt es
keine andere Strafe als diese, aber von welcher Intensität!
Die Seelen bekommen im Vorhof große und beständige Tröstungen,
die auch eine echte Liebesqual sind: die Liebe liefert
sich aus und sie möchte ihr nur entsprechen und sie
vermag es noch nicht völlig. Und die Liebe gibt alles,
sie bekommen alles, aber sie können es nicht fassen.
Wie soll ich es verständlich machen? Diese heiligen
Seelen befinden sich in einem beständigen Jubel, in
lauter Freude: sie verherrlichen Gott und liefern sich
seiner liebreichen Anziehung aus und liegen wie in einem
Todeskampf der Liebe, weil sie ihn nicht zu
verherrlichen vermögen, wie er es sein sollte — denn
das werden sie erst im Himmel dürfen —, und weil sie
sich nicht mit ihm vereinen können, der sie ruft, der
sie anzieht und erwartet in einer unerhörten
Liebessehnsucht. Im Vorhof gibt es keine andere Strafe
mehr: das ganze Leiden hat sich sozusagen in die Liebe
gegossen, sie hat sich einsgemacht, das Leiden und die
Liebe gehen in eine totale Vereinfachung ein; wenn das
letzte Atom dessen, was noch Leiden, Schmachten und
Sehnsucht war, von der Liebe aufgezehrt und schließlich
von ihr aufgesogen wurde, dann öffnet sich der Himmel.
Aber
diese heiligen Seelen wissen nicht wann. Sie haben keine
Wahrnehmung weder für die Dauer noch für die Intensität
dessen, was sie erleiden; sie leiden aus Liebe und
lieben im Leiden; ich weiß nicht, wie ich das sagen
soll. Sie liefern sich den Flammen der Liebe aus, die
sie brennen, erhellen, erleuchten, die sie den
Todeskampf der Liebessehnsucht erdulden lassen. Sie
nehmen die Liebe wahr, empfangen ihre Gaben, ihre Zärtlichkeiten,
ihre Bekundungen, und trotzdem wollen sie nur ihn, um
schließlich ihm zu gehören und ihn zu erfassen und ihn
nicht mehr zu verlassen. Der Vorhof ist so etwas wie ein
Vorgeschmack vom Himmel, aus diesem Grund gibt man ihm
ja auch diesen Namen. Aber es gibt in diesem
Vorgeschmack ebenso viel Leiden wie Liebe, und was für
ein Leiden!
Im
Himmel gibt es gar kein Leiden mehr, noch einen Schatten
von Strafe, hier jedoch scheint es, daß sich das ganze
Leiden, die ganze Strafe, im alleinigen Dienst der Liebe
konzentriert und vereint haben. Ich möchte Feuerworte
finden, um dies zu sagen! Aber die menschliche Sprache
ist machtlos, um das zu übersetzen, was sie nicht
kennt, und was — sogar in der Ekstase und in der
erhabensten Verzückung — von der Seele nur annähernd
und vorübergehend erkannt zu werden vermag.
In
diesem Vorhof erfreuen sich diese Seelen an sehr großen
Tröstungen, die ebenso viele Anreize für ihre
Liebessehnsucht sind. Fortwährend beschauen sie ihre
Schutzengel, die neben ihnen stehen und sie anstacheln
zu unablässigem Jubeln und Danksagen; sie werden durch
Besuche der Heiligen begünstigt, namentlich ihrer
heiligen Schutzpatrone und des heiligen Josef, des
Erzengels Michael — welcher der große Engel des
Fegfeuers ist — und besonders der Jungfrau Maria, die
sehr oft — namentlich an den Tagen ihrer liturgischen
Feste und an allen Samstagen — hierher kommt, um diese
heiligen Seelen zu trösten, indem sie ihnen die Glückseligkeit
des Himmels, die Hoffnung und Fluten göttlicher Liebe
mitbringt. Diese vor Dank staunenden Seelen, die von
Liebe und Sehnsucht trunken sind, feiern im Himmel
Feste, und nehmen fast an den himmlischen Liturgien
teil, von denen sie zu jedem Augenblick die Harmonien
und Prachtentfaltungen wahrnehmen, was ihren
Liebesschmerz und ihre Sehnsucht noch mehr belebt.
Es
scheint mir, daß sie alles besitzen, was es im Himmel
gibt, mit Ausnahme der Anschauung und dem Besitzen
Gottes, und dieses Entbehren allein ist die Ursache
ihres so fürchterlichen Liebesleidens: denn einzig die
Anschauung und der Besitz des höchsten Gutes vermag die
Seele zu sättigen, und wenn man auch noch so erhabene
Gaben empfinge, so würde man in der Liebessehnsucht
stecken bleiben, wenn man nicht für immer den besitzt,
der unser einziges Gut ist, die unendliche Liebe.
Ich
habe auch gesehen, daß diese heiligen Seelen im Vorhof
sehr gut über die Lage und die Bedürfnisse der
streitenden Kirche aufgeklärt sind und daß sie für
unsere Anliegen zu Gott beten und an uns denken, viel
mehr als wir es für sie tun! Sie erbitten für uns das
größte Gut, das heißt die größte Verherrlichung
Gottes, und sie sind außerordentlich um uns besorgt.
Daher bekommen sie gelegentlich, je nach den Bedürfnissen
der Kirche, oder dieser oder jener Seele, die ganz
besondere Sendung, sich uns kundzutun, zu warnen, zu
ermahnen, oder einfach unsere Aufmerksamkeit auf das
Geheimnis des Fegfeuers hinzulenken und um Gebete und
gute Werke zu bitten. Darüber kann ich nicht mehr
sagen, da ich bereits alles gesagt habe und es mir nicht
möglich ist, darüber mehr auszusprechen, obwohl das,
was ich sehen kann, unendlich viel deutlicher ist und über
dem steht, was ich zu sagen vermag: aber dazu brauchte
ich Worte, die ich nicht besitzen kann... Meine Seele
war in diese süße und schmerzliche Beschauung
versunken. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sagte der Engel
zu mir:
Du
hast den Vorhof des Himmels staunend betrachtet. Dies
ist das Reich der reinen Liebe und des bloßen Leidens,
die Seelen schreiten hier voran zum himmlischen
Jerusalem, sie begeben sich auf ihren König zu. Sie
bleiben hier mehr oder weniger lang, aber nie so lange
wie im Großen oder im Mittleren Fegfeuer, denn die
Intensität der Liebessehnsucht im Vorhof bildet eine
rasche und letzte Läuterung.
Man
muß viel für diese heiligen Seelen beten, und
besonders eure Kommunionen für sie aufopfern: denn das
trägt mächtig zu ihrer Befreiung bei.
Der
Vorhof wurde für mein inneres Auge ausgelöscht, ich hörte,
die Seelen mit lieblicher Stimme singen, während ich in
der Danksagung verharrte:
«Du
hast mein Leben dem Tod entrissen, Herr, meine Füße
bewahrt vor dem Fall, damit ich vor Gott meinen Weg im
Licht der Lebenden gehe» (Ps 56,14).
Vision der
Hoffnung und des Friedens
Am
Fest des heiligen Pascal von Baylon, des Heiligen von
der Eucharistie: bei der heiligen Messe habe ich ihn
besonders für die Gottgeweihten angerufen, die im
Fegfeuer auf die Hilfe und die Tröstungen unserer
Gebete warten. Während der Danksagung ging ich den
Kreuzweg nach ihren Anliegen. Am Ende dieses Gebetes
zeigte der Herr meinem innern Auge packende Bilder.
Wieder
sah ich jenen Seelenregen, über den zu sprechen ich
schon zwei- oder dreimal Gelegenheit hatte. Der größte
Teil ging ins Fegfeuer in einem sehr heiteren Schweigen.
Ich sah zur selben Zeit, daß tausende und abertausende
von Seelen aus dem Fegfeuer aufgingen wie strahlende
Sterne und in die Herrlichkeit des Paradieses eingingen,
begleitet von Licht... Es war während dieser ganzen
Vision eine unaufhörliche Verschiebung von Seelen, der
sanfte Fall wie von Schneeflocken zum Fegfeuer hin, die
strahlenwerfende Auffahrt zur Eroberung des Himmels von
Seelen, die mir gleichsam als glänzende Sterne gezeigt
wurden: all das war wie ein außerordentliches Ballett,
Lichtglanz von Liebe und Gnade.
Ich
glaube nicht, daß es ehrfurchtslos ist, das Fegfeuer,
wenn auch auf eine recht unvollkommene Weise, mit einem
goldenen Bienenstock zu vergleichen, der in den Garten
Gottes hineingestellt wurde und der belebt wird von
einem unablässigen Kommen und Gehen. Ein Bienenstock
der Sühne, bei dem die Bienen aus den blühenden
Gartenbeeten der Barmherzigkeit Honig sammeln;
Bienenstock des Gebetes, wo sie den Honig ihrer
himmlischen Herrlichkeit zubereiten dank dem Gebet der
Kirche nach ihren Meinungen, und von wo aus sie schließlich
ihren Flug zum Himmel für immer antreten. Es wurde mir
gezeigt, daß es allein im Fegfeuer beständig eine
Anzahl von Seelen gibt, welche die Zahl der Leute, die
noch auf Erden sind, bei weitem übersteigt! Und Scharen
über Scharen treffen dort jeden Tag ein, andere
verlassen es, um sich in die Herrlichkeiten des Himmels
zu erheben. Ich habe ebenfalls gesehen, daß es viel
mehr Seelen im Fegfeuer gibt als in der Hölle, obwohl
diese leider zu sehr bevölkert ist; man kann sich kaum
eine Vorstellung machen von der beeindruckenden Zahl an
Seelen, die verloren gehen! Und wenn die Gewißheit, daß
es mehr Auserwählte als Verdammte gibt, uns trösten
— und uns anregen soll, dem Herrn dafür zu danken —
so soll sie uns trotzdem nicht vergessen lassen, daß
die Hölle existiert und daß zu viele Seelen verloren
gehen: wenn man das wüßte, so würde man sein Leben gründlich
ändern... Mein heiliger Schutzengel hat sich gezeigt,
und er hat mir mehrere Dinge gesagt, die ich zum Teil
hier aufschreibe wegen ihres belehrenden Wertes:
Eine
immer größere Zahl von Seelen versinkt in die dunklen
Abgründe der ewigen Hölle... Die Gefahr verdammt zu
werden, nimmt für euch unaufhörlich zu wegen der
Verirrungen in eurer Lebensweise, was ihr zu Unrecht mit
ebenso viel Verblendung wie Eitelkeit den Aufschwung der
Zivilisation nennt. Ist das etwa ein Fortschritt dieser
Gesellschaft, die dem Vergänglichen, den trügerischen
Eintagsfreuden mehr Gewicht beimißt, als den ewigen
Wahrheiten und als dem Leben der Seele in Gott? Es gibt
nicht mehr eine Seele auf zehn, die sich um ihr Heil bemüht!
Sehr
streng fuhr der Engel auf einem andern Thema fort, das
er recht selten angeht, ohne Zweifel wegen seines
prophetischen Aspekts:
Ihr
geht einer sehr schweren Periode entgegen: infolge der
Attentate, die direkt gegen das Leben und gegen die
eigentlichen Quellen des Lebens begangen werden, Gott
ist nahe daran die Menschheit zu züchtigen im Maßstab
der entsetzlichen Verbrechen. Ihr geht den Härten der göttlichen
Gerechtigkeit entgegen!
Er
zeigte mir sodann einen sehr dichten Regen von Seelen,
die sich zu einer Art sehr milder Helle emporhoben; ich
begriff, daß es hierbei um die hunderttausende von den
freiwillig im Schoße ihrer Mütter getöteten Kinder
ging... Diese kleinen Unschuldigen gehen nicht in den
Himmel ein, sondern an den Ort, den man
traditionellerweise den Limbus nennt: das ist ein Himmel
ohne die Herrlichkeit der beseligenden Anschauung
Gottes, oder eine Hölle ohne irgendein Leiden, ich weiß
nicht, wie ich es verständlich machen soll. Es gibt
dort eine Art von Glücklichsein, das jedoch nicht die
himmlische Seligkeit ist. In den Limbus also gehen diese
Kleinen, die nicht das Leben außerhalb ihrer Mütter
gekannt haben, und auch die Kleinkinder, die gestorben
sind, ehe sie die Taufe empfangen haben. Der Limbus
(Vorhölle) ist so etwas wie der Himmel der Unschuld, wo
all diese kleinen Seelen das Glück genießen, das für
sie zugänglich ist, das aber begrenzt ist; doch sie
wissen es nicht. Ich glaube, daß der Limbus am Ende der
Zeiten unter ein Haupt gefaßt wird im Himmel, aber ich
weiß nicht wie. All diese kleinen Wesen werden
sozusagen die Herrlichkeit Gottes besingen dadurch, daß
sie Lebende sind und daß sie dadurch am Leben teil
haben, das ein Geschenk Gottes ist.
Dieser
Einblick in den Limbus war ein wenig traurig für meine
Seele.27
Sodann sagte der Engel noch, ehe er entschwand:
Die
Heiligkeit Gottes stellt euch gegenüber hohe
Forderungen. Ihr vergeßt allzu oft, daß ihr nach
Gottes Bild und Gleichnis geschaffen seid! Noch mehr
vergeßt ihr, daß ihr durch das Blut Christi losgekauft
seid. Aber die göttliche Dreieinigkeit wird unter euch
eine Heerschar von Heiligen erwecken, eine große Zahl
von Anbetern, die alle eitlen Lockungen der Welt
verachten werden, um sich einzig der Verherrlichung
Gottes zu widmen, und um sich in der Stille und im Gebet
um die Rettung all ihrer Brüder zu bemühen.
Ja,
die Barmherzigkeit Gottes wird zahlreiche Seelen berühren,
die ihre Ohren dem Lärm der Welt verschließen und
endlich auf den Ruf nach Bekehrung hören werden, den
der Herr unaufhörlich an euch richtet... Und durch
ihren einzigen Wunsch nach Gottes Ehre, bemühen sich
die heiligen Seelen des Fegfeuers, euch diesen Blust an
Heiligkeit für die kommende Zeit zu erlangen Das werdet
ihr später begreifen...
Der
Engel verstummte, dann entschwand er meinem innern Auge,
wobei er mich im Frieden und Trost zurückließ. Mögen
unsere Gebete diesen Blust an Heiligkeit beschleunigen!
Der Zustand der
Seelen im Fegfeuer
Im
Laufe der Abendbetrachtung, als ich irgendeinen Punkt
des Evangeliums betrachtete, sah ich plötzlich meinen
Schutzengel in einem grellen Licht vor mir erscheinen,
und er sagte mit kräftiger Stimme: Gelobt sei Jesus
Christus! Ich gab ihm die übliche Antwort, dann fuhr er
fort:
Unser
Hochheiliger Gott will dir heute die Kenntnis des
Zustandes der Seelen im Fegfeuer verleihen, damit du
besser für sie zu beten wissest und ihnen so wirksamer
helfest.
Er
streckte die Hand zu einem eindringlichen Licht hin, und
ich sah in dieser Helle so etwas wie mit dunklem
Gangstein bedeckte Diamanten; ein Feuergeschoß traf auf
diesen Gangstein und räumte ihn allmählich ab, wodurch
die kostbaren Edelsteine aufgedeckt wurden, die mit all
ihrem Glanz und ihrer Reinheit zu strahlen begannen. Während
ich das staunend betrachtete, sagte der Engel:
Dieses
Bild kann dir verständlich machen das Geheimnis der
Seelen im Fegfeuer. Eine Seele, die im Fegfeuer ist,
bleibt auf ihre Stufe an Heiligkeit und Liebe
festgelegt: sie wird in der Gnade bestärkt, sie ist
heilig. Ihre Liebe wächst nicht mehr, sie wird in ihrer
Fülle aufgedeckt und sie öffnet sich wie eine Blüte.
Aus diesem Grunde werden dir die Seelen als vollendete,
reine, strahlende Diamanten gezeigt.28
Beim
besondern Gericht, wird die Seele von jeder Sünde und
aller Unvollkommenheit befreit; es bleibt allein die
Schuldenlast von ihrer Sünde, das heißt die Strafe,
die sie zur Sühne erleiden muß. Diese Pein wird
bildlich als dunkler Gangstein dargestellt, der das Äußere
des Diamanten abgibt, weil die Pein nicht die Seele
trifft und sie auch nicht verletzt; sie behindert sie
und verursacht an ihr Sühnestrafen. Die Pein geschieht
an der Seele und nicht in ihr, obwohl die Seele deren
Einwirkungen verspürt.29
Das Feuer der göttlichen Liebe verzehrt die Strafe,
indem es die Seele trifft und sie an sich zieht und
dabei das Sühneleiden hervorruft. Es ist die Einwirkung
dieses Feuers, das im Verhältnis zur Straflast steht,
und gerade darin besteht das Leiden des Fegfeuers.
Die
Seele fand ihren eigenen Glanz allmählich wieder durch
ein fortwährendes Verbrennen des Gangsteins, der zerbröckelte
und verschwand, und der Diamant wurde allmählich
befreit und in seiner ganzen Vollkommenheit enthüllt.
Im Fegfeuer ist eine Seele ein vollkommener Diamant, der
gleichsam im Gangstein seiner Strafe eingehüllt ist;
dieser nimmt unter dem Einwirken des göttlichen Feuers
fortwährend ab, um schließlich ganz zu verschwinden...
Der Engel führte seine Unterweisung fort:
Im
Fegfeuer ist die Seele in der vollkommenen Liebe fest
begründet und ganz dem reinen Willen Gottes
unterworfen: sie ist festgelegt in ihrer freien und
totalen Zustimmung zum Liebesplan Gottes für sie. Ihr
einziger Wunsch ist voll und ganz vom Willen Gottes erfaßt,
sie kennt keinen andern Willen als dieses reine Wollen.30
Die Seele geht von sich aus ins Fegfeuer, weil sie
gleichsam durch ihre Liebe für Gottes Herrlichkeit, für
seine Heiligkeit und seine Gerechtigkeit getrieben wird.
Ich
sah auf eine intellektuelle Weise ein, daß die Seelen
im Fegfeuer eine Art von Freude, von Glück kennen, weil
sie darüber glücklich sind, Gott zu verherrlichen,
wobei sie seine Ehre über ihr unmittelbares
Eigeninteresse stellen; weil sie die Sühne für ihre Sünden
annehmen, ja mit lautem Jubel und liebevollem Dank begrüßen.
Mein Engel wurde noch deutlicher:
Dieses
Glück der Seelen ist ein Vorgeschmack der ewigen
Seligkeit. Die Seelen im Fegfeuer sind nicht resigniert,
sondern völlig von Gott in Anspruch genommen und sehr
aktiv im Dienste seines Namens, seiner Verherrlichung,
obwohl das für sie unter sehr großen Schmerzen
geschieht. Sie haben die Gewißheit, daß das Fegfeuer
nicht ewig ist und daß es ihnen das endgültige Schauen
Gottes bringt. Schau, im Fegfeuer macht das Leiden der
Seelen auch ihr Glück aus und ihre Freude ist zugleich
ihre Pein.31
Man
kann das nicht begreifen, ohne zu staunen. Diese Seelen
sind heilig, der Liebe Gottes ausgeliefert, von der göttlichen
Liebe in Besitz genommen, der sie gar keinen Widerstand
leisten, obwohl die göttliche Einwirkung auf sie sehr
schmerzhaft ist. Es ist eine Liebesflamme, furchtbare
Qual, neben der die schlimmsten Leiden unseres Lebens
hier auf Erden fast nichts sind. Ich habe sehr wohl
gesehen, daß unter der Einwirkung des göttlichen
Feuers, das den Gangstein entfernt — in dem Maße als
die Strafe erfüllt wird —, die Seele keinesfalls
einen höheren Glanz als den gewinnt, den sie bereits
beim Eintritt ins Fegfeuer besitzt; aber sie bekommt den
eigentlichen Glanz zurück, der durch den Gangstein wie
abgestumpft und verschleiert ist. Dann sagte der Engel
noch zu mir:
Die
Seelen im Fegfeuer sind gleichsam festgelegt auf die
Stufe der Heiligkeit und der Vollkommenheit, die ihnen
auf ewig im Himmel zuteil werden wird, und die sozusagen
das Maß für die Stufe der Herrlichkeit im Himmel ist:
es gibt an ihnen keinen moralischen Fleck, gar keine
Unreinheit, sie sind in der Gnade gefestigt und unfähig
zu sündigen.32
Sodann hatte ich eine andere Vision, während mein
Schutzengel immer bei mir stand. Ich schaute die Seelen
im Fegfeuer, in ein Feuer versunken, in ein helles
Licht, in eine brennende und blendende Flut. Der Engel
erklärte mir: Die Seelen werden in die Flammen der
Liebe eingetaucht. Sie sind alle vereint in diesem Feuer
in der göttlichen Liebe, die sie anzieht, entflammt,
erleuchtet: das Fegfeuer ist das Reich der göttlichen
Liebe. Durch dieses Eingetauchtsein in die göttliche
Liebe, werden die Seelen der Liebe ausgeliefert, die sie
vollkommen üben, sowohl gegen Gott, wie untereinander
und auch gegen euch auf Erden. Im Lichte der göttlichen
Liebe erkennen sie sich gegenseitig und wissen sich
vereint und alle durch Gott angezogen. Und in diesem
Licht teilt sich ihnen Gott immer mehr mit, wodurch er
ihre Freude vermehrt und sie zur beseligenden Anschauung
hinzieht: dieses Feuer der Liebe, dieses Licht der göttlichen
Liebe sind wirklich beseligend, weil sie die Seelen allmählich
öffnen auf die vollendete Erfüllung des Planes Gottes
über sie hin.
Ich
betrachtete staunend diese heiligen Seelen, die aus
Liebe leiden, die ganz von Gott überflutet werden und
sich ihm ganz ausgeliefert haben. Ich schaute sie nicht
in einer Hierarchie, sondern in einer unvergleichlichen
Ordnung und Einheit, wobei sie unter sich weder Übergeordnete
noch Untergeordnete haben, sondern alle sind mit einer
lauten Freude und einem lebhaften Schmerz der Liebe
Gottes und seinem reinen Willen unterworfen. Mein Engel
hat noch zu mir gesagt:
Die
Seelen im Fegfeuer befinden sich zugleich in einem Feuer
und in einem Licht. Entbrannt im Feuer der Liebe,
liefern sie sich der Liebe aus, sie leben diese Gabe der
Liebe in einer sehr tiefen gegenseitigen Liebe. Sie
beten, weil das Gebet der vollkommene Ausdruck der Liebe
ist, sie beten für einander, sie beten für euch, für
ihre Wohltäter. Ihr Beten ist ganz auf die
Verherrlichung Gottes allein in seiner Liebe hingeordnet
und nicht auf ihre eigenen Bedürfnisse. Sie beten
nicht, um aus dem Fegfeuer befreit zu werden, sondern daß
Gott durch ihre Befreiung verherrlicht werde. Sie beten
nicht für die Bekehrung der Sünder auf Erden oder für
die Heiligung der Seelen, sondern daß Gott verherrlicht
werde in diesen Bekehrungen und durch die Heiligung. Man
darf nie vergessen, daß die Seelen im Fegfeuer keinen
Blick auf sich selber, noch auf das Geschaffene richten,
sondern nur auf Gott allein: ihr Blick wird geeint und
gereinigt in Gott, und in ihm und durch ihn ist es ihnen
manchmal erlaubt das Übrige zu beschauen...
Der
Engel verdeutlichte diese Belehrung, indem er mich über
die Wunder der göttlichen Liebe erleuchtete:
Die
Liebe ist eins. Die Nächstenliebe ist nur das Üben der
Liebe Gottes durch die Menschen, die sich in sie ergießt,
die sich ihnen ausliefert, die sie erleuchtet.
Von
dieser großen Wirklichkeit seid ihr nicht immer fest überzeugt,
aber die Seelen im Fegfeuer, die sehr hohe Erkenntnisse
haben, wissen das sehr gut: sie lieben euch vollkommen
und lieben einander wahrhaftig, weil sie Gott allein
lieben; sie lieben euch in Gott, für Gott. So ist die
echte Liebe: einfach, selbstlos, rein, wahr. Und weil
sie sich in dieser vollkommenen Wahrnehmung der Liebe
befinden, sind sie denen dankbar, die für sie beten und
ihnen Erleichterung bringen. Vergiß nie, daß die Nächstenliebe
aus der Liebe zu Gott stammt. Doch oft erfinden die
Menschen für sich ihre Ausdrucksweisen der Liebe und
sie verunstalten das Geschenk Gottes, indem sie es sich
aneignen. Nun aber ist Gott allein die Quelle aller
Liebe, denn er ist die Liebe. Die Liebe ist Geschenk
Gottes, ein von Gott anvertrautes Gut in uns. Die Liebe
Gottes ist das Erste, sie wird uns verliehen und uns
anvertraut als ein Unterpfand, das man Frucht bringen
lassen soll und beständig dem zurückgeben soll, der es
uns zuerst anvertraut hat. Der Engel sagte mir noch: Die
Seelen im Fegfeuer befinden sich im Licht der göttlichen
Liebe. So haben sie große Kenntnisse, die schneller und
vollständiger sind als alles, was ihr auf Erden haben könnt:
sie erkennen unmittelbar, nach Art der Geister, durch
Intuition und durch unmittelbare Mitteilung gewisser
Wirklichkeiten und gewisser Geheimnisse.
Sie
kennen das Geheimnis des Todes, weil sie es erlebt
haben; die der Ewigkeit und der Unsterblichkeit der
Seele, wovon sie jetzt gerade die Erfahrung machen; sie
kennen die Existenz Gottes jenseits des Glaubens, die
der Jungfrau Maria, der Heiligen und der Engel. Sie
bekommen hohe intellektuelle Erleuchtungen, sie erkennen
sich selbst im Lichte der göttlichen Liebe, und
anerkennen, daß sie kleine sündhafte Leute sind,
Gegenstände der Gerechtigkeit und des Erbarmens Gottes.
Gottes Liebe kennen sie vollkommen, aber auch ihre
Verfehlungen gegen diese Liebe, ihren Zustand, ihr Sühnen.
All diese Erkenntnisse bewegen sie immer mehr, sich
dieser Liebe, die in ihnen wirkt, auszuliefern, sie in
großer Geduld anzunehmen, durchs Gebet Dank zu sagen,
durch alle Mittel deren Ausbreitung zu fördern.
Alles
schien mir so klar, so durchschaubar! Wie viele überflüssige,
leere Fragen werden dadurch fortgewischt... Gott ist so
einfach! Mein heiliger Engel ergriff wieder das Wort:
Im
Fegfeuer sind die Seelen im Zustand des Bedürfens und
der Aufnahmebereitschaft: sie sind eine wie die andere
ganz der Liebe Gottes ausgeliefert. Dieser
Doppelzustand, so paradox er dir scheinen mag, ist Folge
des Liebesfeuers im Reinigungsort, eines Feuers, das
sie anzieht in der Freude und im Schmerz. Ihr Schmerz
ruft nach Linderung, ihr Glück nach Selbsthingabe. Ja,
die Seelen im Fegfeuer sind sehr bedürftig und empfänglich
für euer Gebet, das ihnen gar sehr hilft: sie sind ganz
in ihr Gebet hinein preisgegeben, das Huldigung und
Lobpreis auf Gottes Herrlichkeit ist. Die Seelen im
Fegfeuer sind doppelt der Liebe unterworfen, denn sie
sind der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit, die sich
an ihnen ausüben, unterworfen. Die Gerechtigkeit übt
sich an ihnen durch die Sühneforderung wegen ihrer Sündenschuld
aus; die Barmherzigkeit übt sich auch an dieser
Forderung aus, weil die Liebe diesen Seelen eine
begrenzte, endliche Sühne auferlegt für die Sünde,
die eine unendliche Beleidigung ist. Immer wirst du im
Fegfeuer das Licht der Barmherzigkeit und das Feuer der
Gerechtigkeit sehen.
Das
Fegfeuer ist eine zugleich schreckliche und tröstliche
Wirklichkeit. Man darf diese beiden Gepräge nicht
voneinander trennen, wenn man vom Fegfeuer spricht... Du
verstehst, wie sehr man für die heiligen Seelen im
Fegfeuer beten muß! Das wird jetzt zu sehr vernachlässigt,
es gibt nur wenige Leute, die daran denken, wenige
Priester, die für diese heiligen Seelen beten und
Messen aufopfern. Das ist der Grund, warum du schreiben
mußt; um die Sorge für die Seelen im Fegfeuer zu
wecken und deinen Brüdern in Erinnerung zu rufen, daß
die Gemeinschaft der Heiligen eine Tatsache ist, und daß
sie ihre Forderungen an die Liebe stellt.33
Dann, mein Kind, bete und laß beten für die heiligen
Seelen im Fegfeuer.
Darauf
entschwand der Engel meinem Blick und ließ mich in der
Danksagung und in außerordentlichem Jubel verharren.
Die Übung
des
Glaubens im Fegfeuer
Morgenbetrachtung.
Meine Seele wurde in das Unermeßliche der göttlichen
Liebe entrückt, wie in einen Ozean unbeschreiblicher
Wonnen, worin ich mich völlig verlor, in einem
Feuermeer, in einem Meer der Liebe und des Lichtes.
Meine Seele wurde gleichsam von Gott erfaßt, in ihn
hineingezogen, um in ihm unter unaussprechlichem Jubel
zu ruhen. Ich dachte nicht mehr, überlegte nicht mehr,
gab mich preis, ließ mich in Besitz nehmen, und er erfüllte
mich mit seiner Liebe, mit sich selbst. Und ich litt
zugleich unter herzzerreißendem Schmerz, wie wenn meine
Seele entzwei geschnitten worden wäre, verwundet worden
wäre und wie frustriert, sie verspürte verworren die
Grenzen ihrer Schwäche und ihre Unfähigkeit, die Liebe
ganz zu besitzen, obwohl sie diese erfaßte, ja
gleichsam berührte. Dann löste sich diese Umarmung
wieder ein wenig, und ich schaute mich in Gott: meine
Seele war eingetaucht in das Feuer des Herzens Jesu, ich
konnte darin das Herniederrauschen seiner unendlichen
Liebe auf die ganze Kirche bewundern. Eine doppelte Flut
von Wasser und Blut umflutete, belebte und entflammte
unablässig die streitende Kirche und den Reinigungsort.
Was den Himmel betrifft, so ergibt er sich aus diesem
Heiligsten Herz selber, wie mir scheint. Jesus bat mich,
solche Gnaden aufzuopfern, die zugleich lieblich, glühend
und schmerzlich sind, für die heiligen Seelen im
Fegfeuer, diese gewissermaßen daran teilnehmen zu
lassen. Ich erhob Einwände in seinem Herzen:
Nun
denn, mein Herr! Glückselig sind diese Seelen im
Fegfeuer, für die du mich bittest, diese Liebe
aufzuopfern!
Gewiß
leiden sie und wieviel, doch wenigstens besitzen sie
dich und man kann dich ihnen nicht mehr entreißen: sie
besitzen dich endlich endgültig!
Da
fragte mich der Herr, ob ich lieber die Peinen, die
Schmerzen und die Freuden kennenlernen möchte, als den
Rausch der flüchtigen Ekstasen; ich wußte nicht, was
ich sagen sollte. Er kündete mir an, daß meine Seele während
drei Tagen in diesen Zustand im Fegfeuer eingetaucht würde
und sogleich verwirklichte er, was er ausgesprochen
hatte.
Das
war eine unerhörte Qual. Ich genoß Gott in einer Art
von Besitz, eine unvollständige und herzzerreißende
intellektuelle Wahrnehmung: es schien mir, ich würde
ihn wie durch einen Schleier erfassen, geheimnisvolle
Gegenwart und Liebeshingabe, die mich erzittern ließ. Während
eines Tages wurde meine Seele in diesem Zustand, in
dieser brennenden Pein gehalten; ich war wie vor einem
Lichtvorhang, hinter dem sich meine Liebe aufhielt,
wobei sie sich schenken wollte und ich die Hände nach
ihr ausstreckte, ohne die Möglichkeit zu haben, sie zu
fassen, sie zu umarmen, sie zu besitzen! Während dieses
ganzen Tages erfuhr meine Seele die Gunst mehrerer
Besuche durch die Unbefleckte Jungfrau, meinen
Schutzengel, meiner Freunde im Himmel — meiner
Schutzpatrone und Beschützer —, von bereits
verstorbenen und im Himmel weilenden Verwandten: sie
kamen zu mir durch diesen Lichtvorhang und sprachen zu
mir von der göttlichen Liebe mit soviel Feuer und
Freude, daß meine Seele durch das Liebesverlangen gequält
wurde, den Wunsch, wenn es möglich wäre, diesen
Lichtvorhang sich öffnen, sich zerreißen zu sehen, um
die Liebe in ihrer Fülle zu entschleiern und mir zu
gestatten, ihn zu erfassen, ihn zu genießen. Während
des ganzen Tages glaubte ich jeden Augenblick zu sterben
wegen dieses heißen Verlangens, denn die Kräfte meiner
Seele wurden davon gleichsam zerrissen und ausgewalzt.
Es schien mir, daß sich der Schleier des Glaubens in
diesem Zustand teilweise für meine Seele zerriß, die
so Zutritt zu zahlreichen verborgenen Wirklichkeiten
bekam und deren Existenz kennenlernte. Gott jedoch sah
ich nicht, nur seine geheimnisvolle Gegenwart wurde
wahrgenommen wie hinter einem Schleier. Am Ende dieses
Tages kam der Schutzengel zu mir und sagte zu mir:
Schau,
mein Kind, der Höchste hat erlaubt, daß du dieses
Geheimnis kennenlernst und daß du in deiner Seele die
Erfahrung machst von der Lage der heiligen Seelen im
Fegfeuer. Er will euch so unterweisen und euer unablässiges
Gebet zugunsten der heiligen Seelen im Fegfeuer wecken.
Im Fegfeuer bleibt der Glaube zum Teil bestehen, denn er
wurde noch nicht durch beseligende Schau ersetzt. Du
hast es richtig wahrgenommen: im Fegfeuer sieht die
Seele Gott noch nicht, nur seine geheimnisvolle
Anwesenheit nimmt sie wahr. Im Augenblick eures Todes
wird der Schleier des Glaubens nur für die Seelen, die
sogleich in die Herrlichkeit des
Gott-von-Angesicht-Schauens eingeführt werden, vollständig
zerrissen. Für jene, die ins Fegfeuer gehen müssen,
bleibt der Glaube noch teilweise bestehen.34
Aber diese heiligen Seelen im Fegfeuer besitzen die
Erfahrungserkenntnis von manchen übernatürlichen
Wirklichkeiten, die für uns auf Erden
Glaubensgeheimnisse bleiben: sie machen die Erfahrung
ihrer eigenen Unsterblichkeit, sie wesen in der
Ewigkeit... Sie genießen die Auswirkungen der
Gemeinschaft der Heiligen, sie sehen die Jungfrau Maria,
die Engel und die Heiligen, sie wissen, daß der Himmel
und die Hölle existieren. Aber Gott schauen sie nicht,
da sie ihn noch nicht besitzen: in diesem Punkt wird der
Glaube noch von den Seelen im Fegfeuer geübt. Doch ihr
Verstand kennt keinen Zweifel mehr, ihr Wollen hat sich
für den reinen Willen Gottes entschieden und kennt kein
Zögern mehr. Diese heiligen Seelen sind in ein
beschauliches Gebet, in eine demütige Ehrfurcht vor
Gott versunken, von dem sie wissen, daß er anwesend
ist, den sie aber nicht sehen. Und dieses schmerzliche
Warten, daß sie Gott schauen, ihn endlich voll
besitzen, schürt das Feuer ihrer Sehnsucht und
verursacht ihr Leiden.
Dann,
nachdem er mir noch anempfohlen hat, für die heiligen
Seelen im Fegfeuer zu beten und auf ihre Meinung diese
Gnade der drei Tage, die der Herr mir gewährt,
aufzuopfern, entzieht sich der Engel meinem Auge.
Die Übung
der
Hoffnung im Fegfeuer
Von
der Morgenbetrachtung an wurde meine Seele wieder in
diesen Fegfeuerzustand versenkt. Es schien mir, daß der
niedere Teil meiner Seele nahezu abgestorben war; ich
sage nahezu, denn ich fuhr fort, wohl oder übel —
mehr schlecht als recht — meinen Beschäftigungen zu
obliegen. Ich hatte den Eindruck, meine Seele sei
entzwei geschnitten, zerrissen. Gott ließ sich noch
kurz erahnen, gleichsam wie durch den Lichtschleier
hindurch, vom dem ich gestern gesprochen habe: während
er weder erfaßt, noch besitzt werden konnte, entflammte
er meine Seele mit den heftigsten Wünschen dermaßen,
daß ich mich von der Mitte des Tages an ins Bett legen
mußte, weil der Leib diesem Ansturm der Liebe nicht
mehr standhielt. Aber meine Seele verkostete die ersten
Früchte dieser künftigen Vereinigung mit Gott und das
war eine zugleich so köstliche und schmerzliche
Lieblichkeit, daß ich in Ohnmacht fiel. Doch meine
Seele, als ob sie in einen Feuerofen geworfen würde,
verharrte im tiefsten Frieden, wobei sie dennoch fortwährend
litt.
Während
des ganzen Tages blieb mein Gedächtnis wie gebunden,
unterjocht, in einer unerhörten Trockenheit und
Holprigkeit, für jede andere Tätigkeit unfähig, außer
einer unermeßlichen Reue über all meine Fehler: in
einer Art von innerer Beichte, wobei mir alle meine Sünden
enthüllt wurden eine nach der andern, zu hunderten und
zu tausenden! An diesem Tag habe ich eine Rückschau über
mein ganzes Leben bis in seine letzten Falten hinein,
mit seinen kleinsten Verfehlungen, mit seinen schweren
Fehlern, seinen Unschlüssigkeiten, seinen
Nachgiebigkeiten, seinen Feigheiten bekommen. Und bei
jedem Fehler wurde meine Seele gleichsam zermalmt und
innerlich schrie ich: «O mein Gott, so wenig habe ich
mich um deine Ehre gekümmert! Habe ich dermaßen deine
Gnaden vergeudet?» Meine Seele verharrte jedoch in
einem tiefen, sehr schmerzlichen Frieden. Ich hatte
keine Angst, Gegenstand der Verwerfung durch Gott zu
sein, denn es schien mir damals, daß das Wichtigste die
Ehre Gottes sei, ich hatte einen verzehrenden Durst nach
dieser Ehre und wünschte in diesem Zustand der Qual so
lange zu verharren, als erforderlich, damit Gott
verherrlicht werde. Diese tiefe Gnade einer innern
Beichte war eine unerhörte Wohltat für meine Seele.
Das kam hinzu zu all dem, was mir am Vortag gewährt
worden war. Ich glaube, daß der Herr sich vorbehalten
hatte, mir diese Zustände nach Treppenabsätzen
bekanntzugeben, in einer Reihenfolge, denn die
menschliche Natur hienieden vermöchte dem sonst nicht
standzuhalten. Im ganzen Verlauf des Tages folgten
einander Körperschwächen; meine Seele jedoch war im
Frieden und im Leiden versunken, lebendig, von Sehnsucht
entflammt, friedlich und zerquetscht. Jeder Besuch der
Jungfrau Maria, der Engel und der Heiligen erschöpfte
mich, denn er schürte das Verlangen in mir, indem er
mich in ihnen all das beschauen ließ, was mir verheißen
war, wonach ich mit allen Kräften meiner Seele strebte,
die ganz im reinen Willen Gottes eingebunden waren. Ich
verharrte da in der heiteren Hingabe an den reinen
Willen Gottes ohne Hast, noch Ungeduld, einzig die
Verherrlichung Gottes ersehnte ich. Das war das einzige
Wort, das ich hervorbringen konnte, und es schien mir,
daß alle himmlischen Besuche mir wiederholten:
Herrlichkeit,
Ruhm, Ehre! Gott ist der Heilige der Heiligen!
Herrlichkeit, Ruhm, Ehre!
Das
schürte die Flamme meines Schmerzes, ließ mein
Verlangen nach Gott wachsen, vertiefte die außerordentliche
Heiterkeit, die buchstäblich meine Seele durchtränkte.
Im Paroxysmus dieses Dürstens nach Gottes Herrlichkeit
schaute ich meinen heiligen Schutzengel, streng, ganz
aufflammend, der ernst zu mir sagte:
Du
machst jetzt die Erfahrung des großen Geheimnisses des
Fegfeuers, was also gewissermaßen das Fegfeuer
ausmacht: das Geheimnis der Hoffnung.35
Dieser heitere Schmerz, den du verspürst, ist genau
der, welcher die Seelen zum Höchsten hinbringt: ein läuterndes
und schmerzliches Harren der Seele auf die volle
Offenbarung Gottes im Schauen von Angesicht zu
Angesicht. Im Fegfeuer vereinfacht sich die Hoffnung
voll und ganz, bis sie im grundlegenden Harren auf Gott
aufblüht, in einem reinen, uneigennützigen Warten,
worin es keine Überstürzung, noch Ungeduld, noch
Berechnung mehr gibt: in einem Warten auf Gottes Stunde,
in einem, ach, wie schmerzlichen Warten! Bei diesem
vollkommenen Warten bleibt die Seele unwandelbar heiter,
sie ist gleichsam in einem schmerzhaften Ausruhen
versunken: die Gewißheit ihres Heiles bringt für sie
ein heißes Verlangen mit sich, ein brennendes und,
verzehrendes Harren. Es ist eben der Zustand der Läuterung,
dieses vollkommene Hoffen, das keinen andern Gegenstand
kennt als Gott, das keinen andern Wunsch hat als die
Ehre Gottes. Im Fegfeuer wissen die Seelen, daß der
Zeitpunkt ihrer Befreiung von Gottes Barmherzigkeit
festgelegt ist, daß Gottes Gerechtigkeit ihn
festgesetzt hat zur größten Verherrlichung des Allerhöchsten.
Darum befinden sie sich im Frieden, eben im Frieden
Gottes.
Ich
befand mich damals im Reinigungsort, und eben im Feuer,
gemäß der Verheißung des Herrn an meine Seele. Ich
weiß, daß ich das alles erlebt habe aufgrund eines
Wirkens der unendlichen Liebe und daß ich es erlebt
habe an meiner Seele, die meinem Leib entrückt war, der
sich bog unter der Kraft der Gnade und der ihr nicht
standzuhalten vermochte. Von diesem Augenblick an kam
ich nicht mehr zum Bewußtsein, meine Seele jedoch
gleichsam schlagartig von den Fesseln des Leibes
befreit, stürzte sich in den Ozean der göttlichen
Liebe.
Die Übung
der
Liebe im Fegfeuer
Feuer
und heißes, entflammtes Gebet! Bisher habe ich vor
allem ein großes Licht und einen unaussprechlichen
Frieden gekannt, nun aber wird meine Seele durch Gottes
Gnade in ein verzehrendes Feuer der Liebe versenkt. Mein
heiliger Engel ist da, und ich frage ihn: «Endlich ist
die Sache aus! Wann werde ich in den Himmel eingehen?»
Er gibt keine Antwort, und ich seufze. Rings um mich
herum, tausende von liebentbrannten Seelen. Ein sanftes
Licht umgibt uns und durchdringt uns mit einem äußerst
starken Feuer. Ich befinde mich in einem totalen Jubel
und meine Freude nimmt noch zu, wie der Engel sagt:
Das
ist der Vorhof des Himmels, es ist der Gipfel des
Fegfeuers, wo die Seelen ganz eingetaucht werden in die
reine Anziehung der göttlichen Liebe. Hier werden die
Schmerzen auch am lebhaftesten und verdichten sich am
meisten.
O
Freude! Hier leidet man aus Liebe, man leidet an der
Liebe, denn hier befindet sich die Verheißung der Gabe
der Liebe. Eine weite strahlende Wolke liegt über
diesen Seelen, in die hinein einzelne manchmal
emporgehoben werden und dann entsteht eine Explosion von
Glück und Jubel im Fegfeuer: diese Seelen bekommen
Zutritt zur beseligenden Schau, sie gehen in den Himmel
ein! Man leidet am Lieben und man liebt diesen
brennenden Schmerz; und die ganz von Liebe außer sich
geratene Seele ist liebevollen Ungeduldsregungen
ausgesetzt, Gott sehen zu dürfen, ihn zu besitzen,
daher seufzt sie, sie schmachtet vor Liebe: sie kann
diese Liebe nur zum Ausdruck bringen in einem flammenden
Gebet, in Danksagen, in Jubel, in Lobpreis auf Gottes
Heiligkeit und sein Erbarmen, das gerettet hat, und auf
seine Gerechtigkeit, die gereinigt hat. Meine Seele
vermag dieses Geheimnis der Liebe im Reinigungsort nur
auf eine globale, allgemeine Art in diesem brennenden
Liebesfeuer zu erfahren. Und der Engel erleuchtet sie
und erklärt ihr diese große Liebe im Fegfeuer:
Im
Fegfeuer werden die heiligen Seelen mit der Liebe Gottes
bekleidet und sie erfreuen sich an dieser unendlichen
Liebe. Sie sind ganz Gott zugekehrt, sie lieben ihn
vollkommen und bekunden es ihm in Dankbarkeit: sie
danken dafür, daß sie gerettet wurden, daß sie in der
Gnade gefestigt und künftig zum Sündigen unfähig,
Gott im Geist und in der Wahrheit zu verherrlichen,
imstande sind.
Und
das verursacht bei ihnen ein jubelndes Staunen, sie sind
gleichsam stumpfsinnig vor Liebe; erst im Himmel werden
sie die Liebe in ihrer strahlenden Fülle genießen, in
einer innigen Vereinigung mit Gott, der die Liebe ist.
Aber es gibt im Fegfeuer noch das Verlangen, dieses
Verlangen, das sich der Fülle der Liebe widersetzt: im
Himmel gibt es kein Verlangen mehr, da ist das Besitzen
der Liebe.
Und
ich schaue diese die heiligen Seelen entflammende Liebe:
darin besteht ja gerade das Feuer des Reinigungsortes, nämlich
diese göttliche Liebe, die alles überflutet, die alles
in Brand steckt! Im Fegfeuer sind die Seelen ganz der göttlichen
Liebe ausgeliefert, sie sind sozusagen durch Gottes
Liebe entzündete Holzscheite, die aber nicht völlig
von dieser Liebe verzehrt werden: das Fegfeuer ist
gewissermaßen diese verzehrende Liebe Gottes, der sein
Werk in den Seelen, die sich ihm ausgeliefert haben,
vollendet.
Ich
sehe ebenso, daß die Seelen im Fegfeuer Gott und den Nächsten
viel vollkommener lieben, als wir es zu tun wissen: sie
lieben Gott über alles, und Gott in sich um seiner
selbst willen. Und in ihm lieben sie uns, weil sie uns
in ihm entdecken und uns in ihm als Gegenstand seiner
unendlichen Liebe sehen. Sie lieben uns in einem
eindringlichen Licht der Wahrheit und Reinheit.
Hienieden lieben wir im allgemeinen leichter unsere Brüder,
sodann Gott in ihnen, weil wir durch unsere Schwäche,
unsere Empfindlichkeit, unseren Glaubensmangel sehr
beschränkt sind: die Forderungen der Liebe sind
andersartig, für uns muß die Liebe, die wir dem Nächsten
entgegenbringen, das Zeichen, die Bekundung der Liebe
sein, die wir für Gott hegen sollen, und wir können
unsere Liebe zu Gott nur an den Bekundungen unserer
Liebe zum Nächsten messen. Im Fegfeuer gilt in
Wahrheit: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
(...), das ist das erste Gebot; du sollst deinen Nächsten
lieben wie dich selbst, das ist das zweite Gebot» (vgl.
Mt 22,37-39).
Die
heiligen Seelen im Fegfeuer lieben einander in Gott, und
sie lieben uns in Gott, durch diese Liebe bleiben sie
eng mit uns verbunden. Um diese Liebe, sowohl Gott gegenüber,
wie allen Seelen im Fegfeuer und der streitenden Kirche
gegenüber zu bekunden, beten sie: das Gebet ist ihre
Sprache der Liebe. Das Fegfeuer ist eine Welt des
Gebetes. Sie beten füreinander, sie freuen sich, wenn
sie die eine oder die andere unter ihnen am Ende ihrer
Pein sehen, wie sie in den Himmel eingeht; sie beten für
die Verstorbenen, die im Fegfeuer ankommen, sie beten für
uns hienieden, sie verwenden sich für uns, soweit Gott
es ihnen gestattet, sie stehen uns bei und helfen uns
sogar. Das Gebet der Seelen im Fegfeuer ist dicht und
immerwährend und unentgeltlich: sie verdienen nichts
mehr für sich selber und auch nicht für die andern.36
Das
Fegfeuer ist eine Welt der Liebe, deshalb ist es fest
begründet im Frieden, in Harmonie und Ordnung, was
alles Früchte Gottes, der Liebe, sind. Sie sind ganz
dem reinen Willen Gottes ausgeliefert, der reiner
Liebeswille ist. Und aufgrund dieses Reichs des Friedens
im Fegfeuer darf ich behaupten, daß es keine größere
Freude gibt — außer dem Glück, im Himmel zu sein —
als sich im Fegfeuer zu befinden. Und ich betrachte
staunend diese Welt der Liebe und des Gebetes, wo die
heiligen Seelen vor allem zu Gott beten, um ihn zu
verherrlichen, um ihre Erkenntlichkeit und ihre
Dankbarkeit zu bezeugen; und in ihm, in seiner Liebe,
beten sie für uns. So lauten die großen Wahrheiten,
die mir an diesem Tage gezeigt worden sind. Ich kam
wieder zu mir, mit ermüdetem, erschöpftem Leib, aber
die Seele noch von Liebe berauscht.
Das Gebet der
Seelen im Fegfeuer
Mein
Schutzengel kam zu mir und sagte mit Ernst: Bete viel für
die heiligen Seelen im Fegfeuer, die so viel für euch
beten.37
Sie
werden zu sehr vergessen, zuviele Leute vernachlässigen
ihre Pflicht, auf deren Meinung zu beten, zuviele Leute
zeigen sich als undankbar!
Mit
einer Geste der Hand ließ er mich schauen — in einer
sehr deutlichen inneren Schau — die heiligen Seelen im
Fegfeuer, in das große, beständige Feuer der
unendlichen Liebe versenkt. Und ich habe ihr Gebet
betrachtet: obwohl es für mich sehr klar war, so weiß
ich dennoch nicht, wie ich es wahrgenommen habe. Während
vieler Jahre habe ich nicht gewußt, daß die Seelen im
Fegfeuer beten, weil mir eine solche Vorstellung nie
eingefallen ist; ich glaubte, sie würden ihre Strafe
erdulden, ohne sonst etwas... Und trotzdem ist ihr
Gebet, das sehr intensiv und recht verschieden vom
unsrigen ist, unvergleichlich schöner, wahrhaftiger,
reicher an Harmonie und Einheit, weil sich nichts Gefühlsmäßiges
wie in das unsere einmischt.
Ich
habe dieses Beten der Seelen im Fegfeuer geschaut als
ein Emporsprudeln, ein in ihnen Ausgegossen-Werden der göttlichen
Liebe, die sie ganz umkleidet, sie in Liebe verzehrt;
sie beten zugleich in äußerstem Jubel und unter äußerstem
Schmerz, was ihre eigentliche Daseinsweise, ihr Zustand
ist, und ich glaube, daß man sich nur eine Vorstellung
davon machen kann, wenn man sich an den heiligen Paulus
erinnert, wo er sagt, er juble in den Bedrängnissen und
in den Prüfungen. Das ist sehr geheimnisvoll, aber es
ist so.
Ich
habe gesehen, daß die heiligen Seelen im Fegfeuer in
heiterem und selbstlosem Flehen beständig beten: und
was sie von dieser göttlichen Liebe, die sie erfüllt,
empfangen, das wollen sie den andern geben, nie wollen
sie irgend etwas für sich behalten, weil sie in
gewissem Sinn sich keineswegs für sich selber
interessieren, sondern einzig für die Ehre Gottes; und
die Verherrlichung Gottes beruht auf der Ausbreitung der
unendlichen Liebe in allen Seelen, das ist die
Ausbreitung des Reiches Gottes. Sie tragen auch ein äußerst
starkes Mitleid zu ihresgleichen, die bei ihnen weilen,
und zu allen Leuten, die sie auf Erden gekannt haben, zu
allen Mitgliedern der streitenden Kirche, deren ewiges
Heil sie mit glühendem Eifer, mit Liebe, ersehnen,
damit Gott durch sie verherrlicht wird. Dafür beten
sie. Dann redete der Engel zu mir über das, was er die
Liturgie des Fegfeuers nennt:
Die
heiligen Seelen im Fegfeuer verharren in einem beständigen
Gebet, alles an ihnen ist nur Beten, weil sie sich dem
reinen Willen Gottes ganz ausgeliefert haben. In
besonderer Weise vereinen sie sich mit allen
liturgischen Feiern auf Erden, und diese Feste der
Kirche kennzeichnen für sie einen gewissen Rhythmus,
obwohl sie das Messen der Zeit nicht mehr kennen. Die
Liturgie der Seelen im Fegfeuer beruht auf der Anbetung
der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes, wobei in engem
Anschluß die liturgischen Kundgebungen der streitenden
Kirche nachgebildet werden. Ihr Beten ist eine sehr
reine Anbetung, vereint mit dem Lobpreis der Danksagung,
den sie beständig zum Höchsten für ihre Rettung
erheben: sie feiern die Erbarmungen des Herrn. Sie beten
füreinander, aber nie für sich selber, denn sie sind
ganz versunken in Gottes reinem Willen und dadurch
gleichsam sich selber total vergessend. Aber sie
erflehen unablässig die Befreiung der andern, denn sie
brennen vor Liebe zueinander, und vor Eifer für die
Ehre Gottes. Nun aber wissen sie, daß jedes
Befreit-Werden einer Seele aus dem Fegfeuer zur Ehre
Gottes beiträgt. Und diese Verherrlichung des Herrn ist
gleichsam ihre einzige Sorge. Befreit von allen
Behinderungen durch das Empfindungsvermögen und die
Begehrlichkeit, vermögen diese heiligen Seelen füreinander
zu beten im Licht einer vollendeten Liebe. Anläßlich
gewisser Feste, zumal der seligsten Jungfrau, werden
viele Seelen befreit: das ist Anlaß zu großen Freuden
für das ganze Fegfeuer. Jede heilige Messe bringt
diesen Seelen zahlreiche Tröstungen, zumal jene, die
auf ihre Meinung besonders gefeiert werden, vor allem
jene am 2. November. Die Seelen hören nicht auf, Gott
dafür zu danken und auf die Meinung jener zu beten, die
für sie beten: sie sind eifrig, von Gott die Bekehrung
und die Heiligung aller Menschen zu erbitten, und sie können
sich sogar an die hochselige Muttergottes und an die
Heiligen wenden, um sie um die Fürsprache zugunsten von
euch allen zu bitten, die ihr noch auf der Erde seid. So
sieht das große Gebet der Seelen im Fegfeuer aus, das
seine Nahrung im Feuer der göttlichen Liebe findet, und
das allein zur Ehre Gottes ausgeübt wird, für die
Ausbreitung seiner Königsherrschaft und zum Heil aller
Seelen.
Als
der Engel mir diese Dinge gesagt hatte, entschwand alles
für mein inneres Auge, und ich verharrte im Gebet.
Eine Welt des
Gebetes
Morgenbetrachtung.
In einer lebhaften innern Erleuchtung wird meine Seele
eingeladen, das Gebet der heiligen Seelen im Fegfeuer
staunend zu betrachten. Ich sehe sie alle angespannt in
einer demütigen Verfügbarkeit dem reinen Willen Gottes
gegenüber, und ihr Gebet erhebt sich in Spiralen wie
Weihrauchschwaden, die drei widerscheinende Farben an
sich tragen, zum Throne Gottes empor. Das überrascht
mich. Mein Schutzengel, der neben mir steht, sagt
zu mir:
Schau,
mein Kind, und begreife gut. Dieses Bild zeigt dir das
Gebet dieser heiligen Seelen, und es erklärt dir die
drei Kennzeichen: deshalb siehst du Weihrauchschwaden,
die emporsteigen in Spiralen unter drei verschiedenen
Farben.
Es
gibt da nämlich weiße sehr leichte Spiralen, etwas
schwerere Voluten in einem lebhaften Rot, und sich
verdrehende goldfarbige recht dichte Gebilde; aber es
ist ein einziger Rauch. Und der Engel fuhr fort:
Das
Gebet der heiligen Seelen im Fegfeuer ist vollkommen demütig,
vollkommen vertrauend, vollkommen dankbar. Es ist vor
allem Gebet der Danksagung, unablässige Verherrlichung
der Heiligkeit Gottes. Sie sind gefestigt in dieser
staunenden Betrachtung durch eine absolute Entscheidung:
sie wissen, daß sie Gott von Angesicht zu Angesicht
erkennen werden, und sie verharren in anbetendem
Sich-nieder-Werfen vor Gottes Heiligkeit in einer
Haltung tiefer Demut. Sie wissen, daß sie seiner
Barmherzigkeit unwürdig sind, sie bedürfen einer
schmerzlichen Reinigung, die sie befähigen wird,
endlich Gott zu besitzen. Das alles hält sie in tiefer
Demut nieder, und sie beten sehr demutsvoll.
Staunend
betrachte ich diese Seelen, die mir im Abgrund ihres
Elends versunken scheinen, ganz verwirrt darüber, so
unwürdig vor der göttlichen Heiligkeit und Gegenstand
der feurigen Liebe Gottes zu sein. Sie befinden sich in
einem sehr schmerzlichen Feuer, das sie gefangen nimmt,
sie gewissermaßen einkreist; es ist als ob dieses Feuer
ihre normale geistige Betätigung einschränken und
durchkreuzen würde. Da nun liefern sie sich sehr gefügig
dem reinen Willen Gottes aus, unterwerfen sich ihm in
einer Haltung tiefer Demut, die sie daran hindert, den
geringsten flüchtig hingeworfenen Blick auf sich
selber, die geringste Aufmerksamkeit für sich selber,
zu haben; sie beten nicht für sich selber, sie sühnen
und beten für die andern und besonders um Gott zu
verherrlichen. Ich sehe auch, daß sie sehr beständig,
heiter und vertrauensvoll sind, weil sie von allerlei
falschen Schranken entledigt, von vielerlei
Behinderungen des sinnenfälligen, affektiven,
psychologischen Bereichs u.a.m befreit sind. Bei ihnen
gibt es keine Angst, noch Zweifel, noch Ungewißheit,
sondern einen süßen und sanften Frieden zusammen mit
der Gewißheit, früher oder später zur ewigen
Seligkeit eingeladen zu sein und das durchtränkt ihr
Beten mit sehr großem Vertrauen, mit großer Kraft.
Mein heiliger Engel sagt zu mir:
Die
heiligen Seelen im Fegfeuer sind stark, weil sie im
Frieden sind, weil ihre Einigung mit dem reinen Willen
Gottes so total und so vollkommen ist, daß sie daraus
eine große Geduld und radikales Vertrauen gewinnen.
Darum ist ihr Gebet vertrauensvoll, es bringt ihre
Hoffnung zum Ausdruck, sich voll an ihrer Rettung freuen
zu dürfen im ewigen Besitz Gottes, den sie lieben.
Diese heiligen Seelen haben noch Unkenntnisse, aber sie
wissen, daß sie von nun an geschützt sind vor jedem
Fehler und jedem Irrtum. Da sind sie eben in
vollkommenem Vertrauen.
Und
dann sehe ich sie vor allem in unablässigem Jubel, in
einer unsäglichen Freude, die sie buchstäblich zu Gott
emporhebt in starken Aufschwüngen der Liebe und die sie
allen Gliedern der heiligen Kirche zuwendet. Der Engel
sagte zu mir:
Das
sind die Aufschwünge des Dankens, denn diese heiligen
Seelen jubeln intensiv inmitten der heftigsten
Schmerzen: sie befinden sich in Glück und Freude darüber,
daß sie auf ewig gerettet sind, in einem fortwährenden
Danken für diese Gabe des Heiles. Sie danken Gott unablässig
für all die Gnaden, die er ihnen in diesem Zustand der
Läuterung gewährt, den sie zärtlich lieben: ihr
Wissen wird ausgeweitet und vervollständigt, sie
verkosten manche Geheimnisse, die für euch noch dem
Glauben angehören, weil sie diese erfahren und kennen.
Sie empfangen unzählige Hilfen von der ganzen hl.
Kirche des Himmels wie auf Erden: dies sind die
Auswirkungen der unzerbrechlichen Gemeinschaft der
Heiligen, und dafür danken sie dem Höchsten in immerwährenden
Dankesausbrüchen. Sieh, wie schön das Gebet der Seelen
im Fegfeuer ist, so rein, so heiter, so vollendet! Das
sind große Freuden des Fegfeuers, die keinesfalls die
Pein selber ausschließen, das große Leiden der Buße,
die aber wie Lichter in der Nacht sind, wie Zeugnisse
der unendlichen Liebe Gottes.
Ich
beschaue all das, diese Voluten wohlduftenden Rauches,
die sich zum Himmel emporranken bis hin zum Throne
Gottes, und welche die erdrückende Gebetsdichte zum
Ausdruck bringen, die man im Fegfeuer sehen kann: es ist
eine Welt des Gebetes, denn für diese heiligen Seelen
ist das Gebet die Sprache der Liebe, und sie sind in die
göttliche Liebe, in die brennende Liebe Gottes
eingetaucht. Und alles entschwindet meinem innern Blick.
Mein Gott, wenn wir doch so beten könnten, mit soviel
liebevollem Eifer wie die Seelen im Fegfeuer!
Eine
siebenfache Garbe der Freude und des Jubels
Beim
innern Gebet am Abend sah ich, wie das Fegfeuer sich vor
meinem innern Auge entfaltete unter der Gestalt einer
Art von Feuerkugel, worin eine immerwährende und
intensive Bewegung herrschte. Es ging dabei um eine präzise
und scharfe, rein intellektuelle Schau; staunend
betrachtete ich diese ständig in Bewegung befindliche
feurige Kugel, worin die Seelen gleichsam eingetaucht
und eingeschlossen sich befanden; es gab da jedoch
solche, die wie blitzende Sterne daraus hervorbrachen,
um in den Himmel aufzufahren in einem großen Licht;
andere hingegen stiegen als dunkle und glanzlose Kometen
von der Erde auf, um sich dieser Kugel einzuverleiben,
aus der sie dann später strahlend wieder hervorgehen würden,
um zum Himmel aufzufahren... Und ich sah diese Kugel
gleichsam von einem Strom sehr sanften Lichtes umflutet,
der aus dem eucharistischen Herzen Jesu in breiten
Fluten hervorfloß. Dieser Strom wurde mir gezeigt als
endloses Fluten der göttlichen Liebe, und er umhüllte
und durchdrang die Kugel, und somit das Fegfeuer; und er
durchtränkte es, wobei er sich in sieben Strömen der
Liebe dorthin ergoß, und das ist die fruchtbare Fülle
der göttlichen Liebe im Fegfeuer. Ich sah auch, daß
dieses Feuer der Liebe Gottes eben das Feuer ist, das am
Ort der Läuterung brennt, aber ich bin nicht imstande,
es auf eine bequeme Art auszulegen. Im Fegfeuer selbst,
welches der Zustand ist, in dem die Seelen sozusagen im
Schoß der göttlichen Liebe, die sie läutert,
festgehalten werden, sah ich die sieben Ströme sich wie
eine siebenfache Garbe der Freude und des Jubels unablässig
entfalten: das war sehr trostvoll und sehr schön. Ich
habe begriffen, wie die Seelen im Fegfeuer total in die
göttliche Liebe eingetaucht werden und wie sich die
Freude der göttlichen Liebe im Fegfeuer auswirkt. Es
wurde mir diese tiefe Freude der Seelen im Fegfeuer
gezeigt, die ganz in die göttliche Liebe eingetaucht
werden, in die unendliche Liebe Gottes, als Licht und
brennende Flamme, welche diese heiligen Seelen brennt
und erleuchtet, um sie zu läutern und sie völlig mit
sich zu vereinen.
Zuerst
sah ich, wie diese heiligen Seelen in der Liebe Gottes
geeint werden durch eine zarte Nächstenliebe
untereinander und durch ein sehr feinfühliges Mitleid,
das sie beständig anspornt, füreinander auf eine ganz
selbstlose Weise zu beten, sich über den Fortgang der
einen oder andern zum Himmel zu freuen, sich denen, die
vom irdischen Leben herkommen, in glühendem Mitleid
zuzuwenden, auch die Suffragien, die für sie ankommen,
gewissermaßen untereinander zu teilen. Das ist sehr rührend,
das gibt uns ein Beispiel dafür, was unsere Bruderliebe
hienieden sein sollte.38
Sodann
konnte ich staunend den äußersten Jubel der Seelen im
Fegfeuer inmitten des Lichtes der göttlichen Liebe
betrachten; sie haben keinen Zweifel, keine Angst mehr,
sie kennen keine Todesqual, keine Versuchung mehr, da
sie endgültig befreit sind nicht nur von der Sünde,
sondern auch von jedem Einfluß der Sünde und von jeder
Versuchung und von jedem Anlaß zur Sünde; dadurch sind
sie versichert, Gott nicht mehr zu beleidigen, ja sogar
ihn zu verherrlichen, indem sie die Erfahrung von seiner
Heiligkeit bekommen und sich daran erfreuen, wenn es
auch durch die brennenden Härten ihres Zustandes
geschieht; sie verkosten gewissermaßen bereits ihre
Rettung und machen die Erfahrung mit deren
Erstlingsgaben. All das ist für sie ein Grund zu großem
Jubel.
Ich
habe auch gesehen, daß diese heiligen Seelen die
Freude, das süße unaussprechliche Glück haben, auf
eine gewiße Weise Gott zu besitzen und zwar wie durch
einen Schleier hindurch und ihn zu erkennen aufgrund
einer großen Anzahl von tröstlichen Geheimnissen, die
sie nun erfahren dürfen, wie zum Beispiel das der
Unsterblichkeit und des ewigen Lebens oder das der
Gemeinschaft der Heiligen: diese Geheimnisse werden
ihnen auf vielerlei Weisen kundgetan und sie können sie
sozusagen von innen wahrnehmen, was ihnen zur Quelle großen
Jubels wird.39
Eine
andere Ursache der Freude für diese heiligen Seelen
besteht darin, daß sie alle Suffragien der streitenden
Kirche empfangen, an deren Liturgie sie sich auf eine
Weise beteiligen, die ihnen eigen ist, indem sie daran
teilnehmen und daraus große ständig sich erneuernde Tröstungen
bekommen; sie beten mit einer vollendeten Reinheit und
Geradheit der Absicht für die Bekehrung aller Menschen
und für deren Heiligung, für die Ausbreitung des
Reiches Gottes, dessen Verherrlichung ihr einziges
Bestreben ist; und weil diese heiligen Seelen keinen
anderen Wunsch hegen als die Ehre Gottes, ist dieses
Gebet so rein, so vollendet, daß es sehr fruchtbar und
sehr wirksam ist.
Sogar
die Freude der Hoffnung ist unsagbar: das Glück
gerettet zu sein gewiß, aber auch von nun an zum Sündigen
unfähig zu sein und dadurch zur Verherrlichung Gottes
beizutragen. Sie leben eine Hoffnung, von der uns ein
Bild zu machen, wir nicht imstande sind, so strahlend,
heiter, machtvoll, losgelöst und rein ist sie, Quelle
unablässig sich erneuernder Freuden, und einer
flutenden Danksagung, die sich immer neu wiederholt.
Diese heiligen Seelen werden in die Hoffnung
eingetaucht, welches ihr Dauerzustand ist, es ist für
sie ein gewaltiger Jubel: sie nehmen schon das wahr, was
sie besitzen werden durch Gottes Barmherzigkeit ihnen
gegenüber und sie haben gar keine Angst mehr, sie könnten
es verlieren, aber auch keine unzeitige Eile es zu
erlangen. In einem süßen Jubel inmitten ihrer Peinen,
hoffen sie auf Gott.40
Ich
habe auch eine andere sehr köstliche, auserlesene
Freude gesehen, welche die zahlreichen Besuche der
seligsten Jungfrau, der Engel und aller Heiligen den
Seelen im Fegfeuer bescheren, wenn Gott dies erlaubt, um
sie zu erleichtern, sie zu ermutigen, sie zu stärken,
sie zu trösten und schließlich sie zu befreien, oder
genauer sie zu geleiten und begleiten, wenn die Stunde
der Befreiung gekommen ist. Diese heiligen Seelen im
Fegfeuer verkosten auch die Freude, geliebt zu werden,
dies zu wissen, davon die persönliche Erfahrung zu
machen und ihrerseits dieser Liebe entsprechen zu können,
der unendlichen Güte Gottes und allen Einwohnern des
himmlischen Jerusalem dankbar zu sein, wobei bei der Königin
des Himmels und der Erde, bei der Jungfrau Maria, zu
beginnen ist. Ich habe gesehen, daß ein einziger Besuch
der Unbefleckten das ganze Fegfeuer erleuchtet: alle
Seelen, sogar die verlassensten ziehen daraus Vorteil
und empfangen dadurch Tröstungen, sei es, daß sie die
eine unter ihnen getröstet sehen, sei es durch das bloße
Einschreiten der Hochheiligen, das ihnen ihre künftige
Befreiung ankündigt.
Endlich
unter all diesen Freuden und inmitten von ihnen,
gleichsam in der Mitte der Garbe offenbart sich eine
ganz spezifische und allgemeinere Freude, als diejenige,
welche gewissermaßen alle andern in sich schließt, die
also nur so etwas wie die Kundgaben davon sind: die
Hauptfreude im Fegfeuer ist die, sich ganz dem reinen
Willen Gottes überlassen zu dürfen, insofern man nur
das will, was ER will, und sich dadurch in der Hingabe
an die Verwirklichung des reinen göttlichen Wollens zu
befinden. Das ist prächtig! Es wurde mir gezeigt, daß
alle Seelen im Fegfeuer mehr oder weniger diese
siebenfache Freude verkosten, und daß die geringste
Anteilnahme der Seele an der einen oder andern
unvergleichlich süßer und lieblicher ist, als alles,
was wir hienieden an Auserlesenem kennen würden: die
dauerhaftesten und sogar die intensivsten Augenblicke
des Glückes auf unsrer Erde sind nichts, verglichen mit
der kleinsten Freude im Fegfeuer.41
Diese
innere Schau war für meine Seele eine unschätzbare
Gnade, ein unsagbarer Trost. Es ist gut, daß wir
wissen, wie sehr die heiligen Seelen leiden und sühnen
— und das sollte uns vor allem dazu anregen, daß wir
sie nie vergessen und sie nie vernachlässigen, daß wir
für sie beten — aber es ist gut und vorteilhaft für
uns, ihre Freuden zu kennen, Gott dafür zu danken,
durch unsere Gebete und Suffragien dazu beizutragen! Und
der Anblick ihrer Freude, die so rein, so übernatürlich,
so wahr ist in diesem großen Geheimnis des Lichtes und
der Wahrheit, welches das Fegfeuer ist, muß unsere
Herzen zur Liebe und zum Dank gegen Gott entflammen und
uns in einer unerschütterlichen Hoffnung befestigen.
Werde ich jemals dem Herrn für all diese Gnaden, für
all diese freigebigen Geschenke, die seine unendliche
Liebe an meine Armseligkeit unentgeltlich austeilt, genügend
zu danken wissen? Er hat mich im Geheimnis des Fegfeuers
so etwas wie den Widerschein seiner Liebe, seiner
unendlichen Güte, erahnen lassen wollen und wie ein
sehr liebevoller Vater wacht er immer darüber, daß
diese übernatürlichen Wirklichkeiten,
womit er unsere Seelen ernähren
will, für uns zu einem Gegenstand treuer und
liebevoller Betrachtung mit Staunen werde, eine
geistliche Bereicherung und Anlaß zum Beten und
Danksagen. Aus diesem Grunde will er auch, daß diese
Dinge aufgeschrieben und bekannt werden. Er hat an
meinen Weg einen heiligen Priester, einen sehr gütigen,
erleuchteten Vater, einen Mann des Gebetes gestellt.
Durch diese geistliche Vaterschaft, durch diese feste
und gütige Leitung hat Gott mich führen wollen. Er hat
auch zugelassen, daß dank dem Gehorsam diese
Wirklichkeiten des Fegfeuers im Gebet entgegengenommen
wurden und daß ich alles aufschrieb, trotz meinem
Widerstreben dagegen. Nun leiste ich diese Pflicht gern,
weil ich weiß, daß es zur Ehre Gottes und zum Heil der
Seelen, besonders jener im Fegfeuer, gereicht. Mögen
diese Texte dazu beitragen, daß diese Seelen mehr
geliebt werden und daß noch mehr für sie gebetet
werde! Dann wird Gottes Wille in Erfüllung gehen. Das
sagte mir einst mein Schutzengel nach einer ernsten und
sehr anstrengenden Vision des Fegfeuers:
Kind,
verharre im Frieden Gottes. Du sollst alles
aufschreiben, was dir gezeigt wird, alles, was dir
gesagt wird. Es ist zur Ehre des Höchsten. Der Gehorsam
erfordert es, du wirst es also tun. Die Ehre Gottes
fordert es, auch wenn du es nicht verstehst. Diese
Niederschriften können den Seelen sehr viel Gutes tun,
sie können sie anregen, mehr für die Seelen im
Fegfeuer zu beten. Wenn du wüßtest, daß eine einzige
Seele im Fegfeuer dank deinen Schriften befreit werden
kann, würdest du nicht zögern... Dann schreib aus
Liebe und aus Gehorsam. Das alles wird dir für die
Heilige Kirche geschenkt: bewahre es nicht eifersüchtig
auf, verschließe nicht deine Hände über der Gabe
Gottes! Bleibe ein kleines Werkzeug, ein einfacher
Kanal...
Eine kirchliche
Sühneliturgie
Am
Feste Maria Opferung im Tempel. Gegen Ende der
Betrachtung schaue ich die hochselige Gottesmutter, die
ganz strahlend unter dem Geleite mehrerer Engel und
Heiligen vom Himmel herabsteigt, um in einem großen,
regenbogenfarbigen Lichtstrahl bis ins Fegfeuer
hinunterzugehen. Sie streckt ihre Hände vor, gleichsam,
als wäre sie ungeduldig, ihre Kinder, die am Ort der Sühne
sind, zu sehen, und zwei hoheitsvolle Engel öffnen ihr
gewissermaßen den Weg: ich glaube, daß es der heilige
Michael und ein anderer der heiligen Erzengel ist, ich
weiß zwar nicht welcher. Wenn die heiligste Jungfrau im
Fegfeuer erscheint, dann ist Festfeier und großer
Jubel: die Seelen wenden sich singend ihr zu und richten
Lobgesänge an sie, vertrauen ihr Anliegen an, darum
sagt mein Schutzengel zu mir:
Es
kommt vor, daß der Höchste gewissen Seelen, die noch
im Fegfeuer sind, Erkenntnisse über ihre Verwandten
oder Freunde, die noch bei euch auf Erden sind, gewährt:
Nöte oder im Gebet ausgesprochene Bitten. Und diese
heiligen Seelen legen dann Fürsprache ein zugunsten
dieser Verwandten oder Freunde, sie wenden sich dafür
an die Unbefleckte Jungfrau, denn sie wissen, daß sie
in ihr eine machtvolle Königin und eine sehr liebevolle
Mutter finden.
Ich
betrachte also staunend dieses lichtvolle Schauspiel,
das sich vor meinem innern Auge durch Gottes Gnade enthüllt.
Und die seligste Jungfrau verteilt über diese Seelen so
etwas wie Schätze an Perlen, an kristallartigen Tröpfchen,
die sowohl aus ihren Fingern wie ihrem Mutterherzen
rieseln, dem Sinnbild des unendlichen Trostes, den der
Herr den heiligen Seelen des Fegfeuers gewährt, und wofür
er seine reinste Mutter zur Schatzmeisterin und
Ausspenderin haben wollte. Ich sehe, wie die Jungfrau
Maria sich dieser oder jener Seele nähert, indem sie
diese mit sehr sanften Worten stärkt; und die Seelen
ringsum jubeln vor Freude, weil sie sich über den
Besuch freuen, womit ihre Mutter sie anläßlich ihres
Festes beschenkt, aber auch über die Gnaden und
Gunsterweise, die sie für die Seelen und für das ganze
Fegfeuer erlangt. Und die Königin des Fegfeuers faßt
mit vollen Händen allerlei Tröstungen, die mir als
Tautropfen gezeigt werden, indem sie sie aus zwei großen
Goldtruhen schöpft, welche von Engeln getragen werden.
Mein Schutzengel sagt:
Das
da sind alle Gebete, Suffragien, die Akte der Tugend und
der Frömmigkeit, die Liebesseufzer und die Übungen der
Liebe, die ihr zugunsten dieser heiligen Seelen
vollbringt. Das sind die Schätze eurer Suffragien zu
ihren Gunsten, worüber die unbefleckte Jungfrau zur Hüterin
bestellt ist und die sie ohne Unterlaß den Seelen im
Fegfeuer verteilt. Siehe, wie sehr man beten muß! Diese
Truhen müssen immer überquellend von euren guten
Werken, von euren Gebeten und euren Liebesseufzern
zugunsten der heiligen Seelen im Fegfeuer sein!
Die
Heiligen, die an diesem Tag der Jungfrau Maria, als
ihrer Königin das Geleite geben, kommen auch um gewisse
Seelen zu trösten und zu besuchen: es sind drei, ein
Papst, ein Blutzeuge und ein junger Kleriker, ganz von
Licht umstrahlt; und sie neigen sich mit Liebe, mit
unsagbarem Feingefühl über gewisse Seelen, die sie trösten
und denen sie helfen, in Freude die Peinen des Fegfeuers
zu ertragen.42
Der Schutzengel erklärt mir:
Diese
drei Heiligen kommen, um ihren Kindern beizustehen und
sie zu trösten, die im Fegfeuer sind, das heißt die
Seelen, deren Schutzpatrone sie sind und die zu ihnen
eine besondere Verehrung gehabt haben. Die Kirche feiert
heute43
deren Fest und aus diesem Anlaß kommen sie, um diese
Seelen zu besuchen und zu trösten.
Sodann
entschwindet alles meinem innern Auge. Ich befinde mich
in einer starken Freude. Kurz danach findet die heilige
Messe statt, in deren Verlauf ich noch in einem hellen
Licht, das den Zelebranten und den Altar umhüllt,
vielerlei Seelen sehe, wie sie sich diesem durch das
Gebet anschließen und daraus zahlreiche Gnaden
einsammeln. Da sagt mir der Engel:
Siehe,
mein Kind! Die heiligen Seelen im Fegfeuer schließen
sich der Liturgie der heiligen Kirche an, ihren Festen,
ihren Gottesdiensten und ihren Gebeten. Es gibt im
Fegfeuer so etwas wie eine große Liturgie, die innig
mit der Liturgie auf Erden verbunden ist, wie diese
wiederum auf die im Himmel hingeordnet ist. Aber die
Liturgie im Fegfeuer ist vor allem Liturgie der Anbetung
und der Sühne. Die Königin des Weltalls kommt, um
diese heiligen Seelen an jedem ihrer Feste zu trösten,
besonders aber wenn die Kirche ihre Unbefleckte Empfängnis
und ihre glorreiche Himmelfahrt feiert. An jedem Tag,
wenn die Kirche einen Heiligen feiert, geht er ins
Fegfeuer, um jeder all seine Kinder zu trösten, die
noch leiden. Jeden Tag kommen die Engel des Höchsten
ins Fegfeuer als Boten der göttlichen Liebe für die
heiligen Seelen. Das größte Fest im Fegfeuer ist
Allerseelen am 2. November: die Seelen empfangen dabei
unermeßliche Tröstungen und der Widerschein dieser großen
Feier bringt Aufhellungen bis ins Große Fegfeuer
hinunter. Die ganze heilige Kirche ist dann vereint in
einem großen Fürbittgebet zugunsten aller Seelen im
Fegfeuer, und alle ziehen Nutzen aus den Gnaden dieses
Tages, sogar die Verlassensten, sogar die im Großen
Fegfeuer: es ist das große Geheimnis der Gemeinschaft
der Heiligen.
Gegen
Ende der heiligen Messe, während ich in Danksagung
verweile, sehe ich zahlreiche Seelen sich in die
himmlische Herrlichkeit erheben, geleitet und umgeben
von ihren Schutzengeln und zahlreichen Heiligen; vor
Gottes Thron empfängt sie die seligste Jungfrau und führt
sie gewissermaßen in den Himmel hinein, wobei sie ihnen
die Pforte öffnet. Janua caeli, ora pro nobis! Du Pforte des Himmels, bitte für uns!
Unter
diesen Seelen befindet sich die eines Priesters, dem die
Engel mit Ehrfurcht ein Meßgewand und eine Stola
anziehen, die aus feinem Gold gewoben sind; sein
Schutzengel geht vor ihm her und hält einen Lilienzweig
in der rechten Hand und einen mit roten Rosen geschmückten
Zweig in der Linken. Ignatius von Loyola begrüßt als
erster diesen Priester, sodann kommen, ganz strahlend
von Himmelsherrlichkeit: Aloisius von Gonzaga und etwas
zurück die Apostel Peter und Paul, der Papst Pius XII.
und Theresia von Avila. Alle führen diesen Priester bis
zur Jungfrau Maria hin: sie öffnet ihm lächelnd die
Arme; er hebt das Antlitz zu ihr empor und er weist auf
einen andern Priester hin, der noch im Fegfeuer weilt;
schließlich treten alle in die himmlische Seligkeit
ein. Der Priester, der im Fegfeuer geblieben ist — im
Vorhof des Himmels —, nähert sich mir und sagt zu
mir:
Willst
du für mich beten, mein Kind? Es ist mein Bruder, der
zu Gott hin fortgegangen ist mit den Heiligen, zu denen
er eine besondere Andacht hegte. Wir sind zwei Brüder,
wir haben uns gemeinsam Gott geweiht... Er ist vor mir
gestorben, dann haben wir uns heute hier wiedergefunden.
Dieser heilige Priester ist ganz strahlend, er zittert
vor Glückseligkeit und spricht zu mir mit Herzlichkeit:
Wie glücklich sind wir, wenn einer von uns in den
Himmel geht! Es ist schon ein wenig die Ankündigung
unsrer kommenden Befreiung. Und mein Glück ist noch größer,
da es ja mein Bruder ist, er wird im Himmel für mich
beten...
Was
für prächtige Worte! Ich verspreche diesem Priester,
daß ich für ihn beten werde, daß ich ihn nicht
vergessen werde, und er sagt als Schlußwort:
Jeden
Tag gibt es eine unaufhörliche Bewegung. Ohne Unterlaß
kommen hier Seelen an, und andere gehen fort zum Himmel,
besonders an den großen Festen der Kirche, und am
Samstag, weil dies der Liebfrauentag ist, der Tag unsrer
gütigen Mutter und Herrscherin. Alles ist Danksagung
hier, vor allem aber eine große Sühneliturgie zur
Wiedergutmachung für alle Sünden, die wir früher
begangen haben... eine Liturgie der Liebe in
Gemeinschaft mit der auf Erden und jener im Himmel.
Dann
erlischt alles für mein inneres Auge. Mein Engel segnet
mich. Ich bete, meine Seele ist in süßem Frieden.
In der Einheit
des mystischen Leibes
Am
Fest Maria Opferung im Tempel. Nach der heiligen Messe während
der Danksagung sah ich, Feuergarben funkelnder Sterne
sich aus einer Art dunklem Brunnenschacht erheben und in
unermeßlicher Klarheit zum Himmel aufsteigen, in den
sie eingingen, um darin einzutauchen. Mein Engel ließ
mich verstehen, daß dies heute durch die liebe
Muttergottes aus dem Fegfeuer befreite Seelen sind. Dann
sah ich die Jungfrau Maria, sie stand in einem
Lichtkranz, die rechte Hand erhoben, die linke zum
Fegfeuer hinabgehalten; und das Blut Jesu, seines
durchbohrten Herzens, ergoß sich als Strom des Lebens
in das Herz Mariens und von dort floß es als Regen aus
ihrer linken Hand über das Fegfeuer herab. Ich
betrachtete sie staunend, wie sie für die Seelen im
Fegfeuer betete, das heißt auf die Weise, wie die
Heiligen für sie beten: indem sie diese nach einem
Vorgang, der ihnen eigen ist, die Liebesanziehung des
dreieinigen Gottes auf sie verspüren ließ. In der
Herrlichkeit der Heiligen, die sie besuchen, um sie zu
trösten, sehen die Seelen im Fegfeuer in einer
machtvollen Liebesanziehung Gottes das, wonach sie
streben, das, wozu sie eingeladen sind.
Es
wurde mir gezeigt, daß diese heiligen Seelen die klare
intellektuelle Einsicht ohne jede Anstrengung des
Nachdenkens in die Vollkommenheit und die unübertreffliche
Güte Gottes haben, was für sie wie ein sehr mächtiger
Magnet ist: sie werden in einer feurigen Begeisterung
auf Gott hin angezogen, nach dem sie verlangen, während
sie daran leiden, ihn zurzeit noch nicht zu besitzen,
und dieser Aufschwung wird gleichsam abgebremst oder
gebrochen durch das Hindernis der Schuldenlast von der Sünde
her, die sich in ihnen befindet; darin besteht ihre
Liebesqual und diese Peinen des Verlangens nach Gott,
die wie ein schrecklicher Hunger und Durst sind, es ist
eine feurige Liebesqual in völliger Unterwerfung unter
das reine Wollen Gottes. Denn diese heiligen Seelen,
obwohl sie nach Gott hungern, werden von dem kaum
ertragbaren Verlangen verzehrt, der Forderung seiner
Gerechtigkeit genug zu tun und seine Heiligkeit zu
verherrlichen. Es ist in der Tat ein äußerst
schmerzhafter Zustand, und so stöhnen sie ganz sanft:
Bis
wann wirst du mir dein Antlitz verbergen, o Herr?
Befreie uns, o Gott, um deines Namens willen! (Ps 13,2;
79,9).
Ich
habe diesen mystischen Hunger nach dem vorbehaltenen
Gott verspürt, den nichts, wirklich nichts zu stillen
vermag; es ist ein brennend heißes Verlangen, das allmählich
immer stechender und quälender wird, das zugleich
infolge der Erinnerung an Gott, an den man auf der Erde
geglaubt und den man im Augenblick des besonderen
Gerichts nur kurz in seiner Herrlichkeit geschaut hat,
und infolge des Herannahens der Befreiung im höchsten
Grad aufgereizt wird. Zusammen mit dieser schrecklichen
Pein begründet die Strafe der Empfindung, die veränderlich
ist in Form und Intensität ein unerhörtes Leiden der
Liebe, ein Leiden, das nur sühnend keinesfalls
verdienstlich ist, ein strenges Leiden, weil das
Fegfeuer das Reich der göttlichen Gerechtigkeit ist,
ebenso wie seiner Barmherzigkeit.
Mein
Schutzengel hat mir auch gesagt, daß die seligste
Jungfrau zum Beten für die heiligen Seelen im Fegfeuer
aufruft: sie will, daß wir hienieden für diese
heiligen Seelen beten beim Üben der Bruderliebe. Kurz
vor dem Zweiten Weltkrieg hat sich die seligste Jungfrau
kundgetan durch Erscheinungen in Heede in Deutschland
als Königin des Weltalls und Herrscherin über die
Seelen im Fegfeuer. Der Engel sagte mir, daß diese
Erscheinungen echt sind und daß ich es schreiben darf,
weil die Hierarchie zur Echtheit neigt und kein
negatives Urteil über diese Geschehnisse vorgebracht
wurde. Er hat mir über diese Erscheinungen auch gesagt,
daß sie äußerst bedeutsam waren, daß die Jungfrau
Maria sich mit dem Jesuskind in den Armen gezeigt hat,
denn so geht sie oft ins Fegfeuer, um die leidenden
Seelen zu besuchen: sie ist diejenige, die ihnen Jesus
bringt und ihn schenkt, die Mutter und die Ausspenderin
des Heils und des Lichtes. Bei dieser Gelegenheit habe
ich die seligste Jungfrau zu den Seelen im Fegfeuer
hinabsteigen sehen; diese sehen das Jesuskind nicht,
aber sie beschauen es in Maria und nehmen seine
Gegenwart wahr, was sie mit einem liebevollen Verlangen
nach Einigung entflammt. Die Muttergottes besucht das
Fegfeuer an jedem Samstag — ausgenommen in der
Fastenzeit und während des Advents — und an ihren
Festen. Sie erlangt die Befreiung zahlreicher Seelen für
gewisse ihrer Feste, namentlich zur Unbefleckten Empfängnis,
zur Aufnahme in den Himmel und an dem Tag, wo die ganze
Kirche sie als Muttergottes feiert: auch zu Weihnachten
gibt es viele Seelen, die aufgrund der Geburt Christi
zur beseligenden Anschauung zugelassen werden. Die
seligste Jungfrau schenkt den Seelen in reichem Maße Tröstungen
und Ermutigungen; ich glaube, daß sie das Fegfeuer
nicht sehr gern hat und daß, wenn sie es dürfte, es
auf einen Schlag leeren würde: deshalb bittet sie uns
ja auch, ihr durch unsere Gebete zugunsten dieser
heiligen Seelen zu helfen. Der Engel hat mir über die
Ereignisse in Heede gesagt, daß sie in Deutschland und
nicht anderswo stattgefunden haben infolge des nahen
Bevorstehens des Krieges, den Deutschland auslösen würde.
Sie hat die Aufmerksamkeit des Volkes Gottes auf das
Fegfeuer lenken wollen, damit jede treue Seele sich an
ihre Worte erinnern könnte und für die Millionen und
Abermillionen von Soldaten und Zivilisten, die in diesem
Kriege sterben würden, beten könnte. Auf dieselbe
Weise hat sie sich zur Königin des Weltalls erklärt,
um zu zeigen, daß sie durch Gottes Willen diese Königsherrschaft
über die ganze Erde und über alle Völker bekommen
hat, — die bald Brudermörder werden sollten — und
auch über den Himmel und das Fegfeuer.
44
Maria
legt Fürsprache ein
Ich
konnte ein wenig Zeit finden, um meine Wünsche der
Jungfrau Maria vorzubringen zum Anlaß des morgigen
Festes.
In
der Kirche habe ich auf den Knien vor ihrer Statue
hinten im Heiligtum ganz spontan, wie ein Kind zu seiner
Mutter, mit ihr geredet, und dieser Austausch hat
sogleich meine Seele mit Freude
erfüllt. Das ist gewiß kein
Selbstgespräch, denn wenn man auch die Stimme der
Jungfrau Maria nicht hört, und auch nicht ihre
Antworten, so darf doch, wer zu ihr betet, versichert
sein, daß sie ihn anhört und sogar ihm antwortet: sie
spricht zur Seele ohne Wortgerede, auf eine unendlich
sanfte, feinfühlige und innige Weise als die Mutter der
schönen Liebe.
Dieses
rein innere Zwiegespräch beschäftigte mich, als ich
gerade vor mir in einem starken und plötzlichen Licht
einige Meter vor mir ein packendes Bild sah: Jesus am
Kreuz mit Strömen von Blut, die aus seinen heiligen
Wunden hervorflossen, besonders aber aus seinem
verwundeten Herzen als lange rote Bächlein. All dieses
so kostbare Blut ergoß sich ohne Ende in das
schmerzhafte und Unbefleckte Herz Mariens, wie ein
einziger überreicher Strom. Die Unbefleckte Jungfrau
stand am Fuße des Kreuzes und erhob die Hände zum
Himmel in einer Haltung der Fürsprache: mit Licht
umkleidet und mit Sternen bekränzt, betete sie still,
das Antlitz war ein wenig traurig und sehr ernst.
Und
ich sah dieses Blut sich in das Herz Mariens ergießen,
ohne daß auch nur ein einziges Tröpfchen, ja ein
einziges Teilchen davon verlorenging. Aus diesem
Mutterherzen ergoß es sich in zwei breiten Strömen,
der eine floß brausend auf uns, auf die Erde und die
ganze Menschheit hinab, und der andere fiel sanfter als
üppiger und erfrischender Regen auf das Fegfeuer.
Dieser Anblick rief eine unsagbare Freude in mir hervor,
und mein heiliger Engel sagte zu mir:
Maria
legt Fürsprache ein.
Dann
schaute ich ein anderes Bild. Die seligste Jungfrau
stand vor Gottes Thron, der von einer feurigen Wolke
umgeben war; ich sah in diesem Augenblick nur den
Feuerschein, obwohl ich wußte, daß sie in sich den
Thron Gottes barg. Maria erhob die rechte Hand zu Gott
und senkte die linke zu uns hinab. Und von der Erde
wurden durch die Engel Millionen von reinsten Weihrauchkörnern
heraufgetragen, und diese legten sie unablässig in die
linke Hand der Unbefleckten Jungfrau nieder; diese nahm
sie entgegen und legte sie sodann in ihr Herz, das mir
wie ein glühender Berg von reinstem Weihrauch erschien;
und dieses Mutterherz war wie in einem Feuerherd und
wurde unablässig verzehrt und nie zerstört, und auch
nicht vermindert und erhob sich in Voluten
wohlriechenden Rauches vor Gottes Thron.
Alle
Weihrauchkörner von der Erde, welches unsere Anbetung
und unsere Gebete sind, wurden von den Engeln bis zu
diesem Mutterherzen gebracht; und dort werden sie in ihm
und mit ihm verbrannt in den Flammen des glühenden und
ewigen Feuerherdes der Liebe, welches das eucharistische
Herz Jesu ist, die reine Liebesglut.
Und
vom Throne Gottes her verteilte sich ein überfließender
Lichtregen, der in die rechte Hand Mariens strömte und
von dort in ihr Unbeflecktes Herz; dieses Licht wurde
dann gemildert und mit den Regenbogenfarben versehen,
ein wenig wie der Sonnenglanz gesiebt wird in die vielfältigen
Lichter des Regenbogens, und es ergoß sich über die
Erde wie ein breiter Lichtstrom, der die Heilige Kirche
umflutet und auf jede Seele wie ein sehr sanfter Tau
niederfällt. Ein Teil dieses Lichtes bewegte sich auf
das Fegfeuer zu und troff reichlich auf jede der
heiligen Seelen nieder, die sich dort aufhalten, wie ein
duftender und erfrischender Regenguß, der sie gar sehr
stärkt und erleichtert in ihrem Zustand der Reinigung.
Das sind alles Gnaden, die der Herr über uns ausgießt
durch das schmerzhafte und Unbefleckte Herz seiner
heiligsten Mutter. Der Engel sagte von neuem:
Maria
legt Fürsprache ein.
Schließlich
habe ich die seligste Jungfrau an einem mit einem
unbeflecktem Tischtuch bedeckten Tisch sitzen gesehen
und dabei brachte sie ihr Herz als eine prachtvolle
Schale aus reinem Gold dar, die mit süßem Nektar gefüllt
war; sie lud jede Seele an diesen Tisch ein und gab ihr
von dieser kostbaren Flüssigkeit zu trinken — sowohl
den Seelen im Fegfeuer, wie auch denen auf der Erde.
Sodann durfte jede Seele, die so gelabt wurde,
ihrerseits von diesem erlesenen Getränk anderen Leuten
bringen und sie an den Tisch herbeibringen. In meiner
entzückten Seele wurde mir gezeigt, daß dies die Gabe
der Einheit bezeichnet, Gabe, die aus dem
eucharistischen Herzen Jesu hervorquillt wie ein
lebendiger Quell und die uns durch die Jungfrau Maria,
die Mittlerin aller Gnaden, mitgeteilt wird. Der Engel
sagte zum dritten Mal:
Maria
legt Fürsprache ein.
Dann
erlosch alles für mein inneres Auge. Ich vollendete in
großem Jubel des Danksagens mein Zwiegespräch mit der
Jungfrau Maria, unsrer so liebevollen Mutter.
Monstranz
der Wahrheit
Als
ich mein inneres Gebet zu Ende führte, sah ich die
seligste Jungfrau Maria in unermeßlicher Klarheit vor
mir stehen, die Hände zum Himmel erhoben mit ihrem
glanzvollen Herzen. Lichtfluten entströmten diesem
Mutterherzen und flossen in drei breiten Strömen auf
das Fegfeuer hinab, und die armen Seelen kamen, um daran
ihren Durst zu löschen und sich darin zu baden. Ich
begriff sehr wohl das Sinnbild, aber die Seelen im
Fegfeuer hatten noch eine andere Haltung, die mich
erstaunte: wenn sie am einen der klaren Flüsse tranken,
wenn sie im zweiten badeten, wobei sie allerlei Freuden
und Tröstungen daraus schöpften, so spiegelten sie
sich in den Wassern des dritten Flusses, und das überraschte
mich. Der Schutzengel zeigte sich meinem innern Auge und
erklärte mir:
Diese
heiligen Seelen finden nicht Gefallen an sich selber,
sie bewundern im schmerzhaften und Unbefleckten Herzen
Mariens das Abbild von der Heiligkeit Gottes. Wenn sie
sich im Wasser, das aus diesem liebenden Herzen
hervorgegangen ist, spiegeln, so sehen sie sich, wie sie
sind: noch belastet mit den Folgen der Sünde, noch der
Sühne bedürftig. Diese drei Ströme sind ein Bild: Die
Unbefleckte Jungfrau ist die Monstranz der Wahrheit. Die
heiligen Seelen im Fegfeuer wissen das, in Maria
versenken sie sich in das Meer der Wahrheit, in Maria
trinken sie die Wahrheit, in Maria bewundern sie die
Wahrheit. Es sind dies die größten Tröstungen, die
sie empfangen im Fegfeuer: nämlich in Maria, der
Unbefleckten, die ewige Wahrheit staunend betrachten,
von Maria, der Unbefleckten, die ewige Wahrheit
empfangen. Dieser dreifache Strom dem Herzen unserer Königin
entsprungen hat seinen Quellursprung im eucharistischen
Herzen Jesu, der die ewige Wahrheit ist: Maria ist deren
Mittlerin. Ihr, ihr wißt es nicht hinreichend. Aber die
heiligen Seelen im Fegfeuer, die Bettlerinnen der Liebe
sind, die arme nach Wahrheit Hungernde sind, die wissen
es sehr wohl. Und im ewigen Herzen Mariens, das für die
ganze Kirche offen steht, betrachten sie staunend, was
ihr allzu oft vernachlässigt: das Geschenk der
unendlichen Liebe.
Meine
Seele verharrte im bewundernden Staunen. Ich blickte auf
die seligste Jungfrau Maria und ich jubelte bei ihrem
Anblick; und sie legte mit erhobenen Händen Fürsprache
ein ohne Unterlaß für all ihre Kinder. Hienieden aber
vernachlässigen wir das Geschenk unserer Mutter. Und
der Engel schloß:
Maria
schenkt euch Jesus. Ihr, ihr glaubt allzu oft, ihr wäret
reich genug, weil ihr mit dem Sperrgut von euch selbst
überfüllt seid, und dem Geschenk der Mutter schenkt
ihr keine Aufmerksamkeit. Die heiligen Seelen im
Fegfeuer hingegen, ja sie, die bedürftig und von sich
selber losgelöst sind, sie empfangen mit unendlichem
Dank Jesu Gabe in Maria.
Und
alles erlosch vor meinem innern Auge, während Engel
eine himmlische Harmonie sangen. Ich sagte Dank. O
Jesus, der du in Maria lebst (als die ewige Wahrheit),
rette uns!
Schatzmeisterin
und Ausspenderin der Gnaden
Heute
habe ich etwas sehr Trostvolles geschaut. Die seligste
Jungfrau durcheilt die Welt und klopft an alle Türen,
an alle Herzen all ihrer Kinder: manchmal wird sie gut
aufgenommen und man gibt ihr etwas, Blumen, Kerzen, Tränen,
Gebete; manchmal auch, leider gar oft, will man sie
nicht empfangen, oder dann ist man eingeschlafen, wenn
sie diskret und verschwiegen an unsere Türe klopft...
Nicht die Hände streckt sie hin, sie öffnet ihr Herz,
das von tausend Gaben der Liebe für uns überquillt und
das auch alles entgegennimmt, was wir ihr schenken; und
das auch oft durch unsere Fehler und unsere Schwächen
verwundet wird.
Die
seligste Jungfrau habe ich gesehen, die so auf dem Weg
ist, um all unsere Geschenke und Gaben in ihrem
Unbefleckten Herzen einzusammeln. Dann stellt sie sich
vor den Thron der göttlichen Dreieinigkeit hin und
zeigt ihr Herz, ganz voll von dem, was wir ihr gegeben
haben; dann nimmt Jesus es entgegen, aber er schüttet
wieder einen Großteil in das Herz Mariens zurück; er
gießt nur Blut und Wasser, die aus seinem göttlichen
Herzen entquollen sind, hinein. Maria geht dann weg mit
einem von den göttlichen Gaben des Blutes und Wassers
angeschwollenen Herzen zum Fegfeuer hin, über dem sie
ihr Mutterherz öffnet: das Blut und das Wasser, das
Jesus hineingetan, ergießen sich in wohltuendem Regenguß,
Maria fügt ihre Tränen und ihre Liebe bei, und die
Seelen empfangen dadurch unermeßliche
Erleichterungen.
Sodann
verläßt die seligste Jungfrau das Fegfeuer und ihr
Herz ist vom Dank und den Gebeten der leidenden Seelen
erfüllt, was sie Jesus darbringen wird: Er nimmt sie an
und tauscht sie gegen das Blut und das Wasser aus. Dann
kommt die seligste Jungfrau auf die Erde zurück zur
streitenden Kirche, die wir sind, und gießt über uns
das Wasser und das Blut aus. Dann durcheilt sie die
Erdoberfläche, um Vorräte an Gebeten, Suffragien und
guten Werken einzusammeln, um sie ihrem göttlichen Sohn
vorzulegen und sie in Tröstungen und Gnaden für die
heiligen Seelen im Fegfeuer verwandeln zu lassen...
Dieser
Anblick hat mir eine unsagbare Freude bereitet. Es ist
ein Bild, gewiß, aber es ist schön. Der Schutzengel
hat sich mir gezeigt und hat gesagt:
Schau,
wie unsere Königin euch liebt!
Sie
ist die Schatzmeisterin und Ausspenderin der Gnaden, sie
ist die große Gnadenvermittlerin. Verweigert ihr nie
etwas: sie macht aus allem, was ihr ihr anvertraut,
einen Schatz für die Heilige Kirche, was für die ganze
Kirche nützlich ist, und was sich für euch in
Liebesgaben verwandeln wird. Es gibt einen unaufhörlichen
Liebesaustausch in der Kirche zwischen dem Himmel, dem
Fegfeuer und der Erde, und die seligste Jungfrau befaßt
sich aktiv mit diesem Liebesaustausch. Die Heiligen und
wir selber nehmen gleichermaßen daran teil mit unsrer
Herrscherin: doch sie bewirkt die Einheit, weil sie die
Mittlerin der Liebe ist. Diese Dinge werdet ihr im
Himmel verstehen, aber ihr müßt sie schon hienieden
leben.
Und
ganz strahlend entschwand er im göttlichen Licht und
ließ mich in Danksagung zurück.
Die
Heiligen und das Fegfeuer
Hochfest
Allerheiligen, eines der Feste, die meiner Seele am
teuersten sind. Staunendes Bewundern der Herrlichkeit
Gottes in seinen Auserwählten, der Barmherzigkeit
Gottes, dessen, wozu wir eingeladen werden. Am Ende der
heiligen Messe ist mein Engel zu mir gekommen, der ich
eben meine Danksagung am Muttergottesaltar beendete, und
er zeigte mir etwas sehr Schönes; es war so etwas wie
ein feuriges Schloß, das emporragte inmitten eines
Lichtmeeres! Alles war so glanzvoll, daß ich oft die
Augen abwenden mußte, während der Engel seinerseits
mich unablässig dazu einlud, das zu bestaunen. Allmählich
bekam ich die Gnade, leichter hinblicken zu können. Ich
sah, daß dieses Lichtmeer zwei Ufer hatte: das eine
ziemlich düster und glanzlos, schwer und grob ist
unsere Erde hienieden; das andere unbeschreiblich, so
sehr strahlt es von Licht, Pracht und Harmonie, ist der
Himmel.
Es
herrscht eine beständige Bewegung zwischen diesen
beiden Ufern, und auch zwischen ihnen und dem Feuerschloß:
Seelenverkehr, die zu hunderten, wenn nicht zu tausenden
jeden Tag von der Erde kommen, um zum Himmel zu gehen
— wenige gehen dort sofort hinein — oder um so etwas
wie einen Zwischenhalt, der mehr oder weniger lang, mehr
oder weniger schmerzvoll ausfällt, im Feuerschloß zu
machen, von dem ich begriffen habe, daß es ein Bild für
das Fegfeuer ist. Auch Engelverkehr, die unablässig in
vollkommener Harmonie und Eile vom Himmel zur Erde und
ins Fegfeuer gehen — und von der Erde zum Himmel und
ins Fegfeuer, und vom Fegfeuer zur Erde und zum Himmel.
Und sie tragen allerlei Dinge in ihren Armen.
Der
Engel sagte mir, ich solle zum Himmel blicken. Alles ist
da nur Harmonie und Pracht, Glück und Jubel, und
Liebesekstase um das Geheimnis der göttlichen
Dreieinigkeit und in ihm. Ich schaute die göttliche
Dreieinigkeit auf einem Thron, aber sie war meinem Auge
verhüllt durch eine so blendende Wolke, daß ich sogar
Mühe hatte auf den Himmel hinzublicken; ich schaute die
göttliche Liebe, wie sie sich in breiten Lichtfluten im
Himmel, im Fegfeuer und auf Erden ausbreitete; und alle
Geschöpfe wurden in diese Fluten unendlicher Liebe
eingesenkt. Es schien mir, daß eine machtvolle
Liebesanziehung von dort ausging, vom Thron der göttlichen
Dreieinigkeit, eine Strömung starker und glühender,
sanfter und milder Liebe, worin die ganze Schöpfung —
ja sogar die Hölle — gewissermaßen festgehalten
wird. Die Heiligen im Himmel liefern sich vorbehaltlos
dieser Liebesanziehung aus, in einem ekstatischen
Aufschwung, der sie beständig in Gott hineinwirft, der
sich ihnen beständig in Fülle schenkt. Ich bin recht
unfähig, darüber zu reden... So sind die Heiligen
berufen, an dieser Liebesanziehung Gottes auf die Schöpfung
Anteil zu nehmen, zu lieben, was Gott liebt, IHM dafür
Ehre zu erweisen.
Dann
sagte mir der Engel, ich solle das feurige Schloß des
Fegfeuers ansehen, und ich habe gesehen, daß das ganze
Fegfeuer unter dieser machtvollen göttlichen Anziehung
der unendlichen Liebe steht, die gewissermaßen auf ihm
lastet. Ich habe begriffen, daß die Pein des Fegfeuers
darin besteht, mit Dankbarkeit diese große Anziehung
der Liebe zu erdulden, ohne daß die heiligen Seelen zur
Zeit ihr voll entsprechen können. Ich hoffe, daß man
verstehen wird, was ich damit sagen will. Ich habe
gesehen, daß die Heiligen mit dem ganzen Gewicht ihrer
Liebe auf dem Fegfeuer lasten, aufgrund dieser Anziehung
der göttlichen Liebe. Dieses Gebet der Erwählten für
das Fegfeuer ist dieses Sich-Auswirken ihrer Liebe
aufgrund der göttlichen Liebe, welches das Fegfeuer
durchtränkt und in sich enthält. Denn da habe ich
gesehen, daß das Gebet, die Liebe der Heiligen für das
Fegfeuer ganz anders sind als jene, die wir hienieden für
diese selben Seelen üben.
Ich
sah inmitten aller Heiligen — als ihre Mutter und Königin
— Maria, die Unbefleckte: auf ihrem Herzen beruht die
ganze Anziehung der Liebe Gottes, ehe sie sich in Fluten
über die ganze Schöpfung hin verbreitet, denn sie empfängt
diesen Schatz aus dem eucharistischen Herzen Jesu, das
sich in ihr Herz hinein verströmt, ehe sie sich
gleichsam über die ganze Schöpfung ergießt. Und alle
Heiligen umgeben ihre Mutter und Königin, die neben
Jesus steht, und das ist ein ganz bewußt gewolltes
Geheimnis, die Heiligen beten und legen Fürsprache ein
im Himmel, vereint mit Maria, immer mit ihr und wie sie,
ebenso wie sie immer mit Jesus und wie er wirkt. Sogar
im Himmel, als Mutter und Königin, bleibt sie Mittlerin
zwischen Gott und den Heiligen, Mittlerin der Liebe.
Die
Heiligen legen auf verschiedene Weisen Fürsprache für
die Seelen im Fegfeuer ein, und das wurde mir deutlich
gezeigt. Zuerst indem sie sich in Liebe vereinen mit der
göttlichen Liebesanziehung, die sich auf das Fegfeuer
auswirkt. Dann durch ein Fürbittgebet, das sich mit dem
der Jungfrau Maria vereint. Aber sie verdienen nichts im
Himmel und können somit Gott keine Opfergabe an
derzeitigen Verdiensten für die Seelen im Fegfeuer
darbringen. Dann haben sie eine andere Art von Fürsprache,
welches die Liebe zur Herrlichkeit Gottes ist. Sie
bringen der göttlichen Dreieinigkeit ihre Heiligkeit
dar, nicht als eine Sache, ein Gut, die ihnen als
Eigentum gehören würde, sondern als Sieg der Liebe,
eine Verherrlichung der Barmherzigkeit; und sie flehen
zu Gott, wegen dieses Sieges und dieser Verherrlichung
Christi in ihnen, doch bitte, die armen Seelen aus dem
Fegfeuer befreien zu wollen, damit sie ihrerseits vollständig
an dieser Verherrlichung im göttlichen Licht Anteil
bekommen. Und dann wirken sie noch nach ihrer je eigenen
Gnade: die heiligen Schutzpatrone zeigen Gott die
Seelen, die ihnen anvertraut worden sind und die sich im
Fegfeuer befinden, die ihn in sich selber verherrlicht
haben durch ihre Gebete, durch ihr Leben, durch ihre
Tugenden, ihre Beispiele, ja sogar durch ihre Nachahmung
des Lebens ihrer Schutzpatrone. Die Heiligen handeln so
für jede Seele, denn jede Seele hat ihren Schutzpatron.
Das kann man sich in unsrer Religion vorstellen, aber es
ist ebenso für die Ungläubigen und für die Gläubigen
anderer Religionen, denn Gott in seiner unendlichen Güte
vertraut die Seele von jedem dieser Kinder, was es auch
sein mag, einem oder mehreren Heiligen an, die sie behüten
und ihr beistehen. Die Gründer von Ordensgemeinschaften
und die Heiligen, die dieselben berühmt gemacht haben,
handeln ebenso für ihre geistlichen Kinder, und sie
bringen Gott alle Gebete, Werke und Suffragien ihrer
Kongregationen dar, wobei sie darum bitten, sie möchten
diese geistlichen Familien im Himmel vereint sehen, um
dort gewissermaßen einer gemeinsamen Liturgie der
Verherrlichung Gottes zu obliegen. In der Tat bitten die
Heiligen im Himmel Gott gemäß dem Worte Jesu: «Ut
unum sind» «Daß alle eins seien» (Joh 17,21) im
Himmel, im verherrlichten Jesus.
Ich
habe gesehen, daß die Auserwählten manchmal von der
Jungfrau Maria Suffragien erhalten, damit sie diese
selber den Seelen überbringen, die sie im Fegfeuer
besuchen, lindern, trösten, mit Liebe und Verlangen
nach Gott entflammen gehen. Ich habe gesehen, daß im
Himmel die Seelenführer für ihre geistlichen Kinder
beten, die noch im Fegfeuer zurückbehalten werden, und
umgekehrt; die Eltern für ihre Kinder, und diese für
jene; die Staatsoberhäupter für ihre Mitbürger, und
die Völker für ihre Obrigkeiten, die Eheleute für
ihre Partner, die sich noch ihm feurigen Schloß
befinden, die Freunde für ihre Freunde. Die in Gott
hienieden eingegangenen Bindungen finden sich wieder in
Gott zwischen dem Himmel und dem Fegfeuer. Das ist sehr
schön, ja umwälzend. Doch die Blutzeugen beten für
ihre Verfolger, die Betrübten für ihre Ausbeuter, die
Unschuldigen für die Menschen, die ihnen auf Erden Leid
zugefügt haben, die Armen für jene, die sie bedrückt
haben, wie auch für jene, die ihnen geholfen haben. Und
alle sagen:
Herr,
durch sie haben wir Anteil an deinem Kreuz bekommen, und
wir sind jetzt in deiner Herrlichkeit!
Das
ist der große Sieg der Liebe: «Wie auch wir vergeben
unsern Schuldigern...» Tatsächlich nimmt Gott das
Gebet eines Heiligen entgegen, um den Leuten zu helfen,
die auf irgendeine Art zur Heiligung dieses Heiligen
beigetragen haben und die noch im Fegfeuer sind. Zu
dieser Äußerung wurde mir gezeigt, wie sehr das Gebet
der Märtyrer für ihre Henker machtvoll ist.
Die
Heiligen helfen uns und sie beten für uns, die wir noch
hienieden sind. Aber sie besuchen auch das Fegfeuer,
beten für die armen Seelen, ohne allerdings für sie
genugzutun. Sie geben uns ein, für die Seelen im
Fegfeuer zu beten; sodann sammeln sie diese Suffragien
ein, die sie veranlaßt haben, sie stellen sie Gott vor
für die heiligen leidenden Seelen. Ich habe zu diesem
Punkt gesehen, wieviel Zärtlichkeit ein heiliger
Schutzpatron für seine Kinder im Fegfeuer hegt, er regt
jene auf Erden zum Beten und zum Opferbringen für sie
an. So sah ich sehr oft Franz von Assisi in der Welt
viele Männer und Knaben mit dem Vornamen Franz zum
Beten für andere Leute im Fegfeuer, die Franz heißen,
anstacheln und viele andere ähnliche Beispiele... Da
sage ich aber allerlei Dinge, die ich nicht nur einige
Male, sondern hundert, ja tausend Mal erfahren habe. Ich
komme also zurück auf die Vision dieses Tages.
Im
Himmel haben die Heiligen eine Riesenfreude, die Seelen
im Fegfeuer zu sehen, weil sie wissen, daß sie gerettet
und damit bestimmt sind, sich ihnen beizugesellen und
ewig mit ihnen Gott zu verherrlichen. Die Heiligen
betrachten voll Staunen in allen Seelen des Fegfeuers
das Wirken der Barmherzigkeit Gottes, den göttlichen
Sieg der Liebe und des Kreuzes; sie finden in diesen
Seelen die Tugenden und die Liebe wieder, die sie gern
gehabt, geübt und sogar angeregt haben, und sie jubeln
in Gott. Gott gewährt ihnen vielerlei Anlässe zur
Freude: er sendet sie, um das Licht seiner zärtlichen
Liebe ins Fegfeuer zu bringen, oft zusammen mit der
seligsten Jungfrau, der sie das Geleit geben; er sendet
sie den Seelen entgegen zum Zeitpunkt ihrer Befreiung
und gewährt ihnen oft sogar die Befreiung einer oder
mehrerer Seelen an ihrem Namenstag dank aller Suffragien
dieses Tages; die Gründer religiöser Orden bekommen
dieses Privilegium besonders für ihre geistlichen
Kinder.
Ich
habe auch gesehen, daß Leute, die bereits im Himmel
sind, und für welche die Angehörigen ihrer Familie und
Bekanntschaft hienieden zu beten fortfahren, von Gott
diese Gebete, diese Suffragien entgegennehmen, um darüber
zugunsten der Seelen im Fegfeuer zu verfügen; und immer
bringen die Heiligen sie der seligsten Jungfrau dar, überlassen
ihr in jedem Augenblick das Verfügungsrecht über diese
Gnadenschätze, weil sie ihre Königin und die Mittlerin
ist; und Maria schmückt gleichsam diese Gaben mit ihrer
Huld, bereichert sie mit ihrer zärtlichen Mutterliebe
und gibt sie sodann diesen Heiligen wieder zurück,
indem sie diese bittet, sie zur Linderung dieser oder
jener Seele anzuwenden; Maria verwöhnt die Seelen im
Fegfeuer. Schließlich wurde mir auch gezeigt, daß anläßlich
einer Seligsprechung oder Heiligsprechung eines Dieners
Gottes zahlreiche Seelen befreit werden, namentlich
dessen Angehörigen, Verbündeten, aber auch dessen
Gegner, ja sogar dessen Verfolger.
Als
mir all das gezeigt wurde mit der Vision vom feurigen
Schloß, lud mich mein Schutzengel ein, ohne Unterlaß für
die armen Seelen zu beten, und er sagte zu mir:
Das
Gebet und die Fürsprache der Heiligen für die Seelen
im Fegfeuer fügen sich in den großen Ruf der Liebe des
Himmels über das Fegfeuer, den brennend heißen Ruf
ein, den die leidenden Seelen zu tiefst empfinden.
Die
Engel und das Fegfeuer
An
diesem Tag, wo wir für unsere Verstorbenen beten, hat
der Herr von neuem meiner Seele das Feuerschloß zeigen
wollen, das gestern mit Staunen betrachtet wurde. Mein
heiliger Engel bei mir sagte zu mir:
Schau,
Kind, schau die Engel Gottes an!
Da
schaute ich die Engel an, die unablässig, während sie
Gott anbeten, beständig zum Fegfeuer und zur Erde sich
hinbegeben, und von der Erde zu diesen beiden Orten und
so fort, in einem harmonischen Verkehr von erhabener
Vollendung. Diese Engel tragen allerlei Dinge in ihren
vorgestreckten Händen: Schalen, Blumen, Körbe... Ich
wußte nicht, was ich davon halten sollte und begnügte
mich in Kontemplation und Gebet zu verharren. Mein
himmlischer Beschützer erklärte mir:
Schau,
die Engel sind die Boten Gottes, seine Gesandten im
ganzen Weltall, die Bringer seines Lichtes und seiner
Gnaden. Deshalb werden sie zu euch hin abgesandt und zu
den heiligen Seelen im Fegfeuer. Bin ich nicht selber
ein zu dir Gesandter? Was ist meine Sendung? Dich zu
beschützen, dich auch zu unterweisen, deine Seele für
die Wunder des Höchsten zu öffnen. Und dich zum Beten,
zur Buße, zum Opfer, zum Üben der Tugenden anzuregen.
Weißt du, daß ich, jedesmal wenn ich dich verlasse,
— wenn du mich nicht mehr bei dir siehst —, einen
Korb, den du gefüllt hast, zum Himmel wegtrage mit
deinen Gebeten und guten Werken: mehr oder weniger voll
je nach den Tagen... Und ich lege ihn nieder am Throne
Gottes. Andere Engel stellen den Inhalt dieses Korbes
der göttlichen Majestät vor: Weihrauchkörner,
Sinnbild deiner Anbetung; Rosen, Sinnbild deiner guten
Werke; ein sehr reines Wasser, Sinnbild deiner Leiden.
Der Weihrauch wird vor Gottes Majestät verbrannt, was
über euch das Erbarmen seines Innersten ausgießt. Die
Rosen werden zu Girlanden geflochten, die den Thron der
göttlichen Dreieinigkeit schmücken. Das klare Wasser
wird in goldenen Schalen aufgefangen: Engel bringen es
Maria, der Unbefleckten, dar, die ihm die Salbung ihrer
mütterlichen Sanftmut beimischt und die uns dann
hinschickt, um diesen wohltuenden Tau über die heiligen
Seelen im Fegfeuer auszugießen.
Meine
Seele war in tiefer Bewunderung, da sie diese Worte hörte,
und der Engel zeigte mir in diesem Augenblick eine Schar
himmlischer Geister, die damit beschäftigt waren auf
der weiten Fläche der Erde allerlei gute Werke und
Gebete in Silberkörbe einzusammeln. Bereichert mit den
vielerlei Verdiensten der heiligen Kirche, sodann im
Himmel mit der besondern Gnade der Jungfrau Maria geschmückt,
kommen diese Körbe, die von der Erde mehr oder weniger
voll weggingen, vor Gottes Thron immer überfließend
mit einer Unmenge von Weihrauch, Rosen und klarem Wasser
an. Das ist umwerfend.
Dann
sah ich andere Engel, die von den heiligen Seelen im
Fegfeuer Schalen mit Narde oder einem ähnlichen Duftöl
entgegennahmen. Mein Engel sagte zu mir, daß diese
Bilder das Gebet und die Hingabe der leidenden Seelen an
den Willen Gottes versinnbilden, wodurch sie die göttliche
Dreieinigkeit verherrlichen. Diese Schalen, mit ihren
unterschiedlichsten und schönsten Gestalten werden von
den Engeln im Angesicht der göttlichen Majestät
niedergelegt. Und so sah ich, daß jedes Gebet, das sich
vom Fegfeuer erhebt, wie jedes Gebet und jeder
Verdienst, die von der Erde aufsteigen, eine einzige
Bestimmung haben: den Thron von Gottes Herrlichkeit.
Alles strömt dort zusammen, jedes Gebet der streitenden
und der leidenden Kirche vereint sich mit dem des
Himmels in einer gemeinsamen Liturgie der Anbetung und
des Dankes. Ich sah auch Engel, die von der Erde zum
Fegfeuer gingen, ohne durch den Himmel zu gehen, wenn
ich so sagen darf, und auch das Umgekehrte. Da ich darüber
erstaunt war, erklärte mir der Engel:
Die
Engel, die von der Erde zum Fegfeuer gehen, sind
Schutzengel, wie ich: sie begleiten die geretteten
Seelen zum Läuterungsort. Denn das besondere Gericht
der Seele findet am Ort des Todes gewissermaßen auf der
Erde statt und nicht im Himmel, der nur für die
vollkommen gereinigten Seelen aufgeht. Was die Engel
betrifft, die vom Fegfeuer zu euch gehen, das sind eure
Schutzengel für euch Pilger, die kommen, um euch zum
Beten für diese heiligen Seelen anzuregen, euch an eure
Pflichten gegen jene zu erinnern, an ihre Leiden und
ihre Nöte. Deshalb siehst du nichts in ihren Händen.
Tatsächlich
trugen diese seligen Geister nichts, sie hielten ihre Hände
über der Brust gekreuzt. Ich sah Seelen, die in jedem
Augenblick zum Fegfeuer hingingen in Begleitung ihrer
Schutzengel. Ich habe gesehen, daß das Fegfeuer ganz
von Engeln umstellt ist, und mein Schutzengel erklärte
mir:
Das
sind die Schutzengel der heiligen Seelen, die noch im
Fegfeuer sind: sie beten für sie, wie dies die Heiligen
tun, und manchmal bekommen sie vom Höchsten die
Sendung, sich diesen armen Seelen kundzutun, um sie zu
trösten, sie in der Hoffnung anzustacheln, ihnen einen
Abglanz der ewigen Glückseligkeit zu bringen, zu der
sie berufen sind und nach der sie streben in glühendem
Verlangen der Liebe und unter Seufzen.
Sodann
sagte mir mein guter Engel, ich solle den Himmel
anschauen, und indem ich auf den Himmel blickte, würde
ich alles sehen. Ich erhob die Augen zur Pracht des
Himmels. In der Mitte sah ich einen Thron von goldigem
Licht, mit einer blendend weißen Wolke verhüllt; und
inmitten dieses Thrones gleichsam ein schlagendes Herz,
das strahlte wie von Gold und Feuer zugleich, gezeichnet
mit einer breiten Wunde in Kreuzesform, aus der hervor
drei endlose Ströme hervorfließen: der eine aus
kristallklarem Wasser, der andere aus hochrotem Blut,
der dritte aus Feuer oder Licht, Ströme die ihre Fluten
miteinander vermischten und im ganzen Weltall vergossen,
ohne je zu versiegen, wobei sie die ganze Schöpfung
umfluten und durchtränken und alle Geschöpfe neu
beleben. Es ist das eucharistische Herz Jesu, mein
ganzes Wesen erschaudert vor Freude und Ehrfurcht vor
diesem großen Geheimnis.
Vorn
vor diesem Herzen und außerhalb des Thrones und der
Wolke sah ich ein anderes Herz, wie einen glänzenden
Kristall, in welchem der Fluß mit den drei Wogen seine
Fluten zusammenlaufen ließ, indem er sich dahinein ergoß
wie in ein unvergleichliches großes flaches Becken, ehe
er im ganzen Weltall niederrieselte: es ist das
schmerzhafte und Unbefleckte Herz Mariens. Rund um
dieses Herz standen Scharen von Engeln betend und einer
Stimme, die vom Thron Gottes herkam, gehorchend, und fügten
Rosengirlanden zusammen und flochten duftende Zierden
hervorragend an Frische und Farben, um damit das Herz
der seligsten Jungfrau zu schmücken. Mein Engel sagte
zu mir:
Diese
Engel sind himmlische Geister, die der Höchste um die
Unbefleckte vereint, um ihr zu dienen, sie zu
verherrlichen, sie mit einem strahlenden, willfährigen
Gefolge zu umgeben. Einst waren sie Schutzengel, aber
die Leute, mit denen sie beauftragt waren, wurden
verdammt... sind in der Hölle auf ewig... Sooft ein Sünder
verlorengeht, kommt sein Schutzengel, um das Gefolge der
Herrlichkeiten Mariens zu vergrößern.
Dann
sah ich etwas sehr rührendes: sooft ein Schutzengel
einen Korb vor den Thron der göttlichen Majestät
hinbringt, nimmt ihn ein anderer entgegen und übergibt
ihm im Tausch eine goldene Schale und eine Silberschale,
beide an der Gnadenflut angefüllt, die aus dem
eucharistischen Herzen Jesu in der Himmelsmitte
hervorfließt. Der Engel hält diese Gefäße sodann der
seligsten Jungfrau hin, die sie ein wenig mehr auffüllt,
während die Heiligen auch ihre Gabe hinzufügen,
welches ihr mehr oder weniger großes Fürsprachevermögen
ist, je nachdem ob sie mehr oder weniger angerufen
werden, oder daß es zum Beispiel ihr Namenstag ist. Der
Engel mit den Schalen verneigt sich vor der seligsten
Jungfrau, dann geht er zuerst wieder zum Fegfeuer hin,
auf das er den Inhalt der Goldschale ausgießt, der sich
als erfrischender, wohltuender Regen verteilt, dann zur
Erde; dort übergibt er seine Silberschale, die ich
immer voll sehe, einem großen Engel, den ich neben dem
Heiligen Vater sehe, es ist der heilige Michael.
Der
heilige Michael gießt sodann den Inhalt der Schale über
die heilige Kirche aus und diese, die jede Gnade und
jede Wohltat von Gott empfängt, verteilt und verbreitet
sie unter die ganze Menschheit. Sogar die geheimsten und
die verborgensten Gnaden, die eigentümlichsten und die
außerordentlichsten gehen durch die Mutter Kirche. Das
ist ein großes Geheimnis der Liebe. Mein Schutzengel
spricht zu mir vom heiligen Michael mit einer ungeheuren
Ehrfurcht, auch mit großem Eifer:
Michael
ist unser Anführer, der Fürst der himmlischen Heere.
Der Allerhöchste selber hat ihn auf diese Stufe gesetzt
über allen andern Engeln, an die Spitze der ganzen
Engelshierarchie. Er ist der Engel der Herrlichkeit
Gottes, und alles, was mit dieser Herrlichkeit zu tun
hat, betrifft ihn: deshalb ist er auch der weiße Ritter
Mariens, unsrer unbefleckten Königin, des Meisterwerks
der Herrlichkeit Gottes. Daher ist er der Verteidiger
und Beschützer der Heiligen katholischen Kirche, deren
Sendung es ist, Gott die Ehre zu erweisen. Darum ist er
auch der Engel des Gerichtes und der Engel der Seelen im
Fegfeuer: er ist immer beim besondern Gericht anwesend,
er steht den Sterbenden bei zur Ehre Gottes, indem er
ihnen hilft, den letzten Streit mit dem Drachen
auszutragen, der sich in diesem furchtbaren Augenblick
entfesselt und brüllt. Michael geht auch unsrer
unbefleckten Königin voran, wenn sie die heiligen
Seelen im Fegfeuer besucht, wenn sie die befreiten
Seelen zum Himmel hinführt: dann ist er es, der die
Heiligen zu ihrer Wohnung begleitet. Weißt du auch, daß
Michael immer der Unbefleckten vorangeht, wenn sie euch
hienieden besuchen kommt? Er ist immer anwesend bei den
marianischen Erscheinungen, auch dann, wenn seine
Anwesenheit von den Sehern nicht wahrgenommen wird.
Er
schwieg, und ich betrachtete von neuem den Himmel. Ich
sah Engel, jene, die vom Fegfeuer herkamen mit den
Nardeschalen: sie übergeben sie genau wie die andern
himmlischen Geistern, die ihnen dafür eine goldene
Schale geben, welche an der Flut der göttlichen Gnaden
gefüllt wurde. Und dann werden diese Schalen von den
Engeln zum heiligen Michael gebracht, welcher deren
Inhalt in die Heilige Kirche ausgießt. Mein Behüter
sagt mit Ernst:
Das
sind die Gebete der heiligen Seelen im Fegfeuer für
euch, die ihr noch auf der Erde seid. Wenn ihr wüßtet,
wie sehr euch diese heiligen Seelen lieben! Sie haben
nur einen Wunsch, daß ihr gerettet werdet, und daß ihr
das Fegfeuer vermeidet, diese furchtbaren Leiden, die
sie kennen, weil sie diese selber erfahren. Dieses
brennende Verlangen für euch ist von ihrer Seite
einfach eine liebevolle Absicht, Gott in allem
verherrlicht zu sehen. Betet für diese heiligen Seelen,
die für euch beten! Legt eure Gebete der Jungfrau
Maria, der Schatzmeisterin des Himmels, vor: sie wird
sie als stärkenden, trostvollen Tau über diese
leidenden heiligen Seelen ausgießen, oder sie wird sie
Heiligen anvertrauen, die dann darüber so verfügen können
für die Seelen, die ihnen anvertraut sind. Kein Gebet
geht jemals verloren: oft beten Leute hienieden für
allerlei Dinge, und Gott befiehlt, daß man ihre Gebete
zugunsten der Seelen im Fegfeuer verwende, und oft
zugunsten von Seelen, bei denen diese Leute durch ihren
schädlichen Einfluß, ihr Ungeschick, ihre unüberlegten
Worte dazu beigetragen haben, daß sie ins Fegfeuer
gehen mußten! Das ist eine Art von Wiedergutmachung,
die Gott beim Ausüben seiner Gerechtigkeit gewissen
Seelen im Fegfeuer verschafft.
Dann
zeigte mir der Engel noch etwas: Seelen kamen von
hienieden, gingen ins Fegfeuer, um sogleich wieder
hinauszugehen und sich strahlend zum Himmel
emporzuschwingen. Das erfüllte mich mit Verwunderung
und mein Engel erklärte mir ganz glücklich:
Diese
heiligen Seelen, die kaum durchs Fegfeuer hindurchgehen,
nennen wir «Blitzseelen»: man hat gerade Zeit, sie
durchs Fegfeuer fahren zu sehen, wo sie rasch ins Feuer
eintauchen, sich schnell in die Läuterung versenken,
dann treten sie sogleich ins himmlische Jerusalem ein.
Ihr wißt
nicht, was das Fegfeuer ist
Als
ich das Beten des Rosenkranzes für die Seelen im
Fegfeuer beendete, zeigte sich vor meinem Innern Auge
mein Schutzengel; er warf sich anbetend nieder, um mit
mir das «Ehre sei» zu beten, dann, als er sich wieder
aufgerichtet hatte und während er seine Hände über
dem Kreuz hielt, das seine Tunika schmückt, sagte er
sehr ernst zu mir:
Fahre
fort so zu beten, Kind, und laß um dich herum beten für
diese armen und heiligen Seelen, die leiden. Ihr wißt
nicht, was das Fegfeuer ist, und auch nicht, wie viel
die armen Seelen dort leiden müssen.45
Und so viele unter ihnen sind verlassen... Wenn
jedermann wüßte, was das Fegfeuer ist, so würde es in
kurzer Zeit geleert aufgrund der Gebete und inständigen
Bitten! Und wie würde euer Lebenswandel dadurch verändert!
Aber viele unter euch verhüllen sich das Gesicht, ihr
wollt euch nicht die Zeit nehmen, Gott darum zu bitten,
er möge euch über dieses große Geheimnis aufklären
und euch mit Mitleid mit diesen armen Seelen erfüllen.
Das Fegfeuer ist kein Märchen, es ist eine
Wirklichkeit, die viele erfahren müssen. Wenn ihr seine
Existenz leugnen wollt, lauft ihr Gefahr, dort einen
langen Aufenthalt zu bekommen, und sogar ewig
verlorenzugehen. Wenn ihr es nur mit eurer
Einbildungskraft betrachtet, so besteht die hohe
Wahrscheinlichkeit, daß ihr dessen grausame Erfahrung
machen werdet.
Diese
Worte ließen mich erzittern. Der Engel verstummte,
blickte mich mit beeindruckendem Ernst an, während er
seine Hände gekreuzt hielt, ganz blendend von einem
grellen Licht. Ich betete mit ihm, dann fragte ich ihn,
was Jesus von mir wolle in dieser Hinsicht, von mir, wo
ich doch so arm und elend bin! Da breitete der Engel
sehr langsam seine Hände aus, die zum Teil das Kreuz
verbargen, und er zeigte es mir mit der Rechten, während
er mit seiner Linken auf seinen Gürtel hinwies, der
violett ist. Und er sagte:
Du
weißt es ja: Beten, Buße tun, dich in der Stille
heiligen und deine Standespflichten erfüllen, und all
das für diese heiligen Seelen aufopfern. Du sollst
ebenfalls deine nächsten Angehörigen und deine Freunde
zum Beten für die Seelen im Fegfeuer anregen, und die
Priester, die du kennst, bitten, über dieses allzu sehr
vernachlässigte Geheimnis zu predigen. Fürwahr, ihr wißt
nicht, was das Fegfeuer ist; wenn ihr es wüßtet, würdet
ihr euch mit mehr Ernst um euer ewiges Heil bemühen,
und euch mehr anstrengen, durch euer Beten die Befreiung
dieser Seelen, die so sehr leiden, zu erlangen.
Nachdem
er diese Worte gesagt hatte, kreuzte der Engel wieder
seine Hände, dann entschwand er.
Aus
Liebe die Stunde der Begegnung beschleunigen
Als
ich gerade meine Betrachtung beendete, stellte sich der
Schutzengel vor mein inneres Auge und sagte ernst:
Die
Zeit, die euch auf Erden gegeben wird, soll euch dazu
dienen, die Begegnung mit Gott vorzubereiten, das
Sich-wie-der-Finden mit eurem Vater. Wenn ihr dies
wahrhaftig verstehen würdet, gäbe es kein Fegfeuer,
weil die Seelen alles täten, um zum Zeitpunkt dieser
Begegnung bereit zu sein.
Aber
da der Herr eure Schwäche kennt, hat er es erschaffen,
denn er will uns ja retten... Als Antwort auf diese
Bemerkung, die ich formulierte, fuhr der Engel fort:
Das
Fegfeuer ist von Gott erschaffen worden. Es ist ein
Meisterwerk seiner unendlichen Barmherzigkeit. Doch wenn
die Seelen sich die Mühe nähmen, so brauchten sie
diese Zusatzgnade nicht mehr, und das Fegfeuer würde
mangels an Bedarf verschwinden! Die Seelen sind es, die
das Fegfeuer beibehalten, weil sie zum Zeitpunkt der
Begegnung nicht bereit sind. Wenn ihr ans Ziel eures
Lebens gelangtet, von jeder Sünde rein gewaschen und
nachdem jede Sündenschuld auf Erden abbezahlt wurde, gäbe
es kein Fegfeuer mehr, weil ihr geradewegs in den Himmel
kämet.
Gott
kennt uns, und er weiß leider nur zu gut, daß es auf
dieser Erde immer arme Sünder geben wird... Der Engel
ergriff wieder das Wort:
Ihr
solltet euch anstrengen, um alles in die Tat umzusetzen,
damit ihr das Fegfeuer vermeidet und nach eurem Tode
geradewegs in den Himmel kommt. Wenn ihr wüßtet, was
das Fegfeuer ist, würdet ihr alles tun, um es zu
vermeiden und ihr wüßtet eure Zeit auszunützen, die
euch gewährt wird, um aus Liebe die Stunde der
Begegnung mit Gott zu beschleunigen.
Ich
bat ihn sodann, mir zu sagen, was notwendig ist, damit
es einem gelingt, den Zeitpunkt dieser Begegnung mit
Gott zu beschleunigen, um so nach dem Tode das Fegfeuer
vermeiden zu können. Er erklärte mir:
Lieben
muß man, sich ganz der göttlichen Liebe ausliefern,
sich durch die Liebe umwandeln lassen, bis man zu einem
vollendeten Werkzeug der Liebe wird. Weißt du, wie man
dahin gelangt? Indem man sich in allem dem reinen Willen
Gottes übergibt, indem man sich bemüht, in allem die
Forderungen dieses reinen Willens, der Liebe ist, zu erfüllen.
Darin besteht die Vollkommenheit, die von euch gefordert
wird, und worin ihr euch nur noch um eins bemüht: um
die Verherrlichung Gottes, der die Liebe ist.
Die
Ehre der göttlichen Dreieinigkeit darf eure einzige
Sorge sein und ihr müßt dazu euer ganzes Leben in der
Liebe vereinheitlichen. Euer ganzes Leben muß der göttlichen
Liebe übergeben werden und in ihren geringsten Aspekten
auf die Ehre Gottes ausgerichtet werden: dazu muß man
mehr beten als reden, mehr in der Liebe wirken als große
Reden schwingen, sich im Schweigen und in der Demut
verwurzeln, um den Glauben und die Hoffnung wachsen zu
lassen; nur auf Gott schauen, und Gott in den andern, um
dahin zu gelangen, sich selber ganz zu vergessen und so
die Gnade erringen, alles nur im Licht des Glaubens, im
Dynamismus der Liebe und im Maß der Hoffnung zu tun.
Weißt du, was einer der größten Irrtümer gewisser
Seelen ist? Sie wollen um jeden Preis das Fegfeuer
vermeiden und sie behaupten manchmal voreilig, daß sie
alles tun werden, um direkt in den Himmel zu kommen.
Aber sie werden von der Furcht getrieben und nicht von
der Liebe angeregt, sie handeln mehr für sich selber
als im Hinblick auf die Ehre Gottes allein.46
Verstehe richtig, was ich dir jetzt sage: das einzige
Mittel, das Fegfeuer zu vermeiden, besteht nicht darin,
alles zu tun, um es zu vermeiden, sondern vielmehr alles
zu tun, um in den Himmel zu kommen47,
das heißt sich unermüdlich um seine eigene
Vollkommenheit und sein Heil bemühen, indem man sich
total der unendlichen Liebe Gottes ausliefert, indem man
sich in allem seinen Forderungen anpaßt, indem man nur
die Ehre Gottes im Auge behält: alles andere krankt an
Eitelkeit.
Das
alles war sehr streng, nachsichtslos und manchmal recht
schwierig zu verstehen, und ich bat meinen heiligen
Engel, mir insbesondere zu erklären, was er unter dem
Ausdruck etwas «im Maß der Hoffnung zu tun» verstehe.
Er gab mir dazu folgenden Kommentar:
Eine
Seele, die im Maß der Hoffnung wirkt, ist eine Seele, für
welche die Hoffnung nur einen Gegenstand kennt: Gott.
Die Hoffnung ist ein demütiges, vertrauensvolles Warten
auf den ewigen Besitz Gottes; und diese Hoffnung ist maßvoll,
wenn sie auf eine einfache, heitere Weise, und auch auf
wahrhaftige und wirksame Weise geübt wird: sie löst
die Seele von den irdischen Gütern und von allen eitlen
Vergnügen und Befriedigungen los; sie weckt in der
Seele große Wünsche nach Heiligkeit, sie entfaltet
sich in kindlichem Vertrauen auf Gott im Verlauf eures
irdischen Lebens, und in Beharrlichkeit bis ans Ende in
eurer Todesstunde; aber es gibt Seelen, die meinen, sie
übten die Hoffnung, während sie in der Anmaßung
versinken oder sich in flüchtige Träumereien
verlieren, wobei sie ihrer Einbildungskraft freien Lauf
lassen, zumal hinsichtlich dessen, was die Letzen Dinge
betrifft.
Ich
nahm diese Unterweisung mit Freude und Frieden entgegen
und meine Seele war dem Herrn für so viele Gnaden
dankbar. Sobald mir der Engel dieses erklärt hatte,
fuhr er fort:48
Wenn
ihr auf die Letzten Dinge zu sprechen kommt, verliert
ihr gar oft eure Zeit in fruchtlosen Diskussionen, in
gewagten Spekulationen, oder in engstirnigen und
falschen Überlegungen: in leerem Geschwätz! Eine sehr
große Diskretion ist da am Platz: oft gibt man der
Einbildungskraft zuviel Bedeutung, weil sie ein Gerüst
für Himmel, Fegfeuer und Hölle aufschlägt, wie man
ein Theaterdekor aufstellen würde! Ihr könnt nicht
wissen, was das Fegfeuer ist: es ist besser, länger auf
der Erde zu bleiben, und mit Liebe und Gelassenheit die
schlimmsten Übel zu leiden als auch nur eine Stunde ins
Fegfeuer zu gehen. Eine Stunde im Fegfeuer ist
schrecklich, und viel viel länger als ein Jahr mit den
größten Leiden auf Erden; und die abscheulichsten
Schmerzen in eurem Leben auf Erden sind ein Balsam neben
denen, welche die armen heiligen Seelen im Fegfeuer
erdulden! Ja, die Leiden im Fegfeuer sind schrecklich,
sie sind unvergleichlich größer als alles, was ihr auf
Erden erleiden könnt: aber man darf sie nicht
vergleichen, denn sie gehören zwei verschiedenen
Ordnungen an. Und bedenke, daß der größte Teil der
Seelen dreißig oder vierzig Jahre im Fegfeuer bleiben müssen!
Du begreifst nun, wieviel man für sie beten muß...
Der
Engel schwieg, dann entschwand er vor meinem Innern
Auge.
Dritter Teil
Ich
war im Gefängnis und ihr habt mich besucht
«So
ist es,
nachts
leide ich für die Seelen im Fegfeuer,
und
am Tag für die Bekehrung der Sünder (...).
Das
Üben des Gebetes für die Befreiung aus dem Fegfeuer
ist nach dem für die Bekehrung der Sünder Gott am
meisten wohlgefällig.»
Der
heilige Pfarrer von Ars
Seid
nicht neugierig
Das
sind die Worte, die eine Seele am Ende einer langen
Belehrung, die der Herr ihr gestattete, mir über das
Fegfeuer zu erteilen, an mich richtete; sie sühnte dort
seit langem schwere Fehler, und bekam die Befugnis, sich
mehrmals mir kundzutun, damit ich für sie bete und für
ihre Befreiung beten lasse. Sie sagte folgendes zu mir:
Versucht
nicht, den Plan der göttlichen Gerechtigkeit zu
erforschen! Viel zu viele Menschen stellen sich die
Frage über die Zahl der Auserwählten, aber sie begeben
sich damit auf Irrwege. Gottes Urteil ist gar nicht
vergleichbar mit dem der Menschen, und viele werden am
Tag des Gerichts überrascht sein, Seelen gerettet zu
sehen, die von einer falschen Vorstellung der göttlichen
Gerechtigkeit zum Verlorengehen verurteilt worden wären,
und Seelen verdammt zu sehen, die man manchmal für
Heilige hielt! Seid nicht neugierig! Betet für uns, die
wir eurer barmherzigen Hilfe und aller wohltätigen
Suffragien, die ihr für uns erlangt, so sehr bedürfen.
Wisset wohl das Folgende, und macht daraus eine strikte
Regel: Es gibt gewiß viel mehr gerettete Seelen als
verdammte infolge der unendlichen Barmherzigkeit Gottes.
Aber man muß für die Verstorbenen immer beten, wie glänzend
ihr Ruf der Frömmigkeit, ja der Heiligkeit gewesen sein
mag. Nur in einem Punkt könnt ihr sicher sein, eine
Seele, die selig gesprochen wurde, ist im Himmel. Für
alle andern, und sogar für nicht wenige «Diener Gottes»
ist das nicht eine allgemeine Regel, viele sind noch im
Fegfeuer und leiden qualvoll. Denn man spottet nicht über
Gottes Gerechtigkeit! Je nach dem wie der Herr es dir
erlauben wird, zögere also nicht, für die Seelen zu
beten, deren Seligsprechungsprozeß eröffnet wurde:
mehrere sind bei uns, und diese Gebete werden ihnen
Hilfe und Trost sein. Gelobt sei Jesus Christus, unser
milder Heiland!
Die
Seele entschwand bei dieser Anrufung. Ich war ein wenig
traurig, aber raffte mich ziemlich rasch wieder auf,
indem ich alles überdachte, was mir gesagt worden war.
Und bei all diesen Dingen ist das Wichtigste, mit
Vertrauen zu beten, ohne je etwas wissen zu wollen oder
noch schlimmer es sich auszumalen.
Es
wurden mir noch während dieses ganzen Tages zahlreiche
Seelen gezeigt, die in die Ewigkeit eingingen: zum größten
Teil ins Fegfeuer, aber leider auch viele, die in den
Abgründen der ewigen Verdammnis untergingen! Ich sage
nichts darüber, weil dieses furchtbare Mysterium der Hölle
ein Geheimnis Gottes bleibt. Ich habe alle diese Seelen
wie einen üppigen Regen niedergehen sehen, und unter
allen — wo es doch tausende sind — ging eine einzige
geradewegs in den Himmel ein, die eines kleinen Kindes,
sie war ganz lichtvoll, es hat im Alter von zwei oder
drei Jahren sterben müssen. Sein Schutzengel trug es in
seinen Armen, und fuhr mit ihm zum Himmel hinauf und am
düstern Himmel ließ er einen langen Schweif
regenbogenfarbigen Lichtes zurück. Es gab tausende von
Kinderseelen, die trotz ihrem kindlichen Alter durch das
Fegfeuer gehen mußten, wobei sie es nur streiften, aber
hindurchgehen mußten sie... Und viele Kleinkinder
gingen wie kleine Engel zum Limbus der Kinder.49
Unter
den Seelen, die ins Fegfeuer gegangen sind, sah ich
wahrlich Leute jeden Alters und aus jeder Stellung:
Kinder, sogar sehr kleine — fünfjährige und noch jüngere
—, Erwachsene, aber auch Jugendliche und selbstverständlich
auch Betagte. Ich sah da Priester und Ordensleute,
Nonnen und Politiker, Arbeiter, Künstler, Reiche und
Arme, von allem. Das bringt einem wirklich aus der
Fassung. Ich habe im Fegfeuer mehrere Angehörige aus
meiner Familie gesehen. Und auch allerlei Leute, die ich
früher gekannt habe, und das hat mir zugleich einen
heftigen Schmerz und für manche eine tiefe
Erleichterung verursacht... Die Pläne Gottes sind
unergründlich, und man täuscht sich oft gar sehr, wenn
man vermessen mutmaßen will über das ewige Los von
Leuten, die man manchmal sogar recht gut gekannt hat:
Die Urteile des Herrn sind nicht mit den unsern
vergleichbar! Denn er urteilt in seiner unendlichen
Weisheit, und wir nach unsern menschlichen, oft sehr
beschränkten Ansichten.
Es
wurde mir auch noch gezeigt, daß Heilige, die offiziell
heiliggesprochen wurden, durch das Fegfeuer
hindurchgegangen sind, und ich habe die große Freude
gehabt, andere kennenzulernen, die geradewegs in den
Himmel gegangen sind; aber diese sind wirklich seltener
als die ersteren, und man täuscht sich gewaltig, wenn
man sich einbildet, daß die Barmherzigkeit Gottes mit
einer Art empfindsamem Paternalismus verglichen werden
darf, der für alles Entschuldigungen und
Rechtfertigungen findet. Ach nein, fürwahr, es ist
wirklich nicht so! Beten, beten, beten...
O
Herr, erleuchte meine Seele und leite mich nach deinem
Willen! O Maria, lehre mich die göttliche Dreieinigkeit
zu verherrlichen!
Leute
aus allen Ständen und jedem Alter
Nachdem
ich die Gnade gehabt hatte, einige Augenblicke des
Morgens dem Gebet für die heiligen Seelen im Fegfeuer
zu widmen, beendete ich eben den Rosenkranz, als sich
ein heftiges Licht meinem innern Auge zeigte. Mein
Schutzengel stand neben mir, er nahm Weihwasser und gab
mir davon, das ich auf dieses befremdliche Licht
sprengte: dieses öffnete sich und ich stellte fest, daß
es das Fegfeuer war. Ich habe so etwas wie einen
unbeschränkten, grenzenlosen Ort gesehen, dessen
einzige Begrenzung das Kreuz war! Ich nahm dann tausende
und abertausende von Seelen wahr, die in ihre Strafe, in
das Feuer der göttlichen Liebe versunken waren: es sah
aus wie ein Brandherd, dessen Hitze allein der Blutstrom
des geschlachteten Lammes mildern kann wodurch den armen
heiligen Seelen Stärkung und süße Empfindung gebracht
wird. Der Engel sagte zu mir:
Durch
die Opfergabe heiliger Messen auf ihre Meinung kann man
am wirksamsten den Seelen im Fegfeuer helfen.50
Aus diesem Grund gibt es in der heiligen Messe das Gedächtnis
der Verstorbenen, wodurch die Einheit des
geheimnisvollen Leibes als Ganzes unterstrichen wird und
das euch zum Beten auf ihre Meinung auffordert, eine
Pflicht des Zelebranten aber auch der Gläubigen. Die
heiligen Seelen im Fegfeuer haben ein Anrecht auf euer
Gebet, auf das liturgische Gebet wie auf das persönliche
innere Beten. So hat es der Höchste gewollt und
festgelegt.
Sodann
befand ich mich diesen Tausenden von Tausenden an
Seelen: einem so großen Volk gegenüber. Ich sah, daß
es da Leute aus allen Ständen, aus allen Nationen, aus
jeder Epoche, aus jedem Alter gab. Ich sah Große dieser
Welt und Geringe (nicht an Tugend, aber von der sozialen
Stellung her: denn Demütige im übernatürlichen Sinn
des Wortes gibt es im Fegfeuer keine). Ich sah Kinder
und Greise, Gatten und Gattinnen, Ordensmänner und
Ordensfrauen, Jugendliche, Könige, Bauern, Arbeiter,
Arme und Reiche, auch Bischöfe und sogar Päpste, so
wie auch Beamte und Professoren usw. Dieser Einblick
bewirkte bei mir einen heftigen Schrecken wie auch ein
unerhörtes Staunen, er hat aber in meiner Armseligkeit
den Wunsch, für diese armen Seelen zu beten, entflammt.
Ich habe begriffen, daß es das ist, was der Herr will,
und daß, wenn er solche Visionen gewährt, es dann zu
diesem Zweck geschieht: daß man für diese heiligen
Seelen bete, um deren Befreiung zu beschleunigen! Und
dann ist alles entschwunden.
Seelen,
welche die Hände hinstrecken
Die
heilige Messe wurde für mich Quelle großer Gnaden, und
der ganze Tag hat sich entrollt in einer Art von grellem
innerem Licht von großer Milde, welches die Augen
meiner Seele für die unsichtbaren Wirklichkeiten der übernatürlichen
Welt öffnete. Überall, wohin ich ging, sah ich Scharen
von Seelen im Fegfeuer: schweigend kamen sie hierher,
meist mit einer Art von aschfahlem Nebelschleier
umkleidet, stöhnend und die Hände hinstreckend in
schmerzlich stummem Flehen, als bettelten sie um unser
Gebet: was für ein erschütternder Symbolgehalt! Ich
habe für sie alles angewendet, was ich heute getan.51
Während
des Kreuzweges, der speziell auf ihre Meinung gebetet
wurde, standen sie hinter mir und drängten sich in
Scharen heran, und ich sah so etwas wie eine Garbe von
lichten Tautropfen, die gleichsam aus diesem Beten
hervorging, um über diese heiligen Seelen als leichter,
erfrischender Regen niederzufallen. Wenn ich den Herrn
anrief, so bat ich ihn eigens, er möge doch über
diesen Seelen die Fülle der belebenden Ausgießung
seines kostbarsten Blutes erneuern; mehrmals sah ich, daß
eine doppelte Flut des Blutes den Wunden und dem von
Liebe brennenden Herzen des gekreuzigten Jesus entquoll
oder genauer, daß all sein Blut sich in einem einzigen
Strom vereinte, um sich in zwei entflammten Fluten
ergossen, wobei die erste die streitende Kirche auf
Erden begoß und die zweite wie eine Wolke über dem
Fegfeuer ruhte. Als ich dem Vater dieses Erlöserblut
darbot, entstanden Lichtniederschläge, die auf die
heiligen Seelen im Fegfeuer niederfielen, und diese
nahmen sie auf wie einen wohltuenden Regen, ganz wie
durstige Leute, verloren in einer Wüste, einen Regenguß
mit frischem und lauterem Wasser entgegennehmen würden.
Als
ich gegen Ende des Nachmittags eine Kirche betrat, nahm
ich Weihwasser und verspritzte es auf den Fußboden, gemäß
dem Brauch in gewissen Ländern, wobei ich zum Herrn
sagte: «Mein Gott, ein wenig Weihwasser für die
leidenden Seelen!» Auch da geschah ein Hervorbrechen
von Licht, wohin die Seelen vom Fegfeuer in Scharen
daherkamen, um ihren Durst zu stillen. Das alles geschah
in Stille, in einem tiefen Frieden. Ich habe eingesehen,
daß alles, wirklich alles im Laufe eines Tages den
Seelen im Fegfeuer dienen und für sie als Suffragien
angewendet werden kann: die Gebete gewiß, aber auch die
guten Werke, die Akte der Frömmigkeit und der Hingabe,
alle Herzensergüsse an den Herrn, an die seligste
Jungfrau, die Heiligen im Himmel, die Akte der Demut,
alle Leiden, die kleinen freiwilligen Abtötungen, die
Ergebung in Krankheit und Tod, kurzum alles, was man tun
kann. Und wenn wir auf eine besondere Meinung beten,
dann dürfen wir immer die heiligen Seelen im Fegfeuer
beigesellen. Das nimmt der Wirksamkeit des Gebetes
nichts hinweg im Hinblick auf diese besondere Meinung,
die davon unberührt bleibt, ja ganz im Gegenteil! Die
Seelen im Fegfeuer reißen nichts an sich, und auch die
Tatsache, sie unseren Gebetsmeinungen anzuschließen,
bereichert unser Gebet, denn es entfaltet sich in einem
weiten Ausmaß der Kirche, von der Erde bis zum Himmel.
Während ich dem Herrn Dank sagte, mich das begreifen zu
lassen, betrachtete ich diese Dinge mit Staunen in einem
Frieden bringenden großen Licht.
Dauer
und Intensität des Fegfeuers
Am
Ende der Betrachtung erscheint eine Seele, die manchmal
kommt, um sich unseren Gebeten anzuempfehlen, in einem
großen Licht vor mir. Sie ist strahlend und streckt mir
die Hände entgegen, wobei sie sagt:
Oh,
mein Kind! Vielen Dank für all deine Gebete, für die
heiligen Messen auf meine Meinung und besonders für die
Krankenbesuche: Ihr habt dabei viele Verdienste
erworben, und es wurde für mich zu einer großen Hilfe!
Nun gehe ich in den Himmel.
Meine
Seele war entzückt infolge dieser Vision und dieser tröstlichen
Worte. Ich tat es dieser Person kund, die weiter zu mir
sprach:
Ich
bin dreizehn Jahre im Fegfeuer geblieben, dreizehn Jahre
brennenden Verlangens nach Gott in diesem läuternden
Licht des Vorhofes. Und nun gehe ich zu meinem Retter!
Ich
sagte zu dieser Seele, daß dies eine lange Zeit wäre,
und daß es für uns schwierig sei, es nur schon zu
versuchen, uns dies vorzustellen, sich ein Bild davon zu
machen. Sie lächelte und sagte:
Oh
nein, das ist weder wenig noch viel, es ist gerecht. Ihr
könnt es nicht sehr gut verstehen, aber hier im
Fegfeuer, sind Dauer und Intensität der Strafen ein und
dasselbe. Unser größtes Leiden ist das Heimweh nach
Gott. Je mehr man auf jemanden wartet, den man liebt, um
so langsamer scheint die Zeit zu vergehen, und um so größer
ist unser Leiden infolge des Wartens. Nun gut, gerade
darin besteht ein wenig das Fegfeuer.
Während
sie spricht, sehe ich eine große strahlende Helle sich
gerade über ihr öffnen; weißgekleidete Engel, die mit
roten Rosen bekränzt sind, erscheinen dort und gehen
der seligsten Jungfrau und Franz von Assisi voraus —
dessen Wunden so etwas wie aufflammende Sonnen sind —,
und die beiden heiligen Freundinnen dieser Seele,
Theresia von Avila und Theresia vom Kinde Jesu. Die
Seele seufzt und ein mächtiger Aufschwung bringt sie
zur Jungfrau Maria, die für sie die Arme ausbreitet.
Ich sehe sie zu Füßen unserer unbefleckten Mutter
knien, sie dreht sich mir zu und redet noch einmal:
Ich
will dir sagen, was das Fegfeuer ist: es ist das der
Seele die Gestalt geben für ihre echte
Ewigkeitsdimension, dieses volle Ausmaß im gekreuzigten
und verherrlichten Jesus, von der Liebe gemessenes und
bei der Taufe begonnenes Ausmaß. Und diese Angleichung
an seine Gestalt wird im Fegfeuer in einer langen
schmerzvollen Reinigung vollendet. Danke allen, die für
mich und mit dir gebetet haben. Ich werde euch im Himmel
nicht vergessen.
Und
alles entschwindet vor meinem innern Auge, ich verharre
im Jubel der Danksagung.
Die
Freuden des Fegfeuers
Morgenbetrachtung.
Ein großes Licht erscheint vor meinem innern Auge, und
ich betrachte darin eine ziemlich große Ordensfrau, die
in ihrer Hand ein goldenes mit glühenden Kohlen gefülltes
Sieb hält. Sie geht auf mich zu und spricht: Gelobt sei
Jesus Christus! — In Ewigkeit. — Und siehe da, es
ist eine heilige Seele im Fegfeuer. Sie fragt mich:
Mein
Kind, möchtest du für mich beten? Niemand betet für
mich, weil ich in tiefem Frieden und im Rufe großer
Heiligkeit gestorben bin; und meine vielgeliebten
Schwestern meinen, ich wäre gewiß im Paradies, so daß
sie es unterlassen, für mich zu beten.
Ich
verspreche ihr also mein Gebet, und sie wird ganz
strahlend, ein intensives Licht umkleidet sie mit ihren
Strahlen. Sie fährt fort:
Wie
du siehst, bin ich im Vorhof, schmachtend vor Liebe nach
meinem göttlichen Bräutigam: diese Liebe ist zugleich
der Antrieb zu meinem Jubel und die Ursache für die
Pein, die mich foltert! Gerade unser Schmerz wird zu
unsrer Freude im Fegfeuer, denn er ist Liebesqual,
Liebessehnsucht...
Ich
bete für diese Seele und von Zeit zu Zeit fallen einige
ganz rotglühende Kohlen aus dem Sieb, das sich dermaßen
allmählich leert. Aber die heilige Ordensfrau merkt es
nicht einmal, sie sagt mir mit Freude, während sie die
Augen zum Himmel erhebt:
Du
beginnst das Fegfeuer kennenzulernen, du hast dessen
Freuden ebenso erfahren wie die Peinen. Sag es ausdrücklich
all deinen Brüdern, daß eure größten Freuden auf
Erden nur Wind und Rauch sind neben den erhabenen
Freuden im Fegfeuer! Es gibt keine größere Glückseligkeit
für eine Seele als im Himmel zu sein, das ist die ewige
Seligkeit. Aber sofort danach gibt es kein größeres Glück,
als alle Freuden des Fegfeuers zu verkosten. Und nimm
noch folgendes zur Kenntnis: je näher unsere Einigung
seiner vollen Entfaltung entgegengeht, um so mehr lassen
unsere Peinen nach und konzentrieren sich darauf, nur
noch diese Liebessehnsucht zu sein, die wir hier im
Vorhof kennen. Ja, sprich von den Peinen des Fegfeuers,
aber rede auch von den unaussprechlichen Freuden!
Und
ganz strahlend entschwindet sie vor meinem innern Auge
und läßt meine Seele im Trost zurück.
Die
Seelen im Fegfeuer lieben uns
Im
Laufe des Tages habe ich eine Weile dem Gebet für die
Seelen im Fegfeuer gewidmet, und ich habe daraus
liebliche und stärkende geistliche Tröstungen
bekommen. Als ich den Kreuzweg beendete, zeigte sich
mein Schutzengel vor meinem Blick. Er kam auf mich zu
und sagte mir:
Gut
so, mein Kind, man muß für diese heiligen Seelen
beten, die kleinste Zeitspanne des Tages sammeln, um sie
Gott aufzuopfern zugunsten der Seelen im Fegfeuer. Ihr müßt
für sie beten, das ist eine Liebespflicht, die den Höchsten
verherrlicht, für euch ist es auch eine Dankesschuld.
Dieses letzte Wort setzte mich in Erstaunen, ich bat
meinen himmlischen Führer, er möge es mir doch erklären.
Mit Ernst fuhr er fort: Aber sicher ist es eine
Dankesschuld. Die heiligen Seelen im Fegfeuer beten für
euch, sie legen bei der göttlichen Majestät Fürsprache
für euch ein in den Grenzen, die Gott ihnen dafür
setzt. Ihr Gebet und ihr Schutz sind für die streitende
Kirche sehr machtvoll.
Das
freute mich sehr. Ich hörte dem Engel zu, der mir erklärte:
Du
weißt, daß diese heiligen Seelen im Fegfeuer keinen
Blick auf sich selber richten. Nur ein Durst quält sie,
Gott zu verherrlichen. Manchmal zeigt ihnen Gottes
Barmherzigkeit die Seelen auf Erden in der streitenden
Kirche, ihre Bestrebungen, ihre Prüfungen, ihre Mühen,
vor allem aber Gottes Plan für sie. Dann beten sie für
die Erfüllung dieses Planes, wodurch der Höchste
verherrlicht wird. Oh ja, diese heiligen Seelen lieben
euch! Sie lieben euch in Gott vollkommen, denn sie
werden nicht von ihrem Schmerz allein in Anspruch
genommen, noch einzig durch ihre Leiden gehemmt; sie
kehren nicht zu sich selber zurück: sie erblicken euch
in Gott und für Gott, und beten in diesem göttlichen
Licht für euch. Sie sind keinesfalls bloß für eure
menschlichen Werte empfänglich, die im Fegfeuer sowieso
nichts gelten, ebenso wenig gelten sie ja im Himmel.
Euer einziger Schatz ist das Üben der Tugenden, das
treue, dankbare Gebet und die Gnadenschätze, welche die
Mutter Kirche euch zur Verfügung stellt. Alles andere
ist nur Eitelkeit, dazu bestimmt, verbrannt zu werden im
Feuer der Liebe, das euch entflammen soll.
Meine
Seele ließ sich diese Belehrung schmecken, welche der
Engel mit Ernst und einer Art von Traurigkeit in der
Stimme erteilte. Ich bat ihn um die Begründung dafür:
Weil
ihr Gott nicht genug liebt, weil ihr euch nicht genug um
seine Ehre bemüht! Und das sehen auch die heiligen
Seelen im Fegfeuer, wenn Gott es ihnen zeigt: und das
ist für sie ein zusätzlicher Grund zum Leiden. Daher
vermehren sie ihre Gebete für ihre Angehörigen auf
Erden noch mehr, für ihre Wohltäter, für alle Seelen,
die der Herr ihnen zuweist. Sie beten auch für alle
Meinungen, die sie vernachlässigt haben, als sie noch
hienieden waren. Aber nie beten sie für sich selber. Du
weißt es ja, da ich es dir bereits erklärt habe.
Da
ich meinem Schutzengel allerlei Fragen stellen darf in
den Grenzen, die der Gehorsam gegen meinen Beichtvater
mir steckt, fragte ich ihn, auf welche Weise diese
heiligen Seelen uns kennen, und er erklärte mir:
Ich
habe es dir gesagt, mein Kind, im Licht von Gottes
Barmherzigkeit. Ihre Art zu erkennen ist der euren auf
Erden weit überlegen: sie ist der unsern vergleichbar.
Diese
heiligen Seelen haben eine intuitive Erkenntnis der
streitenden Kirche, ihrer Bedürfnisse, soweit der Höchste
es zuläßt, denn diese Erkenntnis wird nur in den
Grenzen der Vorsehung ausgeübt, die Gott für sie
bestimmt. Es kommt vor, daß der Herr diesen heiligen
Seelen eure Bitten, eure Nöte, auch eure Leiden enthüllt:
dann legen sie Fürsprache zu euren Gunsten ein, sie
beten für euch und erlangen euch Schutz selbst im
geistlichen Bereich, ja sogar im zeitlichen Bereich.
Manchmal erlaubt ihnen der Herr sogar, sich euch
kundzutun, sei es um euch zum Beten zu ihren Gunsten
anzuregen, oder um euren Eifer anzuheizen und eure Liebe
neu zu beleben, oder um euch vor einer Gefahr zu beschützen:
das gibt es, es ist selten, aber das gibt es, weil der
Herr es zuläßt. All das zeigt dir, wie sehr diese
Seelen euch lieben. Und ihr müßt für sie beten, gute
Werke vollbringen und Opfer zu ihren Gunsten, um sie zu
unterstützen: jemand der diesen heiligen Seelen
wirklich helfen möchte, würde jeden Tag die heilige
Messe mitfeiern und dabei besonders für sie beten
namentlich beim Gedächtnis für die Verstorbenen52;
dann jeden Tag den Rosenkranz beten mit ein paar
besondern Meinungen für diese heiligen Seelen, und
schließlich den Kreuzweg verrichten nach den großen
Meinungen der Kirche und für diese heiligen Seelen.
Dies sind drei große Mittel um den Seelen im Fegfeuer
zu helfen: die heilige Messe, das Mariengebet und der
Kreuzweg. Denn das Blut Jesu ist für sie ein großer
Trost, und die Muttergottes gießt es in Strömen des
Trostes über das Fegfeuer aus.
Er
verstummte und entschwand bald meinem Blick. Ich
verharrte in großer Freude und Heiterkeit.
Erschaffen
durch die barmherzige Liebe
Diesen
ganzen Tag habe ich dargebracht und besonders die
heilige Messe für die Seele eines jungen Priesters, dem
in seinem Todeskampf und im Augenblick seines Todes
beizustehen, ich die Gnade gehabt habe. Während der
Danksagung wurde meine Seele entrückt in den Glanz des
göttlichen Lichtes und mit den Augen des Geistes sah
ich den jungen Priester, der zum Himmel aufstieg, von
Engeln geleitet und von einer ganzen Gruppe von Heiligen
begleitet, namentlich mit Franz von Paula, Rita von
Gascia und Gabriel von der schmerzhaften Mutter. Ich weiß
nicht, warum gerade sie, es mag sein, daß der junge
Priester eine besondere Andacht zu ihnen gehabt hat. Und
dieser ruhmreiche Festzug erhob sich ins Licht bis zu
Maria, der hochheiligen Muttergottes, die ganz in Weiß
gekleidet war und ihm zulächelte und ihm die Arme
entgegenstreckte. Es schien mir, daß die Jungfrau Maria
da war, um ihren Sohn in Empfang zu nehmen und ihn
gleichsam in die Gegenwart der göttlichen Dreieinigkeit
einzuführen. Das war so schön! Als der junge Priester
bei der Muttergottes ankam, lächelte sie ihm zärtlich
zu und bezeichnete mich mit einer Geste ihrer Hand. Da
neigte er sich mir zu, streckte mir die Hände entgegen
und sagte lächelnd:
Danke,
mein Kind, danke für deine Gebete und deinen Beistand.
Ich gehe nun in das Haus des Vaters, aber ich werde dich
dort nicht vergessen, du weißt es. Sage allen, daß das
Fegfeuer durch die barmherzige Liebe erschaffen wurde,
daß es das Meisterwerk der göttlichen Barmherzigkeit
ist ebenso sehr wie der göttlichen Gerechtigkeit. Eine
einzige unsrer Sünden würde uns die ewige Hölle
verdienen, aber der Vater will nicht den Tod seiner
Kinder, er will ihr Heil und ihr Leben in ihm auf ewig!
Sag es all deinen Brüdern, daß das Fegfeuer durch die
barmherzige Liebe erschaffen wurde.
Meine
Seele wurde in die Verzückung hineinversenkt. Er
zeichnete ein großes Kreuz über mich, das ganz aus
Licht bestand, dann trat er mit der seligsten Jungfrau
in die ewige Herrlichkeit ein. Da entschwand alles vor
meinem innern Auge.
Das
besondere Gericht
Ich
wachte bei jemand, der am Sterben war. Schweigen und
Gebet, denn die Worte bleiben leer in diesen
geheimnisvollen Augenblicken, wo einer das Bewußtsein
verloren hat und sich ganz nahe am Übergang befindet.
Bei dieser Gelegenheit wollte der Herr mir Erleuchtungen
über das besondere Gericht der Seele53
geben. Mein Schutzengel stand da neben mir, sichtbar für
das Auge meiner Seele. Er unterstützte mich und führte
mich. Sobald diese Person starb — es war ein
Jugendlicher — sah ich seine Seele ganz leise den Leib
verlassen. Ich habe begriffen, während ich das
betrachtete, warum man den Leib eine ausgezogene Hülle
nennt... Da befand sich die Seele augenblicklich in
Gegenwart eines unvergleichlichen Lichtglanzes, vor dem
Aufflammen eines blendenden Lichtes. Mein Schutzengel
sagte mir in diesem Moment:
Dieses
glänzende Licht ist die Herrlichkeit Gottes, das heißt
der Lichtschein seiner Heiligkeit. Von dem Augenblick
an, wo sich die Seele vom Leib trennt, befindet sie sich
in Gegenwart der Herrlichkeit Gottes: sie sieht Gott
nicht, aber den Lichtschein seiner Heiligkeit.54
Nun
konnte ich durch eine sehr klare intellektuelle Schau
eine Reihe von Vorgängen, die dann nicht nacheinander,
sondern alle zugleich geschehen jenseits von Anordnung
in Zeit und Dauer. Zuerst sah ich die Seele ganz
durchdrungen und wie durchbohrt durch die Geschosse
dieses grellen Lichtes, das auf sie einströmte: alle Sünden
und alle bösen Neigungen waren total verschwunden —
und zwar gerade mit dem Tod, wie mir schien —, und es
blieben in dieser Seele nur die Strafen für die
begangenen Sünden, die noch nicht gesühnt worden
waren, zurück. Sogar die Neigungen zum Bösen in den
Seelenfähigkeiten waren wieder hergerichtet, waren wie
geschmolzen unter den Geschossen dieses außerordentlichen
Lichtes. Es ist sehr schwierig, das zu erklären. Mir
scheint, daß die Gewohnheit zur Sünde in uns so etwas
wie eine Spur zurückläßt, eine Art Schwäche, eine
Folge der Sünde, die uns verwundbar für das Böse
macht. Und eben das war verschwunden.55
Zugleich
wurde die Seele in Gegenwart der Herrlichkeit Gottes
gleichsam radikal von der Liebe erfaßt und durch sie
einer wundervollen Anziehung unterworfen, der sie durch
ein heftiges Verlangen, sich mit ihr zu vereinen,
entsprach, wobei sie sich in der vollen Ausübung ihres
Willens dem reinen Wollen Gottes ausliefert. Zugleich
nahm die Seele in den Lichtgeschossen, die sie
durchdrangen, wodurch sie von Liebe entflammt wurde, die
Heiligkeit Gottes selber wahr, in der sie sich so sah,
wie sie objektiv war, wie wir sagen würden. Es ist so
etwas wie ein göttliches Licht der Wahrheit, unter
welchem die Seele in eben dem Augenblick, wo sie
hineingerät, einen gewaltigen Abscheu vor der Sünde
und auch vor deren Folgen empfindet: sie kennt diesen Haß
gegen die Sünde, weil sie dann in das göttliche Licht
eingetaucht wird, das ihr die göttliche Vollkommenheit
der Liebe Gottes zeigt.56
In
dieser Anziehungsbewegung und in diesem Wahrheitslicht
wird die Seele auf persönliche Weise Gott selber gegenübergestellt:
ohne daß dieser sich der Seele schon enthüllen würde,
bekundet er sich in diesem Licht und durch diese
Liebesanziehung. Es ist eine unerhörte Begegnung. Aber
dann hat die Seele, obwohl sie heftig so vielen
Lockungen der göttlichen Liebe entsprechen möchte, in
sich so etwas wie ein mühevolles schmerzliches
Hindernis entdeckt, das sie daran hindert, sich total
der liebevollen Anziehung Gottes auf sie auszuliefern:
es ist die Sündenstrafe, das was noch gesühnt werden
muß, um der göttlichen Gerechtigkeit genugzutun. Und
ich sah diese Seele in diesem Zustand des
Auseinander-gerissen-Werdens festgehalten, was das
wesentliche Element des Fegfeuergeheimnisses ausmacht:
ein Hin-und-her-gerissen-Werden der Seele zwischen der
Anziehung der göttlichen Liebe und der aktuellen Unfähigkeit,
in der sie sich befindet, dieser Anziehung vollumfänglich
zu entsprechen.57
All
das wurde mir auf eine intellektuelle Weise gezeigt. Es
war sehr klar für meinen Verstand, und ich weiß
dennoch sehr wohl, daß ich es nicht deutlich auszudrücken
vermag, denn die Worte sind nicht imstande, all diese
Dinge zu formulieren... Und zur selben Zeit schaute ich
mit den Augen der Seele in einem Verbund von sehr eindrücklichen
Bildern mehrere andere Wirklichkeiten.
Ich
betrachtete den Schutzengel dieses Jugendlichen, der
betend bei ihm stand; und auch die seligste Jungfrau
Maria stand betend in der Herrlichkeit Gottes mit andern
Heiligen, wobei alle Fürsprache für die Seele
einlegten. Ich sah ebenfalls aber viel tiefer in einem
schwarzen feurigen Abgrund den entfesselten und brüllenden
Teufel, der mit der ganzen Hölle ein Wutgeschrei
hervorstieß: ohne Zweifel, weil diese Seele ihm
entging, da sie gerettet war...58
Ich bin in Unkenntnis darüber, ob die Seele selber zum
Zeitpunkt des besonderen Gerichts all das sehen kann,
denn dieses Gericht wurde mir gezeigt als ein persönliches
Handeln Gottes an der Seele, eine ganz intime Gegenüberstellung
der Seele mit dem Geheimnis Gottes. Es scheint mir, daß
die Seele in diesem Moment einen einzigen Anblick hat,
den der Herrlichkeit Gottes. Ich glaube jedoch, daß die
Seele all das verspürt, sie weiß es eher als daß sie
es sieht. Diese Fürsprache der hochheiligen Mutter gibt
es wirklich und sie wird mit Macht ausgeübt, sowie die
der Heiligen, auch wenn die Seele im Moment des Gerichts
nur eine allgemeine und gewissermaßen ganz intuitive
Kenntnis davon zu haben vermag. Diese Fürsprache schien
es mir, wirkte sich stark aus, und der ganze Himmel nahm
daran teil: es war so etwas wie ein furchtbarer Druck
und ein allgemeiner Aufschwung der Liebe für diese
Seele, welche vor Gott hingelangte.
Ich
habe auch nicht gehört, daß Gott einen Urteilsspruch
ausgesprochen hätte: das Urteil wird sicher
ausgesprochen, aber im geheimen der intimen Beziehung
Gottes zur Seele, die vor ihm erscheint: es ist die
Folge der Erkenntnisse, wie mir schien, welche die Seele
in diesem Licht der Wahrheit empfängt. Und dieses
Urteil, wenn man dieses Handeln Gottes an der Seele, die
gerichtet wird, so benennen darf, wird unmittelbar von
der Seele wahrgenommen, die in diesem Gericht dem Glanz
der Heiligkeit Gottes gegenübergestellt wird. Die Seele
paßt sich dann selber dem reinen Willen Gottes an,
welches Liebe und Gerechtigkeit ist. Es wurde mir
gezeigt, daß der Vorschlag, den die Seele empfängt,
sich dem reinen Wollen Gottes anzupassen, für die Seele
die Gelegenheit ist, ihre Freiheit in ihrer Fülle auszuüben,
weil diese eine Gabe des reinen göttlichen Willens ist.
Bei dieser Gegenüberstellung mit dem Mysterium Gottes
liefert sich die Seele dem reinen göttlichen Wollen aus
gemäß dem ihr eigenen Zustand: sei es, indem sie in
die Herrlichkeit des Himmels eingeht, sei es, daß sie
sich ins Fegfeuer zurückzieht, sei es, daß sie sich
von sich aus ins Feuer der Hölle stürzt. Nie wird man
hinreichend wissen, wie falsch diese Vorstellung von
einem furchtbaren Gott ist, der mit seinem anklagenden
Finger eine Seele ins Fegfeuer oder in die Hölle
verweist: mein Gott ist die Liebe, und die Liebe zieht
alles an sich, sie nimmt gefangen. Die Ewigkeit einer
Seele ist nicht eine Entscheidung Gottes, eines Gottes,
der als rachsüchtiger Rächer hingestellt wird, sie ist
die freie Wahl der Seele: es gibt keine Entscheidung in
Gott, sondern nur einen einzigen Akt der Liebe; denn
Gott ist die Liebe.59
Die
Seele, die ich in der Gegenwart der Herrlichkeit Gottes
gesehen hatte, zog sich von sich aus heiter ins Fegfeuer
zurück und blieb zugleich in der lebendigen Anziehung
der göttlichen Liebe. Es scheint mir, daß die Seelen
im Fegfeuer auf eine geheimnisvolle Weise weiterhin den
Glanz der Heiligkeit Gottes wahrnehmen, dessen Anziehung
und Kraft der Liebe sie ungestüm verspüren. Das ganze
besondere Gericht verläuft in einem einzigen Akt, und
dieser Akt ist das Geschenk der Liebe Gottes an die
Seele. Es scheint mir, daß die Seele nach dem besondern
Gericht (obwohl dasselbe jenseits der Zeit geschieht,
wenigstens so wie wir es kennen), zu immer größern und
erhabeneren Einsichten eingeladen wird je nach ihrem
Stand. Das vermehrt in keiner Weise die Verdienste, die
sie sich auf Erden erworben hat, und auch nicht die
Stufe der Herrlichkeit im Himmel. Aber je mehr Gott die
Seele im Feuer seiner Heiligkeit läutert, um so mehr
erhebt sich die Seele zu ihm hin.
Wenn
eine Seele zur beseligenden Anschauung zugelassen wird,
so empfängt sie unmittelbar die Erkenntnis von Gott
selber (als dem Inhalt ihres Erkennens), mit dem sie
vereint wird, und aufgrund dieser Erkenntnis Gottes, das
Erkennen der Geheimnisse des Himmels. Wenn sie sich im
Fegfeuer befindet, freut sie sich manchmal, besonders
anläßlich gewisser liturgischer Feste, an Besuchen
ihres Engels, der seligsten Jungfrau, gewisser Heiliger:
sie schaut sie in Gott, betrachtet sie in ihm, der ihr
noch verborgen bleibt. Was die Hölle betrifft, so ist
die Seele, die sich dort befindet, durch ihren Zustand
und ihre Stellung dem Anblick und der Wahrnehmung der Dämonen
und der Verdammten, der Geister der Finsternis und der
Teufelswelt ausgesetzt.
So
sehen die Dinge aus, die mir durch den Herrn gezeigt
wurden hinsichtlich des besondern Gerichts, anläßlich
des Hinscheidens eines Freundes.
Erleuchtungen
über den Zustand der Seelen im Fegfeuer
Da
ich die heilige Stunde nach der Meinung der Seelen im
Fegfeuer halte, wird mir gezeigt, daß wir durch unsere
Gebete und unsere Opfer die Schmerzen dieser Seelen sehr
lindern, ja sogar die Zeit ihrer Läuterung abkürzen können.
Ganz besonders die heilige Messe besitzt einen unschätzbaren
Wert, wenn sie nach deren Meinung aufgeopfert wird, vor
allem wenn sie mit Sammlung und an Werktagen mitgefeiert
wird. Ich habe auch den Wert von Werken der
Barmherzigkeit gesehen, wie dem Besuchen von Kranken,
dem Geben von Almosen, dem (gastlich) Aufnehmen. Gott
verwandelt all unsere Anstrengungen und unsern guten
Willen in Gnaden des Beistandes und der Hilfe für diese
heiligen Seelen, die uns dafür äußerst dankbar sind.
Sodann
wurde mir gezeigt, daß die Seelen, die im Fegfeuer am
meisten zu leiden haben, jene sind, die gegen die Liebe
gefehlt haben, die im Laufe ihres Lebens hienieden sich
nicht in dieser Tugend zu vervollkommnen gesucht haben,
die es nicht verstanden haben, sich von sich selber
loszulösen, um für den Herrn und ihre Brüder verfügbarer
zu sein. Ich habe ebenfalls gesehen, wie sehr die
Zungensünden, die Habgier, der Neid, die verschiedenen
Anhänglichkeiten an die materiellen Güter, an den
Komfort usw. besonders schreckliche Strafen im Fegfeuer
verursachen; im Gegenzug sind die Werke der
Barmherzigkeit, das Üben der Mildherzigkeit und der
Geduld unsern Brüdern gegenüber, die Sanftmut, das
bescheidene Zurücktreten, die den andern mitgeteilte
Freude, die Ergebung in den reinen Willen Gottes,
namentlich beim Herannahen des Todes ebenso viele Dinge,
die in der Folge unser Fegfeuer werden abzukürzen oder
zu lindern vermögen.
Von
da an, wo die Seele sich im heiligen Fegfeuer des reinen
Willens Gottes befindet, ist es, wie wenn Schuppen von
ihren Augen fielen und ihr Blick erhebt sich intuitiv
zur Sonne hin, die sie blendet: sie erahnt in dieser
blitzartigen Helle, den Lichtglanz, den die göttliche
Liebe für sie bestimmte, als sie diese aus dem Nichts
emporhob, die unergründlichen Reichtümer, die sie vom
Ursprung her durch die schöpferische Liebe berufen war,
zu umfangen und zu besitzen. Aber ihr Leben hienieden
verging damit, daß man die Augen zur Erde und zu ihren
trügerischen Verlockungen niedergerichtet hielt und
sich von der Welt und ihren vergänglichen Lichtlein
fesseln ließ. Durch die Sünde hatte sie sich für die
Transparenz der göttlichen Liebe blenden lassen. Jetzt,
wo ihr die Augen aufgegangen sind, sind sie zu
empfindlich, um den Lichtglanz einer derartigen
Vollendung zu ertragen und sie erleidet darin ein unablässiges
Leiden. Sie wird davon wie geblendet sogar mitten im
Licht, und es ist, wie wenn feurige Geschosse ihr durch
den Kopf gingen. Zur gleichen Zeit befindet sie sich in
einem großem Schweigen der Liebe und des bloßen
Leidens gesammelt, das sie von allem Lärm der Welt
reinigt, dem sie nur zuviel Bedeutung beigemessen hat,
als sie sich daran ergötzte und ihre Ohren untauglich
machte, um das Wort Gottes wahrzunehmen und zu
verkosten. Diese Totenstille ist für sie sehr
schmerzvoll, wo sie doch gewohnt war, sich in den Geräuschen
und dem tausendfachen Gelärm der Welt zu bewegen; und
ihr verletztes Ohr lechzt nur danach etwas zu hören,
aber nichts nimmt sie wahr, das wird für sie zu einer
quälenden Angst: die Seele lauscht nach Gott... Wo sie
bisher in beständiger Aufregung war und überallhin
rannte, und doch bei keinem Geschöpf die Ruhe fand, und
diese anderswo suchte, nur nicht in ihrem Innern; jetzt
ist sie zur Regungslosigkeit verurteilt, gelähmt durch
das Verlangen, das sie ausspannt zu dem hin, der sie
anzieht, und stürmisch aus sich herausgerissen wird, wo
sie jedoch durch die Last der Sündenschuld und ihrer
Unvollkommenheiten zurückgehalten wird. Es ist ein
Zerrissen-Werden ihres ganzen Wesens, sie fühlt sich in
vier Stücke gerissen, weil sie nun in Christus, den
Gekreuzigten, eingegliedert ist, dem gleichgestaltet zu
werden, sie an sich vollenden lassen muß. Die Seele muß
sich im Fegfeuer vom reinen Willen des Vaters in die
Gestalt seines gekreuzigten Sohnes hineingestalten
lassen: von den Peinen des Fegfeuers wird sie erst dann
befreit werden können, wenn der Vater den Blick seines
berechtigten Zornes auf sie heftet und dabei das Antlitz
dessen wiedererkennt, der allein ihn zum Erbarmen neigen
kann: Jesus, der Gekreuzigte.
Jetzt
wo sie Hunger verzehrt, kann sie sich nur sättigen am
Verlangen nach ihm. Jetzt, wo ein unlöschbarer Durst
ausdörrt, werden ihr nur die bitteren Tränen als Trank
gewährt, die aber nicht ihren Durst stillen: doch sie
findet in diesem Hunger und in diesem quälenden Durst
den reinen Willen des Vaters, der in diesem Fegfeuer der
göttlichen Liebe ihre einzige Nahrung ist. Wo sie sich
doch jeden Augenblick hienieden von Gott und von sich
selber abwandte, um sich an die Geschöpfe zu verlieren,
nun wird sie beständig auf sich zurückgeworfen,
festgehalten unter dem einzigen Blick, den die allmächtige
und unendliche Barmherzigkeit Gottes auf sie wirft. Sie
sieht sich nur im schmerzlichen Lichtglanz dieses
Erbarmens, und sie sieht die Barmherzigkeit nur in den
Auswirkungen, die diese im Innersten von ihr selber
hervorbringt: innere Ausrenkung, Zermalmung und
Stumpfsinnigkeit, schrecklicher als es die schlimmsten
Krämpfe und das Reißen sind, die ein von den
grausamsten Krankheiten zermalmter Leib kennen kann. Von
allen Geschöpfen wird sie gänzlich abgewandt, wobei
sie in ihrem eigenen von Schmerzen gesättigten Elend
wiederfindet, was es heißt, Geschöpf zu sein: jetzt
weiß und erfährt sie, daß sie Geschöpf ist,
hervorgegangen aus der Hand und dem Herzen Gottes, die
immer nur lieben, und sie lotet die Stellung aus um den
Preis von Verdemütigung und Verlassenheit. Alle Geschöpfe
sind ihr weggenommen, und der Schöpfer schenkt sich ihr
nicht anders als durch das Erkennen, worin sie von ihm
stammt, das Erkennen in Liebe und in Schmerz ist. Sie möchte
zu ihm hineilen, ihn berühren, ihn erfassen, und sie
befindet sich in sich zurückgehalten, unter der göttlichen
Hand, die sie niedergebeugt festhält, sie will ja
nichts anderes als unter diese mächtige Hand
hingestellt sein. Sie wird ferngehalten von allem, was
nicht er ist, ja sie weiß nicht einmal, ob es etwas
anderes gibt außer ihm, und da sie ihn nur indirekt
wahrnimmt, wie durch einen Feuerspiegel, den sie nicht
überwinden kann und vor allem nicht will.
In der
Lieblichkeit der Intimität mit Maria
Im
Laufe der Abendbetrachtung wird meine Seele erfüllt mit
einer süßen Empfindung, es ist, als wenn die Jungfrau
Maria mein Herz im ihren festhielte, in
unaussprechlichem Frieden und Süßigkeit. Und am Ende
der Betrachtung schaue ich sie, wie sie sich in einem
großen Licht über einem Feuer zeigt, in welchem ich
das Fegfeuer wiedererkenne. Die seligste Jungfrau steht
da mit zum Feuer hin ausgestreckten Händen: Lichtfluten
strömen aus ihrem Herzen bis hin zu ihren Fingern und
ergießen sich als üppiger Regen über das Fegfeuer;
sie betet mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit lächelnd.
Das Fegfeuer öffnet sich gleichsam für meinen Blick:
und ich betrachte staunend in den Flammen zahlreiche
Seelen, die ihre Hände zur Muttergottes erheben und mit
Vertrauen beten und die wie einen erfrischenden Regenguß
die Strahlenfluten aufnehmen, die aus dem Herzen Mariens
hervorbrechen und durch ihre Hände ausströmen. Unter
diesen Seelen erkenne ich mit Entsetzen ein Mädchen,
das meinem Gebet anempfohlen wurde, denn sie war seit
Monaten von einer schweren Krankheit heimgesucht und
litt viel. Die seligste Jungfrau hatte zu mir gesagt:
Mein
Kind, sie wird nicht gesund werden, weil mein göttlicher
Sohn sie bei sich haben will: erwartet er sie im Himmel.
Nun
war sie schon da im Fegfeuer! Nach dem Schock der Überraschung,
mache ich mich ans Gebet für sie. Da wendet sie sich
ein klein wenig, ohne aufzuhören die Jungfrau Maria zu
bewundern, und sagt zu mir:
Ja,
ich bin fortgegangen, ich habe die Erde verlassen. Die
seligste Jungfrau ist gestern gekommen, sie hat mich
geholt. Schon zuvor war sie zu mir gekommen, um mich zu
trösten, mir zuzulächeln und mich zu ermutigen. Meine
letzten Tage auf Erden sind in der Lieblichkeit der
Intimität mit Maria verflossen. Und siehe, ich bin
gerettet! Ich höre nicht auf, Gott dafür zu danken und
ihn zu verherrlichen: immerdar werde ich seine
Barmherzigkeit besingen! Jung bin ich gestorben, aber
ich bin gerettet. Die seligste Jungfrau hat mir gut
geholfen, denn es war sehr hart; aber sie hat mich
gelehrt, mich für Jesus und all unsere Brüder zu
vergessen. Jetzt höre ich nicht auf, Gott zu
verherrlichen, ihm zu danken für dieses
unvergleichliche Geschenk seiner Mutter, unsrer so
hilfreichen Mutter. Bete für mich, wenn Gott es gestattet,
und bete für meine Eltern, damit sie stark bleiben und
ihr Glaube Bestand hat, damit sie Gott in allem
verherrlichen.
Dann
ist alles entschwunden. Ich verharre in einer sanften
Freude. In drei oder vier Tagen wird mir ein Brief ihr
Hinscheiden bestätigen.
Wir
sind hoffnungstrunken
Alles
ist ruhig, heiter in dieser Winternacht, und ich bringe
dem Herrn diesen Frieden dar, der alles umhüllt und
meine Seele überflutet. Während ich bete, zeigt sich
mein Schutzengel auf den Stufen zum Altar; er wirft sich
vor dem Tabernakel nieder, dann kommt er still bis zu
mir hin und sagt sanft:
Schau
und bete für diese Seele.
Und
ich sehe in ein Feuermeer, das sich plötzlich vor
meinen Augen ausbreitet, sehr viele Seelen im Fegfeuer,
unter denen ich dieses vor kurzem verstorbene Mädchen
wiedererkenne. Es blickt mich mit Güte an, streckt die
Hände aus und sagt:
Möge
der Friede Jesu und Mariens Milde in deiner Seele sein!
Wie du siehst, bin ich noch im Fegfeuer. Ich komme, um
dich um dein Gebet für mich zu bitten. Der Herr erlaubt
mir dieses Verhalten. Betrübe dich nicht, mich noch
hier zu sehen, sondern bete und danke Gott. Hier sind
wir hoffnungstrunken, wir werden im Feuer der göttlichen
Liebe verbrannt, wir werden zur Liebe hingezogen, es ist
eine brennende Sehnsucht, aber wir sind geduldig und glücklich.
Ich weiß nicht, ob ich lang im Fegfeuer bleiben werde,
und das ist keine Besorgnis für mich: wir denken nicht
einmal daran. Unsere einzige Sorge ist, Gott zu
verherrlichen, und wenn ich zu dir komme, dann um dich
einzuladen, es ebenso zu machen, indem du für uns
betest. Wenn ihr für uns betet, verherrlicht ihr die göttliche
Liebe, und besingt das unendliche Erbarmen Gottes, indem
ihr euer Gebet mit dem unsern vereint. Betet ohne
Unterlaß für uns, wie wir für euch beten.
Und
sie entschwindet meinem innern Auge, das Feuer verschließt
sich wieder. Der Engel steht neben mir, er schließt
sodann:
Ja,
mein Kind, beten muß man. Beten heißt lieben, und das
Gebet ist die Bekundung eurer Liebe zu Gott und für
diese heiligen Seelen. Sie befindet sich im sogenannten
Vorhof. Weil sie Gott während ihres Todeskampfes ihre
großen Leiden dargebracht hat, verhalf es ihr zu großen
Gnaden der Bekehrung, nicht nur für sich, sondern für
viele Seelen: sie ist im Leiden geläutert worden, ihr
Fegfeuer wird nicht lange dauern.
Dann
verschwand er, indem er im innern meiner Seele einen
sehr sanften Frieden zurückließ.
Ich
bin gerettet, weil ich gütig war
Dieser
erste Tag im Jahr, das Hochfest der Muttergottes, wird
umdüstert durch einen sehr schmerzlichen Trauerfall,
der mir nahe geht. Die seligste Jungfrau gießt jedoch
einen tiefen Frieden in meine Seele ein, eine milde Süße
und sie wiederholt meinem Herzen unaufhörlich:
Ich
bin Mutter, ich bin deine Mutter, eure Mutter. Ich halte
euch in meinem Mutterherzen fest.
Nach
der heiligen Messe zeigt mir der Herr den Verstorbenen
auf einer Art von kleinem Hügel von sehr lebhaften
Flammen umgeben. Bereits an den beiden vorhergehenden
Tagen, hatte ich die Gnade, ihn zu betrachten, aber er
lag da und war mit einem Schweißtuch bedeckt, diese Art
von nebelhafter Bekleidung, die ich schon anderswo erwähnte:
diese konnte ich sehen, doch nicht ihn. Man mußte
beten. Da steht er nun da und streckt mir die Arme
entgegen in einer Art verhaltener Freude, ein wenig
melancholisch lächelnd. Ich wage nicht zu sprechen,
keine Geste, und ich kann mich auch nicht zurückhalten
zu weinen. Mein Schutzengel steht da bei uns, die Hand
auf meinen Arm gelegt. Er zeichnet ein großes Kreuz,
was der so liebe Verstorbene wieder mit Sammlung
aufgreift. Dann strecke ich meinerseits die Hände zu
ihm hin, der da sagt:
Danken
wollen wir dem Herrn, sein Erbarmen ist unendlich! Du
siehst, ich bin gerettet, freue dich, ich bin
gerettet...
Da
ich weine, ohne etwas zu sagen, scheint ihn das zu betrüben
und er weist mit einer gewissen Strenge zurecht:
Weine
nicht! Du sollst die Stärke unsrer Angehörigen sein,
du mußt ihnen beistehen und sie trösten, sie mit einer
zusätzlichen Zärtlichkeit umgeben: bekunde ihnen die
ganze Liebe, die ich zu ihnen hege, die sie nun nicht
mehr wahrnehmen können. Ja, du mußt ihre Stärke sein,
das ist notwendig.
Und
ich erwidere ihm mit Überdruß: «Wie sollte ich ihre
Stärke sein? Bitte Gott, er möge ihnen helfen, ich
will frei sein zu weinen, weil ich das brauche...» Der
Engel ist sehr ernst, er faßt meinen Arm fester an; der
junge Verstorbene wird noch strenger und befiehlt mir:
Nein,
weine nicht! Deine Tränen würden meine Peinen noch
vermehren, sie würden mich meiner Tröstungen berauben,
die deine Ergebung und deine Freude für mich verdienen
werden: hier kann man nicht mehr verdienen, aber ihr könnt
eure Verdienste für uns aufopfern! Du weißt, wie sehr
wir von euch Gebete erwarten, Akte der Liebe, Gedanken!
Das kleinste Gebet ist für uns, was ein Glas frischen
Wassers für einen vor Durst in der Wüste Sterbenden;
der kleinste Gedanke, noch so flüchtig, ist für uns
ein kühler Hauch in dieser Feuerwüste, in diesem Feuer
der Liebe, die uns verbrennt! Wenn du alles wüßtest!
Ich bin gerettet, weil ich gütig war. Der Herr hat mich
bewahrt vor Hochmut, Ichsucht und Lüge. Aber was mir am
meisten Leiden bereitet, ist meine Nachlässigkeit, beim
Ihn-Suchen viel zu viel Zeit verloren zu haben. Hier
entdecke ich nun die Welt der unendlichen Liebe, und das
Staunen lindert meine Peinen. Ja, ich war gütig, und
Gott erweist sich mir als sehr gütig. Er läßt mich
seine Güte entdecken, anbeten und lieben. Sei eine
starkmütige und gütige Seele, sage allen, sie mögen gütig
sein. Gott ist die Liebe, Liebe sei in euch! Betet für
uns, das ist für euch eine Pflicht, eine Pflicht der
Liebe gegen Gott, den ihr verherrlicht und zu dem hin
ihr uns so voranbringt, uns, die wir vor Sehnsucht
brennen, ihn zu schauen; und der Liebe zu uns, den
Seelen im Fegfeuer, denen ihr Erleichterung und Beistand
schenkt. Weißt du, daß das Gebet für die Seelen im
Fegfeuer einer eurer Beiträge zur Einheit des
geheimnisvollen Leibes ist? Ut unum sint! Daß
wir alle eins seien in unsrem Einzigen...
Er
schweigt und blickt mich mit großer Sanftmut an, meine
Seele wird dadurch ganz gestärkt. Er öffnet die Arme,
blickt zum Himmel mit Seligkeit und sagt:
Ich
entdecke die Wunder der unendlichen Liebe! Die Liebe
rief mich, ich wurde von der Liebe ergriffen und nun
gehe ich zur Liebe... O mein Gott, all mein Sehnen liegt
offen vor dir, mein Seufzen ist dir nicht verborgen!
(vgl. Ps 38,10).
Wie
er mich nun anblickt, komme ich zum Ende und sage ihm:
Hoffe
auf den Herrn, warte auf den Herrn, und sei stark! Hab
festen Mut! Ja, hoffen wir auf den Herrn (vgl. Ps
27,14).
Möge
das Gebet das Instrument für die Einheit sein
Diese
letzten Tage waren reich an Prüfungen. Ein junger
Verwandter, der kürzlich verstarb, wurde provisorisch
begraben. Die Familie schließt sich enger zusammen, der
Kummer verinnerlicht sich und läutert sich allmählich.
Nach der heiligen Messe, während der Danksagung, sehe
ich den Verstorbenen, der neben dem Altar steht, von
hellen Flammen umgeben. Ich bekreuzige mich. Da kommt er
auf mich zu, grüßt mich und sagt:
Laßt
uns Gott, der ewigen Güte, Dank sagen!
Weißt
du, daß ich die seligste Jungfrau sah? Sie ist die
Mutter der Güte, sie ist bis zu mir gekommen, um mir
Blumen zu bringen.
Vor
meiner Überraschung und Freude, lächelt er und fährt
fort:
Ja,
das ist das Symbol eurer Gebete für mich, Arme voll von
Blumen! Ich bekomme Suffragien von vielen Leuten, wovon
mir viele unbekannt sind. So habe ich gesehen, daß
manche von deinen Freunden für mich beten, und ich bete
meinerseits für sie, besonders für die Priester und
die Ordensfrauen. Hier beten wir für euch, für die
streitende Kirche, auf alle ihre großen Meinungen,
insofern Gott sie uns eben zeigen will: aber er hält es
nicht immer für notwendig. Das ist für uns ein sehr
großer Trost. Hier besteht eine Welt des Gebetes, des Sühnegebetes...
Wir beten für die Ausbreitung des Reiches Gottes, für
das Kommen seines Reiches der Liebe und des Friedens:
das heißt für die Bekehrung der armen Sünder, für
die Heiligung der Seelen. Möge das Gebet das Instrument
der Einheit sein zwischen dem Himmel, dem Fegfeuer und
der Erde!
Meine
Seele ist im Jubel. Ich habe Lust, Fragen zu stellen,
aber er schaut mich an mit Ernst und weist zurecht:
Vergiß
nicht, daß wir viel leiden. Ich befinde mich trotz
allem in einer Art höchster Not, weil eine Regung mich
zur göttlichen Liebe hinzieht. Sie überragt mich, und
ich kann ihr erst innerhalb der derzeitigen Grenzen
meines Zustandes entsprechen. Aber ich liebe dieses
Leiden, es ist Leiden der Liebe, das ist gerecht, ich
strebe nur nach Gott, ja nach Gott...
Ich
empfinde auch Kummer um ihn; ich sage ihm das, aber er
erhebt mit einem freudigen, ein wenig sehnsüchtigen
Blick, die Augen zum Himmel und sagt:
Gott
ist gütig, so gut, so gut... Man weiß es nicht, man
will es nicht wissen, leider. Wenig liegt mir daran, ob
ich lang im Fegfeuer bleiben muß, wenn ich den Trost
habe, mich mit Gott befassen zu dürfen!
Während
diese Seele mit mir redet, nehme ich Weihwasser und
biete ihr welches an in der hohlen Hand. Sie sagt:
Das
verschafft uns große Linderung, man darf die
Sakramentalien nicht vernachlässigen. Ich glaube, daß,
wenn ich eine Kirche betrat, ich nie vergaß, Weihwasser
zu nehmen, auch wenn es sehr mechanisch geschah... und
selten war. Da ich hienieden die religiöse Praxis
vernachlässigte, muß ich fast beständig in einer
Kirche und meist bei einem Altar mich aufhalten,
manchmal auch unter dem Altar, wenn Gott es erlaubt,
dort empfangen wir reichlichen Trost, durch die
Anwendung aller Gnaden des heiligsten Sakramentes. Aber
das wird mir oft entzogen wegen meines geringen Eifers.
Was für mich tröstlich ist, das ist, daß man für die
Seelen im Fegfeuer Messen lesen läßt: nicht nur für
mich, sondern für uns alle. Denn Gott nimmt eure Gebete
an, und er übergibt sie seiner heiligsten Mutter, wobei
er die Zuwendung an die Seelen im Fegfeuer ihr
anvertraut. Du weißt, Maria, die Unbefleckte, ist die
Mutter der Güte, sie ist ganz dem reinen Willen der
Liebe Gottes übergeben, ganz empfänglich für die
Ausgießungen seiner ewigen Güte; sie ist das Werkzeug
der Absichten Gottes, die sie vollkommen mit soviel Güte
erfüllt! Einer der Schätze einer Familie ist, die
Hingabe an Maria, als etwas Altes und Tiefes zu
besitzen, vergeßt das nie!
Meine
Seele nährt sich aus dieser lichtvollen Unterweisung,
und ich sage dem Herrn Dank, wobei ich zugleich für
diese Seele bete, die abschließend sagt:
Weißt
du, daß die Engel uns besuchen kommen? Sie stärken uns
durch ihre Gesänge, sie verkündigen unablässig die
Herrlichkeit Gottes und ehren mit Liebe und Ehrfurcht
ihre Königin. Das entflammt uns mit Liebe und läßt
unsre Sehnsucht wachsen, und wir verbinden uns dankbar
mit ihrem fortwährenden Lobgesang. Manchmal übergibt
ihnen die seligste Jungfrau Gebete, damit sie selber sie
uns überbringen wie erfrischende Regengüsse, die uns
Erleichterung verschaffen. Und wenn ich die Engel sehe,
so vermehrt ihre Schönheit und Vollkommenheit in mir
das Verlangen, Gott zu sehen: denn in ihnen spiegeln
sich Gottes Herrlichkeit und Schönheit, und das ist ein
großer Trost für uns... Das ermutigt uns gewissermaßen
und vermehrt in uns das Verlangen, Gott zu sehen, der
die Quelle alles Guten, der das höchste Gut ist.
Und
von neuem verliert er sich in diese Art von Ekstase, die
ihn in unsagbarem Jubel die Augen zum Himmel erheben läßt.
Nachdem er ein letztes Mal zu mir hingeblickt hat,
entschwindet er vor meinem Innern Auge, und läßt meine
Seele entzückt, getröstet, glücklich zurück...
Meine
Almosen haben mich gerettet
Als
ich am Beten war in meinem Zimmer, sah ich eine Art von
Feuerwirbel vor mir erscheinen, worin sich ein Mann
aufhielt, den ich seit vielen Jahren gekannt hatte; es
war schon recht lange her, daß er gestorben war. Sobald
ich ihn erkannte, regte sich Überraschung und innere
Verwirrung in mir: war das eine Illusion oder teuflische
Ausflucht? Ich bekreuzigte mich, dann erfüllte Frieden
meine Seele; dann bat ich diesen Mann, er möge doch mir
nachsprechen: «Jesus, Maria, Josef, ich liebe euch.»
Er tat es. Dieser Mann hatte einen entsetzlichen Ruf
gehabt. Er war ungläubig und verachtete die Religion,
man sagte, er sei ausschweifend, skrupellos, zu einer
guten Tat unfähig, hart gegen seine Angestellten und
seine Familie, ein Spieler, ein Verschwender: kurzum,
man hatte ihn mit allen Sünden belastet. Er war durch
einen Unfall umgekommen, ohne die Zeit zu haben, die
Sakramente zu empfangen, und in einer kleinen Ortschaft
kommen die Zungen rasch vorwärts. Die schwatzhaften Frömmlerinnen
hatten zu jener Zeit viele Kommentare über seinen Tod
und sein wahrscheinliches auf ewig Verloren-Sein
abgegeben. Unbewußt war ich diesen Meinungen
tributpflichtig, so daß es mich sehr tröstete, ihn im
Fegfeuer zu sehen. Es waren an die fünfundzwanzig Jahre
her, daß er gestorben war. Er blickte mich an. Ich lächelte
ihm zu und begann für ihn zu beten, da rief er aus:
Oh,
dank dir, mein Kind, danke!
Wenn
Gott mir gestattet, mich dir kundzutun, dann eben um mir
zu helfen in meinen Peinen und um es zu ermöglichen, daß
ich getröstet werde nach so langer Zeit! Niemand betete
für mich in meiner Familie, und unter meinen Angehörigen
hatte man mich vergessen; und ich habe eine
entsetzliches Fegfeuer kennengelernt, das ich durch
meine unzähligen Sünden verdiene. Aber ich bin
gerettet, wie du siehst.
Ich
war in einer großen Freude, ihn so zu betrachten. Und
er fuhr fort:
Weißt
du, was mich gerettet hat? Es sind die Almosen, die ich
gegeben habe, die vielen Hilfen, die ich so und so
vielen notleidenden Leuten zukommen ließ. Ich hatte ein
gütiges Herz und das war meine Rettung. Viele von
diesen Leuten, denen ich geholfen habe, beteten und
beten noch für mich, ohne zu wissen, wer ihnen Hilfe
gebracht hat: denn all das tat ich heimlich auf
ungenanntem Weg. Siehst du, man soll nie jemand richten,
nie soll man sich an den äußern Schein halten. Willst
du für mich beten, willst du meine Kinder bitten, für
mich zu beten? Das wird den Herrn verherrlichen, indem
es meine Befreiung beschleunigt.
Ich
versprach es ihm, und er war ganz glücklich. Er
bekreuzigte sich und entschwand schlagartig, und ich
verharrte beim Betrachten seiner Worte.
Die
seligste Jungfrau befreit Seelen aus dem Fegfeuer
An
diesem Fest Maria Opferung habe ich meine Danksagung
nach der heiligen Messe verlängert, um dem Herrn für
die Gabe zu danken, die er seiner hochheiligen Mutter
geschenkt hat. Ich bat ihn, meine Seele für das Wirken
des Heiligen Geistes zu bereiten, damit er sie würdig
mache, ebenfalls seinem Vater dargebracht zu werden und
vorbehaltlos dem reinen Willen der Liebe der Heiligen
Dreieinigkeit übergeben zu werden. Während ich mich
diesen Erwägungen überließ, wurde meine Seele in Gott
gesammelt, und ich befand mich in einem lieblichen
Frieden. Dann entstand ein Licht von unsagbarer Milde,
worin ich die Muttergottes sah, umgeben von einer
Vielzahl von Engeln und seligen Seelen, die ins Fegfeuer
hinabstiegen, um Tröstungen und Liebe dorthin zu
bringen. Sankt Michael ging ihr voran. Ein erfrischender
Tau floß herab aus ihrem Herzen und von ihren Händen
und er fiel als Regen auf das ganze Fegfeuer nieder.
Die
hochselige Gottesmutter verteilte auf das ganze Fegfeuer
Gnaden des Trostes und der Hoffnung, dann fuhr sie
wieder zum Himmel empor mit vielen durch ihre Fürsprache
befreiten Seelen. Ich sah diese hunderte von Leuten in
die Freude Gottes eingehen, und es war, als würde das
ganze Paradies von Freudenrufen und Festgesängen
widerhallen. Unter den anläßlich dieses Festes
befreiten Seelen wurden mir welche gezeigt, für die ich
seit einigen Monaten Anrufe ums Gebet bekommen hatte.
Übergang
in den Himmel und Gebet für die heiligen Seelen
Der
ganze Tag war mit der Anwesenheit der heiligen Seelen
des Fegfeuers besetzt. Unmengen von ihnen habe ich
gesehen, still und betend, und sie streckten die Arme in
einer Geste des Flehens empor. Ich habe nicht aufgehört
für sie zu beten, meine Seele war durch diesen fortwährenden
Anblick furchtbar mitgenommen, da er sich gleichsam als
Wasserzeichen auf alles aufsetzte, was ich mit den Augen
des Leibes im Laufe des Tages sah. Ich glaube schon, daß
ich so bis spät in den Abend hinein mehrere tausende
dieser Seelen gesehen habe, die vorüberzogen und um
unser Gebet baten. Am Abend sagte mein Schutzengel
ernst:
Sie
kommen zu euch hin wie um Liebe Bettelnde, wie lästige
Bettler um Gebet.
Am
Abend, als ich ans Ende der Betrachtung gelangte, sah
ich eine große Anzahl dieser heiligen Seelen, die stöhnend
zu mir kamen und mich sogar an meinen Kleidern erfaßten.
Es wurde mir gezeigt, wie sehr man diese Seelen vernachlässigt,
wie sehr sie einsam und vergessen sind... Kaum ist der
1. November vorbei, und das gilt für die Mehrzahl, kaum
ist der Monat November verflossen, das gilt für viele
Gläubige und sogar für Priester, so denkt man überhaupt
nicht mehr an diese Seelen, man betet kaum mehr auf ihre
Meinung, höchstens gelegentlich. Und trotzdem! Diese
guten Seelen, die ihres ewigen Heiles sicher sind und
die sich total vergessen, allein um der Verherrlichung
Gottes willen60,
sind so voller Dankbarkeit uns gegenüber, wenn sie
einmal zur Seligkeit des Himmels gelangt sind! Es wurde
mir noch einmal gezeigt, daß das, was ihnen am meisten
Hilfe und Trost bringt, das heilige Meßopfer ist, das
wir für sie darbringen, und daß wir also Messen und
Suffragien auf ihre Meinungen aufopfern sollen. Und daß
ihnen auch der heilige Rosenkranz unschätzbaren Trost
verschafft, sobald wir dessen Geheimnisse mit Sammlung
betrachten und bei jedem Gesätz ein Gegrüßt zugunsten
der leidenden Seelen hinzufügen. Wir haben viel von
ihnen zu lernen: leiden, schweigen, beten, lieben und
anbeten, kurzum sich dem reinen Willen Gottes
ausliefern.
Sehr
früh von diesem Morgen an hatte mein heiliger
Schutzengel von mir gefordert, daß ich für die Seelen
im Fegfeuer bete. Ich habe es getan im Lichte der
liturgischen Texte des heutigen Tages: indem ich dem
Herrn darstellte, daß wir alle in seinem gekreuzigten
und verherrlichten göttlichen Sohn «vielgeliebte Söhne»
sind. Während des Tages wurde der Anblick der leidenden
Seelen nicht für einen einzigen Augenblick
unterbrochen, außer gerade während eines Teils der
heiligen Messe und während der Betrachtung; dieser
Anblick legte sich gleichsam über all meine Beschäftigungen.
Ich weiß nicht, ob es sich dabei um eine innere
(imaginative) Vision oder um ein leibliches Sehen
handelte, das ist übrigens nicht von Bedeutung. Sehr
oft zogen diese Seelen in Scharen an mir vorbei, ohne
etwas zu sagen, ohne etwas zu sehen, gleichsam
niedergedrückt. Manchmal wandte sich die eine oder
andere mir zu und streckte mir still die Hände hin mit
Tränen erfüllten Augen. Es war erschütternd und es
kostete mich eine solche Anstrengung, daß ich mich am
Ende des Tages vor der Abendbetrachtung in einem Zustand
völliger Erschöpfung befand. Ziemlich spät am Abend
wurde mir ein sehr tröstlicher Einblick gewährt: eine
große Anzahl von Seelen stiegen aus dem Fegfeuer bis in
die Fülle der göttlichen
Liebe hinauf, sie wurden
aufgrund der Gnade Mariens, der Unbefleckten,
emporgehoben, um in das himmlische Jerusalem
einzutreten. Es scheint mir, daß jede Seele, die ihre Läuterung
beendet hat, gleichsam in die Gnade Mariens, der
Unbefleckten, einverleibt wird, emporgehoben im Licht
ihrer Liebe, in welchem sie in die Herrlichkeit des
Himmels eingeführt wird. Ich habe das geschaut als eine
Offenbarung der allumfassenden Mutterschaft der
seligsten Jungfrau, welche sich über all ihre Kinder
erstreckt. Es herrscht ein echter Jubel im ganzen
Himmel, wenn eine Seele dort eintritt, eine Bewegung der
Freude, welche die Begegnung der Seele mit ihrem Gott
wiedergibt, und die sich von diesem Geheimnis der göttlichen
Barmherzigkeit über das ganze Paradies erstreckt wie in
konzentrischen Kreisen. Das läßt mich an das
Wiederfinden des Vaters mit seinem verlornen Sohn
denken.
Fest
Maria Opferung im Tempel
Als
ich für die leidenden Seelen betete, wobei ich das, was
mir gestern gezeigt worden war, betrachtete, wurde meine
Seele in die Kontemplation der Gottesmutter erhoben, die
ihr Unbeflecktes Herz den heiligen Seelen im Fegfeuer eröffnete.
Ich schaute dieses Mutterherz als eine goldene Pforte,
durch welche sehr viele Seelen hindurchgingen, um ins
Herz Jesu einzutreten, welches der Himmel der reinen
Liebe ist. Sie wurden an diesem Festtag von den Peinen
befreit, die sie bis dahin hatten erleiden müssen; es
wurde mir gezeigt, daß einerseits die Heiligen im
Paradies ihnen Lichtleitern zuwarfen, die sie erstiegen,
um sich über den Ort der Reinigung zu erheben, und daß
wir hienieden sie durch unsere Gebete, unsere Suffragien
und unsere Opfer von etwas schwerem entlasten, was sie
gehindert hätte, an diesen Leitern emporzusteigen, um
in die Seligkeit der Auserwählten zu gelangen. Dann sah
ich die seligste Jungfrau, ihrem göttlichen Sohn alle
an diesem Tag befreiten Seelen vorstellen, indem sie
leise zu derem Ohr oder eher in ihrem Herzen sprach: «Tut
alles, was er euch sagt!» Diese heiligen Seelen
befanden sich im Jubel und im Befragtwerden. Jesus
zeigte ihnen sein durchbohrtes Herz und sagte zu ihnen:
«Lest in diesem Herzen, das euch so sehr geliebt hat,
was ihr nun zu tun habt und das auf ewig!» Die Seelen
lasen mit Entzücken: «Ehre sei dem Vater und dem Sohn
und dem Heiligen Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit.» Es
floß aus diesem göttlichen Herzen ein liebliches Getränk
hervor, an dem sich zu erlaben die Seelen eingeladen
wurden, und sie tranken davon in Freuden, in außerordentlichem
berauschtem Jubel. Mein Engel sagte hierauf: «Sie
trinken in langen Zügen und auf ewig den reinen
Liebeswillen des dreieinigen Gottes.» Ich befand mich
in einer unsagbaren Verzückung beim Anblick dieser
Wunderwerke. Dann entschwand alles, und ich verharrte in
der Sammlung des Danksagens.
Theologische
Anmerkungen zum Fegfeuer
Durch
ihre Fürbitten für die Verstorbenen hat die Kirche
zuerst und von Anfang an deutlich ihren Glauben an das
Fegfeuer bekundet. Sodann wird sie mit kluger Zurückhaltung
ihre Lehre näher bestimmen, namentlich am zweiten
Konzil von Lyon (1274), am Konzil von Florenz (1438) und
schließlich am Trienterkonzil (in der 25. Sitzung im
Dezember 1563). Wir wollen diese so lichtvolle und so
beruhigende Lehre in kurzen Zügen in Erinnerung rufen:
·
Im
Reinigungsort begleichen die Seelen der Gerechten ihre
Schuldenlast gegenüber der Gerechtigkeit Gottes, indem
sie die äußerst schmerzvollen Läuterungspeinen
erdulden. Heben wir gleich ohne weiteres hervor, daß
sich die Läuterung am Ort der Reinigung nicht auf den
Fehler erstreckt sondern auf die Strafe. Wenn die von
Gott der reumütigen Seele gewährte Verzeihung zwar den
Fehler tilgt, so läßt sie deshalb nicht die Strafe
hinfällig werden, die ja für den Menschen das Mittel
ist, die Unordnung wiedergutzumachen, die seine Sünden
verursacht haben. Hienieden erleidet die Seele die
Strafe unter der Gestalt einer freiwilligen und
verdienstlichen Buße; in der andern Welt unter der
Gestalt einer obligatorischen Reinigung.
·
Gemäß
der Lehre der Kirche, gibt es zwei Arten von Strafen im
Reinigungsort. Die Hauptstrafe ist die des zeitweiligen
Verlustes der Gottesschau (poena damni). Dieser Entzug
wird von einem unerhörten Schmerz begleitet. Die Stunde
der Vereinigung hat zwar geschlagen: die Seele brennt
vor Sehnsucht Gott zu schauen, aber sie kann ihren
Wunsch nicht erfüllen, weil sie nicht genug vor dem
Tode ihre Sünden gesühnt hat. Die Sühne wird also am
Ort der Reinigung vollendet und nimmt die Gestalt eines
Leidens an, wovon nichts hienieden eine Vorstellung
geben kann. Es gibt am Reinigungsort noch andere
Strafen, bekannt unter der Bezeichnung Strafe der
Empfindung (poena sensus); die Kirche hat sich nie geäußert
über die genaue Natur derselben; ihr Zweck ist die
ungeordnete Anhänglichkeit an die Geschöpfe wieder in
Ordnung zu bringen.
·
Die
Peinen des Reinigungsortes sind nicht dieselben für
alle Seelen. Sie sind verschieden hinsichtlich der Dauer
und der Intensität je nach der Schadhaftigkeit des
einzelnen. Die Seelen im Reinigungsort nehmen die Sühneleiden
heiter hin, die Gott ihnen auferlegt; sie suchen nämlich
nur die Verherrlichung Gottes und ersehnen glühend, IHN
zu schauen, der von nun an ihre ganze Hoffnung ist. Am
Reinigungsort herrscht großer Friede und sogar eine
gewisse Freude, denn die Seelen haben die Gewißheit
ihres Heiles und sehen ihre Pein als ein Mittel an, die
Heiligkeit Gottes zu verherrlichen und zur glorreichen
Anschauung zu gelangen. Da die Leiden am Reinigungsort
nicht mehr verdienstlich sind, vermehren sie nicht die
Liebe in der Seele, die sie erleidet.
·
Die
Kirche auf Erden kann Hilfe leisten durch ihre
Suffragien, die Kirche, «die sich neu gestaltet über
die Pforten des Todes hinaus» (Kardinal Journet), weil
ein und dieselbe Liebe sie in Christus eint. Diese
Einigung begründet die Möglichkeit eines mitteilenden
Austausches der Verdienste. Die Seelen am Reinigungsort,
nicht imstande sich selber die geringste Linderung zu
verschaffen, können so Nutzen ziehen aus den Werken der
Genugtuung, welche die Lebenden zu ihren Gunsten mit der
Absicht vollbringen, deren Schulden zu bezahlen. Diese
Werke der Genugtuung besitzen Sühnewert, weil sie die
Strafen der Seelen am Reinigungsort sühnen, indem sie für
sie einen Ausgleich leisten; Gott regelt gemäß seiner
Weisheit die Anwendung der Suffragien für die
Verstorbenen. Die heilige Messe ist die wirksamste
Hilfe, welche die Kirche auf Erden für eine Seele
leisten kann, die geläutert wird: vermittelt sie uns
nicht das von Jesus am Kreuz für das Heil der Welt
dargebrachte Opfer? Das Almosen, das Gebet, sowie jede
Form von Opfer sind ebenfalls Mittel um «unsern guten
leidenden Freundinnen» zu helfen (heilige
Margareta-Maria).
·
Der
Reinigungsort wird ein Ende finden beim Jüngsten
Gericht, nachdem alle Seelen, die für die Herrlichkeit
bestimmt sind, so oder so der Gerechtigkeit Gottes
Genugtuung geleistet haben.
So lautet das
Wesentliche aus den Lehren der Kirche über das
Mysterium des Reinigungsortes. Es ist hinzuzufügen, daß
das Konzil von Florenz nicht bestimmt hat, ob die Seelen
durch ein wirkliches, nicht metaphorisches Feuer geläutert
werden. Die allgemein verbreitete Lehre (wenigstens in
der lateinischen Kirche) nimmt die Strafe des realen
Feuers an und stützt sich dabei auf die Lehrautorität
des heiligen Gregor von Nazianz und des heiligen Gregor
des Großen. Schließlich wollen wir anmerken, daß die
Kirche den Theologen die Aufgabe überläßt, einige
Erleuchtungen zu gewissen zweitrangigen Fragen
beizutragen, wir wollen da einige erwähnen: An welchem
Ort befindet sich der Reinigungsort? Wird die läßliche
Sünde im Augenblick des Todes oder am Ort der Reinigung
nachgelassen? Beten die Seelen im Reinigungsort für
uns?
Für die
gerechten Seelen ist also der Reinigungsort dieser
Zustand und dieser Ort des Leidens, wo sie die Strafe
abbüßen, wofür sie in dieser Welt nicht genug getan
haben (hl. Thomas von Aquin, S.T, suppl. Q 70 ter a 1;
das gilt für bereits nachgelassene Todsünden und läßliche
Sünden), und wo dann ihre läßlichen Sünden
nachgelassen werden, hinsichtlich der Sündenschuld,
wenn sie während des Lebens nicht nachgelassen wurden
(hl. Thomas von Aquin, Compendium Kap. 181).
·
Die
Existenz des Fegfeuers ist eine Glaubenswahrheit; der
hl. Thomas von Aquin zögert nicht zu behaupten, daß,
wer den Reinigungsort leugnet, gegen Gottes
Gerechtigkeit redet und einen Glaubensirrtum begeht (hl.
Thomas von Aquin, S.T., IIIa Q70 bis, a 6). Diese
Glaubenswahrheit stützt sich auf die ausdrückliche
Lehre der Hl. Schrift über das Gericht und über die
Forderung einer vollkommenen Reinheit, um in den Himmel
einzutreten. Wenn man dem Ausdruck Reinigungsort zwar
nirgends in der Hl. Schrift begegnet, so befindet sich
dort unbestreitbar die Wirklichkeit, die damit
bezeichnet wird: Hätte etwa Judas, der Makkabäer, ein
Sühneopfer im Tempel von Jerusalem für die bei der
Schlacht gefallenen Soldaten seines Heeres darbringen
lassen, wenn er nicht an die Möglichkeit, für die
Hingeschiedenen sich von den Folgen ihrer Sünden
reinigen zu lassen, geglaubt hätte? (vgl. 2 Makk
12,38-45).
Theologische
Anmerkungen zum Fegfeuer
26 «Weißt
du denn nicht, mein Kind, daß sämtliche Leiden, die
eine Seele in diesem Leben erduldet oder erdulden könnte,
niemals ausreichen, auch nur die geringste Schuld zu sühnen?
Denn die mir, dem höchsten Gut, angetane Beleidigung
fordert unendliche Sühne. Ich will daher, daß du
einsiehst: nicht alle Leiden in diesem Leben werden zur
Strafe gesandt, sondern zur Besserung, damit das Kind
gezüchtigt werde, wenn es sündigt. Das aber ist wahr:
durch das Verlangen der Seele geschieht Genugtuung, nämlich
in der wahren Reue und im Abscheu vor der Sünde. Wahre
Reue leistet Sühne für Schuld und Strafe, nicht aber
aufgrund begrenzter Leiden, die der Mensch erdulden könnte,
sondern durch sein grenzenloses Verlangen; denn Gott,
der Unendliche, will unendliche Liebe und unendlichen
Schmerz» (Caterina von Siena, Gespräche von Gottes
Vorsehung, Kap.3 S.5).
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27
Man nennt Limbus der Väter oder Schoß Abrahams den
Ort, wo die Gerechten des Alten Bundes vor der Ankunft
Christi und der Vollendung der Rettung der Menschen
durch das Werk des Kreuzes weilen. Dort litten die
Gerechten nicht, aber ihre Ruhe war unvollständig wegen
der Einbuße der beseligenden Anschauung, die ihnen
Jesus durch sein Opfer erlangen sollte. Nachdem das
Geheimnis der Erlösung vollbracht war, verließen alle
Gerechten diesen Ort, um in der Nachfolge Jesu in die
Herrlichkeit einzugehen. Man darf den Schoß Abrahams
nicht verwechseln mit dem Limbus der Kinder, wo gemäß
einer Tradition, auf welche die allgemeine Unterweisung
sich lang gestützt hat, die Seelen der ohne Taufe
gestorbenen Kinder hingehen sollten. Es ist jedoch
wichtig festzuhalten, daß der Katechismus der
katholischen Kirche gar keine Anspielung an diese
Tradition macht und sich damit begnügt zu lehren: «Was
die ohne Taufe verstorbenen Kinder betrifft, kann die
Kirche sie nur der Barmherzigkeit Gottes anvertrauen,
wie sie dies im entsprechenden Begräbnisritus tut. Das
große Erbarmen Gottes, der will, daß alle Menschen
gerettet werden (vgl. 1 Tim 2,4), und die zärtliche
Liebe Jesu zu den Kindern, die ihn sagen läßt: «Laßt
die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran!» (Mk
10,14). berechtigen uns zu der Hoffnung, daß es für
die ohne Taufe gestorbenen Kinder einen Heilsweg gibt.
Die Kirche bittet die Eltern eindringlich, die Kinder
nicht daran zu hindern, durch das Geschenk der heiligen
Taufe zu Christus zu kommen» (KKK Nr. 1261).
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28 Im
Fegfeuer erfreuen sich die Seelen an der Gewißheit, daß
sie zur herrlichen Anschauung gelangen; sie haben
ebenfalls die Gewißheit, nicht mehr sündigen zu können.
Wegen dieser Befestigung in der Gnade, besteht in der
Kirche der Brauch, sie auch «die heiligen Seelen im
Fegfeuer» zu nennen. Wir möchten schließlich hinzufügen,
daß sie nichts mehr verdienen können. Da die Zeit des
Verdienens vorbei ist. nimmt ihre Nächstenliebe nicht
mehr zu: die Stufe der Herrlichkeit, an der sie sich im
Himmel erfreuen werden, entspricht der Stufe der Liebe,
die sie zum Zeitpunkt des Todes erreicht haben Diese
Wahrheiten, die wir ganz kurz zusammengefaßt haben,
werden von den Theologen in ihrer Gesamtheit als sehr
gewiß hingestellt.
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29
Gemäß einer geglückten Formulierung des Kardinals
Journet «folgt die Pein der Sünde, wie der Schatten
dem Körper». Der Begriff der Strafe (poena) ist
komplex: sie ist der Lohn der Sünde, anders gesagt, was
sie verdient hat. Nach dem Tode sühnt die Seele im
Fegfeuer die zeitliche Strafe, wofür sie noch in Schuld
steht vor der Gerechtigkeit Gottes; diese Strafe besteht
in den Leiden des Fegfeuers: die Seele entledigt sich
der Schuld wegen ihrer Sünde, indem sie die Leiden mit
Geduld und Liebe annimmt. Aber dieses Annehmen ist nicht
mehr im eigentlichen Sinn eine Genugtuung, denn sie ist
nicht mehr verdienstvoll. Man spricht da eher von einem
genug leiden. Wenn die Seele liebevoll die Läuterung
erduldet, die sie von ihrer Schuld vor Gott befreit, so
nimmt sie diese nicht mehr aus eigenem Antrieb an, wie
sie es durch dieses verdienstvolle Handeln, welches
Genugtuung heißt, hienieden hätte tun können, deshalb
«verdient sie nicht mehr die Verminderung oder die
Linderung der Strafe, sondern sie wird ihr zuteil, wenn
die Schuld abbezahlt ist oder wenn sie durch die Leiden
der Lebenden abgekürzt wird» (Garngou-Lagrange). Vgl.
auch die Fußnote am Ende des Werkes in «Strafe und
Genugtuung».
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30
Cathannfi von Genua. Traktat
über das Fegfeuer 2.
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31 «Die
Leiden im Fegfeuer sind freiwillig in dem Sinne, daß
die Seele sie als Mittel, Gott zu verherrlichen,
erachtet, indem sie ihre Schuld vor Gottes Gerechtigkeit
bezahlt, und als Mittel zur beseligenden Anschauung zu
gelangen, wonach die Sehnsucht sie verzehrt. Die Seele
weiß, daß die Pein, die sie erduldet, reinigend ist
und daß sie ein Ende bekommen wird. Sie ist im Frieden,
ganz den Händen Gottes überlassen» (hl. Thomas von Aquin, S.T. Suppl., Q 70 ter, a 4).
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32
Wir wollen kurz die Lehre der Kirche über diesen Gegenstand
in Erinnerung rufen: Die Seelen im Fegfeuer sind ihres
Heiles sicher: ihr Himmel ist gesichert. Aber sie können
nichts mehr verdienen aufgrund ihres Zustandes: im
andern Leben kann man nicht mehr verdienen (sehr sichere
Wahrheit, die von Leo X. gegen Luther in Erinnerung
gerufen wurde): die Seelen im Fegfeuer handeln
freiwillig und befinden sich nicht in einer Art von Betäubung
(Erklärung des Hl. Offiziums gegen Rosmini. 14. Dez.
1887); die Seelen im Fegfeuer verspüren kein Gefühl
der Angst, noch des Schreckens (Leo X Gegen Luther).
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33
Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1032: «Schon
seit frühester Zeit hat die Kirche das Andenken an die
Verstorbenen in Ehren gehalten und für sie Fürbitten
und insbesondere das eucharistische Opfer dargebracht,
damit sie geläutert werden und zur beseligenden
Gottesschau gelangen können. Die Kirche empfiehlt auch
Almosen, Ablässe und Bußwerke zugunsten der
Verstorbenen. „Bringen wir ihnen Hilfe und halten wir
ein Gedächtnis für sie. Wenn doch die Söhne Ijobs
durch das von ihrem Vater dargebrachte Opfer geläutert
wurden, wie sollten wir dann daran zweifeln, daß unsere
Opfergaben für die Toten ihnen Trost bringen? Zögern
wir nicht, den Verstorbenen Hilfe zu bringen und unsere
Gebete für sie aufzuopfern“» (Johannes Chrysostomus.
Hom. in 1 Kor 41,5).
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34 Im
Fegfeuer, befindet sich die Seele im Beendigungszustand
insofern sie nicht mehr verdienen kann und infolgedessen
auch ihre Liebe nicht mehr vermehren kann. Dennoch
befindet sie sich in gewissem Sinn noch auf dem Weg: in
statu viae aliquo modo, sagt der heilige Thomas von
Aquin (S.T., Suppl. Q
70 ter, a 6 ad 5). Denn
sie besitzt noch nicht die ewige Seligkeit, zu der Gott
sie bestimmt. Sie sieht also Gott nicht von Angesicht zu
Angesicht. Gewiß kommt die Seele im Fegfeuer Gott näher.
Sie besitzt die klare Anschauung gewisser hienieden noch
unter dem Schleier des Glaubens verborgener
Wirklichkeiten. Nun, da sie die Anschauung Gottes noch
nicht hat, bleibt eine hinreichende Dunkelheit, um dem
Glauben Platz zu lassen. Das Formalobjekt des Glaubens
ist ja «die oberste Wahrheit, so weit sie unsrer
Anschauung entgeht» (S.T. lla llae. Q 4, a 1). In
dieser Hinsicht besitzt die Seele im Fegfeuer noch den
Glauben. Sie hält an der ersten Wahrheit fest, ohne sie
zu schauen, sondern sie glaubt an sie. Die Weise des
Glaubens im Fegfeuer unterscheidet sich von der
hienieden; es handelt sich dabei um einen Glauben ohne
Verdienst: die Seele im Fegfeuer hält an der göttlichen
Wahrheit fest unter der Herrschaft eines unveränderlichen
Willens, weil dieser nicht mehr der
Entscheidungsfreiheit untersteht.
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35
Die Hoffnung, wie der heilige Thomas von Aquin lehrt, läßt
nach Gott streben, als einem Letzten Gut, das es zu
erlangen gilt, und als einer Hilfe, die geeignet ist,
wirksam zu helfen (S.T., IIa llae. Q
17 a 6. ad 3). Im
Fegfeuer genießt die Seele noch nicht die ewige
Seligkeit, nach der sie eifrig strebt, als einem künftigen
möglichen Gut. Die Seele im Fegfeuer erhofft von Gott
das unendliche Gut, das auf dem ewigen Genuß Gottes
beruht. Sie gründet ihre Hoffnung auf die göttliche
Barmherzigkeit, die dieses Gut ermöglicht: sie erhofft
nicht weniger als Gott durch Gott, wobei sie auf eine
vollkommene Art und Weise die göttliche Tugend der
Hoffnung übt.
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36 «Die
Seelen im Fegfeuer sind (...) keine Abgesonderten, nicht
nur weil sie Beziehungen zu den Gläubigen auf Erden
unterhalten und mit den Auserwählten im Himmel, sondern
auch, weil sie in Gesellschaft zusammenleben, sich
untereinander kennen, einander lieben, einander helfen
wie Geschwister» (Pater Martin Jugie).
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37
Beten die Seelen im Fegfeuer für uns? Auf diese Frage
antworten der heilige Thomas von Aquin und der heilige
Robert Bellarmin verschieden. Der heilige Thomas
unterscheidet drei Zustände, in welchen die Seelen der
Gerechten sich nach dem Tode befinden können:
—
Die Heiligen, die in ihrer Heimat sind, erkennen im WORT alles, was sie
betrifft und alle Gebete der Menschen, die zu ihnen
Zuflucht nehmen (S.T, III, Q 10 a 2); es kommt ihnen
eigens zu, bemerkt Cajetan, die Gebete zu beachten, die
wir an sie richten (ebd. IIa llae Q83 a 11, Nr. 1).
—
Die Heiligen, die sich in dem Limbus der Väter befanden, konnten auch für
die Lebenden beten, denn sie befanden sich nicht in
einem jenem ähnelnden Strafzustand, in welchen durch
ihre Schuld die Seelen im Fegfeuer in die Abhängigkeit
von den Gebeten der streitenden Kirche versetzt wurden:
sie befanden sich in einem dem unsrigen überlegenen
Zustand, nicht nur hinsichtlich der Unfähigkeit zu sündigen
(wie die Seelen im Fegfeuer), sondern auch hinsichtlich
der Unabhängigkeit. Darum konnten sie auch nach Art der
Heiligen, die in ihrer Heimat sind, für die Lebenden
beten. Wenn deshalb der heilige Thomas aus der Schrift
belegen will, daß die Heiligen für uns beten, dann
zitiert er das Erscheinen des Jeremias vor Judas, dem
Makkabäer (Ebd., IIa llae Q 83 a 11, sed contra): «Dieser
ist der Freund seiner Brüder, der viel für das Volk
und für die Heilige Stadt betet, Jeremia, der Prophet
Gottes» (2 Makk 15,14). Die Heiligen im Limbus der Väter
jedoch, die noch nicht die Anschauung Gottes hatten,
beteten für die Lebenden, ohne die Gebete der Lebenden
kennen zu können, im Unterschied zu den Heiligen des
Himmels. Die Schrift behauptet, bemerkt Cajetan, daß
Jeremia betete, sie sagt nicht, daß er das Gebet der
Lebenden hörte; wenn man annimmt, daß er die Prüfungen
und das Gebet Judas, des Makkabäers, kannte, wird man
mit Johannes vom heiligen Thomas sagen, daß es aufgrund
einer außerordentlichen göttlichen Offenbarung geschah
(De Oratione, disp. 14 a4, Nr.41).
—
Die Seelen im Fegfeuer sind uns ohne Zweifel unter einer Hinsicht überlegen,
sagt der heilige Thomas von Aquin, da sie in der Gnade
gefestigt und unfähig zum Sündigen sind, sie bleiben
uns unterlegen wegen der persönlichen Strafen, die sie
erleiden müssen vor dem Richterstuhl der göttlichen
Gerechtigkeit und die sie in Abhängigkeit von unsern
Gebeten versetzen: es steht also nicht ihnen zu, für
uns zu beten, sondern eher uns, für sie zu beten (S.T.,
IIa llae Q 83 a 2 ad 3). Der heilige Robert Bellarmin,
der weniger den Strafcharakter des Fegfeuers betont als
der heilige Thomas, unterscheidet nur zwei Zustände der
gerechten Seelen nach dem Tode (De Ecclesia quae est in
purgatorio, lib. II, cap. 15).
—
Die Heiligen in der Heimat, die für uns beten und unsere Gebete kennen.
—
Die Heiligen im Limbus der Väter und die Seelen im Fegfeuer, die nach
ihm demselben Zustand angehören: sie beten für uns.
aber ohne unsere Gebete im besondern zu kennen. Weil er
keine Unterscheidung herstellt — hinsichtlich der Möglichkeit
zum Beten
—
zwischen den Heiligen im Limbus und den Seelen im Fegfeuer, schiebt der
heilige Robert Bellarmin den Text aus 2 Makk 15,14 vor,
um zu begründen, daß die Seelen im Fegfeuer für uns
beten. Der Meinung vom heiligen Robert Bellarmin schließt
sich Suarez an, der ohne sie für sicher zu halten, sie
als fromm und wahrscheinlich betrachtet. Dieses war
schon die Ansicht Dantes; im Gesang 9 des Fegfeuers
stellt der Dichter die Seelen dar, die imstande sind,
ausdrücklich für die Lebenden zu beten, da sie nicht für
sich selber, die ja bereits in der Gnade befestigt sind
und die folglich dessen nicht mehr bedürfen, sondern für
jene, die auf Erden geblieben sind, die letzte Bitte des
Vaterunser paraphrasieren: «Laß uns nicht der
Versuchung unterliegen» (vgl. Kardinal Journet, «Das
Fegfeuer», in Etudes Religieuses. Nr. 301-302).
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38 «Ihre
Gottesverehrung gegenüber der göttlichen Heiligkeit
ist ganz ohne Maß und das ist es, was als das
Grundlegendste an ihrem Zustand erfaßt werden kann. Sie
sind miteinander verbunden und verbinden sich unablässig
mit den Banden der Liebe und des Feuers auf dem Altar
dieser Heiligkeit und bringen sich als Opfergabe ihm zu
Ehren dar... Ihr Zustand, ihr Leben, ihr ganzes Sein ertönt
als leises Echo, voll und immerwährend zu dem Gesang,
der im Himmel nie unterbrochen wird: „Heilig, heilig,
heilig ist der Herr, der Gott der Heerscharen!“ Was
die Baßstimme in einer Symphonie ist, das ist diese
ernste und so beständige Melodie ihrer lebhaften Hymne
im allumfassenden Konzert, das die geheiligte Schöpfung
Gott entgegenbringt. Sie empfinden eine unnennbare
Freude, zu sehen, daß Gott ein so heiliges Licht ist,
daß sogar der Schatten eines Schattens daran hindert,
in ihm vollendet zu sein. Diese klare Einsicht erfreut
sie viel mehr, als ihre peinliche Strafe sie betrübt.
Um nichts möchten sie, daß ihre Strafe weniger
intensiv und weniger lang wäre, als sie sein muß. Wenn
sie darum bitten, davon befreit zu werden und manchmal
mit soviel Nachdruck, dann geschieht das vielmehr aus
Liebe zu Gott, als um der Pein zu entweichen» (Msgr.
Gay).
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39
Richard von St. Viktor (+1173) hat von den Freuden des
Fegfeuers gesprochen; er schreibt in den «Stufen der
Liebe»; «Die Seele im Fegfeuer ist zur Vollendung der
Liebe gelangt. Der Herr läßt seine Gegenwart derart
verspüren, daß er jedoch sein Antlitz nicht zeigt. Er
verbreitet im Innern seine Sanftmut, aber er zeigt seine
Schönheit nicht. Er gießt seine Lieblichkeit aus, aber
zeigt dabei seine Klarheit nicht. Man verspürt darin
also seine Milde, aber sieht dabei seinen Liebreiz
nicht. Er wird noch von Wolken und Dunkelheit umgeben.
Sein Thron steckt noch unter einer Wolkensäule. Fürwahr,
was man verspürt, ist äußerst süß und voller Zärtlichkeit,
aber was man sieht, ist ganz in der Finsternis, denn der
Herr erscheint noch nicht im Licht. Das Feuer erhitzt
mehr als es erleuchtet. Es entflammt gar wohl den
Willen, aber erleuchtet nicht das Verständnis. Die
Seele kann also in diesem Zustand gar wohl seinen
Geliebten verspüren, aber es ist ihr nicht gestattet,
ihn zu erblicken. Wenn sie ihn sieht, dann nur wie in
der Nacht, wie hinter einer Wolke. Schließlich sieht
die Seele wie in einem Spiegel, wie in einem Rätsel,
aber nicht von Angesicht zu Angesicht; daher kommt es,
daß sie ausruft: „Laß über deinem Diener das Licht
deines Angesichts leuchten!“»
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40 «Während
sie Leiden unterworfen ist, welche die menschlichen
Worte nicht zu übermitteln vermögen, wird die Kirche
des Fegfeuers in ihrem Herzen durch eine unerschöpfliche
Freude emporgehoben, denn sie weiß mit übernatürlicher
Gewißheit, daß sie für immer gerettet ist und daß
sie jeder Augenblick der Dauer unaufhaltsam dem
unaussprechlichen Zeitpunkt näherbringt, wo die
Herrlichkeit Gottes ihr aufscheinen wird und wo all ihre
Wünsche gestillt werden. Es ist gemeinsame Lehre der
Theologen, und der heilige Bellarmin weist darauf hin,
daß die Gewißheit, in der die leidende Kirche sich
wiegt, ohne dabei das Warten der Hoffnung auszuschließen,
jedoch jeden Schatten von Furcht vor Sünde oder ewiger
Verdammnis ausschließt. Es ist noch nicht die
Sicherheit der verherrlichten Kirche, wo die Erwählten
gewiß keine Furcht mehr kennen, ja nicht einmal mehr
Hoffnung, sie haben ja den Besitz; aber es ist eine viel
höhere Sicherheit als die der streitenden Kirche, wo
die Gerechten über ihr ewiges Heil nur eine Gewißheit
der Hoffnung haben, die aber nicht jeden Grund zum Fürchten
auszuschließen vermag» (Kardinal Journet).
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41
Eine friedliche Sicherheit, für die Erde unbekannt, erfüllt
die Kirche des Fegfeuers mit einer Zufriedenheit, die
jede Vorstellung übersteigt. «Ich glaube nicht», sagt
die heilige Catharina von Genua, «daß man eine
Zufriedenheit finden könnte, die mit der vergleichbar wäre,
die eine Seele im Fegfeuer verspürt, jene ausgenommen,
welche die Heiligen im Paradies empfinden. Und jeden Tag
nimmt diese Zufriedenheit zu unter dem Einfluß, den
Gott auf diese Seele ausübt. Die Zufriedenheit wächst
in dem Maße, wie die Behinderung seines Einflusses sich
verzehrt. Die Behinderung ist nichts anderes als der
Rost der Sünde. Das Feuer verzehrt den Rost und
zugleich deckt sich die Seele immer mehr für den göttlichen
Einfluß auf. Es verhält sich damit, wie mit einem
zugedeckten Ding: es vermöchte nicht der Einstrahlung
der Sonne zu entsprechen, nicht infolge eines Mangels an
Sonne, die unablässig leuchtet, sondern infolge des
Hindernisses, das die Bedeckung entgegensetzt; wenn die
Decke sich verzehrt, wird der Gegenstand sich der
Sonne aussetzen, und je mehr die Hülle sich verzehren
wird, um so mehr wird der Gegenstand auch der
Einstrahlung entsprechen. So ist der Rost, das heißt
die Sündenstrafe, die Decke der Seele; er wird im
Reinigungsort vom Feuer verzehrt, und je mehr er
verzehrt wird, um so mehr spricht die Seele auf Gott an,
der ja die wahre Sonne ist; in dem Maße wie der Rost
abnimmt und die Seele sich für den göttlichen Strahl
aufdeckt, nimmt die Zufriedenheit zu; so daß die Glückseligkeit
wächst und der Rost schwindet, bis die Zeit erfüllt
ist» (vgl. Kardinal Journet).
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42 «Wie
soll man in den Seelen des Fegfeuers die Koexistenz
eines unaussprechlichen, geistlichen Leidens, das daher
kommt, daß sie die Stunde der Anschauung durch ihre Sünde
aufgeschoben sehen, und einer unaussprechlichen
Zufriedenheit, das daher kommt, daß sie mit Gewißheit
wissen, daß das Spiel gewonnen ist und daß sie
unfehlbar zur Anschauung Gottes gelangen werden? Es ist
wahr, sagt der heilige Thomas, daß auf der Ebene der
Empfindung, die Traurigkeit, die das Herz zusammenzieht,
und die Freude, die es ausweitet, nicht miteinander im
selben Menschen koexistieren können. Aber es verhält
sich anders auf der geistigen Ebene, denn die geistige
Seele zieht sich nicht zusammen und weitet sich nicht
aus. Daher heben sich geistliche Traurigkeit und Freude,
wenn sie sich auf verschiedene Dinge beziehen oder auf
dasselbe aber unter verschiedenen Blickpunkten
betrachtet, nicht auf und sind auch nicht unvereinbar.
Dann hindert also nichts, daß derselbe Mensch zugleich
glücklich und betrübt ist. Wenn wir zum Beispiel einen
Gerechten verfolgt sehen, so sind wir zugleich glücklich
zu sehen, daß er gerecht ist. und unglücklich, daß er
verfolgt wird: diese beiden Empfindungen werden sich
nicht neutralisieren, und je mehr uns seine Seelengröße
beglückt, um so mehr wird uns sein Unglück betrüben (S.T,
III. Q 84 a 9 ad 2). Folglich scheint uns
im Fegfeuer die Koexistenz eines unaussprechlichen
geistlichen Leidens und einer unaussprechlichen
geistlichen Glückseligkeit keineswegs unmöglich,
sondern in höchstem Maß das Geheimnis des Fegfeuers.
Das entspricht ganz dem Denken der heiligen Catharina
von Genua: „Die Seelen im Fegfeuer haben zugleich eine
übermäßige Genugtuung und die äußerste Pein, ohne
daß eine der beiden Empfindungen die andere behindern würde“»
(Kardinal Journet).
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43
Der Papst heißt St. Gelasius (+ 496), die beiden andern
sind schwieriger zu identifizieren, da die Kirche an
diesem Tag das Gedächtnis verschiedener Märtyrer und
Kleriker begeht.
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44
Die Erscheinungen zu Heede (Deutschland. Diözese Osnabrück)
vor vier Mädchen dauerten vom 1. November 1937 bis zum
3. November 1940. Ein Heiligtum und eine Wallfahrtsstätte
erinnern an das Ereignis, das nie zum Gegenstand eines
endgültigen Urteils vonseiten der zuständigen
kirchlichen Behörden geworden ist.
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45
Die heilige Veronika Giuliani (+ 1727) machte in ihrem
Amt als Helferin der Seelen im Fegfeuer auf eine
geheimnisvolle und packende Weise die Erfahrung mit der
Strafe des Verlustes Gottes, welche die im Fegfeuer zurückgehaltenen
Seelen erdulden: «Das ist die Pein unter den Strafen,
wird sie schreiben, der Verlust Gottes, wenn es auch nur
für einen Augenblick wäre, wäre imstande uns wie mit
einem Blitz zu Boden zu schmettern. Durch eine innere
Erleuchtung zu wissen, daß einem das höchste Gut
fehlt, das ist das schlimmste Übel. Feuer, Eis, scharfe
Klingen und alle Folterqualen, die man ausdenken kann,
was ist all das im Vergleich mit dieser Pein? Käme eine
Seele auf die Erde zurück, so wäre sie nicht imstande,
es zu beschreiben, ebenso wenig wie der heilige Paulus
den Himmel nicht auszumalen vermochte, woher er zurückkam.
Aber ich will schweigen! Ich würde nur ein nichts
hervorbringen...» (Tagebuch).
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46
Vgl. die heilige Theresia vom Kinde Jesu: «Nicht einen
Strohhalm hätte ich aufheben wollen, um das Fegfeuer zu
vermeiden. Alles, was ich getan habe, tat ich, um dem
lieben Gott Freude zu machen, um für ihn Seelen zu
retten» (Novissima Verba).
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47 «Ihr
habt nicht genug Vertrauen», sagte die heilige Theresia
vom Kinde Jesu zu einer ängstlichen Schwester, «ihr
habt zu viel Angst vor dem lieben Gott. Ich versichere
euch, daß ihn das betrübt. Vor dem Fegfeuer sollt ihr
euch nicht fürchten wegen der Pein, die man dort
erleidet, aber wünschet doch, nicht dorthin zu gehen,
um dem lieben Gott Freude zu machen, der diese Sühne
mit soviel Bedauern auferlegt. So bald ihr ihm in allem
zu gefallen sucht, wenn ihr das unerschütterliche
Vertrauen habt, daß er euch in jedem Augenblick in
seiner Liebe läutert und daß er keine Spur von einer Sünde
in euch zurückläßt, seid ganz sicher, daß ihr nicht
ins Fegfeuer kommen werdet» (bei P. Philipp von der
Dreifaltigkeit O.G.D. in «Lehre der heiligen Theresia
vom Kinde Jesu über das Fegfeuer»).
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48
Wie lange dauert das Fegfeuer? Soto lehrt, daß das
Warten auf die ewige Glückseligkeit nicht eine gewisse
Anzahl von Jahren überschreiten kann; Beda und Dionys,
der Kartäuser, daß es sich bis ans Ende der Zeit
hinziehen kann; der heilige Bonaventura, daß es im
Fegfeuer geringere Peinen als die größten auf Erden
gibt; der heilige Augustin, daß die größten Strafen
in diesem Leben nicht der kleinsten Pein in der andern
Welt gleichkommen.
Was muß man glauben? Nur das, was die Kirche lehrt, denn ihre Lehre legt
unsern Glauben fest.
Nun aber lehrt die Kirche, daß «der sündige Mensch eine zeitliche
Strafe in diesem Leben oder im andern erdulden muß, um
den vollen Nachlaß der Sünden(strafen) zu erlangen und
in das Himmelreich einzugehen; daß das Fegfeuer
existiert und daß den Seelen, die dort festgehalten
werden, durch die Suffragien der Gläubigen geholfen
wird, besonders durch das kostbare Opfer auf dem Altar»
(P. Monsabre). Und sonst nichts, wir möchten allerdings
an die Offenbarung erinnern, welche die Jungfrau Maria
den Sehern von Fatima gab; Amelia. ein Mädchen aus
ihrem Bekanntenkreis, «wird bis ans Ende der Welt im
Fegfeuer sein» (Erscheinung vom 13. Mai 1917).
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49
Die heilige Theresia von Avila macht genauere Angaben in
ihrer Autobiographie, indem sie schreibt, daß unter so
vielen Seelen, deren Los ihr offenbart worden war, nur
drei in den Himmel gegangen seien, wobei sie das
Fegfeuer vermieden (Su vida Kap 38). Und der heilige
Pfarrer von Ars zögert nicht in einer Predigt zu
behaupten: «Es ist sicher, daß es sehr wenige Auserwählte
gibt, die nicht durch das Fegfeuer hindurchgehen mußten
und daß die Strafen, die man dort erleidet, alles übersteigen,
was wir uns vorstellen können» (Sermons, Band 4)
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50
Die Hauptmittel, um den Verstorbenen zu helfen, sind das
heilige Meßopfer an erster Stelle: da es die Opfergabe
Christi am Kreuz enthält, besitzt es sozusagen einen
unendlichen Genugtuungswert; sodann das Gebet, das
Almosen, die üblichen Suffragien der Kirche.
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51
Die Gläubigen können den Seelen im Fegfeuer helfen
aufgrund des Bandes der Liebe, das die Mitglieder der
Kirche untereinander vereint. Die Wirksamkeit dieser
Hilfe beruht auf dem Geheimnis der Gemeinschaft der
Heiligen: die Einheit in der Liebe bewirkt, daß alle Güter
allen gemeinsam gehören. «Alle durch die Liebe
geeinten Gläubigen bilden nur einen einzigen Leib, die
Kirche. Aber im selben Leib helfen einander alle Glieder»
(S.T., suppl., Q 71 a 1).
Die Suffragien der Kirche «bestehen in gewissen Bußwerken, welche die
Lebenden im Namen und anstelle der Verstorbenen
verrichten, deren Schuldenlast so ganz oder teilweise
durch andere als durch sie selber abbezahlt wird»
(ebd., Q 71 a 3, ad 6). Die Suffragien können den
Zustand des Verstorbenen nicht ändern, aber sie tragen
dazu bei, seine Pein zu vermindern, und damit seine
Befreiung zu beschleunigen. Damit ein gutes Werk, das
von einem Lebenden getan wird, einem Verstorbenen nützt,
müssen diese miteinander durch das Band der Liebe
verbunden sein: und das vollbrachte Werk mußte auf die
Meinung des Verstorbenen geschehen sein. Durch die
Meinung wird das Werk gewissermaßen dem Verstorbenen
geschenkt und somit als von ihm vollbracht betrachtet.
Die Suffragien werden Gottes Barmherzigkeit anvertraut:
sie werden Gott dargeboten für den Verstorbenen in der
Weise eines Verdienstes — ihre Wirksamkeit beruht dann
auf einem Beschluß der göttlichen Gerechtigkeit —,
und in der Weise einer Fürbitte: ihre Wirksamkeit hängt
dabei von Gottes Freigebigkeit ab.
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52 «Das
Sakrament der Eucharistie befreit den Menschen vom
Fegfeuer, insofern es ein Opfer zur Genugtuung für die
Sünden ist» (hl. Thomas von Aquin, S.T., IIIa, Q 52 a
8, ad 2).
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53 «Gegenstand
des Glaubens ist es, zu glauben, daß auf den Tod
unmittelbar das besondere Gericht folgt, bei dem Gott
jedem nach seinen Werken vergelten wird» (Konzil von
Florenz und Konzil von Trient). Der Katechismus der
katholischen Kirche erklärt: «Jeder Mensch empfängt
im Moment des Todes in seiner unsterblichen Seele die
ewige Vergeltung. Dies geschieht in einem besondern
Gericht, das sein Leben auf Christus bezieht —
entweder durch eine Läuterung hindurch oder indem er
unmittelbar in die himmlische Seligkeit eintritt oder
indem er sich selbst sogleich für immer verdammt» (Nr.
1022).
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54 «Im
Moment des besondern Gerichts schaut die Seele Gott
nicht intuitiv: sonst würde sie bereits seliggemacht.
Sie sieht auch die Menschheit Christi nicht, außer bei
Ausnahmegunst, sondern durch ein eingegossenes Licht
erkennt sie Gott als obersten Richter und auch den Erlöser
als Richter der Lebenden und der Toten» (R.
Garngou-Lagrange).
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55
Zum Zeitpunkt des Erscheinens vor Gott besitzen die
Seelen mangelhafte Einstellungen, die man gewohnt ist, Sündenrückstände
zu nennen. Diese mangelhaften Einstellungen sind eine
Folge der Erbsünde und der aktuellen Sünde. Nach dem
heiligen Thomas von Aquin haben sogar noch die heiligmäßigsten
Seelen am Ende ihrer irdischen Pilgerschaft die aus der
Erbsünde erfolgende Unordnung in sich. Worin bestehen
diese mangelhaften Einstellungen, von denen wir eben
sprachen? Soll man behaupten, wie dieser Bericht über
das Fegfeuer verstehen läßt, daß sie im brennenden
Licht des besondern Gerichts verschwinden? Die Erbsünde,
die durch die Taufgnade weggenommen wurde, läßt
immerhin in den Fähigkeiten der Seele eine Unordnung
zurück, als Auswirkung des Verlustes der ursprünglichen
Gerechtigkeit. Infolge dieser Unordnung wird der Mensch
viel Mühe haben, um sich zu Gott zu erheben und sich
ihm zu unterwerfen. Die natürliche Neigung zum guten
Handeln ist gleichsam verwundet, während die niederen Fähigkeiten,
die der Empfindung und der Einbildung gewissermaßen der
Kontrolle der geistigen Seele entgehen, ja sogar eine
Tyrannei auf sie ausüben, die den heiligen Paulus sagen
ließ, daß er das Böse tue, das er nicht tun wollte
und daß er das Gute nicht vollbrachte, das er doch
wollte. Diese Unordnung in den niedern Fähigkeiten der
Seele und des Leibes bilden zusammen das, was die
Theologen den Zunder der Begehrlichkeit zu nennen
pflegen. Hienieden bekämpfen ihn die Sakramente
wirksam, ohne diesen Zunder der Begehrlichkeit jedoch
jemals zum Verschwinden zu bringen. Beim Tode wird das göttliche
Licht ihn vollständig aus der Seele im Stande der Gnade
verschwinden lassen.
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56
Nach dem Tode sieht die Seele im göttlichen Licht
deutlich die läßlichen Sünden in sich, worüber sie
auf Erden nicht die effektive Reue gehabt hat. Sogleich
bereut sie diese und bekommt so das göttliche
Verzeihen. Da aber diese Reue nach dem Tode eintritt,
ist sie nicht mehr verdienstvoll: die Seele zieht daraus
keinen Nutzen, weder ein Wachsen in der Liebe, noch
einen Nachlaß von Sündenstrafen. Die Kirche hat sich
nicht geäußert über diesen heiklen Gegenstand, der
unter den Theologen stark umstritten ist. Wir wollen
hier nicht die Geschichte ihrer Diskussionen darlegen.
Es möge genügen, daran zu erinnern, daß der heilige
Thomas von Aquin selber seine Meinung geändert zu haben
scheint im Laufe seines Lebens; in seinem
Sentenzenkommentar, einem Jugendwerk, erklärt er nämlich:
«Die läßliche Sünde wird in der andern Welt durch
das Feuer im Reinigungsort nachgelassen»: in der
Streitfrage De Malo behauptet er hingegen, das die läßliche
Sünde vor dem Eintreten der Seele ins Fegfeuer
nachgelassen wird.
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57
Vgl. hl. Cathanna von Genua, Fegfeuertraktat II. S. 40f.
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58 «Herr,
Jesus Christus, König der Herrlichkeit, befreie die
Seelen aller, die im Glauben hingeschieden sind, aus den
Qualen der Unterwelt und aus dem tiefen Abgrund: bewahre
sie vor dem Rachen des Löwen, daß sie nicht die Hölle
verschlinge und dass sie nicht in die Finsternis
hineinstürzen, vielmehr geleite sie der heilige
Michael, der Bannerträger, in das heilige Licht» (zur
Liturgie der Gabenbereitung).
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59 An
Pater Roulland schrieb die heilige Theresia vom Kinde
Jesu: «Ich weiß, daß man sehr rein sein muß, um vor
Gott, dem Inbegriff aller Heiligkeit, zu erscheinen, ich
weiß aber auch, daß der Herr unendlich gerecht ist und
gerade diese Gerechtigkeit, die so viele Seelen in
Schrecken setzt, ist der Gegenstand meiner Freude und
meines Vertrauens. Gerecht sein, heißt, nicht nur die
Strenge ausüben, um die Schuldigen zu bestrafen,
sondern auch die geraden Absichten anerkennen und die
Tugend belohnen. Ich erhoffe ebenso viel von der
Gerechtigkeit des lieben Gottes, wie von seiner
Barmherzigkeit: denn er „ist barmherzig und gnädig,
langmütig und reich an Güte. Denn er weiß, was wir für
ein Gebilde sind. Er denkt daran, daß wir nur Staub
sind. Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so
erbarmt sich unser der Herr“» (vgl. ps 102,8.14.13).
Und etwas weiter fügt sie hinzu: «Manchmal, wenn ich
gewisse geistliche Traktate lese, wo die Vollkommenheit
hinter tausend Hindernissen gezeigt wird, umgeben von
einer Menge von Illusionen, wird mein armer kleiner
Geist gar rasch müde, ich schließe das gescheite Buch,
das mir den Schädel einschlägt und das Herz
austrocknet, und nehme die Heilige Schrift. Dann
erscheint mir alles lichtvoll, ein einziges Wort deckt
meiner Seele unendliche Horizonte auf, die
Vollkommenheit erscheint mir dann leicht: ich sehe, daß
es genügt, seine Nichtigkeit zu erkennen und sich wie
ein Kind den Armen des lieben Gottes zu überlassen»
(Briefe).
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60 «Die
Seelen im Fegfeuer sind nicht imstande zu sündigen und
können nicht die geringste Regung von Ungeduld
empfinden, noch die geringste Unvollkommenheit begehen.
Sie lieben Gott mehr als sich selber und als alles
andere und das mit einer vollkommenen, reinen,
selbstlosen Liebe. Sie werden von den Engeln getröstet.
Sie sind ihres Heiles sicher. Ihr sehr bitterer Kummer
ist in einem sehr tiefen Frieden. Wenn es eine Art von Hölle
ist hinsichtlich des Schmerzes, so ist es ein Paradies
im Hinblick auf die Süßigkeit, welche die Liebe in
ihrem Herzen verbreitet, eine Liebe stärker als der
Tod. Glücklicher Zustand, mehr wünschenswert als
furchtbar, da diese Flammen Flammen der Liebe und der
Bruderliebe sind!» (P. Camus: «Der Geist des heiligen
Franz von Sales»).
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