Hl. Alfons Maria von Liguori

DIE HERRLICHKEITEN MARIENS

Überarbeitet und neu herausgeben von Klemens Kiser ©
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DIE HERRLICHKEITEN MARIENS
vom Hl. Alfons Maria von Liguori



überarbeitet und neu herausgeben von Klemens Kiser
©


Inhaltsverzeichnis
Dekret des sel. Papstes Pius IX.
Bemerkung des Übersetzers
Widmungsgebet des Verfassers an Jesus und Maria
Erinnerung für den Leser
Einleitung - notwendig zu lesen
 
Erster Teil - Auslegung des Salve Regina
   
  1. Kap. Gegrüßet seist du Königin, Mutter der Barmherzigkeit
Abs. 1 Wie groß unser Vertrauen auf Maria sein muß, weil sie die Königin der Barmherzigkeit ist
Abs. 2 Wie viel größer noch unser Vertrauen auf Maria sein muß, weil sie unsere Mutter ist
Abs. 3 Wie groß die Liebe ist, die diese Mutter zu uns hat
Abs. 4 Maria ist auch die Mutter der reumütigen Sünder
   
  2. Kap. Unser Leben, unsere Süßigkeit
Abs. 1 Maria ist unser Leben, weil sie uns Verzeihung der Sünden erlangt
Abs. 2 Maria ist unser Leben auch deshalb, weil sie uns die Beharrlichkeit erlangt
Abs. 3 Unsere Süßigkeit. - Maria versüßt ihren Verehrern das Sterben
   
  3. Kap. Unsere Hoffnung, sei gegrüßt
Abs. 1 Maria ist die Hoffnung aller
Abs. 2 Maria ist die Hoffnung der Sünder
   
  4. Kap. Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas
Abs. 1 Wie sehr Maria bereit ist, dem zu helfen, der sie anruft
Abs. 2 Wie mächtig Maria ist, den zu verteidigen, der sie in den Anfechtungen des Teufels anruft
   
  5. Kap. Zu dir seufzen wir trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen
Abs. 1 Wie notwendig die Vermittlung Mariens für uns ist, um selig zu werden
Abs. 2 Fortsetzung
   
  6. Kap. Wohlan denn, unsere Fürsprecherin
Abs. 1 Maria ist eine mächtige Fürsprecherin, alle zu retten
Abs. 2 Maria ist eine mitleidsvolle Fürsprecherin, die sich nicht weigert, auch die Sache der Elendesten zu verteidigen
Abs. 3 Maria versöhnt die Sünder mit Gott
   
  7. Kap. Wende deine barmherzigen Augen zu uns
  Maria ist ganz Auge, um mit unseren Nöten Mitleid zu haben und uns zu helfen
   
  8. Kap. Und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes
Abs. 1 Maria bewahrt ihre Verehrer vor der Hölle
Abs. 2 Maria kommt ihren Verehrern im Fegfeuer zu Hilfe
Abs. 3 Maria geleitet ihre Diener in den Himmel
   
  9. Kap. O Gütige, o Milde!
  Wie groß die Güte und die Milde Mariens ist
   
  10. Kap. O süße Jungfrau Maria
  Wie süß der Name Maria ist im Leben und im Sterben
   
  Gebete einiger Heiliger zur Mutter Gottes
 
Vom hl. Ephräm Vom hl. Ildephons
Vom hl. Bernhard Vom hl. Athanasius
Vom hl. Germanus Vom hl. Anselm
Vom Abtes von Celles Vom hl. Petrus Damianus
Vom hl. Methodius Vom hl. Wilhelm von Paris
Vom hl. Johannes von Damaskus  
Vom hl. Andreas von Kreta  
   
Zweiter Teil - Die sieben Hauptfeste Mariens
   
1. Kap. Die Unbefleckte Empfängnis Mariens - Es entsprach der Heiligkeit der drei göttlichen Personen, Maria vor der Erbsünde zu bewahren
2. Kap. Mariä Geburt - Maria wurde heilig, sehr heilig geboren. Mit großer Gnade wurde sie von Gott im ersten Augenblick ihres Daseins ausgestattet; und groß war auch die Treue, mit der Maria Gott entsprach
3. Kap. Mariä Opferung - Das Opfer, wo Maria sich selbst Gott darbrachte, geschah sehr früh und ohne Zögern; es war vollkommen und ohne Vorbehalt
4. Kap. Mariä Verkündigung - Maria konnte sich bei der Menschwerdung des Wortes nicht tiefer verdemütigen; Gott konnte seinerseits sie nicht höher erheben, als Er sie erhob
5. Kap. Mariä Heimsuchung - Maria ist die Schatzmeisterin aller Gnaden.
Wer also Gnaden begehrt, muß sich an Maria wenden, und wer sich an Maria wendet, darf sicher sein, die Gnaden zu erlangen, die er begehrt
6. Kap. Mariä Reinigung - Das große Opfer, das Maria bei der Aufopferung ihres Sohnes Gott darbrachte
7. Kap. Mariä Himmelfahrt - Das Scheiden Mariens
8. Kap. Mariä Himmelfahrt - Der glorreiche Triumph, mit dem Maria im Himmel einzog, und der erhabene Thron, auf den sie im Himmel erhoben wurde
   
Gebete zu Maria


Dekret des sel. Papstes Pius IX.

Der hl. Alfons Maria von Liguori, der Stifter der Kongregation vom heiligsten Erlöser (Redemptoristen) und Bischof von St. Agatha, verdient zu jenen gezählt zu werden, die getan und gelehrt haben, was unser Herr Jesus Christus gelehrt hat, und von denen Er gesagt hat, daß sie im Himmelreich groß sein werden.

Er hat als Vorbild jeglicher Tugend, gleich einem für alle Christgläubigen im Haus Gottes auf den Leuchter gestellten Licht, so hellen Glanz verbreitet, daß er bereits unter die Mitbürger der Heiligen und die Hausgenossen Gottes eingetragen wurde. Was er aber durch hl. Wandel im Tun vollbracht hat, das hat er auch durch Wort und Schrift gelehrt. Durch seine gelehrten Schriften und vornehmlich durch seine Bearbeitungen der Moraltheologie hat er die von den Ungläubigen und den Jansenisten weithin verbreitete Finsternis von Irrtümern verscheucht und vertrieben. Außerdem hat er Dunkelheiten aufgehellt und Zweifel gelöst, indem er durch verwickelte, sowohl zu laxe, als zu strenge theologische Lehrmeinungen einen sicheren Weg gebahnt hat, den die Seelenführer der Gläubigen ohne Straucheln betreten können.

Zugleich hat er die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis der Gottesgebärerin und von der Unfehlbarkeit des ex cathedra lehrenden Papstes genau erörtert und entschieden verteidigt, wie sie dann in unseren Tagen als Glaubenssätze erklärt worden sind. Schließlich hat er schwerverständliche Stellen der Hl. Schrift aufgeschlossen, sowohl in seinen mit gewisser himmlischer Süßigkeit erfüllten aszetischen Werken, als auch in seinem sehr heilbringenden Kommentar, in dem er die Psalmen und Gesänge des göttlichen Offiziums zur Förderung der Andacht und des tieferen Verständnisses für seine Beter erklärt hat. Diese hohe Weisheit des hl. Alfons hatte schon Papst Pius VII. bewundert und ihn empfohlen, „da er durch Wort und Schrift den in der Nacht dieser Welt Irrenden den Weg der Gerechtigkeit zeigt, auf dem sie aus der Gewalt der Finsternis zum Licht und Reich Gottes gelangen können.”

Und eine nicht geringere Lobeserhebung hat ein anderer Papst „der ungewöhnlichen Kraft, Fülle und Mannigfaltigkeit der Lehrweisheit” in den von ihm verfaßten Schriften erteilt, nämlich Papst Gregor XVI. in seinen Dekreten, durch die dem hl. Alfons die den Himmelsbewohnern gebührenden Ehren zuerkannt wurden.

In diesen unseren Tagen aber rühmen die Völker so sehr seine Weisheit und ist die Kirche so voll seines Lobes, daß die meisten Kardinäle der heiligen römischen Kirche, fast alle Bischöfe der ganzen Welt, die Generaloberen der religiösen Orden, die Theologen berühmter Lehranstalten, hochgeachtete Kollegiatstifte und gelehrte Männer aus allen Kreisen Bittschriften an unseren hl. Vater Papst Pius IX. eingereicht haben, in denen sie gemeinsam den Wunsch aussprachen, daß der hl. Alfons Maria von Liguori durch den Titel und die Ehre eines Kirchenlehrers ausgezeichnet werde. Seine Heiligkeit nahm diese Bittgesuche gnädig entgegen und überwies nach Gewohnheit die Erwägung dieser hochwichtigen Angelegenheiten der Kongregation der hl. Riten. Ihre Eminenzen, die hochwürdigsten Kardinäle der Ritenkongregation, versammelten sich deshalb am unten bezeichneten Tag zu ihren gewohnten Sitzungen im Vatikanischen Palast, und vernahmen den Vortrag Seiner Eminenz, des hochwürdigsten Kardinals Konstantin Patrizi, Bischofs von Ostia und Velletri, Dekans des hl. Kollegiums und Präfekten dieser hl. Kongregation, als des Antragstellers, erwogen die Einwürfe des Promotors des hl. Glaubens, des hochwürdigen Herrn Peter Minetti, und die auf sie gegebenen Antworten des Verteidigers sowie die Gutachten der Theologen, und fällten, nachdem sie alles aufs Reichlichste abgewogen hatten, einstimmig das Urteil: „Es ist Seiner Heiligkeit der Antrag zu stellen, daß die Bitte gewährt wird, d. h. daß dem hl. Alfons Maria von Liguori zu Ehren der Titel eines Kirchenlehrers mit der Geltung für die ganze Kirche zuerkannt werde, daß dem bereits bewilligten Meßformular das Credo beigefügt, im Offizium aber als Antiphon zum Magnifikat der beiden Vespern: O Doctor, als Lektionen der ersten Nokturn: Sapientiam, und das achte Responsorium: In medio Ecclesiae genommen werden sollen.”
             
Am 11. März 1871.

Vorbemerkung des Übersetzers

Die vorliegende, sorgfältige Übersetzung einer der schönsten Schriften des hl. Kirchenlehrers wird all seinen Verehrern willkommen sein; denn es gibt kaum ein anderes Buch, das so unwiderstehlich den aufmerksamen Leser zur Liebe und zum Vertrauen auf Maria, die Mutter der Gnade und Barmherzigkeit, hinzieht, wie dieses. Was die hl. Väter, was die großen Lehrer, was die Heiligen der Kirche von der Heiligkeit, Macht und Größe der Mutter Gottes lehren, und was sie von den Segnungen ihrer mütterlichen Liebe bezeugen, das hat der hl. Alfons in diesem Buch gesammelt, um mit der ihm eigenen Salbung und hl. Begeisterung den Leser zum tieferen Verständnis der hl. Geheimnisse des Glaubens und zur Nachfolge der Heiligen in der Liebe zu Maria zu führen. Es ist nicht möglich, sein Buch zu lesen, ohne des Segens inne zu werden, den Maria an die Worte ihres treuen Dieners zu knüpfen sich würdigt.

Der hl. Kirchenlehrer hat vor allem die Priester im Auge, die er mit Liebe zur göttlichen Mutter entzünden und befähigen will, auch die Gläubigen für diese Liebe zu gewinnen, um sie dadurch am sichersten in dem heiligen Glauben und dem Streben nach der wahren christlichen Frömmigkeit zu festigen. Ohne beharrliche Liebe und Verehrung der heiligsten und unbefleckten Mutter der Kirche kann nicht die Reinheit und Freudigkeit des Glaubens, noch die Reinheit der Sitten bewahrt werden. Mit der Liebe zu Maria erlischt in jeder Seele das geistliche Leben, das nur durch ihre Vermittlung wieder zu erlangen ist.

Die erste Auflage seines Buches ließ der Heilige im Jahr 1750 zu Neapel erscheinen. Er war damals im 54. Lebensjahr und fühlte durch Leiden und Anstrengungen seine Kräfte so verzehrt, daß er sein Ende nahe glaubte. Doch erhielt ihn der gütigste Gott zum Heil unzähliger Seelen noch fast vierzig Jahre am Leben. In seinem neunzigsten Jahr las ihm der ihn dienende Laienbruder, wie Pater Pazutti berichtet, einige Blätter aus den Herrlichkeiten Mariens vor. Der Heilige, der mit Aufmerksamkeit dieser geistlichen Lesung gefolgt war, fragte danach: „Mein Bruder, wer hat wohl dieses schöne Buch verfaßt? Ach, das ist süß und sagt mir zu!” Als Antwort las ihm der Gefragte das Titelblatt „Herrlichkeiten Mariens von Alfons von Liguori” vor, worauf der Heilige verlegen schwieg. Ja, es ist ein Buch süßen Trostes, eine Quelle unvergänglicher Freude des Geistes, für welches jeder Leser als für ein Geschenk Gottes dem Geber alles Guten danken wird.
Der Übersetzer

Widmungsgebet des Verfassers an Jesus und Maria

Mein liebevollster Erlöser und Herr Jesus Christus, ich, dein geringer Diener, weiß, wie wohlgefällig es Dir ist, wenn jemand deine heiligste Mutter, die Du so sehr liebst und von allen geliebt und geehrt zu sehen verlangst, zu verherrlichen sucht; und so habe ich mir vorgenommen, dieses mein Buch ans Licht treten zu lassen, das von ihren Herrlichkeiten handelt. Ich weiß es darum auch niemandem besser zu empfehlen, als Dir, dem soviel an der Ehre dieser Mutter gelegen ist. Dir also widme und empfehle ich es. Nimm diesen meinen geringen Dienst der Liebe, die ich zu Dir und deiner geliebten Mutter trage, wohlgefällig an. Sei Du sein Beschützer und sende auf jeden Leser Licht des Vertrauens und Flammen der Liebe zu dieser unbefleckten Jungfrau nieder, in der Du die Hoffnung und Zuflucht aller Erlösten geborgen hast. Und zum Lohn für meine geringe Arbeit gib mir, ich bitte Dich, jene Liebe zu Maria, die ich durch dieses mein Werkchen in allen, die es lesen werden, entzündet zu erblicken verlange.

Aber auch an dich wende ich mich meine süßeste Herrin und Mutter Maria. Du weißt es ja, wie ich nach Jesus auf dich die ganze Hoffnung meines ewigen Heils gesetzt habe; denn all mein Gutes, meine Bekehrung, meine Berufung, die Welt zu verlassen, und welch andere Gnaden ich noch von Gott empfangen habe, sie alle erkenne ich als durch deine Vermittlung mir geschenkt. Du weißt es schon, daß ich, um dich von allen, wie du es verdienst, geliebt zu sehen, und um dir auch ein Zeichen meiner Dankbarkeit für so viele von dir mir verliehenen Wohltaten zu geben, stets gesucht habe, überall in öffentlicher und vertraulicher Rede dein Lob zu verkünden, und allen die süße und heilsame Andacht zu dir einzuflößen. Ich hoffe bis zum letzten Hauch des Restes meines Lebens damit fortzufahren; aber ich sehe, daß bei meinen vorgerückten Jahren und meiner schwachen Gesundheit das Ende meiner Pilgerschaft und mein Eintritt in die Ewigkeit herannaht; deswegen habe ich beschlossen, ehe ich sterbe, der Welt dieses Buch zu hinterlassen, damit es an meiner Statt fortfahre, dich zu loben und auch andere zu ermuntern, deine Herrlichkeit und die große Güte, mit der du deine Diener behandelst, zu verkünden. Ich hoffe meine teuerste Königin, daß dieses mein armseliges Geschenk, wiewohl es gar zu dürftig ist im Vergleich mit dem, was dir gebührt, dennoch deinem gütigsten Herzen wohlgefällig ist; denn es ist ja ganz und gar ein Geschenk der Liebe.

Strecke darum aus jene mildreichste Hand, mit der du mich von der Welt und der Hölle errettet hast; nimm es an und beschütze es als deine Sache. Aber wisse auch, daß ich für diesen winzigen Dienst einen Lohn begehre, und der sei, daß ich von heute an dich mehr, als bisher liebe, und daß ein jeder, in dessen Hände dieses mein Büchlein gelangen wird, von Liebe zu dir entflammt werde, so daß das Verlangen, dich zu lieben und auch von andern dich geliebt zu sehen, sogleich in ihm sich mehre, und daß er aus ganzer Seele den Vorsatz fasse, soviel er nur vermag, dein Lob zu verkünden und das Vertrauen auf deine mächtigste Fürsprache zu befördern. Amen. Also hoffe ich; also sei es.

Dein dich innigstliebender, obgleich geringster Diener Alfons von Liguori aus der Kongregation des allerheiligsten Erlösers.

 

Erinnerung für den Leser

Damit vorliegendes Buch nicht dem Tadel zu strenger Kritiker verfalle, glaubte ich, einzelne Sätze, auf die man darin stoßen und vielleicht gewagt und dunkel finden könnte, in helleres Licht stellen zu müssen. Ich habe einige hier hervorgehoben; sollten aber dem geneigten Leser andere unter die Augen kommen, so bitte ich, überzeugt zu sein, daß sie von mir im Sinn der wahren, echten Theologie und der heiligen römisch-katholischen Kirche, als deren gehorsamsten Sohn ich mich bekenne, ausgesprochen und verstanden sind.

In der Einleitung habe ich mit Bezug auf das sechste Kapitel behauptet, daß Gott alle Gnaden durch die Hand Mariens zu uns gelangen lassen will. Es ist dies eine Wahrheit von großem Trost für die mit zärtlicher Liebe zu Maria erfüllten Seelen, wie für die armen Sünder, die sich bekehren wollen, und niemand darf dies als mit der gesunden Theologie im Widerspruch finden, indem ja deren Vater, der hl. Augustinus, in Übereinstimmung mit der allgemeinen Lehre behauptet, daß Maria mittels ihrer Liebe zur geistlichen Geburt aller Glieder der Kirche mitgewirkt habe.

Und ein berühmter Schriftsteller (Nicole), der durchaus nicht im Verdacht der Übertreibung oder falschen Frömmigkeit wegen zu lebhafter Einbildungskraft steht, behauptet gleicherweise, daß Jesus Christus auf dem Kalvarienberg seine Kirche gegründet hat. Die heiligste Jungfrau hat hierzu offenkundig in ausgezeichneter und einzigartiger Weise mitgewirkt, und in dieser Hinsicht kann man sagen, daß, wenn sie Jesu Christus, das Haupt der Kirche, ohne Schmerzen geboren, sie doch den Leib dieses Hauptes nicht ohne Schmerzen zur Welt gebracht hat. Darum hat sie auf dem Kalvarienberg angefangen, in besonderer Weise die Mutter der ganzen Kirche zu sein. Kurz, Gott hat zur Verherrlichung der Mutter des Erlösers beschlossen und geordnet, daß ihre große Liebe zu Ihm Fürsprache einlege für alle, für die ihr göttlicher Sohn den überfließenden Preis seines Blutes, „in dem allein unser Heil, Leben und Auferstehung ist”, bezahlt und aufgeopfert hat.

Auf Grund dieser Lehre und all dessen, was mit ihr zusammenhängt, will ich meine Behauptungen ausgesprochen haben. Dieser Aussprüche haben sich auch die Heiligen in ihren Liebesseufzern zu Maria und in ihren feurigen Reden über sie ohne Bedenken bedient. So schreibt ein alter Kirchenvater, den der berühmte Vinzenz Contenson zitiert: „In Christus war die Fülle der Gnade gleich als im Haupt, aus dem sie fließt; in Maria aber wie im Hals, durch welchen hindurch sie sich ergießt.” Dasselbe wird deutlich vom engelgleichen Lehrer, dem hl. Thomas, gelehrt, welcher, das Ganze bestätigend, sagt: „Die seligste Jungfrau wird „voll der Gnade” genannt wegen ihrer Ergießung auf alle Menschen. Etwas Großes nämlich ist es, wenn ein Heiliger soviel Gnade besitzt, die reicht zum Heil vieler; wenn er aber soviel besäße, die reichen würde zum Heil aller Menschen, so wäre dies das Höchste. Und dies findet sich in Christus und in der allerseligsten Jungfrau. Denn in jeglicher Gefahr kannst du von dieser glorreichen Jungfrau das Heil erlangen. Deshalb heißt es von ihr: Tausend Schilde, d. h. Heilmittel gegen die Gefahren, hängen an ihr.
(Hl. 4,4) Auch bei jedem Tugendwerk kannst du sie zur Hilfe haben; darum sagt sie selbst: „Bei mir ist alle Hoffnung des Lebens und der Tugend.” (Sir 24,18)
 

Einleitung - notwendig zu lesen

Mein lieber Leser und Bruder in Maria, - es macht ja uns beide die Andacht, die mich bewogen zu schreiben, und dich, dieses Buch zu lesen, zu glücklichen Kindern dieser Mutter, - wenn du etwa hören solltest, daß ich mir die Mühe hätte ersparen können, indem es so viele gelehrte und berühmte Bücher gäbe, die von diesem Thema handeln, so bitte ich dich, mit den Worten des Abtes Franko zu antworten, die in der Bibliothek der (Kirchen-)Väter angeführt sind: „Das Lob Mariens ist ein unversiegbarer Quell, der um so reicher sich füllt, je weiter er fließt.” Das will sagen: Die seligste Jungfrau ist so groß und erhaben, daß, je mehr sie gepriesen wird, um so mehr noch erheischt es, daß sie gelobt werde. Dies sagt der hl. Augustinus:
„Aller Menschen Zungen reichen nicht hin, sie nach Verdienst zu loben, auch nicht, wenn alle unsere Glieder sich in Zungen verwandeln würden.”

Allerdings sind mir unzählige Bücher, große und kleine, zu Gesicht gekommen, die von den Herrlichkeiten (Erhabenheit) Mariens handeln, aber in Anbetracht, daß sie entweder selten, oder zu umfangreich, oder nicht nach meiner Absicht waren, habe ich mich bemüht, aus allen Autoren, die ich in die Hände bekommen konnte, die auserlesensten und geistreichsten Stellen der Väter und der Theologen in diesem Buch kurz zusammenzufassen, um frommen Personen Gelegenheit zu bieten, durch deren Lesung mit wenig Mühe und Kosten in Liebe zu Maria entzündet zu werden; besonders aber wollte ich den Priestern Stoff bieten, um durch Predigten die Andacht zu dieser göttlichen Mutter zu fördern.

Weltliche Liebhaber sind gewohnt, oftmals von ihren geliebten Personen zu sprechen und sie zu loben, um ihrer Liebe auch von anderen Lob und Beifall gespendet zu sehen. Als sehr gering ist darum die Liebe jener, die sich zwar rühmen, Maria zu lieben, aber wenig daran denken, von ihr zu reden, und andere zu ihrer Liebe zu bewegen. So handeln wahre Liebhaber dieser liebenswürdigsten Herrin nicht; sie möchten dieselbe immerdar loben und von der ganzen Welt geliebt sehen, und deswegen sind sie, wie sie nur immer können, öffentlich und geheim, bedacht, in den Herzen aller die glückseligen Liebesflammen anzufachen, von denen sie sich selbst zu ihrer geliebten Königin entzündet fühlen.

Damit aber jeder sich überzeuge, wie wichtig es für das eigene Heil und das aller Menschen ist, die Andacht zu Maria zu verbreiten, so ist es gut, die Aussprüche der Gottesgelehrten hierüber zu vernehmen. Der hl. Bonaventura sagt, daß jene, die es sich zur Aufgabe machen, die Herrlichkeiten Mariens zu verkünden, ihres Heiles sicher seien, und Richard von St. Lorenz bestätigt dies mit den Worten: „Maria ehren, heißt das ewige Leben gewinnen”; denn diese gütigste Herrin, erklärt er weiter, „wird jene, die sie in diesem Leben ehren, im künftigen Leben ehren.” Und wer kennt nicht die Verheißung, die Maria selber denen gemacht hat, die sich bemühen, daß sie auf Erden immer mehr erkannt und geliebt werde?

„Die mich ins Licht setzen, erhalten das ewige Leben”; Worte die Kirche am Fest ihrer Unbefleckten Empfängnis auf Maria anwendet. (Sir 24,31). „Frohlocke also, meine Seele,” ruft der hl. Bonaventura aus, der so eifrig war, das Lob Mariens zu verkünden, „frohlocke und freue dich in ihr; denn viele Güter sind ihren Lobrednern bereitet.” Und ein anderer Schriftsteller sagt: „Da die ganze Hl. Schrift von ihr spricht, so wollen auch wir die Gottesgebärerin immerwährend mit Herz und Zunge lobpreisen, damit wir von ihr zu den ewigen Freuden geleitet werden.”

In den Offenbarungen der hl. Birgitta steht geschrieben, daß der sel. Bischof Hemming alle seine Predigten mit dem Lob Mariens begonnen hat. Eines Tages nun erschien der Heiligen die seligste Jungfrau und sprach: „Sage diesem Prälaten, der die Gewohnheit hat, seine Predigten mit meinem Lob zu beginnen, daß ich ihm eine Mutter sein, seine Seele Gott empfehlen und ihm einen guten Tod bereiten werde.” Und in der Tat, er starb als ein Heiliger, betend und voll himmlischen Friedens. Auch einem Dominikaner, der am Schluß aller seiner Predigten von Maria sprach, erschien sie ebenfalls bei seinem Tod, schützte ihn gegen die Teufel, stärkte ihn und führte seine glückliche Seele mit sich in den Himmel.

Der gottselige Thomas von Kempen sagt von Maria, daß sie ihrem Sohn jene, die ihr Lob verkünden, mit den Worten anempfehle: „Mein Sohn, erbarme Dich der Seele deines Dieners, der mich liebte und mein Lob verkündete.”

Was aber den geistlichen Nutzen des Volkes betrifft, so behauptet der hl. Anselm:
„Weil der geheiligte Schoß Mariens der Weg zur Rettung der Sünder geworden ist, so werden durch die Predigten über Maria die Sünder bekehrt und gerettet.” Und wenn die Meinung wahr ist, die ich für wahr und unbezweifelbar halte, - was ich im sechsten Kapitel dieses Buches aufzeigen werde, - daß nämlich alle Gnaden nur durch die Hand Mariens ausgeteilt werden, und daß alle jene, die selig werden, nicht anders als durch die Vermittlung dieser göttlichen Mutter gerettet werden, so ist notwendig daraus zu schließen, daß das Heil aller davon abhängt, daß von Maria und dem Vertrauen auf ihre Fürbitte gepredigt werde.

Dadurch hat, wie wir wissen, der hl. Bernhardin von Siena Italien geheiligt und der hl. Dominikus so viele Provinzen bekehrt. Der hl. Ludwig Bertrand unterließ niemals in seinen Predigten, die Andacht zu Maria zu empfehlen, und ebenso viele andere. Der berühmte Missionar P. Paul Segneri der Jüngere hat bei allen seinen Missionen immer die Predigt von der Andacht zu Maria gehalten, die er seine Lieblingspredigt nannte. Und auch uns ist es bei unseren Missionen durch eine Regel verboten, niemals die Predigt von Unserer Lieben Frau zu unterlassen, und wir können bezeugen, daß gewöhnlich keine Predigt solchen Segen und solche Reue beim Volk bewirkt, als die Predigt von der Barmherzigkeit Mariens.

Ich sage von der Barmherzigkeit Mariens, denn ich spreche mit dem hl. Bernhard:
„Wir loben zwar auch ihre Demut, wir bewundern ihre Jungfräulichkeit; aber da wir arme Sünder sind, so reizt und gefällt uns mehr, von ihrer Barmherzigkeit reden zu hören; diese umfangen wir lieber, ihrer gedenken wir öfter, sie rufen wir häufiger an.” Darum überlasse ich es andern Schriftstellern, die übrigen Vorzüge Mariens zu beschreiben und nehme mir vor, in diesem Buch vorzüglich von ihrer großen Güte und ihrer mächtigen Fürsprache zu handeln. Ich habe deswegen, soviel ich nur konnte, in jahrelanger Arbeit alles gesammelt, was die hl. Väter und die berühmtesten Autoren über die Barmherzigkeit und Macht Mariens geschrieben haben. Und da in dem erhabenen Gebet: „Salve, Regina”, das von der hl. Kirche bestätigt und dem Welt- und Ordensklerus den größten Teil des Jahres hindurch zu beten befohlen ist
[Schluß der Komplet], sich die Barmherzigkeit und Macht der heiligsten Jungfrau wunderbar schön beschrieben findet, so will ich zuerst dieses andächtige Gebet in besonderen Betrachtungen auslegen.

Überdies glaube ich den Verehrern Mariens einen angenehmen Dienst zu erweisen, wenn ich noch andere Betrachtungen oder Abhandlungen über die Hauptfeste und über die Tugenden dieser göttlichen Mutter hinzufüge, und am Schluß jene Andachtsübungen aufzähle, die bei ihren Dienern am meisten gebräuchlich und von der hl. Kirche vorzugsweise gutgeheißen sind.

Frommer Leser, wenn dir, wie ich hoffe, dieses mein Buch gefällt, so bitte ich dich, du sollst mich dieser heiligsten Jungfrau anempfehlen, damit sie mir ein großes Vertrauen auf ihren Schutz verleihe. Um diese Gnade bitte für mich, und auch ich verspreche dir, um sie für dich zu bitten, wer du immer mir diese Liebe erweist. O selig, wer sich mit Liebe und Vertrauen an Jesus und Maria, diese beiden Anker des Heiles, anklammert. Er wird gewiß nicht verloren gehen. Wir wollen beide von Herzen mit dem frommen Alfons Rodriguez ausrufen: „Jesus und Maria! Meine süßeste Liebe! Für euch will ich leiden; für euch will ich sterben; euch will ich ganz angehören und nicht mehr mir selber.”

Lieben wir Jesus und Maria, und werden wir heilig; denn wir können kein größeres Glück begehren und hoffen als dieses. Gott befohlen! Auf Wiedersehen im Himmel zu den Füßen dieser süßesten Mutter und ihres liebevollsten Sohnes, um sie dann zu loben, ihnen zu danken und sie miteinander zu lieben, indem wir sie schauen von Angesicht zu Angesicht die ganze Ewigkeit hindurch. Amen.
 

Anmerkung des Herausgebers:

Diesen Worten des hl. Alfons Maria möchte ich mich anschließen.
Sie werden den etwas langen Satzbau und die heute uns ungewohnte Wortwahl bemerken. Doch es gilt immer noch „traduttore traditore”, der Übersetzer ist ein Verfälscher, d. h. er verändert zwangsläufig sehr leicht den ursprünglichen Sinn, weil man nicht alles wörtlich übertragen kann. Geändert wurden die Satzstellung, uns heute unbekannte Wörter und die ganz alte Rechtschreibung (wie th bei t). Wir bleiben bei der Rechtschreibung, die zwischen Buße und Busse unterscheidet. Die lateinischen Fußnoten wurden weggelassen und Zitate im Text übersetzt.


In der Präfation der Muttergottesfeste heißt es, daß wir Maria praedicare - predigen sollen, in der Lauretanische Litanei ebenso virgo praedicanda - zu predigende Jungfrau, nicht (nur) lobenswürdige. Ein großer Priester schrieb einmal: Alle Werke, die mißlingen, mißlingen weil zu wenig Maria darin ist. Wir erleben - erleiden es heute: Man will eine neue Kirche, aber ohne Maria. Diese kommt aber nicht von Gott und führt nicht zu ihm! Jesus kam nur durch Maria zu uns und wir sollen durch sie zu Ihm kommen.

Würde man mehr von Maria sprechen, wäre vieles besser und einfacher! Sie hat uns die großen Rettungsanker gegeben: im Rosenkranz, im Skapulier, in der wundertätigen Medaille, in de Andacht der drei Ave Maria doch davon hört man nichts in den Vorlesungen der Theologen und daher auch nichts in den Predigten. Und beten lernt man in den meisten Priesterseminaren leider auch nicht mehr. Doch ein Lehrstuhl ohne Betstuhl bringt nur Schauspieler und Redner, aber keine tiefgläubigen, überzeugte Priester, die wirklich geistlich - übernatürlich denken, reden, leben und handeln. Man kann nicht von einem Gott reden, zu dem man keine Beziehung hat. Das ist so unsinnig, wie die akademische Krankenschwesterausbildung in Italien. Sie haben einen Titel, aber keine Erfahrung. Jesus sandte die Apostel nicht zum Studium nach Athen oder Alexandria.

Es gibt zu denken, daß dieses bedeutende Werk lange Zeit in deutscher Sprache nicht mehr gedruckt wurde. Habe es 1991 nach einer alten Übersetzung von 1874 zum erstenmal herausgegeben. Die Pest der Reformation, der antirömische Affekt - eigentlich der antikatholische Geist sitzt tief in den Köpfen und Herzen vieler Theologen. Doch letztlich ist dies der Ungeist des Non serviam - man will Gott nicht dienen. Maria will uns aber genau dies lehren, weil wir sonst ewig verloren gehen.

Die Kategorien Gnade, Sünde, Glaube, Hoffnung und Liebe
(zu Gott und den Seelen), Ewigkeit, Himmel und Hölle sind heute vielen unbekannt. Man ist soweit von Gott entfernt, daß man dies gar nicht mehr merkt. Man will eine Reformation 2.0, die wieder eine Revolution ist und merkt nicht, wessen Geistes Kind man ist. Semper idem, seit dem Fall der Engel und dem Sündenfall. Da gibt es nur ein Heilmittel: Maria - ich bin die Magd des Herrn. Wir müssen uns entscheiden: Maria oder Luzifer - konkret heißt dies auch: Dekalog oder Dekadenz, Reinheit oder Sünde. Die heutige Dekadenz ist der Fluch der Sünde. Levitikus 26 gilt nach wie vor: Segen für Gehorsam oder Fluch und Niedergang für Ungehorsam.

Die Liebe zu Christus in der hl. Messe wie auch in der Beichte und die Liebe zu Maria sind Gradmesser des Glaubens. Ihre Bitten um Rosenkranzgebet wurden weitgehend ignoriert, doch hat der Rosenkranz beim hl. Dominikus, bei der Schlacht von Lepanto und der Befreiung Österreichs 1955 mehrfach Großes bewirkt. Hätte man Lourdes und Fatima ernst genommen, hätte es keinen 2. Weltkrieg gegeben und wohl auch keinen selbstzerstörenden Glaubenszerfall in der Kirche.

Dignare me laudare te, virgo sacrata. Da mihi virtutem contra hostes tuos - Würdige mich Dich zu loben hl. Jungfrau, gib mir Kraft gegen deine Feinde.

           Klemens Kiser

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1. Teil - Auslegung des Salve Regina

Die Mutter Gottes ihren Verehrern erteilt viele und große Gnaden.

1. Kap. - Gegrüßet seist du Königin, Mutter der Barmherzigkeit

Abs. 1 - Wie groß unser Vertrauen auf Maria sein muß, weil sie die Königin der Barmherzigkeit ist

Da die erhabene Jungfrau Maria zur Mutter des Königs der Könige erhöht wurde, so ehrt sie die heilige Kirche mit Recht und will, daß sie von allen mit dem glorreichen Titel einer Königin geehrt werde. „Wenn der Sohn König ist”, sagt der hl. Athanasius, „so muß gerechterweise auch die Mutter eine Königin genannt und als solche geachtet werden.” „Von dem Augenblick an,” erklärt auch der hl. Bernhardin von Siena, „da Maria ihre Einwilligung gab, die Mutter des ewigen Wortes zu werden, hat sie verdient, zur Königin der Welt und aller Kreaturen erhoben zu werden.” „Wenn der Leib Mariens,” schließt der hl. Abt Arnold von Chartres, „nicht verschieden war von dem Jesu Christi, wie könnte die Mutter von der Teilnahme an der Herrschaft des Sohnes ausgeschlossen sein? Daraus darf man annehmen, daß die Oberherrlichkeit zwischen Mutter und Sohn nicht gemeinschaftlich, vielmehr in beiden diesselbe ist.” „Wenn Jesus König des Weltalls ist, so ist auch des Weltalls Königin Maria,” so der Abt Rupertus. Und der hl. Bernhardin von Siena sagt: „So viele Diener hat die glorreiche Jungfrau, als es Geschöpfe gibt, die der heiligsten Dreieinigkeit dienen; denn alle Kreaturen, seien es Engel oder Menschen, alles, was im Himmel und auf Erden ist, alles ist dieser glorreichen Jungfrau untertan, weil alles der göttlichen Herrschaft unterworfen ist.” Darum wendet sich der Abt Guerricus an die göttliche Mutter mit den Worten: „Fahre fort, o Maria, mit Sicherheit über die Güter deines Sohnes zu walten; handle zuversichtlich wie eine Königin, wie des Königs Mutter und Braut! Dir gebührt das Reich und die Herrschaft,” als wollte er sagen: Fahre fort, o Maria, in voller Sicherheit zu herrschen; verfüge ganz nach deinem Belieben über die Gnadenschätze deines Sohnes; denn da du Mutter bist und Braut des Königs der Welt, so gebührt dir als der Königin das Reich und die Herrschaft über alle Geschöpfe.

Maria also ist Königin; aber jeder soll zu seinem Trost wissen, daß sie eine ganz gütige und milde Königin ist, und geneigt, uns Elenden Gutes zu tun. Deshalb will die heilige Kirche, daß wir sie im Salve Regina als „Königin der Barmherzigkeit” begrüßen. Schon der Name Königin bedeutet nach der Erwägung des hl. Albert des Großen Güte und Sorgfalt für die Armen, zum Unterschied vom Namen Herrscherin, der Strenge und Härte ausdrückt. „Die Größe des Königs und der Königin,” sagt Seneca, „besteht darin, daß sie den Elenden zu Hilfe kommen.”

Während die Herrscher bei ihrer Gewalt nur das eigene Wohl zum Ziel haben, sollen die Könige das Wohl der Untergebenen anstreben. Das ist auch die Ursache, warum bei der Krönung der Könige ihr Haupt mit Öl, dem Sinnbild der Barmherzigkeit, gesalbt wird, um anzudeuten, daß sie beim Regieren vor allem die Gesinnungen der Güte und des Wohlwollens gegen ihre Untertanen in sich nähren sollen.

Es sollen also die Könige sich vorzugsweise mit der Übung der Barmherzigkeit befassen; doch nicht so, daß sie die Handhabung der Gerechtigkeit gegen die Schuldigen, wo diese notwendig ist, außer acht lassen. Nicht so Maria, die, wenngleich Königin, doch nicht Königin der Gerechtigkeit und somit auf die Züchtigung der Übeltäter, sondern als Königin der Barmherzigkeit auf Milde und Vergebung für die Sünder bedacht ist. Darum will die heilige Kirche, daß wir sie ausdrücklich Königin der Barmherzigkeit nennen. Der große Kanzler von Paris, Johannes Gerson, sagt zu den Worten Davids: „Diese zwei Dinge habe ich gehört: Daß Gottes ist die Macht, und Dir, o Herr, das Erbarmen”,, daß die in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bestehende Herrschaft Gottes der Herr geteilt hat. Das Reich der Gerechtigkeit behielt Er sich vor; das Reich der Barmherzigkeit aber hat Er Maria überlassen und angeordnet, daß alle Erbarmungen, die den Menschen zuteil werden, durch die Hand Mariens gehen und nach ihrem Wohlgefallen verteilt werden. Das sind die Worte Gersons:
„Das Reich Gottes besteht in der Macht und in der Barmherzigkeit. Während die Macht dem Herrn verblieb, ging die Barmherzigkeit in gewisserweise an die Königin-Mutter über.” Das gleiche bestätigt der hl. Thomas in seinem Vorwort zu den kanonischen Briefen: „Als sie in ihrem Schoß den Sohn Gottes empfing und danach gebar, erlangte sie die Hälfte der göttlichen Herrschaft in der Weise, daß sie Königin der Barmherzigkeit, wie der Sohn König der Gerechtigkeit ist.”

Der ewige Vater setzte Jesus Christus zum König der Gerechtigkeit ein und darum machte Er Ihn zum Richter über die ganze Welt, weshalb der Prophet singt: „Gott, dein Gericht gib dem König, und deine Gerechtigkeit dem Sohn des Königs!” Dazu bemerkt ein gelehrter Ausleger: „Herr, Du hast deinem Sohn die Gerechtigkeit übergeben, weil Du deine Barmherzigkeit der Mutter des Königs übertragen hast» Darum gibt der hl. Bonaventura dem angeführten Vers Davids folgende schöne Wendung: „O Gott, gib dein Gericht dem König und deine Barmherzigkeit seiner Mutter!” Gleicherweise sagt Erzbischof Ernest von Prag, daß der ewige Vater dem Sohn das Amt zu richten und zu strafen übergeben habe; der Mutter aber das Amt, Mitleid zu haben mit den Elenden und ihnen zu helfen.

Deshalb hat schon der Prophet David vorhergesagt, daß Gott selbst Maria zur Königin der Barmherzigkeit gekrönt und mit dem Öl der Freude gesalbt habe. „Darum hat dich Gott, dein Gott, mit dem Freudenöl gesalbt”
(Ps 71,2), auf daß wir elende Kinder Adams uns erfreuen bei dem Gedanken, im Himmel diese große Königin zu haben, die ganz erfüllt ist von der Salbung der Barmherzigkeit und der Liebe zu uns, wie der hl. Bonaventura sagt: „Maria, du bist voll Salbung der Barmherzigkeit, voll von dem Öl der Liebe.”

Und wie schön wendet der hl. Albert der Große die Geschichte der Königin Esther, die ja das Vorbild unserer Königin Maria war, auf diese Wahrheit an. Wir lesen im vierten Kapitel des Buches Esther, daß König Assuerus in seine Länder einen Befehl ausgehen ließ, der die Ermordung aller Juden anordnete. Da empfahl Mardochäus, der unter den Verurteilten war, die Rettung derselben Esther, daß sie sich beim König verwende, um den Widerruf dieses Urteils auszuwirken. Anfangs weigerte sich Esther, diesem Auftrag nachzukommen aus Furcht, den Zorn des Assuerus noch mehr zu reizen. Aber Mardochäus tadelte sie und stellte ihr vor, daß sie nicht bloß darauf bedacht sein dürfe, sich selber zu retten, da der Herr sie nur zu diesem Zweck auf den Thron erhoben hat, damit sie den Juden die Rettung erwirke.

„Glaube nicht, daß du nur dein Leben retten solltst, weil du im Haus des Königs bist vor allen Juden.” So sprach Mardochäus zur Königin Esther, und so dürfen auch wir arme Sünder zu unserer Königin Maria sprechen, wenn sie je sich weigern könnte, uns von Gott die Befreiung von der nach Recht verdienten Strafe zu erwirken.
„Glaube nicht, daß du nur dein eigenes Leben retten darfst, weil du im Haus des Königs bist vor allen anderen Menschen.” (Est 4,13) Denke nicht, o Herrin, daß Gott dich zur Königin der Welt nur zur Sorge für dein eigenes Wohl erhöht hat, sondern darum auch hat Er dich so mächtig gemacht, damit du größeres Mitleid mit uns Elenden haben und uns wirksamere Hilfe leisten kannst.

Da Assuerus Esther vor sich erblickte, fragte er voll Liebe, warum sie gekommen sei: „Was ist dein Verlangen?” Darauf anwortete die Königin: „Wenn ich in deinen Augen Gnade gefunden habe, o König, so schenke mir mein Volk, um das ich flehe.” Und Assuerus erhörte sie; sogleich gab er Befehl, daß jenes Todesurteil zurückgenommen werde. Nun wenn Assuerus der Esther das Leben der Juden schenkte, weil er sie liebte, wie sollte Gott Maria, die Er ja unendlich liebt, nicht erhören, wenn sie Ihn für die elenden Sünder, die sich ihr anempfehlen, bittet und zu Ihm spricht:
„Wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, o König, so schenke mir mein Volk.” Aber die göttliche Mutter weiß wohl, daß sie die Gebenedeite, die Selige ist, die Einzige unter allen Menschen, welche die von ihnen verlorene Gnade wieder gefunden; sie weiß, daß sie die Erkorene ihres Herrn ist, die Er mehr liebt als alle Heiligen und Engel zusammengenommen. „Wenn du mich wirklich liebst,” spricht sie zu Ihm, „so schenke mir o Herr, diese Sünder um die ich Dich bitte.” Wäre es möglich, daß Gott sie nicht erhörte? Wer kennt nicht die Macht, welche die Bitten Mariens bei Gott haben? „Das Gesetz der Milde ist auf ihrer Zunge.”
(Spr 31,26) Jedes ihrer Gebete ist wie ein vom Herrn ein für allemal verordnetes Gesetz, daß jeder Barmherzigkeit erlangen soll, für den Maria sich verwendet.

Der hl. Bernhard stellt sich die Frage, warum die hl. Kirche Maria die Königin der Barmherzigkeit nenne, und gibt zur Antwort: „Weil wir glauben, daß sie den Abgrund der Barmherzigkeit Gottes öffnet, wem sie will, wann sie will, und wie sie will, so daß es keinen noch so großen Sünder gibt, der zugrunde geht, so lange Maria ihm ihren Schutz gewährt.”

Oder könnten wir etwa fürchten, Maria werde sich weigern, für einen Sünder sich zu verwenden, weil sie ihn allzusehr mit Sünden beladen sieht? Oder dürfte uns vielleicht die Majestät und die Heiligkeit dieser großen Königin erschrecken?

„O nein,” sagt der hl. Gregor VII., „je höher Maria steht und je heiliger sie ist, desto milder und gütiger ist sie gegen die Sünder, die sich bekehren wollen und zu ihr ihre Zuflucht nehmen.” Die Könige und Königinnen flößen durch die Majestät, die sie an sich tragen, Schrecken ein und bewirken, daß sich ihre Untertanen scheuen, vor ihnen zu erscheinen; aber welch eine Furcht, sagt der hl. Bernhard, könnten wohl die Unglücklichen haben, dieser Mutter der Barmherzigkeit zu nahen, die für den, der zu ihr die Zuflucht nimmt, nicht Schrecken und Härte, sondern nur Güte und Freundlichkeit offenbart? „Was scheut sich der gebrechliche Mensch zu Maria hinzutreten? Nichts Strenges ist an ihr, nichts Furchterregendes; ganz sanft ist sie und bietet allen Wolle und Milch.” Maria erhört nicht bloß, sondern sie bietet sogar allen Milch und Wolle an; Milch der Barmherzigkeit, um uns zum Vertrauen zu ermuntern, und Wolle des Schutzes, um uns vor den Blitzen der göttlichen Gerechtigkeit zu bewahren.

Suetonius erzählt vom Kaiser Titus, er habe niemandem, der ihn um eine Gnade gebeten, dieselbe abschlagen können, ja er habe manchmal sogar mehr versprochen, als er halten konnte, und jenen, die ihn darauf aufmerksam machten, geantwortet, ein Fürst dürfe keinen, den er einmal zur Audienz angenommen, unbefriedigt von sich lassen. Titus sprach so, aber in der Tat mußte er entweder oftmals lügen, oder seinen Versprechen untreu werden. Unsere Königin aber kann nicht täuschen, und sie vermag ihren Verehrern so viel zu erlangen, als sie will; auch hat sie ein so gütiges und liebreiches Herz, daß sie niemanden, der sie bittet, unerhört zu lassen vermag. „So gütig ist sie”, sagt Ludwig Blosius, „daß sie niemanden traurig von sich läßt.” „Und wie konntest du, o Maria,” spricht sie der hl. Bernhard an, „dich weigern, den Elenden zu Hilfe zu kommen; du bist ja die Königin der Barmherzigkeit; und wer sind die Untertanen der Barmherzigkeit, wenn nicht die Elenden? Du bist die Königin der Barmherzigkeit, ich aber der elendeste von allen Sündern. Ich nehme darum den ersten Rang ein unter deinen Untertanen; für mich also mußt du mehr Sorge tragen, als für alle anderen.”

Habe also Mitleid mit uns, o Königin der Barmherzigkeit, und gedenke, uns zu helfen. Sage nicht, o heiligste Jungfrau, bete ich mit dem hl. Georg von Nikomedien, sage nicht, du kannst uns nicht helfen wegen der Menge unserer Sünden; denn du hast ja eine so große Macht und Liebe, daß keine Sündenzahl sie je übertreffen kann. „Eine unüberwindliche Macht hast du empfangen, damit die Menge der Sünden deine Güte nicht überwiege. Nichts kann deiner Macht widerstehen; denn der Schöpfer betrachtet deine Ehre als seine eigene. Und der Sohn hat seine Freude daran, dich zu ehren, und gewährt alle deine Bitten, gleichsam um seine Schuld an dich abzutragen.” Dieser Schriftsteller will sagen: Wenn auch Maria ihrem Sohn unendlich verpflichtet dafür ist, daß er sie zu seiner Mutter bestimmt hat, so kann dessen ungeachtet nicht bestritten werden, daß auch der Sohn dieser Mutter sehr verpflichtet ist, weil sie ihm das menschliche Sein gegeben hat. Darum findet Jesus seine Freude darin, sie zu verherrlichen, und Er will sie besonders dadurch ehren, daß Er alle ihre Bitten erhört, um so seine Schuld an Maria abzutragen.

Wie groß also muß unser Vertrauen zu dieser Königin sein, da wir wissen, wie mächtig sie bei Gott ist, und wie reich an Barmherzigkeit, daß keine Seele auf Erden lebt, die nicht der Milde und Gunst Mariens teilhaft wäre. Eben dies offenbarte die seligste Jungfrau der hl. Birgitta: „Ich bin die Königin des Himmels und die Mutter der Barmherzigkeit; ich bin die Freude der Gerechten und die Pforte, durch welche die Sünder zu Gott gelangen. Kein Sünder lebt auf Erden, und wäre er auch noch so verworfen, der von meinem Erbarmen ausgeschlossen wäre; denn jeder, wenn er auch nichts anderes durch meine Vermittlung erlangen würde, empfängt doch die Gnade, weniger vom bösen Feind versucht zu werden, als es sonst geschehen würde. Keiner ist so von Gott verstoßen, der, wenn er mich um Hilfe bittet, nicht zu Gott zurückkehren und Barmherzigkeit erlangen könnte; er müßte denn nur ganz und gar verworfen sein (d.h. durch die letzte und unwiderrufliche Verfluchung, welche die Verdammten trifft). Ich werde von allen die Mutter der Barmherzigkeit genannt, und wahrlich, das Erbarmen Gottes mit den Menschen hat mich so barmherzig gemacht.” Und sie schloß mit den Worten: „Darum wird unglücklich sein, wer, da er doch kann, zur Barmherzigkeit nicht hinzutritt. Unglücklich ist und wird auf immer im anderen Leben sein, wer in diesem Leben zu mir, die ich so mitleidsvoll mit allen bin und so sehr verlange, den Sündern zu helfen, seine Zuflucht nehmen könnte, aber es nicht tut, und so zugrunde geht.”

Fliehen wir also, ja flüchten wir allezeit zu den Füßen dieser süßesten Königin, wenn wir sicher unser Heil erlangen wollen! Und schreckt und entmutigt uns der Anblick unserer Sünden, so laßt uns bedenken, daß Maria dazu die Mutter der Barmherzigkeit geworden ist, daß sie durch ihren Schutz die größten und verworfensten Sünder rettet, wenn sie sich ihr anbefehlen. Diese haben, nach den Worten ihres göttlichen Bräutigams, ihre Krone im Himmel zu sein. „Komm vom Libanon, meine Braut, komm vom Libanon, komm! Du wirst gekrönt werden von den Lagern der Löwen und den Bergen der Leoparden.” Wer aber sind die Lager der wilden Tiere und Ungeheuer, wenn nicht die elenden Sünder, deren Seelen ein Aufenthalt der Laster und der häßlichsten Ungeheuer sind, die man finden kann? Und gerade von diesen unglücklichen Sündern, die durch deine Vermittlung, o große Königin Maria, gerettet werden, wirst du (nach den Worten des Abtes Rupertus) im Paradies gekrönt werden, denn ihr Heil wird deine Krone sein, eine Krone ganz würdig und eigentümlich einer Königin der Barmherzigkeit. (Hl 4,8) Zur Bestätigung dieser Wahrheit möge man folgendes Beispiel lesen.

Beispiel

Im Leben der Schwester Katharina vom hl. Augustinus wird berichtet, daß sich an dem Ort, wo diese Dienerin Gottes lebte, eine Frau, namens Maria befand, die in ihrer Jugend eine Sünderin war und noch im Alter hartnäckig in ihrer Verkehrtheit beharrte. Schließlich wurde sie von den Einwohnern des Ortes verjagt und in eine Höhle außerhalb ihres Gebietes verwiesen, wo sie halbverfault, von allen verlassen, ohne Sakramente starb. Daher wurde sie auf freiem Feld wie ein Tier eingescharrt. Schwester Katharina pflegte sonst alle verstorbenen Seelen Gott mit großer Liebe anzuempfehlen; aber nachdem sie den unseligen Tod dieser armen Alten erfahren hatte, dachte sie gar nicht daran, für sie zu beten, weil sie wie alle anderen diese für verdammt hielt. Doch siehe! Nach vier Jahren erschien ihr eines Tages eine Seele aus dem Fegfeuer, die zu ihr sprach: „Schwester Katharina, wie unglücklich ist doch mein Los! Du empfiehlst Gott die Seelen aller Verstorbenen, nur mit meiner Seele hast du kein Mitleid.” - „Wer bist du denn?” sagte die Dienerin Gottes. „Ich bin”, war die Antwort, „jene arme Maria, die in der Höhle gestorben ist”. - „Wie?

Du bist selig geworden”, fragte Schwester Katharina wiederum. - „Ja, ich bin gerettet”, sagte sie, „durch die Barmherzigkeit der Jungfrau Maria”. - „Aber wie ist das geschehen?”

„Da ich den Augenblick des Todes nahen fühlte, und mich so voll von Sünden und von allen verlassen sah, so wandte ich mich an die Mutter Gottes und sagte ihr: Meine Herrin, du bist die Zuflucht der Verlassenen; siehe, jetzt bin ich von allen verlassen; du bist meine einzige Hoffnung. Du allein kannst mir noch helfen; habe Mitleid mit mir! Die seligste Jungfrau erlangte mir die Gnade, einen Akt der Reue zu erwecken. Ich starb und wurde gerettet. Zugleich hat mir meine Königin auch die Gnade erlangt, daß meine Strafe abgekürzt wurde, indem sie bewirkte, daß ich durch schärfere Leiden abbüßen durfte, was ich sonst durch viele Jahre lange Leiden hätte abbüßen müssen. Es mangeln mir nur noch einige hl. Messen, um aus dem Fegfeuer befreit zu werden. Ich bitte dich, lasse sie für mich lesen; ich verspreche dir dafür, immer bei Gott und Maria für dich zu bitten.” Schwester Katharina ließ alsogleich die hl. Messen lesen, und siehe da, wenige Tage danach erschien ihr die Seele von neuem, leuchtender als die Sonne und sprach zu ihr:
„Ich danke dir, Katharina; siehe, jetzt gehe ich in den Himmel ein, um die Erbarmungen meines Gottes zu preisen und für dich zu beten.”

Gebet
Mutter meines Gottes und meine Herrin Maria! Wie ein mit Wunden bedeckter, ekelerregender Armer einer großen Königin sich naht, so nahe ich mich dir, die du die Königin des Himmels und der Erde bist. Verschmähe nicht, ich bitte dich, vom hohen Thron, auf dem du sitzt, deine Augen auf mich armen Sünder herab zuwenden. Gott hat dich so reich gemacht, um den Armen zu Hilfe zu kommen und hat dich zur Königin der Barmherzigkeit erhoben, damit du die Unglücklichen unterstützen kannst. Blicke mich also an und habe Mitleid mit mir! Blicke mich an und verlasse mich nicht, bis du mich aus einem Sünder in einen Heiligen umgewandelt hast. Ich sehe wohl, daß ich nichts verdiene, ja, daß ich wegen meiner Undankbarkeit aller Gnaden beraubt zu werden würdig wäre, die ich durch deine Vermittlung von dem Herrn bereits empfangen habe. Aber du, die Königin der Barmherzigkeit, suchst nicht, wo Verdienst, sondern wo Elend ist, um den Bedürftigen zu helfen.

Wer aber ist ärmer, wer hilfsbedürftiger als ich? O erhabene Jungfrau! Ich weiß, du bist die Königin der ganzen Welt und auch meine Königin; ich will in besonderer Weise deinem Dienst mich weihen, auf daß du über mich verfügst, wie es dir gefällt. Darum spreche ich zu dir mit dem hl. Bonaventura: O meine Herrin, deiner Herrschaft will ich mich übergeben, damit du mein Alles ganz und gar beherrschst und regierst. Überlaß mich nicht mir selber. Gebiete über mich, verwende mich nach deinem Wohlgefallen; ja, strafe mich, wenn ich dir nicht gehorche; denn überaus heilsam werden für mich die Züchtigungen sein, die aus deiner Hand mir zukommen. Ich schätze es höher, dein Knecht zu sein, als der Herr der ganzen Welt. „Dein bin ich, rette mich!”
(Ps 118, 94) Nimm mich an, o Maria, als dir gehörend und als dein Eigentum rette mich! Nicht mir will ich ferner angehören; dir habe ich mich geschenkt. Und wenn ich dir früher so schlecht gedient und so häufig unterlassen habe, dich zu ehren, so will ich künftig zu deinen eifrigsten und treuesten Dienern gezählt werden. Ja, es soll mich von nun an, o liebenswürdigste Königin, niemand in deiner Verehrung und Liebe übertreffen! Dies verspreche und dies hoffe ich, mit deinem Beistand auszuführen. Amen.


Abs. 2 - Wieviel größer noch unser Vertrauen auf Maria sein muß, weil sie unsere Mutter ist

Nicht ohne Absicht und guten Grund nennen die Verehrer Mariens sie Mutter, und es scheint, als wüßten sie dieselbe mit keinem anderen Namen anzurufen, und als könnten sie nicht satt werden, sie immerfort Mutter zu nennen. Ja, Mutter! Ist sie doch wahrhaft unsere Mutter, nicht die leibliche, aber die geistige Mutter unserer Seele und unseres Heiles! Als die Sünde unsere Seelen der göttlichen Gnade beraubte, raubte sie ihnen auch das Leben, und da sie aus diesem elenden Tod sich nicht retten konnten, kam unser Erlöser Jesus im Übermaß seiner Barmherzigkeit und Liebe, um uns durch seinen Tod am Kreuz das verlorene Leben wieder zu erwerben, wie Er selbst erklärt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und überreichlich haben,” (Jo 10,10) überreichlich, denn die Gottesgelehrten behaupten, daß uns Jesus Christus durch seine Erlösung größere Güter gebracht, als der Schaden war, den uns Adam durch seine Sünde zugezogen hat. Indem Er uns also mit Gott wieder versöhnte, wurde Er der Vater unserer Seelen im neuen Gesetz der Gnade, wie es schon von dem Propheten Isaias (Is 9,6) vorhergesagt wurde: „Vater der Zukunft, Friedensfürst.” Aber wenn Jesus der Vater unserer Seelen ist, so ist Maria deren Mutter; denn indem sie uns Jesus gab, gab sie uns das wahre Leben, und da sie auf dem Kalvarienberg das Leben ihres Sohnes für unser Heil aufopferte, gebar sie uns zum Leben der Gnade.

Zu zwei verschiedenen Zeiten, lehren uns die hl. Väter, wurde Maria unsere geistliche Mutter; zum ersten Mal, da sie es verdiente in ihrem jungfräulichen Schoß den Sohn Gottes zu empfangen, wie der hl. Albert der Große behauptet. Und noch klarer lehrt der hl. Bernhardin von Siena, daß, als die seligste Jungfrau zu der Verkündigung des Engels ihre Einwilligung gab, die das ewige Wort von ihr erwartete, um ihr Sohn zu werden, sie in dieser Zustimmung und von diesem Augenblick an mit unermeßlicher Liebe unser Heil von Gott erflehte und so sehr für unsere Erlösung sich verwandte, daß sie uns von da an wie die liebevollste Mutter in ihrem Schoß trug.

Der hl. Lukas sagt im zweiten Kapitel seines Evangeliums, wo er die Geburt unseres Heilandes erzählt: „Sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen.”
(Lk 2,7)

Wenn also, bemerkt ein Schriftsteller, der Evangelist versichert, daß Maria damals ihren Erstgeborenen zur Welt gebracht habe, muß man daraus nicht schließen, daß sie nachher noch andere Kinder hatte? Der gleiche Autor gibt darauf die Antwort:
„Es ist ein Glaubenssatz, daß Maria keine anderen leiblichen Kinder hatte, außer Jesus; sie muß also noch andere geistliche Kinder haben, und diese sind wir.”


Dasselbe offenbarte der Herr der hl. Gertrud. Diese las eines Tages die erwähnte Stelle des Evangeliums und wurde darüber ganz verwirrt; denn sie konnte nicht einsehen, wie von Maria, die doch nur die Mutter Jesu Christi ist, gesagt werden könne, daß Er ihr Erstgeborener sei. Und Gott erklärte ihr, Jesus sei ihr Erstgeborener dem Fleisch nach, die Menschen aber seien die nachgeborenen Kinder dem Geist nach. Daraus erklärt sich auch, was im Hohenlied von Maria gesagt wird:
„Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen mit Lilien umgeben.”
(Hl 7,2) Der hl. Ambrosius erklärt diese Stelle: „Nur ein Weizenkorn war im Leib der Jungfrau, nämlich Christus der Herr, und doch wird sie ein Weizenhaufen genannt, weil dieses einzige Korn der Kraft nach alle Auserwählten in sich schließt, auf daß Er sei der Erstgeborene unter vielen Brüdern.” Aus diesem Grund schreibt der Abt Wilhelm: „In diesem einen Fruchtkörnlein, nämlich in Jesus, dem einen Heiland aller Menschen, hat Maria viele zum Heil geboren; indem sie das Leben gebar, hat sie viele zum Leben geboren.”

Zum zweiten Mal gebar uns Maria zum Leben der Gnade, als sie auf dem Kalvarienberg dem ewigen Vater unter so großen Schmerzen ihres Herzens das Leben ihres Sohnes für unser Heil opferte. Dieses bestätigt der hl. Augustinus, der sagt, daß Maria, weil sie durch ihre Liebe zur Wiedergeburt der Gläubigen zum Leben der Gnade mitgewirkt, die geistliche Mutter von uns allen, die wir die Glieder des Hauptes Jesu Christi sind, geworden sei. Ebendies ist der Sinn jener Stelle im Hohenlied, die auf die seligste Jungfrau angewendet wird: „Sie setzten mich als Hüterin der Weinberge; meinen Weinberg habe ich nicht gehütet.” (Hl 1,5)

Das heißt: Maria hat, um unsere Seelen zu retten, eingewilligt, dem Tod das Leben ihres Sohnes zu opfern. So erklärt dies der Abt Wilhelm mit den Worten: „Um viele Seelen zu retten, hat sie ihre Seele dem Tod preisgegeben.” Wer aber war die Seele Mariens, wenn nicht ihr Jesus, der ihr Leben und alle ihre Liebe war? Deswegen hat ihr der hl. Simeon angekündigt, daß ihre gebenedeite Seele von dem Schwert der Schmerzen werde durchbohrt werden.
(Lk 2,35)

Dieses Schwert aber war eben jene Lanze, welche die Seite Jesu durchbohrte, der die Seele Mariens war. Damals hat sie uns durch ihre Schmerzen zum ewigen Leben geboren, und darum können wir alle uns die Kinder der Schmerzen Mariens nennen. Diese unsere liebreichste Mutter war immer vollkommen vereinigt mit dem göttlichen Willen. „Und da sie,” bemerkt der hl. Bonaventura, „die Liebe des ewigen Vaters zu den Menschen sah, der wollte, daß sein Sohn um unseres Heiles willen sterbe, und die Liebe des Sohnes, der den Tod für uns erleiden wollte, so brachte auch sie, um der übergroßen Liebe des Vaters und des Sohnes zu den Menschen sich gleichförmig zu machen, von ganzem Herzen sich zum Opfer dar, und willigte ein, daß ihr Sohn für unser Heil sterbe.”

Es ist wahr, Jesus wollte allein für die Erlösung der Menschen in den Tod gehen:
„Die Kelter trat ich allein.”
(Is 63,3) Da Er aber die große Sehnsucht Mariens, sich mit um das Heil der Menschen anzunehmen, erblickte, so ordnete Er, daß sie durch Aufopferung und Hingabe seines Lebens mit zu unserem Heil wirke und so die Mutter unserer Seelen werde. Dies deutet unser lieber Heiland an, als Er unmittelbar vor seinem Tod vom Kreuz herab auf die Mutter und den Jünger Johannes, die Ihm zur Seite standen, blickend, sprach: „Siehe, dein Sohn,” (Jo 19,26) als wollte Er sagen: Siehe den Menschen, der durch die von dir vollbrachte Hingabe meines Lebens für sein Heil schon zur Gnade wiedergeboren wird. Und dann zum Jünger gewandt sprach Er: „Siehe, deine Mutter!” (Jo 19,27) „Durch diese Worte,” sagte der hl. Bernhardin von Siena, „ist Maria die Mutter nicht allein von Johannes, sondern aller Menschen, um der Liebe willen geworden, die sie zu ihnen hatte.” Dies ist die Ursache, warum nach Silveira derselbe Johannes bei Erwähnung dieser Begebenheit in seinem Evangelium schrieb: „Sodann sagte Er zum Jünger: Siehe, deine Mutter!” Man bemerke, Jesus Christus sprach dies nicht zu Johannes, sondern zu dem Jünger, zum Beweis, daß der liebe Heiland Maria als die eine Mutter aller bezeichnen wollte, die als Christen den Namen seiner Jünger tragen.

„Ich bin die Mutter der schönen Liebe”, (Sir 24,24) spricht Maria, weil ihre Liebe, die unsere Seelen in den Augen Gottes so schön macht, bewirkte, daß sie als liebevolle Mutter uns zu ihren Kindern annahm. „Und welche Mutter liebt ihre Kinder so sehr und ist so auf ihr Wohl bedacht, wie du, unsere süßeste Königin, uns liebst und für unser Wohlergehen sorgst? Tust du dies nicht mehr,” sagt der hl. Bonaventura, „als eine leibliche Mutter dies tun könnte?”

O selig die, so unter dem Schutz einer so liebreichen und mächtigen Mutter leben! Schon der Prophet David bat Gott um sein Heil, indem er sich zum Sohn Mariens weihte, obwohl Maria damals noch nicht geboren war. Er fleht: „Rette den Sohn deiner Magd!” „Wer ist diese Magd?” (Ps 85,16) fragt der hl. Augustinus. „Jene, die da sprach: Siehe ich bin eine Magd des Herrn.”


„Und wer dürfte die Kühnheit haben,” sagt der hl. Robert Kard. Bellarmin, „diese Kinder vom Schoß Mariens zu reißen, nachdem sie sich dorthin geflüchtet haben, um sich vor ihren Feinden zu retten? Welche Wut der Hölle oder der Leidenschaft wäre imstande sie zu überwinden, wenn sie ihr Vertrauen auf den Schutz dieser großen Mutter setzen?” „Wenn der Walfisch, erzählt man, seine Jungen vom Sturm oder von den Jägern bedroht sehe, so öffne er seinen Rachen und nehme sie in sich auf. So macht es Maria,” sagt Novarin.

Diese gütigste Mutter der Gläubigen nimmt sie, wenn der Sturm der Versuchungen tobt, mit mütterlicher Liebe gleichsam in ihr Innerstes auf und beschützt sie, bis sie diese in den seligen Hafen gebracht hat.

O liebreichste Mutter! O mitleidsvollste Mutter! Sei allezeit gebenedeit und allezeit gepriesen sei Gott, der dich uns zur Mutter und zur sicheren Zufluchtsstätte in allen Gefahren dieses Lebens gegeben hat. Die seligste Jungfrau hat der hl. Birgitta geoffenbart: „Wenn eine Mutter ihr Kind zwischen den Schwertern der Feinde erblicken würde, so würde sie alle Anstrengung machen, es zu retten. So tue, handle auch ich, und so werde ich allen Sündern tun, die meine Barmherzigkeit anflehen.” Das ist also das Mittel, wodurch wir in jedem Kampf mit der Hölle immer siegen und sicher siegen werden; wir dürfen nur zur Mutter Gottes und unserer Mutter die Zuflucht nehmen und rufen und immer wieder rufen: „Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin! Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin!” O wie viele Siege haben die Gläubigen dadurch über die Hölle davon getragen, daß sie mit diesem kurzen, aber überaus wirksamen Gebet zu Maria ihre Zuflucht nahmen. Die große Dienen Gottes, Schwester Maria Crucifixa, eine Benediktinerin, hat auf diese immer die Teufel überwunden.


Darum seid getrost ihr Kinder Mariens; wißt, daß sie alle zu ihren Kindern annimmt, die sie sein wollen; seid getrost! Was könnt ihr für eine Furcht haben zugrunde zu gehen, wenn diese Mutter euch verteidigt und beschützt? Der hl. Bonaventura ermuntert jeden, der diese gute Mutter liebt und auf ihren Schutz vertraut, Mut zu fassen und zu sprechen: „Was fürchtest du, meine Seele? Die Angelegenheit deines Heiles ist nicht verloren; denn der Urteilsspruch ist in den Händen deines Bruders und deiner Mutter.” Dies erwägend ruft der hl. Anselm, uns zu ermutigen, mit Frohlocken:
„O selige Zuversicht, o sichere Zuflucht; die Mutter Gottes ist meine Mutter! Mit welcher Gewißheit dürfen wir also hoffen, da unser Heil von der Entscheidung unseres guten Bruders und unserer mitleidsvollen Mutter abhängt.”

Und siehe, es ist unsere Mutter, die uns ruft und Mut zuspricht: „Ist jemand klein, so komme er zu mir.” (Spr 9,4) Die Kinder haben immer den Namen Mutter im Mund; in jeder Gefahr und bei jedem Schrecken, erheben sie alsogleich ihre Stimme und rufen: Mutter, Mutter! O süßeste Jungfrau Maria, o liebreichste Mutter! Das ist es eben, was du wünschst, daß wir wie die Kinder werden und dich in unseren Gefahren immerfort anrufen und stets zu dir unsere Zuflucht nehmen, weil du uns ja helfen und retten willst, wie du all jene deiner Kinder gerettet hast, die zu dir ihre Zuflucht genommen haben.

Beispiel

In der Geschichte der Klosterstiftungen der Gesellschaft Jesu im Königreich Neapel wird von einem adeligen Jüngling aus Schottland, namens Wilhelm Elphinston, folgendes erzählt. Er war ein Verwandter des Königs Jakob und hing, im Irrglauben geboren, seiner falschen Sekte an, aber erleuchtet vom göttlichen Licht, das ihn seine Irrtümer erkennen ließ, kam er nach Frankreich, wo er durch den Beistand eines Jesuitenpaters, der ebenfalls aus Schottland war, und noch mehr durch die Vermittlung der allerseligsten Jungfrau endlich die Wahrheit erkannte, der Häresie abschwor und katholisch wurde. Er reiste darauf nach Rom, wo ihn eines Tages einer seiner Freunde in Trauer und Tränen fand. Von diesem um die Ursache befragt, erzählte er, daß ihm nachts seine Mutter erschienen sei und zu ihm gesagt habe: „Mein Sohn! Wohl dir, daß du in die wahre Kirche eingetreten bist, denn ich bin in der Ketzerei gestorben und verloren.”

Von da an war seine Andacht zur Mutter Gottes noch eifriger; er wählte sie zu seiner einzigen Mutter, und Maria gab ihm den Entschluß ein, in den Ordensstand zu treten, was er auch gelobte. Krank geworden, reiste er nach Neapel, um durch Luftveränderung seine Gesundheit wieder herzustellen. Der Herr indes wollte, daß er in Neapel und zwar als Ordensmann sterbe; denn kaum dort angelangt, erkrankte er tödlich. Da bat er die Ordensoberen der Gesellschaft Jesu unter Tränen um Aufnahme, die sie ihm gewährten. Er empfing die heilige Wegzehrung, legte vor dem heiligsten Sakrament die Gelübde ab und wurde in die Gesellschaft aufgenommen. Dabei versetzte er alle in Rührung durch die zärtlichen Dankgebete, die er Maria, seiner Mutter, darbrachte, daß sie ihn aus der Ketzerei gerettet und dahin gebracht habe, nun in der wahren Kirche, im Haus Gottes, inmitten von Ordensleuten, seinen Brüdern, sterben zu können. „ O wie herrlich,” rief er aus, „ist das Sterben inmitten so vieler Engel!” Man sprach ihm zu, er möge sich ein wenig Ruhe gönnen, aber er antwortete:

„ O jetzt ist keine Zeit zu ruhen! Jetzt, da das Ende meines Lebens herannaht!” Kurz vor seinem Tod noch sprach er zu den Umstehenden: „Meine Brüder, seht ihr nicht die Engel des Himmels, die mir beistehen?” Und da ihn einer von den Ordensleuten, die bei ihm standen, einige Worte mit leiser Stimme sprechen hörte, fragte er ihn, was er sage, und der Sterbende antwortete, der hl. Schutzengel habe ihm geoffenbart, daß er nur kurze Zeit im Fegfeuer werde zu bleiben haben, und dann sogleich in den Himmel eingehen dürfe. Dann begann er sich mit Liebesseufzern mit seiner süßen Mutter Maria zu unterhalten und unter wiederholtem Ruf: „Mutter! Mutter!” hauchte er sanft seinen Geist aus, wie ein Kind, das in den Armen seiner Mutter einschlummert. Kurze Zeit darauf wurde einem frommen Ordensmann geoffenbart, daß er bereits im Himmel sei.

Gebet
O heiligste Mutter Maria! Wie ist es möglich, daß ich eine so heilige Mutter habe und dennoch so sündhaft bin? Eine Mutter, die ganz glüht von Liebe zu Gott, ich aber voll Liebe zu den Geschöpfen bin? Eine Mutter so reich an Tugenden, und ich so arm? Ach, meine liebenswürdige Mutter, es ist wahr, ich verdiene nicht mehr dein Kind zu sein, weil ich durch mein schlechtes Leben mich dessen zu unwürdig gemacht habe. Ich bin zufrieden, wenn du mich zu deinem Diener annimmst; ich bin bereit, um unter die geringsten deiner Diener aufgenommen zu werden, allen Reichen der Welt zu entsagen. Ja, ich bin zufrieden; doch wehre es mir nicht, dich meine Mutter zu nennen. Dieser Name ist all mein Trost, meine Herzensfreude und die stete Erinnerung, wie verpflichtet ich bin, dich zu lieben. Dieser Name ermutigt mich, großes Vertrauen auf dich zu setzen. Wie sehr auch meine Sünden und die göttliche Gerechtigkeit mich schrecken, so fühle ich mich doch voll Stärke in dem Gedanken, daß du meine Mutter bist. Gestatte, daß ich spreche: Meine Mutter, meine liebenswürdigste Mutter! So nenne ich dich und so will ich dich allzeit nennen. Du sollst nach Gott immer meine Hoffnung, meine Zuflucht und meine Liebe sein in diesem Tal der Tränen. So hoffe ich zu sterben und im letzten Augenblick meine Seele in deine Hände mit den Worten zu übergeben: Meine Mutter! Meine Mutter! Hilf mir; habe Mitleid mit mir! Amen.


Abs. 3 - Wie groß die Liebe ist, die diese Mutter zu uns hat

Da Maria unsere Mutter ist, so wollen wir auch betrachten, wie sehr sie uns liebt. Die Liebe zu den Kindern ist eine notwendige Liebe; das ist auch die Ursache, nach dem hl. Thomas, warum im göttlichen Gesetz den Kindern ein Gebot auferlegt ist, die Eltern zu lieben, die Eltern hingegen durch kein ausdrückliches Gebot verpflichtet werden, ihre Kinder zu lieben; denn die Liebe zu den eigenen Kindern ist mit solcher Macht durch die Natur selbst eingepflanzt, daß sogar die wildesten Tiere, wie der hl. Ambrosius sagt, es nicht lassen können, ihre Jungen zu lieben.

Man erzählt, daß selbst die Tiger, wenn sie die Stimme ihrer von den Jägern geraubten Jungen hören, sich ins Meer stürzen und dem Schiff, auf dem sie sich befinden, nachschwimmen, bis sie es erreichen. Wenn also nicht einmal die Tiger, sagt unsere zärtlichste Mutter Maria, ihre Jungen vergessen können, wie sollte dann ich meine Kinder zu vergessen imstande sein? „Kann denn eine Frau ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarmte des Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergäße, so wollte doch ich deiner nicht vergessen.”
(Is 49,15)

Maria ist unsere Mutter, nicht zwar dem Leib nach, - wie schon gesagt, - sondern durch ihre Liebe. „Ich bin die Mutter der schönen Liebe» (Spr 24,24) Also die Liebe allein schon, die sie zu uns trägt, macht sie zu unserer Mutter, und deswegen rühmt sie sich, sagt ein Schriftsteller, die Mutter der schönen Liebe zu sein; denn ganz Liebe ist sie gegen uns, die sie zu ihren Kindern angenommen hat. Wer aber vermöchte die Liebe, die Maria zu uns Elenden trägt, zu erklären? Arnold von Chartres sagt: „Beim Tod Jesu Christi verlangte die seligste Jungfrau mit unermeßlicher Glut zugleich mit ihrem Sohn aus Liebe zu uns zu sterben.” Eben dies bezeugt der hl. Ambrosius mit den Worten: „Gleich ihrem Sohn, der sterbend am Kreuz hing, bot sich auch Maria den Henkern dar, ihr Leben für uns hinzugeben.”

Erwägen wir nun die Ursachen dieser Liebe; denn so werden wir besser verstehen, wie sehr uns diese gute Mutter liebt.


Die erste Ursache der großen Liebe Mariens zu den Menschen ist ihre große Liebe zu Gott. Die Liebe Gottes und die Liebe zum Mitmenschen gehören ein und demselben Gebot an, wie der hl. Johannes schreibt: „Dieses Gebot haben wir von Gott, daß wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe.” Und in dem Maß, als die eine wächst, nimmt auch die andere zu. Was haben die Heiligen, da sie Gott so sehr liebten, nicht alles aus Nächstenliebe getan? Gingen sie doch so weit, Freiheit und Leben für des Nächsten Heil zu opfern und zu verlieren.

Wir lesen von dem hl. Franz Xaver, daß er in Indien, um die Seelen jener Barbaren zu retten, Gebirge erklomm und sich tausend Gefahren aussetzte, um die Unglücklichen in ihren Höhlen, wo sie nach Art wilder Tiere lebten, zu suchen und Gott zuzuführen. Der hl. Franz von Sales setzte sich für Bekehrung der Ketzer der Provinz Chablais ein ganzes Jahr lang der Gefahr aus, täglich auf einem mit Eis bedeckten Balken, an den er sich mit Händen und Füßen anklammern mußte, über den Fluß zu kommen, um an dem anderen Ufer den verstockten Ketzern zu predigen. Der hl. Paulinus machte sich zum Sklaven, um dem Sohn einer armen Witwe die Freiheit zu erlangen. Der hl. Fidelis wollte unter dem Predigen sein Leben lassen, um die Ketzer eines Dorfes für Gott zu gewinnen. Weil also diese Heiligen Gott so sehr liebten, darum vermochten sie auch aus Nächstenliebe so Großes zu vollbringen.

Wer aber hat Gott mehr geliebt als Maria? Sie liebte schon im ersten Augenblick ihres Lebens Gott mehr als alle Engelund alle Heiligen während ihres ganzen Lebenslaufes, wie wir später ausführlich betrachten werden, wenn ich von den Tugenden Mariens

handeln werde. Die heiligste Jungfrau selber hat der Schwester Maria Crucifixa geoffenbart, daß das Feuer der Liebe, von dem sie zu Gott erglühte, so groß war, daß wäre der ganze Himmel und die Erde in dasselbe gestellt worden, sie im Augenblick verzehrt worden wären; darum sei im Vergleich zu diesem Feuer alle Glut der Seraphim wie ein Hauch der frischen Luft. Wie also von allen seligen Geistern keiner Gott mehr liebt als Maria, so haben wir auch niemanden und können auch niemanden haben, der nächst Gott uns mehr liebte als diese unsere liebevollste Mutter. Und wenn auch die Liebe aller Mütter zu ihren Kindern, aller Verlobten zu ihren Bräuten und aller Heiligen und Engel zu ihren Verehrern vereinigt würde, so könnte sie doch die Liebe nicht erreichen, die Maria zu einer jeden einzelnen Seele trägt. Pater Nieremberg sagt, die Liebe aller Mütter zu ihren Kindern ist ein Schatten im Vergleich zu jener, die Maria zu einem jeden von uns hat; sie allein liebt uns weit mehr als alle Engel und Heiligen miteinander uns lieben.


Eine weitere Ursache, warum unsere Mutter uns so sehr liebt, ist, weil wir ihr von ihrem geliebten Jesus als Kinder übergeben wurden, da Er vor seinem Tod zu ihr sprach: „Frau, siehe hier deinen Sohn!”, indem Er, wie wir oben betrachtet haben, in der Person des hl. Johannes uns alle bezeichnete. Das waren die letzten Worte, die ihr Sohn zu ihr sprach. Die letzten Erinnerungen, die geliebte Personen uns zurücklassen, werden besonders teuer gehalten und schwinden nicht mehr aus dem Gedächtnis. Noch mehr aber sind wir die so teueren Kinder Mariens, weil wir sie so viele Schmerzen gekostet haben. Die Mütter pflegen jene Kinder viel mehr zu lieben, die am Leben zu erhalten, mehr Mühe und Schmerz gekostet hat. Wir sind die Kinder, für die Maria, um ihnen das Leben der göttlichen Gnade zu erlangen, die Qual zu leiden hatte, selber das kostbare Leben ihres Sohnes dem Tod zu weihen und einzuwilligen, daß sie vor ihren Augen Ihn durch die Gewalt seiner Marter für uns sterben sehe. Durch dieses große Opfer Mariens sind wir zum Leben der göttlichen Gnade wiedergeboren. Darum sind wir ihr so teuere Kinder, da wir sie solche Sorgen gekostet haben. Wie von der Liebe des ewigen Vaters geschrieben steht, die Er den Menschen in der Hingabe seines Sohnes in den Tod für uns erwiesen hat: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß Er seinen eingeborenen Sohn hingegeben”, (Jo 3,16) so kann man auch nach dem hl. Bonaventura von Maria sagen: „So sehr hat uns Maria geliebt, daß sie ihren eingeborenen Sohn für uns hingegeben hat.” Und wann hat sie Ihn für uns hingegeben?

„Sie hat Ihn hingegeben,” sagt Pater Nieremberg, „fürs erste, als sie Ihm die Erlaubnis gab, für uns in den Tod zu gehen. Sie gab Ihn hin, da sie allein das Leben ihres Sohnes vor den Richtern genügend hätte verteidigen können, während die anderen aus Haß oder Furcht es unterließen; denn es ist wohl glaubhaft, daß die Worte einer so weisen und für ihr Kind so zärtlichen Mutter einen großen Eindruck gemacht hätten, wenigstens auf Pilatus, um ihn zurückzuhalten, einen Menschen, den er selbst für unschuldig erkannt und erklärt hatte, zum Tod zu verurteilen. Aber nein! Maria wollte kein Wort zu Gunsten ihres Sohnes sprechen, um seinen Tod nicht zu verhindern, von dem unser ewiges Heil abhing.

Sie gab Ihn hin, tausend und tausendmal am Fuß des Kreuzes in jenen drei Stunden, die sie beim Tod ihres Sohnes zugegen war; denn da tat sie nichts anderes, als jeden Augenblick in einem Übermaß von Schmerz und Liebe zu uns das Leben ihres Sohnes mit so großer Standhaftigkeit aufzuopfern, daß, wie die hl. Anselm und Antonin sagen, wenn die Schergen gemangelt hätten, sie selber ihren Sonn aus Gehorsam gegen den himmlischen Vater gekreuzigt hätte, der wollte, daß Er für unser Heil den Tod erleide. Und wenn schon Abraham eine ähnliche Tat heldenmütiger Stärke vollbrachte, indem er mit eigenen Händen seinen Sohn zu opfern bereit war, müssen wir nicht annehmen, es würde dies Maria, die heiliger und gehorsamer als Abraham war, gewiß mit größerer Standhaftigkeit getan haben?”

Doch kehren wir zu unserem Thema zurück! O wie dankbar gegen Maria wir für ihre Tat so großer Liebe sein sollten, für das Opfer des Lebens ihres Sohnes, das sie unter so großen Schmerzen gebracht hat, um uns allen das Heil zu erwerben! Der Herr vergalt reichlich dem Abraham das Opfer seines Isaak, das zu bringen, er schon bereit war; aber wir - wie können wir Maria vergelten für das Leben ihres Jesus, das sie für uns hingegeben hat, eines Sohnes, der weit edler war und von ihr weit mehr geliebt, als Abraham seinen Sohn liebte? „Diese Liebe Mariens,” sagt der hl. Bonaventura, „verpflichtet uns zu großer Gegenliebe, da wir sehen, wie sie mehr als jeder andere uns geliebt, indem sie ihren einzigen Sohn, den sie mehr als sich selber liebte, uns schenkte.”


Hieraus ergibt sich der weitere Grund, warum Maria uns so sehr liebt; sie sieht nämlich, daß wir der Preis des Todes Jesu Christi sind. Wüßte eine Mutter einen Sklaven, den ihr einziger, geliebter Sohn um den Preis zwanzigjähriger Gefangenschaft und Not losgekauft, wie hoch würde sie schon in Anbetracht dessen diesen Sklaven achten! Nun aber weiß Maria, daß ihr Sohn nur darum auf die Erde gekommen ist, um uns Elende zu erlösen, wie Er selbst bezeugt:
„Ich bin gekommen, selig zu machen, was verloren war.” (Lk 19,10) Und um uns zu retten, war Er bereit, sein Leben für uns zu geben, indem Er gehorsam wurde bis zum Tod. (Phil 2,8) Würde darum Maria uns nur wenig lieben, so würde sie nur geringe Hochschätzung des Blutes ihres Sohnes als des Preises unseres Heiles an den Tag legen.


Der hl. Nonne Elisabeth wurde geoffenbart, Maria habe von der Zeit an, da sie im Tempel weilte, nichts anderes getan, als zu bitten, Gott wolle bald seinen Sohn herabsenden, die Welt zu erlösen. Um wie viel mehr liebt sie uns jetzt, da wir ihrem Sohn so teuer waren, daß Er sich nicht scheute, uns um einen so hohen Preis zu erkaufen. Und da alle Menschen von Jesus erlöst sind, so liebt und schirmt Maria alle. Der hl. Johannes sah sie bekleidet mit der Sonne: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel. Eine Frau mit der Sonne bekleidet.” (Offb 12,1) Es heißt darum:
„Mit der Sonne bekleidet”, da so wie niemand auf Erden sich vor der Hitze der Sonne bergen kann, „es sich niemand findet, der sich bergen kann vor ihrer Hitze” (Ps 18,7); so lebt auch niemand auf Erden, der der Liebe Mariens beraubt wäre. „Und wer ist imstande die Fürsorge zu begreifen, die diese liebreiche Mutter für uns alle hat!,” sagt der hl. Antonin, Deshalb bietet und schenkt sie allen ihre Barmherzigkeit. „Allen öffnet sie den Schoß ihrer Barmherzigkeit.”

Da unsere Mutter das Heil aller verlangte, hat sie auch zum Heil aller mitgewirkt.
Es ist gewiß, bestätigt der hl. Bernhard, daß Maria für das gesamte Menschengeschlecht Sorge getragen hat. Daher ist die Übung einiger Verehrer Mariens so nützlich, welche, wie Cornelius a Lapide berichtet, den Herrn um jene Gnaden zu bitten pflegen, welche die allerseligste Jungfrau für sie verlangt, indem sie sprechen: Herr, gib mir, was die heiligste Jungfrau Maria für mich begehrt! - „Und mit Recht,” sagt der genannte Schriftausleger, „denn unsere Mutter begehrt für uns größere Güter, als wir selber wünschen können.” Und der fromme Bernhardin von Bustis sagt, daß Maria mehr liebe, uns Gutes zu tun und uns Gnaden zu spenden, als wir begehren, sie zu empfangen. Deswegen wendet der hl. Albert Der Große auf Maria die Worte der Weisheit an: „Sie kommt denen zuvor, die nach ihr verlangen, um zuerst sich ihnen zu offenbaren.” (Wsh 6,14) Maria kommt allen zuvor, die sie suchen, und läßt sich finden, ehe sie gesucht wird.


Und so groß, sagt Richard von St. Viktor, ist die Liebe, die diese gute Mutter zu uns trägt, daß sobald sie unsere Nöte sieht, sie uns sogleich zu Hilfe kommt. „Schneller kommt ihre Liebe uns entgegen, als sie angerufen wird.” Nun, wenn Maria so gütig ist gegen alle, selbst gegen Undankbare und Gleichgültige, die sie nur wenig lieben und nur selten ihre Zuflucht zu ihr nehmen, wieviel lieber wird sie dann gegen solche sein, die sie lieben und häufig anrufen! „Leicht wird sie gesehen von denen, die sie lieben, und wird gefunden von denen, die sie suchen.” „O wie leicht ist Maria von allen,” sagt der hl. Albert Der Große, „zu finden, die sie lieben, und zu finden voll Mitleid und Liebe!” „Ich liebe, die mich lieben,” (Sir 8,17) Obwohl diese liebreichste Herrin alle Menschen wie ihre Kinder liebt, so erkennt und liebt sie doch besonders jene, die eine zärtlichere Liebe zu ihr tragen, wie der hl. Bernhard lehrt. Diese glückseligen Liebhaber Mariens - behauptet der Idiote - empfangen nicht allein ihre Liebe, sondern sogar ihre Liebesdienste. „Ist Maria, die Jungfrau, gefunden, so ist jegliches Gut gefunden; denn sie liebt diejenigen, die sie lieben, ja sie dient sogar denjenigen, die ihr dienen.”

Man liest in der Chronik des Dominikanerordens, daß Bruder Leodat von Montpellier sich dieser Mutter der Barmherzigkeit zweihundertmal des Tages empfohlen habe. Da er nun dem Tod nahe war, sah er plötzlich zu seiner Seite eine Königin von wunderbarer Schönheit, die zu ihm sprach: „Leodat, willst du sterben und zu meinem Sohn und zu mir kommen?” Er antwortete: „Wer bist du denn?” und die seligste Jungfrau erwiderte: „Ich bin die Mutter der Barmherzigkeit. Du hast mich so vielmal angerufen; siehe, nun bin ich gekommen, dich mit mir zu nehmen. Laß uns in den Himmel gehen!” Leodat starb am gleichen Tag, und wir vertrauen, daß er Maria in das Reich der Seligen gefolgt sei.

O süßeste Jungfrau Maria, selig ist, wer dich liebt! Der ehrwürdige, hl. Johannes Berchmans aus der Gesellschaft Jesu pflegte zu sagen: „Wenn ich Maria liebe, so bin ich der Beharrlichkeit sicher und werde von Gott erlangen, was ich begehre.” Darum konnte der fromme Jüngling niemals satt werden, den Vorsatz zu erneuern und oft die Worte innerlich zu wiederholen: „Ich will Maria lieben; ich will Maria lieben.” „ O wie übertrifft diese gute Mutter alle ihre Kinder an Liebe! Mögen diese sie lieben, soviel sie immer können; immer ist Maria noch liebreicher, als die sie lieben,” sagt der hl. Ignatius der Märtyrer.


Mögen sie Maria lieben wie ein hl. Stanislaus Kostka, der diese seine teure Mutter so zärtlich liebte, daß er, von ihr sprechend, jeden Hörer zu ihrer Liebe bewegte. Er bildete zur Ehre ihres Namens sich neue Worte und neue Titel. Er verrichtete keine Handlung, ohne zuvor an ein Bild von ihr sich zu wenden und ihren Segen zu erbitten. Betete er die Tagzeiten, den Rosenkranz oder andere Gebete, so sprach er mit solcher Innigkeit und solchem Ausdruck, als rede er mit Maria von Angesicht zu Angesicht. Hörte er das Salve Regina singen, so war seine Seele und selbst sein Angesicht entflammt. Als er eines Tages mit einem Jesuitenpater ein Bild der allerseligsten Jungfrau besuchte, fragte ihn dieser, wie sehr er Maria liebe? „Mein Pater”, antwortete er, „was kann ich mehr sagen: Sie ist meine Mutter!” Dieser Pater erzählte nachher, der heilige Jüngling habe diese Worte mit so zärtlicher Stimme, Gebärde und solcher Inbrunst ausgesprochen, daß er nicht einem Jüngling, sondern einem Engel glich, der von seiner Liebe zu Maria spricht.

Lieben sie Maria wie der hl. Hermann Joseph, der sie seine geliebte Braut nannte, da er mit dem Namen Bräutigam von Maria selbst geehrt wurde; wie der hl. Philipp Neri, der schon bei dem Gedanken an Maria Trost empfand und sie darum seine Wonne nannte; wie der hl. Bonaventura, der sie nicht nur seine Herrin und Mutter, sondern selbst sein Herznannte, um die Inbrunst seiner Liebe zu offenbaren:

„Sei gegrüßt, meine Herrin, meine Mutter, ja mein Herz und meine Seele.”

Lieben sie Maria wie jener große Verehrer Mariens, der hl. Bernhard, der diese süßeste Mutter so sehr liebte, daß er sie die Räuberin der Herzen nannte. Und um seine brennende Liebe zu ihr auszudrücken, rief er zu Maria: „Hast du nicht mein Herz geraubt?”


Nennen sie Maria ihre Geliebte, wie der hl. Bernhardin von Siena, der sie alle Tage vor einem andächtigen Bild besuchte, um in zärtlichen Liebesseufzern dieser Königin seine Liebe zu erklären. Befragt, wohin er denn jeden Tag gehe, sagte er: „Meine Geliebte zu suchen.”

Lieben sie Maria wie der hl. Aloisius Gonzaga, der beständig von solcher Liebe zu Maria glühte, daß sein Herz schon beim bloßen Klang des süßesten Namens seiner teueren Mutter entbrannte und diese Flamme sein Angesicht rötete, wie alle dies bemerken konnten.

Lieben sie Maria wie ein hl. Franz Solano, der von Liebe zu Maria wie (in heiliger Weise) betört, oftmals vor einem Bild mit Begleitung eines Musikinstrumentes zu singen pflegte, sprechend: „Wie die weltlichen Liebhaber tun, so bringe auch ich meiner geliebten Königin ein Ständchen.”

Lieben sie immerdar Maria, wie so viele ihrer Diener, die nicht wußten, was sie tun sollten, um ihre Liebe zu offenbaren. Pater Johannes von Trexo, aus der Gesellschaft Jesu, frohlockte, sich einen Sklaven Mariens nennen zu dürfen, und zum Beweis, daß er ihr Sklave sei, ging er oft in eine Kirche, sie zu besuchen. Und was tat er dort? Beim Eintritt in die Kirche vergoß er Tränen zärtlichster Liebe zu Maria, die er mit Zunge und Angesicht, tausendmal den Boden küssend, wieder auftrocknete, indem er gedachte, es sei dies das Haus seiner geliebten Herrin. Pater Jakob Martinez, aus derselben Gesellschaft, der wegen seiner Andacht zu Unserer Lieben Frau an ihren Festen von den Engeln in den Himmel geleitet wurde, um die Herrlichkeit ihrer Feier zu schauen, sagte: „Ich möchte alle Herzen der Engel und der Heiligen besitzen, um Maria wie sie zu lieben, und die Lebenstage aller Menschen, um sie alle der Liebe Mariens zu weihen.”


Gelangen sie dahin, Maria zu lieben wie Karl, der Sohn der hl. Birgitta, der sagte, er finde nirgends besseren Trost auf dieser Welt, als in der Gewißheit, wie sehr Maria von Gott geliebt werde. Auch fügte er bei, daß er gern jede Pein auf sich nehmen wollte, um zu verhindern, daß Maria, so dies möglich wäre, auch nur das allerkleinste Teilchen ihrer Größe verliere; ja, könnte er selbst diese Größe besitzen, so würde er auf sie zu Gunsten Mariens, die derselben unendlich würdiger sei, Verzicht leisten.

Wünschen sie, ihr Leben zum Beweis der Liebe zu Maria hinzugeben, wie es Alfons Rodriguez begehrte. Mögen sie endlich dahin gelangen, mit scharfen Eisenspitzen den liebenswürdigen Namen Mariens in ihre Brust einzugraben, wie es der Ordensmann Franziskus Binanzius und Radegundis, die Gemahlin des Königs Chlotar getan, oder mit glühendem Eisen sich diesen geliebten Namen noch tiefer und bleibender in ihr Fleisch brennen, wie es ihre Verehrer Johann Baptist Archinto und Augustin dEspinosa, beide aus der Gesellschaft Jesu, von Liebe gedrängt, gemacht haben.
[Wie viele lassen sich heute mit unheiligen Zeichen tätowieren!]

Sie mögen also tun oder sich zu tun vornehmen, was immer nur einem Liebenden möglich ist, der seine Zuneigung der geliebten Person nach Kräften zu erkennen geben will; nie werden die Liebhaber Mariens dahin gelangen, Maria so zu lieben, wie sie von ihr geliebt sind. „Ich weiß, meine Herrin,” sagt der hl. Petrus Damian, „daß du von allen, die dich lieben, die am meisten Liebende bist, und daß deine Liebe zu uns von keiner anderen Liebe sich übertreffen läßt.” Der ehrwürdige Alfons Rodriguez, aus der Gesellschaft Jesu, kniete einmal zu den Füßen eines Marienbildes; da fühlte er sich von Liebe zur seligsten Jungfrau entbrennen und brach in die Worte aus: „Meine liebenswürdigste Mutter, ich weiß, daß du mich liebst; aber du liebst mich doch nicht so sehr, wie ich dich liebe.” Darauf sprach Maria, gleich als in ihrer Liebe verletzt, aus dem Bild: „Was sagst du, Alfons? Was sagst du? O wieviel größer ist die Liebe, die ich zu dir trage, als jene, die du zu mir trägst! Wisse, daß nicht so groß der Abstand von Himmel und Erde, als zwischen meiner und deiner Liebe ist.”

Mit Recht also ruft der hl. Bonaventura aus: „Selig jene, die das Glück haben, treue und liebende Diener dieser liebreichsten Mutter zu sein!” Ja, denn diese überaus gütige Königin läßt sich nie an Liebe durch ihre Verehrer übertreffen. „Nie wird sie in diesem Wettstreit von uns überwunden werden. Sie vergilt Liebe mit Liebe, und zu den früheren Wohltaten fügt sie immer neue hinzu.”

Maria ahmt hierin unseren liebreichsten Erlöser nach und vergilt durch ihre Gnaden und Gunstbezeigungen jenen, der sie liebt, mit verdoppelter Liebe. Mit dem liebeglühenden hl. Anselm will also auch ich ausrufen: „Möge mein Herz immer brennen und meine ganze Seele sich verzehren von Liebe zu euch, o geliebter Erlöser Jesus Christus und meine teuere Mutter Maria! Da ich aber ohne eueren Beistand euch nicht lieben kann, so gewährt, ich bitte, o Jesus und Maria, gewährt meiner Seele um euerer eigenen, nicht um meiner Verdienste willen die Gnade, daß ich euch liebe, wie ihr es verdient. O Gott, Du Liebhaber der Menschen, Du konntest sterben für deine Feinde, und Du solltest dem, der um die Gnade bittet, Dich und deine Mutter zu lieben, diese Bitte verweigern können?”

Beispiel

Der Pater Auriemma erzählt, daß ein armes Hirtenmädchen Maria so sehr geliebt habe, daß es ihre einzige Freude war, in eine auf einem Berg gelegene, kleine Kapelle Unserer Lieben Frau zu gehen und darin zu verweilen, solange ihre kleine Herde weidete, um zu beten und ihre liebste Mutter zu verehren. Da sie das kleine Muttergottesbild darin ohne Zierde erblickte, suchte sie mit ihrer ärmlichen Handarbeit dieses zu bekleiden. Sie sammelte eines Tages Feldblumen, flocht einen Kranz, stieg auf den Altar und setzte ihn dem Bild auf das Haupt mit den Worten: „Meine Mutter, ich wünschte auf deine Stirn eine Krone von Gold und Edelsteinen zu setzen; da ich aber arm bin, so empfange von mir diese geringe Blumenkrone und nimm sie an als Zeichen meiner Liebe zu dir!” Und so suchte das fromme Kind, seiner geliebten Herrin ständig zu dienen und sie zu ehren. Sehen wir nun, wie diese gute Mutter auch ihrerseits die Besuche und die Zuneigung ihrer Tochter vergolten hat. Diese wurde krank und kam dem Tod nahe. Da wanderten zwei Ordensleute durch die Gegend und rasteten ermüdet unter einem Baum. Der eine schlief, der andere blieb wach; aber beide hatten denselben Traum. Sie sahen eine Schar überaus schöner Jungfrauen, unter denen eine alle anderen an Schönheit und Majestät überragte. Diese nun fragte einer der Ordensleute: „Herrin, wer bist du, und wohin des Weges ziehst du?” - „Ich bin,” sagte sie, „die Mutter Gottes und will mit diesen hl. Jungfrauen im nächsten Dorf ein sterbendes Hirtenmädchen besuchen, die mich so vielmals besucht hat.” Mit diesen Worten verschwand sie.

Hierauf sprachen die beiden Diener Gottes: „Auch wir wollen zu ihr gehen!” Sie machten sich auf den Weg, und als sie das Haus fanden, wo das sterbende Mädchen war, kamen sie in ein kleines Gemach, wo sie es auf Stroh liegend erblickten. Sie grüßten das Mädchen, das zu ihnen sagte: „Brüder, bittet Gott, daß Er euch die Gesellschaft, die bei mir steht, schauen lasse.” Beide fielen sogleich auf die Knie und sahen Maria, die mit einer Krone in der Hand der Sterbenden beistand und sie tröstete. Die hl. Jungfrauen fingen an zu singen, und unter ihrem lieblichen Gesang löste sich die gebenedeite Seele von ihrem Leib. Maria setzte ihr die Krone auf das Haupt, nahm die Seele zu sich und führte sie in den Himmel ein.


Gebet
O Herrin, welche die Herzen raubt, rede ich dich mit dem hl. Bonaventura an, o Herrin, die du durch Liebe und Gunsterweisungen gegen deine Diener die Herzen raubst, nimm dir auch mein elendes Herz, das so sehr dich zu lieben wünscht. Durch deine Schönheit, o Mutter, hast du Gott bewogen, dich zu lieben, und hast Ihn vom Himmel in deinen Schoß herabgezogen; und ich sollte leben, ohne dich zu lieben? Nein! Mit deinem dich so innig liebenden Sohn Johannes Berchmans, aus der Gesellschaft Jesu, spreche ich: „Ich will nimmer ruhen, so lange ich nicht eine zärtliche Liebe zu meiner Mutter Maria habe.” Ich will mir keine Ruhe mehr gönnen, bis ich sicher bin, diese Liebe erlangt zu haben, aber eine standhafte und zärtliche Liebe zu dir, meine Mutter, die du mit so großer Zärtlichkeit mich schon geliebt hast, als ich noch so undankbar gegen dich war. Was wäre aus mir geworden, o Maria, wenn du mich nicht geliebt und nicht so große Erbarmungen mir erlangt hättest? Da du mich also schon geliebt hast, ehe ich dich liebte, um wieviel mehr darf ich jetzt, da ich dich liebe, von deiner Güte hoffen?

Ich liebe dich, meine Mutter, und ich möchte ein Herz haben, das zu lieben vermöchte für alle jene Unglücklichen, die dich nicht lieben. Ich wünschte eine Zunge zu haben, die dich für tausend Zunge loben könnte, um allen Menschen deine Größe, deine Heiligkeit, deine Barmherzigkeit und Liebe zu deinen Verehrern zu verkünden.

Hätte ich Reichtümer, ich wollte sie alle zu deiner Ehre verwenden; hätte ich Untergebene, ich wollte alle zu deinen Verehrern machen. Ich möchte endlich für dich und deine Ehre sogar mein Leben, wenn es nötig wäre, opfern. Ich liebe dich also, meine Mutter; aber zu gleicher Zeit fürchte ich, ich möchte dich nicht lieben; denn ich höre sagen, daß die Liebe den Liebenden der geliebten Person ähnlich macht. „Die Liebe findet entweder oder macht Gleiche.” Da ich mich also dir so unähnlich sehe, so ist das ein Zeichen, daß ich dich nicht liebe. Du bist so rein, ich so unrein! Du bist so demütig, ich so stolz! Du bist so heilig, ich so unheilig! Aber eben dies mußt du bewirken, o Maria; da du mich liebst, mache du mich dir ähnlich! Du hast ja vollkommene Macht, die Herzen umzuwandeln; nimm also das meine und wandle es um. Laß die Welt erkennen, was du für jene, die du liebst, zu tun vermagst. Mache mich heilig; mache mich zu deinem würdigen Kind. Also hoffe ich; also sei es.



Abs. 4 - Maria ist auch die Mutter der reumütigen Sünder

„Ich bin”, erklärte Maria der hl. Birgitta, „nicht allein die Mutter der Gerechten und Schuldlosen, sondern auch der Sünder, wenn diese nur den Willen haben, sich zu bessern.” O wie findet ein reumütiger Sünder, der sich ihr zu Füßen wirft, diese gute Mutter der Barmherzigkeit bereit, ihn zu umarmen, und mehr ihm zu helfen, als jede leibliche Mutter es tun würde! Der hl. Gregor VII. schrieb darüber an die Gräfin Mathilde: „Mache dem Willen zu sündigen ein Ende, und du wirst, ich verspreche es dir unbedenklich, Maria bereitwilliger finden dich zu lieben, als jede leibliche Mutter.”

Wer also ein Kind dieser erhabenen Mutter zu sein verlangt, muß zuerst die Sünde verlassen, und dann erst darf er hoffen, von ihr zum Kind angenommen zu werden. Richard von St. Lorenz bemerkt über die Worte: „Es standen auf ihre Kinder und priesen sie selig”, (Spr 31,28) daß es zuerst heiße „es standen auf” und dann erst „ihre Kinder”; „denn,” sagt er, „wer sich im Stand der Todsünde befindet, ist nicht würdig, das Kind einer so erhabenen Mutter genannt zu werden.” Und auch der hl. Petrus Chrysologus bemerkt: „Wer nicht die Werke seiner Mutter nachahmt, verleugnet seine Abkunft.” Wer die entgegengesetzten Werke von denen Mariens vollbringt, der leugnet durch die Tat, daß er ein Kind Mariens sein will.

Maria ist demütig, er aber will stolz sein; Maria ist rein, er so unrein; Maria voll Liebe, er nährt Haß gegen den Nächsten. Ein Beweis, daß er nicht ein Kind dieser hl. Mutter ist, noch sein will. „Die Kinder Mariens,” bemerkt Richard, „sind ihre Nachahmer in Keuschheit, Demut, Sanftmut, Barmherzigkeit.” Wie aber dürfte einer sich erkühnen, ein Kind Mariens zu sein, der ihr durch sein Leben so sehr mißfällt? Einmal sprach ein Sünder zu Maria: „Zeige, daß du Mutter bist”; aber die allerseligste Jungfrau antwortete ihm: „Zeige dich als Sohn!” Ein anderer rief zu dieser göttlichen Mutter mit den Worten: „Mutter der Barmherzigkeit”; aber Maria entgegnete ihm: „Wenn ihr sündhafte Menschen nach meiner Hilfe begehrt, dann nennt ihr mich Mutter der Barmherzigkeit; doch hört ihr nicht auf, durch eure Sünden mich zu einer Mutter der Trübsal und der Schmerzen zu machen.”


„Verflucht ist von Gott, wer seine Mutter erbittert”; (Sir 3,18) seine Mutter, d.h. Maria, wie Richard bemerkt, Gott verflucht denjenigen, der durch sein schlechtes Leben, oder mehr noch durch seine Verstocktheit das Herz dieser guten Mutter betrübt. [Die Sünden gegen den Hl. Geist werden nicht vergeben. Maria ist die Braut des Hl. Geistes, wer sie lästert, hat keine Fürsprecherin mehr.]

Ich sagte: Durch seine Verstocktheit; denn wenn ein Mensch sich auch nicht schon völlig bekehrt hat, aber doch sich anstrengt, die Sünde zu verlassen, und dazu die Hilfe Mariens anruft, so wird diese Mutter nicht unterlassen, ihm beizustehen und ihn in die Gnade Gottes zurückzubringen. Dies vernahm eines Tages die hl. Birgitta aus dem Mund Jesu Christi selbst, da Er, mit seiner Mutter sprechend, sagte:
„Du verleihst Hilfe dem, der zu Gott sich erheben will, und keinen läßt du ungetröstet von dir.” So lange darum der Sünder verstockt ist, kann ihn Maria nicht lieben; wenn er aber von einer Leidenschaft gefesselt ist, die ihn zum Sklaven der Hölle macht, und wenn er sich dabei doch der seligsten Jungfrau anempfiehlt und mit Vertrauen und Beharrlichkeit um Rettung aus der Sünde zu ihr fleht, so dürfen wir nicht zweifeln, daß diese gute Mutter ihre mächtige Hand ausstrecken, ihn aus den Ketten losmachen und in den Stand des Heiles geleiten wird.


Von der Kirchenversammlung zu Trient ist die Behauptung als Irrlehre verurteilt worden, als seien alle Gebete und Werke, die ein im Stand der Sünde befindlicher Mensch verrichtet, Sünden. Der hl. Bernhard sagt, wenn auch im Mund eines Sünders das Gebet, weil nicht von der Liebe begleitet, nicht schön ist, so ist es doch nützlich und wirksam, um die Sünde zu verlassen. Ähnlich lehrt der hl. Thomas, daß das Gebet des Sünders zwar ohne Verdienst, aber fähig ist, die Gnade der Verzeihung zu erlangen. Diese Fähigkeit, erhört zu werden, beruht nicht auf dem Verdienst des Betenden, sondern auf der göttlichen Güte und den Verdiensten und Verheißungen Jesu Christi, der sagt: „Jeder, der bittet, empfängt.” (Lk 11,10)

Das muß auch von den Gebeten gesagt werden, welche an die göttliche Mutter gerichtet werden. Der hl. Anselm lehrt, wenn die Verdienste des Bittenden nicht bewirken, daß er Erhörung finde, so treten doch die Verdienste der Mutter dafür ein, daß er erhört wird. Auch der hl. Bernhard, mahnt jeden Sünder, Maria zu bitten und großes Vertrauen im Gebet zu ihr zu fassen, denn wenn auch der Sünder selbst das nicht verdient, um was er bittet, so ist es doch Maria um ihrer Verdienste willen gewährt, daß dem Sünder jene Gnaden zuteil werden, um die sie für ihn zu Gott bittet. „Weil du nicht würdig warst, beschenkt zu werden, ist es Maria gegeben worden, auf daß du durch sie empfängst, was immer du erhalten wirst.”

Und weiter lehrt der hl. Bernhard von der Aufgabe einer guten Mutter: Wenn eine Mutter ihre beiden Söhne als Todfeinde wüßte, von denen einer dem anderen nach dem Leben trachtete, was anders würde sie tun, als auf jede Weise sie zu versöhnen? So ist Maria, die Mutter Jesu Christi und die Mutter der Menschen. Wenn sie nun den Sünder als einen Feind Jesu Christi erblickt, so kann sie das nicht ertragen und gibt sich alle Mühe, Frieden zu stiften. „O glückselige Maria, du Mutter des Schuldigen und Mutter des Richters; als die Mutter von beiden kannst du nicht Zwietracht unter deinen Kindern ertragen!”

Diese überaus gütige Herrin verlangt nichts anderes vom Sünder, als daß er ihr sich anempfehle und den Willen habe, sich zu bessern. Wenn Maria zu ihren Füßen einen um Erbarmung flehenden Sünder sieht, so schaut sie nicht auf die Schuld, die er trägt, sondern auf die Gesinnung, in der er kommt. Ist diese gut, und hätte er auch alle Sünden der Welt begangen, so nimmt sie ihn auf, und diese liebreichste Mutter verschmäht es nicht, alle Wunden seiner Seele zu heilen. Sie ist ja die Mutter der Barmherzigkeit nicht bloß dem Namen nach, sondern ist es in Wirklichkeit, und gibt sich als solche durch die Liebe und Zärtlichkeit zu erkennen, mit der sie uns zu Hilfe kommt. Dies offenbarte die allerseligste Jungfrau der hl. Birgitta ausdrücklich mit den Worten: „Wie schuldbeladen auch ein Sünder ist, so bin ich doch alsbald bereit ihn, wenn er umkehrt, anzunehmen. Ich sehe nicht auf die Größe seiner Schuld, sondern auf die Gesinnung, in der er umkehrt, denn ich verschmähe es nicht, seine Wunden zu salben und zu heilen, da ich Mutter der Barmherzigkeit heiße und es in Wahrheit bin.”


Maria ist Mutter der Sünder, die den Willen haben sich zu bekehren. Als Mutter
kann sie nicht anders als Mitleid mit ihnen haben, ja sie fühlt das Elend ihrer Kinder, gleich als wäre es ihr eigenes. Als die kananäische Frau Jesus Christus bat, Er möge ihre Tochter vom Teufel, der sie peinigte befreien, sprach sie: „Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner; meine Tochter wird arg vom bösen Geist geplagt.” (Mt 15,22) Es war aber die Tochter nicht die Mutter, vom Teufel gequält, weshalb sie eigentlich hätte sprechen sollen: Habe Erbarmen mit meiner Tochter! Nicht aber: Erbarme dich meiner! Doch nein! Sie rief: Erbarme dich meiner! Und mit Recht, denn die Mütter fühlen alle Leiden ihrer Kinder als ihre eigenen.

„Ebenso,” sagt Richard von St. Lorenz, „bittet Maria, wenn sie Gott einen Sünder, der zu ihr die Zuflucht nimmt, empfiehlt: Erbarme dich meiner!” Mein Herr, spricht sie, diese im Stand der Sünde lebende Seele ist meine Tochter, und darum habe Erbarmen nicht so sehr mit ihr als mit mir, die ich ihre Mutter bin. O wollte Gott, daß alle Sünder zu dieser süßen Mutter ihre Zuflucht nehmen, sie alle würden sichere Vergebung von Gott erlangen! „ O Maria”, ruft voll Erstaunen der hl. Bonaventura aus, „du nimmst dich des von aller Welt verachteten Sünders mit mütterlicher Liebe an und gibst ihn nicht auf, bis du den Unglücklichen mit seinem Richter versöhnst.” Der Heilige will sagen, so lange der Mensch in der Todsünde bleibt, ist er von allen verabscheut und gemieden, selbst von den leblosen Kreaturen. Das Feuer, die Luft, die Erde möchten ihn bestrafen und Rache nehmen, um dem von ihm verachteten Herrn die Ehre zu erstatten. Wenn aber der Elende zu Maria die Zuflucht nimmt, verstößt sie ihn? Nein, wenn er in der Absicht kommt, ihre Hilfe zur Bekehrung zu erlangen, so nimmt sie mit mütterlicher Liebe sich seiner an und läßt ihn nicht mehr, bis sie durch ihre mächtige Fürsprache ihn mit Gott versöhnt und in seine Gnade zurückbringt.


Im zweiten Buch der Könige (2 Kg 14,5) lesen wir, daß jene weise Frau von Thekua zu David sagte: „Herr, ich hatte zwei Söhne. Zu meinem Unglück hat der eine den anderen getötet, und so habe ich bereits einen Sohn verloren. Nun will aber die Gerechtigkeit mir auch noch den anderen, den einzigen, der mir noch geblieben ist, nehmen. Habe also Mitleid mit mir Armen! Bewirke, daß ich doch nicht alle beide Söhne verliere!” David erbarmte sich dieser Mutter, sprach den Schuldigen frei und schenkte ihn ihr. Dasselbe sagt Maria, wenn sie Gott gegen einen Sünder, der sich ihr anempfiehlt, erzürnt sieht: O mein Gott! Ich hatte zwei Söhne, Jesus und diesen Menschen. Der letztere hat meinen Jesus getötet am Kreuz; nun will deine Gerechtigkeit den Menschen verurteilen. O Herr, mein Jesus ist schon tot, habe also Mitleid mit mir, und da ich den einen Sohn bereits verloren habe, lasse nicht zu, daß ich auch noch den anderen verliere. Ach, gewiß wird Gott jene Sünder nicht verdammen, die zu Maria fliehen und sich ihrer Fürsprache teilhaftig machen; denn Gott selber hat ja diese Sünder Maria als Kinder anbefohlen.

Der fromme Landsperg läßt den Herrn sagen: „Ich habe Maria die Sünder als ihre Kinder übergeben; darum ist sie so besorgt, ihr Amt zu erfüllen und keinen der ihr Anvertrauten, und besonders die sie anrufen, zugrunde gehen zu lassen, sondern alle, wie sie kann, zu mir zurückzuführen.” Und Blosius ruft aus: „Wer vermag die Güte, Barmherzigkeit, Treue und Liebe zu beschreiben, mit der diese Mutter uns zu retten sucht, wenn wir sie um Hilfe bitten?”

Werfen wir uns also vor dieser guten Mutter nieder, so schließe ich mit dem hl. Bernhard, umschlingen wir ihre hl. Füße und verlassen wir sie nicht, bis sie uns segnet und so zu ihren Kindern annimmt. Wer könnte an der Liebe dieser guten Mutter zweifeln? „Auch wenn sie mich töten sollten”, sagt der hl. Bonaventura, „will ich auf sie hoffen, und voll Vertrauen wünsche ich, neben ihrem Bild zu sterben, und ich werde selig sein.” So soll jeder Sünder sprechen, der zu dieser mitleidsvollen Mutter seine Zuflucht nimmt: „O meine Herrin und meine Mutter! Durch meine Sünden verdiene ich, von dir verstoßen und nach Gebühr gezüchtigt zu werden; aber selbst wenn du mich zurückweisen und mich sterben lassen würdest, so werde ich das Vertrauen nicht verlieren, da es deine Sache ist, mich zu retten. Auf dich vertraue ich ganz und gar, und sollte mir beschieden sein, vor deinem Bild und unter Anrufung deiner Barmherzigkeit zu sterben, so habe ich die Hoffnung nicht verloren, sondern hoffe in den Himmel einzugehen, um vereint mit so vielen deiner Diener dich zu preisen, die dich im Sterben um deinen Beistand angerufen und durch deine mächtige Vermittlung das Heil erlangt haben.”

Man lese das folgende Beispiel, um zu sehen, wie kein Sünder je an der Barmherzigkeit und Liebe dieser guten Mutter verzweifeln darf, wenn er zu ihr seine Zuflucht nimmt.

Beispiel

Vinzenz von Beauvais erzählt, daß um das Jahr 1430 in einer Stadt Englands ein adeliger Jüngling, namens Ernst, sein ganzes Vermögen an die Armen verteilt und dann als Mönch in einem Kloster so vollkommen gelebt habe, daß die Oberen ihn besonders wegen seiner ausgezeichneten Andacht zur allerseligsten Jungfrau sehr schätzten. Da geschah es, daß in jener Stadt die Pest ausbrach. Die Bürger wandten sich an das Kloster um Hilfe des Gebetes. Da befahl der Abt dem Ernst, er solle vor dem Muttergottesaltar beten und nicht mehr weggehen, bis Maria ihn erhören würde. Der Jüngling verharrte dort drei Tage; endlich erhielt er von Maria zur Antwort, daß bestimmte Andachten gehalten werden sollen. Das geschah, und die Pest hörte auf. In der Folge erkaltete jedoch der junge Mann in seiner Andacht zu Maria, und der Teufel bestürmte ihn mit vielen Versuchungen, besonders gegen die Reinheit und zur Flucht aus dem Kloster. Da nun der Unglückliche es unterließ, sich Maria zu empfehlen, ging er auf den Gedanken ein, zu fliehen und über die Mauer des Klosters zu klettern. Es führte ihn der Weg an einem Bild Mariens im Klostergang vorüber, und da sagte die Mutter Gottes zu ihm: „Mein Sohn, warum willst du mich verlassen?” Bestürzt und voll Reue warf sich Ernst zu Boden und sagte: „Aber, meine Herrin, siehst du nicht, daß ich nimmer länger widerstehen kann? Warum hilfst du mir nicht?” Da antwortete die Mutter Gottes: „Warum hast du mich nicht angerufen? Hättest du dich mir anbefohlen, dann wärst du nicht soweit gekommen. Von nun an befiehl dich mir und zweifle nicht.” Ernst kehrte in seine Zelle zurück; aber die Versuchungen kamen wieder. Auch jetzt dachte er nicht daran, sich Maria zu empfehlen, und zuletzt floh er aus dem Kloster und ergab sich einem sehr schlechten Wandel, bis er, von einem Verbrechen in das andere fallend, zuletzt ein Mörder wurde. Er nahm eine Herberge zur Miete, in der er des Nachts die unglücklichen Reisenden ermordete. Unter anderem tötete er eines Nachts den Neffen des Stadthauptmannes, der nach entdeckter Tat ihm den Prozeß machen und den Mörder zum Galgen verurteilen wollte.

Noch war der Prozeß nicht eingeleitet, als ein junger Edelmann in der Herberge einkehrte, und der ruchlose Gastwirt über ihn den gewohnten Entschluß faßte. Er schlich nachts in das Gemach, ihn zu ermorden; doch siehe! Auf dem Bett erblickte er nicht den Edelmann, sondern ein mit Wunden bedecktes Kruzifix, das ihn mitleidig anschauend sagte: „Ist es dir nicht genug, du Undankbarer, daß ich einmal für dich gestorben bin? Willst du noch einmal mir das Leben nehmen? Wohlan, strecke deine Hand aus und töte mich!” Da fing der arme Ernst bestürzt zu weinen an und sagte: „Mein Herr, da du mir so große Barmherzigkeit erzeigst, siehe, so will ich zu dir zurückkehren.” Sogleich verließ er das Gasthaus, um nach seinem Kloster zurückzugehen und dort Buße zu tun. Aber auf dem Weg wurde er von den Dienern der Gerechtigkeit ergriffen und vor den Richter gebracht, dem er alle seine Mordtaten gestand. Dafür wurde er zum Strang verurteilt, ohne daß ihm Zeit zum Beichten gelassen wurde. Da nun empfahl er sich Maria. Schon war er an den Galgen geknüpft; aber Maria bewirkte, daß er nicht starb. Sie selbst löste den Strick und sagte zu ihm: „Kehre zum Kloster zurück; tue Buße, und wenn du in meiner Hand den Freibrief von deinen Schulden erblicken wirst, dann bereite dich zum Tod.” Ernst kehrte zurück, erzählte alles seinem Abt und tat große Buße. Nach vielen Jahren sah er in der Hand Mariens den verheißenen Freibrief. Alsbald machte er sich bereit zu sterben und nahm ein heiliges Ende.


Gebet
O meine mächtigste Königin und würdigste Mutter meines Gottes, heiligste Maria! Ich fühle mich so unwürdig und schuldbeladen, daß ich nicht wagen sollte, dir zu nahen und dich meine Mutter zu nennen. Doch soll mein Elend mich nicht des Trostes und der Zuversicht berauben, die ich empfinde, so Mutter ich dich nenne. Ich weiß, daß ich verdiene, von dir verstoßen zu werden; aber ich bitte, sieh an, was Jesus, dein Sohn, für mich getan und gelitten hat, und dann verstoße mich, wenn du kannst. Ich bin ein armer Sünder, der mehr als andere die göttliche Majestät verachtet hat; aber das Übel ist geschehen. Nun nehme ich meine Zuflucht zu dir. Du kannst helfen, meine Mutter.

Hilf mir; sage nicht, du kannst mir nicht helfen; denn ich weiß, daß du allmächtig bist und alles erlangst, was du von deinem Gott begehrst. Solltest du mir deine Hilfe verweigern, so sage wenigstens, zu wem ich fliehen soll, um für so großes Unglück Erleichterung zu finden. Mit dem hl. Anselm rufe ich zu dir und zu deinem Sohn: „Entweder erbarmt euch des Elenden, du, mein Erlöser, durch Verschonung, du, meine Mutter, durch deine Vermittlung, oder zeigt mir, wer mitleidsvoller ist, zu dem ich fliehen und auf den ich mehr vertrauen könnte.” Nein! Weder im Himmel noch auf Erden kann ich jemanden finden, der mit den Elenden größeres Mitleid hätte, der besser als ihr mir helfen könnte. Du, o Jesus, sei mein Vater und du, Maria, sei meine Mutter. Ihr liebt die Unglücklichsten und sucht sie auf, sie zu retten. Ich habe die Hölle verschuldet und bin der Elendeste von allen; aber ihr habt nicht nötig, mich zu suchen; ich mache darauf keinen Anspruch; ich stelle mich selbst euch vor in fester Hoffnung, daß ich von euch nicht verlassen bleibe. Seht mich hier zu euren Füßen! Mein Jesus, Vergebung! Maria, komm mir zu Hilfe!
[Die Anrufung zur Mutter der Barmherzigkeit wirkt gewaltig bei Besessenheit.]

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  2. Kap. - Unser Leben, unsere Süßigkeit

Abs. 1 - Maria ist unser Leben, weil sie uns Verzeihung der Sünden erlangt

Um es gut zu verstehen, aus welchem Grund die hl. Kirche uns Maria unser Leben nennen läßt, muß man wissen, daß gleichwie die Seele dem Körper, so die göttliche Gnade der Seele das Leben gibt. Eine Seele ohne Gnade hat nur den Namen, daß sie lebe, aber in Wahrheit ist sie tot, wie es in der geheimen Offenbarung heißt:
„Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot.”
(Offb 3,1) Indem also Maria durch ihre Vermittlung den Sündern die Gnade erwirbt, gibt sie ihnen das Leben. Hören wir, welche Worte die hl. Kirche Maria in den Mund legt, indem sie folgende Stelle aus den Sprichwörtern auf sie anwendet: „Wer mich sucht, wird mich finden.” (Spr 8,17) Jene Eifrigen, die schon am frühesten Morgen zu mir ihre Zuflucht nehmen, sobald nämlich, als sie nur können, diese werden mich sicher finden. „Sie werden mich finden”, oder nach der Septuaginta: „Sie werden die Gnade finden.” Es ist also dasselbe, zu Maria seine Zuflucht nehmen und die Gnade Gottes wiederfinden.
„Wer mich findet, findet das Leben, und schöpft das Heil vom Herrn.”
(Spr 8,35) „Hört”, ruft der hl. Bonaventura bei diesen Worten aus, „hört es, die ihr nach dem Reich Gottes trachtet! Ehrt die allerseligste Jungfrau Maria, und ihr findet das Leben und das ewige Heil.”

Der hl. Bernhardin von Siena lehrt, daß Gott den Menschen nach dem Sündenfall wegen der besonderen Liebe zu dieser seiner künftigen Tochter verschont habe. Auch hält es der Heilige für gewiß, daß Gott alle Erbarmung und Sündenvergebung im alten Bund den Menschen nur im Hinblick auf die gebenedeite Jungfrau erteilt habe. Mit Recht ermahnt uns darum der hl. Bernhard: „Suchen wir die Gnade, aber suchen wir sie durch Maria.” Haben wir Elende die Gnade verloren, so suchen wir doch, sie wieder zu erlangen; aber suchen wir sie durch die Vermittlung Mariens; denn haben wir sie verloren, so hat sie diese wieder gefunden. Darum nennt sie der Heilige „Finderin der Gnaden.” Dieses drückte zu unserem Trost der hl. Erzengel Gabriel aus, da er zur allerseligsten Jungfrau sprach: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast die Gnade gefunden.” (Lk 1,30)

Da Maria aber niemals der Gnade beraubt war, wie konnte der Erzengel sagen, daß sie dieselbe wieder gefunden habe? Man nennt nur jene Sache wieder gefunden, die man nicht mehr hatte. Die seligste Jungfrau aber war immerdar mit Gott und der Gnade vereinigt, ja, sie war voll der Gnade, wie dies der Erzengel bezeugte, indem er sie grüßte: „Gegrüßet seist du, Gnadenvolle, der Herr ist mit dir.” Wenn also Maria nicht für sich selbst die Gnade wieder finden konnte, da sie ja immer damit erfüllt war, für wen denn hat sie diese gefunden?

Der Kardinal Hugo antwortet in seiner Erklärung dieser Stelle: „Sie hat die Gnade gefunden für die Sünder, die sie verloren hatten. Sie mögen also eilen, sagt dieser fromme Schriftsteller, sie mögen eilen zu dieser Jungfrau, die Sünder, welche die Gnade durch ihre Schuld verloren haben, und sie werden sicher dieselbe bei ihr wieder finden. Sie mögen voll Vertrauen sprechen: Gib uns unser Eigentum zurück, das du gefunden hast.” Richard von St. Lorenz zieht aus demselben Gedanken den Schluß: Wenn wir die Gnade des Herrn zu finden wollen, gehen wir zu Maria, die sie gefunden hat, und die sie immer findet. Und da sie Gott immer wohlgefällig war und es immer sein wird, so werden wir, wenn wir zu ihr unsere Zuflucht nehmen, sicher die Gnade finden. Maria selbst spricht es aus im Hohenlied, Gott habe sie in diese Welt gestellt, um unsere Verteidigung zu sein. „Ich bin eine Mauer und meine Brüste sind wie Türme.”
(Hl 8,10) Sie ist also zur Friedensmittlerin zwischen Gott und den Sünder bestellt. „Ich bin vor Gott geworden die, welche den Frieden findet» Bei der Erklärung dieser Worte spricht der hl. Bernhard dem Sünder Mut zu mit den Worten: „Gehe zur Mutter der Barmherzigkeit, und zeige ihr die Wunden, die du durch deine Schuld in der Seele trägst, sie wird dann gewiß ihren Sohn bitten, bei der Milch, die sie Ihm reichte, daß Er dir verzeihe; und der Sohn, der sie so sehr liebt, wird sie gewiß erhören.” Und in der Tat will auch die hl. Kirche, daß wir den Herrn bitten, Er möge uns den mächtigen Beistand der Fürsprache Mariens gewähren, um von unseren Sünden aufzustehen. „Barmherziger Gott, schenke unserer Gebrechlichkeit eine Stütze, auf daß wir, die wir das Gedächtnis der heiligsten Gottesgebärerin feiern, durch Hilfe ihrer Fürbitte von unseren Sünden erstehen mögen.”

Mit Recht nennt darum der hl. Laurentius Justinianus Maria „die Hoffnung der Übeltäter.”; denn sie allein ist es, die ihnen von Gott Verzeihung erlangt. Mit Recht nennt der hl. Bernhard sie „Die Leiter der Sünder;” denn sie, die mitleidsvolle Königin, ist es, die den armen Gefallenen die Hand reicht, sie aus dem Abgrund der Sünde herausreißt und bewirkt, daß sie wieder zu Gott sich erheben.

Mit Recht nennt sie der hl. Augustinus die einzige Hoffnung für uns Sünder; denn nur durch ihre Vermittlung können wir Nachlaß all unserer Sünden erhoffen. Und ebenso lehrt auch der hl. Johannes Chrysostomus, daß einzig durch die Vermittlung Mariens die Sünder Verzeihung erlangen, und im Namen aller Sünder grüßt dieser Heilige Maria mit den Worten: „Sei gegrüßt du Mutter Gottes und unsere Mutter, du Himmel, in dem Gott selber wohnt, du Thron, auf dem der Herr alle Gnaden spendet. Bitte Jesus allezeit für uns, damit wir durch deine Fürbitte Verzeihung erlangen können am Tag der Rechenschaft und die Herrlichkeit der Seligen in der Ewigkeit.”


Mit Recht endlich wird Maria die Morgenröte genannt. „Wer ist die, welche aufsteigt wie die anbrechende Morgenröte?” (Hl 6,9) Papst Innocenz III. sagt: „Da die Morgenröte das Ende der Nacht und der Anfang des Tages ist, so wird die Jungfrau Maria mit Wahrheit durch die Morgenröte bezeichnet, die den Lastern ein Ende macht.” Und die gleiche Wirkung, die durch die Geburt Mariens in der Welt entstand, bringt nun die Andacht zu ihr in der Seele hervor. Sie beendet die Nacht der Sünde und bewirkt, daß die Seele auf dem Weg der Tugend voranschreitet. Deshalb sagt der hl. Germanus zu ihr: „O Mutter Gottes, dein Schutz gibt Unsterblichkeit, deine Fürbitte ist das Leben.” Und in der Rede, die der Heilige über den Gürtel der heiligsten Jungfrau hielt, sagt er, daß der Name Maria für den, der ihn mit Liebe ausspricht, entweder ein Zeichen des Lebens sei, oder daß er in Bälde das Leben besitzen werde.

Maria sagte in ihrem Lobgesang: „Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter.” (Lk 1,48)„Ja, meine Herrin”, sagt der hl. Bernhard, „deswegen werden dich alle Menschen selig preisen, weil alle deine Diener durch deine Vermittlung das Leben der Gnade und die ewige Herrlichkeit erlangen.” Durch dich finden die Sünder die Verzeihung und die Gerechten die Beharrlichkeit und schließlich das ewige Leben. „Verliere das Vertrauen nicht, o Sünder”, sagt der fromme Bernhardin von Bustis, „auch wenn du alle Sünden begangen hättest, dann fliehe voll Zuversicht zu dieser Herrin; denn du wirst sie finden die Hände voll Barmherzigkeit”, und fügt er hinzu: „Mehr verlangt Maria dir Gnaden zu verleihen, als du verlangst, sie zu empfangen.”

Der hl. Andreas von Kreta nennt Maria die Bürgschaft unserer Aussöhnung mit Gott, das will sagen: Unter der Bedingung, daß die Sünder an Maria sich wenden, um mit Gott versöhnt zu werden, verspricht ihnen Gott gewisse Vergebung und gibt ihnen zur Sicherheit sogar ein Unterpfand. Dieses Unterpfand aber ist Maria, die Gott uns zur Fürsprecherin gegeben hat, durch deren Vermittlung Er in Kraft der Verdienste Jesu Christi allen Sündern, die zu ihr Zuflucht nehmen, Verzeihung erteilt. Die hl. Birgitta vernahm von ihrem Engel, wie die hl. Propheten in der Gewißheit frohlockten, daß Gott um der Demut und Reinheit Mariens willen sich mit den Sündern, die seinen Zorn herausgefordert hatten, versöhnen und sie in seine Gnade aufnehmen will.

Kein Sünder darf fürchten von Maria verstoßen zu werden, wenn er zu ihrer Milde die Zuflucht nimmt. Nein! Sie ist eine Mutter der Barmherzigkeit, und als solche verlangt sie, die Elendesten zu retten. Maria ist nach dem hl. Bernhard jene glückliche Arche, in der den Schiffbruch des ewigen Verderbens nicht erfahren wird, wer dahin seine Zuflucht nimmt. In der Arche Noes wurden zur Zeit der Sündflut selbst die Tiere gerettet; so finden unter dem Mantel Mariens auch die Sünder ihr Heil. Die hl. Gertrud sah eines Tages Maria mit weit geöffnetem Mantel, unter welchen viele wilde Tiere, Löwen, Bären, Tiger sich geflüchtet hatten, und sie sah, wie Maria sie nicht nur nicht verscheuchte, sondern mit großer Liebe aufnahm und liebkoste. Die Heilige erkannte daraus, daß gerade jene Sünder, die dem Verderben am nächsten sind, so bald sie zu Maria ihre Zuflucht nehmen, nicht verstoßen, sondern aufgenommen und von dem ewigen Tod gerettet werden. Treten wir also ein in diese Arche, flüchten wir uns unter den Mantel Mariens, sie wird uns gewiß nicht verstoßen und unfehlbar uns retten.

Beispiel

Pater Bovio erzählt von einer Frau, namens Helena, die einen schlechten Lebenswandel führte, daß sie einmal in einer Kirche zufällig eine Predigt über den Rosenkranz hörte. Sie kaufte sich darauf einen Rosenkranz, den sie heimlich trug, damit ihn niemand sehe. Sie fing an, ihn zu beten, und obwohl sie dies ohne Andacht tat, so flößte ihr dabei die allerseligste Jungfrau doch so viel Trost und Gefallen daran ein, daß sie nicht mehr davon lassen konnte. Zugleich erlangte sie solchen Abscheu vor ihrem schlechten Wandel, daß sie keine Ruhe mehr fand, bis sie wie notgedrungen zur hl. Beichte ging und mit solcher Zerknirschung ihre Sünden bekannte, daß der Beichtvater darüber in Staunen geriet. Danach eilte sie zu den Stufen eines Marienaltars, um ihrer Fürsprecherin zu danken. Sie betete den Rosenkranz, und die göttliche Mutter sprach aus dem Bild zu ihr die Worte: „Helena, lange genug hast du Gott und mich beleidigt; von heute an ändere dein Leben, ich werde dir einen guten Teil meiner Gnaden mitteilen.” Die arme Sünderin erwiderte beschämt: „Ach, heiligste Jungfrau, es ist wahr, daß ich bisher sehr lasterhaft war, doch stehe du mir nun bei, die du alles vermagst. Ich schenke mich dir und will durch mein ganzes übriges Leben für meine Sünden Buße tun.”

Mit der Hilfe Mariens verteilte Helena ihr Hab und Gut an die Armen und begann strenge Buße zu üben, Von schrecklichen Versuchungen gepeinigt, empfahl sie sich unablässig der Mutter Gottes, und so trug sie immer den Sieg davon. Sie kam soweit, daß sie mit vielen selbst außerordentlichen Gaben, Gesichtern, Offenbarungen, begnadet wurde. Bei ihrem Tod, der ihr einige Tage vorher von Maria angekündigt worden war, erschien ihr die allerseligste Jungfrau mit ihrem Sohn. Beim Verscheiden sah man die Seele dieser Sünderin in Gestalt einer schönen Taube zum Himmel schweben.


Gebet
O Mutter meines Gottes, meine einzige Hoffnung Maria, siehe zu deinen Füßen einen armen Sünder, der dich um Barmherzigkeit anfleht. Die ganze Kirche und alle Gläubigen preisen und nennen dich die Zuflucht der Sünder. Sei also auch meine Zuflucht und werde meine Rettung. Du weißt ja, rufe ich dir mit Wilhelm von Paris zu, wie sehr dein Sohn unser Heil liebt. Du weißt, was Jesus Christus gelitten, um mich zu erlösen. Ich stelle dir, o Mutter, alle Leiden deines Jesus vor; die Kälte, die Er geduldet im Stall, die Schritte, die Er getan auf dem Weg nach Ägypten; seine Ermüdung, seinen Schweiß, seine Blutvergießungen, die Todespein am Kreuz, die du selbst mit angesehen. Laß erkennen, wie du diesen Sohn liebst, denn, um der Liebe zu diesem Sohn willen, bitte ich dich, mir zu helfen.

Reiche deine Hand einem Gefallenen, der dich um Erbarmen bittet! Wäre ich heilig, so würde ich nicht deine Erbarmung anflehen; aber ich bin ein Sünder, und darum fliehe ich zu dir, der Mutter der Erbarmungen. Ich weiß, daß dein erbarmungs- reiches Herz Freude darin findet, den Unglücklichen zu helfen, so du helfen kannst, wenn du sie nicht verhärtet siehst. Verschaffe also deinem mitleidigen Herzen diese Freude und tröste mich; denn du hast jetzt Gelegenheit, mich armen, zur Hölle Verdammten, zu retten, und du kannst mir helfen, da ich nicht verstockt sein will. Ich übergebe mich in deine Hände; sage, was ich tun soll, und erlange mir die Kraft, es auszuführen; denn ich nehme mir fest vor, alles zu tun, was ich kann, um in den Stand der Gnade zurückzukehren. Ich flüchte mich unter deinen Mantel. Jesus will, daß ich meine Zuflucht zu dir nehme, damit ich zu deiner und seiner Verherrlichung - denn du bist ja seine Mutter - nicht bloß seinem Blut, sondern auch deiner Fürsprache meine Rettung verdanke. Er schickt mich zu dir, damit du mir beistehst. Siehe also, Maria, ich komme zu dir und auf dich vertraue ich; du bittest für so viele andere, bitte, sprich wenigstens ein Wort auch für mich. Sage zu Gott, du willst mich selig wissen, und Gott wird gewiß mich selig machen. Sage Ihm, daß ich dein bin; nichts anderes verlange ich von dir.
 

Abs. 2 - Maria ist unser Leben auch deshalb,
                           weil sie uns die Beharrlichkeit erlangt

Die Beharrlichkeit bis ans Ende ist eine so große Gabe Gottes, daß sie nach der Erklärung des hl. Konzils von Trient ein reines Gnadengeschenk ist, das von uns nicht verdient werden kann. Aber nach der Lehre des hl. Augustinus erlangen alle von Gott die Gnade der Beharrlichkeit, die Ihn darum bitten, und wie Pater Suarez lehrt, erlangen sie dieselbe unfehlbar, wenn sie bis an das Ende ihres Lebens eifrig bedacht sind, Gott darum zu bitten. Auch der hl. Robert Bellarmin schreibt, daß man Tag für Tag um die Beharrlichkeit bitten müsse, um sie für jeden Tag zu empfangen. Wenn es nun wahr ist, wie ich nach der heutzutage (damals) allgemeinen Meinung für gewiß halte, - was ich später, im sechsten Kapitel beweisen werde -, wenn es wahr ist, sage ich, daß alle Gnaden, die von Gott uns erteilt werden, durch die Hand Mariens gehen; so ist es auch wahr, daß wir nur durch die Vermittlung Mariens die größte Gnade, die der Beharrlichkeit, hoffen und erlangen können. Und gewiß werden wir sie dann erhalten, wenn wir beständig Maria mit Vertrauen darum bitten. Diese Gnade verheißt sie selber allen, ihr treu in diesem Leben dienen.
„Wer in mir seine Werke tut, sündigt nicht; die mich ins Licht setzen, erhalten das ewige Leben”,
(Sir 24,30) Worte, welche die hl. Kirche Maria in den Mund legt.


Um im Leben der göttlichen Gnade beharren zu können, bedürfen wir der Kraft des Geistes zum Widerstand gegen alle Feinde unseres Heiles. Aber diese Stärke erlangen wir nur durch die Vermittlung Mariens. „Mein ist die Stärke, durch mich regieren die Könige,” (Spr 8,14) Mein ist die Stärke, sagt Maria, Gott hat diese Gabe in meine Hände gelegt, damit ich sie meinen Verehrern mitteile. Durch mich regieren die Könige, durch meine Vermittlung herrschen meine Diener und gebieten über ihre Sinne und Leidenschaften, und so machen sie sich würdig, ewig im Himmel zu herrschen. O welche Stärke besitzen die Diener dieser großen Herrin, um alle Anfälle der Hölle zu überwinden! Maria ist jener Turm, von dem es im Hohenlied heißt: „Dein Hals ist wie ein Turm Davids, der mit Schutzwehren gebaut ist; tausend Schilde hängen daran, die ganze Rüstung der Starken”; (Hl 4,4) Maria ist zum Schutz derer, die sie lieben und im Kampf zu ihr die Zuflucht nehmen, gleichwie ein starker Turm von Schutzwehren umgeben, in dem ihre Verehrer alle Schilde und Waffen finden, um sich gegen die Hölle zu verteidigen.


Darum auch wird die allerseligste Jungfrau eine Platane genannt. „Ich wachse wie eine Platane am Wasser.”
(Sir 24,19) Kardinal Hugo erklärt, daß die Blätter der Platane Ähnlichkeit mit einem Schild haben. Es ist also damit der Schutzangedeutet, welchen Maria jenen, die sie anrufen, gewährt. Der sel. Amadeus gibt eine andere Erklärung, wenn er sagt, Maria wird eine Platane genannt, weil gleichwie die Platane unter dem Schatten ihrer Äste dem Wanderer Schutz gegen Sonnenhitze und Regengüsse bietet, ebenso finden die Menschen unter dem Mantel Mariens Zuflucht vor der Hitze der Leidenschaften und der Wut der Versuchungen.

Unglückliche Seelen, die sich von dieser Schutzwehr entfernen und aufhören, Maria zu verehren und in Gefahren anzurufen! Wenn in der Welt die Sonne nicht mehr aufginge, sagt der hl. Bernhard, was würde aus ihr werden, wenn nicht ein Durcheinander von Finsternis und Schrecken? „Nimm die Sonne hinweg, was bleibt übrig als Finsternis?” Verliert eine Seele die Andacht zu Maria, so ist sie sogleich voll Finsternis, jener Finsternis nämlich, von welcher der Hl. Geist sagt: „Du machst Finsternis und es wird Nacht; darin gehen alle Tiere des Waldes umher.” (Ps 103,20) Wenn in einer Seele das göttliche Licht nicht mehr leuchtet und es Nacht wird in ihr, so wird sie ein Aufenthaltsort aller Sünden und aller Teufel. „Wehe”, ruft darum der hl. Anselm aus, „wehe denen, die das Licht dieser Sonne, d. h. die Andacht zu Maria, verachten!”


Mit Recht fürchtete der hl. Franz Borgia für die Beharrlichkeit jener, bei denen er keine besondere Andacht zur allerseligsten Jungfrau erblickte. Einmal fragte er die Novizen, zu welchem Heiligen sie eine besondere Verehrung hätten, und da er bemerkte, daß einige von ihnen keine besondere Andacht zu Maria hatten, machte er den Novizenmeister aufmerksam, daß er ein wachsames Auge auf diese Unglücklichen haben möge. Und in der Tat, alle diese hatten das Unglück, ihre Berufung zu verlieren; sie verließen den Orden. Darum konnte mit Recht der hl. Germanus die seligste Jungfrau das Atemholen der Christen nennen; denn wie der Leib nicht leben kann, ohne zu atmen, so kann die Seele nicht am Leben bleiben, ohne Maria anzurufen und ihr sich zu empfehlen, durch deren Vermittlung wir sicher das Leben der göttlichen Gnade erlangen und in uns bewahren. „Gleichwie das Atemholen nicht bloß ein Zeichen des Lebens, sondern seine Ursache ist, so ist auch der Name Mariens im Mund der Diener Gottes nicht allein der Beweis, daß sie das wahre Leben besitzen, sondern auch die Ursache und die Erhaltung dieses Lebens, und jegliche Hilfe wird ihnen durch die Anrufung dieses Namens zuteil.” Der sel. Alanus a Rupe wurde eines Tages von einer heftigen Versuchung bestürmt und war schon am Punkt zu fallen, weil er sich Maria nicht anempfohlen hatte. Da erschien ihm aber die allerseligste Jungfrau und gab ihm, um ihn vorsichtiger zu machen, einen Backenstreich mit den Worten: „Hättest du dich mir anempfohlen, so wärst du nicht in die Gefahr gekommen.”

Maria ruft uns zu: „Glückselig der Mensch, der mich hört und der an meiner Tür Tag für Tag wacht, und wacht an der Schwelle meiner Tür.” (Spr 8,34) Glückselig, wer meine Stimme hört und deshalb darauf bedacht ist, unablässig an die Pforte meiner Barmherzigkeit zu kommen, um Licht und Beistand zu suchen. Gewiß wird Maria bedacht sein, Erleuchtung und Stärke einem solchen Verehrer zu erlangen, auf daß er die Sünden meide und den Weg der Tugend wandle. Deshalb nennt sie Papst Innocenz III. mit einem schönen Ausdruck: „Mond bei der Nacht, Morgenrot in der Dämmerung, Sonne am Tag.” Mond ist sie für den, der blind in der Nacht der Sünde sich befindet, um ihn zu erleuchten, damit er den unglücklichen Stand der Verdammnis, in dem er sich befindet, erkenne; Morgenrot, das dem Aufgang der Sonne vorangeht, ist sie für den, der bereits erleuchtet ist, um ihm die Kraft zu geben, die Sünde zu verlassen und in den Stand der Gnade zurückzukehren; Sonne endlich ist Maria für solche, die sich bereits im Stand der Gnade befinden, damit sie nicht wieder in irgendeinen Abgrund fallen.


Die Gottesgelehrten wenden auf Maria jene Worte des weisen Mannes an: „Ihre Bande sind Bande des Heiles.” (Sir 6,31) „Warum Bande”, fragt Richard von St. Lorenz. „Weil sie ihre Diener fesselt, damit sie nicht in den Gefilden der Ungebundenheit sich verirren.” Der hl. Bonaventura erklärt im gleichen Sinn jene andere Stelle, die wir in den Tagzeiten Mariens beten: „In der vollen Gemeinde der Heiligen ist mein Aufenthalt.” (Sir 24,16) Er sagt, daß Maria sich nicht allein in der vollen Gemeinde der Heiligen befinde, sondern daß sie auch die Heiligen darin erhalte, auf daß sie in der Vollkommenheit nicht rückwärts schreiten. Sie bewahrt sie, damit sie nicht abnehmen; sie hält die Teufel in Schranken, damit sie ihnen nicht schaden.


Von den Dienern Mariens heißt es, daß sie mit einer doppelten Kleidung angetan sind. „Alle ihre Hausleute sind doppelt gekleidet.”
(Spr 31,21) Cornelius a Lapide erklärt, was dies für eine doppelte Kleidung sei: Mit einer doppelten Kleidung schmückt sie ihre Verehrer, weil sie dieselben mit den Tugenden ihres Sohnes, sowie mit ihren eigenen ziert, und in solcher Weise bekleidet, bewahren sie die Beharrlichkeit. Darum ermahnte der hl. Philipp Neri seine Beichtkinder beständig mit den Worten: „Meine Kinder, wenn ihr die Gnade der Beharrlichkeit zu erhalten wünscht, so verehrt Unsere Liebe Frau.” Auf ähnliche Weise sagte der hl. Johannes Berchmans aus der Gesellschaft Jesu: „Wer Maria liebt, wird die Beharrlichkeit erlangen.” Schön ist in Beziehung auf diesen Gegenstand auch die Erwägung, die Abt Rupert über die Parabel vom verlorenen Sohn anstellt. Er sagt nämlich: „Wenn der verlorene Sohn seine Mutter noch am Leben gehabt hätte, so würde er entweder das väterliche Haus nie verlassen haben, oder er wäre viel schneller wieder dahin zurückgekehrt.” Damit wollte er sagen, wer ein Kind Mariens ist, wird entweder Gott niemals verlassen, oder wenn es unglücklicherweise geschieht, daß er Gott verläßt, so wird er durch die Vermittlung Mariens schnell wieder zurückkehren.

O wenn doch alle Menschen diese so überaus gütige und liebreiche Herrin lieben und in ihren Versuchungen jedesmal unverweilt zu ihr sich flüchten würden - wer würde je fallen? Wer würde zugrunde gehen? Nur der fällt und geht zugrunde, der nicht zu Maria seine Zuflucht nimmt. Der hl. Laurentius Justinianus wendet jene Worte des Weisen auf die allerseligste Jungfrau an und läßt sie sagen: „Auf den Fluten des Meeres bin ich gewandelt, (Sir 4,8) nämlich mit meinen Dienern, um sie aus dem Schiffbruch zu retten. Ich wandle mit meinen Dienern mitten unter den Stürmen, in denen sie sich befinden, um ihnen beizustehen sie zu bewahren vor dem Sturz in die Sünde».

Der hl. Bernhardin von Siena erzählt, man habe einen Vogel abgerichtet, das „Ave Maria” zu sprechen. Als einmal ein Sperber ihm nachsetzte,
schrie der Vogel:
„Ave Maria”, worauf der Sperber tot niederfiel. Hiermit wollte der Herr uns belehren: Wenn schon ein vernunftloser Vogel durch die Anrufung Mariens gerettet wurde, um wieviel mehr werden wir aus den Händen der Teufel errettet werden, wenn wir darauf bedacht sind, in den Anfechtungen anzurufen. „Sobald also der Teufel sich naht, uns zu versuchen”, sagt der hl. Thomas „so müssen wir es machen wie die Kücken, die beim Erscheinen des Geiers schleunigst sich unter die Flügel ihrer Mutter flüchten; ebenso sollen auch wir, sobald wir bemerken, daß eine Versuchung uns anfällt, ohne mit derselben uns einzulassen, unter den Mantel Mariens uns bergen.” „Und du”, fährt derselbe Heilige fort, „unsere Herrin und unsere Mutter, mußt uns beschützen; denn nach Gott haben wir keine andere Zuflucht als dich, die du unsere einzige Hoffnung und Beschützerin bist, auf die wir vertrauen.”


Schließen wir mit den Worten des hl. Bernhard: „O Mensch, wer du immer bist, wisse, daß du in diesem Leben weit mehr von Gefahren und Stürmen hin- und hergeworfen wirst, als du auf fester Erde gehst; willst du also nicht untergehen, so wende deine Augen nicht ab von dem Meeresstern Maria. Schaue auf zu dem Stern, rufe Maria an. In den Gefahren zur Sünde, in den Ängsten der Versuchung, im Zweifel, was du zu tun hast, denke daran, daß Maria dir helfen kann, und rufe sie ohne Zögern um Hilfe an. Ihr mächtiger Name sei immer in deinem Herzen durch das Vertrauen und in deinem Mund durch die beständige Anrufung. Wenn du Maria folgst, so wirst du nicht abirren von dem Weg des Heiles; wenn du dich ihr anempfiehlst, so darfst du nicht verzagen; wenn sie dich hält, wirst du nicht fallen; wenn sie dich schützt, dann fürchte nicht, daß du verloren gehst. Wenn sie dich geleitet, wirst du, ohne zu erliegen, dein Heil wirken. Kurz: Wenn es Maria auf sich nimmt, dich zu beschirmen, dann wirst du gewiß zum Reich der Seligen gelangen. So handle, und du wirst leben!” (Lk 10,28)
 

Beispiel

Bekannt ist die Geschichte der hl. Maria von Ägypten, die im Leben der hl. Altväter erzählt wird. Im zwölften Lebensjahr entfloh sie aus dem Haus ihrer Eltern und begab sich nach Alexandrien, wo sie ein ehrloses Leben führte und der ganzen Stadt zum Ärgernis wurde. Nachdem sie sechzehn Jahre in Sünden gelebt, kam sie die Welt durchstreifend nach Jerusalem, wo eben das Fest des hl. Kreuzes gefeiert wurde. Mehr aus Neugierde als aus Andacht ging auch sie zur Kirche. Als sie durch die Tür treten wollte, fühlte sie durch eine unsichtbare Macht sich zurückgestoßen. Sie versuchte es zum zweiten Mal, und wiederum wurde sie zurückgestoßen. Ebenso das dritte und vierte Mal. Da stellte sich die Unglückliche in einen Winkel des Vorhofes und erkannte, daß Gott um ihres schlechten Lebenswillen sie von der Kirche zurückgewiesen habe. Zu ihrem Glück erhob sie die Augen und erblickte ein Gemälde Mariens, das im Vorhof angebracht war. Weinend wandte sie sich zu ihm und sprach: „O Mutter Gottes, habe Mitleid mit dieser armen Sünderin. Ich weiß, daß ich um meiner Sünden willen keines Blickes von dir würdig bin; aber du bist die Zuflucht der Sünder; aus Liebe zu Jesus, deinem Sohn, hilf mir; mache, daß ich in die Kirche eintreten kann. Ich will mein Leben ändern und will zur Buße dahin gehen, wohin du mich weisen wirst.”

Und siehe! Da vernahm sie eine innere Stimme, gleich als ob die seligste Jungfrau ihr antworte: „Wohlan! Da du mich angerufen und dein Leben ändern willst, so tritt in die Kirche ein, die Pforte wird nicht mehr für dich verschlossen sein.” Die Sünderin ging hinein und betete weinend vor dem hl. Kreuz. Danach kehrte sie zum Bild zurück und sprach: „Meine Herrin! Siehe, ich bin bereit! Wo willst du, daß ich hingehe, um Buße zu tun? ” - „Gehe über den Jordan”, antwortete die seligste Jungfrau, „und du wirst den Ort deiner Ruhe finden.” Sie beichtete und kommunizierte, ging über den Fluß und kam in die Wüste. Da erkannte sie, daß hier der Ort ihrer Buße sei. O welche Anfechtungen bereitete ihr in den ersten siebzehn Jahren, welche die Heilige in der Wüste zubrachte, der Teufel, um sie aufs neue in Sünden zu stürzen. Aber was tat sie? Sie empfahl sich unablässig Maria, und Maria erlangte ihr Kraft, alle jene siebzehn Jahre hindurch zu widerstehen, bis der Kampf ein Ende nahm. Endlich, nach 57 Jahren in der Wüste, wurde sie im Alter von 87 Jahren durch göttliche Fügung vom Abt Zosimus aufgefunden. Sie erzählte ihm ihre ganze Lebensgeschichte und bat ihn, das folgende Jahr wieder zu kommen und ihr die hl. Kommunion zu bringen. Der hl. Abt kehrte wieder und reichte ihr die hl. Kommunion. Die Heilige erneuerte auch jetzt die Bitte, daß er wieder zu ihr kommen wolle; doch als er kam, fand er sie tot, ihren Leichnam von Licht umflossen und über ihrem Haupt stand geschrieben: „Begrabe hier den Leib von mir armen Sünderin und bitte Gott für mich.” Da er sie bestatten wollte, kam ein Löwe, der ein Grab ausscharrte. Zosimus aber offenbarte nach seiner Rückkehr ins Kloster die Wunder der göttlichen Barmherzigkeit an dieser glückseligen Büßerin.

Gebet
O Mutter der Barmherzigkeit, heiligste Jungfrau, siehe zu deinen Füßen den Treulosen, der die von Gott durch deine Vermittlung empfangenen Gnaden mit Undank vergolten und dich und seinen Gott verraten hat. Doch wisse, o Herrin, mein Elend kann mir das Vertrauen auf dich nicht rauben, sondern nur vermehren, da ich weiß, daß es auch in dir das Mitleid gegen mich verstärkt. Zeige, o Maria, daß du gegen mich wie gegen alle, die dich anrufen, ebenso voll Freigebigkeit und Erbarmung bist. Wenn du mich nur ansiehst und bemitleidest, bin ich zufrieden. Wenn dein Herz Mitleid gegen mich trägt, so kann es nicht unterlassen, mich zu beschützen. Unter deinem Schutz, was könnte ich fürchten? Nichts! Nicht meine Sünden, denn du kannst den bewirkten Schaden wiedergutmachen; nicht die Teufel, denn du bist mächtiger als die Hölle; nicht den gerechten Zorn deines Sohnes, denn auf ein einziges Wort von dir ist Er besänftigt.

Nur das fürchte ich, daß ich aus eigener Schuld unterlasse, dir in meinen Versuchungen mich zu empfehlen und so zugrunde gehe. Aber gerade das verspreche ich dir nun heute; immer will ich zu dir meine Zuflucht nehmen! Hilf mir, diesen Vorsatz ausführen! Welch schöne Gelegenheit, dein Verlangen zu befriedigen, einem Unglücklichen, wie ich bin, zu helfen!

O Mutter Gottes, ich habe ein großes Vertrauen auf dich. Von dir erwarte ich die Gnade, meine Sünden nach Gebühr zu beweinen; von dir erhoffe ich die Kraft, mich vor dem Fall zu bewahren. Ich bin krank, aber du kannst mich heilen, du himmlischer Arzt! Durch meine Sünden bin ich sehr schwach, aber deine Hilfe wird mich stark machen. O Maria, alles hoffe ich von dir, weil du alles bei Gott vermagst. Amen.



Abs. 3 - Unsere Süßigkeit. - Maria versüßt ihren Verehrern das Sterben

„Wer ein Freund ist, liebt allezeit, und ein Bruder bewährt sich in der Not.” (Spr 17,17) Die Freunde und Brüder bewähren sich zur Zeit der Not und Trübsal, nicht in den Tagen des Glückes. Solange jemand im Glück lebt, wird er von den Freunden der Welt nicht verlassen; fällt er aber in irgendein Unglück oder kommt es gar zum Sterben, dann ist er urplötzlich von den Freunden im Stich gelassen. Nicht so verfährt Maria mit ihren Dienern. In allen Nöten, besonders in der Todesangst, welche die größte ist, die man auf Erden leiden kann, vermag diese gute Herrin und Mutter ihre getreuen Diener nicht zu verlassen; und gleich wie sie unser Leben ist in der Zeit der Verbannung, so ist sie unsere Süßigkeit zur Zeit des Todes, indem sie uns ein süßes und seliges Ende erlangt. Seit jenem großen Tag, an dem Maria das Glück und den Schmerz hatte, bei dem Tod Jesus, ihres Sohnes, der das Haupt der Auserwählten ist, gegenwärtig zu sein, hat sie die Gnade erworben, allen Auserwählten im Tod beizustehen. Deshalb will die hl. Kirche, daß wir die allerseligste Jungfrau um ihren Beistand in der Todesstunde besonders anrufen sollen. „Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.”

Überaus groß sind die Ängste der armen Sterbenden sowohl durch die Gewissensbisse über die begangenen Sünden, als auch wegen des Schreckens vor dem nahen Gericht und der Ungewißheit des Heiles. Auf diesen Augenblick rüstet sich besonders die Hölle und müht sich mit aller Kraft, um die Seele, die in die Ewigkeit hinübergeht, zu gewinnen; denn sie weiß, daß ihr dafür nur wenig Zeit noch übrig ist und daß, wenn sie die Seele jetzt verliert, sie ihr für immer verloren ist. „Der Teufel ist zu euch hinabgestiegen und hat großen Zorn, indem er weiß, daß er nur kurze Zeit hat.”
(Offb 12,12) Und deshalb begnügt sich jener böse Geist, der die Seele im Leben gewöhnlich versuchte, beim Sterben nicht, sie allein anzufechten, sondern er nimmt seine Genossen zu Hilfe. „Ihre Häuser werden voll Drachen sein.” (Is 13,21) Wenn jemand am Sterben ist, so füllt sich sein Haus mit Teufeln, um mit vereinten Kräften ihn zugrunde zu richten.

Vom hl. Andreas Avellino wird erzählt, daß zu seinem Tod zehntausend Teufel kamen, ihn zu versuchen. Und in seiner Lebensgeschichte lesen wir, er hat während seines Todeskampfes einen so fürchterlichen Streit mit der Hölle zu bestehen gehabt, daß er alle Mitbrüder, die ihm zur Seite standen, zitterten. Sie sahen, wie dem Heiligen vor heftiger Bewegung das Gesicht aufschwoll, so daß es ganz schwarz wurde; sie sahen, wie alle seine Glieder zitterten und aneinanderschlugen; die Augen ergossen einen Strom von Tränen, das Haupt erhielt heftige Stöße, lauter Anzeichen des furchtbaren Kampfes, den er mit der Hölle zu bestehen hatte. Alle weinten vor Mitleid, verdoppelten ihre Gebete und erbebten vor Schrecken, da sie einen Heiligen also sterben sahen. Doch hatten sie den Trost, daß sie ihn oft die Augen hilfesuchend zu einem andächtigen Marienbild hinwenden sahen; denn sie erinnerten sich dabei, daß der Heilige in seinem Leben oft gesagt, Maria werde in der Todesstunde seine Zuflucht sein. Endlich gefiel es dem Herrn, diesen Kampf durch einen glorreichen Sieg zu enden. Die Erschütterungen des Körpers hörten auf, die Geschwulst legte sich. Das Gesicht erhielt die frühere Farbe und die Umstehenden sahen, wie der Heilige ruhig seine Augen auf jenes Bild geheftet hielt und mit andächtiger Verneigung gegen Maria, wie Dank sagend, - die ihm, wie man glaubt, damals erschien, sanft, mit dem Ausdruck eines Seligen, die gebenedeite Seele in den Armen Mariens aushauchte. Zur gleichen Zeit wandte sich ebenfalls eine in den letzten Zügen liegende Kapuzinerin plötzlich zu den ihr beistehenden Nonnen mit den Worten: „Betet ein Ave Maria, denn eben ist ein Heiliger gestorben!”

O wie fliehen die Teufel bei der Gegenwart dieser Königin! Wenn wir in der Todesstunde Maria auf unserer Seite haben, welche Furcht können uns dann die höllischen Feinde einjagen? David, der sich vor seiner künftigen Todesangst fürchtete, sprach sich Mut ein durch das Vertrauen auf den Tod des künftigen Erlösers und auf die Fürsprache seiner jungfräulichen Mutter. „Wenn ich auch wandle mitten in Todesschatten, so will ich nichts Übles fürchten, weil du bei mir bist. Deine Rute und dein Stab, die haben mich getröstet.” (Ps. 22,4) Der Kardinal Hugo versteht unter diesem Stab den Stamm des hl. Kreuzes und unter der Rute die Vermittlung Mariens, welche die von Isaias geweissagte Rute war: „Eine Rute (Reis) wird hervorkommen aus der Wurzel Jesse und eine Blüte aufgehen aus seiner Wurzel.” (Is. 11,1)

Diese göttliche Mutter ist die mächtige Rute, nach der Bemerkung des hl. Petrus Damianus, durch welche die heftigen Anfälle der höllischen Feinde zurückgeschlagen werden. Deshalb ermutigt uns der hl. Antonin mit den Worten: „Wenn Maria für uns ist, wer ist wider uns?” Als Pater Emanuel Padial aus der Gesellschaft Jesu am Sterben war, erschien ihm Maria, die zu seinem Trost die Worte sprach: „Nun endlich ist die Stunde gekommen, in der die Engel glückwünschend dir zurufen, o glückselige Arbeit! O gut belohnte Abtötung!” Dabei sah man ein Heer von Teufeln verzweifeln und schreiend fliehen: „Ach, wir vermögen nichts, weil die Makellose ihn verteidigt.” Ähnlich wurde auch Pater Kaspar Hayewood im Tod von den Teufeln mit einer schweren Versuchung gegen den Glauben angefochten; sogleich empfahl er sich der allerseligsten Jungfrau und hierauf hörte man ihn ausrufen: „Ich danke dir, Maria, daß du mir zu Hilfe gekommen bist.”


Der hl. Bonaventura sagt, daß Maria zum Schutz ihrer sterbenden Diener den Himmelsfürsten Michael mit allen Engeln sende, damit er dieselben schnell gegen die teuflischen Versuchungen beschütze und die Seelen aller jener, die sich ihr in besonderer Weise unablässig anempfohlen haben, mit sich nehme.

Wenn eine Seele im Begriff steht, aus dieser Welt zu scheiden, gerät, nach dem Ausspruch des Isaias, die ganze Hölle in Aufruhr und sendet ihre fürchterlichsten Teufel ab, um die Seele, bevor sie den Leib verläßt, zu versuchen, und, wenn sie vor dem Richterstuhl Jesu Christi zum Gericht erscheinen muß, sie anzuklagen.
„Die Hölle von unten ist in Bewegung vor deiner Ankunft und erweckt vor dir die Riesen (Totengeister).” (Is 14,9) Wenn aber die Seele unter dem Schutz Mariens steht, so wagen es die Teufel - nach der Bemerkung Richards von St. Lorenz - durchaus nicht, sie anzuklagen, weil sie wissen, daß niemals von dem Richter eine von seiner erhabenen Mutter beschützte Seele verdammt worden ist, noch verdammt wird. „Wer wird es wagen, bei dem Richter eine Seele anzuklagen, deren Verteidigung die Mutter desselben übernimmt?”


Der hl. Hieronymus schreibt an die Jungfrau Eustochium, daß Maria ihren geliebten Dienern im Tod nicht allein beisteht, sondern ihnen auf dem Weg zum ewigen Leben sogar entgegenkommt, um sie zu ermutigen und vor den Richterstuhl Gottes zu begleiten. Das bestätigt die allerseligste Jungfrau selber durch ihre Worte an die hl. Birgitta über ihre Verehrer in der Todesstunde: „Dann werde ich, ihre geliebteste Herrin und Mutter, ihnen im Augenblick des Todes entgegengehen, damit sie Trost und Erquickung haben.” Der hl. Vinzenz Ferrer sagt ebenso: „Die seligste Jungfrau nimmt die Seelen der Sterbenden in Empfang.” Die liebreiche Königin nimmt diese Seelen unter ihren Mantel und sie selbst stellt sie dem Richter, ihrem Sohn, vor, und so erlangt sie mit Sicherheit deren Heil. Dies widerfuhr dem Sohn der hl. Birgitta, Karl, der fern von seiner Mutter im gefährlichen Stand eines Soldaten gestorben war. Die Heilige fürchtete für sein Heil; aber die allerseligste Jungfrau offenbarte ihr, daß Karl wegen seiner Liebe zu ihr selig geworden sei; denn sie selbst sei ihm im Tod beigestanden und habe ihm die für Sterbende notwendigen Akte eingegeben. Im selben Augenblick hatte die Heilige ein Gesicht von Jesus auf dem Thron und dem Teufel, der zwei Anklagen gegen die göttliche Mutter vorbrachte; die eine, daß Maria ihn gehindert habe, Karl im Augenblick des Todes zu versuchen; die andere, daß Maria selbst die Seele Karls dem Richter vorgestellt und sie so gerettet habe, ohne ihm zu gestatten, auch nur die Gründe anzuführen, aus denen er ein Recht auf diese Seele gehabt habe. Sie sah dann, wie der Richter den Teufel verjagte und die Seele Karls in den Himmel empor getragen wurde.

„Ihre Bande sind Bande des Heiles... In den letzten Dingen wirst du Ruhe bei ihr finden.” (Sir 6,29. 31) Glückselig bist du, mein Bruder, wenn du im Tod mit den süßen Banden der Liebe an die Mutter Gottes gebunden sein wirst! Diese Bande sind Bande des Heiles, die dich des ewigen Lebens versichern und im Tod jenen seligen Frieden werden kosten lassen, der der Anfang des ewigen Friedens und der ewigen Ruhe sein wird. Pater Binetti berichtet inseinem Buch über die Vollkommenheit, er sei einmal einem eifrigen Diener Mariens im Tod beigestanden und habe von ihm im Augenblick des Verscheidens die Worte vernommen: „O mein Vater, wenn Sie wüßten, welche Zufriedenheit ich fühle, weil ich der Mutter Gottes gedient habe! Ich vermag die Freude, die ich in diesem Augenblick empfinde, gar nicht auszusprechen.”

Auch der so große Verehrer Mariens, Pater Suarez, verschied mit solcher Freude, daß er sterbend sagte: „Ich hätte nicht geglaubt, daß das Sterben so süß sei.” Dieser demütige Diener Mariens pflegte zu sagen, daß er all seine Wissenschaft um das Verdienst eines einzigen Ave Maria vertauschen wollte. Die gleiche Zufriedenheit und Heiterkeit des Geistes wirst auch du, mein lieber Leser, ohne Zweifel empfinden, wenn du dich im Augenblick deines Todes erinnern wirst, diese gute Mutter geliebt zu haben, die nicht anders als getreu sein kann gegen ihre Kinder, die treu ihr gedient und treu sie geehrt durch Besuche, Rosenkranzgebet, Fasten und mehr noch durch häufige Danksagung, Lobpreisung und Anempfehlung unter ihren mächtigen Schutz.

Und wenn du sogar eine Zeitlang im Stand der Sünde dich befunden hättest, so wird dies dich jenes Trostes nicht berauben, wenn du nur von nun an darauf bedacht bist, gut zu leben und dieser gnädigsten und gütigsten Herrin zu dienen. Sie wird dich stärken in all den Ängsten und Versuchungen, die der Teufel dir bereiten wird, um dich zur Verzweiflung zu bringen, und endlich wird sie selber kommen, um dir in deinem Tod beizustehen.

Martin, der Bruder des hl. Petrus Damian, hatte Gott beleidigt und ging eines Tages vor den Altar der Mutter Gottes, um sich ihrem Dienst zu weihen. Zum Zeichen seiner Knechtschaft schlang er seinen Gürtel um den Hals und sprach zu ihr: „Meine Herrin, Spiegel der Reinheit! Ich armer Sünder habe Gott und dich beleidigt durch Verletzung der Keuschheit. Ich weiß kein anderes Heilmittel, als daß ich mich deinem Dienst aufopfere. Siehe mich hier! Ich weihe mich dir heute zu deinem Knecht; nimm ihn, diesen Empörer, wieder an und zürne mir nicht.” Dann legte er auf den Stufen des Altars eine bestimmte Summe Geldes, die er als das Zeichen seiner Tributpflicht gegen Maria jedes Jahr zu entrichten gelobte. Als er später auf das Totenbett kam, hörte man ihn vor dem Hinscheiden sagen: „Steht auf, steht auf; bezeigt eure Ehrfurcht meiner Herrin!” und danach:„Ach! Welche Gnade, o Himmelskönigin, daß du dich würdigst, diesen deinen armseligen Diener heimzusuchen. Segne mich, meine Herrin, und laß nicht zu, daß ich zugrunde gehe, nachdem du mich durch deine Gegenwart geehrt hast.” Währenddessen kam sein Bruder Petrus. Diesem erzählte er die Erscheinung Mariens und daß sie ihn gesegnet habe, beklagte sich aber darüber, daß jene, die bei ihm waren, bei der Ankunft Mariens nicht aufgestanden seien. Kurze Zeit darauf verschied er sanft. So wird auch dein Tod sein, mein Leser, wenn du Maria treu bleibst, auch wenn du in deinem früheren Leben Gott beleidigt hattest. Sie wird bewirken, daß dein Tod süß und ruhig wird.


Solltest du aber in jener Stunde sehr geängstigt sein und dir beim Anblick deiner Sünden das Vertrauen sinken, so wird sie kommen, dir Mut einzuflößen, wie einst zu Adolph, dem Grafen von Elsaß. Dieser hatte die Welt verlassen und war in den Orden des hl. Franziskus eingetreten, wo er, wie die Chronik erzählt, ein großer Verehrer der Mutter Gottes wurde. Am Ende seiner Tage angelangt, kam ihm sein früheres Leben in der Welt und die Strenge des göttlichen Gerichtes vor Augen, und er begann, aus Furcht wegen seines ewigen Heiles vor dem Tod zu zittern. Doch siehe, Maria erschien dem Sterbenden, die bei den Ängsten ihrer Diener nicht schläft, und sprach ihm mit den zärtlichen Worten Mut ein: „Mein liebster Adolph, warum fürchtest du den Tod, da du mir gehörst?” Bei diesen Worten fühlte sich der Diener Mariens ganz getröstet; alle Furcht verschwand, und er starb sehr ruhig und ergeben.

Auch wir, wenn wir Sünder sind, wollen Mut fassen und fest vertrauen, daß Maria uns im Tod beistehen und durch ihre Gegenwart trösten wird, wenn wir in der uns noch übrigen Lebenszeit ihr in Liebe dienen. Unsere Königin selbst hat es der hl. Mechthild verheißen, daß sie allen ihren Verehrern, die ihr im Leben treu gedient, im Tod beistehen werde. „Ich will allen, die mir mit kindlicher Liebe dienen, im Tod wie die mitleidigste Mutter getreu beistehen, sie trösten und beschützen.” O Gott, welch ein Trost wird es für uns sein, wenn wir in jenen letzten Augenblicken des Lebens, wo die Angelegenheit unseres ewigen Heiles in kurzem entschieden werden soll, die Königin des Himmels an unserer Seite sehen, die uns beisteht und mit Verheißung ihres Schutzes uns tröstet.

Unzählige Tatsachen dieses Beistandes Mariens für ihre sterbenden Diener sind außer den angeführten noch in verschiedenen Büchern aufgezeichnet. Diese Gnade wurde der hl. Klara, dem hl. Felix von Cantalizien, der sel. Klara von Montefalco, der hl. Theresia, dem hl. Petrus von Alkantara zuteil. Zum Trost für alle will ich einige hier noch anführen. Pater Crasset erzählt, daß Maria von Oignies die allerseligste Jungfrau an dem Sterbebett einer frommen, an großer Fieberhitze leidenden Witwe von Villembrok erblickte. Maria stand ihr zur Seite, tröstete sie und wehte ihr mit einem Fächer Kühlung zu.

Als der hl. Johannes von Gott am Sterben war, erwartete er den Besuch Mariens, die er sehr verehrte; aber da er sie nicht kommen sah, wurde er betrübt und klagte wohl auch darüber. Doch zur rechten Zeit erschien die göttliche Mutter, und mit leisem Tadel über sein schwaches Vertrauen sprach sie die zärtlichen, alle ihre Verehrer so ermutigenden Worte: „Johannes, es ist nicht meine Sache, in dieser Stunde meine Verehrer zu verlassen”; gleich als hätte sie sagen wollen: „Mein Johannes, was denkst du? Weißt du nicht, daß ich in der Todesstunde meine Diener nicht verlassen kann? Ich kam nicht früher, weil es noch nicht Zeit war; nun aber, bin ich da, dich mit mir zu nehmen. Laß uns in den Himmel gehen!” Bald darauf verschied der Heilige und schwang sich zum Himmel auf, um für immer und ewig seiner liebreichsten Königin zu danken.

Schließen wir diese Betrachtung mit einem anderen Beispiel, aus dem erhellt, wie weit die zärtliche Liebe geht, die diese gute Mutter ihren Kindern in der Todesstunde beweist.

Beispiel

Der Pfarrer eines Ortes stand einem sterbenden, reichen Mann bei, der in einem wohleingerichteten Haus von Dienern, Verwandten und Freunden umgeben war, aber die Teufel in Gestalt von Hunden bereitstehen sah, seiner Seele sich zu bemächtigen. Und in der Tat bekamen sie dieselbe in ihre Gewalt; denn er starb in der Sünde. Zur selben Zeit ließ eine arme Frau, die ebenfalls am Ende ihres Lebens stand und die hl. Sakramente verlangte, den Pfarrer zu sich bitten. Dieser konnte aber die so bedürftige Seele des Reichen nicht verlassen und schickte darum einen anderen Priester zu ihr, der mit dem allerheiligsten Sakrament sich dahin begab. Im Gemach der guten Frau angekommen, sah er freilich weder Diener, noch Gesellschaft, noch kostbare Einrichtung; denn die Kranke war arm und lag auf ein wenig Streu. Doch was stellte sich ihm dar? Er erblickte einen großen Glanz und am Sterbebett die Mutter Gottes, welche die Sterbende tröstete und mit einem Tüchlein den Todesschweiß ihr abtrocknete. Bei diesem Anblick hatte er nicht den Mut einzutreten; doch die allerseligste Jungfrau gab ein Zeichen, daß er nahe. Der Priester trat ein, Maria wies ihm den Stuhl an, damit er sitzend ihre Dienerin zur Beichte höre. Sie beichtete, kommunizierte darauf mit großer Andacht und hauchte endlich in den Armen Mariens glückselig ihre Seele aus.

Gebet
O meine süßeste Mutter, wie wird der Tod von mir armen Sünder sein? Wenn ich an diesen großen Augenblick denke, da ich meinen Geist aufgeben und vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen soll, und wenn ich erwäge, wie ich selber durch meine verkehrte Gesinnung so oft das Urteil meiner Verdammnis unterzeichnet habe, so zittere ich, bin bestürzt und fürchte sehr für mein ewiges Heil. O Maria, meine Hoffnung ruht allein auf dem Blut Jesu Christi und auf deiner Fürsprache. Du bist die Königin des Himmels, die Herrin der Welt, mit einem Wort, du bist die Mutter Gottes! Unendlich groß bist du; aber deine Größe hält dich nicht ab, ja gerade sie macht dich geneigt, um so mitleidiger mit unserem Elend zu sein.

Die Freunde dieser Welt, wenn sie zu einer hohen Würde erhoben werden, wenden sich von ihren alten Bekannten ab, die in niedrigen Verhältnissen geblieben sind, und würdigen sie keines Blickes mehr. Aber dein so edles, liebevolles Herz handelt nicht also; je größeres Elend es wahrnimmt, um so mehr ist es bedacht, zu helfen. Kaum angerufen, kommst du uns zu Hilfe; ja du kommst mit deiner Gunst unseren Bitten zuvor; du tröstest uns in der Betrübnis, du verscheuchst die Ungewitter der Versuchung; du überwindest die Feinde; kurz, du läßt keine Gelegenheit, für unser Wohl zu sorgen, vorübergehen. Gepriesen sei allezeit die allmächtige Hand Gottes, welche in dir so große Majestät mit solcher Zärtlichkeit, solche Hoheit mit so großer Liebe vereinigt hat.

Ich danke meinem Herrn ohne Unterlaß dafür und wünsche mir selbst Glück dazu; denn in deiner Seligkeit besitze ich die meine, und in deinem Glück ruht das meinige. O Trösterin der Betrübten, tröste einen Betrübten, der dir sich anempfiehlt. Ich fühle mich durch die Vorwürfe meines mit so vielen Sünden beschwerten Gewissens betrübt; ich weiß nicht, ob ich sie, wie ich soll, beweint habe; ich sehe alle meine Werke voll Schmutz und Mängel; die Hölle wartet nur auf meinen Tod, um mich anzuklagen; die beleidigte Gerechtigkeit Gottes fordert Genugtuung.

O meine Mutter, was wird aus mir werden? Wenn du mir nicht hilfst, bin ich verloren. Was sagst du? Willst du mir helfen? O mitleidsvolle Jungfrau, tröste mich, erlange mir einen wahren Schmerz über meine Sünden; erlange mir Kraft, mich zu bessern und Gott in der mir noch übrigen Lebenszeit getreu zu bleiben. Und wenn der letzte Kampf für mich kommt, dann, o Maria, meine Hoffnung, verlaß mich nicht; dann stehe mir mehr als jemals bei; stärke mich, damit ich beim Anblick meiner Sünden, die mir der Teufel vor Augen stellen wird, nicht verzweifele.

Herrin, verzeihe meine Kühnheit! Ich bitte, komme dann selber, mich durch deine Gegenwart zu trösten. Diese Gnade hast du schon so vielen erwiesen; auch ich begehre sie. Ist meine Kühnheit groß, so ist doch größer deine Güte, welche die Unglücklichsten aufsucht, sie zu trösten. Auf sie setze ich mein Vertrauen. Das soll ein ewiger Ruhm für dich sein, einen elenden Verdammten vor der Hölle bewahrt und ihn in dein Reich geführt zu haben. Dort, so hoffe ich, wird es dann meine Freude sein, ewig zu deinen Füßen dir zu danken, dich zu preisen und zu lieben in Ewigkeit. O Maria, ich erwarte dich, laß mich nicht ungetröstet. Amen.

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3. Kap. - Unsere Hoffnung, sei gegrüßt

Abs. 1 - Maria ist die Hoffnung aller

Die Irrlehrer unserer Zeit können es nicht ertragen, daß wir Maria mit dem Namen „Hoffnung” begrüßen. „Unsere Hoffnung, sei gegrüßt!” Sie sagen: Nur Gott ist unsere Hoffnung, und Gott verflucht den, der seine Hoffnung auf die Geschöpfe setzt. „Verflucht der Mensch, der sein Vertrauen auf Menschen setzt.” (Jer17,5) Maria, rufen sie aus, ist ein Geschöpf, und wie kann ein Geschöpf unsere Hoffnung sein? So sagen die Ketzer. Aber dessen ungeachtet, will die hl. Kirche, daß alle geistlichen Personen und alle Ordensleute jeden Tag ihre Stimme erheben und im Namen aller Gläubigen Maria anrufen und bekennen mit dem süßen Namen unsere Hoffnung, Hoffnung aller. Unsere Hoffnung, sei gegrüßt!

Auf zweifache Weise, sagt der hl. Thomas von Aquin, können wir unsere Hoffnung auf jemanden setzen, entweder als die erste und vornehmste Ursache unserer Hoffnung, oder als Mittler unserer Hoffnung. Wer vom König eine Gnade zu erlangen hofft, hofft sie von dem König als dem Herrn der Gnade; von einem Diener oder Günstling des Königs hingegen als von dem Mittler oder Fürsprecher. Wird die Gnade erteilt, so kommt sie von dem König als von ihrem ersten und obersten Geber, aber sie kommt durch die Vermittlung seines Vermittlers; weshalb der, welcher um die Gnade bittet, seinen Vermittler mit Recht seine Hoffnung nennen kann.

Der König des Himmels hat das größte Verlangen, uns mit seinen Gnaden zu bereichern, weil Er die unendliche Güte ist; aber da von unserer Seite das Vertrauen notwendig ist, so hat Er, um dieses Vertrauen in uns zu mehren, seine eigene Mutter, der Er alle Macht zu helfen übergeben, uns zur Mutter und Fürsprecherin geschenkt, und eben darum will Er, daß wir auf sie die Hoffnung unseres Heiles und aller Gnade setzen. Jene allerdings, die ohne schuldige Rücksicht auf Gott, ihre Hoffnung nur allein auf die Geschöpfe setzen, wie es die Sünder tun, die um der Freundschaft und Gunst eines Menschen willen sich nicht scheuen, Gott zu beleidigen, diese sind nach dem Ausspruch des Propheten ganz gewiß von Gott verflucht. Jene aber, die auf Maria als die Mutter Gottes hoffen, die die Macht hat, die Gnaden und das ewige Leben zu erlangen, sind gesegnet und gefallen dem Herzen Gottes, der jenes erhabene Geschöpf geehrt wissen will, das Ihn mehr als alle Menschen und Engel auf dieser Welt geliebt und geehrt hat.

Darum nennen wir die allerseligste Jungfrau mit Recht unsere Hoffnung, indem wir durch ihre Vermittlung, wie der hl. Robert Kard. Bellarmin sagt, zu erlangen hoffen, was wir durch unser Gebet allein nicht erlangen können. Wir beten zu ihr, sagt der hl. Anselm, „damit die Würdigkeit der Mittlerin unsere Mangelhaftigkeit ersetze.” Die allerseligste Jungfrau also mit solcher Hoffnung anzurufen, ist nicht Mißtrauen auf die göttliche Barmherzigkeit, sondern Furcht wegen unserer eigenen Unwürdigkeit! Mit Recht wendet daher die hl. Kirche auf Maria die Worte des Jesus Sirach an
(Sir 24,24): „Mutter der hl. Hoffnung”; die Mutter, die in uns nicht die eitle Hoffnung auf die elenden und vergänglichen Güter dieses Lebens, sondern die hl. Hoffnung auf die unermeßlichen und ewigen Güter des seligen Lebens hervorbringt.

Der hl. Ephräm begrüßt daher die göttliche Mutter mit den Worten: „Sei gegrüßt, o Seele, o sicheres Heil der Christen, o Helferin der Sünder, Beschützerin der Gläubigen und Rettung der Welt.” Auch der hl. Basilius lehrt uns, daß wir nach Gott keine andere Hoffnung haben als Maria, und darum nennt er sie: „Nach Gott unsere einzige Hoffnung.” Und der hl. Ephräm, den Ratschluß der göttlichen Vorsehung erwägend, durch den Gott die Anordnung traf, wie der hl. Bernhard lehrt und ich weiter unten eingehend zeigen werde, daß alle, die selig werden, durch die Vermittlung Mariens selig werden sollen, spricht sie so an: „Herrin, höre nicht auf, uns zu behüten und unter deinen Mantel zu nehmen; denn nach Gott haben wir keine andere Hoffnung als dich!” Das gleiche lehrt der hl. Thomas von Villanova, indem er Maria unsere einzige Zuflucht, Hilfe und Rettung nennt. Und der hl. Bernhard deutet auf den Grund davon hin, wenn er sagt: „Betrachte, o Mensch, den Ratschluß Gottes, einen Ratschluß, den Gott faßte, um uns in größerer Fülle seine Barmherzigkeit erweisen zu können! Da Er das Menschengeschlecht erlösen wollte, hat Er den ganzen Preis der Erlösung in die Hand Mariens niedergelegt, damit sie nach ihrem Gefallen denselben verteile.”

Gott befahl Moses, daß er einen Gnadenthron vom reinsten Gold bereite, denn, sagte Er, von da aus wolle Er in Zukunft mit ihm reden. „Einen Gnadenthron mache vom feinsten Gold... von da aus will ich gebieten und mit dir reden.”
(Ex 25,17) Dieser Gnadenthron, von dem der Herr zu den Menschen spricht und uns Verzeihung, seine Gnaden und Gaben verleiht, ist Maria, nach der Bemerkung eines Schriftstellers: „Dich besitzt als gemeinsamen Gnadenthron die ganze Welt. Von da spricht der gütigste Herr zum Herzen, von da aus erteilt Er die Entscheidungen seiner Güte und Verzeihung; von da spendet Er seine Gnaden; von da aus fließt uns jegliches Gute zu.” Dementsprechend bemerkt der hl. Irenäus, daß das göttliche Wort vor seiner Menschwerdung im Schoß Mariens den hl. Erzengel absandte, um ihre Einwilligung zu begehren; denn Gott wollte, daß durch Maria der Welt die Gnade der Menschwerdung zukomme. „Woher kommt es, daß das Geheimnis der Menschwerdung sich nicht vollzog ohne die Einwilligung Mariens? Weil Gott will, daß sie der Quell all unsrer Güter sei.”

Daher sagt auch der Idiote: „Alles Gute hat die Welt und wird es durch Maria haben.” Jegliches Gute, jeglicher Beistand, jede Gnade, welche die Menschen jemals empfangen haben und von Gott empfangen werden bis an das Ende der Welt, alles kam ihr zu und wird ihr zukommen durch die Fürsprache und die Vermittlung Mariens. Mit Grund sagt der fromme Blosius: „O Maria, so liebenswürdig und so gütig gegen jene, die dich lieben, wer könnte so töricht und unglücklich sein, daß er dich nicht liebt? Du gibst in den Zweifeln und der Verwirrung neues Licht dem Geist jener, die in ihrer Betrübnis zu dir fliehen. Du tröstest den, der in der Gefahr auf dich vertraut; du kommst dem zu Hilfe, der dich anruft. Du bist nächst deinem göttlichen Sohn das sichere Heil deiner getreuen Diener. Sei gegrüßt also, o Hoffnung der Verzweifelnden, o Hilfe der Verlassenen! O Maria, du bist allmächtig, weil dein Sohn dich dadurch ehren will, daß Er ohne Zögern alles tut, was du begehrst.”

Auch der hl. Germanus erkennt in Maria den Quell all unserer Güter und die Befreiung von jeglichem Übel und ruft sie also an: „O meine Gebieterin, du allein bist mein Trost, den mir Gott gegeben; du die Führerin auf meiner Pilgerschaft, du die Stärke meiner schwachen Kräfte, der Reichtum meiner Armut, die Lösung meiner Ketten, die Hoffnung meines Heiles. Erhöre, ich bitte dich, mein Flehen! Habe Mitleid mit meinen Seufzern, du, die du meine Königin, meine Zuflucht, mein Leben, meine Hilfe, Hoffnung und Stärke bist.”

Mit Recht wendet demnach der hl. Antonin auf Maria jene Stelle im Buch der Weisheit an: „Es kam zu mir alles Gute zugleich mit ihr.” (Wsh 7,11) Da Maria die Mutter und Ausspenderin aller Güter ist, so kann die Welt wohl sagen, und insbesondere wer in der Welt als ein Verehrer dieser Königin lebt, daß er mit der Andacht zu Maria zugleich alles Gute empfangen habe. Deswegen sagt der Abt von Celles ohne Einschränkung: „Ist Maria gefunden, so ist jegliches Gut gefunden.” Wer Maria findet, findet jegliches Gut, alle Gnaden, alle Tugenden; denn durch ihre mächtige Fürsprache erlangt sie alles, was nötig ist, um ihn an Gnade reich zu machen. Sie läßt uns wissen, daß sie alle Reichtümer Gottes, d. h. seine göttlichen Erbarmungen zur Verfügung habe, um sie zu Gunsten ihrer Verehrer auszuteilen. „Bei mir ist Reichtum und... überschwengliche Güter... damit ich reich mache, die mich lieben.”
(Spr 8,18. 21) Deswegen mahnt uns der hl. Bonaventura, daß wir beständig unsere Augen zu den Händen Mariens erheben, damit wir durch ihre Vermittlung das Gute, dessen wir bedürfen, empfangen.

O wie viele Stolze haben durch die Andacht zu Maria die Demut gefunden! Wie viele Zornmütige die Sanftmut! Wie viele Blinde das Licht! Wie viele Verzweifelnde das Vertrauen! Wie viele Verlorene das Heil! Eben dies sagte Maria selbst vorher, als sie im Haus der Elisabeth in jenen erhabenen Lobgesang ausbrach: „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter.”
(Lk 1,48) Diese ihre Worte wiederholend erklärt der hl. Bernhard: „Deswegen werden alle Völker dich selig preisen, weil du allen Völkern das Leben und die ewige Herrlichkeit gegeben hast.” Denn bei dir finden die Sünder Verzeihung und die Gerechten die Beharrlichkeit in der göttlichen Gnade.”

Der fromme Landsperg läßt Gott den Herrn zu der Welt so sprechen: „O Menschen, arme Kinder Adams, die ihr mitten unter so vielen Feinden und so vielfachem Elend lebt, sucht durch eine besondere Andacht eure Mutter zu gewinnen; denn ich habe Maria der Welt zu eurem Vorbild gegeben, damit ihr von ihr lernt, wie man leben soll, und zu eurer Zuflucht, damit ihr in Trübsalen zu ihr fliehen könnt. Ich habe diese meine Tochter so bereitet, daß niemand Furcht oder Abneigung empfinden kann, sich an sie zu wenden; denn ich habe sie so gütig und mitleidig erschaffen, daß sie niemanden, der sich an sie wendet, verschmähen, noch dem, der sie bittet, ihre Gunst versagen kann. Für alle hält sie den Mantel ihrer Barmherzigkeit offen und läßt nicht zu, daß irgendeiner ungetröstet von ihr weiche.” Darum sei immerdar gelobt und gepriesen die unermeßliche Güte unseres Gottes, der uns diese erhabene Mutter und so zärtliche und liebreiche Fürsprecherin gegeben hat.

O Gott, wie innig sind die Gefühle des Vertrauens, die den liebeglühenden hl. Bonaventura zu unserem liebevollsten Erlöser Jesus Christus und zu unserer liebreichsten Fürsprecherin Maria beseelten! „Möge was immer”, ruft er aus, „der Herr über mich beschlossen haben, ich weiß, daß Er dem sich nicht entziehen kann, der Ihn liebt und Ihn von Herzen sucht. Ihn werde ich umfassen mit den Armen meiner Liebe und werde Ihn nicht lassen, bis Er mich gesegnet hat. Er wird sich nicht zurückziehen können, ohne mich mit sich zu nehmen. Und sollte ich auch anderes nicht erreichen, so will ich doch wenigstens in seine Wunden mich verbergen; solange ich dort bin, kann Er außerhalb seiner mich nicht finden. Sollte aber mein Erlöser um meiner Sünden willen mich von seinen Füßen verstoßen, so will ich zu den Füßen seiner Mutter mich niederwerfen und von dort nicht mehr weichen, bis sie mir Vergebung erlangt hat; denn diese Mutter der Barmherzigkeit vermag nicht und hat noch nie vermocht, dem Elend ihr Mitleid zu versagen und die Unglücklichen, die sich an sie um Hilfe wenden, unerhört zu lassen. Und darum wird sie, wenn auch nicht dazu verpflichtet, doch aus Mitleid nicht unterlassen, ihren Sohn zur Vergebung zu bewegen.”

Blicke uns also an, wollen wir zum Schluß mit Euthymius sprechen, blicke uns an mit deinen barmherzigen Augen, o mitleidigste Mutter, denn wir sind ja deine Diener und auf dich haben wir all unser Vertrauen gesetzt.

Beispiel

Im vierten Teil des Rosenkranzschatzes (fünfundachtzigstes Wunder) wird von einem Edelmann berichtet, der eine besondere Andacht zur Mutter Gottes hatte. In seinem Haus hatte er eine andächtige Kapelle eingerichtet, wo er vor einem schönen Marienbild viel betete, und nicht allein bei Tag, sondern auch bei Nacht, indem er den Schlaf unterbrach, um seine geliebte Herrin zu ehren. Da nun seine Frau, eine Dame sonst von großer Frömmigkeit, bemerkte, wie ihr Mann in größter Stille vom Bett aufzustehen, das Zimmer zu verlassen und erst nach langer Zeit wieder zurückzukehren pflegte, so geriet die Unglückliche in Eifersucht und bösen Argwohn. Um sich von diesem stechenden Dorn zu befreien, fragte sie eines Tages ihren Gemahl, ob er etwa eine andere Frau außer ihr liebe.

Der Kavalier antwortete lächelnd: „Ja wisse, ich liebe die liebenswürdigste Frau der Welt. Ihr habe ich mein ganzes Herz geschenkt und eher könnte ich sterben, als aufhören sie zu lieben. Und wenn du sie kennen würdest, so würdest du selbst mir befehlen, sie noch mehr zu lieben, als ich bereits tue.” Er meinte die allerseligste Jungfrau, die er so zärtlich liebte. Aber seine Frau faßte noch größeren Verdacht, und um sich mehr zu vergewissern, fragte sie ihn wiederholt, ob er in der Absicht, diese Frau zu finden, jede Nacht vorn Bett aufstehe und das Zimmer verlasse? Der Edelmann, der die große Unruhe seiner Frau nicht erkannte, antwortete: „Ja.” Die Dame hielt nun törichterweise für gewiß, was doch gar nicht bestand, und von Leidenschaft verblendet, - was tat sie? Eines Nachts, da ihr Mann nach seiner Gewohnheit aus dem Gemach sich entfernte, ergriff sie aus Verzweiflung ein Messer und schnitt sich die Kehle durch, worauf sie alsbald starb. Nach seiner Andacht kehrte der Edelmann in das Gemach zurück und, sich wieder zu Bett legend, fand er es ganz durchnäßt. Er ruft seine Frau und erhält keine Antwort. Er rüttelt sie, sie fühlt es nicht. Endlich holt er Licht und sieht das blutige Bett und seine Frau tot mit durchschnittener Kehle. Sogleich ahnte er, daß sie aus Eifersucht sich das Leben genommen hat. Was tat er nun? Er schloß das Zimmer, kehrte in die Kapelle zurück, warf sich vor der allerseligsten Jungfrau nieder und unter einem Strom von Tränen flehte er: „Meine Mutter, sieh, in welcher Not ich mich befinde. Wenn du mich nicht tröstest, wohin soll ich dann fliehen? Bedenke, daß ich durch meine Verehrung deiner so unglücklich geworden bin, meine Frau tot und verdammt zu sehen. Meine Mutter, du kannst mir helfen; du mußt mir helfen!” Ja, wer diese Mutter der Barmherzigkeit mit Vertrauen bittet, erhält was er begehrt; denn kaum hatte er dieses Gebet beendet, als er die Stimme einer Dienerin des Hauses vernimmt: „Herr, eilen Sie in Ihr Zimmer, die Frau ruft nach Ihnen!” Der Edelmann konnte ihr vor Freude nicht glauben. „Kehre zurück”, antwortete er, „und schau wohl nach, ob sie mich wirklich verlangt.” - „Ja”, sagte die Zurückkehrende, „ja, eilen Sie, die Herrschaft wartet auf Sie!” Er geht, öffnet das Zimmer und sieht seine Frau am Leben, die sich ihm weinend zu Füßen wirft und mit den Worten um Verzeihung bittet: „O mein Gemahl, die Mutter Gottes hat mich um deines Gebetes willen vor der Hölle bewahrt.” Nun eilten beide weinend vor Freude in die Hauskapelle, um der allerseligsten Jungfrau zu danken. Am folgenden Tag lud der Mann alle seine Freunde zum Mahl, wo er ihnen das Geschehene von seiner Frau erzählen ließ. Sie zeigte ihnen die Narbe, die sie von der Wunde noch behalten hatte. Alle wurden dadurch von Liebe zur göttlichen Mutter entzündet.
 

Gebet
O Mutter der hl. Liebe, unser Leben, unsere Zuflucht und unsere Hoffnung! Du weißt, daß dein Sohn Jesus Christus nicht zufrieden, unser beständiger Fürsprecher beim ewigen Vater zu sein, gewollt hat, daß auch du bei Ihm dich verwendest, um uns seine Erbarmungen zu erlangen. Er hat angeordnet, daß deine Bitten unser Heil bewirken, und hat ihnen solche Kraft verliehen, daß sie alles erlangen, was sie begehren. An dich also, Hoffnung der Elenden, wende ich elender Sünder mich. Ich hoffe, o meine Herrin, durch die Verdienste Jesu Christi und deine Fürbitte selig zu werden. Also vertraue ich, und so groß ist mein Vertrauen, daß, wäre mein ewiges Heil in meine eigene Hand gelegt, ich es dennoch in die deinige legen würde; denn mehr baue ich auf deine Barmherzigkeit und deinen Schutz, als auf alle meine guten Werke. Meine Mutter und Hoffnung, verlasse mich nicht, wie ich es verdiene. Schaue auf mein Elend und lasse dich zum Mitleid bewegen.

Hilf mir und rette mich. Ich bekenne, daß ich durch meine Sünden den Erleuchtungen und Gnadenhilfen, die du mir vom Herrn erlangt hast, gar oft die Tür verschlossen habe; aber deine Milde gegen die Elenden und deine Macht bei Gott übertreffen die Zahl und Bosheit aller meiner Sünden. Himmel und Erde weiß, daß wer unter deinem Schutz steht, gewiß nicht verloren geht. Mögen darum alle mich vergessen, nur du vergiß mich nicht, du Mutter des allmächtigen Gottes. Sage Gott, daß ich dein Knecht bin; sage Ihm, daß ich unter deinem Schutz stehe, und ich werde gerettet sein. O Maria, auf dich verlasse ich mich. In dieser Hoffnung lebe ich, in ihr begehre und hoffe ich zu sterben, immerdar sprechend: Meine einzige Hoffnung ist Jesus, und nach Jesus die Jungfrau Maria.


 

Abs. 2 - Maria ist die Hoffnung der Sünder

Als Gott die Welt schuf, schuf Er zwei Lichter, ein größeres und ein kleineres, die Sonne, damit sie am Tag leuchte, den Mond, damit er bei Nacht leuchte. (Gen 1,16) Die Sonne, sagt Kardinal Hugo, ist das Vorbild Jesu Christi, dessen Lichtes die Gerechten sich erfreuen, die im Tag der göttlichen Gnade leben; der Mond das Vorbild Mariens, durch deren Vermittlung die Sünder erleuchtet werden, die in der Nacht der Sünde leben. Da nun Maria für die armen Sünder der gnädige Mond ist, was hat dann, fragt Innozenz III. ein Unglücklicher, der in die Nacht der Sünde geraten ist, zu tun? „Wer da liegt in der Nacht der Schuld, er blicke nach dem Mond, er flehe zu Maria.” Weil er mit der göttlichen Gnade das Licht der Sonne verloren hat, so wende er sich an den Mond, er rufe Maria an, und sie wird ihm das Licht verleihen, seinen unglücklichen Zustand zu erkennen, und die Kraft, ohne Säumen ihn zu verlassen. Der hl. Methodius sagt, daß durch die Bitten Mariens ohne Aufhören zahllose Sünder bekehrt werden.

Einer der Titel, mit welchen uns die hl. Kirche zur göttlichen Mutter bitten läßt, und der die armen Sünder besonders ermutigt, ist der aus der Lauretanischen Litanei: Zuflucht der Sünder! Früher gab es in Judäa eigene Zufluchtsorte, wo Verbrecher, die sich dahin flüchteten, von der verdienten Strafe frei blieben. Gegenwärtig gibt es... nur eine einzige, nämlich Maria, von der es heißt: „Herrliches wird von dir gesagt, o Stadt Gottes”
(Ps 86,3); doch mit dem Unterschied, daß in den alten Freistädten nicht alle Verbrecher, noch für alle Arten von Verbrechen Zuflucht finden konnten, während unter dem Mantel Mariens alle Sünder und zwar für jedes Verbrechen, das sie begangen haben, Rettung finden. Es genügt, daß einer dahin fliehe, um geborgen zu sein. „Ich bin die Zufluchtsstätte aller, die sich zu mir flüchten”, läßt der hl. Johannes von Damaskus Maria sprechen.

Es genügt, daß man zu ihr fliehe; denn wer einmal das Glück erlangt hat, in diese Freistadt einzugehen, der hat nicht nötig, erst zu unterhandeln, um gerettet zu sein. „Versammelt euch und laßt uns in die feste Stadt ziehen und uns da stille halten.”
(Jer 8,14) Diese feste Stadt ist nach der Erklärung des hl. Albert Der Große die allerseligste Jungfrau, die in Gnade und in Herrlichkeit befestigt ist. „Und da laßt uns stille halten”; denn da wir nicht den Mut haben, den Herrn selbst um Verzeihung anzuflehen, so reicht es hin, in diese Freistätte einzuziehen und uns schweigend zu verhalten, da Maria für uns sprechen und bitten wird.

Ein frommer Schriftsteller ermahnt darum alle Sünder, sich unter den Mantel Mariens zu flüchten, mit den Worten: „Flieht, o Adam, o Eva, und ihr, ihre Kinder, die ihr Gott beleidigt habt; flieht und bergt euch im Schoß dieser guten Mutter.” Wißt ihr nicht, daß sie - nach dem Zeugnis des hl. Augustinus - die einzige Zufluchtsstätte, die einzige Hoffnung der Sünder ist? „Einzige Hoffnung der Sünder”, nennt er sie. Auch der hl. Ephräm sagt zu Maria: „Du bist die einzige Fürsprecherin der Sünder und jener, die aller Hilfe beraubt sind. Sei darum gegrüßt als die Zuflucht und Herberge, in der allein noch die Sünder Rettung und Aufnahme finden.” Ebendies ist es, was nach der Bemerkung eines Schriftstellers, David meinte, da er sprach: „Er hat mich beschirmt im Verborgenen seines Zeltes.”
(Ps 26,5) Wer anders ist dieses Zelt Gottes, als Maria? So nennt sie der hl. Andreas von Kreta: „Zelt von Gott bereitet, in das allein nur Gott selber eintrat, um die großen Geheimnisse der Erlösung zu vollbringen»

Mit Beziehung auf diese Wahrheit sagte der hl. Basilius der Große, daß der Herr uns Maria gleich als ein Haus der öffentlichen Barmherzigkeit gegeben habe, in das sich die armen und von jeder anderen Hilfe verlassenen Kranken aufnehmen lassen können. Da solche Häuser für Aufnahme der Armen bestimmt sind, so frage ich, wer hat den größten Anspruch daselbst angenommen zu werden? Haben ihn nicht die Ärmsten und Kränksten? Wer sich also besonders elend weiß, weil sehr arm an Verdiensten und sehr mit den Übeln der Seele, d.h. mit Sünden belastet, der kann zu Maria flehen: O meine Herrin, du bist die Zuflucht der armen Kranken, verstoße mich nicht; denn als der Ärmste und Kränkste von allen, habe ich am meisten Anspruch, von dir aufgenommen zu werden. Sprechen also auch wir mit dem hl. Thomas von Villanova zu Maria: „O Maria, wir armen Sünder wissen keine andere Zuflucht zu finden, außer dir; du bist unsere einzige Hoffnung, der wir unser Heil anvertrauen. Du bist die einzige Fürsprecherin bei Jesus Christus, an die wir uns alle wenden.”

In den Offenbarungen der hl. Birgitta wird Maria das Gestirn genannt, das der Sonne vorangeht. Das will sagen, sobald in der Seele eines Sünders die Andacht zur göttlichen Mutter sich blicken läßt, so ist das ein sicheres Zeichen, daß bald Gott selbst erscheinen wird, um sie mit seiner Gnade zu bereichern. Der glorreiche hl. Bonaventura stellt den Sündern, um in ihnen das Vertrauen auf den Schutz Mariens zu beleben, ein stürmisches Meer vor Augen, wo die aus dem Schiff der göttlichen Gnade gefallenen, von Gewissensbissen und der Furcht vor der göttlichen Gerechtigkeit hin- und hergeschleuderten Sünder ohne Licht und ohne Führer schon nahe daran sind, jede Hoffnung aufzugeben und zu verzweifeln, bis ihnen der Herr Maria als den Meeresstern, wie sie alle nennen, zeigt und ihnen mit lauter Stimme zuruft: „Arme, verlorene Sünder, verzweifelt nicht; erhebt eure Augen zu diesem schönen Stern; faßt neues Vertrauen; denn sie wird euch aus diesem Sturm retten und in den Hafen des Heiles führen»

Dasselbe sagt der hl. Bernhard: „Willst du nicht vom Sturm versenkt werden, so blicke auf nach dem Stern und rufe Maria zu Hilfe!” Sie ist auch, nach dem Ausspruch des frommen Blosius, die einzige Rettung jener, die Gott beleidigt haben; sie die Zuflucht aller Versuchten und Betrübten. Diese Mutter der Barmherzigkeit ist ganz gütig, ganz milde, nicht bloß gegen die Gerechten, sondern auch gegen die Sünder und Verzweifelnden. Sobald sie solche zu ihr fliehen und von Herzen ihren Beistand suchen sieht, kommt sie ihnen sogleich zu Hilfe, nimmt sie auf und erlangt ihnen Verzeihung von ihrem Sohn!

Keinen kann sie verachten, ist er auch noch so unwürdig; darum verweigert sie niemandem ihren Schutz, sondern tröstet sie alle. Mit einem Wort, kaum ist sie angerufen, so ist auch ihre Hilfe da. Durch ihre süßeste Güte weiß sie die der Liebe Gottes fernsten und in den Sündenschlaf am tiefsten versunkenen Sünder zu erwecken und zu ihrem Dienst anzulocken. So bereiten sie sich also durch ihre Vermittlung zum Empfang der göttlichen Gnade und machen sich endlich der ewigen Seligkeit würdig. Gott hat diese seine geliebte Tochter gleich von Natur aus so mitleidsvoll und menschenfreundlich gemacht, daß niemand sich scheuen kann, ihre Vermittlung anzurufen. „Es ist darum nicht möglich”, schließt der fromme Blosius, „daß jemand, der mit Beharrlichkeit und Demut die Andacht zu der göttlichen Mutter pflegt, verlorengehe.”

Maria wird Platane genannt. „Ich wuchs wie eine Platane.” (Sir 24,19) Daraus sollen die Sünder erkennen, daß, gleich wie die Platane den Wanderern eine Zuflucht bietet, um unter ihrem Schatten vor der Sonnenhitze sich zu schützen, ebenso lädt Maria die Sünder ein, gegen die sie den Zorn der göttlichen Gerechtigkeit entbrannt sieht, sich unter dem Schatten ihres Schutzes zu bergen. Der Prophet Isaias wehklagte über seine Zeitgenossen mit den Worten: „Siehe, du zürnst, o Herr, weil wir gesündigt haben... Niemand ist, der... sich erhebt, der an dir festhält!”
(Is 64,5) Der hl. Bonaventura stellt hierüber die Erwägung an: „Vor Maria war niemand, der es wagte, Gott zurückzuhalten; aber wenn jetzt Gott gegen einen Sünder erzürnt ist, und Maria seinen Schutz übernimmt, so hält sie ihren Sohn zurück, daß Er ihn nicht strafe, sondern selig mache. „Und niemand”, fährt er fort, „läßt sich finden, der geeigneter wäre als Maria, die gefalteten Hände unter das Schwert der göttlichen Gerechtigkeit zu halten, damit es nicht niederfahre, den Sünder zu züchtigen.” Den gleichen Gedanken führt Richard von St. Lorenz weiter aus, wenn er sagt, Gott habe vor Ankunft Mariens in der Welt sich beklagt, daß niemand sei, der Ihn zurückhalte, die Sünder zu strafen; nach ihrer Geburt aber sei es Maria, die Ihn versöhne.

Der hl. Basilius von Seleukia spricht deshalb den Sündern Mut zu mit den Worten: „O Sünder, verzage nicht, sondern fliehe zu Maria in allen deinen Nöten, rufe sie zu Hilfe, du wirst sie immer zu deinem Beistand bereit finden; denn es ist ja der Wille Gottes, daß sie allen in jeder Not beistehe.” Diese Mutter der Barmherzigkeit hat ein so großes Verlangen, gerade die unglücklichsten Sünder zu retten, daß sie dieselben sogar aufsucht, um ihnen zu helfen, und wenn sie zu ihr fliehen, so weiß sie wohl, wie sie dieselben Gott wieder wohlgefällig machen kann.

Isaak begehrte, vom Wild des Waldes zu essen, und verhieß dem Esau dafür seinen Segen. Rebecca hingegen wollte, daß ihr anderer Sohn Jakob den Segen empfange und sprach zu diesem, daß er ihr zwei Ziegenböcklein bringe, um sie nach dem Geschmack Isaaks zu bereiten. „Geh zur Herde und hol mir zwei Böcklein.”
(Gen 27,9) Der hl. Antonin sagt, Rebecca war ein Vorbild Mariens, die zu den Engeln sagt: „Bringt mir Sünder”, diese werden durch die Böcklein bezeichnet, „denn ich werde sie durch Reue und guten Vorsatz, den ich ihnen erlange, also zurichten, daß ich sie meinem Herrn wieder lieb und wohlgefällig mache.” Der Abt Franko führt denselben Gedanken aus, wenn er sagt, Maria verstehe diese Böcklein so trefflich zu bereiten, daß sie dem Geschmack von einem Hirsch nicht bloß gleichkommen, sondern ihn manchmal übertreffen.

Die allerseligste Jungfrau selbst offenbarte der hl. Birgitta, es gebe auf der Welt keinen Gott so entfremdeten Sünder, der nicht, wenn er zu ihr seine Zuflucht nehme und ihren Beistand anrufe, wieder zu Gott zurückkehren und seine Gnade wieder erlangen werde. Die hl. Birgitta vernahm auch einmal die Worte Jesu Christi an seine Mutter, daß sie sogar dem Luzifer die göttliche Gnade wieder zu erlangen vermöchte, wenn nur dieser sich demütigen könnte, sie um ihren Beistand zu bitten. Dieser stolze Geist wird sich zwar nie soweit verdemütigen, den Schutz Mariens anzurufen; aber könnte er sich demütigen, sie darum zu bitten, so hätte Maria die Barmherzigkeit und die Macht, ihm durch ihre Fürbitte von Gott die Vergebung und das Heil zu erlangen. Allein was sich beim Teufel nicht geschehen kann, das geschieht an den Sündern, die zu dieser Mutter der Barmherzigkeit ihre Zuflucht nehmen.

Die Arche Noe war ebenfalls ein Vorbild Mariens, denn gleichwie in jener alle Tiere der Erde Rettung fanden, so finden unter dem Mantel Mariens alle Sünder, die durch ihre Laster und Sünden des Fleisches den Tieren ähnlich sind, eine Zuflucht; doch mit dem Unterschied, daß - nach der Bemerkung eines Schriftstellers - die Tiere, die in die Arche gingen, Tiere blieben, der Wolf ein Wolf, der Tiger ein Tiger, unter dem Mantel Mariens wird aber der Wolf zum Lamm, der Tiger zur Taube. Einmal sah die hl. Gertrud Maria mit weit geöffnetem Mantel und unter ihm Tiere verschiedener Gattung, Leoparden, Löwen, Bären; und sie bemerkte, wie die allerseligste Jungfrau dieselben nicht allein nicht verjagte, sondern vielmehr mit gütiger Hand sie huldreich aufnahm und liebkoste. Da erkannte die Heilige, daß die wilden Tiere die unglücklichen Sünder sind, die Maria mit süßer Liebe aufnimmt, sobald sie zu ihr flüchten. Mit Recht also sagt der hl. Bernhard zur allerseligsten Jungfrau: „O liebe Frau, du verabscheust keinen, der sich dir naht, er mag was immer für ein Sünder und noch so häßlich und verabscheuungswürdig sein. So er dich um Hilfe anruft, verschmähst du nicht, deine mitleidige Hand auszustrecken und ihn aus dem Abgrund der Verzweiflung herauszuziehen.” O liebenswürdigste Mutter Maria, allzeit sei Lob und Dank unserem Gott, der dich so sanft und gütig, selbst gegen die elendesten Sünder gemacht hat! Unglücklich ist, wer dich nicht liebt, und, da er doch zu dir seine Zuflucht nehmen kann, auf dich nicht vertraut. Wer sich nicht an Maria wendet, ist verloren; aber wer ist je verloren gegangen, der zu Maria seine Zuflucht genommen?

In der Hl. Schrift wird erzählt, Booz habe Ruth erlaubt, die Ähren nachzulesen, die den Händen der Schnitter entfallen waren. „Sie sammelte Ähren hinter den Schnittern her.” (Rth 2,6) Dazu bemerkt der hl. Bonaventura: „Gleichwie Ruth in den Augen des Booz Gnade fand, ebenso hat Maria in den Augen des Herrn Gnade gefunden, nämlich die Ähren aufzusammeln, welche die Schnitter zurückgelassen haben.” Die Schnitter sind die Arbeiter des Evangelium, die Missionare, die Prediger, die Beichtväter, die durch ihre Mühen Tag für Tag die Seelen ernten und für Gott gewinnen. Es gibt aber widerspenstige und verhärtete Seelen, die auch von diesen Arbeitern zurückgelassen werden; nur Maria ist es gegeben, durch ihre mächtige Fürsprache diese liegengebliebenen Ähren zu retten. Wie unglückselig wären sie, wenn sie nicht einmal von dieser gütigen Herrin sich sammeln ließen! Ja, sie würden in der Tat verloren und verflucht sein! Glückselig hingegen, wer zu dieser guten Mutter flieht! „Es gibt auf der Welt”, sagt der fromme Blosius, „keinen so verlorenen und versunkenen Sünder, den Maria verabscheuen und verstoßen würde. Nein, wenn ein solcher Hilfe suchend naht, so vermag und will es diese gute Mutter, ihn mit ihrem Sohn wieder auszusöhnen und ihm Verzeihung zu erlangen,”

Mit Recht also, o meine mildreichste Königin, begrüßt dich der hl. Johannes von Damaskus mit dem Titel: Hoffnung der Verzweifelten; mit Recht nennt dich der hl. Laurentius Justinianus: Hoffnung der Verbrecher, der hl. Augustinus: Einzige Hoffnung der Sünder; der hl. Ephräm: Sicherer Hafen der Schiffbrüchigen. Ja dieser nennt dich sogar: Beschützerin der Verdammten. Mit Recht endlich mahnt der hl. Bernhard die Verzweifelnden, nicht zu verzagen, weshalb er voll Freude und Zärtlichkeit zu ihr, seiner teuersten Mutter, die liebenden Worte spricht:

„O meine Herrin, wer sollte auf dich nicht vertrauen, da du sogar den Verzweifelnden zu Hilfe kommst? Ich bin gewiß, daß wenn immer wir zu dir uns wenden, wir alles erlangen, was wir begehren. Auf dich also hoffe, wer keine Hoffnung mehr hat.”

Der hl. Antonin erzählt, daß es einem in Gottes Ungnade gefallenen Menschen vorgekommen sei, als stehe er vor dem Richterstuhl Jesu Christi, wo der Teufel ihn anklagte, Maria aber verteidigte. Der Feind brachte gegen den armen Sünder das ganze Verzeichnis seiner Sünden vor, das in der Waagschale der göttlichen Gerechtigkeit weit schwerer wog, als alle seine guten Werke. Doch, was tat seine mächtige Fürsprecherin? Sie streckte ihre milde Hand aus, legte sie auf die andere Waagschale und brachte sie zum Sinken. Dadurch gab sie ihm zu verstehen, sie wolle ihm Verzeihung erlangen, wenn er sein Leben ändere. In der Tat bekehrte sich der Sünder auf dieses Gesicht hin und änderte sein Leben.

Beispiel

Der sel. Johannes Herolt, der sich aus Demut den Schüler nennt, erzählt von einem verheirateten Mann, der in der Sünde lebte. Seine Frau, eine tugendhafte Frau, die ihn nicht zum Aufgeben der Sünde zu bewegen vermochte, bat ihn, er möge doch wenigstens in seinem elenden Zustand soviel Andacht zu Maria üben, daß er im Vorbeigehen vor ihrem Bild jedesmal mit einem Ave sie begrüße.

Der Mann fing an, diese Andacht zu üben. Da er nun eines Nachts daran war, eine Sünde zu begehen, erblickte er ein Licht und näher tretend erkannte er es als die Lampe vor einem Andachtsbild Mariens mit dem Jesuskind auf dem Arm. Nach seiner Gewohnheit sprach er das Ave Maria; aber was muß er sehen? Das Kind voll Wunden, die von frischem Blut triefen. Erschreckt und zugleich gerührt bedachte er, daß er durch seine Sünden den Erlöser so verwundet habe, und er brach in Tränen aus. Da bemerkte er, daß das Kind ihm den Rücken kehrte. Voll Bestürzung wandte er sich an die allerseligste Jungfrau und sprach: „Mutter der Barmherzigkeit, dein Sohn verstößt mich. Ich kann keine mitleidigere und mächtigere Fürsprecherin finden als dich, die du seine Mutter bist. Meine Königin hilf mir! Bitte Ihn für mich!” Die göttliche Mutter gab ihm aus dem Bild zur Antwort:
„Ihr Sünder nennt mich Mutter der Barmherzigkeit; doch hört ihr nicht auf, mich zu einer Mutter des Elends zu machen, indem ihr meinem Sohn das bittere Leiden und mir meine Schmerzen erneuert.”

Allein da Maria keinen, der zu ihren Füßen Zuflucht sucht, ungetröstet von sich weisen kann, so wandte sie sich dennoch an ihren Sohn und bat Ihn, diesem Unglücklichen zu verzeihen. Jesus zeigte fortwährend sein Widerstreben gegen solche Verzeihung; die allerseligste Jungfrau aber legte das Kind in die Nische, warf sich vor Ihm nieder und sprach: „Mein Sohn, ich weiche nicht von deinen Füßen, bis du diesem Sünder verziehen hast.” - „Meine Mutter,” sprach darauf Jesus, „ich kann dir nichts verweigern; willst du, daß ihm vergeben sei? Aus Liebe zu dir vergebe ich ihm; lasse ihn kommen, daß er meine Wunden küsse.”

Der Sünder trat bitterlich weinend hinzu und während er die Wunden des Kindes küßte, wurden sie heil. Endlich schloß ihn Jesus in seine Arme zum Zeichen der Verzeihung. Er änderte sein Leben, ergab sich von nun an einem gottseligen Wandel und bewahrte sein ganzes Leben hindurch die innigste Liebe zur allerseligsten Jungfrau, die ihm eine so große Gnade erlangt hatte.

 

Gebet
Ich verehre, o allerreinste Jungfrau Maria, dein heiligstes Herz, diese Wonne und Ruhestätte Gottes, dein Herz voll Demut, Reinheit und göttlicher Liebe! Ich unglücklicher Sünder komme zu dir mit einem Herzen voll Schmutz und Wunden. O Mutter der Liebe, verschmähe mich nicht, sondern laß dich zu größerem Mitleiden dadurch bewegen und hilf mir! Suche nicht, um mir zu helfen, Tugenden oder Verdienste! Ich bin ein Verlorener und verdiene nichts, als die Hölle. Blicke allein, ich bitte, auf das Vertrauen, das ich zu dir gefaßt, und auf den guten Willen, den ich habe, mich zu bessern. Sieh darauf, was Jesus für mich getan und gelitten hat, und dann verlasse mich, so du dir getraust, mich zu verstoßen. Ich stelle dir vor Augen alle Leiden seines ganzen Lebens, die Kälte, die Er litt im Stall, seine Flucht nach Ägypten, das Blut, das Er vergoß, die Armut, den Schweiß, die Traurigkeit, den Tod, den Er aus Liebe zu mir in deiner Gegenwart erduldet hat; - aus Liebe zu Jesus also nimm es auf dich, mich zu retten!

O meine Mutter, ich kann nicht fürchten, daß du mich verstößt, jetzt da ich zu dir fliehe und deine Hilfe anrufe. Würde ich dies fürchten, so würde ich ja deiner Barmherzigkeit Unrecht tun, welche die Elenden aufsucht, um ihnen zu helfen.

O meine liebe Frau, verweigere dein Mitleid dem nicht, dem Jesus sein Blut nicht verweigert hat. Die Verdienste dieses Blutes aber werden mir nicht zugewendet, wenn du mich nicht Gott empfiehlst. Von dir hoffe ich mein Heil. Ich bitte dich nicht um Reichtum, Ehren oder andere Güter dieser Welt; ich bitte dich um die Gnade Gottes, um die Liebe zu deinem Sohn, um die Erfüllung seines Willens, um den Himmel, auf daß ich Ihn ewig liebe. Wäre es möglich, daß du mich nicht erhörst? Nein, du erhörst mich nun, wie ich hoffe; schon bittest du für mich; schon erlangst du mir die gewünschten Gnaden; schon nimmst du mich unter deinen Schutz. Meine Mutter, verlasse mich nicht; fahre fort, fahre fort, für mich zu bitten, bis du mich selig im Himmel zu deinen Füßen siehst, um dich zu preisen und dir zu danken in Ewigkeit. Amen.

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4. - Kap. Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas

Abs. 1 - Wie sehr Maria bereit ist, dem zu helfen, der sie anruft

Wir arme Kinder der unglücklichen Eva, ihrer Schuld vor Gott teilhaftig und zu gleicher Strafe wie sie verurteilt, wir wandern heimatlos durch dieses Tränental, als Verbannte aus unserem Vaterland und weinend vor Betrübnis über so viele Schmerzen Leibes und der Seele. Doch glückselig ist, wer inmitten dieses Elendes oft sich an die Trösterin der Welt wendet, an die Zuflucht der Elenden, an die erhabene Mutter Gottes und andächtig zu ihr ruft und zu ihr betet. „Glückselig der Mensch, der mich hört und der an meiner Tür wacht Tag für Tag.” (Spr 8,54) Selig, sagt Maria, wer meine Ratschläge anhört und nicht aufhört, unablässig an den Pforten meiner Barmherzigkeit zu stehen, indem er mich um meine Fürsprache und Hilfe anfleht. Die hl. Kirche selbst zeigt uns, ihren Kindern, mit welcher Andacht und mit welchem Vertrauen wir unablässig an diese unsere liebreiche Beschützerin uns wenden sollen, indem sie verordnet, daß Maria durch einen besonderen Kult verehrt werde, daß in jedem Jahr so viele Feste ihr zu Ehren gefeiert werden, daß in jeder Woche ein Tag im Besonderen ihrem Dienst geweiht sei, daß jeden Tag alle Geistlichen und Ordensleute sie in den kirchlichen Tagzeiten im Namen des ganzen christlichen Volkes anrufen, und daß alle Gläubigen sie dreimal des Tages beim Klang der Glocke begrüßen [Gebet des Engel des Herrn].

Diese Absicht der Kirche leuchtet genügend schon daraus hervor, daß sie in allen Fällen gemeinsamer Not die Mutter Gottes durch Novenen, durch Gebete, durch Prozessionen, durch Besuch ihrer Kirchen und ihrer Bilder angerufen wissen will. Maria selbst begehrt von uns, jeder Zeit angerufen und gebeten zu werden, nicht etwa, als erbitte sie sich damit unsere Dienste und Ehrenbezeigungen, die ohnehin in keinem Verhältnis zu dem stehen, was ihr gebührt, sondern aus dem Grund, daß unser Vertrauen und unsere Andacht zunehme, und sie uns um so mehr helfen und trösten könne. „Sie selbst”, sagt der hl. Bonaventura, „sucht solche, die andächtig und ehrfurchtsvoll sich ihr nahen; diese liebt, diese pflegt, diese nimmt sie zu ihren Kindern an.”

Der hl. Bonaventura sagt auch, daß Ruth, deren Name eine Sehende und Eilende bedeutet, ein Vorbild Mariens war; denn sobald Maria unser Elend sieht, eilt sie, mit ihrer Barmherzigkeit uns zu helfen. Und Novarin erklärt, daß Maria vor Verlangen, uns Gutes zu tun, kein Zögern ertragen kann, und da sie keine geizige Hüterin ihrer Gnadenschätze ist, so kann sie als Mutter der Barmherzigkeit sich nicht enthalten, so schnell als möglich über ihre Diener die Schätze ihrer Freigebigkeit auszuschütten.

O wie bereit ist diese gütige Mutter, jedem, der sie anruft, beizustehen. „Deine zwei Brüste sind zwei junge Rehe”
(Hl 4,5) heißt es im Hohenlied, was Richard von St. Lorenz so erklärt, daß die Brüste Mariens so schnell bereit seien, die Milch der Barmherzigkeit jedem, der sie bittet, zu reichen, wie die Rehe schnell sind im Lauf. Derselbe Schriftsteller behauptet fest, daß die Barmherzigkeit Mariens sich auf jeden ergieße, der sie anruft, wenn er auch kein weiteres Gebet verrichten sollte, als ein einfaches Ave Maria. Darum bezeugt Novarin, daß die allerseligste Jungfrau zum Beistand derer, die sie anrufen, nicht bloß in schnellem Lauf, sondern im Flug herbeieile. In dem Erweis ihrer Barmherzigkeit ahmt sie das Verfahren Gottes nach, wie derselbe Schriftsteller bemerkt; denn gleichwie der Herr ohne Zögern eilt, jenen zu helfen, die Ihn um seinen Beistand bitten, da Er vollkommen getreu ist in Erfüllung seiner Verheißung: „Bittet und ihr werdet empfangen;” (Jo 16,24) ebenso ist Maria, sobald man sie anruft, augenblicklich bereit, dem zu helfen, der sie anfleht.

Daraus erkennen wir auch, wer jene Frau in der geheimen Offenbarung ist, von der es heißt, es seien ihr zwei Flügel eines großen Adlers gegeben worden, um in die Wüste zu fliegen. „Und der Frau wurden zwei Flügel eines großen Adlers gegeben, daß sie in die Wüste flöge.”
(Offb 12,14) Ribeira versteht unter diesen Flügeln die Liebe, mit der Maria unablässig zu Gott auffliegt. Aber der sel. Amadeus behauptet in Übereinstimmung mit uns, daß die Adlerflügel die Schnelligkeit bedeuten, mit der Maria, die Behendigkeit der Seraphim übertreffend, beständig ihren Kindern zu Hilfe eilt. Ebendarum heißt es in dem Evangelium des hl. Lukas, daß Maria, als sie die hl. Elisabeth heimsuchen und die ganze Familie mit Gnaden überhäufen wollte, nicht langsam, sondern eilig die ganze Reise zurückgelegt habe. „Maria machte sich auf und ging eilends über das Gebirge.” (Lk 1,39) Dies aber wird nicht von der Rückreise gesagt. Aus demselben Grund heißt es ferner im Hohenlied, daß die Hände Mariens wie durch die Kunst des Drechslers bereitet sind. „Ihre Hände sind wie aus Gold gedreht,” (Hl 5,14) was Richard von St. Lorenz erklärt, daß, wie die Arbeit des Drechslers die leichteste und behendeste ist, ebenso Maria schneller als alle anderen Heiligen ihren Dienern zu Hilfe komme. „Sie hat das höchste Verlangen, alle zu trösten”, sagt Blosius, „und kaum vernimmt sie eine Bitte, als sie gütig dieselbe schon gewährt und zu Hilfe kommt.”

Der hl. Bonaventura nennt also mit Recht Maria das Heil derer, die sie anrufen, indem er sagen will, daß, um das Heil zu erlangen, es hinreiche, diese göttliche Mutter anzurufen, die, den Worten Richards von St. Lorenz gemäß, sich bereit finden läßt, dem, der sie anruft, beizustehen. Denn auch Bernhardin von Bustis bezeugt, unsere erhabene Herrin trage mehr Verlangen, uns Gnaden zu erweisen, als wir begehren, solche zu erhalten.

Wenn wir zu ihren Füßen uns flüchten, so darf die Menge unserer Missetaten das Vertrauen in uns nicht mindern, von ihr erhört zu werden. Sie ist Mutter der Barmherzigkeit und ihre Barmherzigkeit findet nur da Gelegenheit, wo ein Hilfsbedürftiger sich findet. Wie darum eine gütige Mutter es nicht verschmäht, einem mit Aussatz behafteten Kind Mittel zu reichen, wenngleich diese Pflege beschwerlich und ekelerregend ist, ebenso kann unsere gute Mutter uns nicht verlassen, wenn wir uns an sie wenden, mag auch der üble Geruch unserer Sünden, von denen sie uns zu heilen hat, noch so groß sein. Dieses wollte Maria selbst zu verstehen geben, als sie sich der hl. Gertrud zeigte, ihren Mantelausbreitend, um alle, die zu ihr fliehen, darunter aufzunehmen. Dabei nahm die Heilige zugleich wahr, wie auch die Engel bedacht sind, die Verehrer Mariens gegen die Anfechtungen der Hölle zu schützen.

So groß ist das Mitleid, welches diese gute Mutter mit uns hat, und so groß die Liebe, die sie zu uns trägt, daß sie nicht auf unsere Gebete wartet, um uns zu Hilfe zu kommen. „Sie kommt denen zuvor, die nach ihr verlangen, um sich ihnen zuerst zu zeigen.” (Wsh 6,14) Diese Worte der Weisheit bezieht der hl. Anselm auf Maria und sagt, daß sie denen, die nach ihrem Schutz verlangen, hilfreich zuvorkommt. Daraus mögen wir ermessen, wie viele Gnaden sie von Gott uns erlangt, noch ehe wir sie darum bitten. Deshalb wird nach dem Ausspruch Richards von St. Viktor Maria „Mond” genannt - Schön wie der Mond
(Hl 6,9) -, nicht allein weil sie schnell wie der Mond dem, der sie anruft, zu Hilfe eilt, sondern mehr noch, weil sie so sehr um unser Wohl besorgt ist, daß, wenn wir in Not sind, sie unseren Bitten zuvorkommt, und daß ihre Barmherzigkeit schneller bereit ist, uns beizustehen, als wir uns entschließen, sie anzurufen. Dies kommt nach der Meinung Richards von der Überfülle des Mitleidens im Herzen Mariens, das, kaum daß sie unser Elend bemerkt, alsbald von der Milch des Erbarmens überfließt, indem die milde Königin die Not keiner Seele erblicken kann, ohne ihr zu helfen.

Dieses große Mitleid Mariens mit unserem Elend, welches sie drängt, Erbarmen mit uns zu fühlen und uns zu helfen, sogar wenn wir sie nicht einmal anrufen, hat sie uns selbst noch während ihres irdischen Lebens, auf der Hochzeit zu Kana, zu erkennen gegeben, wie es im Evangelium des hl. Johannes beschrieben ist. Diese mitleidige Mutter sah den Kummer der Brautleute, die aus Beschämung, daß der Wein an der Tafel der Gäste ausgegangen, ganz betrübt waren, und ungebeten, allein von ihrem gütigen Herzen getrieben, das, ohne mitzuleiden, fremde Betrübnis nicht sehen kann, gedachte sie, ihren Sohn zu bitten, daß Er sie tröste, weshalb sie Ihm die Not der Familie einfach mit den Worten vorstellte: „Vinum non habent - sie haben keinen Wein.” (Jo 2,3)

Auf dieses hin wirkte der Herr zum Trost der Familie und noch mehr zur Freude des mitleidsvollen Herzens seiner Mutter, das von ihr ersehnte, allbekannte Wunder der Verwandlung des Wassers in bestimmten Krügen zu Wein. „Wenn nun Maria”, schließt Novarin, „so bereit ist, in der Not zu helfen, ohne daß man sie bittet, wie viel mehr wird sie dem zu helfen bereit sein, der sie mit Bitten um ihren Beistand anfleht.” Und sollte jemand glauben, Maria habe ihm auf seine Bitten nicht geholfen, so hält ihm Innozenz III. entgegen: „Wann hat es je einen gegeben, der bei dieser gütigen Frau Hilfe gesucht und nicht gefunden hätte?” „Wer o heiligste Jungfrau”, ruft auch der sel. Eutychian aus, „hat jemals deinen mächtigen Schutz, der jedem Elenden zu helfen und die verworfensten Sünder zu retten vermag, angerufen und ist von dir verlassen worden? In Wahrheit keiner jemals.” Nein, dieser Fall hat sich noch nicht ereignet und wird sich nie ereignen. „Ich gebe zu”, sagt der hl. Bernhard, „daß der von deiner Barmherzigkeit schweige und aufhöre, sie zu loben, der sich erinnern kann, dich in seiner Not angerufen und von dir keine Hilfe erhalten zu haben.” „Doch eher können Himmel und Erde vergehen”, sagt der fromme Blosius, „als daß Maria es unterlasse, demjenigen zu helfen, der in guter Absicht und mit Vertrauen sie um Hilfe bittet.” Und der hl. Anselm sucht unser Vertrauen mit den Worten zu mehren: „Wenn wir an diese göttliche Mutter uns wenden, so dürfen wir nicht bloß ihres Schutzes versichert sein, sondern manchmal werden wir schneller erhört und wird uns eher geholfen, wenn wir den Namen Mariens, als wenn wir den Namen Jesus unseres Erlösers anrufen.” Er will damit sagen, daß wir schneller Hilfe bei der Mutter als bei dem Sohn finden, nicht als wäre Maria etwa mächtiger, uns zu helfen, als ihr Sohn; denn wir wissen ja, daß Jesus Christus unser einziger Erlöser ist, der allein durch seine Verdienste uns das Heil erworben hat und immerdar erwirbt; sondern deshalb, weil es so leicht geschieht, daß, wenn wir uns an Jesus Christus wenden und erwägen, wie es Ihm als unserem Richter zukommt, die Undankbaren zu züchtigen, wir es an dem zur Erhörung notwendigen Vertrauen fehlen lassen. Wenn wir aber zu Maria bitten, die als Mutter der Barmherzigkeit kein anderes Amt hat, als sich unser zu erbarmen und als Fürsprecherin uns zu verteidigen, so wird unser Vertrauen zu ihr zuversichtlicher und größer. Um vieles bitten wir zu Gott und erhalten es nicht; bitten wir Maria, so erhalten wir es. Woher kommt das?
Nikephorus antwortet:
„Nicht daher, weil Maria mächtiger ist als Gott, sondern weil Gott beschlossen hat, auf solche Weise seine Mutter zu ehren.”

Lieblich ist die Verheißung, die der Herr selbst hier über die hl. Birgitta vernehmen ließ. Im ersten Buch ihrer Offenbarungen liest man, daß diese Heilige eines Tages inne wurde, wie Jesus Christus, mit seiner Mutter sprechend, sagte: „Meine Mutter, erbitte von mir, was immer du willst, nichts werde ich dir je verweigern von allem, was du begehrst, und wisse, daß ich allen, die mich durch deine Liebe um eine Gnade bitten, die Erhörung verspreche, wenn sie gleich Sünder sind, aber doch den ernsten Willen haben, sich zu bessern.” Dieselbe Offenbarung wurde der hl. Gertrud zuteil. Sie vernahm ebenfalls, wie unser Heiland zu Maria sprach, Er habe ihr in seiner Allmacht das Vorrecht gewährt, den Sündern, die sie anrufen, Barmherzigkeit zu erzeigen, in welcher Weise es ihr immer gefalle. Es möge also jeder mit großem Vertrauen diese Mutter der Barmherzigkeit anrufen und mit dem hl. Augustinus zu ihr sprechen: „Gedenke o gütigste Jungfrau Maria, daß es, seit die Welt steht, noch nie erhört worden ist, daß jemand von Dir verlassen worden sei.” Darum vergib mir, wenn ich sage, daß ich nicht der erste Unglückliche sein will, der, seine Zuflucht zu dir nehmend, von dir verlassen worden sei.

Beispiel

Die Kraft dieses Gebetes hat besonders der hl. Franz von Sales erfahren, wie in seiner Lebensbeschreibung erzählt wird. Der Heilige befand sich, etwa siebzehn Jahre alt, in Paris als Studierender und ergab sich ganz den Übungen der Frömmigkeit und der Liebe Gottes, die für ihn gleich den süßen Freuden des Paradieses waren. Da ließ es Gott der Herr zu seiner großen Prüfung und zur Befestigung in seiner Liebe zu, daß der Teufel ihm vorspiegelte, er möge tun, was er wolle, alles sei umsonst; denn er sei nach göttlichem Ratschluß verworfen. Zugleich ließ ihn Gott während jener Zeit in einer solchen Finsternis und Geistesdürre, daß er unempfindlich war für alle auch die lieblichsten Gedanken an die göttliche Güte. Hierdurch gewann die Versuchung noch mehr Stärke, das Herz des hl. Jünglings so sehr zu betrüben, daß er in dieser Bedrängnis und Trostlosigkeit den Appetit, den Schlaf, die Farbe und alle Fröhlichkeit verlor und allen, die ihn sahen, Mitleid einflößte.

So lange dieser fürchterliche Sturm dauerte, konnte der Heilige keine anderen Gedanken fassen, noch andere Worte sprechen, als der Verzweiflung und des Schmerzes. „Ich soll also”, sprach er, wie in seinem Leben erzählt wird, „ich soll also beraubt sein der Gnade meines Gottes, der sich mir bisher so liebenswürdig und so gütig bewiesen hat? O Liebe, o Schönheit, der ich alle meine Gefühle geweiht habe, ich sollte mich deiner Tröstungen nicht mehr erfreuen dürfen? O allerheiligste Jungfrau, Mutter Gottes, Du schönste der Töchter Jerusalems, ich sollte Dich einst im Himmel nicht schauen dürfen? Ach meine Gebieterin, wenn es mir nicht vergönnt wird, Dein schönes Angesicht zu schauen, so gestatte wenigstens doch nicht, daß ich in der Hölle Dich lästern und Dir fluchen muß.” Das waren damals die zärtlichen Empfindungen dieses betrübten und von Liebe zu Gott und zur allerseligsten Jungfrau entzündeten Herzens.


Einen ganzen Monat dauerte die Versuchung; aber endlich gefiel es dem Herrn, ihn davon zu befreien und zwar durch die Vermittlung der Trösterin der Welt, der allerseligsten Jungfrau Maria, welcher der Heilige schon früher seine Jungfräulichkeit geweiht und auf die er, wie er selbst sagte, alle seine Hoffnung gesetzt hatte. Eines Abends nun besuchte er auf dem Weg nach Hause eine Kirche, in der er ein keines Täfelchen an der Mauer hängen sah und darauf das Gebet des hl. Augustinus las: „Erinnere Dich, o mildreichste Jungfrau Maria, daß es noch niemals gehört wurde, daß Du jemanden verlassen hättest, der zu Dir seine Zuflucht nahm.”

Er warf sich nun vor dem Altar der Mutter Gottes nieder und sprach mit Inbrunst dieses Gebet. Er erneuerte sein Gelübde der Jungfräulichkeit, versprach, jeden Tag den Rosenkranz zu beten, und fügte hinzu: „Meine Königin, sei Du meine Fürsprecherin bei Deinem Sohn; ich getraue mich nicht mehr, mich an Ihn zu wenden. Meine Mutter, wenn ich Unglücklicher in der anderen Welt meinen Herrn, von dem ich doch erkenne, daß Er so sehr verdient, geliebt zu werden, nicht mehr lieben kann, so erlange mir wenigstens die Gnade, daß ich Ihn in dieser Welt liebe, so sehr ich nur vermag. Diese Gnade begehre ich von Dir, und von Dir hoffe ich sie zu erlangen.” So flehte er zur allerseligsten Jungfrau und warf sich dann ganz in die Arme der göttlichen Barmherzigkeit, indem er sich vollständig dem göttlichen Willen ergab. Aber kaum war das Gebet beendet, siehe, da war er augenblicklich durch seine Mutter von seiner Versuchung befreit; sogleich erlangte er den inneren Frieden und mit ihm auch die Gesundheit des Leibes wieder. Von da an blieb er der eifrigste Verehrer Mariens, und hörte nicht auf, sein ganzes Leben hindurch in seinen Predigten und Schriften das Lob und die Barmherzigkeit Mariens zu verkündigen.


Gebet
O Mutter Gottes, Königin der Engel und Hoffnung der Menschen, erhöre den, der zu dir ruft und zu dir flieht. Sieh mich hier zu deinen Füßen! Ich unglücklicher Sklave der Hölle, ich weihe mich für immer zu deinem Knecht* und biete mich an, mein ganzes Leben lang dir zu dienen und dich zu ehren, so viel ich nur kann. Wohl erkenne ich, daß der Dienst eines so niedrigen und elenden Sklaven, wie ich, der ich deinen Sohn und meinen Erlöser Jesus Christus so sehr beleidigt habe, dir keine Ehre ist. Doch wenn du einen Unwürdigen zu deinem Diener annimmst und ihn durch deine Vermittlung umwandelst, so verschafft dir eben diese deine Barmherzigkeit jene Ehre, die ich Armseliger dir nicht geben kann. Nimm mich also an, o meine Mutter, und weise mich nicht zurück. Um verlorene Schafe zu suchen, kam das ewige Wort vom Himmel auf die Erde, und um sie selig zu machen, hat es dein Sohn werden wollen; und du solltest ein solches Schäflein, das zu dir kommt, um Jesus zu finden, verachten? Der Preis für meine Rettung ist schon bezahlt. Mein Heiland hat bereits sein Blut, das ja reicht, unendlich viele Welten zu erlösen, vergossen. Es ist nur noch übrig, daß dieses Blut auch mir zugewendet werde. Und das steht bei dir, o gebenedeite Jungfrau. „Bei dir steht es”, sagt mir der hl. Bernhard, „die Verdienste dieses Blutes auszuteilen an wen du willst.” „Bei dir steht es”, sagt auch der hl. Bonaventura, „selig zu machen, wen du willst.” Stehe mir also bei, meine Königin, mache mich selig; dir übergebe ich heute meine ganze Seele; sei du darauf bedacht, sie zu retten. O Heil derer, die dich anrufen, schließe ich mit dem nämlichen hl. Bonaventura, rette mich!

[* Auch die Apostel nennen sich Knechte Christi, weil wir durch die Erlösung eigentlich sein Eigentum sind. Siehe auch, was der hl. Ludwig Maria Grignion schreibt.]



Abs. 2 - Wie mächtig Maria ist, den zu verteidigen,
                       
der sie in den Anfechtungen des Teufels anruft

Maria ist nicht bloß die Königin des Himmels und der Heiligen, sondern auch die Herrin über die Hölle und die Teufel, weil sie diese durch ihre Tugenden heldenmütig überwunden hat. Schon von Anfang der Welt an sagte Gott der höllischen Schlange den Sieg und die Herrschaft, die unsere Königin über sie erringen sollte, voraus. Er kündigte ihr an, daß eine Frau zur Welt kommen werde, von der sie besiegt werden sollte. „Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau; sie wird dir deinen Kopf zertreten.” (Gen 3,15) Wer war aber diese Frau, diese Feindin der höllischen Schlange, wenn nicht Maria, die durch die Schönheit der Demut und die Heiligkeit des Lebens jederzeit ihre Macht besiegt und niederwirft? „Die Mutter unseres Herrn Jesu Christi ist uns in jener Frau verheißen worden,” bezeugt der hl. Cyprian. Und deshalb sagt er, Gott habe nicht gesprochen: „Ich setze”, sondern: „Ich will setzen”, damit diese Worte nicht auf Eva bezogen werden können. Gott der Herr sagte: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau”, um anzudeuten, daß diese Besiegerin der Hölle nicht die bereits lebende Eva sei, sondern eine andere Frau, die von ihr abstammte, und die unseren Stammeltern ein größeres Gut bringen sollte, wie der hl. Vinzenz Ferrer sagt, als jenes war, das sie durch ihre Sünde verloren hatten. Maria ist also jene starke und erhabene Frau, die den Teufel besiegt und ihm das Haupt zertreten hat, indem sie seinen Stolz niederwarf, wie der Herr selber hinzusetzte: „Sie wird dein Haupt zertreten.”

Einzelne bezweifeln es zwar, daß diese Worte auf Maria, sondern eher auf Jesus Christus sich beziehen, da die Septuaginta übersetzt: „Er wird dein Haupt zertreten;” aber in der Vulgata, die allein vom Konzil von Trient approbiert wurde, heißt es „Sie” nicht „Er”, und so haben es auch der hl. Ambrosius, der hl. Hieronymus, der hl. Augustinus, der hl. Johannes Chrysostomus und sehr viele andere verstanden. Sei dem jedoch, wie ihm wolle, gewiß ist, daß entweder der Sohn durch die Vermittlung der Mutter, oder die Mutter durch die Kraft des Sohnes den Luzifer überwunden hat; so daß also der Stolz zu seiner Beschämung von dieser gebenedeiten Jungfrau zertreten und niedergeworfen bleibt, wie der hl. Bernhard lehrt. Und deshalb muß er wie ein im Krieg überwundener Sklave beständig den Befehlen dieser Königin gehorchen. Der hl. Bruno lehrt, Eva hat uns, weil von der Schlange besiegt, Tod und Finsternis gebracht, die allerseligste Jungfrau aber durch ihren Sieg über den Teufel Leben und Licht. Und sie hält ihn so gebunden, daß der Feind sich nicht rühren kann, um ihren Verehrern den geringsten Schaden zuzufügen.

Schön ist die Erklärung, die Richard von St. Lorenz über die Worte aus dem Buch der Sprichwörter gibt: „Es vertraut auf sie ihres Mannes Herz, und es wird ihr nicht an Beute fehlen» (Spr 31,11) Es vertraut auf sie das Herz ihres Mannes, nämlich Christi, und es wird ihr nicht an Beute fehlen; denn sie bereichert ihren Bräutigam mit der Beute, die sie dem Teufel abnimmt. Cornelius a Lapide gibt folgende Erklärung: Gott hat in die Hand Mariens das Herz Jesu gelegt, damit sie es zu ihrer Aufgabe mache, die Menschen zur Liebe zu diesem Herzen zu bewegen. Und auf diese Weise wird ihm auch die Beute nicht mangeln, nämlich der Gewinn von Seelen; denn Maria bereichert Jesu mit jenen Seelen, die sie der Hölle entreißt und durch ihren mächtigen Beistand aus den Händen der Teufel rettet.

Die Palme ist bekanntlich das Zeichen des Sieges; darum ist unsere Königin angesichts aller Gewalten auf einen erhabenen Thron erhöht, der Palme gleich, die das Sinnbild des Sieges ist, der allen, die unter ihren Schutz sich stellen, gewiß ist. „Ich wuchs wie eine Palme zu Kades;” (Sir 24,18) d. h. um euch zu verteidigen, wie der hl. Albert Der Große hinzusetzt. Kinder, will mit diesen Worten uns Maria sagen, wenn der Feind euch anfällt, flieht zu mir, schaut auf mich und faßt Mut; denn in mir, eurer Beschützerin, seht ihr zugleich eueren Sieg. Somit ist die Anrufung Mariens das sicherste Mittel, alle Anfechtungen der Hölle zu überwinden; denn sie ist, bemerkt der hl. Bernhardin von Siena, auch die Königin über die Hölle und die Beherrscherin der Teufel, da ja sie es ist, die dieselben bändigt und niederhält. Deshalb heißt Maria: Furchtbar den Mächten der Hölle, wie ein gutgeordnetes Heer: „Furchtbar wie ein geordnetes Heer
(Vulg.),” (Hl 6,3) denn Maria versteht es wohl, ihre Macht, ihre Barmherzigkeit, ihre Fürbitten zur Beschämung der Feinde und zugunsten ihrer Diener, die in der Versuchung ihren allmächtigen Beistand anrufen, zu ordnen.

„Wie ein Weinstock trug ich wohlriechende liebliche Früchte.” (Sir 24,23) Der hl. Bernhard bemerkt zu dieser Stelle: „Gleichwie vor dem blühenden Weinstock alles giftige Gewürm flieht, so fliehen die Teufel vor jenen beglückten Seelen, an denen sie den Wohlgeruch der Andacht zu Maria spüren.” Deshalb wird sie auch Zeder genannt: „Ich wuchs wie eine Zeder auf dem Libanon;” (Sir24,17) gleichwie nämlich die Zeder der Fäulnis unzugänglich ist, so ist Maria unzugänglich der Sünde; und wie der Geruch der Zeder die Schlangen, so verscheucht die Heiligkeit Mariens die Teufel. [Zedernholz bewahrt auch Kleider vor Motten.]

Die Juden errangen mittels der Bundeslade viele Siege. So besiegte Moses die Feinde: „Wenn die Lade erhoben wurde, betete Moses: Erhebe dich, o Herr, auf daß sich zerstreuen deine Feinde und fliehen die dich hassen.” (Num 10,35) So wurde Jericho überwunden, so die Philister; „denn die Lade Gottes war bei ihnen» (1 Kg 14,18) Bekanntlich war die Bundeslade ein Vorbild Mariens; wie in der Bundeslade das Manna sich befand, so befand sich Jesus, dessen Vorbild das Manna war, in Maria, und mittels dieser Bundeslade gewährt Er uns den Sieg über unsere Feinde, die Welt und die Hölle, sagt Cornelius a Lapide. Darum sagt der hl. Bernhardin von Siena: „Als Maria, die Arche des neuen Bundes, zur Himmelskönigin erhoben ward, wurde die Macht der Hölle über die Menschen geschwächt und gebrochen.” [Daher auch die Anrufung in der Lauretanischen Litanei.]

„O wie zittern die Teufel der Hölle vor Maria und ihrem erhabenen Namen”, sagt der hl. Bonaventura indem er diese höllischen Feinde mit jenen, von denen Job spricht, vergleicht. „Im Finstern bricht er in die Häuser ein... Erscheint plötzlich das Morgenrot, so halten sie es für Todesschatten.” (Job 24,16. 17) Ähnlich, sagt der Heilige, verhält es sich mit den Teufeln. Zur Zeit der Finsternis, d. h. zu jener Zeit, wo die Seele von Unverständigkeit verfinstert ist, dringen sie in dieselbe ein, sobald aber die Gnade und Barmherzigkeit Mariens in die Seele einzieht, so vertreibt diese schöne Morgenröte die Finsternis, und die höllischen Feinde fliehen vor ihr, wie vor dem Schatten des Todes.

Zur Bestätigung dessen wurde der hl. Birgitta geoffenbart, Gott hat Maria eine solche Macht über alle Teufel verliehen, daß, so oft dieselben einen Menschen anfallen, der die Hilfe Mariens anruft, sie auf einen einzigen Wink von ihr sogleich mit Schrecken davon fliehen und lieber ihre Leiden verdoppelt, als sich durch die Macht Mariens überwältigt sehen wollen. Über die Worte, mit denen der göttliche Bräutigam seine geliebte Braut lobpreist, da er sie Lilie nennt: „Gleich wie eine Lilie unter den Dornen ist, so ist meine Freundin unter den Töchtern,” (Hl 2,2) stellt Cornelius a Lapide die Erwägung an: „Wie die Lilie ein Heilmittel ist gegen Schlangen und Gift, so ist die Anrufung Mariens ein besonderes Heilmittel, um alle Versuchungen, insbesondere jene gegen die Reinheit zu überwinden, wie jene es erleben, die so verfahren.”

Der hl. Johannes von Damaskus spricht die allerseligste Jungfrau an: „Wenn ich auf dich, o Gottesgebärerin, eine unüberwindliche Hoffnung setze, werde ich selig sein; ich werde meine Feinde überwinden, wenn ich nur allein deinen Schutz und deine allmächtige Hilfe als Waffenrüstung besitze.” Dasselbe kann jeder sagen, der ein Diener dieser großen Königin ist. „O Mutter Gottes, wenn ich auf dich hoffe, werde ich nicht besiegt werden; denn von dir verteidigt, werde ich meine Feinde verfolgen, und wenn ich ihnen deinen Schutz und allmächtigen Beistand als meinen Schild entgegenhalte, werde ich gewiß der Sieger sein.” Der Mönch Jakobus, unter den griechischen Vätern als Kirchenlehrer anerkannt, betet zu Gott mit den Worten: „O Herr, Du hast uns diese deine Mutter als eine überaus mächtige Waffe geschenkt, womit wir unfehlbar alle unsere Feinde besiegen werden.”

Das zweiten Buch Moses berichtet, daß Gott sein Volk aus Ägypten in das Land der Verheißung bei Tag durch eine Wolkensäule, bei Nacht durch eine Feuersäule geführt hatte. „Der Herr aber zog vor ihnen her, sie zu geleiten, des Tages in einer Wolkensäule und des Nachts in einer Feuersäule.” (Ex 13,21) In dieser wunderbaren Wolken- und Feuersäule war, nach Richard von St. Lorenz, Maria mit ihren beiden Ämtern, die sie unablässig zu unserem Besten ausübt, vorgebildet, wie sie der Wolke gleich uns gegen die Glut der göttlichen Gerechtigkeit, als Feuersäule aber gegen die Teufel beschützt. „Sie gleicht dem Feuer”, erklärt der hl. Bonaventura; „denn wie vor der Flamme das Wachs zerschmilzt, so zerfließt die Gewalt des Teufels vor den Seelen, die häufig des Namens Maria gedenken, sie andächtig anrufen und besonders vor jenen, die sich bestreben ihr nachzufolgen.”

„O wie zittern die Teufel”, sagtt der hl. Bernhard, „wenn sie den Namen Maria auch nur aussprechen hören. Im Namen Maria beugt sich jegliches Knie, und die Teufel fürchten sich vor ihm und erzittern, wenn sie ihn nennen hören.” Und Thomas von Kempen bemerkt, gleichwie die Menschen vor Schrecken zur Erde fallen, wenn der Blitz in ihrer Nähe einschlägt, so werden die Teufel niedergeschmettert, wenn sie den Namen Maria hören. O welch herrliche Siege haben die Verehrer Marias durch Anrufung ihres heiligsten Namens über diese Feinde davongetragen.

Dadurch besiegte sie der hl. Antonius von Padua; der hl. Heinrich Suso und so viele andere Verehrer Mariens. Aus den Berichten von der Mission in Japan weiß man, daß einem Christen dort viele Teufel in Gestalt wilder Tiere erschienen, um ihn zu erschrecken und ihm zu drohen, daß er aber ihnen zurief: „Ich habe keine Waffen, vor denen ihr euch fürchten könnt; will es aber der Allerhöchste zulassen, so tut an mir, was euch gefällt. Übrigens nehme ich zu meiner Verteidigung die süßesten Namen Jesus und Maria.” Kaum hatte er dies gesagt, da öffnete sich bei dem Klang dieser Furcht gebietenden Namen die Erde, und die stolzen Geister stürzten hinab. Auch der hl. Anselm bezeugt aus Erfahrung, daß er viele gekannt, die beim Anrufen des Namens Maria schnelle Rettung aus Gefahren erlangt haben.

„Überaus glorreich und wunderbar ist dein erhabener Name, o Maria”, betet der hl. Bonaventura; jene, die in der Todesstunde seiner gedenken und ihn aussprechen, fürchten sich nicht vor der ganzen Hölle; denn sobald die Teufel den Namen Maria hören, lassen sie sogleich von einer Seele ab. Ein feindliches Kriegsheer fürchtet sich nicht so vor einem reich bewaffneten Lager, wie die feindlichen Gewalten in der Luft vor dem Namen und dem Schirm Marias. Auch der hl. Germanus sagt: „Du Unsere Liebe Frau machst allein schon durch die Anrufung deines so mächtigen Namens deine Diener sicher vor allen Anfällen des Feindes.” O wären die Christen in ihren Versuchungen darauf bedacht, mit Vertrauen den Namen Maria anzurufen, gewiß sie würden nie fallen. Wie der sel. Alanus bezeugt, flieht beim Klang dieses erhabenen Namens der Teufel und zittert die Hölle: „Der Satan entweicht, die Hölle bebt zusammen, wenn ich bete: Ave Maria,” Die Himmelskönigin selbst offenbarte der hl. Birgitta, daß auch von den verworfensten, Gott fernsten und dem Teufel verfallenen Sündern der Feind weiche, sobald er sieht, wie sie ihren mächtigsten Namen mit aufrichtigem Verlangen nach Besserung anrufen. Die allerseligste Jungfrau fügt aber ausdrücklich bei: „Wenn die Seele sich nicht bessere und nicht durch aufrichtigen Reueschmerz die Sünde von sich entferne, kehren die Teufel alsbald zu ihr zurück und fahren fort, ihre Gewalt über sie auszuüben.”

Beispiel

Im Stift Reichersberg in Oberösterreich war ein regulierter Chorherr, namens Arnold, der eine große Andacht zur allerseligsten Jungfrau hatte Dem Tod nahe, empfing er die hl. Sakramente, worauf er seine Mitbrüder zu sich rief und sie bat, ihn auf seiner letzten Reise nicht zu verlassen. Kaum hatte er dies gesagt, als er in ihrer Gegenwart am ganzen Leib zu zittern begann, die Augen verdrehte, der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er sprach mit bebender Stimme: „Seht ihr nicht die Teufel, die mich mit sich in die Hölle reißen wollen? Meine Brüder, ruft für mich den Beistand Mariens an; auf sie vertraue ich, sie wird mir den Sieg verleihen.” Auf diese Worte hin beteten jene die lauretanische Litanei, und als sie an die Worte kamen: „Hl. Maria, bitte für ihn”, rief der Sterbende: „Nochmals wiederholt, wiederholt den Namen Marias, denn ich bin schon vor dem Richterstuhl Gottes!” Er hielt ein wenig inne, und dann sagte er wieder: „Es ist wahr, ich habe das getan, aber ich habe auch Buße dafür getan”, und zur allerseligsten Jungfrau gewandt sprach er: „O Maria, wenn du mir beistehst, werde ich befreit.”

Später machten die Teufel einen neuen Angriff auf ihn; aber er verteidigte sich mit dem Kruzifix und durch die Anrufung Mariens. So ging es die ganze Nacht hindurch; endlich als der Morgen gekommen war, wurde Arnold wieder heiter und rief voll Freude aus: „Maria, meine liebe Frau, meine Zuflucht, hat mir Vergebung und das Heil erworben.” Darauf erblickte er die allerseligste Jungfrau, die ihn einlud, ihr zu folgen. Er antwortete: „Ich komme, meine Herrin! Ich komme” und wollte aus dem Bett steigen; aber außer Stand ihr körperlich zu folgen, hauchte er sanft seine Seele aus, damit Maria sie, wie zu hoffen, in das ewige Reich der Glorie führe.


Gebet
Siehe zu deinen Füßen, o Maria, meine Hoffnung, mich armen Sünder, der ich durch meine Sünden so oft ein Sklave der Hölle geworden bin. Ich sehe wohl ein, daß ich vom Teufel besiegt wurde, weil ich mich nicht an dich, o meine Zuflucht, gewandt habe. Hätte ich jedesmal zu dir meine Zuflucht genommen, hätte ich dich angerufen, nein! Ich wäre niemals gefallen. Ich hoffe, meine liebenswürdigste Herrin, durch deine Vermittlung den Händen der Teufel für jetzt entronnen zu sein und von Gott Verzeihung erlangt zu haben; allein ich zittere für die Zukunft, aufs neue in ihre Fesseln zu fallen. Ich weiß, daß die Feinde die Hoffnung nicht aufgegeben haben, mich wiederum zu besiegen, und schon rüsten sie gegen mich neue Angriffe und neue Versuchungen. Ach, meine Königin, meine Zuflucht, hilf mir! Nimm mich unter deinen Schutz, laß nicht zu, daß ich aufs neue ihr Sklave werde.

Ich weiß zwar, daß du mir helfen und den Sieg verleihen wirst, so oft ich dich anrufe; aber das eben fürchte ich, ich möchte in der Versuchung nicht an dich denken und vergessen, dich anzurufen. Dies also ist die Gnade, um die ich dich bitte, und die ich von dir erwarte; heiligste Jungfrau, bewirke, daß ich immer an dich denke, besonders wenn ich mich im Kampf befinde. Gib, daß ich nicht unterlasse, dich oftmals mit den Worten anzurufen: O Maria hilf! O Maria hilf! Und kommt dann beim Tod schließlich der Tag meines letzten Kampfes mit der Hölle, dann stehe, o meine Königin, mir besonders bei; du selbst ermahne mich alsdann, dich häufig anzurufen mit Mund und Herz, auf daß ich, deinen süßesten Namen und den Namen deines Sohnes Jesus auf den Lippen, meinen Geist aushauche und zu dir in den Himmel komme, um dich zu preisen und zu loben und von deinen Füßen nimmer zu weichen die ganze Ewigkeit hindurch. Amen.

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5. Kap. - Zu dir seufzen wir trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen

Abs. 1 - Wie notwendig die Vermittlung Mariens für uns ist,
                  um selig zu werden

Daß es nicht bloß eine erlaubte, sondern eine heilige und heilsame Sache ist, die Heiligen und im besonderen die Königin der Heiligen, Maria, anzurufen und zu bitten, daß sie uns die göttliche Gnade erlange, ist ein Glaubenssatz und als solcher von allgemeinen Kirchenversammlungen gegen die Irrlehrer festgestellt, die dies als eine Beleidigung Jesu Christi, der unser einziger Mittler sein solle, verdammen. Aber wenn Jeremias nach seinem Tod für Jerusalem betet (2 Makk. 15,14); wenn die Ältesten in der geheimen Offenbarung Gott die Gebete der Heiligen darbringen (Offb 6,8); wenn der hl. Petrus seinen Schülern verspricht, ihrer nach seinem Tod zu gedenken (2 Petr 1,15), wenn ein hl. Stephanus für seine Verfolger (Apg 7,59), der hl. Paulus für seine Begleiter betet (Apg 27,24; Eph 2,16; Phil 1,4; Kol 1,3), kurz wenn die Heiligen für uns bitten können: Warum sollten oder warum dürfen wir die Heiligen nicht anrufen, daß sie unsere Fürsprecher seien?

Der hl. Paulus empfiehlt sich den Gebeten seiner Schüler: „Brüder, betet für unsl”
(1 Thess 5,25), der hl. Jakobus ermahnt uns, daß wir füreinander beten sollen:
„Betet füreinander, damit ihr das Heil erlangt”
(Jak 5,16); demnach können auch wir füreinander bitten.

Wohl ist Jesus Christus der einzige Mittler der Gerechtigkeit, der durch seine Verdienste uns die Aussöhnung mit Gott erworben hat; wer leugnet dies? Aber auf der anderen Seite ist es Gottlosigkeit zu bestreiten, daß es Gott gefalle, seine Gnaden auf die Fürbitte der Heiligen und besonders seiner Mutter Maria, die Jesus so sehr von uns geehrt und geliebt wissen will, uns mitzuteilen. Wer weiß es nicht, daß die den Müttern erzeigte Ehre auch den Söhnen zum Ruhm gereicht? „Der Ruhm der Kinder sind ihre Eltern.” (Spr 17,6) „Niemand glaube also”, sagt der hl. Bernhard, „die Ehre des Sohnes zu verdunkeln, wenn er der Mutter großes Lob spendet; denn je mehr man die Mutter ehrt, desto mehr lobt man auch den Sohn.” Auch der hl. Ildephons sagt, daß alle Ehre, die man der Mutter und der Königin antut, dem Sohn und dem König erwiesen wird. Es kann ja doch keinem Zweifel unterliegen, daß Maria nur um der Verdienste Jesu willen so große Gewalt verliehen worden ist, die Mittlerin unseres Heiles zu sein; nicht zwar Mittlerin aus Gerechtigkeit, sondern Mittlerin aus Gnade und durch Fürsprache, wie sie von dem hl. Bonaventura genannt wird: „ Maria die treueste Mittlerin unseres Heiles.” Und der hl. Laurentius Justinianus sagt: „Wie sollte die nicht voll der Gnade sein, welche die Himmelsleiter, die Himmelstür und die wahrhaftige Mittlerin zwischen Gott und den Menschen geworden ist?”

Wie wahr ist daher der Ausspruch von Suarez, daß, wenn wir zur allerseligsten Jungfrau um Gnade bitten, dies nicht ein Mißtrauen auf die göttliche Barmherzigkeit, sondern vielmehr ein Mißtrauen auf uns selbst wegen unserer Unwürdigkeit ist, und daß wir uns Maria anempfehlen, damit ihre Würdigkeit unsere Armseligkeit ersetze. Also nur solche, denen es am Glauben fehlt, können bezweifeln, daß die Anrufung der Fürsprache Mariens eine sehr heilsame und hl. Sache sei.

Der Satz aber, den ich hier beweisen will, ist der, daß die Fürsprache Mariens für unser Heil sogar notwendig ist, notwendig, sage ich, nicht schlechthin und unbedingt, sondern moralisch notwendig, um mich richtig auszudrücken. Und ich behaupte, daß diese Notwendigkeit im Willen Gottes selbst ihren Grund hat, der will, daß alle Gnaden, die Er uns verleiht, durch die Hände Mariens gehen, wie dies der hl. Bernhard lehrt, was heutzutage [damals] wohl als die von den Theologen und Gottesgelehrten allgemein angenommene Lehre bezeichnet werden kann, wie sie der Verfasser des Buches „Vom Reiche Mariens” die allgemeine Lehre nennt. Dieser Meinung folgen Vega, Mendoza, Paciucchelli, Segneri, Poir Crasset und unzählige andere gelehrte Autoren. Selbst Pater Natalis Alexander, in seinen Behauptungen sonst so zurückhaltend, lehrt, es sei der Wille Gottes, daß wir alle Gnaden durch die Vermittlung Mariens erwarten müssen, indem er zur Bestätigung seiner Behauptung die berühmte Stelle des hl. Bernhard anführt:
„So ist es Gottes Wille, daß wir alles durch Maria haben.”

Der gleichen Meinung ist Pater Contenson, der in Erklärung der Worte Jesu am Kreuz zu Johannes: „Sieh deine Mutter” sagt: „Der Herr wollte damit andeuten, niemand soll an meinem Blut Anteil haben, außer durch die Vermittlung meiner Mutter. Meine Wunden sind Quellen der Gnade; aber auf keinen sollen diese Bäche anders sich ergießen, als durch den Kanal Mariens. Mein Jünger Johannes, so groß wird meine Liebe zu dir sein, als groß deine Liebe zu Maria.”

Diese Behauptung, daß uns alles Gute, das wir vom Herrn empfangen, durch die Vermittlung Mariens zukommt, gefällt (einem) gewissen neueren Schriftsteller nicht besonders. Obwohl er sonst mit viel Frömmigkeit und Gelehrsamkeit von der wahren und falschen Andacht zu schreiben weiß, so zeigt er sich doch, wenn er auf die Andacht zur göttlichen Mutter zu sprechen kommt, sehr abgeneigt, jene Ehre ihr zuzuschreiben, die ihr doch die hl. Germanus, Anselm, Johannes von Damaskus, Bonaventura, Bernhardin von Siena, der ehrwürdige Abt von Celles und so viele andere Gottesgelehrte ohne Bedenken zuerkannt haben.

Diese alle bekannten sich zu der Behauptung, daß aus den oben angeführten Gründen die Mittlerschaft Mariens nicht allein förderlich, sondern zu unserem Heil notwendig sei. Dieser Schriftsteller bezeichnet die Lehre, daß Gott keine Gnade außer durch die Vermittlung Mariens erteile, für eine Übertreibung und eine leere Redensart, die sich im Eifer einzelne Heilige hätten entschlüpfen lassen, die richtig verstanden nur soviel bedeuten solle, daß wir durch Maria Jesus Christus empfangen haben, aus dessen Verdiensten uns alle Gnaden zuteil werden. Andernfalls, meint er, wäre es ein Irrtum, zu glauben, daß Gott uns seine Gnaden nicht ohne die Vermittlung Mariens verleihen könne, indem der hl. Apostel sage, daß wir nur einen Gott und nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus, anerkennen. So weit der genannte Schriftsteller.

Doch möge er mir gestatten, ihm darauf mit seinen eigenen Worten zu entgegnen, daß eine andere Sache die Mittlerschaft aus Gerechtigkeit auf dem Weg des Verdienstes ist und wieder eine andere Sache die Mittlerschaft aus Gnade auf dem Weg der Fürsprache. Und wiederum ist es etwas anderes, zu sagen: Gott kann nicht, und etwas anderes: Gott will nicht ohne Mittlerschaft Mariens seine Gnaden erteilen. Auch wir bekennen es fest, daß Gott die Quelle alles Guten und der unendliche, allmächtige Herr aller Gnaden ist, Maria aber nur ein Geschöpf, die, was sie erlangt, aus Gnade von Gott empfängt. Wer aber könnte leugnen, daß eseine sehr wohlbegründete und treffende Behauptung ist, zu sagen, Gott habe zur Verherrlichung dieses seines so erhabenen Geschöpfes, das ihn auf Erden mehr als alle anderen ehrte und liebte, das er selbst zur Mutter seines Sohnes und unseres gemeinsamen Erlösers erwählte, beschlossen, daß alle Gnaden, die den Erlösten erteilt werden sollen, durch ihre Hand gehen und von ihr an uns ausgespendet werden? Gern bekennen wir, daß nach der angeführten Unterscheidung Jesus Christus der einzige Mittler aus Gerechtigkeit ist, der uns durch seine Verdienste die Gnade und das Heil erlangt; aber wir behaupten: Maria ist die Mittlerin aus Gnade, und obwohl sie das, was sie uns erlangt, aus den Verdiensten Jesu Christi erlangt, und was sie uns erbittet, im Namen Jesu Christi erbittet, so können wir doch alle Gnaden, um die wir bitten, nur durch ihre Vermittlung empfangen.

Hierin ist doch sicherlich nichts enthalten, was dem hl. Glauben entgegen wäre; im Gegenteil, das ganze ist den Grundsätzen der hl. Kirche gemäß, die uns in den von ihr empfohlenen öffentlichen Andachtsformen anleitet, fortwährend uns an diese göttliche Mutter zu wenden und sie mit den Worten anzurufen: „Heil der Kranken, Zuflucht der Sünder, Hilfe der Christen, unser Leben, unsere Hoffrtung.” Und indem die hl. Kirche in den Tagzeiten auf die Feste Mariens auf sie die Worte der Weisheit anwendet: „In mir ist alle Hoffnung des Lebens und der Tugend” (Sir 24,25), so gibt sie uns zu verstehen, daß wir in Maria alles finden werden, was wir hoffen. In Maria ist jegliche Gnade. „In mir ist alle Gnade des Weges und der Wahrheit.” Kurz, in Maria finden wir das Leben und das ewige Heil. „Wer mich findet, findet das Leben und schöpft das Heil vom Herrn” (Spr 8,35); und an einer anderen Stelle: „Wer in mir seine Werke tut, sündigt nicht; die mich ins Licht setzen, erhalten das ewige Leben.» (Sir 24,30) In all diesen Stellen ist die Notwendigkeit der Mittlerschaft Mariens für uns ausgesprochen.

Diese Notwendigkeit wird uns übrigens von so großen Theologen und Kirchenvätern bekräftigt, daß es eine sehr ungeziemende Rede des genannten Autors ist, zu sagen, sie haben, um Maria zu ehren, Übertreibungen gebraucht, und es seien ihnen maßlose Lobsprüche entschlüpft. Solcherlei Dinge überschreiten die Grenzen der Wahrheit, was man doch wahrlich von Heiligen nicht sagen darf, die, erleuchtet vom Geist Gottes, dem Geist der Wahrheit, geredet haben.

Möge es mir erlaubt sein, einen kleinen Exkurs zu machen, um meine Überzeugung zu darzulegen. Ich behaupte nämlich: Wenn eine Meinung in irgendeiner Weise für die Ehre der allerseligsten Jungfrau förderlich, auf gute Gründe gestützt und weder mit dem Glauben noch mit den Entscheidungen der Kirche, noch mit einer ausgemachten Wahrheit im Widerspruch ist; so zeigt es wenig Ehrfurcht vor der Mutter Gottes, wenn man diese Meinung nicht annimmt und ihr widerspricht, nur weil die entgegenstehende Ansicht vielleicht wahr sein könnte. Unter die Zahl dieser geringen Verehrer will ich nicht gehören, und ich möchte auch nicht, daß mein Leser zu ihnen gehöre, sondern vielmehr zur Zahl derjenigen, die alles, was man ohne Irrtum hinsichtlich der Herrlichkeit Mariens glauben kann, vollkommen und mit fester Überzeugung annehmen, gemäß den Worten des Abtes Rupert, der unter den der göttlichen Mutter angenehmsten Ehrenbezeigungen diese aufzählt: „Ihre Erhabenheit mit Festigkeit glauben.” Von anderen abgesehen, kann uns der hl. Augustinus die Furcht nehmen, daß wir im Lob Mariens das Maß überschreiten, da er sagt:
 
„Wie vieles wir immer zum Lob Mariens vorbringen mögen, so ist doch alles wenig im Vergleich zu dem, was ihrer Würde als Mutter Gottes gebührt.”

Mit Augustinus stimmt hierin die hl. Kirche selber überein, die uns in der Votivmesse der allerseligsten Jungfrau beten läßt: „Selig bist du, hl. Jungfrau Maria, und allen Lobes überaus würdig.”

Doch kehren wir zu unserem Gegenstand zurück und sehen wir, wie die Heiligen über die aufgestellte Wahrheit sich aussprechen. Der hl. Bernhard sagt, Gott habe Maria mit allen Gnaden erfüllt, damit die Menschen durch ihre Vermittlung, wie durch einen Kanal, alles Gute, das ihnen zukommt, empfangen: „Eine volle Wasserleitung ist Maria, damit alle aus ihrer Fülle empfangen.” Der Heilige gibt überdies noch die bedeutsame Erklärung, es habe aus dem Grund in der Welt vor der Geburt der allerseligsten Jungfrau dieser Weg der Gnade noch nicht bestanden, weil damals diese ersehnte Wasserleitung noch nicht vorhanden gewesen sei, und er fügt bei, Maria sei der Welt zu dem Zweck als die Leitung der himmlischen Gewässer der Gnade geschenkt worden, auf daß durch sie von Gott alle Gaben des Himmels an die Menschen ohne Ende herab gelangen.

Holofernes ließ, um die Stadt Bethulien einzunehmen, die Wasserleitungen zerstören; ebenso sucht der Teufel, soviel er nur kann, den Seelen die Andacht zur Mutter Gottes zu rauben; denn ist einmal dieser Weg der Gnade verschlossen, so bringt er leicht die Seelen in seine Gewalt. Darum ermahnt der hl. Kirchenlehrer:
„Erwägt es wohl, ihr christlichen Seelen, wie sehr der Herr, der die Fülle aller Güter in Maria niedergelegt hat, sie von uns mit Inbrunst verehrt wissen will, auf daß wir inne werden, wie alles, was an Hoffnung, Gnade und Heil wir besitzen, von ihr in uns überfließt.” Dasselbe lehrt der hl. Antonin mit den Worten: „Durch Maria kam vom Himmel herab, was an Gnade an die Welt gelangt ist.”


Nach der Erklärung des hl. Bonaventura wird Maria darum mit dem Mond verglichen, weil „gleich wie der Mond zwischen den Himmelskörpern und der Erde in der Mitte ist, und wie er, was er von jenen empfängt, nach unten mitteilt, so auch die jungfräuliche Königin die Mittlerin ist zwischen uns und Gott, und sie ist es, die auf uns die Gnade niederleitet”.

Dies ist auch die Ursache, weshalb Maria von der hl. Kirche Himmelspforte genannt wird. „Glückliche Pforte des Himmels.” Wie nach dem hl. Bernhard jeder vom König ausgehende Gnadenerlaß durch die Pforte des königlichen Palastes hindurch muß, ebenso „Keine Gnade fließt vom Himmel zur Erde, außer durch die Hände Mariens.” Der hl. Bonaventura lehrt aber, Maria werde Himmelspforte genannt, weil „keiner in den Himmel eingeht, außer durch Maria, als der Pforte”.

Der hl. Hieronymus bestärkt uns in dieser Meinung, wenn er sagt: „In Jesus Christus war die Fülle der Gnade als in dem Haupt, von dem aus alle Kräfte des Lebens, d.h. die zu Erlangung des ewigen Heiles notwendigen Gaben, in uns, seine Glieder, sich ergießen; in Maria aber ist dieselbe Fülle, als in dem Hals, durch den die besagten Kräfte den Weg zu den Gliedern nehmen.”

Auch der hl. Bernhardin von Siena teilt diese Meinung, indem er sie noch klarer also ausspricht: „Daß alle Gnaden des geistlichen Lebens, die von Jesus Christus als dem Haupt ausgehen, durch die Vermittlung Mariens auf die Gläubigen, die den mystischen Leib Jesu Christi bilden, übergeleitet werden”. Der Grund dafür läßt sich mit den Worten des hl. Bonaventura angeben, der sagt: „Da die göttliche Natur in ihrer Fülle im Schoß der Jungfrau wohnen wollte, so getraue ich mir zu sagen, daß die allerseligste Jungfrau über alle Ausflüsse der Gnaden eine geistliche Gewalt erlangt hat, weil aus ihrem Schoß gleich als aus einem Ozean der Gottheit die Ströme aller Gnaden sich ergossen haben.”

Der hl. Bernhardin von Siena spricht dasselbe aus mit den Worten: „Von dem Augenblick, da die jungfräuliche Mutter in ihrem Schoß das göttliche Wort empfing, hat sie eine gewisse geistliche Gewalt über alle Gaben, die vom Hl. Geist uns zukommen, erworben, in der Art, daß keine Kreatur von Gott eine Gnade je anders erlangt, als durch die Vermittlung dieser gütigen Mutter»

Im gleichen Sinn erklärt Pater Crasset die Stelle des Jeremias, wo der Prophet die Menschwerdung des Wortes und seiner Mutter Maria weissagt: „Eine Frau wird den Mann umschließen.”
(Jer 31,22) Gleichwie vom Mittelpunkt eines Kreises keine Linie ausgehen kann, die nicht den Umkreis durchschneidet, so gelangt auch von Jesus, dem Mittelpunkt alles Guten, keine Gnade zu uns als durch die Vermittlung Mariens, die ihn umschlossen hielt, da sie ihn in ihrem Schoß empfangen hatte.

Der hl. Bernhardin lehrt, daß alle Gaben, alle Tugenden und alle Gnadenhilfen durch die Hände Mariens ausgeteilt werden, an wen sie will, wann sie will, und wie sie will} Ebenso sagt Richard von St. Lorenz, alles Gute, das Gott seinen Geschöpfen erweist, soll nach seinem Willen durch die Hand Mariens zu ihnen gelangen. Darum ermahnt der ehrwürdige Abt von Celles einen jeden, an diese Schatzmeisterin der Gnaden, wie er sie nennt, sich zu wenden, denn nur durch ihre Vermittlung sollen die Welt und alle Menschen das Gute, das sie erhoffen können, empfangen.

Aus dem Angeführten ergibt sich nun deutlich, daß die genannten Heiligen und Autoren mit der Behauptung, alle Gnaden gelangen zu uns durch die Vermittlung Mariens, nicht bloß das verstanden haben, daß wir durch Maria Jesus Christus, die Quelle jeglichen Gutes, empfangen haben, sondern daß sie uns vielmehr beteuern wollen, wie es, nachdem uns Gott seinen Sohn Jesus Christus geschenkt, der Wille Gottes ist, daß alle Gnaden, die um der Verdienste Jesu Christi willen seitdem und bis zum Ende der Welt an die Menschen gelangen, durch die Hände und die Vermittlung Mariens ihnen verliehen werden.

Daraus zieht Pater Suarez den Schluß, es sei die allgemeine Meinung der Kirche, daß die Vermittlung Mariens uns nicht bloß heilsam, sondern notwendig sei. Notwendig, wie schon bemerkt, nicht schlechthin und unbedingt, indem nur die Mittlerschaft Jesu Christi uns in solcher Weise zum Heil notwendig ist, sondern moralisch notwendig, weil, wie die ganze Kirche mit dem hl. Bernhard glaubt, Gott beschlossen hat, daß uns keine Gnade verliehen werde, außer durch die Hand Mariens. Vor dem hl. Bernhard hat dies auch der hl. Ildephons behauptet, indem er die allerseligste Jungfrau anspricht: „O Maria, der Herr hat beschlossen, alle Güter, die Er an die Menschen austeilen will, deinen Händen anzuvertrauen; deswegen hat Er dir alle Schätze und Reichtümer der Gnade übergeben.”


Und der hl. Petrus Damianus sagt, Gott habe nur mit der Zustimmung Mariens Mensch werden wollen; fürs erste, damit wir alle ihr zum größten Dank verpflichtet würden, zweitens, auf daß wir erkennen sollten, wie das Heil aller der Entscheidung dieser Jungfrau überlassen sei.

Der hl. Bonaventura legt die Stelle bei Isaias
(Is 11,1), daß aus den Nachkommen Jesses ein Reis, nämlich Maria, und von dieser die Blume, nämlich das Fleisch gewordene Wort, hervorgehen werde, in schönen Worten also aus: „Wer immer die Gnade des Hl. Geistes zu erlangen begehrt, suche die Blume auf dem Reis, nämlich Jesus bei Maria; denn durch das Reis gelangen wir zur Blume und durch die Blume zu Gott dem Hl. Geist. Und „ wenn du die Blume begehrst, so suche mit Bitten das Reis mit der Blume zu dir herabzuneigen, und du wirst sie erlangen.” In seiner 26. Predigt auf Epiphanie bemerkt der seraphische Vater zu den Worten: „Sie fanden den Knaben mit Maria, seiner Mutter.” (Mt 2,11) “Nie findet man Christus außer bei Maria und durch Maria.” Vergeblich sucht darum Jesus, wer Ihn bei Maria zu finden sucht. Der hl. Ildephons macht die Äußerung: „Um ein Diener des Sohnes zu werden, begebe ich mich in den Dienst seiner Mutter”; denn, will er sagen: Niemand kann dieses Sohnes Diener werden, wer nicht ein Diener seiner Mutter ist.

Beispiel

Vinzenz von Beauvais und Cäsarius erzählen von einem jungen Edelmann, der von seinem Vater ein reiches Erbe empfangen hatte, sich aber dem Laster ergab und bald so arm wurde, daß er, um sein Leben zu fristen, betteln mußte. Er verließ die Heimat, zog in ein fernes Land, wo er unbekannt sich weniger zu schämen brauchte. Auf der Reise begegnete er einem alten Diener seines Vaters, der ihn über seinen elenden Zustand tröstete und ihm verhieß, daß er ihn zu einem freigebigen Fürsten führen wolle, der ihn mit allem versehen werde. Der Alte war aber ein gottloser Zauberer. Eines Tages führte er den armen jungen Menschen in ein Gehölz neben einem Sumpf, wo er mit einer unsichtbaren Person zu sprechen anfing. Auf die Frage des Jünglings, mit wem er spreche, sagte er: „Mit dem bösen Geist”, und da er den Schrecken des Jünglings bemerkte, sprach er ihm Mut zu und hieß ihn ohne Furcht zu sein. Darauf wandte er sich an den bösen Geist: „Mein Gebieter, dieser junge Mensch befindet sich in der äußersten Not und möchte gerne wieder zu seinem früheren Stand gelangen.” - „Will er mir gehorchen”, antwortete der böse Feind, „so werde ich ihn reicher machen, als zuvor; vor allem aber muß er Gott verleugnen”. Bei diesen Worten entsetzte sich der Jüngling, aber vom verruchten Zauberer gehetzt, tat er es doch und verleugnete Gott. „Dies genügt nicht”, nahm der Teufel wieder das Wort, „er muß auch Maria abschwören; denn sie ist es, der wir unsere größten Verluste zuschreiben müssen. O wie viele entreißt sie unseren Händen, führt sie zu Gott und rettet sie”. - „O das nicht”, antwortete der Jüngling, „meine Mutter verleugne ich nicht; sie ist meine ganze Hoffnung. Lieber will ich mein ganzes Leben lang betteln”. Und damit verließ der Jüngling den Ort. Auf dem Rückweg kam er an einer Marienkirche vorüber; bekümmert trat er ein, kniete vor einem Muttergottesbild nieder, fing an zu weinen und die allerseligste Jungfrau zu bitten an, daß sie ihm die Verzeihung seiner Sünden erlangen wolle. Und Maria bat zu ihrem Sohn für den Elenden. Anfangls erwiderte Jesus: „Aber, meine Mutter, dieser Undankbare hat mich verleugnet!” Da seine Mutter nicht aufhörte zu bitten, sprach Er schließlich: „Meine Mutter, ich habe dir nie etwas verweigert; es sei verziehen, weil du mich darum bittest.”

Diesen ganzen Vorgang beobachtete jener Bürger, der die Güter dieses Verschwenders gekauft hatte. Bei Wahrnehmung der großen Barmherzigkeit, die Maria gegen diesen Sünder übte, entschloß er sich, ihm seine einzige Tochter zur Frau zu geben und ihn zum Erben seines ganzen Besitzes zu machen. So hatte der Jüngling durch die Vermittlung Mariens die Gnade Gottes und sogar seine zeitlichen Güter wieder erlangt.


Gebet
Meine Seele erkenne, welch herrliche Hoffnung des Heiles und ewigen Lebens dir der Herr gewährt, indem Er in seiner Erbarmung dir wieder Vertrauen auf den Schutz seiner Mutter verlieh, nachdem du so oft schon seine Ungnade und die Hölle durch deine Sünden verdient hast. Danke also deinem Gott, und danke deiner Beschützerin Maria, die dich bereits unter ihren Mantel genommen, wie die vielen durch ihre Vermittlung, bereits empfangenen Gnaden es dir beweisen. Ja, ich danke dir, meine liebreichste Mutter, für alles Gute, das du mir unglücklichem, der Hölle schuldigen Sünder erwiesen hast. O Königin, aus wie vielen Gefahren hast du mich befreit? Wie viele Erleuchtungen, wie viel Erbarmungen hast du mir bei Gott erlangt? Was oder welche Ehre hast du denn von mir empfangen, daß du dir so angelegen sein ließt, mir Wohltaten zu erweisen? Nur deine Güte hat dich dazu getrieben. Ach, wenn ich für dich mein Blut und Leben hingäbe, es wäre nur wenig im Vergleich zu der Verpflichtung, die ich gegen dich habe; denn du hast mich vom ewigen Tod errettet. Du bist Ursache, daß ich, wie ich hoffe, die Gnade Gottes wieder erlangt habe; mit einem Wort: Dir verdanke ich all mein Glück. O meine liebenswürdigste Frau! Ich Armseliger kann dir nichts anderes geben, als daß ich immer dich lobe und liebe. O weigere dich nicht, die Liebe eines armen Sünders anzunehmen, den deine Güte mit Liebe entzündet hat.

Wenn mein Herz nicht würdig ist, dich zu lieben, weil es unrein und voll Anhänglichkeit an die irdischen Güter ist, so kannst du es umändern. O wandle es um! Ach, fessle mich an meinen Gott, fessle mich mit so starken Banden, daß ich von seiner Liebe nicht mehr lassen kann. Das verlangst du ja von mir, daß ich deinen Gott liebe, und das Gleiche verlange auch ich von dir: Erlange mir die Gnade, Ihn zu lieben, Ihn ohne Unterlaß zu lieben. Etwas anderes begehre ich nicht. Amen.


Abs. 2 - Fortsetzung

Der hl. Bernhard lehrt, daß, gleich wie Adam und Eva unser Verderben miteinander verschuldeten, so vollbrachten der zweite Adam und die zweite Eva, d.h. Jesus und Maria seine Mutter, miteinander unsere Erlösung. Wohl ist nicht zu zweifeln, sagt der Heilige, daß Jesus Christus allein auf das vollkommenste unser Heil hätte wirken können, aber Er fand es für angemessen, daß wie Eva mit Adam unser Verderben, so nun auch seine Mutter mit Ihm unsere Erlösung bewirke. Der hl. Albert Der Große nennt darum Maria „Die Gehilfin der Erlösung”. Und in den Offenbarungen der hl. Birgitta heißt es, daß Maria eines Tages zu ihr sprach: „Wie Adam und Eva die Welt um einen Apfel verkauften; so erkauften mein Sohn und ich die Welt quasi mit Einem Herzen.” Gott konnte wohl, nach dem Ausspruch des hl. Anselm, die Welt aus dem Nichts erschaffen, aber die durch ihre Schuld verlorene Welt wollte Gott nicht ohne Mitwirkung Mariens wiederherstellen.”

In dreifacher Weise hat nach der Erklärung des Pater Suarez die göttliche Mutter zu unserem Heil mitgewirkt: Erstens, weil sie die Menschwerdung des göttlichen Werkes erflehte; zweitens, weil sie, solange sie auf Erden lebte, auch uns durch ihr unablässiges Flehen das Heil erlangte, und drittens, weil sie bereitwillig das Leben ihres Sohnes Gott für unser Heil aufopferte. Deswegen hat der Herr gerechterweise beschlossen, daß, weil Maria mit solcher Liebe gegen die Menschen und zur größten Verherrlichung Gottes an der Erlösung aller mitgewirkt, alle nur durch ihre Vermittlung das Heil erlangen sollen.

Maria wird die Mitwirkerin unserer Rechtfertigung genannt, weil ihr, nach Bernhardin von Bustis, Gott alle Gnaden anvertraut hat, um sie an uns auszuteilen. Der hl. Bernhard sagt darum, daß alle Menschen, die früher, die jetzt und die künftig leben werden, Maria als die Mittlerin und Verwalterin des Heiles aller Jahrhunderte betrachten müssen.

Jesus Christus sagt, daß niemand zu Ihm kommen könne, den nicht der ewige Vater zuvor durch seine Gnade zu Ihm ziehe.
(Jo 6,44) Dasselbe gilt nach Erklärung Richards von St. Lorenz auch von Maria, seiner Mutter, als sage der Herr, niemand kommt zu mir, wenn meine Mutter ihn nicht durch ihre Bitten zu mir hinzieht.

Jesus ist, nach dem Gruß Elisabeths, die Frucht Mariens. „Gebenedeit bist du unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.”
(Lk 1,42) Wer also die Frucht will, der muß zum Baum, wer nach Jesus verlangt, muß zu Maria gehen. Wer aber Maria findet, findet sicher auch Jesus. Als die hl. Elisabeth von der allerseligsten Jungfrau besucht wurde und nicht wußte, wie sie danken sollte, so rief sie voll Demut aus: „Woher kommt mir die Gnade, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?” (Lk 1,42) Doch wie, möchte man fragen, wußte denn Elisabeth nicht, daß nicht allein Maria, sondern auch Jesus in ihr Haus gekommen war? Und warum nennt sie sich unwürdig, die Muter zu empfangen, und nicht mehr noch unwürdige, den Sohn bei sich aufzunehmen, der ja auch gekommen war, sie zu besuchen? O freilich wußte die Heilige, daß als Maria kam, sie auch Jesus mit sich trug, und darum begnügte sie sich, der Mutter zu danken, ohne den Sohn zu nennen.

„Sie ist wie ein Kaufmannsschiff, von ferne her bringt sie ihr Brot.” (Spr 31,14) Maria war jenes glückselige Schiff, das vom Himmel herab uns Jesus Christus brachte, das lebendige Brot, welches vom Himmel gekommen ist, um das ewige Leben zu geben. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist; wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit.” (Jo 6,51) Richard von St. Lorenz sagt, daß alle im Meer der Welt untergehen werden, die sich nicht auf jenem Schiff, d.h. unter dem Schutz Mariens, befinden. Und weiter sagt er: „So oft wir die Wogen dieses Meeres gegen uns anstürmen sehen, müssen wir zu Maria rufen: Herrin, rette uns, wir gehen zugrunde, d.h. so oft wir in Gefahr sind, von den Versuchungen und Leidenschaften des gegenwärtigen Lebens verschlungen zu werden.” Man beachte, daß Richard von St. Lorenz kein Bedenken trägt, Maria mit den Worten anzurufen: „Rette uns, wir gehen zugrunde,” wie aber der oben erwähnte Schriftsteller Einwände dagegen macht, da er nicht zugeben will, daß wir die allerseligste Jungfrau so anrufen, weil er meint, unsere Rettung könne nur von Gott kommen. Aber wenn ein zum Tod Verurteilter einen Freund des Königs bitten darf, daß er beim König Fürsprache für sein Leben einlege und ihn rette, wie sollten wir nicht zur Mutter Gottes flehen dürfen, daß sie uns rette durch Erlangung der Gnade des ewigen Lebens?

Der hl. Johannes von Damaskus kennt kein Bedenken und bittet die heiligste Jungfrau mit den Worten: „Unbefleckte und reinste Königin, rette mich, befreie mich von der ewigen Verdammnis,” Der hl. Bonaventura nennt Maria „ Rettung derer, die dich anrufen.” Die hl. Kirche billigt es, daß wir sie anrufen: „Heil der Kranken.” Und wir sollten Bedenken tragen zu flehen: „Rette uns”, da doch niemand zum Heil gelangen kann, als durch sie, wie Paciucchellil sagt, und vor ihm schon der hl. Germanus: „Keiner wird selig, außer durch dich.”

Wir wollen aber sehen, was die Heiligen noch weiter über die Notwendigkeit der Mittlerschaft der göttlichen Mutter für unser Heil lehren. Der glorreiche hl. Cajetan sagte, daß wir zwar die Gnade suchen, aber nur durch die Vermittlung Mariens finden können. Der hl. Antonin bestätigt dies mit der treffenden Bemerkung: „Wer ohne sie bittet, der will ohne Flügel fliegen.” d. h. wer ohne die Vermittlung Mariens die Gnade erlangen will, der will ohne Flügel fliegen. Wie einst Pharao zu Joseph sprach: „Das Land Ägypten ist in deiner Hand,” und wie er alle, die ihn um Hilfe baten, an Joseph wies: „Geht zu Joseph,” weist uns Gott, wenn wir Gnaden suchen, an Maria: „Ite ad Mariam - geht zu Maria!” Denn Er hat nach den Worten des hl. Bernhard beschlossen, keine Gnade zu verleihen, außer durch die Hand Mariens. Deshalb ist nach dem Ausspruch Richards von St. Lorenz unser Heil in der Hand Mariens, so daß wir Christen mit viel mehr Recht zu ihr als die Ägypter zu Joseph sagen können: „Unser Heil ist in deiner Hand.”

Dasselbe behauptet der Idiote „Unser Heil ist in ihre Hand gelegt.” Und kräftiger noch drückt sich Cassian aus, der ohne Einschränkung sagt, daß das Heil aller von der Gunst und dem Schutz Mariens abhänge. Der von Maria Beschützte wird gerettet, wer ihren Schutz nicht besitzt, ist verloren. Der hl. Bernhardin von Siena sagt: „Du bist die Ausspenderin aller Gnaden; unser Heil ist in deiner Hand.” Ja, o Herrin, du bist die Spenderin jeder Gnade und die Gnade des Heiles empfangen wir nur aus deiner Hand, darum hängt unser Heil von dir ab!
[Das gehört zur Arkandisziplin - zum Geheimnis der Gnade, das den Spöttern verborgen bleibt.]

Mit Recht sagt also Richard, daß, wie ein Stein versinkt, sobald das Erdreich, das ihn trägt, aufweicht, so fällt eine Seele ohne die Hilfe Mariens in Sünde und dann in die Hölle. Der hl. Bonaventura lehrt, daß Gott uns ohne die Vermittlung Mariens nicht selig machen werde. „Wie ein Säugling, sagt er, ohne Nahrung und Pflege nicht am Leben bleibt, ebenso kann niemand ohne den Schutz Mariens selig werden. Trage darum Sorge, daß deine Seele nach der Andacht zu Maria dürste, halte sie fest und lasse nicht von ihr, bis sie dich im Himmel wird gesegnet haben.” „Wer könnte zur Erkenntnis Gottes gelangen”, fragt der hl. Germanus, „wenn nicht durch dich, o allerheiligste Jungfrau Maria? Wer könnte selig, wer aus Gefahren gerettet werden, wer eine Gnade empfangen, wenn nicht durch dich, o Gottesgebärerin, o Jungfrau Mutter, o Gnadenvolle? Wenn du nicht den Pfad ebnest, wird niemand ein geistliches Leben führen.”

Wie uns nur durch den Mittler Jesus Christus der Zugang zum Vater offen steht, so haben wir, nach dem hl. Bernhard, nur durch die Vermittlung Mariens Zutritt zu Jesus Christus. Der Heilige gibt auch eine schöne Erklärung, warum der Herr beschlossen habe, daß wir alle durch die Vermittlung Mariens selig werden sollen, damit der durch die Vermittlung Mariens uns geschenkte Erlöser auch durch die Vermittlung Mariens uns wieder empfange, und darum nennt der Heilige Maria die Mutter der Gnade und unseres Heiles. Der hl. Germanus sagt: „Was würde aus uns werden? Welche Hoffnung des Heiles würde uns noch bleiben, wenn du uns verlassen würdest, o Maria, die du das Leben der Christen bist?”

Der erwähnte Schriftsteller hält uns entgegen, wenn alle Gnaden uns durch Maria zu kommen, müssen dann auch die Heiligen, wenn wir sie anrufen, zur Mittlerschaft Mariens ihre Zuflucht nehmen, um uns die Gnaden zu erlangen? Er gibt selbst die Antwort darauf mit den Worten, daß dies niemand glaube, ja, daß keinem dies im Traum je eingefallen sei. Ich aber entgegne, daß dies zu glauben, weder falsch noch ungeziemend sei. Wie könnte die Behauptung ungeziemend sein, daß Gott, um seine Mutter zu ehren, sie zur Königin der Heiligen gemacht habe und verlange, daß alle Gnaden durch ihre Hand ausgespendet werden, und daß auch die Heiligen sich an sie wenden müssen, um ihren Verehrern die Gnaden zu erlangen? Was die weitere Behauptung anbelangt, niemand habe auch nur im Traum an dergleichen gedacht, so finde ich, daß der hl. Bernhard, der hl. Anselm, der hl. Bonaventura und mit ihnen Pater Suarez und andere exakt diese Behauptung aufgestellt haben.

Nach dem hl. Bernhard würden wir vergeblich die anderen Heiligen anrufen, wenn Maria nicht vermitteln würde. In diesem Sinn erklärt auch ein Autor die Stelle aus dem Psalm: „Alle Reichen des Volkes werden dein Angesicht ansehen.”
(Ps 44,13) Die Reichen des großen Volkes Gottes sind die Heiligen, die sich alle Maria empfehlen, wenn sie einem ihrer Verehrer eine Gnade erwirken wollen, damit sie diese verlange. Mit Recht, sagt darum Pater Suarez, bitten wir die Heiligen, unsere Vermittler bei Maria zu sein, da sie ihre Herrin und Königin ist. „Wir pflegen nicht”, sind seine Worte, „den einen Heiligen als Vermittler bei dem anderen zu brauchen, da sie alle der gleichen Ordnung angehören. Bei der allerseligsten Jungfrau aber, welche Herrin und Königin ist, brauchen wir die anderen Heiligen als Fürsprecher und Vermittler.” Eben dies hat der hl. Benedikt der hl. Franziska Romana versprochen, wie bei Pater Marchese zu lesen ist. Es erschien ihr der Heilige, verhieß ihr seinen Schutz, und daß er ihr Fürsprecher bei der göttlichen Mutter sein wolle. Auch der hl. Anselm bestätigt dies in seinem Gebet an Maria: „Was die Fürbitten aller Heiligen mit dir vermögen, das bewirkt deine Fürsprache allein, ohne sie.” - Und warum vermagst du das? Warum hast du allein die so große Macht? Weil du allein die Mutter unseres gemeinsamen Erlösers, die Braut Gottes, die Königin des Himmels und der Erde bist. Wenn du nicht für uns sprichst, so wird kein Heiliger für uns bitten und keiner wird uns helfen; aber wenn du für uns zu bitten dich würdigst, so werden alle Heiligen mit Eifer für uns bitten und uns helfen. Pater Segneri erklärt die von der hl. Kirche auf Maria angewendete Stelle aus dem Buch der Weisheit: „Ich allein habe den Umkreis des Himmels umgangen,” Sir 24,8 so: Wie der oberste Himmelskreis durch seine Bewegung alle anderen Kreise in Bewegung setzt, ebenso bewirkt Maria, wenn sie für eine Seele bittet, daß der ganze Himmel zugleich mit ihr für uns bittet.

Der hl. Bonaventura sagt sogar, daß Maria in ihrer Eigenschaft als Königin allen Engeln und Heiligen befiehlt, sie zu begleiten und auch alle ihre Gebete mit den ihrigen zu vereinigen. „Wenn die heiligste Jungfrau”, sind seine Worte, „an den Thron Gottes tritt, für uns zu bitten, befiehlt sie den Engeln und Heiligen, sie zu begleiten und zugleich mit ihr zum Allerhöchsten für uns zu flehen.”

Daraus läßt sich zum Schluß die Absicht der hl. Kirche erkennen, warum sie uns auferlegt, daß wir die göttliche Mutter mit dem erhabenen Namen: ‘Unsere Hoffnung sei gegrüßt’ - anrufen. Der gottlose Luther sprach, er könne nicht dulden, daß die römische Kirche Maria, eine bloße Kreatur, unsere Hoffnung nenne; denn nur Gott, sagt er, und Jesus Christus, unser Mittler, sind unsere Hoffnung; Gott verflucht jenen, der seine Hoffnung auf die Kreatur setzt, wie Er selbst bei Jeremias spricht: „Verflucht sei der Mensch, der sein Vertrauen auf Menschen setzt.”
(Jer 17,5) Aber die Kirche lehrt uns bei jeder Gelegenheit, Maria unsere Hoffnung zu nennen und sie anzurufen: „Unsere Hoffnung, sei gegrüßt.” Wer seine Hoffnung auf ein Geschöpf setzt, unabhängig von Gott, der ist ganz gewiß von Gott verflucht; denn Gott ist der einzige Quell und Ausspender alles Guten, und das Geschöpf ohne Gott hat nichts und kann nichts geben.

Aber wenn der Herr beschlossen hat, wie wir gezeigt haben, daß alle Gnaden durch Maria, wie durch einen Kanal der Barmherzigkeit, gehen sollen, so dürfen wir wohl, ja wir müssen behaupten, daß Maria unsere Hoffnung ist, durch deren Vermittlung wir die göttlichen Gnaden empfangen. Deshalb nannte sie der hl. Bernhard den ganzen Grund seiner Hoffnung. „Söhne, sie ist meine größte Zuversicht, sie der ganze Grund meiner Hoffnung.” Das Gleiche versichert der hl. Johannes von Damaskus, der sich an die allerseligste Jungfrau mit den Worten wendet: „Auf dich, meine Herrin, habe ich meine ganze Hoffnung gesetzt und, meine Augen auf dich geheftet, erwarte ich von dir mein Heil.” Auch der hl. Thomas behauptet, daß Maria die ganze Hoffnung unseres Heiles sei. Und der hl. Ephräm beteuert genauso: „Heiligste Jungfrau, nimm uns unter deinen Schutz, wenn du willst, daß wir selig werden; denn wir haben keine andere Hoffnung, zur Seligkeit zu gelangen, als durch deine Vermittlung.

Ich schließe nun mit den Worten des hl. Bernhard: „Mit aller Inbrunst unseres Herzens wollen wir diese Maria verehren, denn es ist der Wille des Herrn, daß wir alles durch Maria empfangen.” Und der Heilige mahnt, so oft wir eine Gnade bedürfen und verlangen, uns an Maria zu wenden mit festem Vertrauen, durch ihre Vermittlung sie zu empfangen. „Suchen wir die Gnade, aber durch Maria suchen wir sie!” und „weil du nicht würdig warst, daß Gott dir die Gnade erteile, so ist sie Maria gegeben, damit durch sie du empfängst, was immer du hast.” Darum erinnert der hl. Bernhard einen jeden von uns, alle guten Werke und Gebete, die wir Gott aufopfern wollen, zuerst Maria zu empfehlen, wenn wir wollen, daß der Herr sie annehme.

Beispiel

Berühmt ist die Geschichte des Theophilus, die Eutychian, Patriarch von Konstantinopel, als Augenzeuge aufgezeichnet hat, und die wir hier erzählen wollen. Ihre Wahrheit wird nach Pater Crasset vom hl. Petrus Damianus, dem hl. Bernhard, dem hl. Bonaventura, dem hl. Antonin und anderen bestätigt. Theophilus war Archidiakon an der Kirche zu Adanas, einer Stadt in Cilicien, und stand in solcher Achtung, daß das Volk ihn zum Bischof haben wollte; aus Demut aber schlug er dies aus. Da er in der Folge von Übelgesinnten falsch angeklagt und abgesetzt wurde, empfand er einen solchen Schmerz darüber, daß er, von der Leidenschaft verblendet, einen jüdischen Zauberer aufsuchte, der ihm eine Besprechung mit dem Satan verschaffen sollte, damit ihm dieser in seinem Unglück helfe.

Der Teufel antwortete, begehre er seine Hilfe, so müsse er Jesu und seiner Mutter Maria widersagen, und die eigenhändig geschriebene Urkunde dieser Widersagung ihm übergeben. Theophilus fertigte dieses fluchwürdige Schriftstück aus. Schon tags darauf erkannte der Bischof das ihm zugefügte Unrecht, bat ihn um Vergebung und setzte ihn wieder in seine Stelle ein. Theophilus wurde wegen der großen Sünde, die er begangen hatte, von Gewissensbissen so sehr gepeinigt, daß er nichts als weinen konnte. Was tut er nun? Er begab sich in eine Kirche, warf sich vor einem Marienbild nieder und betete unter Tränen: „O Mutter Gottes, ich will nicht verzweifeln, ich habe ja dich, die du so liebevoll und mächtig genug bist, mir zu helfen.” Vierzig Tage lang weinte und flehte er zur allerseligsten Jungfrau, da erschien ihm die Mutter der Barmherzigkeit des Nachts und sprach:
„O Theophilus, was hast du getan? Du hast meiner und meines Sohnes Freundschaft widersagt, und für wen? Für deinen und meinen Feind!” - „Ach, meine Herrin, antwortete Theophilus, wolle doch mir verzeihen und auch bei deinem Sohn Verzeihung verschaffen!” Maria, sein Vertrauen wahrnehmend, sagte: „Sei guten Mutes; ich will Gott für dich bitten.” Durch diese Worte ermutigt verdoppelte Theophilus seine Tränen, seine Bußübungen und seine Gebete, und wich nicht mehr von dem Bild. Und nochmals erschien ihm Maria mit freundlicher Miene sprechend: „Theophilus, freue dich, ich habe deine Tränen und deine Gebete Gott dargebracht, und Gott hat sie angenommen und dir bereits verziehen. Aber von heute an sei dankbar und getreu!” - „O meine liebe Frau”, erwiderte Theophilus, „ich kann noch nicht ganz ruhig sein, denn der Böse hat noch jenes ruchlose Schriftstück, mit dem ich dir und deinem Sohn widersagte, in seinen Händen. Aber in deiner Macht steht es, mir dieselbe wieder zu verschaffen.” Als drei Tage darauf Theophilus des Nachts erwachte, fand er auf seinem Bett diese Schrift. Am anderen Tages begab er sich in die Kirche, wo der Bischof mit einer großen Menge Volkes anwesend war, warf sich diesem zu Füßen, erzählte unter einem Strom von Tränen alles, was sich zugetragen hatte und überreichte ihm die schmähliche Schrift. Der Bischof ließ dieselbe sofort angesichts des ganzen Volkes verbrennen, das vor Freude weinte und Gott und Maria wegen der Güte und Barmherzigkeit lobpries, die sie dem unglücklichen Sünder erwiesen hatten. Dieser aber kehrte zur Kirche der allerseligsten Jungfrau zurück, wo er nach drei Tagen voll Ergebung und Dank gegen Jesus und seine heiligste Mutter starb.


Gebet
O Königin und Mutter der Barmherzigkeit, du erweist allen, die zu dir ihre Zuflucht nehmen, mit größter Freigebigkeit, als Königin und gütigste Mutter, deine Gnaden. Dir empfehle ich mich jetzt, der ich so arm an Verdienst und Tugend und so belastet mit Schuld vor der göttlichen Gerechtigkeit bin. O Maria, du hast den Schlüssel zum Schatz der göttlichen Erbarmungen; gedenke doch meines Elendes, und verlasse mich nicht in meiner großen Not. Du bist so freigebig gegen jeden und gewohnt, immer mehr zu geben, als man von dir begehrt. Erbarme dich so auch meiner! Beschütze mich, o Herrin, das ist alles, was ich von dir begehre. Wenn du mich beschützt, fürchte ich nichts; nicht die bösen Geister, denn du bist mächtiger als die ganze Hölle; nicht meine Sünden, denn wenn du nur ein Wort bei Gott für mich einlegst, kannst du mir die Verzeihung aller erwirken.

Besitze ich deine Gunst, dann darf ich selbst den Zorn Gottes nicht fürchten, weil eine einzige Bitte von dir Ihn besänftigt. Kurz, wenn du mich beschützt, so hoffe ich alles, weil du alles vermagst. O Mutter der Barmherzigkeit, ich weiß, daß es deine Freude und deine Ehre ist, den Elendesten zu helfen; und wer nicht verhärtet ist, dem kannst du helfen. Ich bin ein Sünder, doch nicht verstockt; ich will mein Leben ändern. Du kannst mir helfen; o hilf und rette mich! Ich übergebe mich ganz in deine Hände. Sage mir, was ich zu tun habe, um Gott zu gefallen; ich habe den Willen, es zu tun, und ich hoffe es mit deinem Beistand wirklich zu tun. O Maria, meine Mutter, mein Licht, mein Trost, meine Zuflucht, meine Hoffnung. Amen.

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6. Kap. - Wohlan denn, unsere Fürsprecherin

Abs. 1 - Maria ist eine mächtige Fürsprecherin, alle zu retten

So groß ist die mütterliche Gewalt über die Kinder, daß, wenn auch die Kinder Monarchen mit unumschränkter Herrschaft über alle Personen ihres Reiches sind, können die Mütter doch nicht zu Untertanen derselben werden. Es ist wahr, Jesus Christus besitzt im Himmel die Oberhoheit über alle und auch über Maria, denn Er sitzt jetzt zur Rechten des Vaters und zwar gebührt diese Herrschaft, nach der Erklärung des hl. Thomas, auch seiner heiligsten Menschheit wegen ihrer hypostatischen Einigung mit dem Wort. Dessen ungeachtet bleibt es auch wahr, daß unser Erlöser in der Zeit seines irdischen Lebens sich so weit herablassen wollte, um Maria untergeben zu sein, wie der hl. Lukas bezeugt: „Er war ihnen untertan.” (Lk 2,51) Der hl. Ambrosius behauptet sogar, nachdem Jesus Christus sich gewürdigt, Maria zu seiner Mutter zu wählen, Er als ihr Sohn wahrhaft verpflichtet gewesen sei, ihr Gehorsam zu leisten. Richard von St. Lorenz sagt daher, daß es von anderen Heiligen heiße, sie seien mit Gott; aber allein nur von Maria könne gesagt werden, sie habe das Glück gehabt, daß nicht bloß sie dem Willen Gottes, sondern daß selbst Gott dem Willen Mariens unterworfen gewesen sei. Und während es von den anderen Jungfrauen heißt, sie folgen dem Lamm, wohin es geht (Offb 14,4), so könne man von Maria sagen, daß das Lamm auf Erden ihr folgte, weil es ihr untertänig geworden.

Ich sage demnach, wenn auch Maria jetzt im Himmel ihrem Sohn nicht mehr befehlen kann, so sind doch ihre Bitten die Bitten einer Mutter und dadurch überaus wirksam, alles zu erlangen, was sie begehrt. Maria besitzt, nachdem Ausspruch des hl. Bonaventura, das Privileg bei ihrem Sohn alles zu erlangen. „Das große Privileg, daß sie bei ihrem Sohn die Mächtigste ist.” Und warum? Aus dem gleichen Grund, den ich eben angedeutet habe und später eingehender darlegen werde, weil die Bitten Mariens, Bitten einer Mutter sind. „Aus diesem Grund”, sagt der hl. Petrus Damianus, „vermag die allerseligste Jungfrau alles, was sie nur will, sowohl im Himmel als auf der Erde, und kann sogar die Verzweifelnden wieder zur Hoffnung auf die Seligkeit erwecken.” „Dir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden”, sind seine Worte, „und nichts ist dir unmöglich, die du sogar die Verzweifelten zur Hoffnung auf das Heil wieder aufrichten kannst.” Und weiter: „Wenn diese Mutter für uns eine Gnade von Jesus Christus begehrt, den der Heilige den Versöhnungsaltar nennt, wo die Sünder die Verzeihung von Gott erlangen, so schätzt der Sohn die Bitten Mariens so hoch und hat ein solches Verlangen, ihr zu gefallen, daß ihre Fürbitte mehr einem Befehl als einer Bitte gleicht, und sie selbst mehr als Herrin denn als Magd erscheint.” Auf diese Weise will Jesus seine geliebte Mutter ehren, die Er während seines Lebens so sehr geehrt hat, indem Er ihr sogleich alles gewährt, um was sie bittet, und was sie begehrt. Sehr schön bestätigt dies der hl. Germanus in den Worten: „Du, o Mutter Gottes, bist allmächtig, die Sünder zu retten, und du brauchst keine andere Empfehlung bei Gott, da du die Mutter des wahren Lebens bist.”

„Der Herrschaft der allerseligsten Jungfrau gehorcht alles, sogar Gott selbst.” Der hl. Bernhardin von Siena trägt kein Bedenken, mit diesem Ausspruch zu behaupten, daß Gott ihre Bitten erhört, wie wenn sie Befehle wären. So wendet sich auch der hl. Anselm mit den Worten an Maria: „Der Herr hat dich, o hl. Jungfrau, so hoch erhoben, daß du durch seine Gunst deinen Verehrern alle möglichen Gnaden erlangen kannst.” „Denn dein Schutz ist allmächtig”, wie Cosmas von Jerusalem sagt. Ja, allmächtig ist Maria, wiederhole ich mit Richard von St. Lorenz, denn die Königin muß nach allen Gesetzen derselben Vorrechte sich erfreuen, wie der König, in der Weise, daß, wie der hl. Antonin sagt, „Gott die ganze Kirche nicht bloß unter den Schutz, sondern auch unter die Herrschaft und Gewalt Mariens gestellt hat.”

Da der Mutter dieselbe Macht also gebührt wie dem Sohn, darum hat Jesus, der Allmächtige, auch Maria allmächtig gemacht; doch bleibt es aber wahr, daß der Sohn allmächtig ist von Natur, die Mutter nur durch Gnade. Dieses wird durch den Erfolg bestätigt; denn was immer die Mutter begehrt, nichts verweigert ihr der Sohn, wie dies der hl. Birgitta geoffenbart wurde. Die Heilige vernahm einmal, wie Jesus zu seiner Mutter sprach: „Verlange von mir, was du willst, dein Bitten kann nicht unerhört bleiben. Weil du mir auf Erden nichts verweigert hast, so will ich auch im Himmel dir nichts verweigern.” Gleich als wollte Er damit sagen: Meine Mutter, da du noch auf Erden gelebt hast, hast du dich nie geweigert, etwas aus Liebe zu mir zu tun; darum ist es gerecht, daß auch ich jetzt im Himmel mich nicht weigere, dir zu tun, um was du mich bittest. Maria wird also allmächtig genannt in einer Weise, wie dies von einem Geschöpf, das einer göttlichen Eigenschaft nicht fähig ist, gesagt werden kann. Sie ist allmächtig, weil sie durch ihre Fürbitte alles erlangt, was sie will.

Mit vollem Recht also, o große Fürsprecherin, spricht dich der hl. Bernhard an:
„Willst du, und alles wird geschehen.” Und der hl. Anselm: „Was immer du, o Jungfrau, willst, das kann durchaus nicht ungeschehen bleiben.” Du brauchst nur zu wollen und alles wird geschehen; willst du den verkommensten Sünder zu einer hohen Heiligkeit erheben, es steht bei dir, dies zu bewirken. Der hl. Albert Der Große legt dazu Maria folgende Worte in den Mund: „Bittet mich, daß ich wolle; wenn ich will, so muß es geschehen.” In Anbetracht dieser großen Macht Mariens fleht der hl. Petrus Damian um Erbarmen mit uns in den Worten: „Es bewege dich deine natürliche Güte, es bewege dich deine Macht; denn je mächtiger du bist, desto erbarmungsreicher mußt du sein.”

O Maria, unsere geliebte Fürsprecherin, da du ein so mitleidsvolles Herz hast, das Unglückliche nicht sehen kann, ohne sich ihrer zu erbarmen, und da du zugleich bei Gott eine so große Macht besitzt, alle selig zu machen, die unter deinem Schutz stehen, so weigere dich nicht, dich auch um uns Elende anzunehmen, die wir auf dich unsere ganze Hoffnung setzen. Sollten dich unsere Bitten nicht bewegen, so möge dich dein gütiges Herz oder deine Macht bewegen, indem du ja deshalb von Gott mit solcher Stärke ausgerüstet worden bist, damit je reicher du bist, uns helfen zu können, du um so barmherziger seist, uns helfen zu wollen. Doch darüber gibt uns der hl. Bernhard die tröstliche Gewißheit, daß Maria, wie an Macht, so an Erbarmen unendlich reich ist, und daß wie ihre Liebe die mächtigste, so auch die gütigste und mitleidigste ist, wie sie dies uns beständig offenbart.

So lange Maria auf Erden lebte, war es nächst der Ehre Gottes ihr einziger Gedanke, den Unglücklichen Hilfe zu bringen. Und wir wissen auch, daß sie das Vorrecht genoß, in allem erhört zu werden, um was sie bat. Wir erkennen dies von der Hochzeit zu Kana in Galiläa. Da der Wein ausging und die allerseligste Jungfrau mit der Betrübnis und Beschämung jener Familie Mitleid hatte, bat sie ihren Sohn, daß Er diese durch ein Wunder trösten möge und stellte Ihm das Ausgehen des Weines vor: „Sei haben keinen Wein mehr”, und Jesus antwortete: „Was geht das mich und dich an, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.” Man bemerke, obwohl der Herr mit den Worten: „Was geht das mich und dich an? Meine Stunde ist noch nicht gekommen”, diese Gnade seiner Mutter verweigert zu haben schien, da die rechte Zeit noch nicht gekommen, d.h. die Zeit seines öffentlichen Wirkens, wo ich durch Zeichen und Wunder meine Lehre bestätigen muß.

So sagte Maria doch, als wäre ihr die Gnade schon gewährt, zu den Leuten: „Füllt die Krüge mit Wasser”, denn ihr sollt getröstet werden. Und in der Tat, um seiner Mutter zu willfahren, verwandelte Jesus Christus das Wasser in den besten Wein. Aber wie ist das möglich? Wenn die für die Wunder bestimmte Zeit die seines öffentlichen Wirkens war, wie konnte dann das Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein gegen den göttlichen Ratschluß vorher gewirkt werden? Nein, antworte ich, es geschah nichts gegen die göttlichen Ratschlüsse; denn wenn auch im allgemeinen die Zeit der Wunder noch nicht gekommen war, so war dessen ungeachtet von Gott durch einen anderen Beschluß von Ewigkeit her festgesetzt, daß, was immer seine Mutter begehren würde, ihr niemals verweigert werden solle. Und Maria, dieses Vorrechtes sich bewußt, befahl den Dienern, die Krüge mit Wasser zu füllen, als ob die Gnade schon gewährt wäre, obwohl es noch den Anschein hatte, als habe der Sohn ihre Bitte verweigert. Dies will der hl. Johannes Chysostomus sagen, wenn er zu der Stelle bei Johannes nach der Vulgata: „Was geht das mich und dich an, Frau?”
(Jo 2,3) bemerkt: „Obgleich Jesus eine solche Antwort gab, so wollte Er doch, um seine Mutter zu ehren, ihren Bitten gehorchen.” Dasselbe bestätigt der hl. Thomas, wenn er sagt, daß Jesus Christus durch die Worte: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen” zu erkennen geben wollte, Er hätte das Wunder verschoben, wenn ein anderer darum gebeten hätte; weil aber die Mutter Ihn darum bat, hat Er es gewirkt. Damit stimmen auch der hl. Cyrillus und der hl. Hieronymus nach Barradius überein. Und ebenso bemerkt Jansenius von Gent zu der erwähnten Stelle des hl. Johannes: Um seine Mutter zu ehren, kam Er der Zeit, die zur Wirkung der Wunder vorher bestimmt war, zuvor.

Kurz, es gibt kein Geschöpf, das uns Elenden so viele Gnaden erlangen könnte, als diese gute Fürsprecherin, die von Gott nicht bloß als seine geliebte Dienerin, sondern auch als seine wahre Mutter mit diesem Vorrecht geehrt ist. So sagt Wilhelm von Paris, indem er sich an Maria wendet: „Keine Kreatur vermag so viele und so große Gnaden uns Elenden bei dem Sohn zu erwirken, als du uns erlangst; denn Er will dich hierdurch ohne Zweifel nicht als die Magd, sondern als seine wahre Mutter ehren.” Es genügt, daß Maria spricht, und der Sohn gewährt alles. Der Herr spricht zur Braut im Hohenlied, d.h. zu Maria: „Die du in den Gärten wohnst, die Freunde horchen; laß mich deine Stimme hören.”
(Hl 8,13) Diese Freunde sind die Heiligen, die, wenn sie ihren Verehrern eine Gnade erbitten, warten, bis ihre Königin sie von Gott begehrt und erlangt hat, wie oben gesagt wurde: Es wird keine Gnade erteilt außer durch die Vermittlung Mariens, Und wie erlangt Maria diese Gnaden? Es genügt, daß sie ihren Sohn ihre Stimme hören läßt: „Laß mich deine Stimme hören.” Es genügt, daß sie redet, und der Sohn erhört sie sogleich.

Wilhelm von Paris, der die erwähnte Stelle in diesem Sinn auslegt, läßt den Sohn folgendermaßen zu Maria zu sprechen: „Die du in den himmlischen Gärten wohnst, bitte zuversichtlich für wen du willst, denn ich kann unmöglich vergessen, daß ich dein Sohn bin, um meiner Mutter etwas verweigern zu können.” - „Nur ein Wort laß mich vernehmen, denn mein Hören ist ein Erhören.” Der Abt Gottfried sagt, obgleich Maria die Gnaden nur durch die Fürsprache erlange, so bitte sie dessen ungeachtet mit einer Art mütterlichen Befehls; darum müssen wir ohne allen Zweifel festhalten, daß sie alles erlangt, was sie begehrt, und um was sie für uns bittet.

Von Coriolan wird berichtet, daß bei seiner Belagerung Roms die Bitten der Einwohner und seiner Freunde nicht vermocht haben, ihn zum Abzug zu bewegen; aber als seine Mutter Veturia nahte, ihn zu bitten, konnte er nicht widerstehen und hob sogleich die Belagerung auf. Mächtiger noch als die Bitten der Veturia sind die Bitten Mariens bei Jesus, und um so mächtiger, je dankbarer dieser Sohn ist, und je mehr Er seine Mutter liebt. P. Justin von Miekowiz schreibt: „Ein einziger Seufzer der allerseligsten Jungfrau Maria vermag mehr als die Bitten aller Heiligen zusammen.” Dasselbe hat auf Befehl des hl. Dominikus der Teufel selbst aus dem Mund eines Besessenen bekannt, wie Paciucchelli erzählt, mehr vermöge bei Gott ein Seufzer Mariens als die flehentlichen Bitten aller Heiligen zusammen.

Der hl. Antonin behauptet, weil die Bitten der allerseligsten Jungfrau Bitten einer Mutter sind, haben sie in gewisser Weise die Eigenschaft eines Befehles, weshalb es unmöglich ist, daß sie unerhört bleibe, wenn sie um etwas bittet. Daher ermutigt der hl. Germanus die Sünder, sich dieser Fürsprecherin mit den Worten zu empfehlen : „Da du, o Maria, vor Gott das Ansehen einer Mutter genießt, so kannst du auch den größten Sündern Verzeihung erlangen; denn der Herr, der dich immer und überall als seine wahre Mutter anerkennt, kann dich nicht unerhört lassen, wenn du Ihn bittest.” Die hl. Birgitta vernahm, wie auch die Heiligen des Himmels zur allerseligsten Jungfrau sprachen: „O Gebenedeite, was gibt es, das du nicht vermagst? Was du willst, das geschieht!” Daher der bekannte Spruch: Was Gott durch sein Gebot vermag, vermagst du, Jungfrau, durch Gebet.

„Und ist es nicht der göttlichen Güte vollkommen würdig”, frägt der hl. Augustinus, „die Ehre seiner Mutter zu wahren, da Er ja selbst beteuerte, Er sei auf die Erde gekommen, nicht das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen.” Dieses Gesetz aber befiehlt, die Eltern zu ehren.

Der hl. Georg, Erzbischof von Nikomedien, bemerkt noch, daß Jesus Christus alle Bitten seiner Mutter erhöre, gleich als wolle Er damit der Verpflichtung genügen, die Er gegen sie hat wegen ihrer Zustimmung zu seiner Menschwerdung. Und der hl. Märtyrer Methodius ruft aus: „Freue dich, o Maria, die du das Glück hast, jenen Sohn zum Schuldner zu haben, der allen gibt, aber von keinem je etwas empfängt. Wir alle schulden Gott, was wir immer haben, denn alles ist sein Geschenk; dir aber hat Gott selbst Schuldner sein wollen, indem Er aus dir Fleisch annehmen und Mensch werden wollte.” Der hl. Augustinus sagt, da Maria es erlangte, dem göttlichen Wort seinen menschlichen Leib zu geben und mit ihm den Preis unserer Erlösung darzubieten, auf daß wir von dem ewigen Tod befreit würden, darum ist sie mächtiger als alle, uns zur Erlangung des ewigen Heiles behilflich zu sein. Der hl. Theophilus, Bischof von Alexandrien, der zur Zeit des hl. Hieronymus lebte, schreibt: „Der Sohn freut sich, von seiner Mutter gebeten zu werden, denn Er will alles, was Er gewährt, um seiner Mutter willen uns geben, und ihr so die Gabe vergelten, die Er in der Annahme des Fleisches von ihr empfangen hat.” Der hl. Johannes von Damaskus wendet sich an die allerseligste Jungfrau mit den Worten: „Als die Mutter des höchsten Gottes kannst du alle durch Bitten kraft deiner mütterliche Autorität selig machen.”

Ich schließe mit dem hl. Bonaventura, der in Betrachtung der großen, vom Herrn uns verliehenen Wohltat, indem Er uns Maria zur Fürsprecherin gab, sie anspricht: „O wahrhaft unermeßliche und wunderbare Güte unseres Gottes, der uns elenden Missetätern dich, seine Mutter, zur Fürsprecherin hat geben wollen, auf daß du uns durch deine mächtige Vermittlung alles, was du immer willst, erlangen kannst. O große Güte des Herrn, der, damit wir nicht wegen des Urteilspruches, den Er einst über uns verhängen muß, in allzu großen Schrecken geraten, uns seine eigene Mutter und die Herrin der Gnade zur Fürsprecherin geschenkt hat!”

Beispiel

P. Razzi, ein Kamaldulenser, erzählt, daß ein junger Mann nach dem Tod seines Vaters von seiner Mutter, einer großen Verehrerin Mariens, an den Hof eines Fürsten gesandt wurde. Diese ließ sich beim Abschied von ihrem Sohn das Versprechen geben, daß er täglich ein Ave Maria mit dem Zusatz bete: „Gebenedeite Jungfrau, stehe mir in meiner Todesstunde bei.” Der junge Mensch kam an den Hof, wurde aber nach einiger Zeit so ausgelassen und lasterhaft, daß der Fürst ihn entlassen mußte. In Verzweiflung und unfähig, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, begab er sich auf das Land, um Straßenräuber zu werden. Doch unterließ er auch jetzt nicht, sich Unserer Lieben Frau anzuempfehlen, wie er es seiner Mutter versprochen hatte. Schließlich wurde er aufgegriffen und zum Tod verurteilt. Am Abend vor der Hinrichtung weinte er im Gefängnis beim Andenken an seine Schande; an den Schmerz seiner Mutter, an den Tod, der seiner wartete, ganz untröstlich. Der Teufel, der seine übermäßige Traurigkeit erblickte, erschien ihm in Gestalt eines schönen Jünglings und sagte zu ihm, er wolle ihn von Tod und Gefangenschaft erretten, wenn er tun wolle, was er ihm sage. Der Verurteilte erklärte sich zu allem bereit. Nun gab der vermeintliche Jüngling sich als der Teufel zu erkennen, und daß er gekommen sei, ihm zu helfen. Vor allem verlangte er, daß er Jesus Christus und den hl. Sakramenten absage. Der Unglückliche willigte ein. Dann sagte er ihm, er müsse auch der Jungfrau Maria absagen und auf ihren Schutz verzichten. „Nein, das werde ich nicht tun”, erwiderte der junge Mensch, und an die Jungfrau Maria sich wendend, sprach er das gewohnte, von seiner Mutter erlernte Gebet: „Gebenedeite Jungfrau, stehe mir bei in meiner Todesstunde!” Bei diesen Worten verschwand der Teufel, der junge Mensch aber, äußerst bestürzt über das enorme Verbrechen seiner Abtrünnigkeit von Jesus Christus, nahm seine Zuflucht zur allerseligsten Jungfrau, und diese erlangte ihm einen so großen Schmerz über alle seine Sünden, daß er unter Tränen und aufrichtiger Reue beichtete.

Zur Hinrichtungsstätte geführt, kam er an einer Statue der Mutter Gottes vorüber und begrüßte sie mit dem gewohnten Gebet. Da neigte das Bild, seinen Gruß erwidernd, angesichts aller das Haupt. Innigst bewegt bat er, die Füße des Bildes küssen zu dürfen. Die Henkersknechte wollten es nicht zulassen; da aber unter dem Volk ein Murren entstand, gaben sie nach. Da er sich nun neigte, um die Füße zu küssen, streckte Maria aus der Statue den Arm aus, ergriff die Hand des Verurteilten und hielt ihn so fest, daß es nicht möglich war, ihn loszureißen. Bei diesem Wunder fing das Volk an zu schreien: „Gnade! Gnade!” - und er wurde begnadigt. Darauf kehrte er in seine Heimat zurück, führte dort ein musterhaftes Leben und bewahrte die innigste Andacht zu Maria, die ihn vom zeitlichen und ewigen Tod befreit hatte.


Gebet
O erhabene Mutter Gottes Maria! Mit dem hl. Bernhard will ich zu dir rufen: „Rede, o Herrin, dein Sohn hört dich, und was du immer begehrst, das wirst du erlangen.” Sprich also, o Maria, unsere Fürsprecherin, sprich zu unseren Gunsten, da wir so hilfsbedürftig sind. Gedenke, daß du diese große Macht, diese hohe Würde zu unserem Besten erhalten hast. Gott wollte dazu dein Schuldner werden und aus dir Fleisch annehmen, damit du nach deinem Gutdünken den Elenden die Schätze der göttlichen Gnaden austeilen könnest. Wir sind deine Diener, deinem Dienst in besonderer Weise ergeben, und zu diesen hoffe auch ich zu gehören. Wir rühmen uns, unter deinem Schutz zu stehen. Wenn du allen Gutes erweist, selbst denen, die dich nicht kennen, dich nicht ehren, ja sogar beleidigen und lästern; um wieviel mehr dürfen dann wir von deiner Güte erwarten, welche die Elenden zu trösten begehrt, wir, die wir dich ehren, lieben und auf dich vertrauen?

Wir sind zwar große Sünder, aber Gott hat dich mit einer Barmherzigkeit und Macht ausgestattet, die größer ist als alle unsere Missetaten. Du kannst und willst uns retten, und wir wollen um so mehr vertrauen, je unwürdiger wir sind, um dich im Himmel um so mehr zu verherrlichen, wenn wir durch deine Vermittlung dahin gelangen. O Mutter der Barmherzigkeit, dir stellen wir unsere Seelen vor, einst so schön und im Blut Jesu Christi gewaschen, nun durch die Sünde so befleckt; dir stellen wir sie vor, denke daran, sie zu reinigen. Erlange uns eine wahre Besserung, erlange uns die Liebe zu Gott, die Beharrlichkeit, den Himmel. Große Dinge begehren wir. Aber wie? Kannst du uns nicht alles erlangen? Oder ist etwa unser Verlangen zu groß für die Liebe, die Gott zu dir trägt? Du darfst nur den Mund öffnen und deinen Sohn bitten, Er schlägt dir nichts ab. Bitte also, bitte für uns, o Maria, bitte, und du wirst sicher erhört, wir aber gewiß selig werden.


Abs. 2 - Maria ist eine mitleidsvolle Fürsprecherin,
die sich nicht weigert, auch die Sache der Elendesten zu verteidigen

Es sind so viele Beweggründe, diese liebreiche Königin zu lieben, daß, wenn auf der ganzen Welt Maria gelobt, in allen Predigten nur von ihr gesprochen und alle Menschen ihr Leben für Maria geben würden, dies dennoch zu wenig wäre im Vergleich zu dem Dienst und dem Dank, den wir ihr schulden für ihre überaus zärtliche Liebe zu allen Menschen, und selbst zu den elendesten Sündern, die noch ein Rest Andacht zu ihr bewahren. Der sel. Raymund Jordan, der sich aus Demut Idiote (Ungelehrter) nennt, sagt: Maria kann nicht anders als den lieben, der sie liebt, ja sie scheut sich nicht, dem sogar zu dienen, der ihr dient, indem sie, wenn er ein Sünder ist, ihre ganze mächtige Vermittlung aufbietet, ihm von ihrem gebenedeiten Sohn Verzeihung zu erlangen. Und so groß ist ihre Güte und Barmherzigkeit, daß kein noch so tief Gefallener sich fürchten darf, zu ihren Füßen zu flüchten; denn sie weist keinen ab, der zu ihr seine Zuflucht nimmt. Maria bringt als unsere liebevolle Fürsprecherin selber die Gebete ihrer Diener Gott dar, besonders jene, die an sie selbst gerichtet werden; denn gleichwie der Sohn für uns bei dem Vater Fürsprache einlegt, so bittet Maria für uns beim Sohn, und sie hört nicht auf, bei dem einen oder andern das große Werk des Heiles zu besorgen und uns die Gnaden zu erwirken, die wir begehren. Mit Recht nennt deshalb der sel. Dionysius der Karthäuser, die allerseligste Jungfrau „Die einzigartige Zuflucht der Verlorenen, die Hoffnung der Elenden, die Anwältin aller Sünder, die zu ihr sich flüchten.”

Sollte sich aber ein Sünder finden, der zwar wohl an ihrer Macht nicht zweifelt, doch der Güte Mariens mißtraut und etwa fürchtet, sie wolle ihm nicht helfen wegen der Größe seiner Sünden, so flößt ihm der hl. Bonaventura mit den Worten Mut ein: „Das große Vorrecht Mariens, daß sie bei Gott die Mächtigste ist.” Groß und einzig ist dieses Vorrecht Mariens bei ihrem Sohn, alles, was sie nur will, durch ihre Bitten zu erlangen. „Was aber würde uns”, fährt er fort, „die große Macht Mariens helfen, wenn sie keine Sorge für uns trüge?”„Nein, zweifeln wir nicht”, schließt der Heilige, „seien wir ruhig und danken wir unablässig dem Herrn und seiner göttlichen Mutter; denn gleichwie sie bei Gott eine mächtigere Fürsprecherin ist als alle Heiligen, so ist sie liebreicher und mehr für unser Wohl besorgt, als alle.”

„Wo ist jemand, o Mutter der Barmherzigkeit”, ruft freudig der hl. Germanus aus, „der nach deinem Sohn Jesus so für uns und unser Wohl besorgt wäre, wie du? Wer beschützt uns mehr in den Leiden, die uns drücken, als du uns beschützt? Wer steht so den Sündern bei, wie du, die du sogar für sie kämpfst? Dein Schutz, o Maria ist mächtiger und liebreicher, als daß wir imstande wären, ihn nur zu begreifen.” „Während alle anderen Heiligen”, bemerkt der Idiote, „durch ihren Schutz mehr ihren besonderen Verehrern, als den anderen helfen können, ist die göttliche Mutter als die Königin aller auch die Fürsprecherin aller und trägt Sorge für das Heil aller.”

Sie sorgt für das Heil aller, auch der Sünder. Ja, die Fürsprecherin der Sünder zu sein, betrachtet Maria als ihren besonderen Ruhm, wie sie selbst der ehrwürdigen Schwester Maria Villani erklärte: „Nächst dem Titel der Mutter Gottes halte ich es für meinen höchsten Ruhm, Fürsprecherin der Sünder genannt zu werden.” Der sel. Amadeus sagt, daß unsere Königin immer am Thron der göttlichen Majestät stehe, um unablässig durch ihre mächtige Fürsprache für uns einzutreten. Und da sie im Himmel unser Elend und unsere Not gut kennt, so kann sie nur Erbarmen mit uns fühlen. Darum sucht sie mit mütterlicher Liebe, von Mitleid bewegt, so gütig und milde uns zu helfen. Deshalb spricht Richard von St. Lorenz einem jeden, sei er auch noch so elend, Mut zu, voll Vertrauen zu dieser gütigen Fürsprecherin seine Zuflucht zu nehmen und für gewiß zu halten, daß er sie immer zur Hilfe bereit finden werde. „Denn”, wie Abt Gottfried sagt, „ist Maria immer bereit, für alle zu bitten.” „Und o wie wirksam und mit welcher Liebe”, sagt der hl. Bernhard, „führt diese gute Anwältin das Geschäft unseres ewigen Heiles!”

Der hl. Augustinus betrachtet die Liebe und den Eifer, mit dem Maria unablässig bei der göttlichen Majestät sich für uns verwendet, damit der Herr unsere Sünden verzeihe, mit seiner Gnade uns beistehe, aus den Gefahren uns errette und im Elend uns tröste, und er wendet sich dann mit den Worten an die allerseligste Jungfrau: „Wir bekennen, daß du einzig und allein im Himmel für uns besorgt bist.” Er will sagen: O liebe Frau, es ist wahr, alle Heiligen sind besorgt für unser Heil und bitten für uns; aber die Liebe und die Zärtlichkeit, die du im Himmel uns zeigst, indem du durch deine Fürsprache so viele Erbarmungen von Gott uns erlangst, zwingt uns zu bekennen, daß wir im Himmel nur eine Fürsprecherin haben, und diese bist du; und daß du die einzige bist, die wahrhaft uns liebt und wahrhaft um unser Heil besorgt bist. „Wer könnte die Sorgfalt begreifen, mit welcher Maria unaufhörlich bei Gott für uns sich verwendet”, ruft der hl. Germanus aus: „Sie kann nicht müde werden, uns zu verteidigen.” Wie schön ist dieser Ausspruch! So groß ist das Mitleid, das Maria mit unserem Elend fühlt, und so groß die Liebe, die sie zu uns trägt, daß sie beständig für uns bittet, und immer wieder für uns bittet, und nie satt werden kann, für uns zu bitten, um durch ihre Fürbitte uns gegen die Übel zu schützen und uns Gnaden zu erwerben.

„O wie arm wären wir Sünder, wenn wir diese große Anwältin nicht hätten, die so mächtig und so mitleidig ist und zugleich so klug und weise, daß der Richter, ihr Sohn”, wie Richard von St. Lorenz sagt, „jene Missetäter nicht verdammen kann, die sie verteidigt!” Deshalb begrüßte sie der hl. Johannes der Geometer:
„Sei gegrüßt du Recht, das alle Streitigkeiten löst.” Alle Rechtsstreitigkeiten, die von dieser überaus weisen Anwältin verteidigt werden, sind gewonnen; daher wird Maria von dem hl. Bonaventura „die weise Abigail” genannt. Diese war nämlich jene Frau, von der das erste Buch der Könige
(1 Kg 25,33) berichtet, die durch ihre freundlichen Bitten den gegen Nabal erzürnten König David zu besänftigen wußte, daß David sie segnete, um ihr dafür zu danken, daß sie durch ihr mildes Benehmen ihn gehindert hatte, mit eigenen Händen Rache an Nabal zu nehmen.

Dasselbe vollbringt Maria beständig im Himmel zugunsten unzähliger Sünder; sie versteht es so gut, mit ihren zärtlichen und weisen Fürbitten die göttliche Gerechtigkeit zu besänftigen, daß Gott selbst sie dafür segnet und gleichsam vergilt, daß sie Ihn auf solche Weise abhalte, die Sünder zu verlassen und nach Gebühr zu züchtigen. „Zu diesem Zweck”, sagt der hl. Bernhard, „hat der ewige Vater, der alle nur mögliche Barmherzigkeit gegen uns üben will, außer Jesus Christus, unserem ersten Fürsprecher bei Gott, auch Maria uns zur Fürsprecherin bei Jesus Christus gegeben” „Ich zweifle nicht”, sagt der Heilige, „daß Jesus der einzige Mittler aus Gerechtigkeit zwischen Gott und den Menschen ist, der kraft seiner eigenen Verdienste, gemäß seiner Verheißungen Verzeihung und Gnade erwerben will und kann; aber weil die Menschen in Jesus Christus die göttliche Majestät, die in Ihm als in Gott wohnt, erkennen und fürchten, darum war es notwendig, uns eine andere Fürsprecherin anzuweisen, zu der wir mit weniger Furcht und mit größerem Vertrauen unsere Zuflucht nehmen könnten, und diese ist Maria.
Wir können keine Fürsprecherin finden, die mächtiger wäre vor der göttlichen Majestät und barmherziger gegen uns.”

Daher sagt er die schönen Worte: „Ein getreuer und überaus mächtiger Mittler zwischen Gott und den Menschen ist Jesus Christus; aber die Menschen scheuen in Ihm die göttliche Majestät, daher ist ein Mittler bei diesem Mittler notwendig; keiner aber ist uns nützlicher als Maria.” „Ein großes Unrecht”, sagt der Heilige weiter,
„würde derjenige der Güte Mariens zufügen, der sich scheute, zu den Füßen dieser gütigsten Fürsprecherin seine Zuflucht zu nehmen, die doch nichts Strenges an sich hat, nichts Abschreckendes, sondern ganz freundlich, liebenswürdig und gütig ist.” Lies und durchblättere, soviel du willst, die ganze Geschichte, die uns im Evangelium beschrieben ist, und wenn du darin irgendeinen Akt der Strenge an Maria findest, dann magst du dich fürchten, zu ihr hinzuzutreten. Aber das wirst du nicht finden. Darum flüchte voll Freuden zu ihr, sie wird dir durch ihre Fürsprache die Seligkeit erlangen. Gar schön ist der Ausruf, den Wilhelm von Paris dem zu Maria sich wendenden Sünder in den Mund legt: „Ich gehe zu dir, ja ich suche dich auf, glorwürdigste Gottesgebärerin, die man als Mutter der Barmherzigkeit anruft, so ruft ja sogar die ganze Kirche der Heiligen.”

O Mutter meines Gottes, in dem unglückseligen Zustand, wohin meine Sünden mich gebracht haben, nehme ich voll Vertrauen zu dir meine Zuflucht, und solltest du mich abweisen, so halte ich dir entgegen, daß du ja in gewisser Weise verpflichtet bist, mir zu helfen, weil die ganze Kirche dich die Mutter der Barmherzigkeit nennt und öffentlich verkündet. Du, o Maria, wirst immer erhört, wegen des großen Wohlgefallens, das Gott an dir hat. „Deine große Güte hat keinem sich je entzogen; deine überaus liebliche Freundlichkeit hat noch nie einen Sünder, so ungewöhnlich sein Vergehen sein mochte, verachtet, sobald er dir sich anempfahl.” „Oder sollte dich etwa irrtümlich und vergeblich die ganze Kirche ihre Fürsprecherin und Zuflucht der Elenden nennen?”

Nie soll es geschehen, daß meine Sünden, o Mutter, dich hindern könnten, dein erhabenes Amt der Liebe zu erfüllen, kraft dessen du zugleich Fürsprecherin und Friedensstifterin zwischen Gott und den Menschen bist und nach deinem Sohn die einzige Hoffnung und sichere Zuflucht den Unglücklichen.” Alles, was du an Gnade und Glorie besitzt, ja sogar deine Würde als Mutter Gottes verdankst du, wenn es erlaubt ist sozusagen, den Sündern; denn um ihretwillen hat das göttliche Wort dich zu seiner Mutter erwählt. Ferne sei es, von dieser göttlichen Mutter, die der Welt den Quell des Erbarmens gebar, auch nur zu denken, daß sie ihre Barmherzigkeit einem Unglücklichen, der zu ihr flüchtet, verweigern könnte. „Da es, o Maria, dein Amt ist, Friedensstifterin zwischen Gott und den Menschen zu sein, so möge deine große Güte, die ja weit größer ist, als alle meine Sünden, dich bewegen, mir
beizustehen.”

Tröstet euch also, ihr Kleinmütigen, sage ich mit dem hl. Thomas von Villanova, atmet wieder auf und faßt Mut, o ihr armen Sünder; diese erhabene Jungfrau, die Mutter eueres Richters und Gottes, ist die Fürsprecherin unseres Geschlechtes, eine vollkommen geeignete Fürsprecherin, die bei Gott alles vermag, was sie will; eine überaus weise Fürsprecherin, die alle Mittel kennt, Ihn zu besänftigen; eine gemeinsame Fürsprecherin, die sich um alle annimmt und die Verteidigung keines einzigen zurückweist.

Beispiel

Wie mitleidsvoll mit uns armen Sündern Maria, diese unsere Fürsprecherin ist, hat sie an Beatrix, einer Nonne des Klosters Fontevrault, bewiesen, wie uns Cäsarius und P. Rho erzählen. Von leidenschaftlicher Liebe zu einem jungen Mann hingerissen, verstand sich die unglückliche Klosterfrau dazu, mit ihm zu entfliehen. Und wirklich begab sich die Unselige eines Tages vor ein Muttergottesbild, legte dort als Pförtnerin die Schlüssel des Klosters nieder und zog unverfroren von dannen. In fremdem Land lebte sie fünfzehn Jahre lang als öffentliche Dirne. Danach kam sie wieder zurück, und dem Verwalter des Klosters begegnend, fragte sie ihn, überzeugt, daß er sie nicht erkenne, ob er nichts von Schwester Beatrix wisse. „Ich kenne sie gut”, war die Antwort, „sie ist eine hl. Klosterfrau und gegenwärtig Novizenmeisterin”. Dies machte sie ganz verwirrt und betroffen, da sie sich die Sache nicht erklären konnte. Um zu erfahren, was daran sei, ging sie verkleidet zum Kloster und ließ die Schwester Beatrix rufen. Und siehe, es erschien vor ihr die allerseligste Jungfrau genau in der Gestalt jenes Bildes, vor dem sie bei ihrem Entweichen aus dem Kloster Schlüssel und Habit niedergelegt hatte. Die Mutter Gottes sagte sie zu ihr: „Beatrix wisse, um deine Ehre zu retten, habe ich deine Gestalt angenommen, und während der fünfzehn Jahre, die du fern vom Kloster und fern von deinem Gott zugebracht hast, habe ich statt deiner dein Amt versehen. Tochter, kehre um und tue Buße, noch erwartet dich mein Sohn, und suche durch einen erbaulichen Wandel, den guten Ruf dir zu bewahren, den ich dir verschafft habe.” Bei diesen Worten verschwand sie; Beatrix aber ging in das Kloster hinein, zog den Ordenshabit wieder an und voll Dank für diese große Barmherzigkeit Mariens führte sie von da an ein heiliges Leben. In der Todesstunde aber offenbartte sie zur größeren Ehre dieser erhabenen Königin den ganzen Vorgang.


Gebet
O erhabene Mutter meines Herrn! Ich erkenne, daß ich durch meine so vieljährige Undankbarkeit gegen Gott und dich verdient hätte, von dir zur gerechten Strafe aufgegeben zu werden; denn ein Undankbarer ist deiner Wohltaten nicht mehr wert. Doch, o meine liebe Frau, ich denke Hohes von deiner Güte, ich glaube fest, daß sie größer als meine Undankbarkeit ist. Fahre fort, o Zuflucht der Sünder, und höre nimmer auf, einem armen Sünder, der auf dich vertraut, zu Hilfe zu kommen. O Mutter der Barmherzigkeit, strecke deine Hand aus, um einem gefallenen Sünder, der dein Mitleid anspricht, aufzuhelfen. O Maria, entweder beschütze du mich, oder sage mir, an wen ich mich zu wenden habe, der mir besser helfen könnte, als du! Doch wo könnte ich eine liebevollere und mächtigere Fürsprecherin bei Gott finden, als dich, die du seine Mutter bist? Durch deine Erwählung zur Mutter des Erlösers bist du auch berufen, die Sünder zu retten, und du bist auch mir geschenkt zu meinem Heil. O Maria, du rettest den, der sich an dich wendet. Deine Liebe verdiene ich nicht, aber dein Verlangen nach dem Heil der Verlorenen flößt mir Hoffnung ein, daß du mich dennoch liebst. Und wie sollte ich verloren gehen, wenn du mich liebst? O meine geliebte Mutter, wenn ich durch dich selig werde, wie ich hoffe, so will ich nicht mehr undankbar gegen dich sein, sondern durch immerwährendes Lob und alle Liebe meiner Seele will ich meine frühere Undankbarkeit gut machen und dir die Liebe, die du zu mir getragen, vergelten. Im Himmel, wo du herrschst und in alle Ewigkeit herrschen wirst, werde ich voll Seligkeit deine Barmherzigkeit allezeit lobpreisen und durch alle Ewigkeit jene Hand küssen, die mich, so oft ich durch meine Sünden die Hölle verdiene, von derselben befreit hat. O Maria, meine Befreierin, meine Hoffnung, meine Königin, meine Fürsprecherin, meine Mutter, ich liebe dich, ich liebe dich, ich will dich allezeit lieben. Amen. Amen. So hoffe ich, so sei es.
 


Abs. 3 - Maria versöhnt die Sünder mit Gott

Die Gnade Gottes ist für eine jede Seele ein überaus großer und wünschenswerter Schatz. Sie wird vom Hl. Geist ein unendlicher Schatz genannt, weil wir mittels der göttlichen Gnade zur Würde der Freundschaft Gottes erhoben werden. „Sie ist ein unendlicher Schatz für jene Menschen, die ihn nützen, sie werden der Freundschaft Gottes teilhaftig.” (Wsh 7,14) Daher kommt es, daß Jesus Christus, unser Erlöser und Gott, selber nicht ansteht, jene seine Freunde zu nennen, die sich in der Gnade befinden. „Ihr seid meine Freunde.” (Jo 15,13)

O verfluchte Sünde, die diese schöne Freundschaft löst! „Eure Missetaten scheiden euch von euerem Gott.” (Is 59,2) Und da die Sünde die Seele dem Haß Gottes überantwortet, - „beide sind Gott verhaßt, der Gottlose und seine Gottlosigkeit” (Wsh 14,9), - so verwandelt sie dieselbe aus einer Freundin in eine Feindin des Herrn. Was hat aber ein Sünder zu tun, der zu seinem Unglück sich im Stand der Feindschaft Gottes befindet? Er muß einen Mittler suchen, der ihm Verzeihung erlangt und die verlorene Freundschaft Gottes wieder erwerben hilft. „Tröste dich also”, sagt der hl. Bernhard, „o Unglücklicher, der du deinen Gott verloren hast!” Dein Herr selbst hat dir einen Mittler gegeben, nämlich seinen Sohn Jesus; der dir alles erlangen kann, was du begehrst. „Jesus hat Er dir zum Mittler gegeben; was sollte ein solcher Sohn nicht bei seinem Vater vermögen?”

Aber o Gott, ruft der Heilige aus, warum halten die Menschen diesen gütigen Erlöser für so streng, der sein Leben hingegeben hat um sie zu retten? Warum erachten sie den für schrecklich, der doch ganz liebenswürdig ist? Kleinmütige Sünder, welche Furcht habt ihr? Fürchtet ihr euch, weil ihr Gott beleidigt habt, so wißt, daß Jesus eure Sünden mit seinen durchbohrten Händen ans Kreuz geheftet, für sie durch seinen Tod der göttlichen Gerechtigkeit genug getan und die Schuld von eueren Seelen hinweggenommen hat. Aber, fügt der Heilige hinzu, du scheust dich vielleicht zu Jesus Christus deine Zuflucht zu nehmen, weil dich seine göttliche Majestät schreckt, denn da Er Mensch geworden, hat Er nicht aufgehört, Gott zu sein; willst du einen anderen Fürsprecher bei diesem Mittler? Flüchte zu Maria, denn sie wird beim Sohn für dich bitten, der sie sicher erhören wird; der Sohn aber wird Fürsprache beim Vater einlegen, der diesem Sohn keine Bitte verweigern kann. Der hl. Bernhard schließt mit den Worten: Diese göttliche Mutter, meine Söhne, ist die Leiter für die Sünder, an der sie auf ein neues zur Höhe der göttlichen Gnade emporsteigen. Sie ist meine größte Zuversicht, sie der ganze Grund meiner Hoffnung.

Vernehmt, welche Worte der Hl. Geist im Hohenlied der allerseligsten Jungfrau in den Mund legt. „Ich bin eine Mauer und meine Brüste sind wie Türme, seitdem ich vor Ihm geworden bin wie die, welche den Frieden fand.” (Hl 8,10) „Ich bin”, sagt Maria, „der Schutz jener, die zu mir flüchten, und meine Barmherzigkeit ist für sie wie ein fester Turm der Zuversicht, und deswegen bin ich von meinem Herrn als Friedensvermittlerin zwischen den Sündern und Gott aufgestellt.” „Maria”, sagt Kardinal Hugo zu dieser Stelle, „ist die große Friedensmittlerin, die den Feinden Gottes wieder Frieden erbittet und finden läßt, die den Verlorenen das Heil, den Sündern Verzeihung, den Verzweifelnden Barmherzigkeit erlangt.”

Darum wurde sie von ihrem Bräutigam „schön wie Zelte Salomons” (Hl 1,4) genannt.” In den Zelten Davids wurde nur über Krieg verhandelt, in den Zelten Salomons aber nur Sachen des Friedens. Damit gibt uns der Hl. Geist zu verstehen, daß diese Mutter der Barmherzigkeit nicht über Krieg und Rache gegen die Sünder, sondern über Frieden und Verzeihung ihrer Sünden verhandle.

Maria war auch durch die Taube Noes vorgebildet, die, aus der Arche fliegend, einen Ölzweig als Zeichen des von Gott den Menschen wieder geschenkten Friedens im Schnabel zurückbrachte. Darum wendet sich der hl. Bonaventura mit den Worten an Maria: „Du bist jene treueste Taube Noes, da du die treueste Mittlerin zwischen Gott und der in geistlicher Sündflut versunkenen Welt geworden bist.” Maria also ist die himmlische Taube, die der verlorenen Welt den Ölzweig, das Zeichen der Barmherzigkeit, überbrachte; denn sie hat uns Jesus Christus gegeben, der die Quelle der Barmherzigkeit ist, und durch die Kraft seiner Verdienste hat sie alle Gnaden uns erlangt, die Gott uns verleiht. Und gleichwie durch Maria der Welt der Friede des Himmels geschenkt wurde, wie Epiphanius sagt, so erlangen durch ihre Vermittlung die Sünder fortwährend ihre Aussöhnung mit Gott. Daher läßt der hl. Albert Der Große sie sprechen: „Ich bin die Taube Noes, die ich der Kirche den allgemeinen Frieden gebracht habe.”

Sodann war auch ein Vorbild Mariens jener Regenbogen, von dem der hl. Johannes sah, daß er den Thron Gottes umgebe: „Ein Regenbogen war rings um den Thron.” (Offb 4,3) Dies erklärt der Kardinal Vitalis so: „Dieser Regenbogen ist Maria, die fortwährend vor dem göttlichen Richterstuhl steht, um die göttlichen Strafurteile und Züchtigungen, die den Sündern gebühren, zu mildern.” Dies ist der Regenbogen, nach der Meinung des hl. Bernhardin von Siena, der Regenbogen, den der Herr im Auge hatte, da Er zu Noe sprach, Er wolle in den Wolken einen Friedensbogen aufrichten, damit Er beim Anschauen desselben an den ewigen Frieden, den Er mit den Menschen geschlossen habe, sich erinnere. „Meinen Bogen will ich in die Wolken setzen, und er soll ein Zeichen des Bundes sein zwischen mir und der Erde... Und der Bogen wird in den Wolken sein, und ich werde ihn sehen und gedenken des ewigen Bundes.” (Gen 9,13) Die allerseligste Jungfrau ist jener Bogen des ewigen Friedens; denn gleichwie Gott beim Anblick des Bogens an den Frieden sich erinnert, den Er der Erde verheißen, so verzeiht Er auf die Bitten Mariens den Sündern die Ihm zugefügten Beleidigungen und schließt Frieden mit ihnen.

Deshalb wird Maria auch mit dem Mond verglichen. „Du bist schön wie der Mond.” (Hl 6,9)„Denn”, sagt der hl. Bonaventura, „gleichwie der Mond in der Mitte steht, zwischen Himmel und Erde, so tritt Maria beständig zwischen Gott und die Sünder, um den Herrn mit ihnen zu versöhnen und die Sünder zu erleuchten, damit sie zu Gott zurückkehren.” Das ist die Hauptaufgabe, die Gott Maria übertrug, da Er sie auf die Erde sandte: Seelen, die aus dem Stand der göttlichen Gnade gefallen sind, wieder aufzurichten und mit Gott zu versöhnen: „Weide deine Böcke!” (Hl 1,7) So sprach der Herr zu ihr, da Er sie schuf. Bekanntlich werden die Sünder mit den Böcken verglichen, und wie die Auserwählten, die durch die Schafe dargestellt sind, im Gericht zur Rechten gestellt werden, so werden jene zur Linken aufgestellt sein. „Diese Böcke nun”, sagt Abt Wilhelm, „sind dir, o erhabene Mutter, übergeben, damit du sie in Schafe verwandelst, und damit jene, die durch ihre Schuld verdienten, auf die linke Seite getrieben zu werden, durch deine Fürsprache zur Rechten gestellt werden.” Deshalb offenbarte der Herr der hl. Katharina von Siena, Er habe diese seine geliebte Tochter erschaffen, damit sie Ihm als eine überaus süße Lockpfeife diene, um die Menschen, besonders die Sünder, zu fangen und sie zu Gott hinzuziehen. Hierzu müssen wir die schöne Erklärung Wilhelms beachten, der dazu sagt, daß Gott Maria ihre Böcke empfehle - „deine Böcke”, denn die allerseligste Jungfrau rettet nicht alle Sünder, sondern nur jene, die ihr dienen und sie verehren. Jene hingegen, die in Sünden leben und sie durch nicht verehren, noch ihr sich anempfehlen, um von der Sünde sich zu erheben, sind keine Böcke Mariens, sondern sie werden beim Gericht unglückseligerweise mit den Verdammten zur Linken gestellt werden.
[Der Herr hat Petrus nur die Schafe und Lämmer übergeben.]

Ein Edelmann, der wegen der großen Menge seiner Sünden an seinem Heil verzweifeln wollte, wurde von einem Ordensmann ermuntert, er solle zu Maria seine Zuflucht nehmen und ein andächtiges Muttergottesbild, das in einer Kirche stand, besuchen. Der Kavalier ging in die Kirche und beim Anblick des Bildes Mariens hatte er die Empfindung, als ob sie ihn einlade, zu ihren Füßen sich niederzuwerfen und Vertrauen zu fassen. Er eilt hinzu, wirft sich nieder und Maria reicht ihm aus ihrem Bild, einer Statue, ihre Hand zum Kuß hin. Und auf der Hand Mariens sah er folgende Worte geschrieben: „Ich will dich erretten von denen, die dich betrüben” - als ob sie ihm damit sagen wollte: Mein Sohn, verzweifle nicht; ich will dich befreien von deinen Sünden, von deinen Ängsten, die dich niederdrücken. Als der Sünder diese süßen Worte las, empfand er einen solchen Schmerz über seine Sünden und faßte eine so große Liebe zu Gott und zu seiner süßen Mutter, daß er dort zu Füßen Mariens seinen Geist aufgab. O wie viele verstockte Sünder zieht dieser Magnet der Herzen, wie sie sich selber nannte, zu Gott hin!

Maria sagte nämlich zur hl. Birgitta: „Wie der Magnet das Eisen anzieht, so ziehe ich die härtesten Herzen an mich, um sie mit Gott wieder auszusöhnen.” Und dieses Wunder ereignet sich nicht selten, sondern jeden Tag. Ich selber könnte viele solcher Fälle bezeugen, die nur allein auf unseren Missionen vorgekommen sind, wo manche Sünder, die bei den übrigen Predigten härter als Eisen geblieben, bei der Predigt von der Barmherzigkeit Mariens in sich gingen und zu Gott zurückkehrten.

Der hl. Gregor erzählt, das Einhorn sei ein so scheues Tier, daß es kein Jäger jemals habe fangen können. Nur auf die Stimme einer Jungfrau, die es ruft, komme das Tier, nähere sich und lasse sich ohne Widerstand von ihr fesseln. O wie viele Sünder, die wilder noch als die Tiere vor Gott fliehen, kommen auf die Stimme dieser erhabenen Jungfrau herbei und lassen sich von ihr durch sanfte Fesseln wieder an Gott knüpfen.

Zu diesem Zweck ist nach dem hl. Johannes Chrysostomus Maria auch Mutter Gottes geworden, damit sie jenen Elenden, die wegen ihres schlechten Lebens, gemäß der göttlichen Gerechtigkeit, nicht mehr selig werden könnten, durch ihre süße Barmherzigkeit und mächtige Fürsprache das Heil erlange. „Denn Maria ist”, wie der hl. Anselm versichert, „mehr um der Sünder als um der Gerechten willen zur Würde einer Mutter Gottes erhoben worden, da ja Jesus Christus selbst beteuert, daß Er gekommen sei, nicht die Gerechten, sondern die Sünder zu rufen.” Deshalb singt auch die hl. Kirche von ihr: Du hast keinen Abscheu vor den Sündern; ohne sie wärst du niemals eines solchen Sohnes gewürdigt worden. Deshalb sagt ihr der hl. Wilhelm von Paris mit eindringendlichen Worten: „O Maria, du bist verpflichtet, den Sündern zu helfen; denn alles, was du an Gaben, Gnaden und Herrlichkeiten besitzt, die alle in der Würde einer Gottesmutter enthalten sind, all dies verdankst du, wenn es erlaubt ist zu sagen, den Sündern; denn um ihretwillen bist du gewürdigt worden, einen Gott zum Sohn zu haben» „Wenn also”, schließt der hl. Anselm, „Maria um der Sünder willen Gottes Mutter geworden ist, wie könnte ich, so groß meine Sünden auch seien, an der Verzeihung verzweifeln?”

Die hl. Kirche belehrt uns in der Oration der Messe für die Vigil zu Mariä Himmelfahrt, daß die Mutter Gottes von dieser Erde zum Himmel erhoben wurde, um bei Gott unsere Mittlerin zu sein, damit wir mit gewisser Zuversicht erhört werden. Daher wird Maria vom hl. Justinus ‘Schiedsrichterin’ genannt; dieses Wort bedeutet Mittler, dem zwei streitende Parteien die Entscheidung über ihre Gründe und Ansprüche überlassen. Der Heilige will demnach sagen, gleichwie Jesus der Mittler ist beim ewigen Vater, so ist Maria unsere Mittlerin bei Jesus, und der Sohn überläßt ihr die Entscheidung über all seine Klagen, die Er als Richter gegen uns hat.

Der hl. Andreas von Kreta gibt Maria den Namen Bürgschaft, Sicherheit unserer Versöhnung mit Gott. Dieser Heilige will damit ausdrücken, Gott wolle sich mit den Sündern versöhnen, indem Er ihnen verzeiht; damit aber die Sünder nicht an der empfangenen Verzeihung zweifeln, habe Er ihnen zum Pfand Maria gegeben. Er begrüßt sie deshalb: „Sei gegrüßt, o Versöhnung der Menschen mit Gott.” Und der hl. Bonaventura flößt darum jedem Sünder Mut ein mit den Worten: „Wenn du fürchtest, Gott wolle durch deine Sünden erzürnt an dir Rache nehmen, was hast du zu tun? Gehe, flüchte zur Hoffnung der Sünder, zu Maria; und wenn die Furcht in dir aufsteigt, sie möchte sich weigern, deine Partei zu ergreifen, so wisse, daß ihr nicht möglich ist, deine Verteidigung auszuschlagen, da Gott selbst ihr das Amt übertragen hat, den Elenden zu helfen.” „Oder könnte der, dem die Mutter des Richters selber zur Mutter und Fürsprecherin sich darbietet, noch an seinem Heil verzweifeln?”, ruft Adam, Abt von Perseigne, aus. „Und du, o Maria”, fährt er weiter fort, „du, die Mutter der Barmherzigkeit, solltest dich weigern, den einen deiner Söhne, welcher der Richter ist, für einen anderen, der ein Sünder ist, zu bitten? Du solltest dich weigern, für eine erlöste Seele dich beim Erlöser zu verwenden, der ja gerade deshalb am Kreuz starb, um die Sünder zu retten? Nein, du weigerst dich nicht; mit allem Eifer wirst du dich für alle verwenden, die zu dir ihre Zuflucht nehmen; denn du weißt wohl, daß der gleiche Herr, der deinen Sohn zum Friedensmittler zwischen Gott und den Menschen machte, auch dich zur Mittlerin zwischen dem Richter und dem Angeklagten gemacht hat.”

„Sage also dem Herrn Dank”, ermahnt der hl. Bernhard, „der dir für eine solche Mittlerin gesorgt hat.” Wer du auch immer sein magst, o Sünder, mit Sünden befleckt, in Sünden alt geworden, werde nicht kleinmütig; danke vielmehr deinem Herrn, der, um Erbarmen an dir zu üben, nicht bloß seinen Sohn dir zum Fürsprecher gegeben, sondern auch, um dir mehr Mut und Vertrauen einzuflößen, für eine solche Fürsprecherin gesorgt hat, die alles, was sie will, durch ihre Bitten erlangen kann. Geh, wende dich an Maria und du wirst selig werden.

Beispiel

Der sel. Alanus a Rupe und Bonifatius erzählen, daß zu Florenz eine Frau lebte, die den Namen Benedikta führte, wegen ihres ärgerlichen und wüsten Lebenswandels aber eher Maledikta hätte heißen sollen. Zu ihrem Glück kam der hl. Dominikus in diese Stadt, um zu predigen. Aus bloßer Neugierde ging sie in die Kirche, um ihn zu hören. Aber durch diese Predigt erfüllte Gott ihr Herz mit solcher Reue, daß sie, bitterlich weinend, zu dem Heiligen ging, um zu beichten. Der hl. Dominikus hörte ihre Beichte, absolvierte sie und gab ihr als Buße auf, den Rosenkranz zu beten. Die Unglückliche indes kehrte, von sündhafter Gewohnheit getrieben, zu ihrem schlechten Wandel zurück. Das erfuhr der Heilige, suchte sie auf und hielt sie an, von neuem zu beichten. Um sie in ihren guten Vorsätzen zu bestärken, ließ Gott sie nun eines Tages die Hölle sehen und zeigte ihr dort einige Seelen, an deren Verdammnis sie die Schuld trug. Dann öffnete Er ein Buch und ließ sie da den schrecklichen Verlauf ihres Sündenlebens schauen. Bei diesem Anblick erschauderte die Büßerin; aber voll Vertrauen wandte sie sich an Maria um Hilfe. Da vernahm sie, wie die göttliche Mutter ihr von Gott die notwendige Zeit erlangte, ihre Missetaten zu beweinen. Nach diesem Gesicht führte Benedikta ein besseres Leben. Aber immer schwebte ihr jenes schreckliche Bild vor Augen, das ihr gezeigt worden war. Sie wandte sich nun eines Tages an ihre Trösterin, und bat:

„O Mutter, es ist wahr, wegen meiner Verbrechen sollte ich im Abgrund der Hölle sein; aber du hast durch deine Vermittlung mich davon befreit und mir Zeit zur Buße erwirkt. O barmherzigste Herrin, um eine andere Gnade noch bitte ich dich: Nie mehr will ich aufhören, meine Sünden zu beweinen; aber bewirke, daß sie in jenem Buch ausgelöscht werden!” Auf diese Bitte erschien ihr Maria und sprach, wenn sie dies erreichen wolle, müsse sie von nun an stets ihrer Sünden gedenken und der Barmherzigkeit, die Gott ihr erwiesen; ferner müsse sie immer an die Leiden sich erinnern, die ihr Sohn aus Liebe zu ihr erduldet, und endlich müsse sie wohl erwägen, daß viele verdammt seien, die viel weniger gesündigt als sie. Zugleich wurde ihr geoffenbart, daß an diesem Tag ein Kind von acht Jahren wegen einer einzigen Sünde zur Hölle verdammt worden sei.

Benedikta folgte getreulich der allerseligsten Jungfrau, und siehe, eines Tages erschien ihr Jesus Christus und zeigte ihr jenes Buch mit den Worten: „Siehe, deine Sünden sind ausgelöscht, das Buch ist weiß, schreibe jetzt Akte der Liebe und der Tugenden hinein.” Das tat Benedikta; sie führte einen heiligmäßigen Wandel und starb eines hl. Todes.


Gebet
O süßeste Herrin! Dein Amt ist es, wie Wilhelm von Paris sagt, als Mittlerin zwischen die Sünder und Gott zu treten. Darum rufe ich dir mit dem hl. Thomas von Villanova zu: O unsere Fürsprecherin, übe dein Amt aus; vollbringe deine Aufgabe auch an mir. Sage mir nicht, meine Sache sei zu schwierig, um gewonnen zu werden; denn ich weiß, und alle sagen es mir, daß kein noch so verzweifelter Rechtsstreit verloren ist, wenn du ihn verteidigst. Und der meinige sollte verloren sein? Nein, das fürchte ich nicht. Nur dann hätte ich zu fürchten, wenn ich nur auf die Menge meiner Sünden zu schauen hätte, und du meine Verteidigung nicht übernehmen wolltest. Aber in Anbetracht deiner unendlichen Barmherzigkeit und des unendlichen Verlangens, das dein süßestes Herz beseelt, den verlorenen Sündern zu helfen, kann ich keine Furcht haben. Wer ist je zugrunde gegangen, der zu dir seine Zuflucht genommen? Darum rufe ich zu dir um Hilfe, o meine erhabene Fürsprecherin, meine Zuflucht, meine Hoffnung, meine Mutter Maria! Deinen Händen vertraue ich die Angelegenheit meines ewigen Heiles; dir übergebe ich meine Seele; sie war verloren, du aber mußt sie retten.

Ohne Ende danke ich dem Herrn, daß Er mir dieses große Vertrauen auf dich einflößt, das, ungeachtet meiner Unwürdigkeit, mich meines Heiles versichert. Nur eine Furcht quält mich noch, o geliebte Gebieterin, daß ich durch meine Nachlässigkeit eines Tages dies mein Vertrauen auf dich verlieren könnte. Darum bitte ich dich, o Maria, um der Liebe zu deinem Jesus willen, bewahre und vermehre in mir immer mehr dieses so überaus süße Vertrauen auf deine Mittlerschaft, durch die ich die so törichterweise von mir einst verachtete und verlorene Freundschaft Gottes sicher wieder zu erlangen hoffe. Und habe ich sie wieder gewonnen, so hoffe ich durch deine Vermittlung, sie zu bewahren, und bewahre ich sie, so darf ich endlich hoffen, durch dich einmal in das Paradies zu kommen, um dir zu danken und Gottes und deine Barmherzigkeit die ganze Ewigkeit hindurch zu preisen. Amen. Also hoffe ich; so sei es; so wird es sein.

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7. Kap. - Wende deine barmherzigen Augen zu uns

Maria ist ganz Auge, um mit unseren Nöten Mitleid zu haben und uns zu helfen Der hl. Epiphanius nennt die göttliche Mutter vieläugig, weil sie ganz Auge ist, um uns Elenden hienieden zu Hilfe zu kommen. Bei Anwendung des Exorzismus an einem Besessenen gab einmal der böse Feind, befragt, was Maria tue, die Antwort:
„Sie steigt auf und nieder.” Er wollte sagen, diese gütige Herrin sei mit nichts anderem beschäftigt, als auf die Erde herabzusteigen, um den Menschen Gnaden zu bringen, und zum Himmel aufzusteigen, um dort von Gott die Erhörung unserer Bitten zu erwirken. Mit Recht wird die allerseligste Jungfrau darum vom hl. Andreas Avellino die Geschäftsführerin des Himmels genannt, weil sie unablässig mit Werken der Barmherzigkeit beschäftigt ist, indem sie allen, den Gerechten wie den Sündern, Gnaden erfleht. Der Herr hat seine Augen auf die Gerechten gewandt, sagt David: „ Die Augen des Herrn ruhen auf den Gerechten.”;
(Ps 33,16) aber die Augen unserer Herrin, sagt Richard von St. Lorenz, sind ebensowohl den Gerechten wie den Sündern zugewandt, denn die Augen Mariens sind nach ihm Augen einer Mutter, und eine Mutter schaut auf ihr Kind, nicht bloß, daß es nicht falle, sondern daß sie, ist es gefallen, es wieder aufhebe.

Dieses offenbarte auch Jesus Christus selbst der hl. Birgitta, indem Er sie die Worte an seine Mutter vernehmen ließ: „Mutter, verlange von mir, was du willst.”¸ Das ist die Sprache, die Jesus beständig im Himmel mit Maria führt, da es seine Freude ist, seiner geliebten Mutter in allem, was sie verlangt, zu willfahren. Aber was verlangt Maria? Die hl. Birgitta vernahm, wie sie ihrem Sohn erwiderte: „Ich bitte um Barmherzigkeit für die Elenden,” als wollte sie sagen: Mein Sohn, du hast mich bestimmt, Mutter der Barmherzigkeit, Zuflucht der Sünder, Fürsprecherin der Elenden zu sein, und du sagst mir, ich solle dich bitten, worum ich will; was kann ich nun anderes verlangen, als daß du den Elenden Barmherzigkeit erweist?

„So voll bist du an Barmherzigkeit, o Maria”, ruft mit Zärtlichkeit der hl. Bonaventura aus, „und so bereit, den Elenden zu helfen, daß du kein anderes Verlangen, noch andere Sorge als diese zu haben scheinst.” Und weil unter den Unglücklichen die Sünder die Elendesten sind, so bittet Maria, wie der ehrwürdige Beda behauptet, ohne Aufhören ihren Sohn für die Sünder.

Schon während ihres Erdenlebens, sagt der hl. Hieronymus, war Maria so mitleidsvollen und gütigen Herzens gegen die Menschen, daß niemand über sein eigenes Leid solche Betrübnis fühlen konnte, wie Maria über fremdes. Dieses Mitleid mit der Betrübnis anderer offenbarte sie bei der Hochzeit zu Kana, (wie bereits erwähnt) wo sie beim Ausgehen des Weines, nach dem hl. Bernhardin von Siena, das Amt einer gütigen Helferin auf sich nahm, ohne darum gebeten worden zu sein. Aus reinem Mitleid mit der Verlegenheit der Brautleute verwandte sie sich bei ihrem Sohn und erlangte von Ihm das Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein.

„Solltest du etwa”, ruft der hl. Petrus Damianus, an Maria sich wendend, aus, „solltest du, zur Königin des Himmels erhöht, unseres Elendes vergessen können? Das ist nicht zu denken; denn eine Barmherzigkeit, so groß, wie sie im Herzen Mariens herrscht, kann ein Elend, wie das unsrige, nicht vergessen.” Auf Maria läßt sich das bekannte Sprichwort: Honores mutant mores - Ehren ändern die Sitten - nicht anwenden. Bei Weltmenschen ist es der Fall, daß sie stolz werden und ihrer alten, armen Freunde nicht mehr gedenken, wenn sie zu Ehren gelangen; nicht aber bei Maria, denn sie freut sich ihrer Erhöhung, um den Elenden um so mehr Hilfe bringen zu können.

In Erwägung dieser Wahrheit wendet der hl. Bonaventura auf die allerseligste Jungfrau die Worte an, die zu Ruth gesagt wurden: Gesegnet bist du vom Herrn, o Tochter; denn deine frühere Barmherzigkeit wird durch die nachfolgende übertroffen” (Rth 3,10), um auszudrücken, daß, wenn die Barmherzigkeit Mariens gegen die Elenden schon so groß war, als sie noch auf Erden lebte, sie noch viel größer sein müsse jetzt, da sie im Himmel regiert. Zur Bekräftigung seines Ausspruches erklärt der Heilige weiter, daß die göttliche Mutter durch die unzähligen, uns erlangten Gnaden zeigen wolle, ihre Barmherzigkeit sei nun größer, da sie unsere Nöte besser kenne. Wie der Glanz der Sonne, fährt er fort, den des Mondes übertrifft, so übertrifft die Barmherzigkeit Mariens im Himmel jene, die sie uns während ihres Erdenlebens erwiesen hat. Und er schließt: Ist wohl jemand auf der Welt, der sich dieses Sonnenlichtes nicht erfreute, auf den die Barmherzigkeit Mariens ihre Strahlen nicht herniedersandte? (Hl 6,9) Darum heißt es von ihr, sie sei auserkoren wie die Sonne: „Auserwählt wie die Sonne”, weil niemand, wie der hl. Bonaventura sagt, ausgeschlossen ist von den wärmenden Strahlen der Sonne. „Es ist niemand, der sich bergen kann vor ihrer Hitze.” (Ps 18,7)

Dasselbe offenbarte die hl. Agnes der hl. Birgitta, daß unsere Königin, nun im Himmel mit ihrem Sohn vereinigt, ihrer angeborenen Güte nicht vergessen könne, sondern allen, auch selbst den ruchlosesten Sündern, ihre Barmherzigkeit in der Art zuwende, daß, wie von der Sonne die Himmelskörper und die Erde beleuchtet werden, so niemand, dank der süßesten Liebe Mariens, auf der Welt lebe, der, so er bittet, nicht durch ihre Vermittlung an der göttlichen Barmherzigkeit teilhätte.

Ein großer Verbrecher im Königreich Valencia hatte, um dem Arm der Gerechtigkeit zu entfliehen, aus Verzweiflung den Entschluß gefaßt, ein Türke (Mohammedaner) zu werden, und war bereits auf dem Weg, sich einzuschiffen. Da ging er zufällig an einer Kirche vorüber, in der P. Hieronymus Lopez aus der Gesellschaft Jesu von der Barmherzigkeit Gottes predigte. Durch diese Predigt gerührt, bekehrte sich der Sünder und beichtete bei dem Pater, der ihn fragte, ob er etwa eine gewisse Andachtsübung vorgenommen habe, deretwegen Gott ihm dieses große Erbarmen erwiesen habe. Er antwortete, daß er keine andere Andacht verrichtet habe, als täglich zur allerseligsten Jungfrau zu bitten, sie möge ihn doch nicht verlassen. Der gleiche Ordensmann fand einmal in einem Spital einen Sünder, der seit fünfundfünfzig Jahren nicht mehr gebeichtet und der nur die leichte Andachtsübung noch beibehalten hatte, daß er, wenn er ein Bild Mariens erblickte, dieses grüßte und bat, Maria wolle ihn doch nicht in der Todsünde sterben lassen. Bei einem Zweikampf zerbrach ihm der Degen. Da wandte er sich an Unsere Liebe Frau mit den Worten: „Wehe mir! Jetzt bin ich tot und verdammt! Mutter der Sünder, hilf mir!” Kaum hatte er dies gesagt, als er sich, ohne zu wissen wie, in Sicherheit befand. Er legte eine Generalbeichte ab und starb voll Vertrauen.

Der hl. Bernhard schreibt: „Maria ist allen alles geworden, allen erschließt sie den Schoß ihrer barmherzigen Liebe, auf daß alle von ihrer Fülle empfangen: Der Sklave Erlösung, der Kranke Genesung, der Betrübte Trost, der Sünder Verzeihung, so daß niemand ist, der an den Strahlen dieser Sonne nicht teilhätte.”

„Sollte es in der Welt jemanden geben”, ruft der hl. Bonaventura aus, „der diese liebenswürdigste Königin nicht liebte? Sie, die schöner ist als die Sonne, süßer als Honig; sie, ein Schatz von Güte, gegen alle voll Liebe und Freundlichkeit... Darum grüße ich dich, meine Herrin und Mutter”, fährt der Heilige voll Liebesglut fort, „du mein Herz und meine Seele! Verzeihe mir, o Maria, wenn ich mich erkühne, von meiner Liebe zu dir zu sprechen; ich bin es freilich nicht wert, dich zu lieben, aber um so gewisser bist du würdig, von mir geliebt zu werden.”

Der hl. Gertrud wurde geoffenbart, daß, sooft man zur heiligsten Jungfrau in Andacht die Worte spreche: „Unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen zu uns,” Maria nicht unterlassen könne, sich zu dem Bittenden zu neigen. „O welche Größe deiner Barmherzigkeit, erhabene Frau”, ruft ihr der hl. Bernhard zu, „die ganze Welt ist von ihr voll.” „Der Reichtum deiner Barmherzigkeit erfüllt den ganzen Erdkreis.” Diese liebevolle Mutter hat, wie der hl. Bonaventura sagt, ein so großes Verlangen, allen Gutes zu tun, daß sie nicht bloß von jenen sich beleidigt nennt, die ihr offensichtlich Unrecht zufügen, wie es leider besonders unter den Spielern so verkehrte Menschen gibt, die gar oft in leidenschaftlicher Hitze diese gütige Herrin lästern und beleidigen, sondern auch von denen, die sie nicht um Gnaden bitten: „Gegen dich, o Herrin, versündigen sich nicht bloß jene, die mit Unrecht dich überhäufen, sondern auch jene, die dich nicht bitten.” „Ja, o Herrin”, sagt der hl. Hildebert, „du selbst lehrst uns, größere Gnaden zu erhoffen, als wir verdienen; denn du hörst nicht auf, unablässig uns Gnaden zu spenden, die bei weitem größer sind, als wir sie verdienen.

Schon der Prophet Isaias verkündete, daß mit dem großen Werk der Erlösung der Menschen für uns Elende ein Thron der göttlichen Barmherzigkeit errichtet werden soll. „ Es wird in Barmherzigkeit ein Thron errichtet.” (Is 16,5) Und wer ist dieser Thron? Der hl. Bonaventura antwortet:„Der Thron der göttlichen Barmherzigkeit ist Maria, in der alle, Gerechte und Sünder, die Tröstungen der Barmherzigkeit finden, und wie der Heiland unendlich barmherzig ist, so auch unsere Herrin. Wie der Sohn keinem Bittenden sein Erbarmen versagen kann, so läßt auch seine Mutter keinen unerhört.” Darum legt Abt Guerricus Jesus die Worte an seine Mutter in den Mund: „Meine Mutter, in dir will ich den Thron meines Reiches aufschlagen; denn durch deine Vermittlung will ich Gnaden denen spenden, die mich darum bitten. Du hast mir das Sein als Mensch gegeben; ich will dir von meiner Gottheit die Allmacht geben, damit du jenen zum Heil verhelfen kannst, die du retten willst.”

Als die hl. Gertrud eines Tages voll Inbrunst zur Mutter Gottes betete: „Wende deine barmherzigen Augen zu uns”, - erblickte sie die allerseligste Jungfrau mit dem Jesuskind auf dem Arm, die auf dessen Augen deutend zu ihr sprach: „Dies sind meine so mitleidsvollen Augen, die ich allen denen zu ihrem Heil zuwende, die mich anrufen.” Ein Sünder flehte einmal unter Tränen vor einem Marienbild, daß Maria ihm Verzeihung von Gott erlangen wolle; da vernahm er, wie die allerseligste Jungfrau zu ihrem Kind, das sie auf dem Arm hatte, sich hinwendend sprach: „Mein Sohn, sollen diese Tränen vergeblich sein?” Und er wurde inne, daß Jesus ihm verziehen habe.

Wie könnte der verloren gehen, der sich dieser guten Mutter anempfiehlt, da Gott, ihr Sohn, um ihrer Liebe willen verheißen hat, allen, die sich ihr empfehlen, so viel Barmherzigkeit zu schenken, als ihr gefalle. Das ist es auch, was der Herr der hl. Gertrud offenbarte, da Er sie die Worte an Maria vernehmen ließ: „Aus meiner Allmacht habe ich dir, verehrungswürdige Mutter, die Versöhnung aller Sünder zugestanden, die in Andacht zu deiner Barmherzigkeit um Hilfe flehen, wie es immer dir beliebt.” Als der Abt Adam von Perseigne die große Macht Mariens bei Gott und zugleich ihre große Liebe zu uns betrachtete, rief er voll Vertrauen aus: „O Mutter der Barmherzigkeit, so groß deine Macht ist, so groß ist auch deine Liebe; so mächtig du bist zum Erlangen, so barmherzig bist du zum Verzeihen! Wann ist je der Fall eingetreten”, fährt er fort, „daß du kein Mitleid mit den Unglücklichen gehabt hast, da du die Mutter der Barmherzigkeit bist? Oder wann hättest du nicht helfen können, da du die Mutter der Allmacht bist? So leicht es dir ist, unser Elend zu erkennen, ebenso leicht ist es dir, uns alles zu erlangen, was du willst.”

„Darum erfreue dich”, sagt Abt Rupertus, „erfreue dich, o große Königin, an der Herrlichkeit deines Sohnes, und aus Mitleid, nicht nach unserem Verdienst, würdige dich uns, deinen armen Dienern und Söhnen, die Brosamen herabzusenden!” Und wollen unsere Sünden das Vertrauen uns rauben, so rufen wir mit Wilhelm von Paris: „O Herrin, halte meine Sünden mir nicht entgegen, denn ich halte gegen sie deine Barmherzigkeit. Niemals soll gesagt werden, daß beim Gericht meine Sünden wider deine Barmherzigkeit standhalten könnten, die ja viel mächtiger ist, uns Verzeihung zu erlangen, als meine Sünden es vermögen, das Urteil der Verdammung mir zuzuziehen.”

Beispiel

Die Chronik der Kapuziner erzählt vom Jahr 1552, daß ein berühmter Advokat in Venedig, durch Lug und Trug reich geworden, in üblem Stand gelebt habe. Er hatte nichts Gutes mehr an sich, außer daß er täglich ein bestimmtes Gebet zur allerheiligsten Jungfrau verrichtete. Diese kleine Andacht war mächtig, ihn durch die Barmherzigkeit Mariens vor dem ewigen Tod zu erretten. Wie geschah dies? Zu seinem Glück stand dieser Advokat mit P. Matthäus von Basso in Freundschaft und vermochte ihn eines Tages mit vielen Bitten, zum Essen in sein Haus zu laden. Als er kam, sagte der Advokat: „Nun will ich Ihnen etwas zeigen, was Sie wohl nie gesehen haben. Ich habe einen bewundernswerten Affen, der mir die Stelle eines Bedienten versieht; er spült die Gläser, deckt den Tisch, öffnet mir die Tür.” - „Geben Sie acht”, antwortete der Pater, „ob der Affe nicht etwas mehr, als ein bloßer Affe ist. Lassen Sie ihn mir kommen.” Man rief den Affen, man rief ihn wieder, man suchte ihn überall; aber der Affe kam nicht zum Vorschein. Endlich fand man ihn im unteren Teil des Hauses unter einem Bett versteckt; aber er wollte nicht hervor. „Wohlan”, sprach der Ordensmann, „wir wollen ihn holen.” Als er mit dem Advokaten dahin kam, rief er: „Komm heraus, du höllische Bestie! Im Namen Gottes befehle ich dir, uns zu sagen, wer du bist.” Und siehe, der vermeintliche Affe antwortete, er sei ein Teufel und warte nur, bis jener Sünder an einem Tag sein gewohntes Gebet zur Gottesmutter unterlassen werde; denn sowie er es das erste Mal zu beten unterlasse, habe er von Gott die Erlaubnis, ihn zu erwürgen und in die Hölle zu schleppen. Als der arme Advokat dies vernahm, warf er sich auf die Knie und flehte den Diener Gottes um Hilfe an; dieser flößte ihm Mut ein und befahl dem Teufel, das Haus zu verlassen, ohne irgendeinen Schaden anzurichten. „Das allein”, fügte er hinzu, „erlaube ich dir, daß zum Zeichen deines Abganges eine Mauer dieses Hauses berste.” Kaum hatte er dies gesagt, da sah man unter großem Lärm in der Mauer einen Riß, der, obwohl oft mit Kalk und Stein vermauert, nach Gottes Willen lange Zeit offen blieb, bis man auf den Rat des Dieners Gottes einen Marmorstein mit dem Bild eines Engels dort einsetzte. Der Advokat aber bekehrte sich und verharrte - wie wir hoffen - von da an bis zu seinem Tod in der Besserung.


Gebet
O hl. Jungfrau, du größtes und erhabenstes unter allen Geschöpfen. Ich grüße dich von dieser Erde aus - ich armer, unglücklicher Empörer gegen Gott, der ich Züchtigungen, nicht aber Gnaden, Gerechtigkeit, nicht aber Barmherzigkeit verdiene. Ich sage dies, o meine Herrin, nicht aus Mißtrauen auf deine Liebe; denn ich weiß, daß du dich rühmst, um so gütiger zu sein, je erhabener du bist. Ich weiß, daß du dich freust, so reich zu sein, um auch uns Elende daran teilnehmen zu lassen. Ich weiß, daß du, je ärmer jene sind, die zu dir fliehen, um so mehr dich ihrer annimmst, sie zu schirmen und selig zu machen. O meine Mutter, du bist es, die ihren für mich gestorbenen Sohn einstmals beweint hat.

Opfere deine Tränen Gott für mich auf und erlange mir durch sie einen wahren Reueschmerz über meine Sünden. So sehr wie damals die Sünder dich betrübten, so sehr habe auch ich durch meine Missetaten dich betrübt. Erlange mir, o Maria, daß ich wenigstens von nun an aufhöre, dich und deinen Sohn durch meinen Undank zu betrüben. Was könnten deine Tränen mir helfen, wenn ich meinen Undank gegen dich nicht aufgebe? Was würde deine Barmherzigkeit mir helfen, wenn ich aufs neue dir untreu und verdammt würde? Nein, meine Königin, nein, laß das nicht zu! Ersetze alle meine Mängel; du erlangst ja von Gott, was du willst, und du erhörst jeden, der dich bittet. Zwei Gnaden sind es, um die ich dich bitte, und die ich mit Zuversicht von dir erwarte und verlange: Erwirke mir, daß ich meinem Gott treu bleibe, ohne Ihn weiter zu beleidigen, und daß ich Ihn mein ganzes Leben lang so sehr liebe, als ich Ihn beleidigt habe.

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8. Kap. - Und nach diesem Elend zeige uns Jesus,
           
die gebenedeite Frucht deines Leibes

Abs. 1 - Maria bewahrt ihre Verehrer vor der Hölle

Es ist unmöglich, daß ein Verehrer Mariens, der beharrlich ihr dient und sich ihr anempfiehlt, verdammt werde. Diese Behauptung erscheint auf den ersten Blick vielleicht zu gewagt, doch wolle man sie nicht verwerfen, ohne zuvor das, was ich über diesen Punkt bemerken werde, gelesen zu haben. Der Ausspruch, daß ein Verehrer Mariens unmöglich verdammt werde, ist nicht von solchen zu verstehen, die ihre Andacht dazu mißbrauchen, um mit weniger Furcht sündigen zu können. Solche vorgebliche Verehrer Mariens scheinen jene Tadler im Auge zu haben, die ungerechterweise sich gegen die Lobpreisung der Barmherzigkeit Mariens mit den Sündern ereifern, indem sie behaupten, diese treiben nur Mißbrauch damit, um noch mehr zu sündigen. Solche verwegene Menschen aber verdienen wegen ihres vermessenen Vertrauens Züchtigung, keine Barmherzigkeit.

Ich verstehe vielmehr darunter jene Verehrer, die bestrebt sind, ihr Leben zu bessern und beharrlich zu bleiben im Dienst und der Andacht zu Maria. Von diesen behaupte ich, daß es moralisch unmöglich sei, daß sie verlorengehen. Und ich finde, daß auch Pater Crasset dasselbe in seinem Buch von der Verehrung der Jungfrau Maria gesagt hat, und vor ihm Vega in seiner Marianischen Theologie, Mendoza und andere Gottesgelehrte. Um uns zu überzeugen, daß diese nicht aufs Geradewohl dies behauptet haben, wollen wir sehen, was die Kirchenlehrer und Heiligen gesagt haben. Man wolle sich aber nicht verwundern, wenn ich mehrere ganz gleichlautende Aussprüche der Autoren beibringen werde; denn ich wollte alle aufführen, um zu beweisen, wie einstimmig die Schriftsteller über diesen Punkt sind.

Der hl. Anselm sagt: „Gleichwie es unmöglich ist, daß jemand selig wird, der Maria nicht ehrt und von ihr nicht beschützt wird, so unmöglich ist es, daß jemand verdammt wird, der sich der allerseligsten Jungfrau anempfiehlt und von ihr mit Liebe angesehen wird.” Der hl. Antonin bestätigt dies mit den fast gleichen Worten: „Wie es unmöglich ist, daß jene gerettet werden, von denen Maria ihre barmherzigen Augen abwendet, so müssen jene, auf welchen ihre Augen ruhen und für die sie Fürsprache einlegt, notwendig zur Seligkeit und zur Herrlichkeit gelangen.” Man erwäge den ersten Teil des Ausspruches dieser Heiligen, und jene werden zittern, die geringen Wert auf die Andacht zur göttlichen Mutter legen, oder aus Gleichgültigkeit sie ganz unterlassen. Sie sagen ausdrücklich, es sei unmöglich, daß jene selig werden, die nicht unter dem Schutz Mariens stehen.

Dasselbe beteuern auch andere, wie der hl. Albert Der Große: „Das Volk, das dir nicht dient, o Maria, wird zugrunde gehen.” Der hl. Bonaventura: „Wer sie vernachlässigt, der wird in seinen Sünden sterben.” Und an einer anderen Stelle sagt er: „Wer nicht zu dir, o Herrin, seine Zuflucht nimmt, der wird nicht in das Reich Gottes gelangen.” Und im 99. Psalm kommt der Heilige zu dem Ausspruch, daß jener nicht bloß nicht selig wird, sondern daß es für ihn nicht einmal eine Hoffnung des Heiles gebe, von dem Maria ihre Augen abwende. „Von dem du dein Angesicht abwendest, wird keine Hoffnung auf Heil haben.” Und ehedem hat der hl. Ignatius der Märtyrer dies mit den Worten gesagt, daß ein Sünder nur durch Vermittlung der allerseligsten Jungfrau gerettet werden könne, die durch ihre barmherzige Fürsprache so vielen zur Seligkeit verhelfe, die sonst nach der Gerechtigkeit Gottes verdammt würden. Es wird von einigen bezweifelt, ob dies ein Ausspruch des hl. Ignatius sei. Doch hat, nach Angabe des Pater Crasset, ihn wenigstens der hl. Johannes Chrysostomus zu dem seinigen gemacht und wiederholt auch der Abt von Celles. In gleichem Sinn bezieht auf Maria die hl. Kirche die Stelle: „Alle, die mich hassen, lieben den Tod.” (Spr 8,36) Und in Erklärung der Stelle aus den Sprichwörtern: „Denn sie ist wie ein Kaufmannsschiff”, (Spr 31,14) sagt Richard von St. Lorenz: „Auf dem Meer dieser Welt werden alle untergehen, die nicht in diesem Schiff sich befinden.” Sogar der Ketzer Dekolampadius hält die geringe Andacht zur Mutter Gottes für ein sicheres Zeichen der Verwerfung und sagt darum: „Niemals möge man von mir hören, daß ich ein Gegner Mariens sei; denn, eine geringe Liebe zu ihr halte ich für ein sicheres Zeichen eines verworfenen Geistes.”

Maria selbst sagt: „Wer auf mich hört, der wird nicht zuschanden werden,”
(Sir 24,30) Wer zu mir seine Zuflucht nimmt und auf das horcht, was ich ihm sage, der wird nicht verlorengehen. Darüber bemerkt auch der hl. Bonaventura: „Wer in deinem Dienst ausharrt, ist fern vom Verderben.” „Und das wird der Fall sein”, sagt der hl. Hilarius, „wenn er auch früher Gott viel beleidigt hätte.”

Darum gibt sich auch der Teufel so viel Mühe mit den Sündern, daß sie nach dem Verlust der göttlichen Gnade auch die Andacht zu Maria fallen lassen. Als Sara bemerkte, daß Isaak im Spiel mit Ismael dessen schlimme Gewohnheiten annahm, sprach sie zu Abraham, daß er ihn samt seiner Mutter Hagar entlasse.
„Verstoß die Magd mit ihrem Sohn.”
(Gen 21,10) Sie war nicht zufrieden, daß nur der Sohn allein das Haus verlasse und nicht auch die Mutter verabschiedet werde; denn sie dachte, sonst würde der Sohn, um seine Mutter zu besuchen, fortwährend noch Zutritt im Haus haben. So ist auch der Teufel nicht zufrieden, wenn er sieht, daß eine Seele von Jesus Christus und nicht zugleich auch von der Mutter sich lossagt; denn er fürchtet, es werde die göttliche Mutter durch ihre Fürsprache den Sohn wieder in das Herz des Sünders zurückbringen. Er fürchtet dies mit Recht; „denn”, wie der gelehrte Paciucchelli behauptet, „wer der Mutter Gottes mit Beharrlichkeit dient, wird durch Mariens Vermittlung gar bald Gott selbst in sich aufnehmen.”

Schön nennt darum der hl. Ephräm die Andacht zu Maria den Freibrief, Charta libertatis, um nicht in die Hölle gebunden zu werden. Er nennt Maria auch die ‘Beschützerin der Verurteilten’. Und in der Tat ist es so wahr als gewiß, daß nach der Lehre des hl. Bernhard Maria die Macht und den Willen besitzt, uns zu retten; die Macht, weil es nach Behauptung des hl. Antonin unmöglich ist, daß ihre Bitten unerhört bleiben, oder wie der hl. Bernhard sich ausdrückt, daß ihre Bitten wirkungslos sind, sondern daß sie sicher erlangen, was sie begehren; den Willen uns zu retten, weil sie unsere Mutter ist und ein größeres Verlangen nach unserer Seligkeit hat, als wir selbst danach begehren können. Ist dies also wahr und gewiß, wie könnte je geschehen, daß ein Verehrer Mariens verlorengeht? Sollte er ein Sünder sein, so wird es doch, sofern er beharrlich und mit dem Verlangen nach Besserung sich dieser guten Mutter empfiehlt, ihre Sorge sein, ihm Licht zu erbitten, damit er aus seinem üblen Zustand herauskommt, und Schmerz über seine Sünden, Beharrlichkeit im Guten, endlich aber einen seligen Tod. Und welche Mutter würde es nicht tun, wenn sie, um ihren Sohn von der Todesstrafe zu befreien, nur den Richter um Gnade zu bitten brauchte? Und können wir denken, daß Maria, die gütigste Mutter, die es für ihre Verehrer geben kann, dies nicht tun sollte, da sie auf so leichte Weise einen Sohn vor dem ewigen Tod zu retten vermag?

Danken wollen wir dem Herrn, mein frommer Leser, wenn wir erkennen, daß Er uns Liebe und Vertrauen zur Königin des Himmels geschenkt hat, weil Gott nach dem hl. Johannes von Damaskus diese Gnade nur denen verleiht, die Er selig machen will. Also lauten die schönen Worte, womit er seine und unsere Hoffnung belebt. „O Mutter Gottes, wenn ich auf dich mein Vertrauen setze, so werde ich selig werden! Stehe ich unter deinem Schutz, dann habe ich nichts zu fürchten; denn dich verehren, heißt sichere Waffen des Heiles besitzen, die Gott nur denen gewährt, die Er selig machen will.” So begrüßte auch Erasmus die heiligste Jungfrau mit den Worten: „Sei gegrüßt, du Schrecken der Hölle, du Hoffnung der Christen! Das Vertrauen auf dich gibt uns die Gewißheit des Heiles.”

O wie sehr mißfällt dem Teufel, eine Seele beharrlich in der Andacht zur göttlichen Mutter zu sehen! Im Leben des Pater Alfons Alvarez, dieses eifrigen Dieners Mariens, liest man, daß er einmal beim Gebet sich vom Teufel durch böse Einflüsterungen angefochten fühlte, wobei der Feind zu ihm sagte: „Laß ab von deiner Andacht zu Maria, dann höre ich auf, dich zu versuchen.”

Der hl. Katharina von Siena offenbarte der Herr, wie bei Blosius zu lesen ist, daß Gott, der Vater, um seines eingeborenen Sohnes willen, dessen Mutter Maria ist, dieser aus Güte gewährt habe, daß kein Sünder, der sich ihr andächtig anempfiehlt, eine Beute der Hölle werden solle. Auch der königliche Prophet David bat um seiner Liebe für die Ehre Mariens willen, von der Hölle gerettet zu werden. „Herr, ich liebe die Herrlichkeit deines Hauses... Laß meine Seele nicht zugrunde gehen mit den Gottlosen.” (Ps 25,8) Er sagt „deines Hauses”, weil Maria jenes Haus ist, das Gott sich zu seiner Wohnung und zur Stätte seiner Ruhe, als Er Mensch ward, auf Erden erbaut hat.

„Die Weisheit hat sich ein Haus erbaut.” (Spr 9,1) „Nein! Der wird gewiß nicht zugrunde gehen”, ruft der hl. Ignatius der Märtyrer aus, „der bedacht ist, ein Verehrer der jungfräulichen Mutter zu sein.” Dies bestätigt der hl. Bonaventura mit den Worten: „Die dich, o Herrin, lieben, genießen großen Frieden in diesem Leben, und im anderen werden sie den Tod nicht sehen in Ewigkeit.” „Niemals ist es geschehen und niemals wird es geschehen”, versichert uns der fromme Blosius, „daß ein demütiger und eifriger Diener Mariens ewig verlorengeht.”

Ach! Wie viele wären nach den Worten des ehrwürdigen Thomas von Kempen ewig verdammt worden oder verstockt geblieben, wenn Maria sich nicht bei ihrem Sohn für sie um Erbarmen verwandt hätte. Es ist die Meinung vieler Theologen, und besonders des hl. Thomas, daß die göttliche Mutter vielen Personen, die in der Todsünde starben, von Gott die Aufschiebung des Richterspruches und die Rückkehr in das Leben, um Buße zu tun, erlangt habe.

Hiervon werden von wichtigen Schriftstellern viele Beispiele angeführt. Unter anderem erzählt Flodvard, aus dem zehnten Jahrhundert, in seiner Chronik, daß ein gewisser Adelmar, Diakon zu Verdun, der bereits für tot gehalten wurde, beim Begräbnis ins Leben zurückkehrte und erzählte, wie er in der Hölle den Platz gesehen habe, wohin er bereits verurteilt war; um der Bitten Mariens willen aber sei er auf die Welt zurückgesandt, damit er Buße tue. Ähnliches berichtet Surius von einem römischen Bürger namens Andreas, der unbußfertig starb, dem aber Maria die Rückkehr ins Leben erlangte, um Verzeihung sich erwerben zu können. Weiter erzählt Pelbartus aus seiner Zeit, daß bei dem Zug des Kaisers Sigismund über die Alpen aus einem Leichengerippe eine Stimme vernommen wurde, die zu beichten begehrte und sagte, es habe die Mutter Gottes ihm (dem Sprechenden), der als ehemaliger Soldat ihr Verehrer gewesen sei, erlangt, in dem Gerippe solange fortzuleben, bis er gebeichtet haben würde. Er beichtete und starb. (Diese Begebenheit erzählt Pater Pelbartus, ein glaubwürdiger Schriftsteller, in seinem Papst Sixtus IV. gewidmeten Buch, zu einer Zeit, da noch Augenzeugen dieses Ereignisses am Leben waren.)

Diese und andere Beispiele dürfen jedoch einen Vermessenen nicht bestärken, in seinen Sünden fortzuleben, in der Hoffnung, es werde Maria ihn von der Hölle schon befreien, wenn er in der Sünde sterben sollte; denn gleichwie es eine arge Torheit wäre, sich in einen tiefen Brunnen zu stürzen, in der Hoffnung, Maria werde ihn vor dem Tod bewahren, weil sie bei einem ähnlichen Fall einen anderen gerettet hat, so wäre es eine noch viel größere Torheit, wolle es jemand darauf ankommen lassen, in der Todsünde mit der Vermessenheit zu sterben, daß die allerseligste Jungfrau ihn vor der Hölle erretten werde. Diese Beispiele sollen vielmehr dazu dienen, unser Vertrauen durch den Gedanken zu beleben, daß, wenn die Vermittlung dieser göttlichen Mutter sogar solche, die in der Todsünde starben, von der Hölle befreien konnte, sie um so viel mehr wird verhüten können, daß jene in die Hölle stürzen, die im Leben zu ihr die Zuflucht nehmen, in der Absicht sich zu bessern und treu in ihrem Dienst ausharren.

Mit dem hl. Germanus wollen wir darum sprechen: „O du unsere Mutter, was wird aus uns werden, die wir Sünder sind? Wir wollen uns bessern und zu dir flüchten, die du das Leben der Christen bist!” Wir hören, o Jungfrau, den hl. Anselm von dir bezeugen: „Das ewige Wehe wird nicht empfinden, für den Maria auch nur einmal gebeten hat.” Darum bitte für uns, und wir werden von der Hölle gerettet sein. Wer wird noch sagen können, daß ich bei meinem Erscheinen vor dem Richterstuhl Gottes keinen gnädigen Richter finden werde, wenn ich deine Verteidigung, o Mutter der Barmherzigkeit, für meine Sache haben werde! „Wenn ich vor dem Gericht erscheine und für meine Sache die Mutter der Barmherzigkeit bei mir habe”, sagt Richard von St. Viktor, „wer wird ein gnädiges Urteil mir in Abrede ziehen?”

Der hl. Heinrich Suso beteuerte, seine Seele in die Hände Mariens gelegt zu haben, und sagte, daß, so ihn der Richter verdammen wollte, er bitte, daß sein Urteilsspruch durch die Hände Mariens gehe. Er vertraut, daß, sobald das Urteil in diese barmherzigen Hände der allerseligsten Jungfrau gelangen werde, seine Ausführung gewiß verhindert wird. Dasselbe sage und hoffe auch ich für mich, o meine heiligste Königin, darum will ich beständig die Worte des hl. Bonaventura wiederholen: „Auf dich, o meine Herrin, habe ich alle meine Hoffnung gesetzt; darum hoffe ich mit Zuversicht, daß ich mich nicht verloren, sondern selig im Himmel erblicken werde, um dich zu loben und zu lieben in Ewigkeit.”

Beispiel

Im Jahr 1604 waren in einer flandrischen Stadt zwei Studenten, die statt zu studieren nur an Völlerei und Ausschweifung dachten. Da beide sich einmal aus böser Absicht in die Wohnung einer schlechten Frau begeben hatten, kehrte der eine, namens Richard, nach einiger Zeit wieder nach Hause zurück, während der andere noch blieb. Als Richard zu Hause seine Kleider ablegte, um zu Bett zu gehen, fiel es ihm ein, daß er die gewohnten wenigen Ave Maria zur allerseligsten Jungfrau noch nicht gebetet hatte. Obwohl vom Schlaf überwältigt und wenig aufgelegt, tat er sich doch Gewalt an und betete halb im Schlaf und ohne Andacht seine Ave. Danach legte er sich nieder und noch im ersten Schlaf hörte er ein starkes Klopfen an der Tür, und ohne daß sich diese öffnete, erblickte er unmittelbar danach vor sich seinen Zechgenossen ganz schrecklich und gräulich. „Wer bist du?”, fragte er. „Kennst du mich nicht?”, war die Antwort. „Aber warum bist zu so entstellt? Du bist ja wie ein Teufel.” - „Ach ich Elender, ich bin verdammt!” - „Wie denn?” - „Wisse, daß mich beim Herausgehen aus dem schändlichen Haus ein Teufel erwürgte. Mein Leichnam liegt noch mitten auf der Straße; meine Seele aber ist in der Hölle. Wisse”, sprach er weiter, „dieselbe Strafe sollte auch dich treffen; aber die allerseligste Jungfrau hat um der geringen Andacht deiner wenigen Ave willen dich davon befreit. Wohl dir, wenn du diese Warnung, welche die Mutter Gottes durch mich dir zukommen läßt, dir zu Nutzen machen wirst.” So sprach der Verdammte, öffnete seinen Mantel, zeigte ihm die Flammen und Schlangen, die ihn peinigten, und verschwand. Unter einem Strom von Tränen warf sich der junge Mensch auf sein Angesicht zur Erde nieder, um Maria, seiner Retterin zu danken, und während er darauf sann, sein Leben zu ändern, hörte er im Kloster der Franziskaner zur Mette läuten. Im selben Augenblick sprach er: „Gott ruft mich zur Buße!” sofort eilte er zum Kloster und bat um Aufnahme. Die Patres weigerten sich, da sie seinen schlechten Wandel kannten; allein er erzählte unter heftigem Schluchzen die ganze Begebenheit. Da indes zwei Ordensmänner zur genannten Straße gegangen waren und den Leichnam des erwürgten Kameraden schwarz wie eine Kohle gefunden hatten, wurde er aufgenommen. Richard führte von da an ein musterhaftes Leben. Er ging später nach Indien, um den Glauben zu predigen, von da kam er nach Japan und hatte die Gnade, als Märtyrer für Jesus Christus lebendig verbrannt zu werden.

In der Kirche zu Ham-sur-Heure, seinem Geburtsort findet sich ein Gemälde, das seinen Martertod darstellt mit der Inschrift: „Der sel. Pater Richard von der hl. Anna, geboren zu Ham-sur-Heure im Jahr 1585, legte als Recollecte zu Nivelles am 13. April 1605 die Gelübde ab... und wurde zu Nagasaki am 10. Sept. 1622 gemartert.”


Gebet

O meine geliebte Maria, in welchem Abgrund von Elend würde ich mich befinden, wenn deine mitleidsvolle Hand mich nicht so oft davor bewahrt hätte? Ja seit wie vielen Jahren schon wäre ich in der Hölle, wenn du nicht durch deine mächtige Fürbitte mich davor bewahrt hättest? Meine schweren Sünden stürzten mich hinein; die göttliche Gerechtigkeit hatte mich bereits dazu verurteilt; die Teufel suchten mit Wut diesen Urteilsspruch zu vollziehen. Aber du, meine Mutter, bist mir zu Hilfe gekommen, und ohne daß ich dich darum gebeten, ja nicht einmal zu dir gerufen hatte, hast du mich gerettet. O meine liebste Retterin, wie kann ich dir je so große Gnade, so große Liebe vergelten? Du hast meines Herzens Härte überwunden und hast mich gezogen, dich zu lieben und mein Vertrauen auf dich zu setzen. Und ach! In welchen Abgrund von Elend wäre ich doch noch gefallen, wenn du nicht mit liebevoller Hand mir so oft aus den Gefahren geholfen hättest, in die zu fallen ich schon im Begriff stand. Fahre fort, meine Hoffnung, fahre fort, mich vor der Hölle zu bewahren und vor allem vor den Sünden, in die ich wieder fallen kann. Laß doch nicht zu, daß ich in der Hölle dich lästern müßte.


O meine liebe Frau, ich liebe dich! Wie sollte deine Güte es ertragen können, einen deiner Diener, der dich liebt, verdammt zu sehen? Ach, erlange es mir, nicht mehr gegen dich und meinen Gott undankbar zu sein, der mir aus Liebe zu dir so viele Gnaden erteilt hat. O Maria sage mir, werde ich verdammt werden? Ich werde verdammt sein, wenn ich dich verlasse. Doch könnte ich dich je verlassen? Könnte ich vergessen die Liebe, die du zu mir getragen? Du bist nach Gott die Liebe meiner Seele. Ich will nicht mehr leben, ohne dich zu lieben. Ich liebe dich, ich liebe dich und hoffe, daß ich dich immer lieben werde in der Zeit und in der Ewigkeit, o du schönstes, heiligstes, süßestes, liebenswürdigstes aller Geschöpfe. Amen.


Abs. 2 - Maria kommt ihren Verehrern im Fegfeuer zu Hilfe

Überglücklich sind die Verehrer dieser liebevollsten Mutter; denn sie empfangen nicht allein in dem irdischen Leben ihre Hilfe, sondern auch im Fegfeuer stehen sie unter ihrem Schutz und ihrem Trost. Gerade weil diese Seelen mehr des Trostes bedürfen wegen ihrer Peinen und ihres Unvermögens, sich zu helfen, ist diese Mutter der Barmherzigkeit so sehr besorgt, ihnen zu Hilfe zu kommen. Nach dem hl. Bernhardin von Siena hat Maria, in diesem Kerker der Seelen, der Bräute Jesu Christi, eine besondere Herrschaft und Gewalt, sowohl sie zu trösten, als auch sie aus ihren Leiden zu erlösen: „Die allerseligste Jungfrau herrscht im Fegfeuer.” Was zuerst die Tröstung der armen Seelen betrifft, so wendet der Heilige darauf die Worte des Ecclesiasticus an: „Auf den Fluten des Meeres bin ich gegangen.”, (Sir 24,8) indem er erklärt: Maria wandelt über den Meeresfluten, nämlich ihre Verehrer suchend und helfend, die ihre Kinder sind, in ihren Nöten und Qualen. Er nennt die Leiden des Fegfeuers Fluten, weil sie vorüber rauschen, im Unterschied von den Qualen der Hölle, die nie ein Ende nehmen. Auch „Fluten des Meeres”, weil sie sehr bitter sind. Ihre von diesen Leiden bedrängten Verehrer besucht und erquickt Maria oft.

„Wieviel also liegt daran”, sagt Novarin, „ein Diener dieser guten Herrin zu sein; denn solange sie in diesen Flammen leiden, kann sie ihrer nicht vergessen. Und wenn schon Maria allen Seelen im Fegfeuer zu Hilfe kommt, so erlangt sie doch ihren Verehrern mehr Straferlaß und Tröstungen.” Der hl. Birgitta offenbarte die Mutter Gottes: „Ich bin die Mutter aller Armen Seelen im Fegfeuer; denn alle Leiden, die sie durch ihre im Leben begangenen Sünden verdient haben, werden zu jeder Stunde, solange sie dort sind, durch meine Fürbitte mehr oder weniger gemildert.” Diese liebevolle Mutter verschmäht es auch nicht, dann und wann in dieses hl. Gefängnis zu gehen, um ihre betrübten Kinder durch ihre Gegenwart zu trösten. Der hl. Bonaventura bezieht die Worte: „Die Tiefen des Abgrundes habe ich durchdrungen” auf Maria, indem er unter dem Abgrund das Fegfeuer versteht, wohin Maria zur Tröstung der Armen Seelen sich begibt. „O wie gütig und freundlich ist Maria”, sagt der hl. Vinzenz Ferrer, „gegen die Armen Seelen im Fegfeuer, wo ihnen durch ihre Vermittlung ohne Unterlaß Stärkung und Erleichterung zufließt.”

Und welch anderen Trost gäbe es für sie in diesen Leiden außer Maria und der Hilfe dieser Mutter der Barmherzigkeit? Die hl. Birgitta vernahm, wie Jesus zu seiner Mutter sprach: „Du bist meine Mutter, du die Mutter der Barmherzigkeit, du der Trost derer, die im Fegfeuer sind.” Und die allerseligste Jungfrau sagte selbst der hl. Birgitta: „Gleichwie ein armer Kranker, betrübt und verlassen auf seinem Schmerzenslager, Erleichterung fühlt durch einige Worte des Trostes, ebenso fühlen auch jene Armen Seelen sich getröstet, wenn sie nur den Namen Maria hören.” Ja, der Name Maria allein, ein Name der Hoffnung und des Heiles, den ihre geliebten Kinder aus dem Gefängnis so häufig anrufen, ist für sie eine große Stärkung. „Und hört diese liebreiche Mutter”, sagt Novarin, „sich von den Armen Seelen angerufen, so bringt sie deren Bitten mit den ihrigen vereint Gott dar, wodurch sie ihnen hilft, daß sie in ihren schrecklichen Fluten wie vom Himmelstau erquickt werden.”

Maria bringt aber ihren Verehrern im Fegfeuer nicht bloß Trost und Hilfe, sondern durch ihre Fürbitte auch Erlösung und Freiheit. Am Tag ihrer glorreichen Himmelfahrt, schreibt Gerson, wurde das ganze Fegfeuer geleert, und Novarin bestätigt dies unter Anführung wichtiger Zeugen mit den Worten, daß Maria beim Eintritt in das Paradies sich von ihrem Sohn die Gnade erbat, alle Seelen, die damals im Fegfeuer waren, mit sich in den Himmel nehmen zu dürfen. „Seit dieser Zeit”, fährt Gerson fort, „besitzt die allerseligste Jungfrau das Vorrecht, ihre Diener aus diesen Leiden zu befreien.” Dasselbe behauptet auch der hl. Bernhardin von Siena, daß die allerseligste Jungfrau die Macht besitze, durch ihre Gebete und durch Zuwendung ihrer Verdienste die Seelen und vorzüglich ihre Verehrer aus dem Fegfeuer zu erlösen. Dasselbe behauptet Novarin, der meint, daß um der Verdienste Mariens willen die Leiden der armen Seelen nicht bloß leichter, sondern auch kürzer gemacht werden, indem durch ihre Vermittlung die Zeit ihrer Reinigung abgekürzt werde. Es genügt, daß Maria zur Fürbitte geneigt ist.
[Es gibt aber andere Aussagen, wo nach Salomon noch bis vor wenigen Jahrhunderten büßen mußte und die Schergen beim Leiden Jesu noch lange leiden müssen, was wohl wahrscheinlich sein dürfte.]

Der hl. Petrus Damianus berichtet, daß eine Frau namens Marozia nach ihrem Tod einer Freundin erschien und ihr sagte, sie sei am Fest Mariä Himmelfahrt neben vielen anderen Seelen aus dem Fegfeuer erlöst worden, daß sie die Zahl des römischen Volkes übersteigen. Dasselbe behauptet der hl. Dionysius, der Karthäuser, auch von den Festen der Geburt und der Auferstehung unseres Herrn, indem er sagt, daß an diesen Tagen Maria in Begleitung von Scharen hl. Engel in das Fegfeuer hinabsteige und viele Seelen von ihren Leiden erlöse. Novarin ist geneigt, zu glauben, daß dies an jedem höheren Fest der heiligsten Jungfrau der Fall sei.

Bekannt ist die von Maria dem Papst Johannes XXII. gegebene Verheißung, dem sie erschien und den Auftrag gab, daß er allen, die das hl. Skapulier vom Berge Karmel tragen, zu wissen gebe, daß sie am Samstag nach ihrem Tod aus dem Fegfeuer befreit werden. Der Papst erklärte dies, wie Pater Crasset berichtet, in einer von ihm erlassenen Bulle, die später von den Päpsten Alexander V., Clemens VII., Pius V., Gregor XIII. und Paul V. bestätigt wurde. Letzterer schreibt in der Bulle vom Jahr 1613: „Das christliche Volk dürfe des frommen Glaubens sein, daß die allerseligste Jungfrau die Seelen der Bruderschaftsmitglieder Mariens vom Berg Karmel durch ihre beständige Fürsprache, durch ihre Verdienste und ihren besonderen Schutz nach dem Tod, namentlich am Samstag, (da dieser Tag von der Kirche der heiligsten Jungfrau geweiht ist) unterstützen werde, wenn sie im Stand der Gnade aus diesem Leben geschieden sind, das Skapulier getragen, die standesmäßige Keuschheit beobachtet und die Tagzeiten der allerseligsten Jungfrau gebetet, oder falls sie dies nicht konnten, die kirchlichen Fasttage beobachtet und mittwochs (natürlich freitags) und samstags* (außer an Weihnachten) sich der Fleischspeisen enthalten haben.” Und im Stundengebet vom Fest Maria vom Berg Karmel liest man, daß die heiligste Jungfrau die Mitglieder der Bruderschaft vom Berg Karmel im Fegfeuer mit der Zärtlichkeit einer Mutter tröste und sie durch ihre Vermittlung bald in das himmlische Vaterland führe.
[Wer diese * Abstinenz nicht hält, hat aber die Verheißung vor dem Feuer der Hölle bewahrt zu werden, wenn er das Skapulier trägt, die Keuschheit bewahrt und täglich zu Maria betet.]

Warum sollen nicht auch wir diese Gnaden erhoffen dürfen, wenn wir diese gute Mutter verehren? Und wenn wir mit Liebe ihr dienen, warum sollten nicht auch wir die Gnade erwarten dürfen, gleich nach dem Tod, ohne Fegfeuer, in den Himmel aufgenommen zu werden? Damit stimmt auch überein, was die allerseligste Jungfrau dem sel. Gottfried, aus der Abtei Viliers in Brabant, durch den Bruder Abundus sagen ließ: „Verkünde dem Bruder Gottfried, er soll in der Tugend voranschreiten, dann werde er mir und meinem Sohn angehören; und wenn seine Seele vom Leib scheiden wird, so werde ich nicht zulassen, daß sie in das Fegfeuer kommt, sondern ich werde sie in Empfang nehmen und meinem Sohn vorstellen.”

Haben wir das Verlangen, den gerechten Seelen im Fegfeuer durch unsere Fürbitten zu Hilfe zu kommen, so müssen wir eifrig sein, die allerseligste Jungfrau in allen unseren Gebeten für sie anzurufen und für sie besonders den hl. Rosenkranz aufzuopfern, der ihnen einen großen Trost bringt, wie man dies aus folgendem Beispiel ersieht.

Beispiel

Nach der Erzählung des Pater Eusebius Nieremberg lebte in einer Stadt Aragoniens Alexandra, eine junge Frau, aus adliger Familie und überaus schön, die von zwei jungen Leuten leidenschaftlich geliebt wurde. Aus Eifersucht wegen Alexandra gerieten sie eines Tages in Zweikampf, in dem beide den Tod fanden. Die Verwandten der Getöteten begaben sich zornentbrannt zu dem unglücklichen Mädchen, das sie für die Ursache ihres herben Verlustes hielten, und töteten es, schnitten den Kopf ab und warfen ihn in einen Brunnen. Einige Tage darauf kam der hl. Dominikus an diesen Ort. Vom Geist Gottes getrieben ging er zu diesem Brunnen und rief: „Alexandra, komm heraus!” Und siehe, der Kopf der Getöteten erschien, setzte sich auf den Rand des Brunnens und bat den hl. Dominikus um die hl. Beichte. Der Heilige hörte die Beichte an und gab ihr dann die hl. Kommunion in Gegenwart einer ungeheueren Volksmenge, die zusammengeströmt war, das Wunder zu schauen. Darauf befahl der hl. Dominikus der Alexandra zu sagen, warum sie diese Gnade erlangt habe. Alexandra antwortete, sie habe sich, als ihr der Kopf abgeschlagen wurde, in einer Todsünde befunden; aber die allerseligste Jungfrau Maria habe ihr um des oft verrichteten Rosenkranzgebetes willen das Leben erhalten.

Zwei Tage stand der Kopf lebend auf dem Brunnen im Angesicht aller Welt; dann ging die Seele ins Fegfeuer. Aber nach fünfzehn Tagen schon erschien die Seele der Alexandra dem hl. Dominikus schön und glänzend wie ein Stern und sagte zu ihm, eine der vorzüglichen Gebetshilfen für die armen Seelen in den Leiden des Fegfeuers sei das Rosenkranzgebet, und daß diese Seelen, sobald sie in den Himmel kommen, für jene beten, die ihnen dieses kräftige Gebet aufgeopfert haben. Nach diesen Worten sah der hl. Dominikus diese glückliche Seele frohlockend sich zum Reich der Seligen emporschwingen.


Gebet
O Königin Himmels und der Erde, du Mutter des Herrn der Welt! O Maria, du größte, erhabenste und liebenswürdigste der Kreaturen; wohl gibt es auf dieser Welt viele, die dich nicht lieben und nicht kennen; im Himmel dagegen sind es so viele Millionen Engel und Selige, die dich lieben und unaufhörlich lobpreisen. Ja, auch auf Erden sind so viele glückliche Seelen von Liebe zu dir entzündet und über deine Güte ganz entzückt. O wenn doch auch ich dich liebte, liebenswürdigste Herrin! O wenn ich doch immer daran dächte, dir zu dienen, dich zu loben, dich zu ehren und zu sorgen, dich von allen geliebt zu sehen! Du hast Gott mit Liebe zu dir erfüllt und durch deine Schönheit Ihn gleichsam dem Schoß des ewigen Vaters entführt, zur Erde herniedergezogen, um Mensch und dein Sohn zu werden! Und ich armseliger Wurm sollte nicht in Liebe zu dir entzündet sein? Nein, meine süßeste Mutter, auch ich will dich lieben; ich will dich innig lieben und tun, was ich vermag, um dich auch von anderen geliebt zu sehen. Nimm mein Verlangen, dich zu lieben, gnädig an, und hilf, daß es erfüllt werde. Ich weiß, daß dein Gott mit besonderem Wohlgefallen auf jene schaut, die dich lieben. Nächst seiner Ehre begehrt er nichts so sehr als deine Verherrlichung, und dich von allen geehrt und geliebt zu sehen. Von dir, o meine Gebieterin, erhoffe ich all mein Glück; du mußt mir Verzeihung all meiner Sünden, du die Beharrlichkeit erlangen, du mußt mir beistehen in meinem Tod; du mußt mich vom Fegfeuer befreien und am Ende mußt du mich in den Himmel führen. So Großes hoffen von dir deine Diener, und sie werden nicht getäuscht werden; so Großes hoffe auch ich, der ich dich nach Gott von ganzem Herzen und über alles liebe. Amen.


Abs. 3 - Maria geleitet ihre Diener in den Himmel

O welch herrliches Merkmal der Auserwählung haben die Diener Mariens! Die hl. Kirche legt in Anwendung des Verses in Jesus Sirach auf die göttliche Mutter ihr zum Trost ihrer Verehrer die Worte in den Mund: „Bei allen suchte ich meine Ruhe, und ich wollte bleiben im Erbe des Herrn.” (Sir 24,11) „Glücklich der”, ruft Kardinal Hugo bei Erklärung dieser Stelle aus, „in dessen Haus die allerseligste Jungfrau ihren Ruheort findet.” Maria ist um der Liebe willen, die sie zu allen trägt, bemüht, in allen die Andacht zu ihr zu verankern. Viele aber nehmen sie nicht auf, oder bewahren sie nicht. Glückselig aber der, der sie aufnimmt und bewahrt. Ich will bleiben in dem Erbe des Herrn, d.h. in jenen, die das Erbe des Herrn ausmachen. Die Andacht zur allerseligsten Jungfrau bleibt bei allen jenen, die zum Erbe des Herrn gehören, die im Himmel sein werden, ihn ewig zu lobpreisen.

Auch die folgenden Worte legt die hl. Kirche der allerseligsten Jungfrau in den Mund: „Der mich erschaffen, ruhte in meinem Zelt und sagte mir: In Jakob wohne und in Israel habe dein Erbe und in meinen Auserwählten fasse Wurzel.” (Sir 24,12-13) d. h. mein Schöpfer hat sich gewürdigt, zu mir zu kommen und in meinem Schoß zu ruhen, und Er hat gewollt daß ich in den Herzen aller seiner Auserwählten wohne, die in Jakob vorgebildet und mein Erbe sind; und Er hat angeordnet, daß in allen Auserwählten die Andacht und das Vertrauen zu mir Wurzel fasse.


O wie viele Selige würden jetzt nicht im Himmel sein, wenn Maria sie nicht durch ihre mächtige Vermittlung dahin geleitet hätte? „Ich bewirke, daß das unversiegbare Licht am Himmel aufging.”
(Sir 24,6) Das heißt nach Kardinal Hugo: „Ich bewirke, daß am Himmel so viele als ewige Lichter erglänzen, als viele meine Verehrer auf Erden sind. Viele Heilige sind durch die Vermittlung Mariens im Himmel, die ohne sie nie dahin gelangt wären.” Der hl. Bonaventura sagt, daß sich für die Aufnahme aller, die auf den Schutz Mariens vertrauen, die Pforte des Himmels öffne. Und der hl. Ephräm nennt die Verehrung der Mutter Gottes „den Eingang in das himmlische Jerusalem.” Der fromme Blosius betet zu der allerseligsten Jungfrau mit den Worten: „Herrin, dir sind die Schlüssel und die Schätze des Himmelreiches übergeben.” Darum müssen wir ohne Unterlaß mit dem hl. Ambrosius bitten: „Öffne uns, o Maria, die Pforte des Himmels, denn dir sind die Schlüssel anvertraut”; ja noch mehr, du bist nach dem Gruß der hl. Kirche die „Pforte des Himmels”!

Aus dem gleichen Grund wird Maria von der hl. Kirche auch als Meerstern gegrüßt: „Ave maris stella;” denn wie die Seefahrer, sagt der hl. Thomas, nach den Sternen sich richten, um in den Hafen zu gelangen, so werden auch die Christen durch Maria zum Himmel geleitet.

Der hl. Fulgentius nennt sie die Himmelsleiter, denn durch Maria ist Gott vorn Himmel auf die Erde gestiegen, damit durch sie die Menschen erlangten, von der Erde zum Himmel aufzusteigen. Und der hl. Anastasius der Sinaite sagt: „O Herrin, du bist voll Gnade, auf daß du der Weg unseres Heiles und die Stiege zum himmlischen Vaterland seist.” Der hl. Bernhard nennt die allerseligste Jungfrau den Wagen zum Himmel; ebenso der hl. Johannes der Geometer mit den Worten: „Sei gegrüßt du herrlichglänzender Wagen,” d.h. in dem ihre Verehrer in den Himmel geführt werden. Dasselbe erklärte der hl. Bonaventura, wenn er sagt: Selig alle, die dich, o Mutter Gottes, kennen; denn „dich erkennen ist der Weg zum unsterblichen Leben, und deine Tugenden verkünden ist der Weg zum ewigen Heil.”

In der Franziskaner-Chronik wird von Bruder Leo erzählt, er habe einmal eine rote Leiter gesehen, über der Jesus Christus stand, und eine zweite, weiße, über der seine heiligste Mutter stand. Die, die auf der roten Leiter aufsteigen wollten, sah er einige Stufen ersteigen und dann hinabfallen* und dies wiederholt. Vom hl. Franziskus ermahnt, an der weißen Leiter aufzusteigen, kamen sie glücklich in die Höhe, indem die allerseligste Jungfrau ihnen die Hand reichte, so daß sie sicher zum Paradies gelangen konnten.
[*protestantischer Holzweg]

Der hl. Dionysius der Karthäuser fragt: „Wer wird selig werden? Wer einst herrschen im Himmel?” und antwortet: „Selig und im Himmel herrschen werden jene, für die diese Königin der Barmherzigkeit sich verwendet.” Dies bestätigt Maria selbst: „Durch mich herrschen die Könige.” (Spr 8,15) Durch meine Vermittlung herrschen die Seelen zuerst in dem sterblichen Leben auf Erden über ihre Leidenschaften, und dadurch gelangen sie zur unvergänglichen Herrschaft im Himmel, dessen Mitbürger alle, nach dem hl. Augustinus, Könige sind. „Soviel Bürger soviel Könige.” Mit einem Wort: Maria ist, wie Richard von St. Lorenz sagt, die Gebieterin des Paradieses. „In Jerusalem ist meine Herrschaft” (Sir 24,15) indem sie dort befiehlt, was ihr Wille ist, und, wer in den Himmel kommt, durch ihren Willen hineingelangt. Abt Rupertus stimmt dem in den Worten bei: „Alle Rechte besitzt sie im Reich des Sohnes,” d.h. da Maria die Mutter des Herrn des Himmels ist, so gebührt ihr nach Recht, die Herrscherin dieses Reiches zu sein.

„Diese göttliche Mutter hat uns durch ihre mächtigen Bitten und Hilfeleistungen den Himmel erlangt”, sagt der hl. Antonin, wenn wir nur kein Hindernis setzen, so daß nach der Meinung des Abtes Guerricus, wer ihr dient und sie zur Fürsprecherin hat, des Paradieses so gewiß ist, als wäre er schon darin. Maria dienen und unter ihre Diener aufgenommen sein, ist die höchste Ehre, die wir haben können; denn der Königin des Himmels dienen, ist im Himmel herrschen, und nach ihrem Willen leben, ist mehr als königlich. Jene aber, die Maria nicht dienen, werden nicht selig werden, denn wer der Hilfe dieser erhabenen Mutter beraubt ist, ist auch verlassen von der Hilfe ihres göttlichen Sohnes und des ganzen himmlischen Hofes.

Es sei allezeit hochgelobt die unendliche Güte unseres Herrn, nach dessen Ordnung Maria zu unserer Fürsprecherin im Himmel bestellt ist, damit sie als die Mutter des Richters und als die Mutter der Barmherzigkeit mit gewissem Erfolg um das große Werk unseres Heiles als Mittlerin sich annehme. Das ist die Meinung des hl. Bernhard. Der hl. Mönch Jakobus, ein Lehrer unter den griechischen Vätern, sagt, Gott habe Maria zur Brücke des Heiles bestimmt, auf der wir über den Wogen dieser Welt hinüber zum seligen Hafen des Paradieses gelangen können. Der hl. Bonaventura ruft darum aus: „Hört, Völker, die ihr nach dem Himmel verlangt, dient Maria, ehrt sie und ihr werdet gewiß das ewige Leben erlangen.

Niemand darf verzagen, in das Reich der Seligen zu gelangen, selbst jene nicht, welche die Hölle verdient haben, wenn sie entschlossen sind, beharrlich dieser Königin zu dienen. „Wie viele Sünder”, sagt der hl. Germanus, „haben gesucht, durch deine Vermittlung, o Maria, Gott zu finden, und sind selig geworden!” Richard von St. Lorenz bemerkt, daß es in der Offenbarung des hl. Johannes von Maria heißt: „Auf ihrem Haupt war eine Krone von zwölf Sternen;”
(Offb 12,1) während im Hohenlied von ihr gesagt werde, sie werde gekrönt von wilden Tieren, Löwen, Leoparden. (Hl 4,8) Diese wilden Tiere, erklärt er, seien die Sünder, die durch die Gunst und Verwendung Mariens zu Sternen des Himmels werden, die zu einer Krone für das Haupt dieser Königin der Barmherzigkeit geeigneter seien, als alle wirklichen Sterne des Himmels.

Von der Dienerin Gottes, Schwester Serafina von Capri, wird erzählt, sie habe
während der Novene von Mariä Himmelfahrt die allerseligste Jungfrau um die Bekehrung von tausend Sündern gebeten, sei aber danach in Angst geraten, als wäre ihre Bitte zu unbescheiden gewesen. Da erschien ihr die heiligste Jungfrau, verwies ihr die eitle Furcht und sprach: „Was fürchtest du? Bin ich nicht mächtig genug, von meinem Sohn die Rettung von tausend Sündern zu erlangen?” und sie führte die Schwester im Geist zum Himmel, wo sie ihr unzählige Seelen zeigte, die schon die Hölle verdient hatten, aber durch ihren Einsatz wieder gerettet wurden und nun der ewigen Seligkeit sich erfreuten.

Wahr ist es, daß in diesem Leben keiner seines ewigen Heiles gewiß sein kann.
„Der Mensch weiß nicht, ob er der Liebe oder des Hasses würdig sei, sondern alles wird als ungewiß für die Zukunft aufbehalten.”
(Sir 9,1) Doch fragt David: „Herr, wer wird in deinem Zelt wohnen?” (Ps 14,1) und der hl. Bonaventura gibt als Erklärung die Antwort: „Laßt uns Sünder den Fußstapfen Mariens folgen, zu ihren hl. Füßen uns werfen und nicht weichen, bis sie uns segnet;” denn ihr Segen ist uns eine Versicherung des Himmels. „Es genügt, o Herrin”, sagt der hl. Anselm, „daß du unser Heil willst, weil wir dann unmöglich verloren gehen.” „Die von Maria beschützten Seelen”, sagt der hl. Antonin, „gelangen unfehlbar zur Seligkeit.”

Im Magnifikat sagte die allerseligste Jungfrau die Worte: „Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter”, und der hl. Ildefons erwidert: „Ja, selig wird sie gepriesen, denn alle Auserwählten gelangen durch sie zur ewigen Seligkeit.” „Du, o erhabene Mutter”, ruft der hl. Methodius aus, „bist der Anfang, die Mitte und das Ziel unserer Seligkeit.” Sie ist der Anfang, indem sie uns die Nachlaß der Sünden, die Mitte, indem sie uns die Gnade der Beharrlichkeit, das Ziel indem sie uns zuletzt den Himmel erlangt. „Durch dich”, sagt der hl. Bernhard, „steht der Himmel offen, durch dich wird die Hölle gemieden, durch dich ist das Paradies erneuert, durch dich ist mit einem Wort das ewige Leben allen Unglücklichen geschenkt, die den ewigen Tod verdient hatten.” Vor allem aber muß uns zur zuversichtlichen Hoffnung auf den Himmel die herrliche Verheißung erheben, die Maria selbst denen macht, die sie ehren, und vorzüglich jenen, die durch Wort und Beispiel beitragen, daß sie auch von anderen erkannt und geehrt wird.

„Wer in mir seine Werke tut, sündigt nicht; die mich ins Licht setzen, erhalten das ewige Leben.”
(Sir 24,30) Glückselig nennt der hl. Bonaventura jene, die die Gunst Mariens erlangen. Sie sind schon jetzt von den Seligen als ihre Mitgenossen betrachtet, und wer das Zeichen eines Dieners Mariens trägt, ist bereits in das Buch des Lebens eingeschrieben.

Wozu also sich lange mit den Meinungen der Theologen ängstlich abgeben, ob die Vorherbestimmung zur Herrlichkeit dem Vorherwissen unserer Verdienste vorangehe oder nachfolge? Und ob wir in das Buch des Lebens eingeschrieben sind oder nicht? Wenn wir nur wahre Diener Mariens sind und ihres Schutzes teilhaftig, dann stehen gewiß wir im Buch des Lebens; denn Gott verleiht, nach dem hl. Johannes von Damaskus, die Andacht zu seiner Mutter nur denjenigen, die Er selig machen will. Dies scheint auch der Herr selbst ausdrücklich dem hl. Johannes geoffenbart zu haben: „Wer siegt... auf den will ich schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes.” (Offb 3,12) Wer siegen und selig werden soll, der wird den Namen der Stadt Gottes in seinem Herzen eingegraben tragen. Wer aber ist diese Stadt Gottes, wenn nicht Maria? Der hl. Gregor bezieht die Stelle Davids: „Herrliches wird von dir gesagt, du Stadt Gottes,” (Ps 86,3) auf Maria.

Mit vollem Recht kann man also mit dem hl. Paulus sprechen: „Sie haben ein Siegel, der Herr erkennt die Seinen.” (2 Tim. 2,19) d. h. wer dieses Siegel, d.h. die Andacht zu Maria, trägt, den erkennt Gott als Ihm gehörend. Darum schreibt Pelbartus, die Andacht zur Mutter Gottes sei das sicherste Zeichen, daß man die ewige Seligkeit erlangen werde. Und der sel. Alanus a Rupe sagt, wer die heiligste Jungfrau oft mit dem englischen Gruß verehrt, besitzt ein bedeutsames Anzeichen seiner Auserwählung. Dasselbe behauptet er auch von der Beharrlichkeit im täglichen Gebet des hl. Rosenkranzes. Pater Nieremberg sagt ferner, daß die Diener der Mutter Gottes nicht bloß auf dieser Welt mehr Vorrechte und Begünstigungen, sondern auch im Himmel größere Ehren genießen, indem sie im Himmel besondere Abzeichen und reichere Zierden tragen werden, durch die sie als zur Familie der Himmelskönigin und zu ihrer Dienerschaft gehörend erkannt werden, nach den Worten in dem Buch der Sprichwörter: „Alle Diener ihres Hauses sind doppelt gekleidet.” (Sir 31,21)

Die hl. Maria Magdalena von Pazzis sah mitten im Meer ein Schiff, in das sich alle Verehrer Mariens geflüchtet hatten, die, das Steuerruder führend, alle sicher zum Hafen geleitete. Die Heilige erfuhr, daß jene, die unter dem Schutz Mariens leben, mitten in all den Gefahren dieses Lebens vor dem Schiffbruch der Sünde und der Verdammnis bewahrt bleiben und sicher durch sie in den Hafen des Paradieses gelangen. Seien wir also bedacht, in dieses glückliche Schiff des Schutzes Mariens einzugehen, um dort des Reiches der Seligkeit gewiß zu sein, wie die Kirche in den Tagzeiten Mariens singt: „Die Wohnung aller, die frohlocken, ist in dir, o hl. Gottesgebärerin!”

Beispiel

Cäsarius erzählt, ein Zisterzienser-Mönch vom Kloster Arnsburg, der eine große Andacht zu Unserer Lieben Frau hatte, hat gar sehr gewünscht, seine geliebte Herrin einmal sehen zu können, und ohne Aufhören darum gebeten. Eines Nachts ging er in den Garten und zum Himmel blickend, sandte er voll Sehnsucht, seine Königin zu sehen, heiße Bitten empor. Da erblickte er eine herrlich glänzende Jungfrau vom Himmel niederkommen, die ihn fragte: „Thomas, ist es dir lieb, meinen Gesang zu hören?” - „O gewiß”, sagte er. Da sang diese Jungfrau so süß, daß der fromme Ordensmann im Himmel zu sein meinte. Nach dem Gesang verschwand sie, ihn voll Sehnsucht lassend zu wissen, wer sie gewesen sei. Da stand vor ihm eine andere ebenso schöne Jungfrau, die ihn auch ihren Gesang hören ließ. Nun konnte er sich nicht mehr enthalten, zu fragen, wer sie sei. Die Jungfrau erwiderte: „Die du zuvor gesehen, war Katharina. Ich bin Agnes, beide Märtyrerinnen Jesu Christi und von unserer Königin gesandt, dich zu trösten. Danke Maria und bereite dich, eine noch größere Gnade zu empfangen.” Sprach es und verschwand; der Ordensmann aber blieb in vermehrter Erwartung, schließlich doch seine Königin zu sehen.

Er täuschte sich nicht. Bald darauf sah er ein großes Licht, er fühlte sein Herz von neuer Freude erfüllt, und inmitten dieses Lichtes zeigte sich ihm die Mutter Gottes, umgeben von Engeln und in unermeßlich größerer Schönheit, als die beiden zuvor erschienenen Jungfrauen. Maria sprach: „Mein lieber Diener und Sohn, ich habe deinen Dienst wohlgefällig angenommen und deine Bitte erhört. Du hast gefleht, mich zu sehen; siehe, ich bin es; du sollst auch meinen Gesang vernehmen.” Und die allerseligste Jungfrau begann mit solcher Lieblichkeit zu singen, daß dem frommen Ordensmann die Sinne schwanden und er auf das Angesicht zur Erde sank. Nun wurde zur Mette geläutet, und die Mönche versammelten sich im Chor. Da Bruder Thomas nicht erschien, wurde er in seiner Zelle und anderwärts gesucht, bis man ihn im Garten wie tot fand. Der Obere befahl ihm, zu sagen, was ihm begegnet sei, und in Kraft des Gehorsams wieder zu sich gekommen, erzählt er die Gunsterweisungen der göttlichen Mutter.


Gebet
O Königin des Himmels, Mutter der hl. Liebe, liebenswürdigste, von Gott mehr geliebte und Ihn liebende als alle Kreaturen, gestatte, daß ich, der undankbarste und elendeste Sünder auf Erden, dich liebe; durch deine Vermittlung bin ich von der Hölle gerettet, und ohne jedes Verdienst bin ich so von dir begünstigt, daß ich dich lieben muß. Ich wünsche, so es möglich wäre, alle Menschen, die dich nicht kennen, zu überzeugen, wie sehr du geliebt zu werden verdienst, auf daß alle dich liebten und ehrten. Ich wünsche zu sterben aus Liebe zu dir in Verteidigung deiner jungfräulichen Mutterschaft des Sohnes Gottes und deiner Unbefleckten Empfängnis. Ich begehre in Verteidigung dieser erhabensten Vorzüge mein Leben zu lassen. Geliebteste Mutter, nimm dies mein Verlangen gnädig auf und lasse nicht zu, daß dein Diener, der dich liebt, jemals ein Feind deines Gottes werde, den du so sehr liebst. Ach, ich Unglücklicher war eine Zeitlang ein solcher, da ich meinen Herrn beleidigte. Damals liebte ich aber auch dich nicht, o Maria, und war auch wenig bemüht, von dir geliebt zu werden. Nun aber verlange ich nach der Gnade Gottes nichts anderes, als dich zu lieben und von dir geliebt zu werden. Trotz meiner einstigen Sünden lasse ich mein Vertrauen nicht sinken, denn ich weiß, daß du, o gütigste, mildeste Herrin, selbst den elendesten Sündern, wenn sie dich lieben, deine Liebe nicht entziehst; ja du läßt dich in der Liebe von keinem übertreffen. O liebenswürdige Königin, ich begehre nach dem Himmel, um dort dich zu lieben. Dort zu deinen Füßen werde ich besser erkennen, wie liebenswürdig du bist, und was du für meine Seligkeit getan hast; darum werde ich dort mit größerer Liebe dich lieben; ich werde ewig dich lieben, ohne Furcht, jemals von deiner Liebe zu lassen. O Maria, ich hoffe mit Zuversicht, durch deine Vermittlung selig zu werden. Bitte Jesus für mich. Ich will nichts anderes; du mußt mich selig machen; du bist meine Hoffnung, darum will ich allezeit lobsingen: Maria, meine Hoffnung, Du mußt mich selig machen!

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9. Kap. - O Gütige, o Milde!

Wie groß die Güte und Milde Mariens ist

Der hl. Bernhard nennt die große Güte Mariens gegen uns Sünder das von Milch und Honig fließende Land der Verheißung. Der hl. Leo preist die allerseligste Jungfrau als mit solchem Erbarmen erfüllt, daß sie nicht bloß barmherzig, sondern die Barmherzigkeit selber genannt zu werden verdiene. Und wenn der hl. Bonaventura betrachtet, daß Maria um der Sünder willen Mutter Gottes geworden ist und das Amt empfangen hat, die Erbarmungen Gottes auszuteilen, oder wenn er ihre große Sorge um alle Verlassenen und ihre mildeste Güte erwägt, die nur das Verlangen kennt, den Bedürftigen zu Hilfe zu kommen, dann ruft er aus: „Wahrhaftig, wenn ich dich, meine Herrin, betrachte, erblicke ich nur Barmherzigkeit, und es ist mir, als habe Gott dich mit seiner Barmherzigkeit erfüllt und halte seine Gerechtigkeit verborgen.”

Mit einem Wort, die Güte Mariens ist so groß, daß, nach dem Abt Guerricus, aus ihrem liebevollen Herzen ohne Aufhören die Früchte der Barmherzigkeit hervorsprossen. Könnte anderes, sagt der hl. Bernhard, aus dem Quell der Barmherzigkeit fließen als Erbarmung? Darum wird Maria auch Ölbaum genannt. „Wie ein kostbarer Ölbaum auf dem Feld.”
(Sir 24,19) Denn wie vom Ölbaum nichts anderes kommt als Öl, das Sinnbild der Barmherzigkeit, ebenso kann aus der Hand Mariens nichts anderes kommen als Gnade und Erbarmen. Mit Recht darf man also mit Ludwig de Ponte Maria, weil sie die Mutter der Barmherzigkeit ist, die Mutter des Öls nennen. Wenn wir uns darum zu dieser Mutter mit der Bitte um das Öl der Barmherzigkeit wenden, so brauchen wir nicht zu fürchten, sie werde uns dies abschlagen, wie die klugen Jungfrauen den törichten: „Es wird für uns und euch nicht ausreichen.” (Mt 25,9) Nein, „Maria ist überreich an diesem Öl der Barmherzigkeit”, sagt der hl. Bonaventura; deshalb ist sie auch von der hl. Kirche nicht eine weise Jungfrau, sondern die weiseste Jungfrau genannt, auf daß wir, sagt Hugo von St. Viktor, erkennen mögen, Maria sei so reich an Gnade und Erbarmen, daß sie alle damit versehen kann, ohne den geringsten Mangel zu leiden.

Warum aber heißt es, frage ich, daß dieser herrliche Ölbaum mitten auf dein Feld und nicht vielmehr mitten in einem Garten von Mauer oder Zaun umgeben stehe? Hugo von St. Viktor antwortet: „Damit alle ihn leicht sehen und leicht zu ihm kommen können, um Hilfe in ihren Nöten zu erlangen.” Der hl. Antonin bestätigt diesen schönen Gedanken, indem er sagt: „Zu einem Ölbaum auf freiem Feld könne jeder gelangen und von seinen Früchten sammeln; ebenso können alle, die Gerechten und die Sünder, zu Maria ihre Zuflucht nehmen, um von ihr Barmherzigkeit zu erlangen.” Und, fährt er fort, „wie viele Strafgerichte wegen unserer Missetaten hat die allerseligste Jungfrau durch ihre barmherzige Fürsprache von uns abgewandt.” Und welch bessere Zuflucht könnten wir finden, sagt der fromme Thomas von Kempen, als das mitleidsvolle Herz Mariens? Hier findet der Arme seine Zufluchtsstätte, der Kranke sein Heilmittel, der Betrübte Trost, der Zweifelnde Rat, der Verlassene Hilfe. Wie verlassen wären wir, hätten wir nicht diese Mutter der Barmherzigkeit, die über uns wacht, und besorgt ist, in unseren Nöten uns zu Hilfe zu kommen! „Wo die Hausmutter nicht ist, seufzt der Arme”, (Sir 36,27) sagt der Hl. Geist. Diese Mutter ist nach dem hl. Johannes von Damaskus Maria; wo sie fehlt, da seufzt der Kranke. In Wahrheit, da nach der Ordnung Gottes alle Gnaden auf die Fürbitte Mariens gespendet werden, so kann es, wo diese fehlt, keine Hoffnung auf Barmherzigkeit geben. Dies hat der Herr selber der hl. Birgitta mit den Worten erklärt: „Wäre die Fürsprache Mariens nicht, so gäbe es keine Hoffnung auf Barmherzigkeit.”


Haben wir aber nicht zu fürchten, daß Maria unsere Not nicht beachte oder nicht bemitleide? Nein! Maria sieht viel mehr auf sie, als wir selbst, und trägt großes Mitleid mit uns. „Wer fände sich unter den Heiligen”, sagt der hl. Antonin, „der so viel Mitleid mit unseren Nöten hätte, als Maria?” „Wo immer sie eine Not bemerkt, ist es ihr unmöglich, nicht zu nahen und Hilfe zu schaffen durch ihre große Güte.” So Richard von St. Lorenz, und dasselbe bestätigt Mendoza mit den Worten: „Ja, o gebenedeite Jungfrau, wo immer du uns in Nöten siehst, da spendest du mit vollen Händen deine Gnaden.” Und von diesen Erweisen der Barmherzigkeit wird unsere gute Mutter niemals abstehen, wie sie selbst versichert: „In Ewigkeit werde ich nicht aufhören, und in der hl. Wohnung diente ich vor ihm.” (Sir 24,14) Diese Stelle erklärt Kardinal Hugo wie folgt: „Ich werde bis zum Ende der Welt nicht nachlassen, den Menschen in allen Nöten zu Hilfe zu kommen und für die Sünder zu beten, damit sie gerettet und vom ewigen Verderben bewahrt werden.”


Suetonius erzählt von Kaiser Titus, daß er so bedacht war, jedem Bittenden sich gnädig zu erweisen, daß er von den Tagen, wo er nicht Gelegenheit hatte, eine Gunst zu spenden, bekümmert sagte: „Der Tag ist verloren.” So sprach Titus wohl mehr aus Eitelkeit und Ruhmsucht, als aus Liebe. Unsere gütigste Herrin Maria aber kann nur deshalb jene Worte sprechen, weil sie voll Liebe und voll Verlangen ist, Gutes zu tun: Und zwar so, daß sie nach Bernhardin von Bustis ein größeres Verlangen trägt, uns Gnaden zu erweisen, als wir diese zu empfangen, weshalb wir sie immer mit vollen Händen an Erbarmen und Güte finden werden, so oft wir unsere Zuflucht zu ihr nehmen.


Ein Vorbild Mariens hierin war schon Rebekka, die von dem Knecht Abrahams um einen Trunk Wassers gebeten, zur Antwort gab: „Auch deinen Kamelen will ich Wasser schöpfen, bis sie alle getrunken haben.”
(Gen 24,19) Der hl. Bernhard wendet sich darum an Maria mit den Worten: „O Herrin, nicht bloß dem Knecht Abrahams, sondern auch den Kamelen reiche Wasser aus deinem überströmenden Krug.” Er will sagen: Herrin, du bist liebevoller und freigebiger als Rebekka; darum begnüge dich nicht, die Gnaden deiner unermeßlichen Barmherzigkeit bloß den Dienern Abrahams, d.h. den treuen Dienern Gottes, zu erteilen, sondern spende sie auch den Kamelen, womit die Sünder gemeint sind. Und gleichwie Rebekka mehr gab, als von ihr begehrt wurde, ebenso verleiht Maria mehr, als worum sie gebeten wird. Die Freigebigkeit Mariens gleicht nach Richard von St. Lorenz der Freigebigkeit ihres Sohnes, der immer mehr gibt, als man bitte; darum nennt Ihn der hl. Paulus: „Er ist reich für alle, die Ihn anrufen.” (Röm 10,12) Er ist überfließend von Gnaden für alle, die Ihn bitten. Auch ein anderer frommer Schriftsteller, Wilhelm von Paris, sagt: „Herrin, bitte für mich; denn du bittest mit unendlich größerer Andacht die Gnaden für mich, als ich zu beten vermöchte, und du erlangst mir weit mehr, als ich zu begehren den Mut habe.”

Als die Samaritaner sich weigerten, Jesus Christus bei sich aufzunehmen und seine Predigt anzuhören, sprachen die hl. Jakobus und Johannes zu ihrem Meister: „Willst du, Herr, daß wir das Feuer vom Himmel herabrufen, sie zu verzehren?” Da entgegnete der Heiland: „Ihr wißt nicht, wessen Geistes ihr seid.” (Lk 9,55) Er wollte damit sagen: Ich bin eines so gütigen und sanften Geistes, daß ich vom Himmel gekommen bin, die Sünder zu retten, nicht aber sie zu strafen; und ihr wollt, daß sie verloren gehen? Warum Feuer? Warum Strafe? Schweigt und redet nicht mehr von Züchtigungen, denn das ist nicht mein Geist. Von Maria aber, die des gleichen Geistes ist, wie ihr Sohn, können wir nicht zweifeln, daß sie nicht ganz geneigt wäre, Barmherzigkeit zu üben. Darum heißt sie die Mutter der Barmherzigkeit, und die Barmherzigkeit Gottes hat sie so barmherzig und gütig gegen alle gemacht, wie sie der hl. Birgitta offenbarte. Der hl. Johannes sah daher auch Maria mit der Sonne bekleidet: „Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel, eine Frau mit der Sonne bekleidet” (Offb 12,1), worüber der hl. Bernhard an die allerseligste Jungfrau sich wendend bemerkt: Du kleidest die Sonne und wirst von ihr gekleidet”, d. h. du hast das ewige Wort mit der Menschheit bekleidet, und das Wort hat dich in seine Macht und Barmherzigkeit gekleidet.

„So mildreich und gütig ist diese Königin”, sagt der hl. Bernhard, „daß, wenn ein Sünder sich ihrer Milde anempfiehlt, sie nicht erst seine Verdienste untersucht, ob er würdig sei, erhört zu werden oder nicht, sondern sie erhört und hilft allen.” Das ist auch nach dem hl. Hildebert die Ursache, warum Maria „schön wie der Mond” (Hl 6,9) genannt wird; denn wie der Mond den niedrigsten Gegenständen auf Erden Licht und Nutzen bringt, so gibt auch Maria den unwürdigsten Sündern Licht und Rettung. „Schön wie der Mond”, sagt Hildebert, „weil es schön ist, Unwürdigen Gutes zu tun”. Und wenngleich der Mond all sein Licht von der Sonne empfängt, so wirkt er doch schneller als die Sonne.


„Was die Sonne in einem Jahr tut, das tut der Mond in einem Monat”, sagt ein Schriftsteller, weshalb, nach dem hl. Anselm, uns bisweilen schnellere Hilfe wird, wenn wir den Namen Mariens, als wenn wir den Namen Jesu anrufen. Flößen unsere Sünden uns Furcht ein, Gott zu nahen, weil es eine unendliche Majestät ist, die wir beleidigt haben, so dürfen wir nach der Ermahnung Hugos von St. Viktor, uns nicht scheuen, zu Maria zu flüchten, da wir an ihr nichts erblicken, was uns ängstigen kann. Wohl ist sie heilig, unbefleckt, Königin der Welt, Mutter Gottes, aber ein Mensch, ein Kind Adams. [Außer der Erbsünde]


Mit einem Wort, an Maria ist, nach dem hl. Bernhard, alles voll Gnade und Barmherzigkeit; denn als Mutter der Barmherzigkeit ist sie allen alles, und in ihrer großen Liebe hat sie zur Schuldnerin aller sich gemacht, der Gerechten wie der Sünder; allen öffnet sie den Schoß ihrer Barmherzigkeit, auf daß alle teilhaben an ihrer Fülle. Wie nach den Worten des hl. Petrus der Teufel umhergeht, um zu suchen, wem er den Tod bereiten könne (1 Petr 5,8), so geht umgekehrt, wie Bernhardin von Bustis sagt, Maria suchend umher, wem sie Leben und Heilung bereiten könne.


„Wir müssen wohl im Auge haben”, daß, wie der hl. Germanus sagt, „der Schutz Mariens größer und mächtiger ist, als wir zu begreifen vermögen.” „Und woher kommt es”, fragt Pelbart, „daß der Herr, der im alten Bund so streng im Bestrafen war, nun so großes Erbarmen gegen viel mehr verschuldete Sünder übt? Es geschieht dies um der Liebe und Verdienste Mariens willen.” Ach, ruft der hl. Fulgentius aus, „längst schon wäre die Welt untergegangen, wenn nicht Maria durch ihre Fürbitte sie erhalten hätte.” „Mit Zuversicht aber dürfen wir uns Gott nähern und alles Gute hoffen”, sagt Arnold von Chartres, „seit der Sohn unser Mittler bei Gott dem Vater ist und die Mutter unsere Mittlerin bei dem Sohn. Wie sollte der Vater den Sohn nicht erhören, wenn Er Ihm die Wunden zeigt, die Er um der Sünder willen erduldet? Und wie sollte der Sohn die Mutter nicht erhören, wenn sie Ihm die Brust zeigt, an der sie Ihm die Nahrung reichte?” Schön und kräftig drückt sich der hl. Petrus Chysologus aus: „Eine Jungfrau beherbergte Gott in ihrem Schoß, so daß sie zum Lohn dafür der Welt den Frieden, den Verlorenen das Heil, den Toten das Leben erlangen konnte.”

„Ach, wie viele, die verdient hätten von der göttlichen Gerechtigkeit verdammt zu werden”, sagt der Abt von Celles, „sind durch die Barmherzigkeit Mariens selig geworden; denn sie ist der Schatz Gottes und die Schatzmeisterin aller Gnaden, weshalb unser Heil in ihren Händen liegt.” Nehmen wir allezeit unsere Zuflucht zu dieser erhabenen Mutter der Barmherzigkeit und hoffen wir mit Zuversicht, durch ihre Vermittlung selig zu werden; denn sie ist, wie Bernhard von Bustis uns erinnert, unser Heil, unser Leben, unsere Hoffnung, unser Rat, unsere Zuversicht, unsere Hilfe. „Maria ist im eigentlichen Sinn jener Gnadenthron”, sagt der hl. Antonin, „zu dem wir nach der Meinung des hl. Apostels mit Vertrauen fliehen sollen, um die göttliche Barmherzigkeit und alle zu unserem Heil notwendigen Gnadenhilfen zu erlangen.” „Laßt uns mit Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden, wenn wir Hilfe nötig haben.” (Hebr 4,16) [Dies ist der Introitus der Messe zum unbefleckten Herzens Mariens, die P. Pius XII. 1946 eingesetzt hat.] Zum Thron der Gnade, d. h. zu Maria, erklärt der hl. Antonin. Und die hl. Katharina von Siena nennt Maria „die Ausspenderin der göttlichen Barmherzigkeit”.

[Beim Tod Jesu war Maria die Generalerbin. Die Gnaden des geöffneten Herzens Jesu flossen in ihr Herz. Dort müssen wir sie erbitten! Sapienti sat.]

Schließen wir nun mit dem schönen und lieblichen Ausruf des hl. Bernhard: „O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria! O Maria du bist gütig gegen die Elenden, milde gegen die, welche dich anrufen, süß denen, die dich lieben; du bist gütig gegen die Büßer, mild gegen die Voranschreitenden, süß den Vollkommenen; du erzeigst dich gütig, indem du uns vor Züchtigungen bewahrst, milde, indem du uns Gnaden spendest, süß, indem du dich finden läßt von denen, die dich suchen.”

Beispiel

Pater Karl Bovio erzählt, daß in Dormans, in der Champagne, ein verheirateter Mann sündhaften Umgang mit einer anderen Frau hatte. Seine tief betrübte Ehefrau bat ohne Aufhören zu Gott, die Schuldige zu züchtigen, und eines Tages ging sie eigens vor den Altar der allerseligsten Jungfrau in einer Kirche, um gerechte Strafe auf diese Person herabzurufen. Vor demselben Bild pflegte auch jene täglich ein Ave zu sprechen. Des Nachts erschien nun einmal die göttliche Mutter im Traum der Ehefrau, die, kaum daß sie Maria erblickte, sogleich die gewöhnliche Bitte begann:
„Gerechtigkeit, o Mutter Gottes, Gerechtigkeit!” Doch Unsere Liebe Frau antwortete: „Gerechtigkeit? Du begehrst von mir Gerechtigkeit? Geh, wende dich an andere, die sie dir verschaffen mögen, ich kann, was mich betrifft, sie dir nicht gewähren. Wisse, daß diese Sünderin täglich mit dem Ave mich begrüßt, und daß, wenn jemand dieses tut, ich nicht ertragen kann, daß er um seiner Sünden willen Züchtigung erleide.” Da es Tag geworden, ging die Frau in die Liebfrauenkirche, die hl. Messe zu besuchen. Beim Herausgehen begegnete sie jener Person, und als sie diese sah, fing sie an, sie zu beschimpfen und sie eine Hexe zu nennen, die durch ihre Hexereien selbst Unsere Liebe Frau verzaubert habe. Die Umstehenden wollten sie zum Schweigen bringen; doch es gelang ihnen nicht. „Es ist nur zu wahr, was ich sage”, rief sie und erzählte ihr nächtliches Gesicht. Die Person aber bestätigte, daß sie jeden Tag das Ave bete, und so gerührt war, daß Maria um dieser geringen Andacht willen, ihr solche Barmherzigkeit erwiesen habe, daß sie sogleich zu dem Bild zurückeilte, sich niederwarf, alle wegen des gegebenen Ärgernisses um Verzeihung bat und immerwährende Enthaltsamkeit gelobte. Danach nahm sie den Habit, ließ sich eine kleine Zelle in der Nähe dieser Kirche bauen, schloß sich darin ein und verharrte in ununterbrochener Buße bis zu ihrem Tod.


Gebet
O Mutter der Barmherzigkeit, du bist so gütig und trägst so großes Verlangen, uns Elenden Gutes zu tun und unsere Bitten zu erhören; darum nehme auch ich, der Allerelendeste, zu deiner Güte meine Zuflucht, damit du mir verleihen magst, worum ich bitte. Mögen andere was immer begehren, Gesundheit des Leibes, Reichtümer und Glück in diesem Erdenleben; ich bitte dich, o meine Herrin, nur um das, was du für mich begehrst, und wodurch ich deinem Herzen gleichförmiger und angenehmer werde. Du bist so demütig, darum erlange mir die Demut und die Liebe zur Verachtung. Du warst so geduldig in den Mühseligkeiten dieses Lebens, erlange mir die Geduld in allen Widerwärtigkeiten. Du warst so voll Liebe zu Gott, erlange mir die Gabe einer heiligen und reinen Liebe. Du warst voll Liebe zu dem Nächsten, erlange mir die Liebe zu allen und besonders zu denen, die mir abgeneigt sind.

Du warst ganz vereint mit dem göttlichen Willen, erlange mir eine vollkommene Ergebung in allem, was Gott über mich verfügt. Mit einem Wort, du bist die heiligste unter allen Kreaturen, o Maria, mache mich heilig. Dir mangelt nicht die Liebe, du kannst und willst mir alles erlangen. Nur ich allein kann mir im Wege stehen, deine Gnaden zu empfangen, sei es, daß ich unterlasse, dich anzurufen, oder zu wenig deiner Fürbitte vertraue. Aber, daß ich zu dir fliehe und auf dich vertraue, das kann ich nur von dir empfangen. Um diese beiden höchsten Gnaden bitte ich dich; von dir verlange ich sie, von dir erhoffe ich sie mit Zuversicht, o Maria, meine Mutter, meine Hoffnung, meine Liebe, mein Leben, meine Zuflucht, meine Hilfe, mein Trost. Amen.

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10. Kap. - Süße Jungfrau Maria

Wie süß der Name Mariens ist im Leben und im Sterben

Der erhabene Name Maria, welcher der Mutter Gottes gegeben wurde, ist nicht auf Erden erfunden worden, noch auch von dem Verstand oder den Absichten der Menschen erdacht worden, wie dies bei allen anderen Namensgebungen der Fall ist. Er war vom Himmel erwählt und nach göttlichem Ratschluß verliehen, wie die hl. Hieronymus, Epiphanius, Antonin und andere bezeugen. „Aus dem Schatz der Gottheit kommt”, wie der hl. Petrus Damianus sagt, „dein erhabener und wunderbarer Name Maria”, „in dem die ganze heiligste Dreieinigkeit dir einen Namen geben wollte”, fügt Richard von St. Lorenz hinzu, „der nach dem Namen deines Sohnes über alle anderen Namen erhaben ist und dir solche Majestät und Macht verleiht, daß, wenn er ausgesprochen wird, alle auf ihren Knien ihn verehren sollen; der Himmel, die Erde und die Hölle.” Von den Vorzügen, die der Herr diesem Namen erteilt hat, wollen wir jetzt nur das betrachten, wie süß Er diesen Namen für die Diener dieser heiligsten Frau im Leben und im Sterben gemacht habe.

Um zuerst von der Lebenszeit zu sprechen, so sagt der hl. Einsiedler Honorius, daß der Name Maria jeder himmlischen Süßigkeit voll ist. Und der ruhmreiche hl. Antonius von Padua fand im Namen Maria dieselbe Lieblichkeit, wie der hl. Bernhardin im Namen Jesus. Der Name dieser jungfräulichen Mutter ist ihren Verehrern eine Wonne im Herzen, Honig im Mund, Wohlklang im Ohr.

Der ehrwürdige Pater Juvenal Ancina, Bischof von Saluzzo, empfand, wie in seinem Leben erzählt wird, beim Nennen des Namens Mariens eine so große Süßigkeit, daß er sogar seine Lippen ableckte. In gleicher Weise liest man, eine Frau in Köln habe dem Bischof Marsilius bezeugt, daß sie, so oft der Name Maria ausgesprochen werde, einen Geschmack im Mund verspüre, der süßer sei als Honig. Eine gleiche Süßigkeit empfand auch Marsilius selbst.

Nach den Worten des Hohenliedes sangen die Engel bei der Himmelfahrt Mariens dreimal: „Wer ist die, die aus der Wüste heraufsteigt wie eine Rauchsäule?” (Hl 3,6) dann: „Wer ist die, welche wie die aufsteigende Morgenröte hervorkommt?” (Hl 6, 9) Endlich: „Wer ist die, die heraufsteigt aus der Wüste, von Freude überfließend?” (Hl 8,5) Richard von St. Lorenz stellt die Frage, warum die Engel so oft nach dem Namen dieser Königin gefragt haben und antwortet: Weil sie begehrten, den ihnen so süßen Namen Maria zu hören.

Doch will ich nicht von der fühlbaren Süßigkeit sprechen, die für gewöhnlich nicht jeder empfängt, sondern von der heilsamen Süßigkeit des Trostes, der Liebe, der Freude, des Vertrauens, der Stärke, die der Name Maria all denen bringt, die ihn mit Andacht aussprechen. Der Abt Franko spricht davon, „daß nach dem hochheiligen Namen Jesus der Name Maria so reich an Gütern sei, daß auf Erden und im Himmel kein anderer Name genannt werde, aus dem die frommen Seelen so viel Gnade, Hoffnung und Süßigkeit empfangen; denn der Name Maria enthalte eine so geheimnisvolle Süßigkeit und göttliche Kraft, daß er in den Maria angehörenden Herzen lieblichen Wohlgeruch aushauche. „Und wunderbar ist es an diesem Namen”, sagt Franko, „daß er tausendmal gehört doch immer mit neuer Freudigkeit vernommen wird.”

Diese Süßigkeit bezeugt auch der hl. Heinrich Suso, wenn er sagt, daß er im Aussprechen des Namens Maria sich zu solchem Vertrauen erhoben und mit so freudiger Liebe entzündet fühle, daß er nur unter Tränen der Freude diesen geliebten Namen hervorbringe und glaube, es steige sein Herz aus der Brust in den Mund; indem der süßeste Name in den Tiefen der Seele wie eine Honigwabe zerfließe. O süßester Name, pflegte er auszurufen, o Maria, was mußt du selber sein, wenn schon dein Name so lieblich und gnadenvoll ist!

Voll Zärtlichkeit wendet sich der liebeentflammte hl. Bernhard an seine gute Mutter mit den Worten: „O große, o gütige, o alles Lobes würdige, heiligste Jungfrau Maria; dein Name ist so süß und liebenswürdig, daß er nicht einmal genannt werden kann, ohne daß, wer ihn nennt, von Liebe zu dir und zu Gott entzündet wird.” Ja, wenn jene, die dich lieben, deiner nur gedenken, so sind sie getröstet und zu größerer Liebe gegen dich entzündet. „Wenn Geld und Gut ein Trost der Armen, weil Abhilfe ihrer Not ist, o welch besserer Trost ist für uns Elende”, sagt Richard von St. Lorenz,
„dein Name, o Maria, der mehr als alle Schätze der Erde uns Hilfe gibt in den Trübsalen dieses Lebens.”

Mit einem Wort, „dein Name, o Mutter Gottes, ist voll der göttlichen Gnaden und Segnungen”, wie der hl. Methodius sagt, in der Weise, daß nach dem hl. Bonaventura „dein Name nicht genannt werden kann, ohne dem eine Gnade zu bereiten, der ihn andächtig ausspricht.” „Mag ein Herz noch so verhärtet und vertrauenslos sein”, sagt der Idiote, „nennt man dich, o gütigste Jungfrau, so ist die Kraft deines Namens so groß, daß er auf wunderbare Weise diese Härte erweichen wird; denn du bist es ja, welche die Sünder zur Hoffnung auf Verzeihung und Gnade ermutigt.” Dein süßester Name ist nach den Worten des hl. Ambrosius ein wohlriechender Balsam, der den Geruch der göttlichen Gnade aushaucht. Der Heilige fleht zu Maria mit den Worten: „Es ergieße sich in das Innerste unserer Seelen dieser Balsam des Heiles!” Er will sagen: Gewähre o Herrin, daß wir oft daran denken, dich mit Liebe und Vertrauen zu nennen; denn dies ist entweder ein Zeichen des Besitzes der göttlichen Gnade, oder doch ein Unterpfand ihrer bald teilhaftig zu werden.

Ja, o Maria, das Andenken an deinen Namen tröstet die Betrübten, führt auf den Weg des Heiles zurück, wer ihn verlassen hat, stärkt die Sünder, sich nicht der Verzweiflung zu überlassen, wie Landulf von Sachsen versichert, und Pater Pelbart sagt: Gleichwie Jesus durch seine hl. fünf Wunden der Welt die Heilung von all ihren Übeln bereitet hat, so bringt auch Maria durch ihren heiligsten, aus fünf Buchstaben bestehenden Namen den Sündern täglich Verzeihung. Der heiligste Name Maria wird aus diesem Grund im Hohenlied mit dem Öl verglichen: „Dein Name ist ein ausgegossenes Öl.” Wie das Öl, bemerkt der sel. Alanus zu dieser Stelle, die Krankheiten heilt, Wohlgeruch verbreitet und die Flamme nährt, ebenso heilt der Name Maria die Sünder, erquickt die Herzen und entflammt sie mit hl. Liebe. Richard von St. Lorenz ermuntert darum die Sünder, diesen mächtigen Namen anzurufen, indem er allein genüge, sie von allen Übeln zu heiligen, und es keine noch so bösartige Krankheit gebe, die nicht alsbald der Kraft dieses Namens weichen müßte.

„Die Teufel dagegen”, behauptet Thomas von Kempen, „fürchten dermaßen die Königin des Himmels, daß sie beim Nennen ihres erhabenen Namens vor dem, der ihn ausspricht, fliehen wie vor verzehrendem Feuer.” Die allerseligste Jungfrau offenbarte der hl. Birgitta: „Es lebt kein Sünder auf Erden so erkaltet in der göttlichen Liebe, daß, wenn er mit dem Vorsatz, Buße zu tun, meinen Namen anruft, nicht augenblicklich der Teufel von ihm weichen müßte.” Und wiederholt bekräftigte sie dies mit den Worten: „Alle bösen Geister scheuen diesen Namen und fürchten ihn. Sobald sie den Namen Maria hören, lassen sie sogleich die Seele aus den Klauen, mit denen sie dieselbe halten.” Und wie die gefallenen Engel vor dem Sünder zurückweichen, welche Maria anrufen, so kommen andererseits um so mehr die guten Engel, sagte Maria selbst zur hl. Birgitta, den Gerechten entgegen, welche andächtig ihren Namen aussprechen.

Der hl. Germanus bezeugt, daß wie das Atmen ein Zeichen des Lebens ist, so das öftere Anrufen des Namens Maria ein Zeichen, daß man entweder bereits in der Gnade Gottes lebe, oder bald dazu kommen werde; denn dieser mächtige Name hat die Kraft, Heil und Leben dem zu erlangen, der ihn mit Andacht anruft. Kurz, dieser wunderbare Name ist, nach Richard von St. Lorenz, gleich einem sehr festen Turm, wohin der Sünder sich vor dem Verderben flüchten kann, indem die verlorensten Sünder dort sicheren Schutz und Rettung finden. Doch nicht bloß die Sünder erlangen in dem starken Turm die Befreiung von der Strafe, sondern auch die Gerechten schützt er gegen die Angriffe der Hölle. Dies bezeugt Richard mit den Worten: „In keinem anderen Namen ist so mächtige Hilfe, noch ist nach dem Namen Jesus ein anderer Name den Menschen gegeben, aus dem so großes Heil auf die Menschen sich ergießt, als der Name Maria.”

Besonders aber wissen alle, und die Diener Mariens können es täglich erfahren, welche Kraft ihr erhabener Name verleiht, die Versuchungen gegen die Reinheit zu überwinden. Der eben genannte Schriftsteller bemerkt über die Worte des hl. Lukas: „Und der Name der Jungfrau war Maria”, daß der Evangelist die beiden Namen Maria und Jungfrau zugleich ausspreche, um uns erkennen zu lassen, daß der Name dieser allerreinsten Jungfrau nie von der Reinheit getrennt werden dürfe. Auch der hl. Petrus Chrysologus nennt das Anrufen des Namens Mariens bei Versuchungen gegen die Reinheit ein Zeichen der Reinheit des Herzens. Wer sich gewiß ist, bei derartigen Versuchungen den Namen Mariens mit Andacht angerufen zu haben, der hat, wenn er im Zweifel ist, ob er nicht gesündigt hat, in dieser Anrufung ein sicheres Kennzeichen, daß er die Reinheit des Herzens nicht verletzt habe.

Folgen wir darum doch allezeit dem guten Rat des hl. Bernhard: „In Gefahren, in Nöten, in Zweifeln denke an Maria, rufe Maria an; sie weiche nicht aus deinem Mund, sie weiche nicht aus deinem Herzen.” Bei allen Gefahren, die Gnade Gottes zu verlieren, wollen wir an Maria denken und Maria zugleich mit dem Namen Jesus anrufen; denn diese Namen sollen immer miteinander verbunden sein. Diese zwei süßesten und mächtigsten Namen sollen nimmer weichen aus unserem Herzen, nimmer aus unserem Mund, denn diese Namen werden uns die Kraft geben, keiner Versuchung zu unterliegen, sondern in jeder zu siegen.

Sehr herrlich sind die Gnaden nach den Offenbarungen der hl. Birgitta. Jesus verheißt den andächtigen Verehrern des Namens Maria, seiner Mutter: „Wer immer deinen Namen anruft und mit dem festen Vorsatz der Besserung auf dich vertraut, dem sollen drei Gaben zuteil werden: Eine vollkommene Reue über seine Sünden, eine vollkommene Genugtuung für diese, die Stärke zum Fortschritt im geistlichen Leben und überdies die Herrlichkeit des Paradieses. So groß ist für mich die Süßigkeit deiner Worte, daß ich dir keine Bitte versagen kann.”

Das bisher Gesagte faßt der hl. Ephräm in den Worten zusammen: „Der Name Mariens erschließt die Pforte des Himmels;” und der hl. Bonaventura in der Bitte: „Du Heil aller, die dich anrufen.” Nach ihnen ist es also eines und dasselbe, den Namen Mariens anrufen und das Heil erlangen. Auch Richard von St. Lorenz bestätigt dies in den Worten: „Die andächtige Anrufung dieses Namens führt in diesem Leben zur Fülle der Gnade und im künftigen zur Fülle der Herrlichkeit.” „Begehrt ihr also, meine Brüder”, schließe ich mit Thomas von Kempen, „in jeglicher Trübsal getröstet zu werden, so flieht zu Maria! Ruft Maria an, ehrt Maria, empfiehlt euch Maria an, freut euch mit Maria, weint mit Maria, betet mit Maria, wandelt mit Maria , sucht mit Maria Jesus; verlangt mit Jesus und Maria zu leben und zu sterben. Brüder, so ihr dies übt, werdet ihr voranschreiten. Maria wird gern für euch bitten, und der Sohn wird seine Mutter erhören.”

Gar süß ist also im Leben der Verehrer Mariens, wie wir gesehen, ihr heiligster Name durch die großen Gnaden, die er ihnen erlangt; doch süßer noch wird er ihnen im Sterben, indem er ihnen einen sanften und hl. Tod bereitet. Pater Sartorius Caputo SJ ermahnte alle, die einem Sterbenden beizustehen haben, oft den Namen Maria auszusprechen, indem das bloße Aussprechen dieses Namens des Lebens und der Hoffnung im Sterben genüge, die Feinde zu verjagen und die Sterbenden in ihren Ängsten zu stärken. In gleicher Weise hat der hl. Kamillus von Lellis es seinen Ordensleuten dringend anempfohlen, die Sterbenden zu häufigem Anrufen der Namen Jesus und Maria anzuhalten, wie er es selbst bei allen zu tun pflegte. Mit größter Süßigkeit übte er dies in der eigenen Todesstunde, indem er, wie seine Lebensgeschichte berichtet, seine geliebten Namen Jesus und Maria mit solcher Zärtlichkeit aussprach, daß er auch jene, die ihn hörten, zur Liebe entflammte. Man sah schließlich den Heiligen mit auf seine verehrten Bilder gehefteten Augen, und in Kreuzform ausgestreckten Armen die Seele mit Heiterkeit und himmlischem Frieden, unter Anrufung der süßesten Namen Jesus und Maria aushauchen.

Dieses kurze Gebet der Anrufung der heiligsten Namen Jesus und Maria ist nach Thomas von Kempen so leicht im Gedächtnis zu behalten, als lieblich zu betrachten und eine starke Wehr gegen die Feinde unseres Heiles. „O selig”, sagt der hl. Bonaventura, „wer deinen süßen Namen liebt, o Maria, deinen glorwürdigen, wunderbaren Namen. Die ihn bewahren, brauchen sich im Tod nicht zu fürchten.”

O welch ein Glück, zu sterben, wie der Kapuzinerpater Fulgentius von Ascoli, der seinen Geist aufgab unter dem Gesang: „O Maria, o Maria! Schönste du vor allen, Mit dir will ich zum Himmel wallen!” - zu sterben, wie der selige Zisterziensermönch Heinrich, der nach den Annalen seines Ordens unter dem Sprechen des Namens Maria sein Leben beschloß.

Bitten wir also Gott, Er möge uns die Gnade verleihen, daß der Name Maria das unser letzte Wort sei, wie dies auch der hl. Germanus mit Sehnsucht erflehte. O ein süßer Tod, ein sicherer Tod, der begleitet und geschirmt von solchem Namen des Heiles ist, den im Sterben anzurufen, Gott nur jenen verleiht, die Er selig machen will.
O meine süße Herrin und Mutter, ich liebe dich sehr, und weil ich dich liebe, liebe ich auch deinen heiligen Namen. Ich will und hoffe, mit deiner Hilfe ihn allezeit anzurufen im Leben und im Sterben. Um der Ehre deines Namens willen komme meiner Seele, bitte ich mit dem hl. Bonaventura, bei ihrem Scheiden von der Welt entgegen und nimm sie auf! Tröste sie durch deinen hl. Anblick, sei ihr Leiter und Pfad zum Paradies, erlange ihr Vergebung und Frieden und die Wohnung im Licht. Nimm dich deiner Diener an und führe du ihre Sache vor dem Richterstuhl Christi.

Beispiel

Pater Rho und Pater Lyräus erzählen, daß um das Jahr 1465 in Geldern ein junges Mädchen, namens Maria, von ihrem Onkel auf den Markt nach Nimwegen geschickt wurde, um einiges einzukaufen, mit dem Befehl, im Haus einer dort wohnenden Verwandten zu übernachten. Das Mädchen gehorchte; als sie aber abends zu der Frau kam, wurde sie mit rauhen Worten abgewiesen, worauf sie zur Heimkehr sich anschickte. Die Nacht befiel sie auf dem Rückweg, und sie geriet in solche Aufregung, daß sie mit lauter Stimme den Teufel rief. Er erschien alsbald in Gestalt eines Mannes und versprach ihr Hilfe, wenn sie eine Sache tun wollte. „Alles will ich tun”, antwortete die Unglückliche. „Anderes begehre ich nicht”, sagte der Böse, „als daß du von heute an dich nicht mehr mit dem Kreuz bezeichnest und den Namen änderst.”
„Was das Kreuz betrifft, so will ich mich nicht mehr damit bezeichnen; aber mein Name Maria ist mir zu lieb; ich werde ihn nicht ändern.” „Dann helfe ich dir nicht”, sprach der Teufel. Nach langem Streit kamen sie endlich überein, daß sie nach dem ersten Buchstaben des Namens Maria sich nennen solle (Emma). Und so begaben sie sich auf den Weg nach Antwerpen, wo die Unglückliche sechs Jahre lang mit ihrem so schlechten Gesellen verweilte und so lasterhaft lebte, daß sie allen zum Ärgernis war. Eines Tages sagte sie zum Teufel, daß sie ihre Heimat wieder einmal sehen möchte; dieser aber widersetzte sich, bis er zuletzt doch nachgeben mußte. Da sie nach Nimwegen kamen, wurde gerade ein geistliches Schauspiel aus dem Leben Mariens aufgeführt. Bei diesem Anblick fing die arme Emma, die noch einige Liebe zur Mutter Gottes in sich bewahrt hatte, vor Rührung zu weinen an. „Was soll das sein?” sprach der Geselle, „wollen wir auch eine Komödie hier aufführen?” Er packte sie, um sie von dem Ort wegzubringen; sie aber widerstand. Da er merkte, sie sei für ihn verloren, erhob er sich aus Zorn mit ihr in die Luft und ließ sie mitten auf die Schaubühne fallen. Da erzählte die Unglückliche, was ihr begegnet. Sie begehrte, beim Pfarrer zu beichten; dieser aber wies sie an den Bischof von Köln, und dieser schickte sie an den Papst, der sie annahm und ihr als Buße auferlegte, daß sie beständig drei eiserne Ringe trage, einen um den Hals und zwei um die Arme. Die Reuige gehorchte und zog nach Maastricht, wo sie in ein Kloster von Büßerinnen sich einschloß und vierzehn Jahre in strenger Buße lebte. Eines Morgens bemerkte sie beim Aufstehen, daß die drei Ringe zerbrochen waren. Zwei Jahre danach starb sie im Ruf der Heiligkeit. Sie ließ sich mit den drei Ringen begraben, die sie aus einer Sklavin der Hölle zu einer glücklichen Sklavin ihrer Retterin gemacht hatten.


Gebet
Erhabene Mutter Gottes und meine Mutter Maria! Ich bin nicht wert, deinen Namen auszusprechen; du aber, die mich liebt und mein Heil begehrt, verleihe mir trotz meiner unreinen Zunge, daß ich allezeit deinen heiligsten und mächtigsten Namen zu meiner Hilfe anrufen kann; denn dein Name ist Hilfe im Leben und Rettung im Tod. O reinste Maria, o süßeste Maria! Bewirke, daß von jetzt an dein Name der Atem meines Lebens sei. Säume nicht o Herrin, mir allezeit zu helfen, so oft ich dich anrufe; in allen Versuchungen, die mich bedrängen, und in allen Nöten, die mich treffen werden, will ich nicht unterlassen, dich zu rufen und immer zu wiederholen: Maria! Maria! So hoffe ich zu tun im Leben, so hoffe ich es besonders im Sterben zu tun, um danach im Himmel deinen geliebten Namen ewig zu loben, o gütige, o süße, o milde Jungfrau Maria! O Maria, o liebenswürdigste Maria! Welchen Trost, welche Süßigkeit, welches Vertrauen, welche Zärtlichkeit empfindet meine Seele, wenn ich dich nur nenne, wenn ich nur an dich denke.

Ich danke meinem Gott und Herrn, daß Er dir zu meinem Heil den so süßen, so liebenswürdigen, so mächtigen Namen gegeben hat. Aber meine liebe Frau, ich bin nicht zufrieden, deinen Namen nur zu nennen; ich will ihn nennen aus Liebe; ich will, daß die Liebe mich erinnere zu jeder Stunde dich zu rufen, so daß ich mit dem hl. Anselm von Lucca sprechen kann: „Meine Liebe ist der Name der Mutter Gottes!” O meine liebe Mutter Maria, o mein geliebter Jesus, eure süßesten Namen sollen allezeit in meinem und aller Menschen Herzen leben! Möge mein Verstand alle anderen Namen vergessen, wenn ich nur euere hochgebenedeiten Namen behalte und allezeit anrufe. O Jesus, mein Erlöser, und Maria meine Mutter! Kommt einmal der Augenblick des Todes, da meine Seele scheiden muß aus diesem Leben, o dann verleiht mir um eurer Verdienste willen die Gnade, zu sprechen und zu wiederholen: Ich liebe euch, o Jesus und Maria! Jesus und Maria, euch schenke ich mein Herz und meine Seele. Amen.

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Gebete einiger Heiligen zur Mutter Gottes

(Die Gebete sind nicht nur für den Gebrauch, sondern auch um die große Übereinstimmung der Heiligen im Glauben an die Macht und Barmherzigkeit Mariens sowie das Vertrauen auf ihren mächtigen Schutz zu erkennen. Hl. Alfons)

Gebet des hl. Ephräm
O unbefleckte und ganz reine Jungfrau Maria, Mutter Gottes, Königin der Welt, unsere gütigste Herrin, du bist erhöht über alle Heiligen, du die einzige Hoffnung der Väter, du das Frohlocken der Gerechten. Durch dich sind wir versöhnt mit unserem Gott. Du bist die einzige Fürsprecherin der Sünder, der sichere Hafen der Schiffbrüchigen. Du bist der Trost der Welt, das Lösegeld der Gefangenen, die Freude der Kranken, die Wonne der Betrübten, die Zuflucht und das Heil der ganzen Welt. O große Herrin, Mutter Gottes, beschirme uns mit den Flügeln deiner Barmherzigkeit, habe Mitleid mit uns. Keine andere Hoffnung ist uns gegeben als dich, o reinste Jungfrau! Dir sind wir geschenkt und deinem Dienst geweiht, deiner Diener Namen tragen wir; laß nicht zu, daß Luzifer uns in die Hölle ziehe.

O unbefleckte Jungfrau, wir stehen unter deinem Schutz und flüchten uns zu dir allein flehend, du magst verhüten, daß dein Sohn, erzürnt über unsere Sünden, uns der Gewalt des Teufels überlasse.

O Gnadenvolle, erleuchte meinen Verstand, löse meine Zunge, damit ich dein Lob singe und besonders den englischen Lobgesang (Ave Maria), der dir so sehr gebührt. Ich grüße dich, o Friede, o Freude, o Trost der ganzen Welt. Ich grüße dich du größtes Wunder in der Welt, Wonne des Paradieses, sicherer Hafen in jeder Gefahr, Quell der Gnaden, Mittlerin zwischen Gott und den Menschen.

 

Gebet des hl. Bernhard
Wir erheben zu dir, o Königin der Welt, unsere Augen. Nach so vielen Sünden müssen wir vor unserem Richter erscheinen; wer wird Ihn versöhnen? Niemand vermag es mehr als du, o hl. Frau, die du Ihn so sehr geliebt und von Ihm so zärtlich geliebt bist. Höre also, Mutter der Barmherzigkeit, mit deinem Herzen unser Seufzen und Flehen. Wir flüchten unter deinen Schutz; besänftige den Zorn deines Sohnes und bring uns in seine Gnade zurück. Du stößt den Sünder nicht von dir, ist er auch noch so beschmutzt, du verwirfst ihn nicht, wenn er zu dir seufzt und reuig deine Vermittlung erfleht. Mit barmherziger Hand rettest du ihn vor der Verzweiflung. Du ermutigst ihn zu hoffen, stärkst und verläßt ihn nicht, bis du ihn mit seinem Richter versöhnt hast. Du allein bist die Jungfrau, in welcher der Heiland seine Ruhestätte gefunden und ohne Maß alle seine Schätze niedergelegt hat. Die ganze Welt ehrt darum, o hl. Herrin, deinen jungfräulichen Schoß als den Tempel Gottes, in dem das Heil der Welt seinen Anfang genommen. Dort geschah die Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen. Du bist der verschlossene Garten, o erhabene Gottesgebärerin, wohin nie die Hand des Sünders gelangte, um die Blüte zu knicken.

Du bist das Paradies, in den Gott alle Blumen gepflanzt hat, welche die Kirche zieren, so das Veilchen deiner Demut, die Lilie deiner Reinheit, die Rose deiner Liebe. Mit wem sollen wir dich vergleichen, o Mutter der Gnade und Schönheit? Du bist das Paradies Gottes. Von dir geht aus der Quell des lebendigen Wassers, der die ganze Erde bewässert. O wie viele Wohltaten hast du der Welt gebracht, da du es verdient hast, der Kanal des Heiles zu werden.

Von dir heißt es: „Wer ist die, die da aufsteigt wie die Morgenröte, schön wie der Mond, auserlesen wie die Sonne?”
(Hl 6,9) Du bist in die Welt gekommen, Maria, wie die leuchtende Morgenröte, indem das Licht deiner Heiligkeit dem Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit voranging. Der Tag, an dem du in der Welt erschienen, kann mit Recht der Tag des Heiles, der Tag der Gnade genannt werden. Du bist schön wie der Mond; denn wie kein Planet der Sonne ähnlicher ist, so ist kein Geschöpf Gott so ähnlich wie du. Der Mond erhellt die Nacht mit dem Licht, das er von der Sonne empfängt, und du erleuchtest unsere Finsternis mit dem Glanz deiner Tugenden. Doch du bist schöner als der Mond; denn an dir findet sich weder Makel noch Schatten. Du bist auserlesen wie die Sonne, ich meine jene Sonne, welche die Sonne geschaffen hat: Jesus ist der Auserwählte aus allen Menschen und du die Gesegnete aus allen Frauen. O süße, o große, o ganz liebenswürdige Maria, kein Herz vermag deinen Namen hervorzubringen, ohne daß du es mit deiner Liebe entzündest; wer dich liebt, kann nicht an dich denken, ohne zu größerer Liebe sich bewegt zu fühlen. O hl. Herrin hilf unserer Schwäche! Wer kann besser bei unserem Herrn Jesus Christus für uns sprechen als du, die du als die Ihm nächste seines süßesten Umganges dich erfreust? Sprich also, sprich, o Herrin, dein Sohn horcht auf dich und gewährt dir alles, um was du bittest.

 

Gebet des hl. Germanus von Konstantinopel
O meine Herrin, mein einziger Trost, den ich von Gott empfange; du allein bist der himmlische Tau, der Linderung meinen Leiden bringt; du das Licht meiner Seele, wenn Finsternis sie umgibt; du mein Führer auf der Pilgerschaft; du Stärke meiner Schwachheit; du Reichtum meiner Armut; du Heilung meiner Wunden, du Trost meiner Trübsal; du Zuflucht in meinem Elend; du Hoffnung meines Heiles, erhöre mein Flehen, habe Erbarmen mit mir, wie es der Mutter eines Gottes zukommt, der solche Liebe zu den Menschen trägt. Gewähre, was ich bitte, du unser Schutz, unsere Freude. Mach mich würdig, mit dir jener großen Seligkeit mich zu erfreuen, die du im Himmel genießt. Ja, meine Gebieterin, meine Zuflucht, mein Leben, meine Hilfe, mein Schutz, meine Stärke, meine Freude, meine Hoffnung! Bewirke, daß ich zu dir in den Himmel komme. Ich weiß, daß du als die Mutter Gottes, wenn du willst, mir dies erlangen kannst. O Maria, du bist allmächtig, die Sünder zu retten, du bedarfst keiner anderen Unterstützung, weil du die Mutter des wahren Lebens bist.

 

Gebet des Abtes von Celles
Ziehe mich dir nach, o Jungfrau Maria, auf daß ich dem Duft deiner Wohlgerüche nacheile. Ziehe mich, denn meine Sündenlast und meiner Feinde Bosheit halten mich zurück. Wie niemand zu deinem Sohn kommt, den der himmlische Vater nicht zieht, so wage ich auch von dir zu sagen, daß niemand zu Ihm kommt, den du nicht durch deine hl. Fürbitten hinziehst. Du lehrst uns die wahre Weisheit; du erlangst den Sündern die Gnade, die du ihre Fürsprecherin bist, du verheißt deinen Verehrern die Herrlichkeit, denn du bist die Schatzmeisterin der Gnaden. O süßeste Jungfrau, du hast Gnade gefunden bei Gott; du bist vor der Erbsünde bewahrt geblieben; du bist voll des Hl. Geistes und hast den Sohn Gottes empfangen. Alle diese Gnaden hast du empfangen, o demütigste Maria, nicht für dich allein, sondern auch für uns, damit du uns in allen Nöten beistehst. Und das tust du auch; du hilfst den Guten, in der Gnade sie erhaltend, den Bösen, sie zur göttlichen Barmherzigkeit zurückführend; du hilfst den Sterbenden durch deinen Schutz gegen die Nachstellungen des Teufels, und hilfst ihnen auch nach dem Tod, indem du ihre Seelen aufnimmst
und in das Reich der Seligen führst.



Gebet des hl. Methodius
Dein Name, o Mutter Gottes, ist aller Gnaden und Segnungen voll. Du hast den umschlossen, der unermeßlich ist, und den genährt, der alles nährt. Der Himmel und Erde erfüllt und alles beherrscht, wollte deiner bedürfen, indem du Ihm das Gewand des Fleisches gegeben, das Er vorher nicht besaß. Freue dich, o Mutter und Magd deines Gottes. Ja, freue dich, freue dich, du hast den zum Schuldner, der allen Kreaturen das Dasein gibt. Wir alle sind Gottes Schuldner, Gott aber ist dein Schuldner. Darum hast du, o heiligste Mutter Gottes, mehr Güte und mehr Liebe als alle anderen Heiligen und mehr als alle hast du im Himmel Zutritt bei Gott, da du seine Mutter bist. Wir, die wir deine Herrlichkeit lobpreisen und die Größe deiner Güte erkennen, bitten dich, unser und unseres Elendes eingedenk zu sein.

 

Gebet des hl. Johannes von Damaskus
Ich grüße dich, o Maria, du Hoffnung der Christen. Erhöre die Bitten eines Sünders, der dich zärtlich liebt, dich besonders ehrt und auf dich alle Hoffnung seines Heiles setzt. Von dir habe ich das Leben, du hast mich wieder in den Stand der Gnade deines Sohnes gesetzt. Du bist das sichere Unterpfand meiner Seligkeit. Darum flehe ich zu dir, du wollest mich befreien von meiner Sündenlast. Zerstreue die Finsternis meines Geistes, vertreibe die irdischen Neigungen aus meinem Herzen, halte zurück die Versuchungen meiner Feinde und leite so mein Leben, daß ich durch deine Vermittlung und unter deiner Leitung zur ewigen Seligkeit im Himmel gelange.



Gebet des hl. Andreas von Kreta oder von Jerusalem
Ich grüße dich, du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir! Ich grüße dich, du Ursache unserer Freude, durch die das Urteil unserer Verdammung zurückgenommen und in ein Urteil des Segens verwandelt worden ist. Ich grüße dich, du Tempel der Herrlichkeit Gottes, du hl. Wohnstätte des Königs der Himmel. Du bist die Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen. Ich grüße dich, du Mutter unserer Freude. Du bist fürwahr gebenedeit, denn du allein bist unter den Frauen würdig erfunden worden, die Mutter deines Schöpfers zu sein. Alle Völker preisen dich selig. O Maria, wenn ich auf dich mein Vertrauen setze, werde ich selig werden; bin ich unter deinem Schutz, dann habe ich nichts zu fürchten; wer dich andächtig verehrt, der hat sichere Waffen des Heiles, die Gott nur denen verleiht, die Er selig machen will.

O Mutter der Barmherzigkeit, versöhne uns mit deinem Sohn. Als du auf Erden lebtest, warst du in Verborgenheit; jetzt aber bist du erhöht bis zum höchsten Himmel und die ganze Welt betrachtet dich als den Gnadenthron für alle Völker. Darum bitten wir dich, heiligste Jungfrau, stehe uns bei durch deine Fürsprache bei Gott; deine Fürsprache ist uns teurer und kostbarer als alle Schätze der Welt; deine Fürbitte macht Gott gnädig gegen unsere Sünden und erlangt uns überfließende Gnade der Verzeihung und Gottseligkeit; deine Fürbitten halten unsere Feinde zurück, verwirren ihre Anschläge und triumphieren über ihre Gewalt.



Gebet des hl. Ildephons
Ich komme zu dir, o Mutter Gottes, und flehe, du wollest mir Verzeihung meiner Sünden erlangen und vollbringen, daß ich gereinigt werde von jeder Schuld meines Lebens. Ich bitte dich um die Gnade, in Liebe mit deinem Sohn und mit dir vereinigt zu sein, mit deinem Sohn als meinem Gott und mit dir als der Mutter meines Gottes.

 

Gebet des hl. Athanasius
Höre unser Flehen, heiligste Jungfrau, und gedenke unser! Gib uns Geschenke aus den Schätzen und dem Überfluß der Gnaden, von denen du voll bist. Der Erzengel grüßt und nennt dich voll der Gnade; alle Völker preisen dich selig; alle hl. Ordnungen im Himmel benedeien dich, und wir, die wir zur irdischen Hierarchie gehören, auch wir sagen, sei gegrüßt du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir, bitte für uns, Mutter Gottes, unsere Herrin und unsere Königin.

 

Gebet des hl. Anselm
Wir bitten dich, o heiligste Herrin, durch die Gnade, in der dich Gott so sehr erhöht und dir alles, wie Er selbst, zu vollbringen verliehen hat, bewirke nach der von dir verdienten Gnadenfülle, daß wir deiner Herrlichkeit teilhaft werden. Sorge, o barmherzigste Herrin, daß wir das Heil erlangen, um dessentwillen Gott sich gewürdigt hat, in deinem jungfräulichen Schoß Mensch zu werden. Laß es dich nicht verdrießen, uns zu erhören. Wenn du deinen Sohn bitten willst, so wird Er alsbald dich erhören. Es genügt, daß du unser Heil willst; dann ist es unmöglich, daß wir nicht selig werden. Wer vermöchte deine mildesten Erbarmungen zu verkürzen? Wenn du mit uns kein Mitleid hast, du die Mutter der Barmherzigkeit, was soll dann aus uns werden, wenn dein Sohn, um zu richten, erscheinen wird?

Komme uns also zu Hilfe, o liebevollste Herrin, und siehe nicht auf die Menge unserer Sünden. Gedenke immer wieder, daß unser Schöpfer einen menschlichen Leib aus dir angenommen hat, nicht um die Sünder zu verdammen, sondern um sie zu retten. Wärst du nur zu deinem Besten Mutter Gottes geworden, dann dürfte man sagen, du seist wenig bekümmert, ob wir selig oder verdammt werden; Gott hat es aber zu deinem und aller Menschen Heil das Gewand der Menschheit angenommen. Was würde es uns nützen, daß du so mächtig und so glorreich bist, wenn du uns deiner Seligkeit nicht teilhaftig machst? Hilf uns und beschütze uns; du weißt, wie notwendig uns dein Beistand ist. Wir empfehlen uns dir; laß uns nicht zugrunde gehen, sondern mache, daß wir deinem Sohn dienen und Ihn ewig lieben.

 

Gebet des hl. Petrus Damianus
Heiligste Jungfrau, Mutter Gottes! Komm denen zu Hilfe, die um deinen Beistand dich anflehen. Wende dich zu uns. Wie könntest du, so nahe zu Gott erhöht, der Menschen vergessen? Nein, gewiß nicht! Du weißt ja, in welchen Gefahren du uns gelassen, du kennst den elenden Zustand deiner Diener; nein, nimmer ziemt es sich einer Barmherzigkeit, so groß wie deine, nicht zu gedenken eines Elendes, so groß wie das unsere. Wende dich mit deiner Macht zu uns; denn der da mächtig ist, hat dir die Allmacht verliehen im Himmel und auf Erden. Dir ist nichts unmöglich; denn du vermagst auch die Verzweifelnden zur Hoffnung ihres Heiles zu erheben. Je mächtiger du bist, um so barmherziger mußt du auch sein. Wende auch in deiner Liebe dich zu uns! Ich weiß, meine liebe Frau, du bist voll Güte und liebst uns mit einer Liebe, die von keiner Liebe übertroffen werden kann. Wie oft besänftigst du den Zorn unseres Richters, wenn Er im Begriff steht, uns zu strafen! Alle Schätze der göttlichen Barmherzigkeit sind in deiner Hand. Ach, nie möge es geschehen, daß du aufhörst, uns Gutes zu erzeigen. Du suchst nur Gelegenheit alle Elenden zu erretten und über alle deine Erbarmungen auszugießen. Es ist ja Mehrung deiner Herrlichkeit, wenn durch deine Vermittlung die Büßer Versöhnung und die Versöhnten den Himmel erlangen. Wende dich also zu uns, damit wir zu deiner Anschauung im Himmel gelangen; die größte Herrlichkeit, die wir besitzen können, ist, dich nächst Gott zu schauen, dich zu lieben, und unter deinem Zepter zu stehen. Ach, erhöre uns; denn dein Sohn will dich damit ehren, daß Er dir keine Bitte verweigert.

 

Gebet des hl. Erzbischofs Wilhelm
O Mutter Gottes, ich komme zu dir und beschwöre dich, mich nicht zu verstoßen; denn die ganze Kirche nennt und verkündet dich als die Mutter der Barmherzigkeit. Du bist Gott so teuer, daß Er dich allezeit erhört; deine Mutterliebe hat keinem je gefehlt, deine gütigste Milde hat nie einen Sünder verachtet, der sich dir empfohlen, wie groß auch seine Sünden waren. Oder sollte fälschlich und umsonst die hl. Kirche dich ihre Sachwalterin und die Zuflucht der Elenden nennen? Nein! Nie möge mein Verschulden dich zurückhalten, dein erhabenes Amt der Erbarmung als die Fürsprecherin und Mittlerin des Friedens, als die einzige Hoffnung und sicherste Zuflucht der Elenden zu erfüllen. Nie geschehe, daß die Mutter Gottes, die zum Heil der ganzen Welt den Quell der Barmherzigkeit geboren, ihre Erbarmung einem Elenden zu verweigern hätte, der zu ihr seine Zuflucht nimmt. Dein Amt ist es, die Friedensstifterin zu sein zwischen Gott und den Menschen; deine große Barmherzigkeit, die alle meine Sünden so weit übersteigt, bewege dich also zu meiner Hilfe.

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2. Teil - Die sieben Hauptfeste Mariens

1. Kap. - Die Unbefleckte Empfängnis Mariens - 8. Dez.

Es entsprach der Heiligkeit der drei göttlichen Personen,
Maria vor der Erbsünde zu bewahren

Unermeßlich ist das Verderben, das Adam sich und dem ganzen Menschengeschlecht durch seinen unseligen Fall zugezogen hat; denn mit der Gnade verlor er auch alle anderen Gaben, mit denen er anfangs ausgestattet war, und zog auf sich und alle seine Nachkommen mit dem Zorn Gottes die Fülle aller Übel herab. Von diesem allgemeinen Unheil jedoch wollte Gott jene gebenedeite Jungfrau ausnehmen, die Er zur Mutter des zweiten Adam, Jesus Christus, bestimmt hatte, der den vom ersten angerichteten Schaden wieder gutmachen sollte. Betrachten wir nun, wie sehr es der Heiligkeit Gottes und der drei göttlichen Personen entsprach, Maria als die Tochter des Vaters, als die Mutter des Sohnes und als die Braut des Hl. Geistes davor zu bewahren.

In erster Reihe also entsprach es der Heiligkeit des ewigen Vaters zu bewirken, daß Maria vom Makelder Erbsünde frei blieb, weilsie seine Tochter und zwar erstgeborene Tochter war, wie sie selbst bezeugt: „Ich bin aus dem Mund des Allerhöchsten hervorgegangen, zuerst gezeugt vor aller Schöpfung” (Sir 24,5), was die hl. Schriftausleger, hl. Kirchenväter und die hl. Kirche selbst gerade am Fest ihrer Empfängnis als auf Maria sich beziehen. Mag nun Maria mit der Schule des hl. Johannes Duns Scotus die Erstgeborene überhaupt genannt werden, weil in dem ewigen Ratschluß Gottes zugleich mit ihrem Sohn als die Erste vor und über allen Kreaturen vorherbestimmt, oder mit der Schule des hl. Thomas „Erstgeborene der Gnade”, weil sie von Gott zur Mutter des Erlösers nach seiner Voraussicht des Sündenfalles vorherbestimmt: Beide Schulen treffen in dem Namen „Erstgeborene Gottes” zusammen. Diesem Vorrang Mariens als der Erstgeborenen Gottes war es vollkommen entsprechend, daß sie niemals eine Sklavin Luzifers, sondern immer und ausschließlich Eigentum ihres Schöpfers war; wie dies in Wirklichkeit nach ihren eigenen Worten sich also verhielt: „Der Herr besaß mich vom Anfang seiner Wege.” (Spr 8,22) Mit Recht wird darum Maria von Dionysius, Erzbischof von Alexandria, „die eine und einzige Tochter des Lebens” genannt, zum Unterschied von den anderen, die in der Sünde geborene Töchter des Todes sind.
[Der hl. Johannes Dun Scotus lehrte, daß Maria von der Erbsünde bewahrt wurde.
Die hl. Albert und Thomas sagten, daß sie gleich nach / bei der Empfängnis geheiligt wurde, dann wäre es keine ganz unbefleckte Empfängnis.]


Ferner war es der Heiligkeit Gottes des Vaters entsprechend, Maria in seiner Gnade zu erschaffen, da Er sie, nach dem ausdrücklichen Zeugnis der Väter, zur Wiederherstellerin der verlorenen Welt und zur Friedensmittlerin zwischen den Menschen und Gott vorherbestimmt hatte. So spricht sich besonders der hl. Johannes von Damaskus aus, wenn er sagt: „O gebenedeite Jungfrau, du bist geboren, um zum Heil des ganzen Erdkreises mitzuwirken.” Und der hl. Bernhard lehrt, daß Maria durch die Arche Noe vorgebildet war; denn wie durch diese die Menschen aus der Sündflut gerettet wurden, so werden wir durch Maria aus dem Schiffbruch der Sünde gerettet, jedoch mit dem Unterschied, daß mittels der Arche nur wenige bewahrt wurden, durch Maria aber viele gerettet werden. Darum wird Maria von dem hl. Athanasius „die neue Eva, die Mutter des Lebens” - genannt. Neue Eva, weil die erste eine Mutter des Todes war, die allerseligste Jungfrau aber eine Mutter des Lebens ist. Der hl. Theophanes, Bischof von Nizäa, nennt sie: „Sei gegrüßt, die du Evas Trauer hinweggenommen”, der hl. Basilius von Seleukia: „Sei gegrüßt, du Friedensstifterin zwischen Gott und den Menschen”, der hl. Ephräm: „Sei gegrüßt, du Mittlerin der ganzen Welt!”

Nun aber ziemt es sich für einen Mittler des Friedens gewiß nicht, daß er selber ein Feind des Beleidigten und noch viel weniger, daß er ein Mitschuldiger an demselben Verbrechen sei. Der hl. Gregor sagt, daß ein Feind des Richters nicht zu ihm gehen könne, ihn zu versöhnen, sonst würde er den Richter, statt zu besänftigen, nur noch mehr erzürnen. So sprechen also alle Gründe dafür, daß, Maria die Mittlerin des Friedens zwischen den Menschen und Gott, nicht auch eine Sünderin und Feindin Gottes ist, sondern ganz seine Freundin und rein von aller Schuld. Weiterhin entsprach es der Heiligkeit Gottes, Maria vor der Erbschuld zu bewahren, weil Er sie bestimmte, der höllischen Schlange den Kopf zu zertreten, die durch Verführung der Stammeltern allen Menschen den Tod gebracht hat, wie schon der Herr ihr vorhergesagt: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, deinem Samen und ihrem Samen; sie wird dir das Haupt zertreten.” (Gen 3,15) Wenn demnach Maria als die starke Frau in die Welt gestellt sein sollte, um Luzifer zu überwinden, so konnte es gewiß nicht angehen, daß sie selbst zuvor von Luzifer besiegt und zu seiner Sklavin gemacht wurde; sondern es war im Gegenteil erforderlich, daß sie von jeder Makel und jeder Unterwerfung unter den Feind ausgenommen war. Es suchte zwar der stolze Geist, gleichwie er mit seinem Gift das ganze Menschengeschlecht angesteckt hatte, auch die reinste Seele dieser Jungfrau damit anzustecken; aber ewig sei gelobt die Güte Gottes, die zu diesem Zweck ihr mit soviel Gnade zuvorkam, daß sie bewahrt vor aller Schuld, seinen Stolzniederschlagen und beschämen konnte wie dies der hl. Augustinus, oder wer sonst der Verfasser des Kommentars über die Genesis sein mag, beschreibt, wenn er sagt: „Da der Teufel das Haupt der Erbsünde ist, so hat Maria dieses Haupt zertreten, weil keine Art von Unterwerfung unter die Sünde den Zutritt in die Seele der Jungfrau hatte, und sie darum von jeder Befleckung frei geblieben ist.” Noch deutlicher drückt sich der hl. Bonaventura aus: „Es geziemte sich, daß die allerseligste Jungfrau Maria, durch die von uns die Schmach hinweggenommen wird, den Teufel besiegte und ihm auch nicht einen Augenblick unterlag.”

Doch der wichtigste und vornehmste Grund, warum es der Heiligkeit Gottes des ewigen Vaters so sehr entsprach, diese seine Tochter unversehrt von Adams Schuld zu erhalten, war, weil sie zur Mutter seines Eingeborenen bestimmt war. „Du warst vor jeder Kreatur im Ratschluß Gottes vorherbestimmt, um Gott selbst als Menschen zu gebären”, sagt der hl. Bernhardin von Siena. Wenn also aus keiner anderen Ursache, so wäre es für Gott den Vater allein schon um der Ehre Gottes seines Sohnes willen ein Grund gewesen, Maria rein von jedem Makel zu erschaffen. Der englische Lehrer, der hl. Thomas, sagt, daß alle Dinge, die für Gott bestimmt sind, heilig und rein von allem Makel sein müssen. „Die Heiligkeit kommt jenen Dingen zu, die zu Gott in Beziehung stehen» Darum sprach David, als er den Plan zum Tempel von Jerusalem mit jener Pracht entwarf, wie sie dem Herrn gebührte: „Nicht einem Menschen wird eine Wohnung bereitet, sondern Gott.” (1 Chr 29,1) Wie viel mehr Ursache haben aber wir zu glauben, daß der höchste Schöpfer, in Vorherbestimmung Mariens zur Mutter seines eigenen Sohnes, ihre Seele mit allen erhabensten Zierden schmücken mußte, auf daß sie die würdige Wohnung eines Gottes werde! Dies bestätigt Dionysius der Karthäuser mit den Worten: „Um seinem Sohn eine würdige Wohnung zu bereiten, schmückte Er sie mit der Fülle aller gottgefälligen Gaben.” Und die hl. Kirche selbst versichert uns dies, da sie bezeugt, daß Gott den Leib und die Seele der Jungfrau bereitete, um die würdige Wohnung seines Eingeborenen zu sein. „Allmächtiger ewiger Gott, der Du den Leib und die Seele der seligsten Jungfrau durch Mitwirkung des Hl. Geistes zu einer würdigen Wohnung deines eingeborenen Sohnes bereitet hast...”

Der erste Vorzug für Kinder ist bekanntlich eine edle Herkunft. „Die Ehre der Söhne sind ihre Väter.”
(Spr 17,6) Darum gilt es in der Welt als ein kleineres Übel, für arm an Glücksgütern und Gelehrsamkeit zu gelten, als von unedler Herkunft zu sein; denn der Arme kann reich durch Arbeitsamkeit, der Unwissende gelehrt durch Studium werden; wer aber niedriger Herkunft ist, erschwingt sich schwer zu vornehmem Stand, und kommt er je dazu, so geschieht es meist, daß der alte Mangel seiner Herkunft ihm vorgehalten wird. Wie mag man also denken, daß Gott, der seinen Sohn von einer edlen, vor aller Schuld bewahrten Mutter geboren lassen werden konnte, gewollt habe, daß Er von einer sündebefleckten Mutter geboren werde, womit Er zugelassen hätte, daß Luzifer immerdar die Schmach Ihm hätte vorwerfen können, Er sei von einer Mutter geboren, die seine Sklavin war, und eine Feindin Gottes? Nein! Dies hat Gott fürwahr nicht zugelassen, sondern im Gegenteil bewahrte Er sehr gut die Ehre seines Sohnes, indem Er bewirkte, daß Maria, um die würdige Mutter eines solchen Sohnes zu werden, allzeit rein und unbefleckt blieb. Dies bezeugt auch die griechische Kirche: „Durch besondere Vorsehung bewirkte Gott, daß die allerseligste Jungfrau vom ersten Augenblick ihres Lebens so durchaus rein war, wie es sich für diejenige schickte, die eine Christi würdige Mutter werden sollte.”

Es gilt unter den Gottesgelehrten als unbestreitbare Wahrheit, daß keinem Geschöpf je eine Gabe verliehen wurde, mit der nicht auch die allerseligste Jungfrau ausgestattet war. Der hl. Bernhard sagt: „Es wäre gewiß ein Unrecht, auch nur zu denken, daß der allerseligsten Jungfrau irgendeine Gabe nicht verliehen worden sei, die einzelne andere Sterbliche in Wirklichkeit empfangen hatten”; und der hl. Thomas von Villanova: „Nichts ist je einem Heiligen verliehen worden, was nicht in Maria vom Anfang ihres Lebens in reichster Fülle hervorleuchtete.” Und da in Wahrheit zwischen der Mutter Gottes und den Dienern Gottes, nach dem berühmten Ausspruch des hl. Johannes von Damaskus, ein unendlicher Abstand ist, so ist für gewiß anzunehmen, was der hl. Thomas lehrt, daß nämlich der Mutter Gottes höhere Vorzüge der Gnade jeder Art gebühren, als den Dienern Gottes.

Dies vorausgesetzt, frage ich nun mit dem hl. Anselm, dem großen Verteidiger der unbefleckten Jungfrau: „War etwa die Weisheit Gottes unvermögend eine reine Wohnung zu erbauen mit Fernhaltung jeder Makel menschlicher Gebrechlichkeit? Konnte Gott die Engel des Himmels vor der Schuld bewahren, in die ein Teil derselben fiel, sollte Er dann nicht auch die Mutter seines Sohnes unberührt von der Sünde des Menschengeschlechtes erhalten können?” Hat Gott, behaupte ich weiter, Eva die Gnade verleihen können, unbefleckt auf die Welt zu kommen, sollte Er nicht auch im Stande sein Maria diese Gabe zu verleihen? Ja, es geschah!

Was Gott zu tun vermochte, das hat Er auch getan; denn in jeder Hinsicht entsprach es seiner Heiligkeit wie der hl. Anselm sagt, „daß die Jungfrau, der Gott seinen einzigen Sohn zu geben beschloß, in solcher Reinheit erglänze, wie eine größere nach Gott sich nicht denken läßt”, die also die Reinheit aller Engel und Menschen übertrifft. Noch bestimmter drückt sich der hl. Johannes von Damaskus aus: „Zugleich mit dem Leib hat Er auch die Seele der Jungfrau bewahrt, wie es derjenigen gebührte, die Gott in ihrem Schoß empfangen sollte; denn da Er heilig ist, so ruht Er in den Heiligen.” Und so konnte der ewige Vater wohl zu dieser geliebten Tochter sprechen: „Wie die Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern”
(Hl 2,2), d. h. unter allen anderen meinen Töchtern bist du wie eine Lilie unter den Dornen, denn diese sind alle von Sünde befleckt; aber du warst immer unbefleckt und immer meine Freundin.

II. Zweitens war es der Heiligkeit Gottes des Sohnes gemäß, Maria als seine Mutter vor der Schuld zu bewahren. Allen anderen Söhnen ist es nicht gestattet, die Mutter sich nach ihrem Gefallen zu wählen; aber wenn dies jemals Einem vergönnt wäre, wer wollte sich, so er zur Mutter eine Königin haben könnte, eine Sklavin wählen? Wenn er eine edle haben könnte, eine gemeine? Wenn er eine Freundin Gottes haben könnte, eine Feindin Gottes? Wenn also allein der Sohn Gottes die Mutter sich erwählen konnte, so muß man doch für gewiß annehmen, daß Er eine wählte, wie sie seiner Heiligkeit als der Gottes entsprechend war.

Der hl. Bernhard sagt: „Der Schöpfer der Menschen mußte, da Er von einem Menschen geboren werden wollte, sich eine solche Mutter wählen, von der Er wußte, daß sie sich für Ihn schicke.” Und da es der unendlichen Reinheit Gottes allein entsprach, eine von jeder Schuld bewahrte Mutter zu besitzen, so erschuf Er sich auch eine solche. Dies bestätigt der hl. Bernhardin von Siena mit den Worten: „Die Maria als der Mutter Gottes gebührende Heiligkeit schließt jeden Makel der Erbsünde aus. Diese Heiligkeit besaß Maria; denn in Wahrheit hat sich Gott sowohl in Rücksicht der natürlichen Vorzüge, als wie der Vollkommenheit der Gnadengaben eine solche Mutter bereitet, wie Ihm gebührte, eine Mutter zu besitzen.”

Es finden hier die Worte des hl. Apostels auch ihre Anwendung, wenn er vom heiligsten Erlöser an die Hebräer schreibt: „Einen solchen Hohenpriester mußten wir haben, heilig, unschuldig, unbefleckt, getrennt von den Sündern.” (Hebr 7,26) Der hl. Thomas gibt die Erklärung: „Der, welcher kam, um die Sündenwegzunehmen, mußte von den Sündern abgesondert sein in Beziehung auf die Schuld, der Adam unterworfen war.” Aber wie konnte Jesus Christus von den Sündern getrennt heißen, wenn Er eine sündige Mutter hätte?

Der hl. Ambrosius sagt: „Nicht von der Erde, sondern vom Himmel erwählte sich Christus das Gefäß, durch das Er herabsteigen wollte, und heiligte sich einen Tempel der Reinheit.” Damit spielt der Heilige auf das Wort des hl. Paulus an: „Der erste Mensch ist irdisch von der Erde, der zweite himmlisch vom Himmel.” (1 Kor 15,47) Der hl. Ambrosius nennt die göttliche Mutter ein himmlisches Gefäß, nicht als ob Maria der Natur nach nicht von dieser Erde gewesen wäre, wie gewisse Irrlehrer geträumt haben, sondern himmlisch der Gnade nach, weil sie die Engel des Himmels an Heiligkeit und Reinheit übertraf, wie sich dies für einen König der Glorie geziemte, der in ihrem Schoß wohnen wollte. Dies offenbarte Johannes der Täufer der hl. Birgitta mit den Worten: „Es war nicht geziemend, daß der König der Glorie in einem anderen als im reinsten, vor allen Menschen und Engeln auserlesensten Gefäß ruhte.” Damit trifft zusammen, was diese Heilige vom ewigen Vater vernehmen durfte: „Maria war ein reines Gefäß, und war es auch nicht: sie war es, weil ganz ohne Makel, sie war es nicht, weil von Sündern abstammend; wenn schon ohne Sünde empfangen, auf daß mein Sohn ohne Sünde von ihr geboren würde.” Und man bemerke diese letzten Worte, daß nämlich Maria ohne Sünde empfangen war, damit von ihr schuldlos der göttliche Sohn geboren würde. Nicht als ob Jesus Christus fähig gewesen wäre, die Schuld sich zuzuziehen, sondern damit Er von der Schmach frei bliebe, eine Mutter zu haben, die von der Sünde angesteckt und eine Sklavin des Teufels gewesen.

Im Buch Jesus Sirach heißt es: „Der Ruhm eines Sohnes ist die Ehre seines Vaters und die Schande des Sohnes ist ein ehrloser Vater.”
(Sir 3,13) Deswegen sagt der hl. Augustinus, daß Jesus den Leib Mariens von der Verwesung nach dem Tod bewahrte, weil es Ihm selbst zur Unehre gereicht hätte, wenn das jungfräuliche Fleisch, mit dem Er sich bekleidet hatte, von der Fäulnis verdorben worden wäre. Hätte also für Jesus Christus die Geburt aus einer der Verwesung des Leibes unterworfenen Mutter zur Unehre gereicht, um wieviel mehr die Geburt aus einer Mutter mit einer von der Fäulnis der Sünde angesteckten Seele? Überdies ist nach dem Ausspruch des hl. Augustinus das Fleisch Jesu Christi dasselbe wie das Mariens, und wenngleich durch die Herrlichkeit der Auferstehung glorifiziert, ist es doch dasselbe geblieben, das von Maria genommen worden ist, weshalb Arnold von Chartres sagt: „Das Fleisch Mariens und Christi ist eines, und deswegen glaube ich, daß die Glorie des Sohnes nicht nur gemeinschaftlich, sondern eine und dieselbe ist mit der der Mutter.” Wenn nun dies wahr ist, so wäre, wenn je die allerseligste Jungfrau in Sünde empfangen worden wäre, es für den Sohn, auch wenn Er sich die Makel der Sünde nicht zugezogen hätte, doch immer ein Makel geblieben, mit sich das Fleisch vereinigt zu haben, das eine Zeitlang von der Schuld angesteckt, ein Gefäß der Unreinheit und Luzifer unterworfen war.

Maria war nicht bloß Mutter, sondern würdige Mutter des Heilandes. So nennen sie alle hl. Väter. Der hl. Bernhard sagt: „Du allein bist würdig erfunden worden, daß in deinem jungfräulichen Brautgemach der König der Könige sich seine reinste Wohnung erwählte”¸; der hl. Thomas von Villanova: „Bevor sie empfing, war sie schon fähig, die Mutter Gottes zu sein.” Die hl. Kirche selbst bezeugt uns, daß die Jungfrau verdiente, Mutter Jesu Christi zu sein: „Die selige Jungfrau, deren Schoß verdiente, Christus, den Herrn, zu tragen.” Dies der hl. Thomas von Aquin erklärt:
„Von der seligsten Jungfrau wird gesagt, daß sie verdient habe, den Herrn der Welt zu tragen, nicht weil sie verdient hat, daß Er Fleisch werde, sondern weil sie aus der ihr verliehenen Gnade jenen Grad von Reinheit und Heiligkeit verdiente, daß sie in geziemender Weise die Mutter Gottes sein konnte.” Damit sagt also der englische Lehrer, daß Maria die Menschwerdung des Wortes nicht verdienen konnte, daß sie aber mittels der göttlichen Gnade eine solche Vollkommenheit sich verdient habe, durch die sie die würdige Mutter Gottes geworden ist. Auch der hl. Augustinus schreibt: „Ihre ganz einzige Heiligkeit aus Gnade hat verdient, der Aufnahme Gottes einzig würdig erachtet zu werden.”

Dies nun vorausgesetzt, daß Maria eine würdige Mutter Gottes war. „Welche Erhabenheit”, sagt der hl. Thomas von Villanova, „und welche Vollkommenheit mußten ihr nicht zukommen?” Auch der englische Lehrer stellt den Satz auf, daß, wenn Gott jemanden zu einer Würde erhebe, Er ihn auch fähig dazu mache, und mit Anwendung auf Maria sagt er: „Die selige Jungfrau wurde nach göttlichem Ratschluß erwählt, Mutter Gottes zu sein; und deswegen ist nicht zu zweifeln, daß sie Gott durch seine Gnade hierzu fähig gemacht habe, nach dem Wort:„ Du hast Gnade bei Gott gefunden; siehe, du wirst empfangen.” Und daraus entnahm der Heilige, daß die allerseligste Jungfrau nie eine Sünde, auch nicht eine läßliche begangen hat; denn sonst wäre sie nicht eine würdige Mutter Jesu Christi gewesen, weil die Schande der Mutter auch die des Sohnes geworden wäre, wenn Er eine Sünderin zur Mutter gehabt hätte. Wenn nun Maria schon durch das Begehen einer einzigen läßlichen Sünde, welche die Seele doch noch nicht der göttlichen Gnade beraubt, nicht eine Gottes würdige Mutter gewesen wäre, um wie viel weniger erst, wenn sie der Erbsünde schuldig gewesen wäre, die sie zur Feindin Gottes und zur Sklavin des Teufels gemacht hätte?

Und deshalb sagte der hl. Augustinus in seinem berühmten Satz, daß er bei Maria, wenn er von Sünden spreche, keine Erwähnung tun wolle, zur Ehre jenes Herrn, den sie zum Sohn zu haben verdiente, und um dessentwillen sie die Gnade hatte, die Sünde in jeder Hinsicht zu überwinden. Demnach müssen wir für gewiß erachten, daß das fleischgewordene Wort sich jene Mutter erwählte, die Ihm geziemte, und deren Er, wie der hl. Petrus Damianus sagt, sich nicht zu schämen hatte. Auch der hl. Proclus bezeugt: „In einem Mutterschoß hat Er gewohnt, den Er ohne jede Spur einer Unwürdigkeit erschaffen hatte.”

Keineswegs war es schimpflich für Jesus, sich von Juden spottweise Sohn Mariens nennen zu hören, als den Sohn einer armen Frau: „Heißt nicht seine Mutter Maria?” (Mt 13,55) Er war ja auf die Erde gekommen, um Vorbild der Demut und Geduld zu sein. Ohne Zweifel aber wäre es für Ihn eine Unehre gewesen, wenn Er von den Teufeln hätte hören müssen: War nicht seine Mutter eine Sünderin? Oder ist Er nicht von einer sündhaften Mutter geboren, die eine Zeitlang unsere Sklavin war? Auch wäre es eine Unehre gewesen, wenn Jesus Christus von einer körperlich mißgestalteten oder krüppelhaften, oder von einer Mutter wäre geboren worden, über deren Leib die bösen Geister eine Gewalt gehabt hätten. Um wieviel größer aber wäre die Unehre, von einer auch nur vorübergehend in der Seele mißgestalteten und von Luzifer geistig angefallenen Mutter geboren zu sein?

Doch Gott, der die Weisheit selbst ist, vermochte es wohl, sich zu seiner Wohnung auf Erden das Haus zu erbauen, welches Ihm geziemte. „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut.” (Spr 9,1) „Der Allerhöchste hat sein Zelt geheiligt. Gott wird ihr helfen in früher Morgendämmerung.” (Ps 45,5) „Der Herr”, sagt David, „heiligte diese seine Wohnung in früher Morgendämmerung”, d. h. vom Anfang ihres Lebens an, um sie Seiner würdig zu machen, denn einem heiligen Gott geziemte es nicht, sich ein Haus zu wählen, das Seiner nicht würdig wäre. „Deinem Haus ziemt Heiligkeit.” (Ps 92,5) Und wenn Er erklärt, daß Er nie eingehen werde in eine boshafte Seele und nie wohnen in einem Leib, welcher der Sünde dient (Wsh 1,4), wie könnten wir denken, daß der Sohn Gottes beschlossen habe, im Leib und in der Seele Mariens zu wohnen, ohne sie zuvor zu heiligen und vor jedem Flecken der Sünde zu bewahren! Der hl. Thomas lehrt, daß das ewige Wort nicht bloß in der Seele, sondern auch im Schoß Mariens gewohnt hat.

Die hl. Kirche singt: „ Du hast den Schoß der Jungfrau nicht gescheut.” Ja, wohl hätte Gott sich gescheut, Fleisch anzunehmen im Schoß einer Agnes, einer Gertrud, einer Theresia; denn diese hl. Jungfrauen waren doch eine Zeitlang von der Erbsünde befleckt; aber Mensch zu werden im Schoß Mariens, scheute Er nicht; denn diese von Ewigkeit von Ihm geliebte Jungfrau war immer rein von jedem Makel der Schuld und nie von der feindlichen Schlange in Besitz genommen. Darum sagt der hl. Augustinus: „Keine würdigere Wohnung konnte sich der Sohn Gottes erbauen als Maria, die nie von den Feinden eingenommen, nie ihrer Zierden beraubt worden ist.” Im Gegenteil: „Wer hat je gehört”, sagt der hl. Cyrill von Alexandrien, „daß ein Baumeister sich zu eigenem Gebrauch ein Haus erbaut, es aber zuvor zur Besitznahme seinem Feind abgetreten hätte?”

„Ja”, ruft der hl. Methodius, „der Herr, der uns das Gebot gegeben, die Eltern zu ehren, hat, da Er Mensch wurde, nicht unterlassen, seine Gebote selbst zu beobachten, indem Er seiner Mutter jegliche Gnade und Auszeichnung zuwandte.” Darum sagt der hl. Augustinus, man müsse für gewiß glauben, daß Jesus Christus den Leib Mariens nach dem Tod vor der Verwesung bewahrt habe; denn sonst hätte Er das Gesetz nicht beobachtet, das ebenso die Mutter zu ehren befiehlt, wie es verbietet, sie zu verunehren. Wie wenig also hätte Jesus die Ehre seiner Mutter gewahrt, wenn Er sie nicht vor der Schuld Adams bewahrt hätte!

„Gewiß würde der Sohn sündigen”, sagt der Augustiner, Pater Thomas von Straßburg, „der seine Mutter vor der Erbsünde bewahren könnte, es nicht tun würde.” Dürfte man also annehmen, daß das, was für uns eine Sünde wäre, sich etwa für den Sohn Gottes geziemt hätte, indem Er, obwohl Er es vermochte, doch seine Mutter nicht unbefleckt erhalten hätte? Nein! Hören wir die Worte Gersons: „Da Du, o höchster Herrscher, eine Mutter haben willst, wirst Du ihr gewiß Ehre schulden. Nun aber würde es den Anschein haben, als werde jenes Gesetz nicht gut erfüllt, wenn Du in den Greuel der Erbsünde diejenige eingehen ließest, welche die Wohnstätte aller Reinheit sein soll.”

Nach den bekannten Worten des hl. Bernhardin von Siena ist der Sohn Gottes mehr dazu in die Welt gekommen, um Maria, als um die anderen Kreaturen zu erlösen. Da nun nach Pater Suarez die Erlösung in zweifacher Weise geschehen kann, nämlich in Aufrichtung des bereits Gefallenen und in Bewahrung des nicht Gefallenen, daß er nicht fällt, so ist ohne Zweifel die zweite Art die Höhere, wie der hl. Antonin sagt: „Auf höhere Weise wird erlöst, für wen gesorgt wird, daß er nicht fällt, als der Gefallene, der wieder aufgerichtet wird”; weil auf diese Weise auch die Beschädigung oder der Makel verhütet wird, welche die Seele immer von dem geschehenen Fall sich zuzieht. Man muß demnach glauben, daß Maria auf jene höhere Weise erlöst wurde, die der Würde einer Mutter Gottes, nach dem hl. Bonaventura, die entsprechende war. „Es ist zu glauben”, sagt er, „daß Maria im Augenblick ihrer Empfängnis vom Hl. Geist durch eine neue Art von Heiligung von der Erbsünde erlöst und durch eine ganz einzige Gnade davor bewahrt wurde, nicht als wäre die Erbsünde in ihr schon gewesen, sondern damit die Erbsünde nicht in sie gelange.” in seiner Weise drückt dies Kardinal Cusanus in den Worten aus: „In der Jungfrau geschah die Vorerlösung, bei den Übrigen die Nacherlösung.” Die anderen Menschen haben den Erlöser, auf daß Er sie von der ihnen bereits innewohnenden Sünde befreie; die allerseligste Jungfrau aber hatte den Erlöser, der sie bewahrte, daß die Sünde gar keinen Zutritt zu ihr hatte.

Zum Schluß noch die Worte Hugos von St. Viktor: „Wie das Lamm so die Mutter des Lammes, den jeder Baum wird an der Frucht erkannt.” Das heißt das Lamm war stets unbefleckt, so mußte stets unbefleckt auch die Mutter sein; denn aus der Frucht erkennt man den Baum. Darum begrüßt derselbe Schriftsteller Maria mit den Worten: „O digna digni - o würdige Mutter eines würdigen Sohnes!” Keine andere als du war würdige Mutter eines solchen Sohnes, und nur Jesus war der würdige Sohn einer solchen Mutter! Du schöne Mutter der ewigen Schönheit! Du erhabene Mutter des allerhöchsten Gottes! „Reiche Milch”, rufe ich mit dem hl. Ildephons dir zu, „reiche Milch deinem Schöpfer, der dich so rein und vollkommen bildete, daß Er aus dir geboren werden wollte.”

III. Wenn es also der Heiligkeit Gottes des Vaters entsprach, Maria als seine Tochter, und der Heiligkeit Gottes des Sohnes Maria als seine Mutter vor der Erbsünde zu bewahren, so ist es auch der Heiligkeit Gottes des Hl. Geistes entsprechend, Maria als seine Braut davor rein zu erhalten. „Maria”, sagt der hl. Augustinus, „war die einzige, die verdiente, Mutter und Braut Gottes genannt zu werden.”

Denn wie der hl. Anselm lehrt, so kam der Geist Gottes, die Liebe des Vaters und des Sohnes leiblicherweise in sie, ruhte in ganz einziger, über alle sie erhebender Gnade in ihr und machte als seine Braut sie zur Königin des Himmels und der Erde. Leiblicherweise kam der Hl. Geist, sagt der hl. Anselm, d. h. in Beziehung auf die Wirkung, so fern Er kam, um aus ihrem unbefleckten Leib den unbefleckten Leib Jesu Christi zu bilden, wie schon der Erzengel ihr vorhergesagt: „Der Hl. Geist wird über dich kommen”
(Lk 1,35) „Darum wird Maria”, sagt der hl. Thomas, „Tempel des Herrn, Heiligtum des Hl. Geistes genannt, weil sie durch Wirkung des Hl. Geistes Mutter des eingefleischten Wortes wurde.”

Wenn etwa ein begabter Maler seine Braut so schön oder so häßlich haben könnte, als er sie sich malen könnte, welche Sorgfalt würde er nicht verwenden, sie so schön wie nur möglich zu machen? Wer aber wollte sagen, daß der Hl. Geist anders mit Maria verfahren sei, daß Er, obwohl Er sie so schön bereiten konnte, wie es ihr als seiner Braut gebührte, es doch nicht getan! Nein! Was seiner Heiligkeit entsprach, das hat Er auch vollbracht, wie Er selbst bezeugt, da Er, Maria lobpreisend, spricht: „Du bist ganz schön meine Freundin, und kein Makel ist in dir.” (Hl 4,7) Cornelius a Lapide beruft sich bei dieser Stelle auf den hl. Ildephons und den hl. Thomas, nach denen die Worte eigentlich von Maria gelten; der hl. Bernhardin von Siena und der hl. Laurentius Justinianus aber beziehen sie ausdrücklich auf ihre unbefleckte Empfängnis. Und der Idiote gibt die Erklärung: „Du bist ganz schön, glorreichste Jungfrau, nicht teilweise, sondern ganz und gar und keine Makel der Sünde, weder der tödlichen, noch der läßlichen, noch der Erbsünde ist in dir.”

Dasselbe Geheimnis ist in den Worten des Hohenliedes ausgesprochen, wo der Hl. Geist Maria seine Braut, einen verschlossenen Garten und eine versiegelte Quelle (Hl 4,12) nennt. Der hl. Sophronius erklärt: „Sie - Maria - ist der verschlossene Garten, die versiegelte Quelle, wohin keine List des Feindes dringen konnte, noch seine Falschheit etwas über sie vermochte, sondern heilig blieb sie in Leib und Seele.” In Übereinstimmung mit dem hl. Sophronius sagt der hl. Bernhard: „Du bist ein verschlossener Garten, wohin nie die Hand der Sünde zur Verwüstung dringen konnte.”

Wir wissen, daß dieser göttliche Bräutigam Maria mehr liebte als die anderen Heiligen und Engel zusammen, wie Pater Suarez mit dem hl. Laurentius Justinianus und anderen behauptet. Er liebte sie vom Anfang an und erhob sie in der Heiligkeit über alle, wie David es ausdrückte: „Ihre Grundfesten sind auf heiligen Bergen; es liebt der Herr die Tore Sions über alle Hütten Jakobs. Herrliches wird von dir gesagt, o Stadt Gottes,... ein Mensch ist darin geboren und Er selbst, der Allmächtige, hat sie gegründet” (Ps 86,1), Worte, die sich auf die Heiligkeit Mariens in ihrer Empfängnis beziehen. Dieselbe Bedeutung hat, was von ihr der Hl. Geist an anderen Orten sagt: „Viele Töchter haben sich Reichtümer gesammelt, du hast sie alle übertroffen.” (Spr. 31,29) Wenn Maria alle an Reichtümern der Gnade übertroffen hat, dann hat sie auch die ursprüngliche Gerechtigkeit gehabt, wie sie Adam und die Engel hatten. „Jungfrauen sind es ohne Zahl; eine ist meine Taube, meine Vollkommene, die Einzige ihrer Mutter, die Auserkorene ihrer Gebärerin.” [Der hebräische Text sagt: „meine Unversehrte, Unbefleckte”.] (Hl 6,7) Alle gerechten Seelen sind Töchter der göttlichen Gnade, aber unter diesen war allein Maria die Taube ohne Galle der Schuld, die Vollkommene ohne Makel des Ursprunges, die Einzige in der Gnade empfangen.

Daher kommt es, daß der Engel, ehe sie Mutter Gottes war, sie schon voll der Gnade fand und begrüßte: „Sei gegrüßt, voll der Gnade”, worüber der hl. Sophronius bemerkt: „Mit Recht wird sie voll der Gnade genannt, weil Maria sich die Fülle der Gnade auf einmal mitteilte, während anderen sie nur in Teilen gegeben wird.” Und nach dem hl. Thomas war „die Seele der allerseligsten Jungfrau so voll der Gnade, daß sie aus ihr auch in den Leib sich ergoß, auf daß sie Gott zu empfangen vermöchte.” Dies alles führt uns zur Erkenntnis, wie reich, ja, wie voll der göttlichen Gnade vom Hl. Geist Maria in ihrer Empfängnis gemacht wurde, wie Peter von Celles erklärt: „In ihr war die Fülle der Gnade vereinigt, weil vom Anfang ihrer Empfängnis durch die Besprengung des Hl. Geistes die ganze Gnade der Gottheit sich über sie ausgegossen hat.” Der hl. Petrus Damianus sagt darum: „Da sie von Gott erwählt und vorherbestimmt wurde, wollte der Hl. Geist sie ganz für sich ergreifen.” Er sagt „ergreifen, rauben”, um die Raschheit auszudrücken, mit welcher der Hl. Geist zuvorgekommen und sie zu seiner Braut machen wollte, ehe Luzifer sie in Besitz nehme.

Ich will endlich diese Abhandlung schließen, in der ich mich mehr als in den anderen aus dem Grund verweilt habe, weil unsere kleine Kongregation zu ihrer hauptsächlichsten Beschützerin die allerseligste Jungfrau gerade unter diesem Titel der unbefleckten Empfängnis hat. Ich will, sage ich, schließen, indem ich kurz erkläre, welche Gründe mir die Gewißheit geben und nach meiner Meinung einem jeden die Gewißheit von dieser frommen und der Ehre der göttlichen Mutter so sehr entsprechenden Meinung geben sollten, daß sie frei von der Erbschuld geblieben ist.

Es gibt viele Lehrer, die dafür einstehen, daß Maria selbst von der Verbindlichkeit ausgenommen worden sei, sich die Erbschuld zuzuziehen, wie der Kardinal Galatinus, der Kardinal von Cusanus, de Ponte, Salazar, Catharinus, Novarin, Viva, de Lugo, Aegydius von der Opferung, Dionysius der Karthäuserm und andere. Diese Meinung ist sehr wahrscheinlich; denn wenn es wahr ist, daß in dem Willen Adams als Haupt der Menschen der Wille aller Menschen mit eingeschlossen war, wie dies mit guten Gründen Gonet, Habert und andere, gestützt auf den Text des hl. Paulus: „Alle haben in Adam gesündigt”, behaupten; ich sage, ist dies wahr, so ist nicht minder wahr, daß auch Maria nicht die Verbindlichkeit sich zugezogen, mit der Erbschuld behaftet zu werden. Da sie von Gott in Rücksicht der Gnade weit über alle anderen Menschen ausgezeichnet wurde, so darf man des frommen Glaubens sein, daß Maria nicht im Willen Adams mit eingeschlossen war. Diese Meinung ist eine wahrscheinliche; aber ich pflichte ihr bei, weil sie meiner Herrin zu größerer Ehre gereicht.

Für gewiß jedoch halte ich jene Meinung, daß Maria sich die Schuld Adams nicht zugezogen hat; in gleicher Weise halten sie für gewiß und auch für reif zur förmlichen Erklärung als Glaubensatz: Der Kardinal Eberhard, Duval, Raynauld, Lossada, Viva und viele andere. Ich übergehe indes die Offenbarungen, welche die genannte Meinung bestätigen, besonders die der hl. Birgitta, die von dem Kardinal Turrecremata und vier Päpsten gutgeheißen sind, wie man in ihrem sechsten Buch ausführlicher lesen kann; keineswegs aber kann ich unterlassen, die Aussprüche der hl. Väter hierüber anzuführen, um die Einstimmigkeit zu zeigen, mit der sie dieses Vorrecht der göttlichen Mutter zuerkennen.

[Der hl. Alfons Maria schrieb diese wunderbaren Zeilen 100 Jahre bevor der große Papst Pius IX. 1854 den Glaubenssatz der Unbefleckten Empfängnis Mariens feierlich verkündete.]

Der hl. Ambrosius sagt: „Nimm mich auf, nicht aus Sara, sondern aus Maria, damit es eine unversehrte Jungfrau sei, aber eine Jungfrau frei durch Gnade von jeder Befleckung der Sünde.”

Origenes sagt von Maria: „Sie ist nicht vom giftigen Hauch der Schlange angesteckt.” Der hl. Ephräm nennt sie: „Unbefleckt und weitest entfernt von jedem Makel der Sünde”.

Der hl. Augustinus schreibt über die Worte des Engels: „Ave gratia plena:” „Mit diesen Worten zeigt der Engel, daß von Anbeginn der Zorn des ersten Richterspruches ganz und vollständig ausgeschlossen und die volle Gnade des Segens wiederhergestellt ist.”

Der hl. Hieronymus sagt: „Jene Wolke war nie in der Finsternis, immer im Licht.”

Der hl. Cyprian, oder wer sonst der Verfasser der Schrift sein mag: „Auch die Gerechtigkeit duldete nicht, daß jenes Gefäß der Auserwählung den allgemeinen Verletzungen unterworfen wurde, denn, sehr hoch über allen stehend, teilte sie
wohl die Natur, nicht aber die Schuld mit ihnen.”

Der hl. Amphilochius: „Wer die erste Jungfrau ohne Fehl geschaffen, der hat auch die zweite ohne Flecken und Schuld gebildet.”

Der hl. Sophronius: „Die Jungfrau wird deshalb unbefleckt genannt, weilsie vollkommen unversehrt geblieben.”

Der hl. Ildephons: „Es ist ausgemacht, daß sie von der Erbsünde frei gewesen.”

Der hl. Johannes von Damaskus: „Zu diesem Paradies hat die Schlange keinen Zutritt gehabt.”

Der hl. Petrus Damianus: „Das Fleisch der Jungfrau, von Adam genommen, hat die Makeln Adams nicht angenommen.”

Der hl. Bruno: „Das ist das unentweihte Land, das der Herr gesegnet hat, deswegen frei von aller Ansteckung der Sünde.”

Der hl. Bonaventura: „Unsere Herrin wurde in ihrer Heiligung mit zuvorkommender Gnade erfüllt, das heißt mit jener Gnade, durch die sie vor der Häßlichkeit der Erbschuld bewahrt blieb.”

Der hl. Bernhardin von Siena: „Es ist nicht zu glauben, daß der Sohn Gottes von einer Jungfrau geboren werden und aus ihr Fleisch annehmen wollte, die irgendwie von der Erbsünde berührt gewesen wäre.”

Der hl. Laurentius Justinianus: „In ihrer Empfängnis war das Erste die Fülle der Segnung.”

Der Idiote sagt über die Worte: „Du hast Gnade gefunden:” „Eine ganz einzige Gnade hast du gefunden, süßeste Jungfrau, weil in dir die Bewahrung vor der Erbsünde war.” - Und so noch viele andere Lehrer.

Die Gründe aber, die schließlich von der Wahrheit dieser frommen Meinung überzeugen, sind folgende: Der erste Grund besteht in der allgemeinen Übereinstimmung der Gläubigen über diesen Gegenstand. Der Pater Agydius von der Opferung bezeugt, daß alle religiösen Orden der genannten Meinung folgen; und selbst vom Orden des hl. Dominikus sind nach einem neueren Schriftsteller zwar 29 Autoren gegen, aber 136 für unsere Ansicht. Aber mehr als dies bestärkt unsere Überzeugung, daß diese fromme Meinung allgemein von den Gläubigen angenommen sei, das Zeugnis des Papstes Alexander VII. in der berühmten Bulle „Sollicitudo omnium Ecclesiarum” vom Jahr 1661, wo es heißt: „Diese Frömmigkeit und Andacht zur Gottesgebärerin ist neuerdings erhöht und mehr verbreitet worden, so daß seit dem Beitritt der Akademien zu dieser Meinung bereits fast alle Katholiken sie annehmen.”

Und in der Tat wird dieselbe verteidigt von der Akademie der Sorbonne, von Alcala, Salamanca, Coimbra, Köln, Mainz, Neapel und vielen anderen, an denen jeder, der den Doktorgrad empfangen will, sich mit einem Eid zur Verteidigung der Unbefleckten Empfängnis verpflichten muß.
[Das könnten heute nur wenige Professoren!]

Dieser Beweisführung aus der allgemeinen Übereinstimmung der Gläubigen bedient sich zur Erhärtung der Unbefleckten Empfängnis vorzugsweise der gelehrte Petavius. Und der sehr gelehrte Bischof Julius Tornil bezeichnet diese Beweisführung als unwiderstehlich; und mit Recht, da wir nur aus der allgemeinen Übereinstimmung der Gläubigen die Gewißheit von der Heiligung Mariens im Mutterschoß und ihrer Aufnahme mit Leib und Seele in den Himmel haben; warum sollte uns also die gleiche Übereinstimmung der Gläubigen nicht auch die Gewißheit von ihrer Unbefleckten Empfängnis verleihen können?

Der zweite noch stärkere Grund, der uns die Ausnahme der allerseligsten Jungfrau von der Erbsünde gewiß macht, ist die von der allgemeinen Kirche angeordnete Feier ihrer Unbefleckten Empfängnis. Daraus entnehme ich fürs erste, daß die Kirche jenen ersten Augenblick feiert, in dem die Seele Mariens erschaffen und dem Leib eingegossen wurde, wie Alexander VII. in der erwähnten Bulle erklärt, wo es heißt, daß die Feier des Festes von Maria Empfängnis von der Kirche in der Überzeugung angeordnet ist, die bekenne, daß Maria ohne Erbsünde empfangen worden sei. Fürs zweite erkenne ich als gewiß, daß die Kirche unmöglich eine nicht hl. Sache feiern kann nach den Aussprüchen des hl. Papstes Leo und des hl. Papstes Eusebius: „Auf dem Apostolischen Stuhl ist der katholische Glaube immerdar ohne Fehl bewahrt worden.”

Dasselbe bezeugen auch alle Theologen mit dem hl. Augustinus, hl. Bernhard und hl. Thomas, wobei letzterer zum Beweis der Heiligung Mariens vor der Geburt gerade sich dieses Grundes bedient, nämlich des Festes der Geburt Mariens. „Die Kirche”, sagt er, „feiert die Geburt der Jungfrau; es wird aber in der Kirche nur für einen Heiligen ein Fest gefeiert; also ist die allerseligste Jungfrau im Mutterleib geheiligt worden.” Ist also nach dem englischen Lehrer die Heiligung Mariens im Mutterschoß darum gewiß, weil die Kirche ihre Geburt feiert, warum sollten wir nicht für gewiß halten, daß Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis vor der Erbsünde bewahrt geblieben, da wir ja wissen, daß die Kirche in diesem Sinn ihr Fest feiert? Es ist bekannt, wie Gott der Herr zur Bestätigung dieses großen Vorrechtes Mariens zahllose und wunderbare Gnaden durch die Bildchen von der Unbefleckten Empfängnis Tag für Tag im Königreich Neapel auszuteilen sich würdigt. Ich könnte von vielen berichten, die durch die Hand der Patres unserer Kongregation gegangen sind; aber ich will nur zwei erzählen, die wahrhaft bewundernswürdig sind.

Beispiel

In einem unserer Häuser im Königreich Neapel kam eine Frau zu einem der Patres, um ihm zu sagen, daß ihr Mann seit mehreren Jahren nicht mehr gebeichtet habe; und daß sie nicht wisse, was tun soll, weil er sie schlage, sobald sie vom Beichten spreche. Der Pater riet ihr, dem Mann ein Bildchen von der Unbefleckten Empfängnis zu geben. Am selben Abend bat die Frau aufs neue ihren Mann, daß er beichte, und da er wie immer dagegen taub blieb, gab sie ihm ein Bildchen. Kaum hatte er es genommen, als er antwortete: „Nun ja, wann willst du mich zum Beichten führen? Ich bin bereit.” Die Frau weinte vor Freude beim Anblick dieser plötzlichen Umwandlung. Am nächsten Morgen kam der Mann wirklich in unsere Kirche, und befragt, wie lange er nicht mehr gebeichtet habe, antwortete er: „Seit achtundzwanzig Jahren.” - „Wie aber”, entgegnete der Pater, „kommst du heute zum Entschluß zu beichten?” - „Ich war ganz verstockt, mein Pater, aber gestern abend gab mir meine Frau ein Bildchen der Madonna, und sogleich fühlte ich mein Herz verändert, so daß jeder Augenblick der Nacht bis es Tag zum Beichten wurde, mir wie eine Ewigkeit vorkam.” Er beichtete darauf mit viel Zerknirschung, änderte sein Leben und fuhr lange Zeit fort, oft beim selben Pater zu beichten.

In einem Ort der Diözese Salerno, in dem von uns eine Mission gehalten wurde, lebte ein Mann in großer Feindschaft mit seinem Beleidiger. Einer der Missionare ermahnte ihn, sich zu versöhnen. „Habt ihr mich denn”, entgegnete er, „je bei eueren Predigten gesehen? Gerade darum komme ich nicht. Ich weiß ohnehin, daß ich verdammt bin; aber es liegt nichts daran, wenn ich mich nur rächen kann.” Der Missionar gab sich große Mühe, ihn auf besseren Sinn zu bringen; aber umsonst. Schließlich sagte er: „Nimm das Bildchen der Madonna!” - „Wozu dieses Bildchen?” antwortete er anfangs. Doch kaum hatte er es zu sich genommen, da sagte er zum Missionar, gleich als hätte er nie sich geweigert, sich auszusöhnen: „Mein Vater, braucht es noch etwas anderes als die Versöhnung? Ich bin bereit, sie morgen vorzunehmen.” - Aber des anderen Tages war er wieder umgeändert und wollte nichts mehr tun. Er empfing ein neues Bildchen, das er nur mit Sträuben annahm; doch gleich danach antwortete er: „Wohlan denn, beeilen wir uns.” Und sogleich versöhnte er sich und darauf beichtete er.


Gebet
O meine Unbefleckte Herrin, ich freue mich mit dir, dich mit solcher Reinheit ausgestattet zu erblicken. Ich danke und will immer Dank sagen unserem Schöpfer, daß Er dich vor jeder Makel der Schuld bewahrte. Ich bin fest davon überzeugt und bin bereit und schwöre, für dieses so erhabene und ganz einzige Vorrecht deiner Unbefleckten Empfängnis selbst mein Leben, so es gefordert würde, hinzugeben. Ich wünschte, daß die ganze Welt dich erkenne und bekenne als die schöne Morgenröte, immer geschmückt mit dem göttlichen Licht, als die auserlesene Arche des Heiles, die vor dem allgemeinen Schiffbruch der Sünde bewahrt blieb, als jene vollkommene und unbefleckte Taube, für die dich dein göttlicher Bräutigam erklärte, als den verschlossenen Garten der Wonne Gottes, als die versiegelte Quelle, wohin nie der Feind, sie zu trüben, eingedrungen ist, endlich als die weiße Lilie, die du allein unter den Dornen der Adamskinder, die alle schuldbefleckt und in Feindschaft Gottes geboren werden, ganz rein, ganz strahlend weiß, als Freundin deines Schöpfers geboren bist.

Gestatte, daß ich dich lobe in den Worten deines Gottes, „ganz schön bist du und kein Makel ist in dir.” O reinste Taube, ganz weiß, ganz schön, immerwährende Freundin Gottes! O wie schön bist du, meine Freundin, wie schön bist du. Ach süßeste, liebenswürdigste, Unbefleckte Jungfrau Maria, so schön in den Augen deines Herrn, verschmähe nicht, mit deinen barmherzigen Augen die häßlichen Wunden meiner Seele anzuschauen. Siehe mich an, erbarme dich meiner und heile mich! O schöner Magnet der Herzen, ziehe auch mein elendes Herz zu dir! Du bist vom ersten Augenblick des Lebens so rein und schön vor Gott, erbarme dich meiner, der ich in Sünde geboren, auch nach der Taufe noch meine Seele mit Schuld befleckt habe. Der dreieinige Gott, der dich zur Tochter, Mutter und Braut erkor, vor jedem Makel dich bewahrte, in seiner Liebe allen Geschöpfen dich vorzog, welche Gnade wird Er dir verweigern? Unbefleckte Jungfrau, du hast mich zu retten, rufe ich mit dem hl. Philipp Neri; bewirke, daß ich deiner stets gedenke, und vergiß meiner nicht! Mir ist es wie tausend Jahre, bis ich zum Anblick deiner Schönheit ins Paradies gelangen darf, um dich ewig zu loben und zu lieben, meine Mutter, meine Königin, meine Geliebte, schönste, süßeste, reinste, Unbefleckte Maria. Amen.

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2. Kap. - Mariä Geburt - 8. Sept.

Maria wurde heilig, sehr heilig geboren.
Mit großer Gnade wurde sie von Gott im ersten Augenblick ihres Daseins ausgestattet; und groß war auch die Treue, mit der Maria Gott entsprach.

Mit Freudenfesten pflegen allgemein die Eltern die Geburtstage ihrer Kinder zu feiern; und doch hätten sie Ursache zu Trauer und Schmerz, wenn sie bedächten, wie sie zur Welt kommen, nicht bloß ohne Verdienste und ohne den Gebrauch ihrer Vernunft, sondern noch überdies mit der Erbschuld, als Kinder des Zornes, und als solche zu Leiden und Tod verurteilt. Die Geburt des heiligsten Kindes Maria aber verdient mit allem Recht, mit allgemeiner Festlichkeit und Lobpreisung gefeiert zu werden, indem sie an das Licht dieser Welt als ein Kind zwar dem Alter nach kam, aber groß an Verdiensten und Tugenden. Maria wurde als Heilige und zwar als große Heilige geboren. Um den Grad der Heiligkeit aber, in dem sie geboren wurde, zu begreifen, sind zwei Punkte notwendig zu erwägen:

Fürs erste die Größe ihrer ersten von Gott empfangenen Gnadenausstattung; fürs zweite die Größe der Treue, mit der Maria vom ersten Augenblick an Gott zu dienen begonnen hat.

I. Um mit dem ersten Punkt zu beginnen, so ist gewiß, daß Maria die schönste Seele war, die Gott erschaffen hat; ja nach der Menschwerdung des Wortes ist sie das größte und Gottes würdigste Werk, das der Allmächtige auf dieser Welt vollbrachte. „Ein Werk, über das Gott allein hinausragt» wie es der hl. Petrus Damianus nennt. Daher kam es, daß die göttliche Gnade nicht tropfenweise sich in Maria einsenkte, wie in die anderen Heiligen, sondern „wie der Regen auf das Vlies” (Ps 71,6) nach Davids Prophetie. Die Seele Mariens war gleich einer Wolle, welche die ganze Fülle des Tauregens, ohne ein Tröpfchen zu verlieren, glücklich in sich einsog. „Die Fülle der Gnade des Hl. Geistes”, sagt der hl. Thomas, „hat die allerseligste Jungfrau sich geschöpft”, wie sie selbst dies durch den Mund des weisen Mannes geweissagt: „In der Fülle der Heiligen ist mein Aufenthalt”; d. h. nach der Auslegung des hl. Bonaventura: „Ich habe das Ganze in Fülle, was die andern Heiligen nur in Teilen besitzen.” Und wenn der hl. Vinzenz Ferrer im besonderen von der Heiligkeit Mariens vor ihrer Geburt spricht, sagt er: „Die Jungfrau wurde über alle Heiligen und Engel geheiligt.”

Die Gnade, welche die allerseligste Jungfrau besaß, überstieg die Gnade nicht bloß eines jeden Heiligen im einzelnen, sondern die aller Heiligen und aller Engel zusammen, wie der sehr gelehrte Pater Franz Pepe SJ in seinem schönen Werk von den Größen Jesu und Mariens beweist. Er nennt diese für unsere Königin so ehrenvolle Meinung die allgemein von den Theologen für ausgemacht angenommene, wie von Carthagena, Suarez, Spinelli, Recupito, Guerra und anderen, die sie ex professo untersucht haben, was von den Älteren nicht geschehen war. Er berichtet ferner, daß die göttliche Mutter durch den Pater Martin Guttierez dem Pater Suarez ihren Dank dafür ausdrücken ließ, daß er mit so großem Nachdruck diese glaubwürdigste Meinung verteidigt habe, die nach Pater Segneri durch die Bestimmung der ganzen Schule von Salamanca bestätigt worden ist.

Da also diese Meinung die allgemein für gewiß angenommene ist, so hat auch die weitere nicht weniger ihre gute Berechtigung, die Meinung nämlich, daß Maria schon im ersten Augenblick ihrer Unbefleckten Empfängnis diese so hohe Begnadigung erhalten habe, welche die aller Heiligen und Engel zusammen genommen übersteigt. Dies behauptet Pater Suarez mit Nachdruck, und ihm folgen Pater Spinelli, Pater Recupito und La Colombiere. Außer dem Ansehen der Gottesgelehrten aber sind es noch zwei sehr wichtige und überzeugende Gründe, durch welche die erwähnte Meinung vollkommen bestätigt wird.

Der erste Grund ist die Auserwählung Mariens zur Mutter des göttlichen Wortes, wodurch sie nach Erklärung des sel. Dionysius des Karthäusers in eine über alle erschaffenen Wesen erhabene Ordnung erhöht wurde, indem in gewissem Sinn die Würde einer Mutter Gottes, wie dies Pater Suarez beweist, der Ordnung der persönlichen Einigung des ewigen Wortes mit der menschlichen Natur angehört. Diese unvergleichliche Erhöhung forderte aber, daß Maria vom ersten Augenblick an mit Gaben einer höheren Ordnung ausgerüstet wurde, die über allen Vergleich die Gnadengaben übertreffen, die allen anderen Kreaturen verliehen wurden. Auch ist es eine unbestreitbare Wahrheit, daß im göttlichen Ratschluß der Menschwerdung des ewigen Wortes die Mutter zugleich mit inbegriffen war, aus der das ewige Wort die Menschheit annehmen sollte, und diese Mutter war das Kind Maria.

Nun lehrt der hl. Thomas, daß einem jeden die Gnade im Verhältnis zu dem von Gott empfangenen Beruf gegeben werde; wie dies schon der hl. Paulus in den Worten ausgesprochen hat: „Der uns zu tauglichen Dienern des neuen Bundes bereitet hat” (2 Kor 3,6), womit er andeutet, daß die hl. Apostel von Gott die dem erhabenen Beruf, zu dem sie auserwählt waren, entsprechende Gaben erhalten haben. Auch der hl. Bernhardin von Siena stellt den Satz auf: „Es ist eine in der hl. Theologie feststehende Regel, daß Gott, wenn Er jemanden zu einem Stand auserwählt, ihm alle für denselben notwendigen und reichlich ihn zierenden Gaben verleiht”, d. h. ihn befähigt, das Amt auch mit Ehren zu verwalten. Wenn nun Maria erwählt war, Mutter Gottes zu werden, so war es dem ganz entsprechend, daß sie Gott vom ersten Augenblick an mit einer unermeßlichen und der Ordnung nach höheren Gnade als die aller Menschen und Engel zierte, weil ihre Begnadigung der unermeßlichen und höchsten Würde entsprechen mußte, zu der sie von Gott erhöht wurde. So lehren alle Gottesgelehrten mit dem hl. Thomas, der sich wie folgt ausdrückt: „Die allerseligste Jungfrau war erwählt, daß sie Mutter Gottes werde, und darum ist nicht zu zweifeln, daß sie Gott durch seine Gnade dazu befähigt hat.” Und dies auf solche Weise, daß Maria schon vor ihrer Mutterschaft mit so vollkommener Heiligkeit geschmückt war, die sie für diese hohe Würde befähigte. Die Worte des englischen Lehrers lauten: „In der allerseligsten Jungfrau war die Vollkommenheit als eine sie vorbereitende, durch die sie befähigt wurde, Mutter Christi zu sein, und dies war die Vollkommenheit ihrer Heiligung.”

Aus diesem Grund wird sie, wie der hl. Lehrer bemerkt, voll der Gnade genannt. Dies „voll der Gnade” ist aber nach ihm nicht so zu verstehen, als hätte Maria die Gnade in höchster Auszeichnung, in der überhaupt Gnade empfangen werden kann, gehabt; indem nicht einmal die der heiligsten Menschheit Jesu Christi eingegossene göttliche Gnade in dem Sinn die höchste war, daß die unendliche Allmacht Gottes eine höhere überhaupt nicht hätte hervorbringen können; sondern in dem Sinn, daß sie auf das vollkommenste dem Zweck entsprach, zu dem von der Weisheit Gottes die menschliche Natur Christi geordnet war, nämlich zur Vereinigung mit der Person des Wortes. Folgendes sind die Worte des englischen Lehrers. „Wenngleich die Allmacht Gottes etwas Höheres und Besseres zu erschaffen vermag als die der menschlichen Natur Christi eingegossene Gnade, so könnte sie doch nichts erschaffen, was zu etwas Höherem bestimmt wäre, als es die persönliche Vereinigung mit dem Eingeborenen des Vaters ist, welcher Vereinigung nach Bestimmung der göttlichen Weisheit ein solches Maß der Gnade vollkommen entspricht”, wie es der Menschheit Christi verliehen wurde. [Alte theologische Spekulationen. Gott schaft immer das Beste.]

Nach der Lehre des hl. Thomas ist die göttliche Allmacht so groß, daß, wie viel sie auch gibt, ihr doch immer mehr noch zu geben übrig bleibt; und wenn auch das natürliche Vermögen der Kreatur in Beziehung auf das Empfangen an sich ein beschränktes ist, so daß es vollständig angefüllt werden kann, so hat doch die Abhängigkeit eines Geschöpfes von dem göttlichen Willen keine Grenze, und Gott kann darum sein Geschöpf immer noch fähiger machen, um immer mehr mit seinen Gaben erfüllt zu werden. Und darum lehrt der hl. Thomas, um auf unseren Satz wieder zurückzukommen, daß die allerseligste Jungfrau, wenn sie auch nicht so voll von Gnade war, daß die Gnade Gottes überhaupt in ihr erschöpft gewesen wäre, doch deshalb mit Recht voll der Gnade in Beziehung auf ihre eigene Person genannt werde, weil sie eine unermeßliche, ihrer unermeßlichen Würde vollkommen entsprechende Gnadenfülle besaß, wodurch sie fähig wurde, Mutter Gottes zu werden. Benedikt Fernandez bestätigt dies mit den Worten: „Die Würde einer Mutter Gottes ist das Maß, an dem wir zu messen haben, was nach unserem Glauben von Gott der allerseligsten Jungfrau verliehen wurde.”

Mit Recht hat also schon David gesagt, daß die Grundfesten dieser Stadt Gottes, Maria, auf den Gipfeln der Berge gelegt werden mußten. „ Ihre Fundamente sind auf heiligen Bergen”, (Ps 86,1) d. h. das Leben Mariens mußte schon in seinem ersten Beginnen erhabener sein als das Leben aller Heiligen bei Vollendung ihrer irdischen Pilgerschaft. „Gott liebt mehr die Tore Sions als alle Zelte Jakobs.” (Ps 86,1) David gibt auch den Grund davon an: „Er ist in ihr geboren,” d. h. Gott wollte in ihrem jungfräulichen Schoß Mensch werden. Darum war es seiner Heiligkeit gemäß, dieser Jungfrau im Augenblick ihrer Erschaffung eine der Würde ihrer Mutterschaft entsprechende Gnadenfülle zu verleihen.

Auf dasselbe weist Isaias hin, da er sagt, „daß in künftigen Zeiten der Berg des Hauses des Herrn - die allerseligste Jungfrau - über dem Gipfel aller Berge bereitet sein werde, und daß alle Völker zu diesem Berg sich aufmachen, um der göttlichen Erbarmungen teilhaft zu werden.” (Is 2,2) Der hl. Gregor erklärt dies mit den Worten:
„Berg auf dem Gipfel der Berge ist Maria, da ihre Erhabenheit über alle Heiligen erglänzt”; und der hl. Johannes von Damaskus: „Der Berg, auf dem zu wohnen es Gott gefällt.” Darum wird Maria auch genannt: Zypresse vom Berge Sion, Zeder Libanons, lieblicher Ölbaum, auserlesen wie die Sonne. „Wie nämlich die Sonne”, sagt der hl. Petrus Damianus, „den Glanz der Gestirne verdunkelt, so überstrahlt die Heiligkeit der erhabenen, jungfräulichen Mutter die Verdienste eines jeden und aller zusammen.” Gar schön drückt dies der hl. Bernhard in den Worten aus: „Weder geziemt für Gott eine andere Mutter als die Jungfrau, noch der Jungfrau ein anderer Sohn als Gott.”

Der zweite Beweisgrund, daß Maria im ersten Beginn ihres Lebens mehr geheiligt war als alle Heiligen zusammen, beruht auf dem erhabenen Amt einer Mittlerin der Menschen, das sie von Anbeginn besaß. Dies Amt erforderte, daß sie von Anbeginn ein reicheres Maß der Begnadigung hatte, als alle Menschen zusammen es besitzen. Es ist bekannt, mit welcher Einstimmigkeit die Theologen und hl. Väter Maria diesen Titel einer Mittlerin beilegen, weil sie durch ihre mächtige Fürsprache und durch ihre Verdienste von der Barmherzigkeit Gottes für alle das Heil erlangt hat, indem sie der verlorenen Welt die große Wohltat der Erlösung verschaffte. Ich sage: Sie hat das Heil von der Barmherzigkeit Gottes uns verdient, meruit de congruo (meritum de condigno), wie die Theologie sagt; denn nur Jesus Christus ist unser Mittler auf dem Weg der Gerechtigkeit, indem nur seine Verdienste, die Er dem ewigen Vater aufopferte, und die von diesem zu unserem Heil angenommen wurden, der unendlichen Gerechtigkeit des beleidigten Gottes eine vollkommene Genugtuung verschaffen konnten. Maria dagegen ist Mittlerin der Gnade durch einfache Fürsprache und durch ihre Verdienste de congruo, d. h. durch Verdienste, die wohl von der freigebigsten Barmherzigkeit Gottes sichere und unfehlbare Belohnung oder Erhöhung erlangen konnten, nicht aber von der Strenge der göttlichen Gerechtigkeit, der nur allein die Verdienste des Gottmenschen kraft ihres unendlichen Wertes so vollkommen genügen, daß Gott ohne Verletzung seiner heiligsten Gerechtigkeit ihnen den entsprechenden Lohn nicht vorenthalten konnte.

Indem Maria ihre Verdienste, wie mit dem hl. Bonaventura die Theologen sagen, Gott für das Heil aller Menschen aufgeopfert und sie Gott aus Güte und in Vereinigung mit den Verdiensten Jesu Christi angenommen hat, ist sie unsere Mittlerin geworden. Darum sagt der hl. Arnold von Chartres: „Sie hat hinsichtlich unseres Heiles mit Christus einen gemeinschaftlichen Erfolg erreicht”; und Richard von St. Viktor: „Sie hat das Heil aller begehrt, gesucht, erhalten; ja, das Heil aller ist durch sie bewirkt worden.” So wird also jegliches Gut, jegliche Gabe des ewigen Lebens, die der einzelne Heilige von Gott erhält, durch Maria ihm zuteil.

Und das ist es, was uns die hl. Kirche zu verstehen geben will, wenn sie die göttliche Mutter ehrt, indem sie die Stellen des Jesus Sirach auf sie anwendet: „In mir ist alle Gnade des Weges und der Wahrheit.” (Sir 24,24) Es heißt „des Weges”, weil durch Maria alle Gnaden den Menschen auf Erden gespendet werden; „der Wahrheit”, weil durch Maria das Licht der Wahrheit gegeben wird. „In mir ist alle Hoffnung des Lebens und der Tugend”; „des Lebens”, weil wir durch Maria das Leben der Gnade auf Erden und der Glorie im Himmel zu erlangen hoffen; „der Tugend”, weil wir durch Maria die Tugenden, insbesondere die theologischen Tugenden erlangen, welche die vornehmsten Tugenden der Heiligen sind. „Ich bin die Mutter der schönen Liebe und der Furcht, der Erkenntnis und der hl. Hoffnung.”

Maria erlangt durch ihre Vermittlung ihren Dienern die Gaben der göttlichen Liebe, der hl. Furcht, des himmlischen Lichtes und des hl. Vertrauens. Daraus zieht der hl. Bernhard den Schluß, es sei Lehre der Kirche, daß Maria die allgemeine Mittlerin unseres Heiles ist. „Preise die Finderin der Gnade, die Mittlerin des Heiles, die Wiederherstellerin aller Zeiten. So lobsingt mir die Kirche von ihr, so lehrt sie auch mich Maria lobpreisen.”

Der hl. Sophronius, Patriarch von Jerusalem, sagt: „Mit Recht grüßte sie der Erzengel: „Du bist voll der Gnade”; denn während die anderen Heiligen nur teilweise die Gnade empfangen, ergoß sich in Maria die ganze Gnadenfülle» Und dies geschah, wie der hl. Basilius von Seleucia bezeugt, auf daß dadurch Maria die würdige Mittlerin zwischen den Menschen und Gott sein könnte. „Denn wäre”, sagt der hl. Laurentius Justinianus, „Maria nicht voll der göttlichen Gnade gewesen, wie könnte sie die Leiter zum Paradies, die Fürsprecherin der Welt und die wahre Mittlerin sein zwischen Gott und den Menschen?”

So ist nun der zweite Beweisgrund wohl hinreichend erklärt. Hatte Maria, weil zur Mutter des Erlösers der Welt bestimmt, von Anbeginn das Amt einer Mittlerin aller Menschen, also auch aller Heiligen empfangen, so war es auch durchaus notwendig, daß sie von Anbeginn eine größere Gnade besaß, als alle Heiligen, für die sie als Mittlerin einzutreten hatte, je besaßen. Ich erkläre mich noch deutlicher: Wenn durch Vermittlung Mariens alle Menschen Gott wohlgefällig werden sollten, so mußte notwendig Maria heiliger und Gott wohlgefälliger als alle Menschen zusammen sein; wie hätte sie sonst für alle zusammen als Mittlerin eintreten können? Damit ein Vermittler vom Fürsten die Gnade für alle Untertanen erhalte, ist unumgänglich notwendig, daß er mehr als alle anderen Untertanen seinem Monarchen teuer sei. Deshalb sagt der hl. Anselm von Maria: „Die höchste Reinheit ihres Herzens, welche die Reinheit und Heiligkeit aller Geschöpfe übersteigt, verdiente die würdigste Wiederherstellerin der gefallenen Welt zu werden.”

Maria war also Mittlerin der Menschen; könnte jemand sagen, aber wie darf sie denn auch Mittlerin der Engel genannt werden? Viele Gottesgelehrte behaupten, daß Jesus Christus auch den Engeln die Gnade der Beharrlichkeit verdiente; somit war Jesus ihr Mittler nach Gerechtigkeit, und dann darf Maria Mittlerin nach Barmherzigkeit auch für die Engel genannt werden, indem sie durch ihre Bitten die Ankunft des Erlösers beschleunigte. Wenigstens hat sie den Engeln die Wiederbesetzung der durch den Engelsturz leer gewordenen Sitze dadurch verdient, daß sie von der Barmherzigkeit Gottes verdiente, Mutter des Messias zu werden. Sie hat also jedenfalls den Engeln die Mehrung ihrer Herrlichkeit verdient, weshalb Richard von St. Viktor sagt: „Beide Kreaturen, Engel und Menschen, werden durch sie wiederhergestellt; sowohl der Fall der Engel ist durch sie wiedergutgemacht, als auch die Menschen wieder mit Gott versöhnt sind.” Und vor ihm sagte der hl. Anselm: „Alles ist durch diese Jungfrau in den früheren Stand zurückversetzt und wiederhergestellt.”

Und so erhielt denn unser himmlisches Kind, zur Mittlerin der Welt und Mutter des Erlösers vorherbestimmt, vom ersten Augenblick ihres Lebens an eine größere Gnade als alle Heiligen zusammen. Welch ein erhabenes Schauspiel war darum für Himmel und Erde die schöne Seele dieses glückseligen Kindleins schon im Mutterschoß! Sie war in den Augen Gottes das liebenswürdigste Geschöpf, denn, voll von Gnade und Verdienst, konnte sie schon damals von sich sagen: „Da ich noch klein war, habe ich dem Allerhöchsten gefallen.” Und zugleich war sie das am meisten Gott liebende Geschöpf, das bis dahin in der Welt erschienen war, und dies in solchem Grad, daß, wenn Maria unmittelbar nach ihrer reinsten Empfängnis wäre geboren worden, sie schon reicher an allen Verdiensten und heiliger als alle Heiligen zusammen zur Weit gekommen wäre. Nun denken wir aber, um wieviel heiliger sie bei ihrer Geburt sein mußte, da sie mit den Verdiensten an das Licht der Welt kam, die sie während der neun Monate ihres Verweilens im Mutterschoß sich erworben hatte!

Gehen wir nun zur Betrachtung des zweiten Punktes über, wie groß die Treue war, mit der Maria sogleich der göttlichen Gnade entsprach.

II. „Es ist nicht nur eine einfache Meinung”, sagt ein gelehrter Schriftsteller, Pater La Colombière
[könnte der inzwischen hl. Claudius de la Colombière sein, der Beichtvater der hl. Margareta Alacoque war.], „sondern die Überzeugung der ganzen Christenheit, daß das Kind Maria im Schoß derhl. Mutter Anna mit der heiligmachenden Gnade auch den vollen Gebrauch ihrer hocherleuchteten Vernunft erhielt, wie dies ihrer Gnadenfülle entsprechend war.” Demnach können wir für gewiß glauben, daß von dem Augenblick der Vereinigung ihrer schönen Seele mit dem reinsten Leib sie mit allen Erleuchtungen der göttlichen Weisheit erfüllt war, um die ewigen Wahrheiten, die Schönheit der Tugenden und vornehmlich die unendliche Liebenswürdigkeit ihres Gottes wohl zu erkennen und wie Er verdient von allen und besonders von ihr selbst wegen der einzigen Vorzüge geliebt zu werden, mit denen der Herr sie vor allen Kreaturen geschmückt und ausgezeichnet hatte, indem Er sie vor dem Makel der Erbsünde bewahrte, mit unermeßlicher Gnade beschenkte, zur Mutter des Wortes und zur Königin des Weltalls bestimmte.

Darum begann Maria, wohlgefällig ihrem Gott, von diesem ersten Augenblick an verdienstlich zu wirken, so viel sie vermochte, indem sie ohne Zögern von dem überreich empfangenen Schatz der Gnade Gebrauch machte. Voll Verlangen, dem gütigen Gott zu gefallen und Ihn zu lieben, liebte sie Gott aus allen Kräften vom ersten Augenblick an, und so fuhr sie fort, während der vollen neun Monate ihres Lebens vor der Geburt Gott zu lieben und ohne Aufhören durch die feurigsten Liebesakte immer mehr mit Ihm sich zu vereinigen. Frei von der Erbsünde, war sie auch frei von jeder irdischen Anhänglichkeit, von jeder ungeordneten Regung, von jeder Zerstreuung, von jedem Widerstand der Sinne, der sie hätte hindern können, immer weiter in der göttlichen Liebe voranzuschreiten. Alle Sinne waren mit ihrer gesegneten Seele einmütigen Strebens nach Gott, weshalb diese in ihrer Schönheit befreit von jedem Hindernis ohne Stillstand sich immerdar zu Gott emporschwang, immer liebte und immer in der Liebe zunahm. So konnte sie sich selbst „eine Platane, gepflanzt an Wasserbäche”, (Sir 24,19) nennen; war sie ja das edle Reis, von Gott gepflanzt, das am Strom der göttlichen Gnaden immer mehr gedieh. In gleicher Weise ist sie auch Weinstock genannt: „Wie ein Weinstock bringe ich liebliche, wohlriechende Früchte hervor.” (Sir 24,23)

Nicht bloß, weil sie so niedrig in den Augen der Welt erschien, sondern weil sie gleich dem Weinstock, der nach dem bekannten Sprichwort ohne Ende wächst, immer mehr in der Vollkommenheit zunahm. So grüßte sie der hl. Gregorder Wundertäter: „Sei gegrüßt, du immer treibender Weinstock!” Auch war sie immerdar mit Gott vereinigt, der ihre einzige Stütze war - wie auch der Weinstock den Baum zur Stütze hat, an dem er emporwächst. Auf sie beziehen sich darum die Worte des Hl. Geistes im Hohenlied: „Wer ist die, die da aufsteigt von der Wüste, überfließend von Freude, gestützt auf ihren Geliebten?” (Hl 8,5), was vom hl. Ambrosius ausgelegt wird.: „Sie ist es, die so aufsteigt, daß sie dem Wort Gottes sich anschmiegt wie der Rebstock dem Baum, an dem er emporrankt.”

Viele und wichtige Theologen behaupten, daß die mit einer eingegossenen Tugend begnadigte Seele, so oft sie treu den danach von Gott empfangenen einzelnen Gnadenhilfen mitwirke, jedesmal einen dem Charakter der eingegossenen Tugend entsprechenden verdienstlichen Akt hervorbringe, so daß sie jedesmal ein neues und doppeltes Verdienst erwirbt, das der Summe der bereits erworbenen Verdienste gleichkommt. Diese Vermehrung wurde, wie sie sagen, schon den Engeln verliehen, so lange sie im Stande des Verdienstes und noch nicht in der Herrlichkeit befestigt waren. War sie aber den Engeln verliehen, wie könnte sie der Mutter Gottes verweigert gewesen sein, so lange sie auf dieser Erde lebte und besonders in dem Zeitraum, von dem eben die Rede ist, da sie im Schoß ihrer Mutter weilte, wo sie sicherlich viel treuer als die Engel mit der Gnade mitwirkte? Es verdoppelte Maria also während dieser ganzen Zeit in jedem Augenblick die erhabene Gnade, die sie vom ersten Zeitpunkt an besaß. Denn indem sie bei jedem Akt, den sie vollbrachte, mit aller Stärke und Vollkommenheit der Gnade mitwirkte, verdoppelte sie infolgedessen in jedem Augenblick auch ihre Verdienste, zwar so, daß, wenn sie im ersten Augenblick tausend Grade von Gnade besaß, sie im zweiten zweitausend, im dritten viertausend, im vierten achttausend, im fünften sechzehntausend, im sechsten zweiundreißigtausend hatte. Und dies schon im sechsten Augenblick! In solcher Weise aber wurden sie vermehrt durch einen ganzen Tag, vermehrt durch neun Monate, und nun erwäge man, welche Schätze von Gnaden, von Verdiensten und von Heiligkeit Maria bei ihrer Geburt auf die Welt gebracht haben muß.

Freuen wir uns also mit diesem Kind, das so heilig, von Gott so sehr geliebt, so voll von Gnade geboren wird. Und freuen wir uns nicht bloß für sie, sondern auch für uns; denn sie kam voll Gnade auf die Welt, nicht bloß zu ihrer Ehre, sondern auch zu unserem Heil. Der hl. Thomas erwägt, daß die allerseligste Jungfrau in dreifacher Hinsicht voll von Gnade war. Fürs erste war sie voll von Gnade in der Seele, so daß diese schöne Seele von Anfang an ganz Gott angehörte. Zum zweiten war sie voll von Gnade im Leib, so daß sie verdiente, mit ihrem reinsten Fleisch das ewige Wort zu bekleiden. Zum dritten war sie voll Gnade zum allgemeinen Wohl, auf daß alle Menschen daran teilhaben könnten.

„Einige Heilige”, sagt der englische Lehrer weiter, „haben so viel Gnade, daß sie nicht bloß für sie allein genügt, sondern auch um viele andere, doch nicht alle Menschen zu retten; nur Jesus und Maria war eine so große Gnade gegeben, daß sie genügte, allen zum Heil zu werden.” Was der hl. Johannes von Jesus Christus sagt, „von seiner Fülle haben wir alle empfangen” (Jo 1,16), dasselbe sagen die Heiligen von Maria. Der hl. Thomas von Villanova: „Eine volle Gnade, von deren Fülle alle empfangen”, so daß, wie der hl. Anselm sagt: „Niemand ist, der nicht teilhätte an der Gnadenfülle Mariens.” Wer wird je gefunden, dem die Jungfrau nicht gnädig wäre? Wer, auf den sich ihre Barmherzigkeit nicht erstreckte?

Von Jesus also - so müssen wir es verstehen - erhalten wir die Gnade als vom Urheber der Gnade, von Maria als der Mittlerin; von Jesus als dem Heiland, von Maria als der Fürsprecherin; von Jesus als der Quelle, von Maria als dem Kanal.

Darum sagt der hl. Bernhard, daß Gott Maria gleich einer Wasserleitung für seine Erbarmungen, die Er den Menschen zuwenden will, aufgestellt und sie darum voll der Gnade gemacht habe, auf daß aus ihrer Fülle jedem sein Anteil werde. Der Heilige ermahnt deshalb alle mit den Worten: „Erkennt, mit welcher Andacht Gott Maria von uns geehrt wissen will, da Er die Fülle alles Guten in sie gelegt hat, auf daß wir innewerden, wie alles, was wir an Hoffnung und Heilsgnade besitzen, von ihr uns zufließt.”


O wie elend ist jene Seele, die sich diesen Kanal der Gnade verschließt, da sie unterläßt, sich Maria anzuempfehlen. Da Holofernes die Stadt Bethulia erobern wollte, ließ er ihre Wasserleitungen durchschneiden. (Jdt 7,6) Dasselbe macht der Teufel, wenn er sich einer Seele bemächtigen will; er versucht, daß sie die Andacht zur allerseligsten Jungfrau aufgibt, und ist dieser Kanal geschlossen, so wird sie leicht das Licht, die Furcht Gottes und zuletzt das ewige Heil verlieren. Man lese das folgende Beispiel, und wird sehen, wie groß die Zärtlichkeit des Herzens Mariens ist, aber auch wie groß das Verderben, das sich derjenige zuzieht, der sich diesen Kanal verschließt, indem er die Andacht zu dieser Königin des Himmels aufgibt.

Beispiel

Trithemius, Canisius und andere erzählen, daß in Magdeburg ein Jüngling namens Udo lebte, der von Kindheit auf so schwachen Verstandes war, daß er der Spott aller seiner Mitschüler wurde. Da er einmal über seine geringen Fähigkeiten besonders betrübt war, empfahl er sich vor einem Bild der allerseligsten Jungfrau. Maria erschien ihm danach im Traum und sagte: „Udo, sei getrost! Ich will dir von Gott nicht bloß eine Fähigkeit erbitten, die dich vom Gespött befreit, sondern so großes Talent, daß du darüber bewundert werden wirst; außerdem gebe ich dir die Verheißung, daß du nach dem Tod des Bischofs als Nachfolger erwählt werden wirst.” So sprach Maria, und es ging genau in Erfüllung. Er machte rasche Fortschritte in den Wissenschaften und wurde Bischof dieser Stadt.

Aber Udo wurde so undankbar gegen Gott und seine Wohltäterin, daß er alle Andacht fallen ließ und zum Ärgernis aller wurde. Er wurde sehr ausschweifend. Da vernahm er eine Warnungsstimme, die rief: „Udo, laß ab von diesem Treiben; du warst lang genug darin, Udo!” Das erstemal erzürnte er sich über diese Worte, weil er meinte, es habe sie ein Mensch gesprochen, um ihn zurechtzuweisen; allein da er sie zum zweiten- und drittenmal wiederholen hörte, kam ihm doch die Furcht, diese Stimme könnte vom Himmel kommen. Trotz allem aber setzte er sein schlechtes Leben fort. Nach drei Monaten jedoch, die ihm Gott gegeben, um in sich zu gehen, kam die Strafe. Während ein frommer Kanonikus, Friedrich mit Namen, nachts in der Kirche des hl. Mauritius zu Gott betete, daß dem Ärgernis des Bischofs abgeholfen werde, riß ein heftiger Windstoß die Tür der Kirche auf. Dann traten zwei Jünglinge mit brennenden Fackeln in der Hand ein und stellten sich zu den Seiten des Hochaltars auf. Ihnen folgten zwei andere, die vor dem Altar einen Teppich ausbreiteten und darauf zwei goldene Sitze stellten. Zuletzt kam ein anderer Jüngling in kriegerischer Tracht [St. Michael] mit dem Schwert in der Hand, der sich mitten in die Kirche stellte und rief: „O ihr Heiligen des Himmels, die ihr in dieser Kirche eure hl. Reliquien

habt, kommt, um Zeugen des großen Gerichtes zu sein, das der höchste Richter nun abhalten wird!” Auf diese Stimme erschienen viele Heilige und auch die zwölf Apostel, als Beisitzer dieses Gerichtes. Nun erschien Jesus Christus, der sich auf einem der beiden Sitze niederließ, nach Ihm Maria, von vielen hl. Jungfrauen gefolgt; ihr göttlicher Sohn wies ihr den anderen Sitz an. Der Schuldige wurde auf Befehl des Richters herbeigeführt, und es war dies der elende Udo. Der hl. Mauritius erhob die Stimme und forderte im Namen des durch Udos schändlichen Wandel geärgerten Volkes Gerechtigkeit. Alle antworteten: „Herr, er verdient den Tod.” - „Wohlan, er sterbe!” sagte der ewige Richter. Doch vor Vollstreckung des Urteils verließ die gütigste Mutter, um nicht Zeuge des schrecklichen Aktes der Gerechtigkeit zu sein, die Kirche, woraus man sehen mag, wie groß ihr Mitleid ist.

Nun trat der Engel mit dem Schwert zu Udo und schlug ihm mit einem Schlag das Haupt vom Rumpf. Die ganze Erscheinung verschwand. Der ganze Raum der Kirche war wieder dunkel. Der erschütterte Kanonikus zündete sich eine Kerze an und fand den Leichnam Udos mit abgeschlagenem Haupt und den Boden voll Blut. Als es Tag geworden und das Volk zur Kirche kam, erzählte der Kanonikus die Erscheinung und die schreckliche Trauerszene. Noch am selben Tag zeigte sich der unselige Udo einem seiner Kapläne, der vom Ereignis der Nacht noch nichts vernommen hatte, als zur Hölle verdammt. Der Leichnam Udos wurde in einen Sumpf gesenkt, sein Blut aber wurde zum ewigen Gedächtnis auf dem Boden der Kirche gelassen und mit einem Teppich bedeckt, der später nur dann entfernt zu wurde, wenn ein neuer Bischof von der Kirche Besitz nahm, damit er beim Anblick der großen Züchtigung Bedacht nähme, seinen Wandel wohl zu ordnen und den Gnaden des Herrn und seiner heiligsten Mutter nicht untreu zu werden.


Gebet
O heiliges und himmlisches Kind, auserwählt zur Mutter meines Erlösers und zur erhabenen Mittlerin der armen Sünder, habe Mitleid mit mir. Sieh zu deinen Füßen einen andern Undankbaren, der zu dir seine Zuflucht nimmt und dich um Mitleid anfleht. Freilich verdiene ich wegen meines Undankes gegen Gott und dich, von Gott und dir verlassen zu werden; doch wird mir gesagt, und so halte ich daran, wissend wie groß dein Erbarmen, daß du nicht verschmähst, dem zu helfen, der sich mit Vertrauen dir empfiehlt. Darum, o erhabenste aller Kreaturen der Welt, die nur von Gott allein übertroffen wird, und vor der die höchsten Geister des Himmels klein erscheinen, o Heilige der Heiligen, o Maria, Abgrund der Gnade und voll der Gnade, komme einem Elenden zu Hilfe, der durch seine Schuld die Gnade verloren. Ich weiß, du bist Gott so lieb, daß Er dir nichts versagt. ich weiß auch, es ist deine Freude, kraft deiner Herrlichkeit den elenden Sündern zu Hilfe zu kommen. Offenbare also die Größe deiner Gnade vor Gott und erlange mir so viel Licht und solche Liebesflamme von Gott, die aus mir wieder einen Heiligen, die mich freimacht von jeder irdischen Neigung und ganz in Liebe zu Gott entzündet. Bewirke dies, o Herrin! Du vermagst es. Bewirke es aus Liebe zu Gott, der dich so groß, so mächtig, so barmherzig gemacht hat. Also hoffe ich. Amen.

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3. Kap. - Mariä Opferung - 21.Nov.

Das Opfer, wo Maria sich selbst Gott darbrachte, geschah sehr früh und ohne Zögern, es war vollkommen und ohne Vorbehalt.

Nie war, noch wird je ein Opfer, das ein bloßes Geschöpf Gott darbringen kann, größer und vollkommener sein, als das, welches Maria als ein Kind von drei Jahren Gott darbrachte, da sie in den Tempel kam, um Ihm nicht Weihrauch oder junge Rinder oder Talente Goldes, sondern um sich selbst ganz und gar zu einem vollkommenen Brandopfer darzubringen, indem sie zu seiner Verherrlichung als ein immerwährendes Opfer sich weihte. Gar wohl verstand sie die Stimme Gottes, der von jeher sie rief, sich ganz seiner Liebe zu weihen, mit den Worten: „Stehe auf, eile meine Freundin, und komme.” (Hl 2,10) Und darum wollte der Herr, daß sie von nun an ihrer Heimat, ihrer Eltern und alles vergäße, um einzig bedacht zu sein, Ihn zu lieben und Ihm zu gefallen. „Höre Tochter, und merke und neige dein Ohr und vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters!” (Ps 44,11) Und schnell bereit, folgte sie dem göttlichen Ruf. Betrachten wir also, wie angenehm Gott dieses Opfer war, das Maria mit sich Ihm darbrachte, indem sie Ihm sich schnell und gänzlich opferte: Schnell, ohne Zögern; ganz, ohne Rückhalt. Hierzu zwei Punkte.

I. Maria opferte sich Gott schnell auf. Vom ersten Augenblick an, da dieses himmlische Kind im Schoß seiner Mutter geheiligt ward, also im ersten Augenblick seiner unbefleckten Empfängnis, erhielt es den vollkommenen Gebrauch der Vernunft, um von da an sogleich im Stand zu sein, sich Verdienste zu erwerben, wie nach der allgemeinen Ansicht die Gottesgelehrten mit Suarez sagen, der behauptet, daß man glauben müsse, die allerseligste Jungfrau sei von Gott auf die vollkommenste Weise geheiligt worden, was nach dem englischen Lehrer dadurch geschieht, daß eine Seele in dem eigenen verdienstlichen Mitwirken von Gott die Gnade der Heiligung empfängt. Und da dieser Vorzug den Engeln und dem Adam verliehen worden ist, wie der hl. Thomas sagt, so müssen wir ihn noch viel mehr als der göttlichen Mutter verliehen bekennen, von der wir mit aller Gewißheit annehmen dürfen, daß ihr Gott, der sich würdigte, sie zu seiner Mutter zu erwählen, größere Gaben als allen anderen Kreaturen verliehen habe. Dies drückt der hl. Thomas in den Worten aus: „Aus ihr hat Er die menschliche Natur angenommen, und darum mußte sie vor den übrigen eine größere Fülle von Gnaden von Christus empfangen.” Denn als Mutter hat sie, wie Pater Suarez sagt, gewiß ein besonderes Anrecht auf die Gaben ihres Sohnes. Und wie der heiligsten Menschheit Jesu Christi wegen der hypostatischen Union die Fülle aller Gnaden gebührte, so war es eine der göttlichen Mutterschaft entsprechende, wie natürlich gebotene Rücksicht, daß Maria von Jesus höhere Gnaden empfing, als alle anderen Heiligen und Engel.


Maria erkannte also vom Anfang ihres Lebens Gott und erkannte Ihn so, daß, wie der Engel zur hl. Birgitta sagte, keine Zunge imstande wäre, zu erklären, wie weit die Erkenntnis der allerseligsten Jungfrau vom ersten Augenblick an, da sie Gott erkannte, in die Tiefen der Gottheit einzudringen vermochte. Und von da an opferte sich Maria, in diesem ersten Licht, von dem sie erfüllt war, ganz ihrem Herrn, indem sie sich ganz seiner Liebe und seiner Verherrlichung weihte, wie dies der Engel der hl. Birgitta mit den Worten offenbarte: „Sogleich entschloß sich unsere Königin, ihren Willen Gott mit ganzer Liebe für die ganze Zeit ihres Lebens zu weihen. Und niemand kann begreifen, wie sehr von da an ihr Wille Ihm geeinigt war, nach seinem Wohlgefallen alles zu umfassen.”


Da ferner das unbefleckte Kind wußte, daß auch seine hl. Eltern, Joachim und Anna, Gott durch ein Gelübde versprochen hatten, - wie von verschiedenen Schriftstellern berichtet wird -, daß, wenn Er ihnen eine Nachkommenschaft geben werde, sie Ihm diese zum Dienst im Tempel schenken würden, so wollte Maria, obwohl nach dem Zeugnis des hl. Germanus und des hl. Epiphanius, der sagt: „Im dritten Jahr wurde sie in den Tempel gebracht”, erst drei Jahre alt, also in so früher Jugend, da die Kinder mehr als sonst noch der Hilfe der Eltern begehren und ihrer bedürfen, feierlich sich bei dieser Darstellung im Tempel Gott opfern und schenken. Darum war sie die erste gewesen, die ihre Eltern mit inständigen Bitten angesprochen hatte, sie zum Tempel zu geleiten und ihr Gelübde zu erfüllen. Und ihre hl. Mutter Anna zögerte nach dem Zeugnis des hl. Gregor von Nyssa nicht, sie zum Tempel zu führen und Gott darzubringen.


Es war ein alter Brauch der Juden, ihre Töchter in die Zellen einzuschließen, die sich im Tempelbezirk befanden, damit sie hier gut erzogen würden, wie dies Baronius, Nikephorus, Cedrenus und Suarez mit Josephus Flavius erzählen, was auch der hl. Johannes von Damaskus, der hl. Georg von Nikomedien, der hl. Ambrosius und der hl. Anselm bestätigen, und was auch klar dem zweiten Buch der Makkabäer entnommen werden kann, wo es im Bericht über Heliodor, der den Tempel stürmen wollte, um den darin niedergelegten Schatz zu nehmen, heißt: „Weil der Tempel in Verunehrung kommen sollte, liefen die Jungfrauen, die sonst in Verborgenheit lebten, zu Onias.” (2 Makk 3,18)


Und als Joachim und Anna, um den liebsten Schatz ihrer Herzen, den sie auf Erden hatten, Gott großmütig aufzuopfern, von Nazareth abreisten, trug bald der Vater, bald die Mutter das so sehr geliebte Kindlein auf den Armen, da es nicht imstande war, den so weiten Weg von achtzig italienischen Meilen (ungefähr 130 km), wie mehrere Schriftsteller sagen, von Nazareth nach Jerusalem zu Fuß zurückzulegen. Sie zogen des Weges von wenigen Verwandten begleitet; aber Scharen hl. Engel schlossen sich an, wie der hl. Georg von Nikomedien sagt, als Gefolge und zum Dienst der zartesten unbefleckten Jungfrau, die diese Reise machte, um sich Gott zu weihen. „Wie schön sind deine Schritte, Tochter des Fürsten!” (Hl 7,1) heißt es im Hohenlied. O wie schön, sangen auch die Engel während dieser Wallfahrt, wie schön, wie angenehm sind Gott diese deine Schritte, die du machst, sie Ihm zu weihen, o große Lieblingstochter unseres gemeinsamen Herrn! Gott selbst, sagt Bernhardin von Bustis, feierte an diesem Tag mit seinem ganzen himmlischen Hof ein großes Fest, da Er seine Braut zum Tempel geleitet werden sah; denn nie erblickte Er eine heiligere und geliebtere Kreatur, die kam, sich Ihm zu opfern. „Ziehe hin”, ruft der hl. Germanus, Patriarch von Konstantinopel, ihr zu, „ziehe hin, o Königin der Welt, Mutter Gottes, freudig in das Haus des Herrn, um zu erwarten die Ankunft des Hl. Geistes, der dich zur Mutter des ewigen Wortes machen wird.”


Als diese hl. Pilgerschar zum Tempel kam, wendet sich das herrliche Kind an seine Eltern und auf den Knien ihnen die Hände küssend, bittet es um ihren Segen; und dann, ohne umzuschauen, schreitet es, wie Arias Montanus nach Josephus Flavius berichtet, die fünfzehn Stufen des Tempels hinan und stellt sich dem Priester, dem hl. Zacharias, vor, wie der hl. Germanus sagt. Und von der Welt sich verabschiedend und auf alle Güter, die sie ihren Anhängern verspricht, verzichtend, opfert und weiht sie sich ihrem Schöpfer.


Zur Zeit der Sündflut blieb der von Noe aus der Arche entlassene Rabe fern, um sich vom Aas zu nähren, aber die Taube kehrte, ohne den Fuß niederzusetzen, eilends wieder zur Arche zurück.
(Gen 8,9) Viele, die von Gott in diese Welt geschickt sind, halten sich unglückseligerweise auf, um sich an den irdischen Gütern zu weiden. Nicht so unsere himmlische Taube Maria. Sie erkannte, daß unser einziges Gut, unsere einzige Hoffnung, unsere einzige Liebe Gott sein muß. Sie erkannte, daß die Welt voll von Gefahren ist, und daß, wer je schneller sie verläßt, um so freier von ihren Fallstricken ist. Darum suchte sie schnell von frühester Kindheit an, diese zu fliehen und ging, sich in die hl. Zurückgezogenheit des Tempels zu verschließen, um hier besser die Stimme Gottes zu vernehmen, Ihn besser ehren und lieben zu können. Und so machte sich die allerseligste Jungfrau von Anfang ihres Wirkens an ihrem Herrn ganz lieb und angenehm, wie sie die hl. Kirche reden läßt: „Wünscht mir Glück ihr alle, die ihr den Herrn liebt; denn da ich klein war, gefiel ich dem Allerhöchsten.” (Brevier) Und deswegen wurde sie mit dem Mond verglichen, weil wie der Mond schneller als die anderen Planeten seinen Lauf vollendet, so Maria schneller als alle anderen Heiligen zur Vollkommenheit gelangte, indem sie schnell, ohne Säumen und ganz, ohne Vorbehalt Gott sich hingab.

Nun wollen wir zum zweiten Punkt übergehen, wo viel zu sagen sein wird.

II. Wohl wußte das erleuchtete Kind, daß Gott ein geteiltes Herz nicht annimmt, sondern es ganz seiner Liebe geweiht will nach der Vorschrift: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen.” (Dt 6,5) Also fing sie von dem Augenblick, da sie zu leben begann, auch Gott aus allen Kräften zu lieben an und schenkte sich Ihm ganz. Aber ihre heiligste Seele erwartete mit großer Sehnsucht die Zeit, da sie auch äußerlich und in feierlicher Weise sich vollkommen Gott darbringen konnte. Betrachten wir also, mit welchem Eifer das liebevolle jungfräuliche Kind, als es sich nun an diesem hl. Ort eingeschlossen sah, sich zuerst niederwarf, um den Boden zu küssen als des Hauses des Herrn. Dann betete sie seine unendliche Majestät an, dankte Ihm für die erhaltene Gnade, daß Er sie aufgenommen habe in sein Haus, um darin zu wohnen. Sie weihte sich ganz ihrem Gott, ganz ohne allen Vorbehalt, indem sie Ihm alle Kräfte und alle Sinne, ihren ganzen Geist und ihr ganzes Herz, die ganze Seele und den ganzen Leib aufopferte.


Maria war die Erste, wie man annimmt, die um Gott zu gefallen, das Gelübde der Jungfräulichkeit machte, wie Abt Rupertus sagt: „Sie hat zuerst (als Erste) das Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt.” Und sie opferte sich ganz auf, ohne Schranke einer Zeit, wie Bernhardin von Bustis behauptet: „Maria hat sich selbst zum ewigen Dienst Gottes dargebracht und geweiht”; denn sie hatte die Absicht, sich dem Dienst seiner göttlichen Majestät im Tempel für ihr ganzes Leben zu weihen, wenn es Gott so gefällig wäre, ohne je aus diesem hl. Ort wieder herauszugehen. O mit welcher Innigkeit mußte sie alsdann sagen: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein” (Hl 2,16), d.h., wie Kardinal Hugo erklärt: „Ich will Ihm ganz leben und ganz sterben”. Mein Herr und Gott, sprach sie, ich bin nun hier, allein um Dir zu gefallen und alle Ehre, die ich vermag, Dir zu geben; hier will ich ganz Dir leben und Dir sterben, wenn es Dir gefällt. Nimm das Opfer an, das Dir deine arme Dienerin macht, und hilf mir, Dir treu zu sein. [ Bei den Juden war es Pflicht zu heiraten und Kinder zu haben, Klöster für Frauen gab es noch nicht.]


Und nun betrachten wir, wie heilig das Leben war, das Maria im Tempel führte, wo sie als die aufsteigende Morgenröte ohne Aufhören in der Vollkommenheit wie die Morgenröte im Licht zunahm. Wer wäre imstande zu beschreiben, wie an ihr von Tag zu Tag immer schöner ihre Tugenden erglänzten, die Liebe, die Bescheidenheit, die Demut, das Stillschweigen, die Abtötung, die Sanftmut? Dieser schöne Ölbaum in das Haus Gottes verpflanzt, nach den Worten des hl. Johannes von Damaskus, und vom Hl. Geist angeweht, wurde eine Wohnung aller Tugenden. An einer anderen Stelle sagt er: Das Antlitz der Jungfrau war bescheiden, ihre Seele demütig, ihre Worte liebevoll, hervorgehend aus einem wohlgeordneten Innern. Und wieder: Die Jungfrau zog ihr Denken von allen irdischen Dingen ab, indem sie alle Tugenden umfaßte, und, so jegliche Vollkommenheit übend, machte sie in kurzer Zeit solche Fortschritte, daß sie verdiente, ein würdiger Tempel Gottes zu werden.


Auch der hl. Anselm spricht von dem Leben der allerseligsten Jungfrau im Tempel und sagt: „Maria war gelehrig, sprach wenig, war immer eingezogen, ohne zu lachen und ohne je unruhig zu werden. Sie verharrte im Gebet, in Lesung der Hl. Schrift, in Fasten und allen tugendhaften Werken.” Der hl. Hieronymus und der hl. Bonaventura berichten uns darüber mehr Einzelheiten. Maria hatte ihr Leben so geordnet: Vom Tagesanbruch bis zur dritten Stunde oblag sie dem Gebet; von der dritten bis zur neunten war sie mit einer Arbeit beschäftigt; von der neunten Stunde betete sie wieder bis der Engel ihr, was gewöhnlich geschah, die Speise brachte. Sie bemühte sich, die erste in den Nachtwachen, die pünktlichste im göttlichen Gesetz, die tiefste in der Demut und in jeder Tugend die vollkommenste zu sein. Nie sah man sie in Aufregung, jedes ihrer Worte kam in solcher Süßigkeit über ihre Lippen, daß ihr Sprechen eine stete Verherrlichung Gottes war.


Die göttliche Mutter selbst offenbarte ferner der hl. Elisabeth, Benediktinerin im Kloster Schönau, wie man bei dem hl. Bonaventura liest: „Als mein Vater und meine Mutter mich im Tempel zurückließen, beschloß ich in meinem Herzen, Gott zum Vater zu haben, und oft dachte ich, was ich Ihm zu gefallen tun könnte.”


„Ich beschloß dann die Jungfrauschaft zu bewahren, nichts je auf der Welt zu besitzen, und all meinen Willen überließ ich Gott”, offenbarte sie der hl. Birgitta. Weiter offenbarte die allerseligste Jungfrau der hl. Elisabeth, daß sie unter allen Geboten sich das besonders vor Augen genommen habe, du sollst Gott, deinen Herrn, lieben; daß sie um Mitternacht vor dem Altar des Tempels zum Herrn gebetet, Er möge ihr die Gnade verleihen, die Gebote zu beobachten, und sie die Mutter des Erlösers erleben lassen; Er möge ihr die Augen erhalten, um sie zu sehen, die Zunge, um sie zu loben, die Hände und Füße, um sie zu bedienen, die Knie, um in ihrem Schoß ihren göttlichen Sohn anzubeten. Als die hl. Elisabeth dies vernahm, sagte sie zu ihr: „Meine Herrin, warst du denn nicht voll Gnade und Tugend?” Maria erwiderte ihr: „Wisse, daß ich mich für die Geringste und der göttlichen Gnade Unwürdigste hielt, weshalb ich so um Gnade und Tugend flehte.” Um uns von der unerläßlichen Notwendigkeit des Gebetes um die Gnaden, deren wir bedürfen, zu überzeugen, sprach sie zuletzt: „Glaubst du, daß ich die Gnaden und Tugenden ohne Mühe erlangt habe? Wisse, daß ich keine Gnade von Gott ohne großes Bemühen, beständiges Gebet, glühendes Verlangen und viele Tränen und Bußen erlangt habe.”

Im besonderen aber verdienen die Offenbarungen der hl. Birgitta über die Tugenden und die hl. Übungen erwogen zu werden, deren die allerseligste Jungfrau in ihrer Kindheit sich geübt hat. „Von erster Kindheit an war Maria voll des Hl. Geistes, und wie sie an Alter wuchs, so wuchs auch in ihr die Gnade. Von da an stand in ihr fest, Gott zu lieben von ganzem Herzen, so daß nichts in ihren Werken und Worten wäre, was Ihm mißfallen könnte; deshalb waren alle Güter der Erde von ihr verachtet. Was sie konnte, gab sie den Armen. Im Essen war sie so mäßig, daß sie nur das äußerst Nötigste zur Erhaltung des leiblichen Lebens sich gestattete. Als sie aus der Hl. Schrift entnahm, daß Gott von einer Jungfrau sollte geboren werden, um die Welt zu erlösen, so entbrannte ihr Geist also in der göttlichen Liebe, daß sie nichts suchte, nichts dachte als Gott, und in Gott allein sich gefallend, selbst den Umgang ihrer Eltern floh, auf daß sie nicht durch sie von dem beständigen Andenken an Gott weggezogen würde. Und hauptsächlich begehrte sie, die Zeit der Ankunft des Messias zu erleben, um die Dienerin der glückseligen Jungfrau werden zu können, die gewürdigt wäre, seine Mutter zu sein.” So die Offenbarungen der hl. Birgitta.


Ja, aus Liebe zu diesem erhabenen Kind beschleunigte der Erlöser sein Kommen in die Welt; denn während sie in ihrer Demut sich nicht einmal für würdig erachtete, die Magd der göttlichen Mutter zu sein, war sie selbst zu dieser Mutter erwählt, und durch den Wohlgeruch ihrer Tugenden und ihr mächtiges Flehen zog sie in ihren jungfräulichen Schoß den göttlichen Sohn. Darum wurde Maria von ihrem göttlichen Bräutigam Turteltaube genannt: „Die Stimme der Turteltaube ist in unserem Land gehört worden” (Hl 2,12); nicht bloß weil sie nach Art der Turteltauben immer die Einsamkeit liebte und in dieser Welt lebte, gleichwie in der Einöde, sondern auch weil Maria im Tempel gleich der in der Wildnis seufzenden Turteltaube aus Mitleid mit dem Elend der gefallenen Welt beständig seufzte und von Gott die Erlösung aller erflehte. O mit welch feuriger Inbrunst wiederholte sie im Tempel vor Gott das Flehen und Rufen der Propheten, damit Er den Erlöser sende: „Herr, sende das Lamm, den Beherrscher der Erde. - Tauet ihr Himmel von oben, Wolken regnet den Gerechten. - O daß Du die Himmel zerreißen und herabsteigen mögest!” (Is 16,1 - 45,8 - 64,1)

Mit einem Wort, die allerseligste Jungfrau war dem Auge Gottes ein Gegenstand seines Wohlgefallens, da sie ohne Unterlaß gleich einer Rauchsäule voll von den Wohlgerüchen aller Tugenden auf den Gipfel der Vollkommenheit sich aufschwang, wie der Hl. Geist im Hohenlied dies beschreibt: „Wer ist die, so aus der Wüste heraufsteigt, wie eine Rauchsäule von Spezereien, aus Myrrhen und Weihrauch und allerlei Gewürz des Salbenhändlers?” (Hl 3,6) „In Wahrheit war dieses Kind”, sagt Sophronius, „das Paardies des Herrn; denn Er fand darin alle Arten von Blumen und alle Wohlgerüche der Tugenden.” Deshalb behauptet der hl. Johannes Chrysostomus, „Gott habe aus dem Grund Maria zu seiner Mutter auf Erden erwählt, weil Er keine heiligere und vollkommenere Jungfrau auf Erden gefunden als Maria und keinen würdigeren Ort darin zu wohnen als ihren hochheiligen Schoß.” Auch der hl. Bernhard sagt: „Kein würdigerer Ort war auf Erden als der jungfräuliche Schoß.” Und der hl. Antonin sagt, daß die allerseligste Jungfrau, um zur Würde einer Gottesmutter erwählt und bestimmt zu sein, eine so große und vollendete Vollkommenheit besitzen mußte, daß sie die Vollkommenheit aller anderen Geschöpfe überragte: „Die höchste Gnade der Vollkommenheit ist die Vorbereitung auf die Empfängnis des Sohnes Gottes.”


Wie also die hl. Maria als Kind im Tempel sich Gott schnell und gänzlich hingab und opferte, so wollen auch wir uns an diesem Tag ohne Verzug und ohne Rückhalt Maria opfern und sie bitten, sie möge uns Gott darbringen, der uns nicht zurückweisen wird, wenn Er uns durch die Hand derjenigen aufgeopfert sieht, die der lebendige Tempel des Hl. Geistes, die Wonne ihres Herrn und die auserwählte Mutter des ewigen Wortes war. Und vertrauen wir gar sehr dieser erhabensten und gütigsten Herrin, die mit großer Liebe die Huldigungen belohnt, die sie von ihren Verehrern empfängt, wie man aus folgendem Beispiel entnehmen kann.

Beispiel

Im Leben der Schwester Dominika vom Paradies, die im Dorf Paradies bei Florenz von armen Eltern geboren wurde, berichtet der Dominikaner Ignaz del Niente, daß sie von Kindheit begann, der göttlichen Mutter zu dienen. Sie fastete ihr zu Ehren jeden Tag der Woche und am Samstag verteilte sie die vorn Mund sich abgesparte Speise an die Armen und sammelte an diesem Tag im Garten des Hauses oder in den nahen Fluren so viel Blumen, als sie konnte, und opferte sie vor einem Bild der allerseligsten Jungfrau mit dem Kind auf den Armen, das sie in ihrem Haus hatte. Aber mit welchen Gunstbezeigungen belohnte die gütigste Herrin diese Huldigungen ihrer Dienerin? Eines Tages stand Dominika am Fenster und sah auf der Straße eine Frau, schön von Ansehen, mit einem Kind; beide streckten Almosen bittend die Hand aus. Dominika holt Brot; doch siehe, ohne daß sich die Türe öffnet, erblickt sie beide ihr zur Seite und das Knäblein mit Wunden an Händen, Füßen und Brust. Sie fragt die Frau, wer das Kind verwundet habe, die Mutter versetzt: „Es war die Liebe.” Dominika hingerissen von Liebe zu dem schönen, lieblichen Kind fragt, ob die Wunden schmerzen; aber statt zu antworten, lächelt es. Sie stellten sich nun vor die Bilder Jesu und Mariens und die Frau sprach zu Dominika: „Sage mir, Tochter, was bewegt dich, diese Bilder mit Blumen zu bekränzen?” Sie antwortete: „Die Liebe, die ich zu Jesus und Maria trage.” - „Und wie sehr liebst du sie?” - „So viel ich kann.” - „Und wie viel kannst du?” - „So viel als sie mir helfen.” - „So fahre fort”, sagte da die Frau, „fahre fort, sie zu lieben; denn wohl werden sie es dir im Paradies vergelten.”

Nun empfand die Jungfrau einen himmlischen Wohlgeruch aus den Wunden sich verbreiten und fragte die Mutter, mit welcher Salbe sie diese salbe, und ob sie die Salbe bekommen könnte. „Die Salbe kauft man”, erwiderte die Frau, „mit dem Glauben und mit den Werken.” Dominika bot das Brot an. Die Mutter sprach: „Die Speise meines Sohnes ist die Liebe; sag ihm, daß du Jesus liebst und du wirst ihn zufrieden stellen.” Das Kind frohlockte bei dem Wort Liebe, und zu der Jungfrau gewandt fragte es, wie sehr sie Jesus liebe; und sie antwortete: „Ich liebe Ihn so sehr, daß ich Tag und Nacht immer an Ihn denke und nichts anderes begehre, als so gut ich vermag, Ihm zu gefallen.” „Nun wohl”, sagte es, „liebe Ihn, denn die Liebe wird dich lehren, was du zu tun hast, um Ihn zufriedenzustellen.” Der aus den Wunden strömende Wohlgeruch nahm zu und Dominika rief: „O Gott, dieser Wohlgeruch macht mich vor Liebe sterben. Wenn der Wohlgeruch eines Kindleins so süß ist, was wird der Wohlgeruch des Paradieses sein!” Doch siehe, nun änderte sich die Szene. Die Mutter erscheint als Königin gekleidet und von Licht umgeben, und das Kindlein, glänzend wie die Sonne von Schönheit, nimmt diese Blumen und streut sie auf das Haupt der nun Jesus und Maria erkennenden und in Anbetung sich niederwerfenden Dominika. So endete die Erscheinung. Dominika nahm dann das Kleid der Dominikanerinnen und starb im Ruf der Heiligkeit im Jahr 1553.


Gebet
O von Gott geliebtes, liebenswürdigstes Kind Maria, könnte ich so, wie du im Tempel dich dargestellt und ganz und vollkommen dich der Verherrlichung und Liebe deines Gottes geopfert hast, auch heute noch die ersten Jahre meines Lebens dir schenken, um mich ganz deinem Dienst, meine heilige und süßeste Herrin, zu weihen. Aber dies kann ich nicht mehr; denn ich Unglücklicher habe deiner und Gottes vergessend so viele Jahre im Dienst der Welt und meiner Launen verloren. Wehe der Zeit, da ich dich nicht geliebt! Doch besser ist es, spät, als gar nie anzufangen. Siehe, o Maria, heute bringe ich mich dir dar und weihe mich ganz deinem Dienst, möge ich kurz oder lang noch auf dieser Erde zu leben haben. Mit dir vereinigt, verzichte ich auf alle Geschöpfe und weihe mich gänzlich der Liebe meines Schöpfers. Dir o Königin, weihe ich meine Seele, daß sie immer der Liebe gedenke, die du verdienst, meine Zunge, dich zu loben, mein Herz, dich zu lieben! Nimm, o allerseligste Jungfrau, das Opfer an, welches dir dieser elende Sünder darbringt; nimm es an, ich bitte dich durch den Trost, den dein Herz empfunden, als du im Tempel dich Gott geschenkt. Da ich so spät deinem Dienst mich schenke, so ist es billig, die verlorene Zeit durch verdoppelten Eifer und Liebe zu ersetzen. Hilf durch deine mächtigste Fürsprache, o Mutter der Barmherzigkeit, meiner Schwachheit und erlange mir von deinem Jesus die Beharrlichkeit und die Stärke, dir bis zum Tod getreu zu sein, auf daß ich hienieden, ohne Unterlaß dir dienend, einst dahin gelange, dich im Himmel ewig zu lobpreisen. Amen.

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4. Kap. - Mariä Verkündigung - 25. März

Maria konnte sich bei der Menschwerdung des Wortes nicht tiefer verdemütigen; Gott konnte seinerseits sie nicht höher erheben, als Er sie erhob.

„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.” (Mt 23,12) Dieser Ausspruch des Herrn kann nicht täuschen. Als darum Gott beschlossen hatte, Mensch zu werden, um den gefallenen Menschen zu erlösen, und so der Welt seine unendliche Güte zu offenbaren, und da Er sich auf Erden die Mutter zu wählen hatte, erkor Er sich aus den Jungfrauen die heiligste und demütigste. Unter allen erblickte Er eine, die Jungfrau Maria, die je vollkommener sie an Tugenden, um so einfacher und demütiger einer Taube gleich in ihren eigenen Augen war.
„Der Jungfrauen ist keine Zahl. Eine nur ist meine Taube, meine Vollkommene”, heißt es im Hohenlied
(Hl 6,7). Darum sei diese, sprach Gott, meine auserwählte Mutter.

Betrachten wir also, wie demütig Maria war, und wie hoch sie Gott dafür erhob. Maria konnte sich in der Menschwerdung des Wortes nicht mehr verdemütigen, als sie sich verdemütigte; das wird der erste Punkt sein. Gott konnte Maria nicht mehr erhöhen, als Er sie erhob; dies wird der zweite sein.


I. Indem der Hl. Geist im Hohenlied gerade von der Demut dieser demütigsten Jungfrau spricht, sagt Er: „Wenn der König auf seinem Lager ist, gibt meine Narde ihren Geruch.” (Hl 1,11) Der hl. Antonin sagt in Auslegung dieser Worte, daß in der Nardenpflanze, weil sie so klein und niedrig ist, die Demut Mariens vorgebildet war, deren Wohlgeruch zum Himmel aufstieg und aus dem Schoß des ewigen Vaters in ihren jungfräulichen Schoß das göttliche Wort herabzog. So wählte, angezogen von dem Wohlgeruch ihrer Demut, der Herr diese Jungfrau zu seiner Mutter, als Er um die Welt zu erlösen, Mensch werden wollte. Um aber die Ehre und die Verdienste dieser Mutter zu erhöhen, wollte Er ohne ihre vorherige Zustimmung nicht ihr Sohn werden, wie Abt Wilhelm bemerkt. Indem also die demütige Jungfrau in ihrem armen, kleinen Haus in Seufzern und in größerer Inbrunst als je zu Gott flehte, daß Er den Erlöser sende, wie dies der hl. Elisabeth, Benediktinerin von Schönau, geoffenbart wurde, siehe, da kommt der Erzengel Gabriel, die große Botschaft zu bringen. Eintretend grüßt er sie mit den Worten: „ Sei gegrüßt, voll der Gnaden, der Her ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen.” (Lk 1,28) Gott grüße dich, o Jungfrau, voll der Gnaden; du warst ja immerdar reich an Gnaden mehr als alle anderen Heiligen. Der Herr ist mit dir, weil du so demütig bist. Du bist gebenedeit unter den Frauen. Da alle anderen vom Fluch der Schuld getroffen wurden, warst du als Mutter des Gebenedeiten und wirst du allezeit gesegnet und frei von jeglichem Makel sein.

Was erwidert Maria in ihrer Demut auf diesen, sie so hoch lobpreisenden Gruß? Nichts, sie antwortet nicht; wohl aber erschrickt sie, solchen Gruß erwägend. „Da sie dies hörte, erschrak sie über seine Rede und dachte nach, was das für ein Gruß sei.” Und warum erschrak sie? Etwa aus Furcht vor Täuschung oder aus Sittsamkeit, einen Mann erblickend, wie einige wollen, denkend, der Engel sei ihr in menschlicher Gestalt erschienen? Nein, der Text ist klar; sie erschrak über seine Rede. Eusebius von Emessa bemerkt: „Nicht über sein Antlitz, sondern über seine Rede.” Es kam dieses Erschrecken allein aus ihrer Demut, da sie diese Lobpreisung ganzunvereinbar mit der geringen Meinung fand, die sie von sich selber hatte. Je mehr sie also vom Engel sich erhoben weiß, desto tiefer erniedrigt sie sich in Betrachtung ihres Nichts. Hier stellt der hl. Bernhardin die Erwägung an und sagt: „Hätte der Engel zu Maria gesagt, sie sei die größte Sünderin der Welt, so hätte sich Maria nicht so sehr verwundert; aber solches Lob vernehmend, erschrak sie ganz.” Sie erschrak, weil sie voll Demut jedes Lob verabscheute und nur begehrte, daß ihr Schöpfer und Geber alles Guten gelobt und gebenedeit werde. Dasselbe offenbarte Maria selbst der hl. Birgitta, von der Zeit sprechend, da sie Mutter Gottes wurde:
„Nicht mein Lob habe ich gewollt, sondern allein das des Gebers und Schöpfers.”

Doch wußte, sage ich, die allerseligste Jungfrau aus den hl. Schriften wohl, daß die von den Propheten geweissagte Zeit der Ankunft des Messias schon gekommen und die Wochen Daniels erfüllt sind; daß nach der Weissagung Jakobs das Szepter Judas bereits in die Hand des Herodes, eines fremden Fürsten, gelangt sei; auch wußte sie wohl, daß die Mutter des Messias eine Jungfrau sein müsse. Sie erkannte ferner, daß die vom Engel ihr erteilten Lobpreisungen auf keine andere, als die zur Mutter Gottes bestimmte Jungfrau sich beziehen konnten; aber kam ihr etwa der Gedanke, oder nur die leise Ahnung, als könnte sie selbst diese von Gott erkorene Mutter sein? Nein, ihre tiefe Demut ließ nicht zu, daran nur zu denken. Nur zu großer Furcht konnten diese Lobsprüche sie bewegen, zwar so, daß der hl. Petrus Chrysologus bemerken kann: „Gleichwie Christus durch einen Engel wollte gestärkt werden, so mußte die Jungfrau durch einen Engel ermutigt werden.” Der hl. Erzengel Gabriel sah Maria in solchem Erschrecken über seinen Gruß, daß er sie mit den Worten tröstete: „Fürchte dich nicht Maria, du hast Gnade gefunden vor Gott.” (Lk 1,30) Fürchte dich nicht, o Maria, erstaune nicht über die großen Ehrentitel, mit denen ich dich begrüße; denn bist du auch in deinen Augen so klein und niedrig, so hat doch Gott, der die Demütigen erhöht, dich würdig gemacht, die von den Menschen verlorene Gnade wiederzufinden, und darum hat Er dich vor dem allen Kindern Adams gemeinsamen Makel bewahrt; darum hat Er dich von deiner Empfängnis an mit mehr Gnade als alle Heiligen geziert; darum endlich erhebt Er dich jetzt zu der Würde, seine Mutter zu sein. „Siehe! Du wirst empfangen und einen Sohn gebären und sollst seinen Namen Jesus nennen.” (Lk 1,31)

Was geschah nun weiter? „Der Engel harrt auf eine Antwort”, sagt der hl. Bernhard,
„auch wir, o Herrin, harren auf das Wort deiner Erbarmung, wir, die uns der Urteilsspruch der Verdammnis so schwer drückt. Siehe! Der Preis unseres Heiles ist dir angeboten, sogleich werden wir gerettet sein, so du einwilligst. Der Herr selbst, wie sehr Er deine Schönheit begehrt, so sehr verlangt Er deine zustimmende Antwort, in die Er das Heil der Welt gelegt hat.” „O antworte doch, o hl. Jungfrau”, ruft der hl. Augustinus, „was zögerst du, der Welt das Heil zu bringen?”


Doch siehe! Schon antwortet Maria! Sie erwidert dem Engel: „Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.” (Lk 1,38) O Antwort, schöner, demütiger und weiser, als die Weisheit aller Menschen und Engel zusammen nach tausendjährigem Nachsinnen sie nicht finden könnte! O machtvolle Antwort, die du den Himmel erfreut und der Erde ein unermeßliches Meer von Gnaden und Gütern gebracht hast! Antwort, kaum aus dem Herzen Mariens hervorgegangen, hast du aus dem Schoß des ewigen Vaters den eingeborenen Sohn herabgezogen, um in ihrem reinsten Schoß Mensch zu werden. Ja, kaum sind die Worte: „Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort” ausgesprochen, da ist schon der Sohn Gottes auch Sohn Mariens geworden. „Das Wort ist Fleisch geworden.” (Jo 1,14) „O mächtiges Fiat - es geschehe”, ruft der hl. Thomas von Villanova aus, „o wirksames Fiat, o über alles ehrwürdiges Fiat!” Mit einem anderen Fiat schuf Gott das Licht, den Himmel, die Erde; aber mit diesem Fiat Mariens wurde Gott ein Mensch gleich uns.

Doch wollen wir dieses Thema nicht verlassen, sondern noch weiter die große Demut der hl. Jungfrau in dieser Antwort betrachten. Wohl war sie erleuchtet, die überaus hohe Würde einer Mutter Gottes zu erkennen. Schon hatte sie vom Engel die Gewißheit, daß sie selbst diese glückliche vom Herrn erwählte Mutter sei, doch all dies bewegt sie nicht, eine höhere Meinung von sich anzunehmen; nichts bringt sie dazu, über diese Erhöhung an sich Gefallen zu finden; denn an sich selbst erblickt sie nur ihr Nichts vor der unendlichen Majestät ihres Gottes, der zu seiner Mutter sie erkoren. Sie weiß sich unwürdig solcher Ehre, doch will sie seinem Willen nicht widerstreben. Um ihre Zustimmung befragt, was tut sie? Was antwortet sie? Ganz vernichtet in sich selbst und wieder ganz entflammt von dem Verlangen, im höchsten Grad mit Gott dadurch vereinigt zu sein, antwortet sie, dem göttlichen Willen sich ganz hingebend: „Schau, ich bin die Magd des Herrn!” Siehe die willenlose Magd des Herrn, verpflichtet zu tun, was ihr Herr befiehlt, d. h. wenn der Herr zu seiner Mutter mich erwählt, die ich aus mir nichts besitze, die ich, was ich habe, von Gott empfangen habe, wer kann je denken, daß Er mich um meiner Verdienste willen dazu erwählte? Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Welches Verdienst könnte eine recht- und willenlose Magd besitzen, zur Mutter ihres Herrn erhöht zu werden? Siehe, ich bin die Magd des Herrn. So werde gelobt allein die Güte des Herrn, nicht aber rühme sich die Magd; denn nur seine Güte kann die Augen auf eine so niedrige Kreatur wenden, wie ich bin, und sie so sehr erheben.

„O große Demut Mariens”, ruft Abt Guerricus aus, „die sie klein vor sich selbst, aber groß vor Gott macht! Unwürdig in ihren Augen, aber würdig in den Augen des unendlich großen Herrn, den die Welt nicht zu fassen vermag.” Noch schöner sind die hierauf sich beziehenden Worte des hl. Bernhard in seiner vierten Rede über die Himmelfahrt Mariens, wo er ihre Demut bewundernd spricht: „O Herrin, wie konntest du in deinem Herzen eine so demütige Meinung von dir selbst mit solcher Reinheit, mit solcher Unschuld und solcher Gnadenfülle vereinigen? Woher, o allerseligste Jungfrau, stammt diese Demut, in der du so tief begründet bist? Sie ist so groß, und du siehst dich von Gott so hoch geehrt und erhoben. Als Luzifer sich mit großer Schönheit ausgerüstet sah, verlangte er seinen Thron über die Sterne zu setzen und Gott sich gleich zu machen;” was hätte er in seinem Stolz erst gesagt und begehrt, wenn er sich mit den Vorzügen Mariens geschmückt gesehen? Nicht so die Demut Mariens; je mehr sie sich erhöht erblickt, um so tiefer demütigt sie sich. „Ach Herrin, durch diese so schöne Demut”, schließt der hl. Bernhard, „hast du dich wohl würdig gemacht, von Gott mit besonderer Liebe angesehen zu werden, würdig, deinen König durch deine Schönheit einzunehmen, würdig, durch den Wohlgeruch deiner Demut den ewigen Sohn aus seiner Wohnung, aus dem Schoß Gottes in deinen reinsten Mutterschoß herabzuziehen.”

Nach Bernhardin von Bustis hat Maria durch ihre Antwort: „Schau, ich bin die Magd des Herrn, ein größeres Verdienst erlangt, als alle Kreaturen mit all ihren Werken erlangen können.” Auch der hl. Bernhard sagt übereinstimmend damit, die schuldlose Jungfrau, durch ihre reinste Jungfrauschaft Gott wohlgefällig, machte durch ihre Demut sich würdig, so weit sich eine Kreatur dessen würdig machen kann, Mutter ihres Schöpfers zu werden. Auch der hl. Hieronymus bestätigt dies mit den Worten, daß Gott sie mehr wegen ihrer Demut, als wegen aller ihrer anderen erhabenen Tugenden zur Mutter erwählt habe. Maria selbst erklärte dies der hl. Birgitta, indem sie sagte: „Wie anders verdiente ich solche Gnade, Mutter meines Herrn zu werden, weil ich mein Nichts erkannte und mich demütigte.”

Und schon in ihrem überaus demütigen Lobgesang hatte sie dies erklärt in den Worten: „Er hat herniedergeschaut auf die Niedrigkeit seiner Magd... Großes hat an mir getan, der mächtig ist.” Der hl. Laurentius Justinianus sagt dazu, daß die allerseligste Jungfrau nicht sagte, hernieder sah Er auf die Jungfräulichkeit, Unschuld, sondern nur auf die Niedrigkeit. „Und durch diese Niedrigkeit”, bemerkt der hl. Franz von Sales, „wollte Maria nicht die Tugend der Demut loben, sondern nur erklären, daß Gott ihr Nichts angesehen und aus reiner Güte sie so sehr erhöht habe.” [Maria ist die Königin der Demut und der Demütigen.]

Überhaupt, sagt der hl. Augustinus, war die Demut Mariens wie eine Leiter, auf welcher der Herr sich würdigte, auf Erden herniederzusteigen, um Mensch in ihrem Schoß zu werden. Und dies bestätigend, sagt der hl. Antonin, daß die Demut der Jungfrau ihre vollkommenste und nächste Vorbereitung gewesen sei, um Mutter Gottes zu werden. Darum hatte Isaias geweissagt: „Ein Reis wird hervorkommen aus der Wurzel Jesses und eine Blume aufgehen aus seiner Wurzel” (Is 11,1), worüber der hl. Albert Der Große bemerkt, daß die göttliche Blume, d. h. der eingeborene Sohn Gottes nicht aus dem Gipfel oder Stamme Jesses, sondern aus der Wurzel hervorgehen mußte, um die Demut der Mutter dadurch anzuzeigen: „Unter der Wurzel wird die Demut des Herzens verstanden.” Und deutlicher erklärt der Abt von Celles: „Bemerke, daß nicht aus dem Gipfel, sondern aus der Wurzel die Blume hervorgehen wird.” Deshalb hatte der Herr zu seiner geliebten Tochter gesagt:

„Wende ab deine Augen; denn sie ziehen mich zu dir”, was nach der Erklärung des hl. Thomas von Villanova bedeutet, sie ziehen mich vom Schoß des Vaters zu meiner jungfräulichen Mutter. Denselben Gedanken erklärt der gelehrte Fernandez mit den Worten: „So sehr gefielen Gott die Blicke ihrer tiefsten Demut, mit denen sie nur seine unendliche Größe und ihr eigenes Nichts betrachtete, daß sie mit süßer Gewalt das ewige Wort des Vaters in ihren reinsten Schoß herabzogen.” „Daraus ersieht man”, sagt Abt Franko, „warum der Hl. Geist so sehr die Schönheit dieser seiner Braut wegen ihrer Taubenaugen erhob.” Ihre Einfalt und Demut machten sie Gott also wohlgefällig und gaben ihr in seinen Augen solche Schönheit, daß es Ihm gefiel, in ihrem jungfräulichen Schoß zu wohnen. So konnte sich also Maria, um diesen Punkt zu schließen, in der Menschwerdung des Wortes nicht tiefer demütigen, als sie sich gedemütigt hat. Betrachten wir nun weiter, wie Gott sie in Erwählung zu seiner Mutter nicht mehr erhöhen konnte, als Er sie erhöht hat.

II. Um die Hoheit zu ermessen, zu der Maria erhoben wurde, müßte man die unendliche Herrlichkeit und Größe Gottes selbst zu begreifen imstande sein. Darum wird der einfache Ausspruch genügen: Gott erkor sie zu seiner Mutter, um zu erkennen, daß Gott sie nicht mehr erhöhen konnte, als Er sie erhoben hat. Mit Recht beteuert der hl. Arnold von Chartres, daß Gott, indem Er Sohn der Jungfrau wurde, sie über alle Engel und Heiligen erhoben hat. „Sie ist nach Gott ohne Vergleich höher als alle himmlischen Geister”, sagt der hl. Ephräm. Dasselbe bestätigt auch der hl. Andreas von Kreta mit dem hl. Anselm, der sagt: „Herrin, du hast niemand, der dir gleich käme; denn jeder andere ist entweder über dir oder unter dir: Gott allein ist über dir, und alle anderen sind unter dir.” „So groß”, sagt der hl. Bernhardin, „ist die Hoheit dieser Jungfrau, daß Gott allein sie fassen kann.”

„Dies ist auch die Ursache”, sagt der hl. Thomas von Villanova, „warum wir uns nicht wundern dürfen, daß die hl. Evangelisten so wenig von Maria berichten, während sie mit Ausführlichkeit von dem Täufer oder von Magdalena zu deren Lob erzählen. Es war genug, von ihr zu sagen: „Von der Jesus geboren ist.”
„Was willst du mehr, das sie von den hohen Vorzügen dieser Jungfrau hätten beschreiben sollen? Es genüge dir, daß sie bezeugen, sie sei die Mutter Gottes. Indem sie in diesem einzigen Satz das Größte, das Ganze ihrer Vorzüge beschreiben, so war nicht notwendig, Weiteres von den Einzelheiten zu erzählen.” Und wie? frage ich mit dem hl. Anselm, übersteigt der einfache Bericht, daß Maria die Mutter Gottes sei, nicht jede Größe, die nächst Gott sich denken oder sagen läßt?

Auch Petrus von Celles drückt dies in den Worten aus: „Gib ihr, den Namen den du willst, Königin des Himmels, Herrin der Engel oder was immer für einen anderen Ehrentitel, du wirst sie dadurch nie so ehren können, als mit dem Namen „Gottesgebärerin.” Der Grund ist einleuchtend, weil nach dem Satz des englischen Lehrers: „Je näher ein Geschöpf dem Schöpfer steht, um so mehr hat es teil an seinen Vollkommenheiten.” Maria hatte als das Gott am nächsten stehende Geschöpf mehr als alle anderen Anteil an Gnade, Vollkommenheit und Größe.


Pater Suarez zieht daraus den Schluß, daß die Würde einer Mutter Gottes höherer Ordnung ist als jede andere erschaffene Würde, indem sie gewissermaßen der Ordnung der hypostatischen Einigung angehört, mit der sie naturnotwendig verbunden ist. Deshalb lehrt auch Dionysius der Karthäuser, daß es nach der Vereinigung, welche die Person des ewigen Wortes mit der von Ihm angenommenen menschlichen Natur eingegangen ist, keine innigere zwischen Gott und dem Geschöpf mehr gehen könne, als jene der Mutter Gottes mit Gott, ihrem Sohn. „Diese ist”, wie der hl. Thomas sagt, „die allerhöchste Einigung, in die ein Geschöpf zu Gott gelangen kann» Darum bezeugt auch der hl. Albert Der Große, daß die göttliche Mutterschaft unmittelbar nach der unendlichen Größe Gottes selber komme, so zwar, daß Maria, ohne Gott selbst zu werden, nicht enger mehr mit Ihm vereinigt sein konnte.

Der hl. Bernhardin behauptet, daß die allerseligste Jungfrau, um vom Hl. Geist empfangen und Gott gebären zu können, durch unendliche Gnadenfülle zu einer gewissen Ähnlichkeit mit Gott erhoben werden mußte, Von der Tatsache ausgehend, daß die Kinder mit ihren Erzeugern im moralischen Sinn eine Person ausmachen und darum Güter und Ehrenvorzüge gemeinschaftlich besitzen, behauptet der hl. Petrus Damianus: „Gott, der in seinen Geschöpfen auf verschiedene Weise wohnt, wohnt in Maria auf eine ganz einzige Weise, nämlich in der Gleichheit, indem Er sich eins mit ihr machte.” Daher sein berühmter Ausspruch: „Es schweige und zittere jede Kreatur und wage kaum, die Unermeßlichkeit solcher Würde anzuschauen. Gott wohnt in der Jungfrau, mit der Er die Gleichheit einer Natur hat.

Der hl. Thomas lehrt, daß Maria, nachdem sie Mutter Gottes geworden, aus Grund dieser so innigen Vereinigung mit einem unendlichen Gut eine gewisse unendliche Würde erlangt habe, die Pater Suarez unendlich ihrer Art nach nennt. Die Würde einer Mutter Gottes nämlich ist die höchste Würde, die einem bloßen Geschöpf verliehen werden kann. Dies begründet der englische Lehrer durch den Nachweis, daß in gleicher Weise von Maria wie von der hl. Menschheit Jesu Christi zwar angenommen werden dürfe, daß sie eine noch höhere eingegossene Gnade hätte empfangen können, als sie wirklich empfangen hat, daß aber mit Rücksicht des Zweckes, für den die hl. Menschheit Jesu Christi die eingegossene Gnade erhielt, nämlich zur Vereinigung mit der Person des Wortes, sie keine höhere Gnade hätte erhalten können, und daß demgemäß auch Maria zu keiner höheren Würde hätte von Gott erhoben werden können als zu der, seine Mutter zu sein. „Die allerseligste Jungfrau hat dadurch, daß sie Mutter Gottes ist, eine gewisse unendliche Würde aus dem unendlichen Gut, das Gott ist, und in dieser Beziehung ist nichts Vollkommeneres möglich.”

Dasselbe schreibt der hl. Thomas von Villanova: „Sicher liegt darin eine gewisse Unendlichkeit, Mutter des Unendlichen zu sein.” Und der hl. Bernhardin sagt, daß der Stand, zu dem Maria von Gott als seine Mutter erhoben wurde, der höchste war, so daß Er sie nicht höher erheben konnte. Und der hl. Albert Der Große bestätigt dies mit den Worten: „Der Herr hat der allerseligsten Jungfrau das Höchste verliehen, was ein bloßes Geschöpf zu empfangen fähig war, nämlich die Mutterschaft Gottes.”

Der hl. Bonaventura stellt den bekannten Satz auf, daß Gott zwar eine größere Welt und einen schöneren Himmel, nicht aber eine erhabenere Kreatur, als seine Mutter erschaffen konnte. Doch schöner als alle Gottesgelehrten beschreibt die göttliche Mutter selbst ihre Erhöhung mit den Worten: „Großes hat an mir getan, der mächtig ist.” (Lk 1,49) Warum aber erklärte sie nicht, was die großen Dinge seien, die ihr von Gott verliehen wurden? Darauf antwortet der hl. Thomas von Villanova: „Darum hat Maria sie nicht erklärt, weil sie unfaßbar sind.”

Mit Recht sagt also der hl. Bernhard, daß Gott um seiner jungfräulichen Mutter willen die ganze Welt erschaffen habe. Und mit gleichem Recht sagt der hl. Bonaventura in Anwendung der von der hl. Kirche auf Maria bezogenen Stelle aus den Sprichwörtern: „Ich war mit Ihm alles ordnend (Spr 8,30): „Auf deine Anordnung, heiligste Jungfrau, besteht die Welt, die auch du mit Gott von Anfang gegründet hast.” Damit stimmt zusammen, was der hl. Bernhardin behauptet, daß Gott nach dem Fall Adams nur aus Liebe zu Maria den Menschen noch verschont habe. Wie recht also singt die hl. Kirche von Maria: „Sie hat den besten Teil erwählt”; denn nicht bloß erwählte sie das Beste, sondern auch vom Besten den allerbesten Teil, indem sie um der Würde ihrer göttlichen Mutterschaft willen, wie der hl. Albert Der Große sagt, alle allgemeinen und besonderen Gnaden, die je den anderen Kreaturen verliehen wurden, von Gott im höchsten Grad empfangen hat.

So war also Maria zwar ein Kind, aber von diesem Stand hatte sie nur die Unschuld, nicht den Mangel eines kindlichen Unvermögens; denn vom Anfang ihres Lebens hatte sie immer den vollkommensten Gebrauch der Vernunft. Sie war Jungfrau, aber mit dem Vorzug der Mutterschaft. Sie war Mutter, aber mit der Zierde unversehrter Jungfräulichkeit. Sie war schön, ja schöner als alle Kreaturen, wie Richard von St. Viktor und der hl. Georg von Nikomedien nach dem hl. Dionysius dem Areopagiten sagen, der, wie viele annehmen, ein einziges Mal das Glück hatte, im Leben ihre Schönheit zu schauen, und bekannte, daß, wenn der Glaube ihm nicht gesagt, daß sie ein Geschöpf sei, er sie als Gottheit angebetet hätte.

Der Herr selbst offenbarte der hl. Birgitta, daß die Schönheit seiner Mutter die Schönheit aller Engel und Menschen übertroffen habe. Ihre Schönheit war, sage ich, alles Erschaffene überragend und zum Heil allen, die sie schauen konnten, denn sie flößte die Liebe zur Herzensreinheit ein und verscheuchte die unreinen Geister, wie es der hl. Ambrosius bezeugt. Auch der hl. Thomas lehrt, daß ihre übernatürliche hl. Schönheit alle mit der Liebe zur Reinheit entzündet habe. Dies ist der Grund, warum die hl. Kirche sie eine Myrrhe nennt, die vor Fäulnis bewahrt: „Als die auserwählte Myrrhe gebe ich süßen Wohlgeruch.” (Sir 24,20)

Maria führte ein tätiges Leben, aber ihre Tätigkeit hinderte nicht die ununterbrochene Vereinigung mit Gott. Sie lebte in Betrachtung und steter Sammlung in Gott, unterließ aber nichts, was ihre zeitliche Lage und die Liebe des Nächsten von ihr verlangten. Sie war vom ‘Tod’ * berührt, aber nicht von seinem Schrecken und nicht von der Verwesung. (*Siehe bei Mariä Himmelfahrt)

Kommen wir nun zum Schluß. Die göttliche Mutter steht unendlich tiefer als Gott, aber unendlich höher als jede Kreatur. Und so unmöglich ein edlerer Sohn sich finden läßt als Jesus, so unmöglich gibt es eine edlere Mutter als Maria. Dies muß den Verehrern dieser Königin zum Antrieb sein, nicht bloß über ihre Größe sich zu freuen, sondern auch im Vertrauen auf ihren mächtigen Schutz immer mehr zu wachsen. Weil sie Mutter Gottes ist, sagt Pater Suarez, hat sie ein gewisses Recht über seine Gaben zugunsten jener, für die sie bittet, und andererseits kann Gott, nach dem hl. Germanus, die Gebete dieser Mutter nicht unerhört lassen, weil Er nicht aufhören kann, sie als seine wahre und unbefleckte Mutter zu erkennen. So fehlt dir, o Mutter Gottes und unsere Mutter, nicht die Macht, uns zu helfen, und auch nicht der Wille. Mit dem Abt von Celles will ich vor dir bekennen, was du selber weißt, daß Gott dich nicht für sich allein erschaffen, sondern den Engeln dich als ihre Wiederherstellerin, den Menschen als ihre Erlöserin und den Teufeln als ihre Besiegerin gegeben hat; denn durch deine Vermittlung erlangen wir die göttliche Gnade wieder, und durch dich bleibt der Feind besiegt und niedergedrückt. Und tragen wir Verlangen, der göttlichen Mutter zu gefallen, so laßt sie uns oft mit dem Ave Maria grüßen. Eines Tages erschien Maria der hl. Mechthild und sagte ihr, daß niemand sie besser ehren könne, als mit diesem Gruß. Dadurch werden wir gewiß auch besondere Gnaden von dieser Mutter der Barmherzigkeit erlangen, wie man aus folgendem Beispiel sehen wird.

Beispiel

Pater Paul Segneri erzählt in seinem „Unterrichteten Christen” die wohlbekannte Tatsache, daß dem Pater Nikolaus Zucchi in Rom ein mit üblen Sünden und schlechten Gewohnheiten behafteter Jüngling beichtete. Der Beichtvater behandelte ihn mit Liebe, und über seinen elenden Zustand sich erbarmend, sagte er ihm, daß die Andacht zu Maria ihn von dem unseligen Laster befreien könne. Deshalb legte er ihm zur Buße auf, bis zur nächsten Beichte jeden Morgen und Abend beim Aufstehen und Niederlegen ein Ave Maria zu beten und Maria Augen, Hände und Leib aufzuopfern, bittend, sie wolle sie als ihre Sache behüten; dabei solle er dreimal den Boden küssen. Der Jüngling verrichtete diese Buße, doch anfänglich mit geringer Besserung. Der Beichtvater ließ ihn nicht von dieser Übung abkommen und bestärkte ihn im Vertrauen. Sein Beichtkind begab sich indes für einige Jahre auf Reisen. Bei seiner Rückkehr suchte er den Beichtvater wieder auf, der mit freudigem Erstaunen ihn ganz geändert und frei von den früheren Lastern fand. „Mein Sohn”, fragte er, „wie hast du von Gott die gute Besserung erlangt?” Der Jüngling antwortete: „Maria hat mir durch die kleine Andacht, die Sie mich gelehrt, diese Gnade erlangt.” Der Beichtvater erzählte von der Kanzel diese Tatsache.

Dies hörte ein anderer, der seit mehreren Jahren in schlechtem Verhältnis lebte. Dieser nahm sich nun vor, dieselbe Andacht zu verrichten, um von den schrecklichen Banden frei zu werden, die ihn zu einem Sklaven des Teufels machten. Auch ihm wurde geholfen; er ließ den Umgang und änderte sein Leben. Mit gleichem Vorsatz soll jeder Sünder zu Maria flehen, damit von ihr ihm sichere Rettung werden möge. Doch was geschah weiter? Nach sechs Monaten wollte der Bekehrte in vermessenem Vertrauen auf seine Stärke die Person besuchen, um zu sehen, ob auch sie ihr Leben geändert. Als er aber ihrem Haus nahe kam, wo neue Gefahr des Rückfalles ihm drohte, fühlte er sich von einer unsichtbaren Kraft zurückgestoßen und fand sich so weit weg von dem Haus, als die Straße lang war. Er stand wieder vor der eigenen Wohnung und mußte so aufs klarste erkennen, daß Maria ihn vom Verderben befreit hatte. Daraus sieht man, wie besorgt unsere gute Mutter ist, uns, wenn wir in guter Absicht uns ihr anempfehlen, nicht bloß aus der Sünde herauszureißen, sondern uns auch von der Gefahr der Rückfälle zu bewahren.


Gebet
O unbefleckte und hl. Jungfrau, o demütigste und zugleich höchste Kreatur vor Gott! Du warst so klein in deinen Augen, aber so groß in den Augen des Herrn, daß Er dich zu seiner Mutter und zur Königin des Himmels und der Erde erhöht. Ich danke also diesem Gott, der dich so sehr erhoben, und freue mich mit dir, dich in solcher Vereinigung mit Gott zu schauen, wie höher sie für ein bloßes Geschöpf nimmer möglich ist. Vor deiner Demut bei so hohen Vorzügen muß ich mich schämen zu erscheinen, der ich so stolz bei meinen vielen Sünden bin. Trotz meines Elendes will ich dich doch begrüßen:
Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade. Voll bist du an Gnaden, erlange auch mir meinen Anteil. Der Herr ist mit dir. Ja, immer war der Herr mit dir vom Augenblick, da Er dich erschuf, bis zur innigsten Vereinigung mit dir, da Er dein Sohn geworden. Du bist gebenedeit unter den Frauen. O Gesegnete unter allen Frauen, erlange auch mir den Segen Gottes. Und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. O du seliges Reis, das der Welt eine so edle und heilige Frucht geschenkt hat. Hl. Maria Muttergottes. Ich bekenne dich, o Maria, als die wahre Mutter meines Gottes und bin bereit, für diese Wahrheit tausendmal zu sterben. Bitte für uns Sünder. Als Mutter Gottes bist du auch Mutter unseres Heiles, die Mutter von uns armen Sündern, die zu retten Gott Mensch geworden und dich zu seiner Mutter gemacht hat, auf daß deine Bitten die Kraft haben, jeden Sünder zu retten. Wohlan denn, o Maria, bitte für uns: Jetzt und in der Stunde unsers Todes. Bitte immer, bitte jetzt, da wir noch im Leben sind, inmitten so vieler Versuchungen und Gefahren, Gott zu verlieren; aber bitte noch mehr in der Stunde unseres Todes, wenn wir auf dem Punkt stehen, aus dieser Welt zu scheiden und vor dem Richterstuhl Gottes zu erscheinen. Bitte, auf daß wir durch die Verdienste Jesu Christi und durch deine Vermittlung gerettet, einst in den Himmel kommen, wo wir ohne Gefahr, wieder verloren zu gehen, durch die ganze Ewigkeit dich mit deinem Sohn grüßen und loben. Amen.

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5. Kap. - Mariä Heimsuchung - 31. Mai - 2. Juli*

Maria ist die Schatzmeisterin aller Gnaden. Wer also Gnaden begehrt, muß sich an Maria wenden, und wer sich an Maria wendet, darf sicher sein, die Gnaden, die er begehrt, zu erlangen.

[* Eigentlich müßte dies Fest Ende März gefeiert werden, denn Maria ging ja gleich zu Elisabeth. Der 2. Juli ist eher der Tag der Rückkehr - nach der Geburt und Beschneidung des Johannes.]

Glücklich schätzt sich ein Haus über die Ehre und die zu guten Wirkungen eines königlichen Besuches. Weit glücklicher aber ist eine Seele zu achten, die von der allerseligsten Jungfrau, der Königin der Welt, besucht wird; denn diese kann jene glückseligen Seelen mit Gütern und Gnaden erfüllen, die sie besucht. Gesegnet war das Haus Obededoms, als er von der Bundeslade des Herrn besucht wurde, „der Herr segnete sein Haus.” (1 Chr 13,14)

Reich werden jene gesegnet, die einen liebevollen Besuch von der lebendigen Arche Gottes, von der göttlichen Mutter empfangen! „Glücklich das Haus, welches die Mutter Gottes besucht”, schrieb Engelgrave. Dies erfuhr das Haus des Täufers, wo Maria bei ihrem Eintritt die ganze Familie mit Gnaden und himmlischen Segnungen überhäufte. Deshalb wird das Fest der Heimsuchung allgemein das Fest Unserer Lieben Frau von den Gnaden genannt. Daher werden wir betrachten, wie die göttliche Mutter Schatzmeisterin aller Gnaden ist, und dies in zwei Punkten.


Im ersten betrachten wir, daß, wer Gnaden begehrt, sich an Maria wenden soll. Im zweiten, daß, wer an Maria sich wendet, darf sicher sein, die Gnaden zu erlangen, um die er bittet.


I. Als die allerseligste Jungfrau von dem Erzengel Gabriel vernommen hatte, daß ihre Base Elisabeth seit sechs Monaten gesegneten Leibes sei, wurde sie durch Erleuchtung des Hl. Geistes inne, es wolle das in ihr wohnende menschgewordene Wort die Erstlinge seiner Gnaden dieser hl. Familie verleihen, um der Welt die Reichtümer seiner Barmherzigkeit zu offenbaren. Ohne Säumen brach darum, wie der hl. Lukas berichtet, Maria auf und zog eilens ins Gebirge.
(Lk 1,39) Aus der Ruhe ihrer Beschauung, der sie stets hingegeben war, sich erhebend, verließ sie die ihr teuere Einsamkeit und reiste eilends zu Elisabeths.

Die Liebe „erträgt alles” (1 Kor 13,7) und weiß von keiner Säumnis, wie der hl. Ambrosius bemerkt: „Die Gnade des Hl. Geistes kennt keine langsame Ausführung» Deshalb machte sich die an Verborgenheit gewohnte Jungfrau ohne Rücksicht auf die Mühen der Reise rasch auf den Weg. „Sie trat in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.”„Bemerke”, sagt der hl. Ambrosius, „daß Maria die erste war, die grüßte.” Dieser Besuch Mariens aber war sehr verschieden von denen der Weltmenschen; während diese meist in Gepränge und leeren Höflichkeiten verlaufen, brachte der Besuch Mariens eine Fülle von Gnaden in das Haus; denn beim Eintritt und ersten Gruß wurde Elisabeth vom Hl. Geist erfüllt und Johannes von der Schuld befreit und geheiligt. Darum gab er sein Frohlocken durch Aufhüpfen im Schoß seiner Mutter zu erkennen und offenbarte damit, daß er durch Vermittlung der allerseligsten Jungfrau die Gnade empfangen habe, wie dies Elisabeth bezeugt: „Als die Stimme deines Grußes in meinen Ohren erscholl, frohlockte das Kind vor Freude in meinem Schoß.” (Lk 1,40) Und Bernhardin von Bustis sagt, in Kraft des Grußes Mariens empfing der Knabe die heiligmachende Gnade.


Diese ersten Früchte der Erlösung also kamen durch Maria, und sie war der Kanal, mittels dessen die Gnade dem Täufer, der Hl. Geist der Elisabeth, die Gabe der Prophezeiung dem Zacharias und noch viele andere Segnungen dieser Familie zuteil wurden, die wir als die ersten Gnadenwirkungen des menschgewordenen Wortes auf Erden erkennen. Mit gutem Grund ist darum zu glauben, daß Gott Maria zur Mittlerin aller Gnaden, zur gemeinsamen Wasserleitung, wie der hl. Bernhard sie nennt, für uns bestellt hat, so daß fortan alle weiteren Gnaden, die der Herr uns verleihen will, nur durch sie uns zufließen. Damit ist zu vergleichen, was oben erklärt worden ist.


Mit Recht wird also diese göttliche Mutter der Schatz, die Schatzmeisterin und Ausspenderin der göttlichen Gnaden genannt, wie dies vom ehrwürdigen Abt von Celles geschieht; auch der hl. Petrus Damianus nennt sie den „Schatz der göttlichen Gnaden”; der hl. Albert Der Große: „Schatzmeisterin Jesu Christi”; der hl. Bernhardin: „Verteilerin der Gnaden”; ein griechischer Lehrer bei Petavius: „Die Vorratskammer aller Güter”; der hl. Gregor der Wundertäter: „Maria wird voll Gnade genannt, weil in ihr der Schatz der Gnade niedergelegt ist.” Und Richard von St. Lorenz sagt, daß Gott in Maria wie in eine Schatzkammer der Erbarmungen alle Gaben der Gnaden gelegt habe, um daraus ihre Diener zu bereichern.


Der hl. Bonaventura, vom Acker des Evangeliums sprechend
(Mt 13,44), wo der Schatz verborgen ist, der um jeden Preis erkauft werden soll, wie Jesus Christus sagte, wendet dieses Gleichnis auf Maria an, und nennt sie den Acker, in dem der Schatz Gottes verborgen ist. In ihr nämlich liegt der Schatz Gottes, d. h. Jesus Christus verborgen, der Quell und Ursprung aller Gnade» Der hl. Bernhard bestätigt auch, daß der Herr alle Gnaden, die Er uns verleihen will, in die Hand Mariens gelegt habe, auf daß wir erkennen mögen, daß wir alles Gute nur durch sie empfangen können. Ja, Maria selbst versichert uns dessen, wenn sie sagt: „In mir ist alle Gnade des Weges und der Wahrheit.” (Sir 24,25) In mir sind alle Gnaden der wahren Güter, die ihr Menschen während eures Lebens begehren könnt. „Ja, Mutter und unsere Hoffnung, wohl wissen wir es”, ruft der hl. Petrus Damianus aus, „daß alle Schätze der göttlichen Barmherzigkeit in deinen Händen ruhen!” Vor dem hl. Petrus Damianus hat dies eindringlicher der hl. Ildephons gelehrt mit den Worten:
„Alle Güter, welche die höchste Majestät Gottes den Menschen zu geben willens ist, hat Er deinen Händen zu übergeben beschlossen, denn dir sind die Schätze und Zierden der Gnaden anvertraut.” Darum schließen wir mit dem hl. Germanus, daß niemand selig werden kann, außer durch dich, und daß niemand eine Gabe von Gott empfängt, wenn nicht durch deine Vermittlung.

An die Worte des Engels: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott” (Lk 1,30), knüpft der hl. Albert Der Große die schöne Erklärung: „Fürchte dich nicht, denn du hast gefunden; du hast nicht geraubt, wie der erste Engel; du hast nicht verloren, wie der erste Mensch; du hast nicht gekauft, wie Simon der Magier; du hast gefunden die unerschaffene Gnade und in ihr alles, was erschaffen ist.” In Übereinstimmung damit macht auch der hl. Johannes Chrysostomus den Ausspruch: „Diese unerschaffene Gnade empfing Maria, um allen Geschlechtern das Heil wiederzubringen.” Und an einer anderen Stelle drückte er dies aus, da er sagt: „Welch große Gnade hast du gefunden? Die volle, die wahrhaftige Fülle, die wie ein reicher Regen auf die ganze Schöpfung sich ergoß.” Richard von St. Lorenz bedient sich eines anderen Gleichnisses mit den Worten: „Wie die Sonne erschaffen wurde, die ganze Welt zu erleuchten, so ist Maria erschaffen, um der ganzen Welt Barmherzigkeit zu bringen.” Dieselbe Auffassung teilend, lehrt der hl. Bernhard: „Von der Zeit an, da die jungfräuliche Mutter das Wort in ihrem Schoß empfing, erlangte sie, um mich so auszudrücken, ein gewisses Recht über die zeitliche Gnadenspendung des Hl. Geistes, so daß keine Seele eine Gnade von Gott empfängt, außer sie werde durch die Vermittlung seiner süßen Mutter verliehen.”


Wir wollen nun den ersten Punkt mit den Worten Richards von St. Lorenz schließen: „Begehren wir, Gnade zu finden, so müssen wir die Finderin der Gnade suchen, die nicht uns unerhört lassen kann, da sie immer Gnade findet.” Der hl. Bernhard hat ihm diesen Gedanken gegeben, da er sagt: „Suchen wir die Gnade, aber suchen wir sie durch Maria; denn sie findet, was sie sucht, und kann uns nicht unerhört lassen. Dies ist der Wille Gottes, der beschlossen hat, daß wir alles durch Maria haben sollen.” Alles, sage ich, alles; also nichts ist ausgeschlossen! Doch um die Gnade zu empfangen, ist notwendig, daß wir Vertrauen haben. Und so gehen wir nun über zum zweiten Punkt, d. h. zur Betrachtung, wie wir fest überzeugt sein dürfen, die Gnade zu erlangen, wenn wir uns an Maria wenden.

II. Warum aber hat Jesus Christus in die Hand dieser seiner Mutter alle Reichtümer der Erbarmungen gelegt, die Er uns schenken will? Es geschah zu dem Zweck, damit sie alle ihre Diener, die sie lieben und ehren und mit Vertrauen die Zuflucht zu ihr nehmen, damit bereichern könne. „Bei mir sind Reichtümer, damit ich bereichere die, so mich lieben.” (Spr 8,1)


So beteuert die allerseligste Jungfrau selbst in den Schriftworten, welche die hl. Kirche an so vielen ihrer Feste auf sie anwendet. Also nur, um uns damit zu helfen, werden nach den Worten des Abtes Adam, die Reichtümer des ewigen Lebens von Maria bewahrt, in deren Schoß der Erlöser den Schatz der Hilfsbedürftigen niedergelegt, auf daß sie daraus in ihrer Armut versehen und bereichert werden. Ich füge hier den bemerkenswerten Ausspruch des hl. Bernhard an, den ich bei einem Schriftsteller gefunden habe: „Dazu ist Maria der Welt gleich einer Wasserleitung von Gott gegeben worden, daß durch sie ohne Unterlaß von Gott die himmlischen Gaben an die Menschen herabgelangen.”


Der hl. Bernhard stellt auch die Frage, warum der hl. Gabriel, der ja die göttliche Mutter schon voll von Gnade gefunden und sie auch so begrüßt habe, „sei gegrüßt voll der Gnade”, dennoch gesagt, daß der Hl. Geist auf sie herabkommen solle, um sie noch mehr mit Gnade zu erfüllen. Wenn sie schon voll von dieser Gnade war, was konnte die Herabkunft des göttlichen Geistes noch weiter bewirken? Der Heilige gibt darauf die Antwort: „Dazu kam der Hl. Geist aufs neue über sie, damit sie, die durch Ihn für sich selber bereits erfüllt war, auch für uns übervoll und überfließend würde.” Darum trägt Maria auch den Namen Mond, von dem es heißt, der Mond ist voll für sich und andere. In den Sprichwörtern heißt es: „Wer mich findet, wird das Leben finden und Heil vom Herrn schöpfen.” (Spr 8,35) „Selig, wer mich findet, da er zu mir sich wendet”, sagt unsere Mutter; er wird das Leben finden, und wird es leicht finden; denn wie es leicht ist, an einer starken Quelle Wasser zu finden und zu schöpfen, so viel man will, so ist es auch leicht, die Gnaden und das ewige Heil zu finden, wenn man sich zu Maria wendet. Eine hl. Seele sagte: „Es genügt, die Gnaden bei unserer lieben Frau zu suchen, um sie zu haben.”


Der hl. Bernhard sagte, daß vor der Geburt Mariens der Welt der reiche Überfluß der Gnade mangelte, der jetzt zur Erde niederströmt, weil der ersehnte Weg der Gnade noch nicht gegeben war. Aber jetzt, da wir diese Mutter der Barmherzigkeit haben, welche Gnaden sollten wir nicht erhalten können, wenn wir zu ihren Füßen eilen? „Ich bin die Stadt der Zuflucht”, so läßt sie der hl. Johannes von Damaskus sagen, „für alle, die zu mir ihre Zuflucht nehmen; kommt also zu mir, meine Kinder, und ihr werdet von mir die Gnaden in größerem Überfluß haben, als ihr denkt.”


Es ist wahr, daß vielen begegnet, was die ehrwürdige Schwester Maria Villani in einem himmlischen Gesicht erblickte. Diese Dienerin Gottes sah einst die Mutter Gottes im Bild einer großen Quelle, zu der viele gingen und viel Wasser der Gnaden daraus schöpften. Doch, was sah sie weiter? Die, welche unversehrte Gefäße an die Quelle brachten, bewahrten sich die empfangenen Gnaden für immer; jene aber, die zerbrochene Geschirre trugen, d. h. mit Schuld belastete Gewissen, verloren die Gnade alsbald wieder. Doch ist gewiß, daß jeden Tag die Menschen unzählige Gnaden durch die Vermittlung Mariens empfangen, selbst Undankbare und ganz elende Sünder, wie der hl. Augustinus mit den Worten bezeugt: „Durch dich, o Maria, erben wir Elende Barmherzigkeit, wir Undankbare Gnade, wir Sünder Verzeihung, wir Schwache Erhabenes, wir Irdische Himmlisches, wir Sterbliche das Leben, wir Pilger das Vaterland.”

Beleben wir also immer mehr unser Vertrauen, wir Diener Mariens, so oft wir zu ihr um Gnaden flehen, und um uns darin zu bestärken. Gedenken wir immerdar der zwei hohen Vorzüge dieser guten Mutter, ihres Verlangens nämlich, uns Gutes zu tun, und ihrer Macht, bei ihrem Sohn das zu empfangen, was sie begehrt. Um das Verlangen Mariens, uns allen zu helfen zu erkennen, könnte allein schon die Erwägung des Festgeheimnisses der Heimsuchung der Elisabeth genügen. Obwohl die Entfernung von Nazareth nach Hebron, der Heimat Elisabeths, 160 km betrug, so zögerte doch die zarte Jungfrau nicht, sich gleich auf den Weg zu machen. [Zacharias und Elisabeth hatten noch ein anderes Haus bei Jerusalem in Ain Karim. Dort werden heute noch die Geheimnisse der Heimsuchung und der Geburt Johannes des Täufers verehrt. Das sind ca. 120 km von Nazareth.]


Was bewog Maria, dies zu tun? Die große Liebe, von der ihr zartestes Herz stets erfüllt war, trieb sie, die Reise anzutreten und jetzt schon ihr großes Amt als Ausspenderin der Gnaden zu beginnen, wie der hl. Ambrosius bezeugt, da er sagt: „Sie ging, nicht etwa der Weissagung mißtrauend, sondern in froher Sehnsucht, in eilender Freudigkeit, in treuem Dienst.” Er will sagen: Maria ging nicht, um zu sehen, ob es wahr sei, was der Engel gesagt, daß Elisabeth gesegneten Leibes sei, sondern in frohem Verlangen, jenem Haus Segen zu bringen, eilte sie in der Freude ihres Herzens ins Gebirge, anderen Gutes zu tun und ganz ihrem Liebeseifer hingegeben. Bemerke wohl wie der hl. Evangelist nur von der Hinreise zu Elisabeth erzählt: „Sie ging eilends”, von ihrer Rückreise ist dies nicht erwähnt, sondern nur: „Maria blieb ungefähr drei Monate bei ihr, und kehrte dann in ihr Haus zurück.” (Lk 1,56) „Was hat”, fragt der hl. Bonaventura, „Maria bewogen, eilends ihre Liebespflicht zu erfüllen, wenn nicht die Liebesglut ihres Herzens?”


Durch ihre Aufnahme in den Himmel aber hat Maria diesen Liebeseifer für die Menschen nicht verloren, er ist im Gegenteil gewachsen, indem sie dort unsere Bedürfnisse noch besser erkennt und größeres Mitleid mit unserer Armseligkeit trägt. „Sie hat größeres Verlangen”, sagt Bernhardin von Bustis, „uns Gutes zu tun und Gnaden zu spenden, als wir zu erhalten begehren”, und dies so sehr, daß der hl. Bonaventura sagt: „Gegen dich, o Herrin, sündigen nicht bloß, die dir Unrecht zufügen, sondern auch, die dich nicht bitten.” Das also ist die Gesinnung Mariens im Himmel, daß sie alle mit Gnaden zu bereichern verlangt; sie, die nach den Worten des Idiote, der Schatz Gottes und die Schatzmeisterin seiner Gnaden ist, die mit ausgezeichneten Gnaden freigebigst ihre Diener beschenkt.


Deshalb hat nach ihm „jedes Gut gefunden, wer Maria findet.” Und ein jeder kann sie finden, denn „so groß ist ihre Güte, daß niemand sich zu fürchten braucht, sich ihr zu nahen, und so groß ist ihre Barmherzigkeit, daß niemand davon ausgeschlossen ist.” Nach dem gottseligen Thomas von Kempen ruft Maria allen zu: „Alle sind geladen; alle sind erwartet, alle mir ersehnt, kein Sünder ist von mir verachtet.” Und Richard von St. Lorenz mahnt: „Immerdar läßt sich Maria bereit finden zu helfen, und um jede Gnade des ewigen Heiles dem mit ihren mächtigen Bitten zu erlangen, der sie anruft.”

Ich sage: Durch ihre mächtigen Bitten; denn das ist die zweite Erwägung, die unser Vertrauen steigern muß, die Gewißheit nämlich, daß sie von Gott erlangt, was sie zu Gunsten ihrer Verehrer begehrt. „Bemerkt wohl”, sagt der hl. Bonaventura, „welch große Wirkung die Worte Mariens hatten, denn kaum waren sie gesprochen, als die Gnade des Hl. Geistes Elisabeth und ihrem Sohn Johannes verliehen wurde. „Und es geschah, als Elisabeth den Gruß Mariens hörte, frohlockte das Kind in ihrem Schoß, und sie wurde mit dem Hl. Geist erfüllt.” (Lk 1,41)


Theophilus von Alexandrien sagt: „Die Bitten Mariens sind für Jesus eine Freude; denn was Er, durch die Bitten seiner Mutter überwältigt, uns verleiht, das erachtet Er als seiner Mutter selbst gegeben.” Beachte wohl die Worte: „Durch die Bitten seiner Mutter überwältigt”; denn auch der hl. Germanus bezeugt dies mit den Worten:
„In deiner mütterlichen Gewalt zu Gott vermagst du selbst den großen Sündern die ausgezeichnete Gnade der Vergebung zu erlangen. Denn du kannst nicht unerhört bleiben, da Gott dir, als seiner wahren, unversehrten Mutter, in allem willfährig ist,” Zur Bestätigung dessen beruft sich der hl. Johannes Chrysostomus auf das, was bei der Hochzeit zu Kana geschah, wo der Herr auf die Worte seiner Mutter: „Sie haben keinen Wein mehr” erwiderte: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.” War also die zu seinen Wundern bestimmte Zeit noch nicht gekommen, so gehorchte der Herr doch, nach dem hl. Chrysostomus und Theophylactus, seiner Mutter und verwandelte das Wasser in Wein.


Gehen wir daher nach der Mahnung des hl. Apostels (Hebr 4,16), mit Vertrauen zum Thron der Gnade, d. h. Maria, wie der hl. Albert Der Große sie nennt, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden, wenn wir Hilfe nötig haben. Ja, nahen wir mit der sicheren Hoffnung, Erhörung zu finden, denn wir besitzen ihre Mittlerschaft, die alles erlangt, was sie von ihrem Sohn begehrt. „Suchen wir die Gnade”, rufe ich noch einmal mit dem hl. Bernhard, „suchen wir sie durch Maria!” Halten wir uns an die Worte, welche die jungfräuliche Mutter selber an die hl. Mechthild richtete: „Der Hl. Geist, der mit seiner ganzen Süßigkeit mich durchdrang, hat mich so gnadenreich gemacht, daß jeder, der durch mich die Gnade sucht, sie finden wird.”


Und wenn wir dem bekannten Ausspruch des hl. Anselm Glauben schenken, „schneller kommt bisweilen unsere Hilfe durch Anrufung des Namens Mariens, als durch die des Namens Jesu”, so werden wir erleben, wie oftmals wir leichter bei Maria, als bei Jesus dem Erlöser Erhörung finden; nicht als wäre Er nicht der Quell und Herr aller Gnade, sondern weil die von uns erflehte Fürbitte Mariens, seiner Mutter, eine unendlich höhere Wirkung hat als unsere eigenen Bitten. Weichen wir doch nie von den Füßen dieser Schatzmeisterin der Gnaden, und flehen wir beständig mit dem hl. Johannes von Damaskus: „Öffne uns die Tür der Barmherzigkeit, o gebenedeite Gottesgebärerin, du bist ja das Heil des menschlichen Geschlechtes.”


Das Beste, was wir von Maria erbitten können, ist, daß sie durch ihre Fürbitte jene Gnade uns erlange, die sie selbst als die heilsamste für uns erkennt. Dies tat der Bruder Reginald, ein Dominikaner, wie in den Jahrbüchern des Ordens erzählt wird. Als dieser Diener Mariens krank war, bat er sie um die Gnade der leiblichen Genesung. Es erschien ihm seine Herrin, begleitet von der hl. Cäcilia und der hl. Katharina und sagte ihm mit größter Sanftmut: „Sohn, was willst du, daß ich für dich tun soll?” Der Ordensmann fühlte sich beschämt über dieses so gütige Anerbieten Mariens, und wußte nicht, was antworten. Da gab ihm eine dieser Heilige den Rat: „Reginald, weißt du, was du tun sollst? Verlange nichts, lege dich ganz in ihre Hände; denn Maria wird dir eine bessere Gnade zu geben wissen, als du begehren kannst.” So tat der Kranke, und die göttliche Mutter erlangte ihm die Gesundheit. Wenn auch wir nach der glückseligen Heimsuchung dieser Königin des Himmels begehren, so wird es sehr heilsam sein, daß wir sie oft besuchen vor einem Bild oder in einer ihr geweihten Kirche. Man lese das folgende Beispiel und lerne, mit welchen besonderen Gunstbezeigungen sie die frommen Besuche ihrer Verehrer belohnt.

Beispiel

In den Jahrbüchern der Franziskaner wird erzählt, daß zwei Ordensleute zu einem Heiligtum der Jungfrau wallfahrteten. Als sie sich in einem großen Wald befanden, brach die Nacht herein, weshalb sie verwirrt und betrübt nicht wußten, was tun. Weiter gehend glaubten sie in der Dunkelheit ein Haus zu sehen. Sie gingen darauf zu und berührten mit den Händen die Mauern, suchten nach der Pforte, klopften an und hörten bald von innen die Frage, wer sie wären? Sie antworteten, sie seien zwei arme Ordensleute, die sich unglücklicherweise bei der Nacht im Wald verirrt hätten, sie bitten um geringe Herberge, um doch nicht von den Wölfen zerrissen zu werden. Und siehe, sogleich hören sie die Pforte öffnen und erblicken zwei reichgekleidete Edelknaben, die sie mit großer Freundlichkeit aufnehmen. Die Ordensleute fragten sie, wer in diesem Palast wohne. Die Edelknaben antworteten, eine sehr fromme Frau. „Wir wollen sie begrüßen”, sagten jene, „und ihr für ihre Güte danken.” Die anderen: „Gerade zu ihr wollen wir euch führen; denn sie will mit euch sprechen.” Sie stiegen die Treppen hinauf, fanden die Zimmer erleuchtet und geschmückt und dazu einen Wohlgeruch, der ihnen der Wohlgeruch des Paradieses schien. Sie traten schließlich vor die Herrin, und erblickten eine majestätische, sehr schöne Frau, die mit höchster Gütigkeit sie aufnahm und sie dann fragte, wohin sie reisen. Sie antworteten, daß sie zu einer Kirche der allerseligsten Jungfrau wallfahrten wollen. „Wenn das so ist”, sagte die Frau, „so will ich euch bei der Abreise einen Brief mitgeben, der euch viel helfen wird.” Während die Frau mit ihnen sprach, fühlten sie sich ganz von der Liebe zu Gott entflammt und empfanden eine Freude, wie sie nie zuvor empfunden hatten. Sie gingen dann schlafen, wenn sie je inmitten solcher Freude den Schlaf gewinnen konnten, und am Morgen wollten sich sie wieder von der Herrin des Hauses verabschieden, ihr danken und den Brief in Empfang nehmen, den sie wirklich erhielten. Tags darauf reisten sie ab.

Als sie sich ein wenig entfernt hatten, bemerkten sie, daß der Brief keine Adresse hatte; sie gingen kreuz und quer, sahen aber das Schloß nicht mehr. Endlich öffneten sie den Brief, um zu sehen, an wen er gerichtet und was er enthalte. Sie fanden, daß er von der allerseligsten Jungfrau Maria an sie selber geschrieben sei, und daß sie ihnen mitteile, sie selbst sei die Frau gewesen, die sie in der Nacht zuvor gesehen, und daß sie um der Andacht willen, die sie gegen sie hegten, ihnen in dem Wald Obdach und Erquickung verschafft habe; sie sollten nur fortfahren, ihr zu dienen und sie zu lieben, sie werde ihre Huldigungen immer gut belohnen und ihnen im Leben und im Tod beistehen. Am Ende des Briefes lasen sie die Unterschrift: „Ich, die Jungfrau Maria.” Man möge sich nun den Dank denken, die diese guten Ordensleute der göttlichen Mutter dargebracht haben, und wie sie vom Verlangen entflammt wurden, ihr das ganze Leben hindurch zu dienen und sie zu lieben.


Gebet
Unbefleckte und gebenedeite Jungfrau, weil du für alle die Ausspenderin aller Gnaden bist, bist du auch die Hoffnung aller und auch meine Hoffnung. Immer danke ich meinem Herrn, der mich dich hat erkennen lassen, und der mir das Mittel gezeigt, das ich anzuwenden habe, um Gnade zu finden und mein Heil zu wirken. Dieses Mittel bist du, o große Mutter Gottes! Wohl erkenne ich, daß ich vor allem durch die Verdienste Jesu Christi und dann durch deine Vermittlung mein Heil erlangen werde. Ach, meine Königin, du hast dich so beeilt, das Haus der Elisabeth zu besuchen und ihm das Heil zu bringen; besuche also und besuche schnell das arme Haus meines Herzens. Beeile dich! Du weißt besser als ich, wie arm es ist und an wie vielen Übeln krank; an unordentlichen Neigungen, schlechten Gewohnheiten und begangenen Sünden, lauter verderbenbringenden Übeln, die zum ewigen Tod führen. Du kannst mich reich machen, o Schatzmeisterin Gottes, du kannst mich von allen Übeln heilen. Suche mich also heim im Leben und suche mich heim besonders in der Stunde des Todes, wo dein Beistand mir am nötigsten ist. Ich verlange nicht und bin nicht würdig, daß du hienieden mit deiner sichtbaren Gegenwart mich besuchst, wie du es schon vielen deiner Diener getan hast, freilich Dienern, die nicht unwürdig und undankbar waren, wie ich. Ich bin zufrieden, dich in deinem himmlischen Reich zu schauen, um dich da noch mehr zu lieben und dir zu danken für alles Gute, das du mir erwiesen hast. Für dieses Leben begnüge ich mich mit der Heimsuchung deiner Barmherzigkeit. Es ist mir genug, wenn du für mich bittest.

Bitte also, o Maria, und empfiehl mich deinem Sohn. Du kennst besser als ich mein Elend und meine Not. Was soll ich mehr dir sagen? Habe Mitleid mit mir. Ich bin so elend und unwissend, daß ich nicht einmal die Gnaden zu erkennen und zu suchen weiß, die mir die notwendigsten sind. Königin, süßeste Mutter, bitte du für mich und erlange mir von deinem Sohn die Gnaden, die du als die heilsamsten und als die meiner Seele notwendigsten erkennst. In deine Hände übergebe ich mich ganz und bitte allein die göttliche Majestät, daß sie durch die Verdienste meines Heilandes, die mir von dir erflehten Gnaden verleihen wolle. Deine Bitten erfahren keine Zurückweisung, denn es sind Bitten einer Mutter bei ihrem Sohn, der dich so sehr liebt und sich freut, zu tun, was du von Ihm begehrst, um dich so noch mehr zu ehren und dir zugleich die große Liebe zu zeigen, die Er zu dir trägt. Herrin, dabei soll es bleiben. Ich lebe im Vertrauen auf dich. Du hast daran zu denken, mich zu retten. Amen.

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6. Kap. - Mariä Reinigung - 2. Febr.

Das große Opfer, das Maria an bei der Aufopferung ihres Sohnes
Gott darbrachte

Für die erstgeborenen Knaben gab es im alten Bund zwei Vorschriften; fürs erste hatte die Mutter, als unrein geworden, sich vierzig Tage zu Hause zu bleiben, und danach im Tempel sich zu reinigen; fürs zweite mußte der Erstgeborene von den Eltern zum Tempel getragen und Gott dort geopfert werden. Beiden Geboten wollte die allerseligste Jungfrau gehorchen, obwohl als allzeit rein und unbefleckt zum Gesetz der Reinigung nicht verpflichtet war, wollte Maria doch aus Demut und Gehorsam, wie die anderen Mütter sich zu reinigen, in den Tempel gehen. Sie gehorchte auch dem zweiten Gebot, ihren Sohn dem ewigen Vater darzustellen und aufzuopfern. „Und da die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz Moses erfüllt waren, brachten sie Ihn nach Jerusalem, um Ihn dem Herrn darzustellen.” (Lk 2,22)

Die allerseligste Jungfrau aber opferte Ihn in anderer Weise, als wie die übrigen Mütter ihre Söhne darzubringen pflegten, die wohl wußten, daß diese Aufopferung eine einfache Zeremonie des Gesetzes für sie war, so daß sie mit der Loskaufung die Söhne als ihr Eigentum zurückerhielten, ohne Furcht, sie auch zum Tod hingeben zu müssen. Maria aber opferte ihren Sohn wirklich und mit der Gewißheit, daß das Opfer des Lebens Jesu, das sie damals brachte, eines Tages sich wirklich auf dem Altar des Kreuzes vollenden werde, so daß Maria, indem sie das Leben ihres Sohnes hingab, durch die Liebe, die sie zu diesem Sohn trug, auch sich selber Gott ganz aufopferte.

Lassen wir darum alle anderen Erwägungen, die wir über die vielen Geheimnisse dieses Festes noch machen könnten, beiseite und betrachten wir allein die Größe des Opfers Mariens, das sie mit ihrer eigenen Person in der Opferung ihres Kindes Gott heute darbrachte. Dies sei der einzige Gegenstand unserer Erwägung.

Schon hatte der Ewige Vater die Rettung des verlorenen Menschen durch Erlösung von Schuld und ewigem Tod beschlossen; aber zugleich sollte auch seiner unendlichen Gerechtigkeit die gebührende, vollkommene Genugtuung nicht ungeleistet bleiben, Darum verschonte Er das Lebens seines Eingeborenen, zum Heil der Welt bereits menschgewordenen Sohnes nicht, sondern wollte, daß Er nach der vollen Strenge die von den Menschen verschuldete Strafe bezahle. Er hat seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben.
(Röm 8,32) Er sandte Ihn auf die Erde, Mensch zu werden, und bestimmte Ihm als Mutter die Jungfrau Maria. Wie Er aber nicht gewollt, daß sein ewiges Wort ohne ihre ausdrückliche Zustimmung ihr Sohn werde, so wollte Er auch nicht, daß Jesus zum Heil der Welt sein Leben opfere, ohne daß Maria durch ihre Einwilligung dazu mitwirke, so daß zugleich mit dem Leben des Sohnes auch das Herz der Mutter mitgeopfert würde. Nach dem hl. Thomas besitzt jede Mutter als solche ein besonderes Recht über ihre Kinder; deshalb es entsprechend erschien, daß der ganz reine, schuldlose und keiner Strafe würdige Jesus nicht zum Kreuzestod für die Sünden der Welt ohne die Einwilligung seiner Ihn zum Tod darbringenden Mutter bestimmt werde.

Obwohl nun Maria, seitdem sie Jesu Mutter geworden, in seinen Tod eingewilligt hatte, so wollte doch Gott, daß sie sich selbst im Tempel auf feierliche Weise dadurch zum Opfer bringe, daß sie feierlich das kostbare Leben ihres Sohnes als ein Sühnopfer der göttlichen Gerechtigkeit darbringe. Darum nennt der hl. Epiphanius die Jungfrau einen Priester. Nun aber wollen wir erwägen, welche Schmerzen sie dieses Opfer kostete, und welch heroische Tugend sie zu üben hatte, indem sie selber das Todesurteil ihres Sohnes zu unterschreiben hatte.

Schon näherte sich Maria Jerusalem, ihren Sohn zu opfern, sie beschleunigte ihre Schritte zur Opferstätte, sie selbst trug auf ihren Armen das geliebte Opferlamm. Sie trat in den Tempel, näherte sich dem Altar und hier, voll Disziplin, Demut und Andacht stellte sie ihr Kind dem Allerhöchsten vor. In diesem Augenblick nahm der hl. Simeon, der von Gott das Versprechen hatte, nicht zu sterben, ehe er den erwarteten Messias gesehen hat, das göttliche Kind von den Armen der Jungfrau und verkündigte ihr vom Hl. Geist erleuchtet, was sie das zu bringende Opfer ihres Sohnes kosten werde, mit dem auch ihre eigene gebenedeite Seele geopfert werde.

[Der Tempel stand genau an jenem Ort, wo einst Abraham seinen Sohn Isaak zu opfern bereit war. Jesus ist aber der eigentlich Abraham verheißene Nachkomme.]

Der hl. Thomas von Villanova betrachtet in seiner Rede auf das Fest Mariä Reinigung den hl. Greis Simeon, der, im Geist den Kreuzestod des Heilandes schauend, Maria diese Trauerbotschaft nicht zu verkünden vermag, sondern voll Betrübnis schweigt. Maria fragt: „Warum, o Simeon, bist du jetzt, in diesem Augenblick des Trostes, so betrübt?” - „O königliche Jungfrau zwinge mich nicht zu reden, was ich gern verschweigen möchte. Doch vernimm, was ich dir verkünden muß. Dein Kind, das dir jetzt so viel Freude bringt, über das du jetzt mit Recht frohlockst, ach Gott! Es wird dir einstens den bittersten Schmerz bereiten, den je eine Seele in der Welt empfunden hat. Und dies wird geschehen, wenn du Ihn einst von Menschen jeden Standes verfolgt und zur Zielscheibe ihres Spottes und ihrer Mißhandlungen gemacht erblickst, bis Er zuletzt vor deinen Augen zum Tod verurteilt wird. Wisse, daß es nach seinem Tod viele Märtyrer geben wird, die aus Liebe zu deinem Sohn Peinigung und Tod erleiden werden; ihre Marter wird eine leibliche sein, dein Martyrium aber, o göttliche Mutter, wird im Herzen geschehen.”

Ja, im Herzen! Das Mit-Leiden der Leiden ihres geliebten Sohnes war ja das Schwert, das nach Simeons Weissagung das Herz der Mutter durchbohren sollte. (Lk 3,35) Nach dem hl. Hieronymus hatte Maria aus den hl. Schriften längst mit voller Klarheit erkannt, welche Leiden der Erlöser während seines ganzen Lebens und besonders in der Zeit seines Todes zu leiden haben wird.

So wußte sie aus den Propheten, daß er von einem seiner nächsten Freunde verraten und von seinen Jüngern verlassen wird. Sie kannte die Verhöhnungen, das Anspeien, die Faustschläge, Mißhandlungen, die Er von Heiden erleiden wird (Is 50,6). Sie wußte, daß Er von den Menschen gelästert, vom niedrigsten Volk mit Unrecht und Schmähung verhöhnt wird (Ps 21,7; Klgl 3,30), daß vor dem Ende seines Lebens sein heiligster Leib von Geißelhieben zerschlagen und zerrissen wird (Is 53,5), so daß Er ganz entstellt, wie der Leib eines Aussätzigen, nur als eine Wunde bis zur Blöße der Gebeine erscheinen wird. (Is 53,2) (Ps 21,18) Sie wußte, daß Er von Nägeln durchbohrt (Ps 21,7), unter die Missetäter gestellt (Is 53,12) und zuletzt ans Kreuz geheftet, verurteilt für das Heil der Menschen sterben wird. (Zach12,10)

Alle diese künftigen Leiden ihres Sohnes waren Maria nicht unbekannt, doch bei den Worten Simeons: „Und deine Seele wird ein Schwert durchbohren”, wurden ihr, wie es der hl. Theresia von Gott geoffenbart wurde, alle einzelnen Umstände der inneren und äußeren Leiden ihres Jesu bei seinem bitteren Leiden gezeigt. Und sie gab zu allen ihre Einwilligung und mit einem die Engel in Erstaunen setzenden Starkmut stimmt sie dem Urteil zu, daß ihr Sohn sterbe, und zwar dieses so schimpflichen und qualvollen Todes, sprechend: „Ewiger Vater, weil Du also willst, so geschehe nicht mein, sondern Dein Wille; ich vereinige meinen Willen mit Deinem heiligsten Willen und opfere Dir meinen Sohn; ich stimme zu, daß Er das Leben zu Deiner Ehre und zum Heil der Welt verliere. Und damit opfere ich Dir auch mein Herz; durchbohre es der Schmerz, soviel es Dir gefällt; mir genügt, o mein Gott, daß Du dadurch verherrlicht und versöhnt wirst; nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe!” - O Liebe ohne Maß! Starkmut ohnegleichen! O Sieg, der die ewige Bewunderung des Himmels und der Erde verdient!

Und dies war die Ursache, daß Maria schwieg, als Jesus in seinem bitteren Leiden falsch angeklagt wurde; daß sie vor Pilatus schwieg, der, seine Unschuld erkennend, geneigt war, Ihn frei zu geben; daß sie nur darum sich öffentlich zeigte, um Zeuge des großen Opfers zu sein, das auf dem Kalvarienberg vollzogen werden sollte. Sie begleitete Ihn zur Schädelstätte. Sie war von Anfang an zugegen, da ihr Sohn ans Kreuz geheftet wurde: „Neben dem Kreuz Jesu stand seine Mutter”, (Jo 19,25) bis sie Ihn verscheiden sah und das Opfer vollbracht war. Dies alles, um ihr Opfer zu vollenden, das sie Gott im Tempel gebracht hatte.

Um die Stärke zu begreifen, die Maria bei diesem Opfer gegen sich selbst zu bringen hatte, müßte man, ihre mütterliche Liebe zu Jesus zu ermessen, imstande sein. Insgemein ist die Liebe der Mütter zu ihren Kindern so innig, daß, wenn es mit diesen zum Sterben und zur Gefahr ihres Verlustes kommt, sie alle Fehler und Gebrechen, selbst früher erlittenes Unrecht vergessen und einen unaussprechlichen Schmerz empfinden. Und doch ist die Liebe dieser Mütter eine geteilte, zu anderen Kindern und noch zu anderen Geschöpfen. Maria hat nur einen Sohn und dieser ist der schönste unter allen anderen Adamskindern, der liebenswürdigste, der alles in sich vereinigt, was der Liebe würdig machen kann. Er ist gehorsam, tugendhaft, unschuldig, heilig, genug: Er ist Gott.

Die Liebe dieser Mutter ist also nicht geteilt auf andere, sie ruht ganz auf diesem einem Sohn, in dessen Liebe sie kein Maß zu überschreiten fürchten muß, da Er der Sohn Gottes und einer unbegrenzten Liebe würdig ist. Und dieser Sohn ist das Lamm - das sie freiwillig dem Tod opfern soll. Daraus entnehme jeder, was es Maria kosten und welche Seelenstärke sie in dieser Opferung ihres so geliebten Sohnes zum Tod des Kreuzes üben mußte. Sie ist die glücklichste aller Mütter, weil Mutter eines Gottes, und doch zugleich die bemitleidenswerteste als Mutter der Schmerzen und Mutter eines Sohnes, den sie zum Kreuz von der Stunde an verurteilt sieht, in der Er ihr Sohn geworden ist! Wer möchte Mutter eines Sohnes sein und wissen, daß sie ihn durch einen schmählichen Tod verlieren und vor ihren Augen müßte sterben sehen? Maria willigt ein, unter so harter Bedingung ihren Sohn zu empfangen, ja noch mehr, sie selbst bringt Ihn mit eigener Hand dar, daß Er sterbe, um der göttlichen Gerechtigkeit genug zu tun.

Wohl hätte nach dem hl. Bonaventura die allerseligste Jungfrau weit lieber für sich selbst, als für ihren Sohn das Leiden und den Tod angenommen, aber aus Gehorsam gegen Gott bringt sie das große Opfer des göttlichen Lebens ihres geliebten Jesus mit höchstem Schmerz, die ganze Zärtlichkeit ihrer Liebe zu Ihm überwindend! Und dieses hochherzige Opfer erforderte größere Starkmut, als wenn Maria zu allen Leiden ihres Sohnes sich angeboten hätte. Sie übertraf den Heldenmut aller Märtyrer, die nur ihr eigenes Leben, nicht wie Maria das unendlich mehr als sich selbst geliebte Leben ihres Sohnes zum Opfer brachten.

Doch die Marter ihres schmerzhaften Opfers ist damit nicht zu Ende; sie beginnt erst jetzt, da Maria von nun während dem ganzen Leben ihres Sohnes das Leiden und den Tod vor Augen hat, die Er erdulden wird. Und mit der Schönheit, Anmut, Liebenswürdigkeit ihres Kindes wächst die Betrübnis ihres Herzens. O betrübte Mutter, hättest du weniger deinen Sohn geliebt, wäre Er deiner Liebe weniger würdig gewesen, oder hätte Er dich weniger geliebt, so wäre doch der Schmerz des Opfers seines Lebens für dich geringer gewesen. Aber nie hat, noch wird eine Mutter ihren Sohn mehr lieben als du, und nie war, noch wird ein Sohn der Liebe würdiger und seine Mutter liebender sein als Jesus.

O Gott, hätten wir die Schönheit, die Majestät des Angesichtes dieses göttlichen Kindes schauen können, hätten wir wohl den Mut gehabt, sein Leben für das Heil der Welt zu opfern? Und du, Maria, seine Mutter, seine Ihn über alles liebende Mutter, du konntest deinen unschuldigen Sohn für das Heil der Menschen dem schmerzlichsten, grausamsten Tode opfern, den nie ein Schuldiger auf Erden je gelitten hat!

Wehe uns Elenden! Welch trauriges Schauspiel hat von diesem Tag an ohne Unterlaß die Liebe den Augen Mariens geboten, da sie ihr alle Mißhandlungen, alle Beschimpfungen zeigte, die ihrem armen Sohn angetan werden sollten. Diese Liebe zeigt ihr schon jetzt seine Angst und Trauer im Ölgarten, die Geißelung und Dornenkrönung, seine Annagelungen, das Holz der Schmach auf dem Kalvarienberg! O Mutter, ruft ihr diese Liebe zu, den liebenswürdigsten, unschuldigen Sohn gibst du solchen Leiden, solchem Tod preis! Was wird es dir helfen, Ihn den Händen des Herodes zu entreißen, um Ihn für ein so erbarmungswürdiges Ende gerettet zu haben?

So hatte also Maria nicht allein im Tempel ihr Kind dem Tod zu opfern, sondern in jedem Augenblick ihres Lebens, wie sie dies der hl. Birgitta mit den Worten offenbarte: „Dieser Schmerz wich nimmer aus meinem Herzen, bis ich mit Leib und Seele im Himmel aufgenommen war.” Der hl. Anselm fleht darum zu ihr: „O gütige Herrin, ich könnte nicht glauben, daß du auch nur einen Augenblick die Leiden solcher Marter, ohne dein Leben zu lassen, hättest ertragen können, wenn nicht der Geist des Lebens selber dich gestärkt hätte.” Der hl. Bernhard aber bezeugt uns, von der großen Angst sprechend, die Maria an diesem Tag empfand, daß sie von nun an „lebend starb, einen Schmerz tragend, der grausamer war als der Tod.” Sie lebte sterbend in jedem Augenblick, da in jedem Augenblick der Schmerz über den Tod ihres geliebten Jesus sich erneuerte, ein Schmerz, der grausamer war, als jeder Tod.

Um des Verdienstes dieses großen, Gott zum Heil der Welt gebrachten Opfers willen, nennt der hl. Augustinus Maria mit Recht die Wiederherstellerin des menschlichen Geschlechtes ; der hl. Epiphanius: Die Erlöserin der Gefangenen; der hl. Ildephons: Die Wiederherstellerin der verlorenen Welt; der hl. Germanus: Die Errettung aus unserem Elend; der hl. Ambrosius: Die Mutter aller Gläubigen; der hl. Augustinus: Die Mutter der Lebendigen; der hl. Andreas von Kreta: Die Mutter des Lebens»

Arnold von Chartres erklärt: „Der Wille Christi und Mariens war damals vollkommen eins, und ein Opfer brachten beide zugleich dar, weshalb in der Erlösung der Welt eine gemeinsame Wirkung sich offenbarte.”¸ Arnold will sagen: Im Tod Jesu vereinigte Maria ihren Willen so mit dem ihres Sohnes, daß beide miteinander das eine und selbe Opfer darbrachten, oder wie der Sohn, so auch die Mutter die Erlösung der Menschen bewirkte und das Heil ihnen erlangte: Jesus durch seine unendliche Genugtuung für unsere Sünden, Maria, indem sie uns die Zuwendung solcher Genugtuung erwirkte. In gleicher Weise drückt sich auch Dionysius der Karthäuser aus: „Die allerseligste Jungfrau kann die Erlöserin der Welt wegen des Verdienstes ihres Mit-Leidens genannt werden; denn durch den bittersten Schmerz den sie über das Leiden ihres Sohnes, - den sie freiwillig der göttlichen Gerechtigkeit aufgeopfert, - empfand, hat sie im ausgezeichneten Grad von Gott es verdient, daß durch ihre Fürbitten den Menschen die Früchte der Passion zugewendet werden.”

Indem also Maria durch das Verdienst ihrer Schmerzen und der Hingabe ihres Sohnes Mutter aller Erlösten geworden ist, ist mit Recht zu glauben, daß nur durch ihre Hand die Milch der göttlichen Gnaden, d. h. die Früchte der Verdienste Jesu Christi und die Mittel zur Erlangung des ewigen Lebens uns geschenkt werden. Darauf zielen auch die Worte des hl. Bernhard, daß Gott den ganzen Preis unserer Erlösung in die Hand Mariens gelegt hat, womit er uns begreiflich machen will, daß mittels der Fürsprache Mariens den Seelen die Verdienste des Erlösers zugewendet werden, indem alle Gnaden, die ja die Frucht der Verdienste Jesu Christi sind, durch ihre Hände uns zufließen.

Und wenn Gott das Opfer Abrahams mit Isaak so wohlgefällig annahm, daß Er sich verpflichtete, zum Lohn dafür seine Nachkommen wie die Sterne des Himmels zu vermehren: „Weil du das getan und deines einzigen Sohnes um meinetwillen nicht geschont hast, so will ich dich segnen und deinen Samen mehren wie die Sterne des Himmels und wie den Sand am Ufer des Meeres”, (Gen 22,16) so müssen wir für gewiß annehmen, daß das unendlich höhere Opfer der erhabensten Mutter Jesu Christi Ihm weit mehr gefiel, und daß ihr darum gegeben war, die Zahl der Auserwählten zu vermehren, d. h. die glückselige Nachkommenschaft ihrer Kinder, als welche sie ihre Diener anerkennt und beschirmt.

Der hl. Simeon hatte die Verheißung Gottes, nicht zu sterben, bevor er den Messias gesehen hat. „Es war ihm vom Hl. Geist geoffenbart, daß er den Tod nicht sehen werde, bis er den Gesalbten des Herrn gesehen.” (Lk 2,26) Aber diese Gnade erlangte er nur durch Maria, weil er den Heiland nicht fand, außer in den Armen Mariens. Wer also Jesus finden will, wird Ihn nur durch die Vermittlung Mariens finden. Gehen wir darum zu dieser göttlichen Mutter, wenn wir Jesus wieder finden wollen, und kommen wir mit großem Vertrauen! Maria sagte zu ihrer großen Dienerin Pudentiana Zagnoni, daß jedes Jahr an dem Fest der Reinigung einem Sünder große Barmherzigkeit erwiesen werde. Wer weiß, ob nicht einer von uns heute dieser beglückte Sünder sein wird? Wie groß unsere Schuld ist, so ist die Macht Mariens noch größer. Der Sohn kann dieser Mutter nichts abschlagen. „Er erhört sie gewiß,” sagt der hl. Bernhard. Ist Jesus gegen uns erzürnt, so besänftigt Ihn Maria sogleich.

Plutarch erzählt, daß Antipater Alexander dem Großen eine lange Klageschrift gegen dessen Mutter Olympia gesandt habe, worauf dieser entgegnete: „Weiß Antipater nicht, daß eine kleine Träne meiner Mutter genügt, unzählige Anklagen auszulöschen.” Solche Antwort dürfen wir von Jesus Christus auf die Anklagen des bösen Feindes erwarten, wenn Maria für uns bittet. „Weiß Luzifer nicht, daß eine Bitte meiner Mutter zugunsten eines Sünders genügt, um mich alle Anklagen über die mir zugefügten Beleidigungen vergessen zu lassen?” Zum Beweis hierfür das folgende Beispiel:

Beispiel

Dieses Beispiel steht in keinem Buch, aber es ist mir von einem Priester und Gefährten erzählt worden, dem es selbst begegnet ist. Während dieser Beicht hörte, - der Ort wird aus guten Gründen verschwiegen, obwohl der Pönitent ihm Erlaubnis gab, die Tatsache zu veröffentlichen, - erblickte er einen jungen Menschen, der, wie es schien, beichten und nicht beichten wollte. Der Pater schaute öfter nach ihm, rief ihn endlich und fragte, ob er beichten wolle. Er bejahte es, weil aber die Beichte lange dauern sollte, führte er ihn in ein abgelegenes Zimmer. Da fing der Pönitent nun an, er sei fremd und vornehmen Standes, er könne aber nicht denken, daß Gott ihm ein Leben verzeihen werde, wie er es geführt. Wegen der zahllosen Sünden der Ausschweifung und des Totschlages sei er an seinem Heil verzweifelt und habe vorsätzlich gesündigt, nicht bloß aus Leidenschaft, sondern aus Verachtung und Haß gegen Gott. So habe er ein Kruzifix aus Verachtung mißhandelt, und noch an diesem Morgen habe er vorsätzlich sakrilegisch kommuniziert, in der Absicht, die konsekrierte Hostie mit Füßen zu treten. Er hatte die Partikel schon empfangen, um die schreckliche Bosheit auszuführen, habe es aber wegen der Leute, die ihn sehen könnten, unterlassen. Er übergab nun wirklich dem Beichtvater die in ein Papier gewickelten Partikel und erzählte weiter, daß er jetzt an dieser Kirche vorbeigehend einen unwiderstehlichen Drang verspürt habe, hineinzugehen und, daß ihm hier schwere Gewissensbisse gekommen seien und der verwirrte, unentschiedene Vorsatz zu beichten, weshalb er sich vor den Beichtstuhl gestellt habe.

Da sei die Verwirrung und die Verzweiflung so groß geworden, daß er habe weggehen wollen, er sei aber wie mit Gewalt zurückgehalten worden, bis der Pater ihn angesprochen hatte. So sei er nun da, um zu beichten, wisse aber nicht wie. Darauf fragte ihn der Pater, ob er in seinem Leben eine Andacht zu Maria getragen habe, da solche auffallende Umwandlungen nur durch die mächtige Hand der allerseligsten Jungfrau bewirkt werden. ”Nichts von Andacht,” erwiderte der junge Mann, „ich hielt mich für verdammt.” „Aber besinnen Sie sich genauer!” - „Nein, nichts.” Doch, indem er mit der Hand in die Brust griff, wie um sich Luft zu machen, da berührte er das Skapulier der Schmerzhaften Mutter. „Ach mein Sohn,” sagte der Beichtvater, „siehst du nicht, daß Unsere Liebe Frau dir diese Gnade erwiesen hat? Wisse, daß diese Kirche Unserer Lieben Frau gehört.” Dieses hörend, wurde der Mann weich, empfand Reue und fing an zu weinen. Und fortfahrend zu beichten, wuchs in ihm die Zerknirschung mit so heftigem Weinen, daß er ohnmächtig vor Schmerz, wie es schien, zu den Füßen des Paters niedersank. Dieser brachte ihn durch Arzneimittel wieder zu sich, ließ ihn seine Beichte zu Ende bringen, sprach ihn zur größten Tröstung los und entließ ihn ganz zerknirscht und entschlossen, sein Leben zu ändern. Er kehrte in seine Heimat zurück, nachdem er die volle Erlaubnis gegeben hat, überall die große von Maria empfangene Erbarmung kundzumachen.


Gebet
O hl. Mutter Gottes und meine Mutter Maria, solchen Anteil hast du an meinem Heil genommen, daß du, was deinem Herzen das Teuerste war, deinen geliebten Jesus, dem Tod hast opfern wollen. Hast du also so sehr nach meinem Heil begehrt, so muß ich nach Gott auf dich mein ganzes Vertrauen setzen. O gebenedeite Jungfrau, auf dich vertraue ich ganz. O bitte Gott durch die Verdienste deines so großen (an diesem Ta)g mit dem Leben deines Sohnes Ihm gebrachten Opfers, daß Er meiner Seele sich erbarme, für die ja das makellose Lamm am Kreuz zu sterben sich nicht geweigert hat. Mit dir, o meine Königin, begehre ich an diesem Tag, auch mein armes Herz Gott zum Opfer zu bringen, aber ich muß fürchten, daß Er es wegen seiner Verdorbenheit und Unreinheit zurückweist. Jene Gaben aber, die deine reinsten Hände Ihm darbringen, nimmt Er wohlgefällig an.

Dir also, o Maria, bringe ich mich heute dar, so elend ich bin; dir schenke ich mich ganz. Als dein Eigentum opfere mich mit Jesus dem ewigen Vater, und bitte, daß Er um der Verdienste seines Sohnes willen und aus Liebe zu dir mich annehme und behalte als Ihm gehörend.

Ach, meine süßeste Mutter, durch die Liebe zu deinem geopferten Sohn, hilf mir immer und verlasse mich nicht; gestatte nicht, daß ich jemals meinen liebenswürdigsten, von dir in so großen Schmerzen zum Kreuzestod geopferten Erlöser durch meine Schuld wieder verliere. Sage Ihm, daß ich dein Diener bin; sage, daß ich auf dich alle Hoffnung setze; sage mit einem Wort, daß du mein Heil verlangst! Dich erhört Er gewiß. Amen.

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7. Kap. - Mariä Himmelfahrt - 15. Aug.

Die hl. Kirche stellt uns zu Ehren Mariens zwei Festgeheimnisse vor: Ihr glückseliges Scheiden aus dieser Welt und ihre glorreiche Aufnahme in den Himmel In der gegenwärtigen Abhandlung werden wir von ihrem Hinscheiden, in der folgenden von ihrer Aufnahme in den Himmel handeln.

[Der hl. Alfons spricht vom Tod, aber Maria starb nicht wie wir, denn sie war ohne Erbsünde. Der Tod ist eine Strafe der Erbsünde, doch Maria war davon frei und mußte damit nicht das Los der Adamskinder tragen. Da Maria nach Gottes Willen in allem Jesus gleich sein sollte, so wollte sie in ihrem Scheiden von der Erde ihrem Sohn ähnlich werden und so schied ihre Seele am Freitag, den 13. August vom Leib und ihr Leib wurde dann am Sonntag, den 15. August - am dritten Tag - in den Himmel aufgenommen. Es gibt die Überlieferung, auch bei der sel. Anna Kath. Emmerich, daß wie an Ostern Thomas zu spät kam und ihm die Apostel den hl. Leib Mariens in der Grabkammer nochmals zeigen wollen, aber er nicht mehr da war, weil er in den Himmel aufgenommen war. Daher wir haben keine Gebeine, keine Reliquien, keinen unverwesten Leib, wie bei anderen Heiligen.
Der große Kirchenlehrer Thomas von Aquin glaubte auch noch nicht an die Unbefleckte Empfängnis. Er nahm an, daß Maria im Mutterschoß geheiligt und daher als Heilige geboren wurde. Der hl. Johannes Dun Scotus war der erste große Verfechter der Unbefleckten Empfängnis, die 1854 zum Dogma erklärt wurde und 1950 wurde die Aufnahme Mariens zum Himmel zum Glaubenssatz erklärt, wobei P. Pius XII. das Wort Tod aus dem Text strich und ‘Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes’ schreibt, nachdem er einen Hinweis von oben bekam! Daher sprechen wir besser vom Scheiden Mariens und haben das Wort Tod weggelassen, um Mißverständnissen vorzubeugen. Die Ostkirche spricht von der Entschlafung Mariens.]


Betrachten wir nun näher, wie kostbar das Scheiden Mariens war:
      I. wegen der Auszeichnungen, die ihn begleiteten,
      II. wegen der Art und Weise, wie er erfolgte.


I. Drei Dinge pflegen den Tod bitter zu machen: Die Anhänglichkeit an die Welt, die Unruhe des Gewissens und die Ungewißheit des Heiles.

Das Scheiden Mariens aber war von diesen Bitterkeiten ganz und gar frei, dagegen von drei überaus erhabenen Vorzügen begleitet, die ihn im höchsten Grad kostbar und lieblich machten. Sie schied unberührt von jedem irdischen Gut, wie sie dies durch ihr ganzes Leben gewesen, sie schied im höchsten Frieden des Gewissens, mit der Gewißheit der ewigen Herrlichkeit.

Was nun den ersten Punkt betrifft, so ist kein Zweifel, daß die Anhänglichkeit an die Güter dieser Erde den Tod der Weltleute bitter und elend macht, wie dies der Hl. Geist bezeugt: „O Tod, wie bitter ist dein Andenken dem Menschen, der sein Glück in seinem Vermögen findet.” (Sir 41,1) Der Tod der Heiligen aber, die in voller Losschälung von irdischen Dingen aus diesem Leben scheiden, ist nicht bitter, sondern süß, lieblich und kostbar und darum, nach den Worten des hl. Bernhard, würdig, um jeden Preis erkauft zu werden. „Selig die Toten, die im Herrn sterben.” (Offb 14,13) Wer sind die, welche so sterben? Es sind jene glücklichen Seelen, die losgeschält und abgestorben aller Anhänglichkeit an die vergänglichen Güter und in Gott allein all ihr Gut besitzend in die Ewigkeit hinübergehen, wie dies bei dem hl. Franziskus von Assisi der Fall war, der sagen konnte: „Mein Gott und mein Alles!” Welche Seele aber war weniger berührt von den Geschöpfen und mehr mit Gott geeint als die heiligste Seele Mariens?

Sie war ganz losgeschält von ihren Eltern, denn seit dem dritten Lebensjahr, in einem Alter also, wo die Kinder am meisten an den Eltern hängen und ihrer Hilfe bedürfen, verließ Maria sie mit größter Unerschrockenheit und ging in den Tempel um allein Gott zu dienen. Sie war losgeschält von Hab und Gut, entschlossen, immer arm zu leben, von der Arbeit ihrer Hände lebend.

Sie floh jede Ehre, obwohl königlicher Abkunft und königlicher Ehre würdig; sie liebte das demütige und niedrige Leben. Die allerseligste Jungfrau selbst offenbarte der hl. Benediktinerin Elisabeth, daß sie von ihren Eltern im Tempel sich verabschiedend im Herzen beschlossen habe, keinen anderen Vater zu haben und kein anderes Gut zu lieben, als Gott allein.

[
Viele bedenken nicht, daß wir alle beim Sterben die ewigen Gelübde ablegen müssen!
Wir müssen auf allen Besitz verzichten, auf Familie und den freien Willen. Daher wäre das Ordensleben eigentlich eine gute Vorbereitung auf den Himmel. Man lebt nur noch für Gott und mit Gott, doch dies lernt man heute kaum noch. Das Leben in Gottverbundenheit ist weitgehend unbekannt. Gott ist in uns und wir gehen ‘spazieren’! Wir lieben die Geschöpfe, statt den Schöpfer.]


Der hl. Johannes erblickte Maria als „die Frau mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen.” (Offb 12,1) Durch den Mond sind, nach Erklärung der Schriftausleger, die hinfälligen, wie der Mond sich ändernden Güter bezeichnet, die Maria nie begehrte, sondern nur verachtete und unter ihren Füßen hielt. Sie lebte in der Welt gleich der einsamen Turteltaube in der Wüste, ohne nach vergänglichen Dingen zu verlangen, wie es im Hohenlied heißt. Abt Rupertus erklärt dies in den Worten: „Wie eine Turteltaube bist du durch die Wüste heraufgestiegen, d. h. mit einer die Einsamkeit und Abgezogenheit von allen Geschöpfen liebenden Seele.” Da Maria also in vollkommenster Losschälung von allem Irdischen und einzig und allein nur mit Gott vereinigt lebte, so wurde ihr das Scheiden nicht bitter, sondern überaus süß und erwünscht, da es sie nur noch inniger mit Gott vereinigte.

Fürs zweite wird der Tod der Gerechten kostbar durch den Frieden des Gewissens. Die während des Lebens begangenen Sünden sind die Würmer, die das Herz der armen Sünder im Sterben gar sehr durch ihre Bisse quälen. In Erwartung des nahenden göttlichen Richters sehen sie sich von ihren Sünden umgeben, die sie ängstigen und ihnen zurufen, wie der hl. Bernhard sagt: „Wir sind deine Werke, wir werden dich nicht verlassen.” Maria aber konnte gewiß von keinen Gewissensbissen geängstigt werden, da sie immer heilig, allzeit rein und unberührt von jedem Schatten eigener oder ererbter Schuld war, weshalb von ihr gesagt ist: „Du bist ganz schön, meine Freundin, und keine Makel ist in dir!”

Seit dem Gebrauch der Vernunft, d. h. seit dem ersten Augenblick ihrer Unbefleckten Empfängnis im Schoß der hl. Anna, hatte sie aus all ihren Kräften Gott geliebt und war ohne Unterbrechung durch ihr ganzes Leben zu immer höherer Vollkommenheit und Liebe fortgeschritten. Alle ihre Gedanken, Wünsche und Neigungen hatten einzig Gott zum Ziel. Sie sprach kein Wort, machte keine Bewegung, keinen Blick, atmete nicht, außer für Gott und seine Ehre, ohne je einen Schritt davon abzuweichen, ohne je auch nur einen Augenblick in der göttlichen Liebe nachzulassen.

Wie umstanden in der glücklichen Stunde ihres Scheidens alle die erhabenen Tugenden, die sie im Leben geübt hat, ihr seliges Lager: ihr standhafter Glaube, ihr so liebevolles Vertrauen auf Gott, ihre so starke Geduld inmitten so vieler Leiden, ihre tiefste Demut bei so hohen Vorzügen, ihre Sittsamkeit, Sanftmut, ihre mildeste Güte gegen die Seelen, ihr unermüdlicher Eifer für die Ehre Gottes; vor allem aber ihre vollkommenste Liebe zu Gott in gänzlicher Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen. Sie alle umgaben sie mit den Worten tröstend: „Deine Werke sind wir, wir werden dich nicht verlassen. Herrin und unsere Mutter, wir sind alle Töchter deines schönen Herzens; nun da du dieses elende Leben verläßt, wollen wir dich nicht verlassen, auch wir ziehen mit dir als dein ewiges Ehrengeleit in den Himmel, wo du durch uns als Königin aller Menschen und aller Engel thronen wirst.”

Zum dritten macht die Gewißheit des ewigen Heiles den Tod süß. Der Tod heißt Übergang, weil man durch den Tod von einem kurzen Leben zu dem ewigen Leben übergeht. Daher ist nur bei denen der Schrecken groß, die im Zweifel an ihrem Heil sterben und dem großen Augenblick sich mit gerechter Furcht nahen, zum ewigen Tod hinüberzugehen. Dagegen ist die Freude der Heiligen am Ende ihres Lebens übergroß, da sie mit Sicherheit hoffen dürfen, heimzugehen, um Gott im Himmel zu besitzen. Eine Ordensfrau aus dem Orden der hl. Theresia empfand, als der Arzt ihr den Tod ankündigte, eine solche Freude, daß sie sagte: „Wie, Sie bringen mir solch frohe Botschaft, und verlangen keinen Lohn dafür?”

Als der hl. Laurentius Justinianus im Sterben lag und seine Hausgenossen weinen hörte, sagte er: „Laßt eure Tränen; jetzt ist keine Zeit zu weinen.” Ihr sollt euch vielmehr freuen, wollte der Heilige sagen, da die Pforten des Paradieses sich mir öffnen, um mich mit meinem Gott zu vereinigen. Und ähnlich der hl. Aloisius von Gonzaga, der hl. Petrus von Alcantara und viele andere Heilige, die bei der Ankündigung des Todes in Worte des Jubels und der Freude ausbrachen. Und doch hatten sie nicht solche Gewißheit der göttlichen Gnade, noch waren sie der eigenen Heiligkeit so sicher, wie Maria derselben sicher war.

Welchen Jubel also mußte Maria empfinden, da sie die Botschaft ihres Scheidens empfing, sie, die sich der höchsten Gewißheit der göttlichen Gnade erfreute, sie, die eigens vom Erzengel Gabriel die Versicherung erhalten hatte, daß sie voll der Gnade und schon im Besitzer ihres Gottes sei. „Sei gegrüßt, voll der Gnade, der Herr ist mit dir... du hast Gnade gefunden.” (Lk 1,28) Wohl fühlte sie selbst, daß ihr Herz von ununterbrochener göttlicher Liebe glühte, so sehr, daß, wie Bernhardin von Bustis sagt, Maria durch ein besonderes Vorrecht, das keinem anderen Heiligen verliehen wurde, Gott in jedem Augenblick ihres Lebens durch Übung vollkommener Liebesakte zu lieben vermochte und zwar mit solchem Feuer, daß sie nach dem hl. Bernhard nur durch ein beständiges Wunder inmitten solcher Flammen leben konnte.

Von Maria war schon im Hohenlied gesagt: „Wer ist diese, die aus der Wüste heraufsteigt wie eine Rauchsäule von Spezereien aus Myrrhen und Weihrauch und allerlei Gewürz des Salbenhändlers?” (Hl 3,6) Die Myrrhe versinnbildet ihre vollkommene Abtötung, der Weihrauch bedeutet ihre flammenden Gebete, und alle ihre hl. Tugenden vereint mit ihrer vollkommenen Liebe zu Gott entzündeten in ihr ein solches Feuer, daß ihre herrliche in Liebesgluten sich opfernde und ganz verzehrende Seele ohne Unterlaß zu Gott wie eine Feuersäule sich emporschwang und die Fülle süßester Wohlgerüche jeder Art aushauchte, wie dies Rupert bezeugt. Und noch mehr der hl. Sophronius: „Du bist gleich der Rauchsäule, weil innerlich durch das Feuer der göttlichen Liebe als ein Brandopfer verzehrt, woraus der süßeste Wohlgeruch ausströmt.” Und wie die liebende Jungfrau gelebt, so schied sie. Wie die göttliche Liebe ihr das Leben gegeben, so war ihr Scheiden, indem sie, wie insgeheim die Lehrer und hl. Väter sagen, sie nicht an irgendeinem Leiden, sondern einzig nur vor Liebe schied. Der hl. Ildephons sagt, Maria durfte entweder gar nicht oder nur vor Liebe sterben.

II. Aber sehen wir jetzt, wie ihr seliger Tod erfolgte. Nach der Himmelfahrt Jesu Christi blieb Maria auf der Erde zurück, um für die Verbreitung des Glaubens Sorge zu tragen. Deshalb kamen die Jünger Jesu Christi zu ihr, und sie löste ihre Zweifel, stärkte sie in den Verfolgungen, und flößte ihnen Mut ein, sich für die Ehre Gottes und das Heil der erlösten Seelen allen Mühsalen zu unterziehen. Gern verweilte sie auf Erden, wissend, daß dies der Wille Gottes zum Besten der Kirche sei; aber unmöglich war es ihr, die Pein der Trennung von der Gegenwart und dem Anblick ihres geliebten, zum Himmel aufgefahrenen Sohnes nicht zu fühlen. „Wo euer Schatz ist”, sagte der Erlöser, „da wird auch euer Herz sein.” (Lk 12,34) Wo einer glaubt, daß sein Schatz sei und sein Genügen, da ist die Liebe und die Sehnsucht seines Herzens. Da Maria aber kein anderes Gut als Jesus im Himmel liebte, so war im Himmel ihre ganze Sehnsucht.

Tauler schreibt: „Die Zelle Mariens war der Himmel”, denn mit ihrer Liebe weilte sie beständig im Himmel. „Ihre Schule war die Ewigkeit”, denn von allen zeitlichen Gütern war sie beständig losgeschält. „Ihr Lehrmeister war die himmlische Wahrheit”, da sie immer nach dem göttlichen Licht wirkte. „Ihr Spiegel die Gottheit”, da sie auf nichts anderes als auf Gott achtete, um sich immer seinem Willen gleichförmig zu machen. „Ihr Schmuck die Frömmigkeit”, da sie immer geneigt war, den göttlichen Willen zu vollbringen. „Ihre Ruhe die Vereinigung mit Gott”, ihr Friede bestand darin, sich ganz mit Gott zu vereinigen. „Der Ort und Schatz ihres Herzens war Gott allein.”

Oft ging die allerseligste Jungfrau, um ihr liebentbranntes Herz in dieser harten Trennung zu trösten, wie erzählt wird, die hl. Orte in Palästina zu besuchen, wo ihr Sohn in seinem Leben gewesen war. Sie besuchte den Stall von Bethlehem, wo Er geboren war; die Werkstätte von Nazareth, wo ihr Sohn so viele Jahre arm und verachtet gelebt hatte; den Garten von Gethsemani, wo ihr Sohn sein Leiden begonnen hatte; das Haus des Pilatus, wo Er gegeißelt und wo Er gekrönt wurde; aber öfter noch besuchte sie den Kalvarienberg, wo ihr Sohn gestorben war, und das Hl. Grab. Damit suchte die liebreichste Mutter sich aufrecht zu erhalten im Leid ihres harten Exils. Doch das konnte nicht genügen, ihr Herz zufriedenzustellen, das seine vollkommene Ruhe auf dieser Erde nicht zu finden vermochte, weshalb sie unaufhörlich Seufzer zu ihrem Herrn empor sandte, mit noch glühenderer Liebe als David ausrufend: „Wer wird mir Taubenflügel geben? Ich werde fliegen und ruhen.” (Ps 54,7) Wer wird mir Taubenflügel geben, um zu meinem Gott zu fliegen und da meine Ruhe zu finden? „Gleich wie ein Hirsch nach den Wasserquellen verlangt, so verlangt meine Seele nach dir, o Gott.” (Ps 41,2)

Wie der verwundete Hirsch nach der Quelle verlangt, so verlangt und seufzt meine von der Liebe zu dir verwundete Seele, mein Gott, nach dir. Ach! Die Seufzer dieser Turteltaube mußten das Herz ihres Gottes durchdringen, der sie so sehr liebte. „Die Stimme der Turteltaube ist in unserem Land gehört worden.” (Hl 2,12) Indem Er also nicht länger zögern wollte, seine Geliebte zu trösten, stillte Er ihre Sehnsucht, sie in seine Herrlichkeit berufend.

Cedrenus, Nicephorus und Metaphrastes berichten, daß der Herr ihr einige Tage vor dem Scheiden den hl. Erzengel Gabriel gesandt hat, ihn, der auch einst die Botschaft gebracht hatte, daß sie die Gesegnete unter den Frauen und die auserwählte Mutter Gottes sei. „Meine Herrin und Königin”, sprach der Engel, „Gott hat nun dein heiliges Flehen erhört, hat mich gesandt, dir zu sagen, du mögest dich bereiten, die Erde zu verlassen, da Er dich im Himmel bei sich haben will; komm also, Besitz von deinem Reich zu nehmen. Ich und alle hl. Himmelsbürger harren deiner mit Sehnsucht.” Was hätte auf diese glückselige Botschaft unsere demütigste, heiligste Jungfrau anderes zu tun vermocht, als sich noch tiefer in dem Innersten ihrer tiefsten Demut zu verbergen und in denselben Worten wie bei der Verkündigung ihrer göttlichen Mutterschaft ihm zu erwidern: „Ich bin die Magd des Herrn” (Lk 1,38), der aus reiner Güte zu seiner Mutter mich erkoren hat und nun in den Himmel mich ruft. Weder jene, noch diese Ehre habe ich verdient; doch weil Er an mir seine unendliche Freigiebigkeit offenbaren will, so bin ich bereit zu kommen, wohin Er will. Ich bin die Magd des Herrn. Immerdar geschehe an mir der Wille meines Gottes und Herrn.

Diese Botschaft teilte sie darauf dem hl. Johannes mit. Wir begreifen leicht, mit welchem Schmerz und welcher Innigkeit er sie vernehmen mußte, er, der durch so viele Jahre ihr als Sohn zur Seite stand und des himmlischen Verkehrs mit seiner heiligsten Mutter sich erfreuen durfte. Sie besuchte nochmals die hl. Orte in Jerusalem, nahm von ihnen und besonders vom Kalvarienberg, wo ihr geliebter Sohn sein Leben gelassen, den innigsten Abschied. Und dann zog sie sich in ihr bescheidenes Haus zurück, um sich auf den Heimgang vorzubereiten. Währenddessen hörten die Engel nicht auf, ihre geliebte Königin zu besuchen, sich mit der Gewißheit tröstend, sie bald gekrönt im Himmel zu schauen. Viele Schriftsteller, der hl. Andreas von Kreta, der hl. Johannes von Damaskus, Euthymius, berichten, daß vor ihrem Scheiden durch ein göttliches Wunder die Apostel und auch ein Teil der Jünger aus den verschiedensten Gegenden, wohin sie zerstreut waren, im Haus Mariens versammelten. Da sie nun ihre lieben Söhne um sich versammelt sah, sprach sie zu ihnen: „Meine Geliebten! Aus Liebe zu euch und um euch zu helfen, hat mein Sohn mich bei euch gelassen. Nun ist der Glaube in der Welt verbreitet; schon ist die Frucht des göttlichen Samens gewachsen; da mein Herr sieht, daß mein Beistand auf Erden nicht mehr notwendig ist, und da Er mit meiner Trennung Mitleid hat, so hat Er meine Sehnsucht, aus diesem Leben zu scheiden und Ihn im Himmel zu schauen, erhört. Bleibt darum noch hier zurück, um für seine Ehre zu wirken. Wenn ich euch verlasse, so verlasse ich euch doch nicht mit dem Herzen; ich nehme mit mir und werde immer bewahren die Liebe, die ich zu euch trage. Ich gehe ins Paradies, um für euch zu beten.”

Wer vermöchte bei dieser schmerzlichen Ankündigung die Tränen und das Wehklagen der hl. Jünger ermessen, da sie nun erkannten, daß sie bald von ihrer Mutter sich trennen müssen. „So willst du uns”, sprachen sie weinend, „o Maria, nun verlassen? Es ist wahr, diese Erde ist kein würdiger und geeigneter Aufenthalt für dich, und wir sind nicht würdig, die Gesellschaft einer Mutter Gottes zu genießen, aber erinnere dich, daß du unsere Mutter bist! Du warst bis jetzt unsere Lehrmeisterin in allen Zweifeln, die Trösterin in unseren Nöten, unsere Stärke in den Verfolgungen; wie kannst du von uns scheiden, uns ohne deinen Beistand inmitten so vieler Feinde, so vieler Kämpfe zurücklassen? Schon haben wir auf Erden Jesus unseren Meister und Vater verloren, da Er in den Himmel aufgefahren ist. Wir haben uns seitdem mit dir, unserer Mutter, getröstet; wie kannst auch du uns nun verwaist zurücklassen, ohne Vater und ohne Mutter? Unsere Herrin, entweder bleibe bei uns oder nimm uns mit dir.” So der hl. Johannes von Damaskus. „Nein, meine Söhne”, erwiderte sanft die liebende Königin, „dies ist nicht nach dem Willen Gottes; begnügt euch zu tun, was Er über mich und euch verfügt hat. Euch bleibt es vorbehalten, auf Erden zu wirken für die Ehre eueres Erlösers und eure ewigen Kronen zu vollenden. Ich scheide nicht von euch, um euch zu verlassen, sondern um euch durch meine Vermittlung bei Gott im Himmel noch kräftiger zu Hilfe zu kommen. Seid zufrieden, ich empfehle euch die hl. Kirche, ich empfehle euch die erlösten Seelen, das sei mein letztes Lebewohl und das einzige Andenken, das ich euch zurücklasse. Tut das, wenn ihr mich liebt; wirkt für die Seelen und die Ehre meines Sohnes; denn eines Tages werden wir uns dann von neuem vereinigt im Himmel wiedersehen, um uns in Ewigkeit nie mehr zu trennen.”

Sodann bat Maria, ihren Leib zu bestatten, segnete sie, befahl dem hl. Johannes, wie der hl. Johannes von Damaskus, Nicephorus und Metaphrastes berichten, daß ihre zwei Kleider zwei Jungfrauen gegeben werden, die sie eine Zeitlang bedient hatten. Und dann bereitete sie sich in hl. Anmut auf ihrem armen Lager mit Sehnsucht auf den Tod vor, um mit dem Hinscheiden die Begrüßung des göttlichen Bräutigams zu erwarten, der schon nahe war, sie zu holen und mit sich ins Reich der Seligkeit zu führen. Siehe! Schon fühlte sie im Herzen eine Vorfreude über die Ankunft ihres Bräutigams, die sie mit unermeßlicher, neuer Süßigkeit erfüllt.

Da die hl. Apostel sahen, daß Maria schon im Begriff stand, von dieser Welt zu scheiden, weinten sie von neuem und knieten rings um ihr Bett. Dieser küßte ihre hl. Füße, jener verlangte von ihr den Segen, wieder ein anderer empfahl ihr ein besonderes Anliegen, und alle schluchzten vom Schmerz durchbohrt, von ihrer geliebten Herrin nun scheiden zu müssen. Und sie, die liebevollste Mutter, trug mit allen Mitleid, tröstete einen jeden: Dem einen ihren Schutz verheißend, den anderen mit besonderer Zärtlichkeit segnend, einen dritten zur Bekehrung der Welt ermutigend. Im besonderen rief sie den hl. Petrus, als das Haupt der Kirche und den Stellvertreter ihres Sohnes, zu sich, empfahl ihm vorzüglich die Ausbreitung des Glaubens, ihm vom Himmel besonderen Schutz verheißend.

Vor allen anderen aber war es Johannes, der sich ihr nahen mußte, da er in diesem Augenblick der Trennung von seiner heiligsten Mutter den größten Schmerz empfand. Die dankbarste Herrin gedachte der Liebe und Sorgfalt, mit welcher der hl. Jünger ihr in der ganzen Zeit ihres Lebens auf Erden seit dem Tod ihres göttlichen Sohnes gedient hatte. „Mein Sohn Johannes”, sprach sie voll Zärtlichkeit, „ich danke dir für alle Hilfe, die du mir geleistet hast. Sei gewiß, mein Sohn, ich werde sie vergelten. Wenn ich dich jetzt verlasse, so gehe ich nur, um für dich zu beten. Bleibe du in Frieden noch am Leben, bis wir im Himmel, wo ich dich erwarte, uns wieder sehen werden. Denke stets an mich. In allen deinen Nöten rufe mich zu Hilfe, ich werde deiner nie vergessen, du mein geliebter Sohn! Ich segne dich! Die Fülle meiner Segnung lasse ich auf dir, mein Sohn, zurück! Lebewohl!”

Schon ist das Scheiden Mariens nahe. Die göttliche Liebe hat mit ihren seligen, heftigen Flammen alle Lebensgeister wie verzehrt; schon will der himmlische Phönix inmitten dieses großen Feuers sein Leben lassen. Chöre um Chöre der Engel kommen, sie zu besuchen, bereit zu dem großen Triumphzug, in dem sie Maria in den Himmel begleiten sollen. Wohl tröstet sie der Anblick dieser Hl. Geister, aber unvollkommen ist dieser Trost, da sie ihren geliebten Jesus, die ganze Liebe ihres Herzens, noch nicht erscheinen sieht. Oft wiederholt sie darum den sie zu grüßen heranschwebenden Engelscharen: „Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, wenn ihr meinen Geliebten gefunden habt, ihm anzukündigen, daß ich von Liebe krank bin.” (Hl 5,8)

Hl. Engel, o schöne Bürger des himmlischen Jerusalem, ihr eilt in Scharen so dienstfertig, mich zu trösten, herbei. Eure liebe Gegenwart ist mir zum Trost, ich danke euch; doch kann ich die volle Tröstung nicht finden, bis ich meinen Sohn zu meiner Wonne erblicke. So ihr mich liebt, eilt zurück zum Himmel und kündet meinem Geliebten von mir, daß ich krank bin vor Liebe; sagt, daß ich verschmachte aus Liebe zu Ihm. Bittet Ihn, zu kommen, eilends zu kommen, ich fühle mich sterbend vor Sehnsucht nach Ihm.


Doch siehe, schon naht Jesus, seine Mutter zu holen und in das Reich der Seligkeit zu führen. Der hl. Elisabeth wurde geoffenbart, daß, bevor Maria verschied, Jesus ihr, das Kreuz in seinen Händen, erschienen sei, um die besondere Glorie zu offenbaren, die Er aus der Erlösung sich erworben hatte, indem Maria das erhabenste der Geschöpfe kraft seines Todes am Kreuz sein Eigentum geworden war, von dem Er durch alle Ewigkeiten mehr Ehre empfangen sollte als von allen Menschen und Engeln zusammen.

Der hl. Johannes von Damaskus berichtet, daß Er selbst ihr die hl. Kommunion als Wegzehrung gereicht, indem Er liebreich sprach: „Nimm, meine Mutter, aus meinen Händen diesen meinen Leib, den du mir gegeben hast.” Und nachdem die Mutter in höchster Liebe diese letzte Kommunion empfangen, flehte sie in den letzten Zügen: „In deine Hände, Sohn, empfehle ich meinen Geist. Ich empfehle Dir die Seele, die Du aus Güte erschaffen, vom ersten Augenblick mit großen Gnaden bereichert und durch ein ganz einziges Vorrecht vor jeder Makel der Schuld bewahrt hast. Ich empfehle Dir meinen Leib, von dem Du Fleisch und Blut anzunehmen Dich gewürdigt. Ich empfehle Dir auch diese meine lieben Söhne, - sie meinte die hl. Jünger, die sie umstanden; - sie sind jetzt betrübt über mein Scheiden, tröste Du sie, der Du sie mehr liebst als ich; segne und stärke sie, Großes zu deiner Ehre zu vollbringen.”


Das Ende des Lebens Mariens ist nun gekommen; in ihrem Gemach läßt sich, wie der hl. Hieronymus erzählt, herrliche Musik vernehmen, und wie der hl. Birgitta geoffenbart wurde, wurde es von großem Glanz erleuchtet. Diese Musik und der ungewohnte Glanz läßt die hl. Apostel erkennen, daß Maria nun scheide. Sie erneuern Tränen und Bitten, und mit erhobenen Händen flehen sie alle: „O unsere Mutter, nun ziehst du in den Himmel ein und verläßt uns; gib uns den letzten Segen! Vergiß uns Arme nicht.” Maria, die Augen ringsum auf alle richtend, spricht als letztes Abschiedswort: „Meine Söhne, lebt wohl! Ich segne euch, zweifelt nicht, ich werde eurer nicht vergessen.” Und siehe! Nun kommt der Tod - nicht im Gewand der Trauer und Klage, wie zu den anderen Menschen, sondern umgeben von Licht und Frohlocken. Doch was sage ich: Tod, was Tod? Nein, die göttliche Liebe kommt, den Faden dieses edlen Lebens abzuschneiden. Und wie eine Flamme vor dem Erlöschen unter letztem Aufflackern ihres Lichtes einen höheren Glanz verbreitet und dann erlischt, so haucht der schöne Schmetterling, eingeladen vom Sohn, Ihm zu folgen, in Liebesflammen eingetaucht und mit Inbrunst seufzend den letzten und größten Liebesseufzer aus und stirbt. So löste sich die erhabene Seele, diese schöne Taube des Herrn, von den Banden dieses Lebens und zog zur ewigen Herrlichkeit, wo sie als Königin des Himmels die ganze Ewigkeit thronen wird.

Schon hat Maria die Erde verlassen, schon wohnt sie im Himmel. Von ihm schaut sie, die gütigste Mutter, auf uns hernieder, die wir noch in diesem Tal der Tränen weilen, trägt Mitleid mit uns und verheißt uns ihre Hilfe, wenn wir sie begehren.

Bitten wir sie ohne Unterlaß, daß sie durch die Verdienste ihres seligen Hinscheidens einen glücklichen Tod und uns, wenn es Gott gefällt, die Gnade erlange, an einem Samstag zu sterben, der ihrer Ehre geweiht ist, oder an einem Tag in der Novene oder Oktav eines ihrer Feste, wie sie es so vielen ihrer Verehrer und besonders dem hl. Stanislaus Kostka, erlangt hat, der am Fest ihrer glorreichen Himmelfahrt, wie Pater Bartoli in seinem Leben berichtet, sterben durfte.

Beispiel

Dieser Heilige, sich ganz der Liebe Mariens weihende Jüngling hörte, am 1. August, den Pater Petrus Canisius den Novizen der Gesellschaft mit eindringlichen Worten den weisen Rat erteilen, jeden Tag so zu leben, wie wenn es der letzte des Lebens wäre, an dem wir vor dem göttlichen Richterstuhl zu erscheinen hätten. Als die Predigt zu Ende war, sagte der hl. Stanislaus zu seinen Genossen, daß dieser Rat für ihn besonders die Stimme Gottes gewesen sei, da er noch in diesem Monat sterben werde. So sprach er, entweder weil es ihm Gott ausdrücklich geoffenbart oder ihm doch ein inneres gewisses Gefühl von dem, was bald geschehen sollte, eingegeben hatte. Vier Tage später ging der selige Jüngling mit Pater Emanuel nach St. Maria Maggiore, und vom Fest Maria Himmelfahrt sprechend, sagte er: „Pater, ich glaube, daß man an diesem Tag im Paradies ein neues Paradies zu sehen bekommt, indem man die Herrlichkeit der als Königin des Himmels gekrönten und nächst dem Herrn über alle Chöre der Engel erhöhten Mutter Gottes erblicken wird. Und wenn es wahr ist, daß in jedem Jahr, wie ich für gewiß halte, dieses Fest im Himmel erneuert wird, so hoffe ich, daß ich es baldigst sehen werde.”

Da dem hl. Stanislaus der glorreiche Märtyrer Laurentius als Monatspatron, - nach dem Gebrauch der Gesellschaft, - durch das Los zuteil geworden war, so wird erzählt, er habe einen Brief an seine Mutter Maria gerichtet und sie gebeten, ihrem Fest im Paradies teilnehmen zu dürfen. Er empfing am Fest des hl. Laurentius die hl. Kommunion und übergab dem Heiligen sein Bittgesuch, es der göttlichen Mutter fürbittend vorzulegen, um von ihr erhört zu werden. Und siehe, noch am Abend dieses Tages befiel ihn das Fieber, das ihm, obwohl es ganz unbedeutend schien, die Gewißheit gab, daß ihm die Gnade eines baldigen Todes gewährt sei. Als er sich zu Bett legte, äußerte er fröhlich mit lachendem Mund: „Von diesem Bett werde ich nicht mehr aufstehen.” Und dem Pater Claudius Aquaviva bekannte er: „Mein Vater, ich glaube, daß der hl. Laurentius mir die Gnade von Maria erlangt hat, mich am Fest ihrer Himmelfahrt schon im Himmel zu befinden.”

Niemand achtete viel auf diese Worte. Noch am Vorabend des Festes selbst schien die Krankheit unbedeutend; doch sagte der Heilige einem Mitbruder, daß er die folgende Nacht nicht mehr am Leben sein werde, worauf dieser entgegnete:
„O Bruder, ein größeres Wunder wäre es, an dieser leichten Krankheit zu sterben, als von ihr zu genesen.” Kaum jedoch war der Mittag vorüber, als er von einer tödlichen Ohnmacht befallen wurde. Es brach ein kalter Schweiß aus, und er verlor wirklich die Kräfte. Der Obere eilte herbei, und Stanislaus bat, auf die bloße Erde gelegt zu werden, damit er als Büßer sterbe, was ihm bewilligt wurde, um ihn zufrieden zu stellen. Er wurde auf den Boden auf eine Decke gelegt; dann beichtete er, empfing die Wegzehrung, nicht ohne Tränen der Umstehenden, denn als das hl. Sakrament in die Zelle gebracht wurde, leuchteten seine Augen von himmlischer Freude und sein Angesicht erschien von hl. Liebe entflammt, daß er einem Seraph glich. Er empfing die letzte Ölung. Bald hob er die Augen zum Himmel, bald zu einem Bild Mariens, das er küßte und in Liebe an sein Herz drückte. Ein Pater fragte ihn: „Was hilft der Rosenkranz nur um die Hand gewunden, wenn du ihn nicht beten kannst?” Er antwortete: „Er ist zu meinem Trost, er ist eine Sache meiner Mutter.” - „O wie viel mehr”, antwortete der Pater, „wirst du getröstet sein, wenn du bald sie sehen und im Himmel ihre Hände küssen darfst!” Dann hob der Heilige leuchtenden Angesichts die Hände in die Höhe, seine Sehnsucht offenbarend, bald zu ihr zu kommen. Nun erschien ihm seine liebe Mutter, wie er selbst den Umstehenden bekannte, und kurz darauf, in der Morgendämmerung des 15. August, starb er mit dem Ausdruck eines Seligen, die Augen fest nach dem Himmel gerichtet, ohne sich zu rühren, so daß man erst beim Darreichen eines Bildes der allerseligsten Jungfrau, vor dem er kein Zeichen der Andacht mehr gab, gewahr wurde, daß er schon hinübergegangen war in das Paradies, seiner geliebten Mutter die Füße zu küssen.


Gebet
O süßeste Herrin und unsere Mutter, schon hast du die Erde verlassen und bist in dein Reich gekommen, wo du als Königin über allen Chören der Engel thronst, wie die hl. Kirche singt: „Du bist erhöht über die Chöre der Engel zu den himmlischen Reichen.” Wohl wissen wir, daß wir Sünder nicht würdig waren, dich in diesem Tal der Finsternis bei uns zu haben, doch wir wissen auch, daß du in deiner Herrlichkeit uns Armselige nicht vergißt, da du, zu solcher Glorie erhöht, das Mitleid mit uns armen Adamskindern nicht verloren hast. Es ist im Gegenteil in dir nur gewachsen. Vom hohen Thron, wo du regierst, wende, o Maria, auch auf uns deine barmherzigen Augen und habe Mitleid mit uns. Erinnere dich, daß du beim Scheiden von dieser Erde verheißen hast, uns nicht zu vergessen. Blicke auf uns und komm uns zu Hilfe. Siehe, in welchen Stürmen und Gefahren wir uns immerdar befinden bis an das Ende unseres Lebens. Durch die Verdienste deines guten Todes erlange uns die hl. Beharrlichkeit in der Freundschaft Gottes, um einst in seiner Gnade aus diesem Leben zu scheiden, und hinzugehen, dir die Füße im Paradies zu küssen, und im Verein mit den seligen Geistern dich zu loben und deine Herrlichkeit zu preisen, wie du es verdienst. Amen.

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8. Kap. - Mariä Himmelfahrt - 15. Aug

I. Der glorreiche Triumph, mit dem Maria im Himmel einzog
II. Der erhabene Thron, auf den sie im Himmel erhoben wurde

Nicht mit Unrecht könnte die hl. Kirche am Tag der Himmelfahrt Mariens uns eher zur Wehklage als zur Freude auffordern, da unsere süßeste Mutter von der Erde geschieden ist, uns ihrer tröstenden Gegenwart beraubend, wie der hl. Bernhard spricht: „Es scheint mehr Grund zum Klagen als zum Jubilieren.” Doch nein, die hl. Kirche lädt uns ein, zu frohlocken. „Freuen wir uns alle im Herrn, da wir ein Fest zur Ehre der allerseligsten Jungfrau Maria feiern.” (Introitus der Messe bis 1950) Und mit Recht; wenn wir unsere Mutter lieben, so müssen wir uns mehr über ihre Herrlichkeit freuen, als über unsere eigenen Tröstungen. Welcher Sohn sollte nicht frohlocken, wenn er weiß, daß seine Mutter, wenn auch um den Preis der Trennung, hingeht, ein Reich in Besitz zu nehmen? Maria zieht hin, um als Königin des Himmels gekrönt zu werden, können wir nun, wenn wir sie wahrhaft lieben, anders als frohlocken? „Freuen wir uns alle, freuen wir uns.” Auf daß wir über ihre Erhöhung um so größeren Trost empfinden, wollen wir erstens den Triumph betrachten, mit dem Maria zum Himmel fuhr; zweitens den erhabenen Thron, auf den sie im Himmel erhoben wurde.

I. Als unser Heiland Jesus Christus das Werk der Erlösung durch seinen Tod vollbracht hatte, sehnten sich die Engel, Ihn bei sich im himmlischen Vaterland zu sehen, weshalb sie beständig in den Worten Davids die Bitte wiederholten: „Erhebe Dich, Herr, zu deiner Ruhe, Du und die Lade deiner Heiligung.” (Ps 131,8) Komme jetzt, o Herr, da Du die Menschen erlöst, komme in dein Reich zu uns, und führe mit Dir auch die lebendige Arche deiner Heiligung, deine Mutter. Sie ist die Bundeslade, die durch dein Wohnen in ihrem Schoß geheiligt ist, wie der hl. Bernhardin von Siena die Engel rufen läßt.

Endlich will der Herr die Sehnsucht der Bürger des Himmels erfüllen, Er ruft Maria zum Himmel. Wie Er ehedem die Bundeslade unter großer Feier in die Stadt Davids bringen ließ: „Und David und das ganze Haus Israel führten die Lade des Herrn mit Jubel und Posaunenschall herauf” (2 Kg 6,15), so ordnet Er jetzt eine weit erhabenere, herrliche Feier an, da seine Mutter den Einzug in den Himmel halten soll. Der Prophet Elias war auf feurigem Wagen in den Himmel erhoben worden, der nach den Auslegern eine Gruppe von Engeln war, die ihn von der Erde empor geleiteten. „Um aber dich, o Mutter Gottes, in den Himmel zu führen”, ruft Abt Rupertus aus, „ist ein Chor von Engeln nicht genügend;
dich zu geleiten kommt der König des Himmels selbst mit dem ganzen himmlischen Hof.”

Auch der hl. Bernhardin von Siena spricht denselben Gedanken aus, da er sagt:
„Der verherrlichte Jesus hat sich erhoben, um seiner süßesten Mutter entgegenzukommen.” Der hl. Anselm wendet sich an Jesus Christus mit den Worten: „Nach deinem weisesten Ratschluß wolltest Du ihr vorangehen, um ihr in deinem Reich den Platz zu bereiten, und so, von deinem ganzen himmlischen Hof begleitet, ihr festlich entgegen zu kommen, um deine Mutter, wie ihr gebührte, aufs höchste zu Dir zu erheben.” Den Glanz der Himmelfahrt Mariens betrachtend, spricht sich der hl. Petrus Damianus so aus: „Das Geleit, das Maria bei ihrer Aufnahme in den Himmel so feierlich umgab, war noch würdiger, als das bei der Himmelfahrt Jesu Christi; denn nur Engel konnten dem Erlöser entgegenkommen, der Mutter aber kam ihr Sohn selbst mit dem ganzen Hof der Engel und der Heiligen entgegen und führte sie in die Reihen, die ihren seligen Thron umstehen.”


Nach dem Abt Guerricus wurde Maria mit den Worten begrüßt: „Um meinen Vater zu ehren, bin ich auf die Erde hinabgestiegen; um meine Mutter zu ehren, bin ich wieder zum Himmel aufgefahren.” Um meinem Vater Ehre zu geben, stieg ich vom Himmel zur Erde; um aber meine Mutter zu ehren, kehrte ich zum Himmel zurück, um ihr entgegenzukommen und sie durch meine Gegenwart ins Paradies geleiten zu können.

Betrachten wir nun die erste Begegnung des vom Himmel kommenden Heilandes und seiner Mutter, wie Er sie mit den Trostworten begrüßt: „Stehe auf, eile, meine Freundin, meine Taube, meine Schöne, und komm; denn der Winter ist vorüber und vergangen”. (Hl 2,10) Auf, meine liebe Mutter, meine schöne und reine Taube, verlasse dieses Tal der Tränen, wo du aus Liebe zu Mir so viel gelitten hast. „Komm vom Libanon, komm, du wirst gekrönt werden,” (Hl 4,8) Komm mit Leib und Seele, den Lohn deines hl. Leidens zu genießen. Viel hast du auf Erden gelitten, unendlich größer aber ist die Herrlichkeit, die Ich dir im Himmel bereitet habe. Komm zu thronen neben Mir; komm, die Krone zu empfangen, die Ich dir, als der Königin der Welt, verleihen werde.

Nun verläßt Maria diese Erde und eingedenk der so großen, hier von ihrem Herrn empfangenen Gnaden, blickt sie mit hebender Wehmut auf sie nieder, wo sie inmitten von Elend und Gefahren so viele ihrer Kinder zurückläßt. Jesus reicht ihr die Hand, die seligste Mutter schwebt nach der Höhe, durch die Wolken, durch die Himmelskreise. Sie ist vor den Pforten des Himmels. Will ein Monarch von seinem Reich Besitz nehmen, so zieht er nicht durch die Tore der Stadt, sondern es werden entweder die Pforten ausgehängt, oder er zieht über dieselben. Darum sangen die Engel bei dem Einzug Jesu Christi in das Paradies: „Hebt eure Tore, ihr Fürsten, erhebt euch, ihr ewigen Tore, daß einziehe der König der Herrlichkeit.” (Ps 23,7) So rufen auch jetzt die Maria auf ihrem Triumphzug zum himmlischen Reich begleitenden Engel den Chören zu, die an seiner Pforte auf sie harren: „Erhebt eure Tore, ihr Fürsten, erhebt euch, ihr ewigen Tore, die Königin der Herrlichkeit wird einziehen.”

Nun hält Maria den Einzug. Die himmlischen Chöre singen beim Anblick ihrer herrlichen Schönheit den mit ihr kommenden Scharen entgegen: „Wer ist die, die da aufsteigt aus der Wüste, von Freude überfließend und auf ihren Geliebten gelehnt?” (Hl 8,5) Wer ist die majestätische Kreatur, die von der Wüste der Erde kommt, dem Ort der Dornen und Disteln? Diese kommt so rein, so reich an Tugenden, gestützt auf ihren geliebten Herrn selber, der sich würdigt, sie mit so viel Ehre zu begleiten. Wer ist sie? Die begleitenden Engel erwidern: „Es ist die Mutter unseres Königs; es ist unsere Königin und die Gebenedeite unter den Frauen, die Gnadenvolle, die Heilige der Heiligen, die Geliebte Gottes, die Unbefleckte, die Taube, die Schönste aller Kreaturen!” Nun stimmen alle seligen Geister zusammen Lob- und Preisgesänge an, Maria mit besserem Recht als einst die Israeliten der Judith zurufend: „Du bist der Ruhm Israels, du die Freude Israels, du die Ehre unseres Volkes!” (Jdt 15,10) Ach, Herrin und unsere Königin, du bist der Ruhm des Himmels, die Freude unseres Vaterlandes, die Ehre für uns alle. Sei immer willkommen, sei immer gepriesen; siehe dein Reich, siehe uns deine Vasallen, bereit, deine Befehle entgegenzunehmen.

Dann nahen alle Heiligen des Himmels, sie zu grüßen und ihrer Königin zu huldigen, voran die hl. Jungfrauen. „Es sahen sie die Töchter und priesen sie überaus selig... und lobten sie.” (Hl 6,8) „Wir”, rufen sie, „auch wir, o seligste Herrin, sind Königinnen dieses Reiches, du aber bist unsere Königin! Du warst unser erstes, erhabenstes Vorbild, die Jungfräulichkeit Gott zu weihen, wir preisen dich, wir danken dir.” Die hl. Bekenner begrüßen sie darauf als ihre Meisterin, die ihnen durch ihren hl. Wandel das Vorbild jeder Tugend gewesen. Die hl. Märtyrer huldigen ihr als Königin, deren großer Starkmut in den Leiden beim Tod ihres Sohnes ihnen gezeigt und die Kraft verdient hatte, für den Glauben zu sterben. Auch der hl. Jakobus, der einzige aus den Aposteln, der schon im Paradies war, kommt, im Namen aller zu danken, für die Stärke und Hilfe, die sie, auf Erden weilend, ihnen gegeben hatte.

Die Propheten nahen mit dem Gruß: „O Herrin, du warst es, die wir in unseren Prophezeiungen verkündet.” Und die hl. Patriarchen begrüßen sie: „O Maria, du unsere Hoffnung, nach der wir so lange mit Inbrunst geseufzt haben!” Zuletzt nahen Adam und Eva, unsere Stammeltern, mit höchster Innigkeit danksagend: „O geliebte Tochter, du hast das Unheil wieder gut gemacht, das wir über die Menschen gebracht; du hast der Welt den durch unsere Schuld verlorenen Segen wieder erlangt; durch dich sind wir gerettet; sei für immer dafür gepriesen.”

Der hl. Simeon küßt ihre Füße, sie mit Frohlocken an den Tag erinnernd, da er von ihren Armen das Jesuskind empfangen hatte. Zacharias und Elisabeth danken aufs neue für den liebreichen Besuch ihrer demütigsten Liebe, der ihrem Haus widerfahren und ihnen so viele Schätze der Gnade gebracht hatte. Der hl. Johannes der Täufer dankt voll Rührung für die mit ihrem Gruß empfangene Heiligung.

Wie aber mögen die hl. Eltern Joachim und Anna sie begrüßt haben! O Gott, mit welcher Zärtlichkeit werden sie lobpreisend sie empfangen haben! „O geliebte Tochter, welch ein Glück war es für uns, dich als unser Kind zu haben, Nun aber als Mutter unseres Gottes bist du unsere Königin, als solche grüßen wir dich, und huldigen wir dir.” Und erst der hl. Joseph! Wer mag es fassen, mit welchen Gefühlen er, der teure Bräutigam sich naht, Maria zu grüßen! Wer kann die Freude des hl. Patriarchen ermessen, da er seine Braut in solcher Herrlichkeit als die Königin des Himmel kommen sieht! Mit welcher Zärtlichkeit ruft er: „O meine Herrin und meine Braut, wann werde ich je imstande sein unserem Gott nach Gebühr zu danken, daß Er mich zu deinem Bräutigam, die du seine wahre Mutter bist, gemacht hat. Durch dich habe ich verdient, auf Erden der Kindheit des menschgewordenen Wortes zur Seite zu stehen, das heiligste Kind so oft auf meinen Armen zu tragen und so große Gnaden von Ihm zu empfangen. Ich segne jeden Augenblick, den ich auf Erden Jesus und dir, o hl. Braut, zu dienen verwenden durfte. Sieh, unser Jesus, zu unserem Trost liegt Er nicht mehr auf Heu in einem Stall, wie wir Ihn nach seiner Geburt in Bethlehem gesehen; Er lebt nicht mehr arm und verachtet in einer Werkstätte, wie einst mit uns zu Nazareth; Er ist nicht mehr an das Holz der Schmach geheftet, an dem Er zum Heil der Welt in Jerusalem den Tod erlitt! Nein, zur Rechten des Vaters thront Er als König und Herr des Himmels und der Erde. Und wir, o Königin, weichen nicht in Ewigkeit mehr von seinen Füßen, Ihn zu preisen und zu lieben.”


Nun nahen alle hl. Engel zur Huldigung, und sie, die erhabene Königin, dankt allen für den Beistand, den sie ihr auf Erden geleistet, besonders dankt sie dem hl. Erzengel Gabriel, dem glücklichen Botschafter ihrer Auserwählung, daß sie Mutter Gottes werden sollte. Sofort betet auf den Knien die demütige, hl. Jungfrau die Majestät Gottes an, und ganz vertieft in die Erkenntnis ihres Nichts, dankt sie für alle aus reiner Güte ihr verliehenen Gnaden, insbesondere für ihre Erhebung zur Mutter des ewigen Wortes.

Endlich begreife, wer kann, mit welcher Liebe die allerheiligste Dreieinigkeit sie segnete, welchen Empfang der ewige Vater seiner Tochter, der Sohn seiner Mutter, der Hl. Geist seiner Braut bereitete. Der Vater krönt sie mit der Teilnahme an seiner Macht, der Sohn an seiner Weisheit, der Hl. Geist an seiner Liebe. Und alle drei göttlichen Personen erklären sie, ihren Thron zur Rechten Jesu setzend, als die Königin des Himmels und der Erde, und befehlen den Engeln und allen Kreaturen, sie als ihre Königin zu erkennen, ihr zu dienen und zu gehorchen.

Nun gehen wir zur Betrachtung über, wie erhaben jener Thron ist, auf welchen Maria im Himmel erhöht wurde.


II. „Wenn keines Menschen Verstand”, sagt der hl. Bernhard, „die unermeßliche Herrlichkeit zu fassen vermag, die Gott nach dem hl. Apostel (1 Kor 2,9) denen im Himmel bereitet, die Ihn auf Erden lieben, wer wird imstande sein zu begreifen, welche Herrlichkeit seiner Mutter bereitet ist, die Ihn auf Erden mehr geliebt hat, als alle Menschen, ja, Ihn schon im ersten Augenblick ihrer Erschaffung mehr geliebt hat, als alle Menschen und Engel zusammen.” Darum singt mit Recht die hl. Kirche, daß sie um dieser Liebe willen über alle Engel im Himmel erhöht ist: „Erhoben ist die hl. Gottesgebärerin über die Chöre der Engel zu den himmlischen Reichen.”
„Ja, erhöht über die Engel”, sagt Abt Wilhelm, „so daß die Mutter über sich nur ihren Sohn erhoben sieht.”


Darum behauptet der gelehrte Gerson, indem er mit dem englischen Lehrer und dem hl. Dionysius drei Hierarchien der Engel unterscheidet, daß Maria eine eigene Hierarchie und zwar die höchste über allen und unmittelbar nach Gott selbst für sich ausmache. Und wie nach dem hl. Antonin die Herrin ohne Vergleich von ihren Dienern sich unterscheidet, so ist die Herrlichkeit Mariens ohne Vergleich größer als die der Engel. Um dieses zu begreifen, genügt zu wissen, was David sagte, daß diese Königin zur Rechten des Sohnes gesetzt worden. „Die Königin steht zu deiner Rechten” (Ps 44,10), Worte, die der hl. Athanasius als auf Maria bezieht. Der hl. Ildephons sagt: „Wie das, was Maria vollbrachte, mit nichts anderem verglichen werden kann, so unbegreiflich ist auch der Lohn und die Herrlichkeit, die sie über alle Heiligen verdient hat.” Und wenn nach den Worten des hl. Apostels Gott für gewiß einem jeden nach seinen Werken vergilt (Röm 2,6), so ist es dem gewiß entsprechend, sagt der hl. Thomas, daß Maria über alle himmlischen Ordnungen erhöht wurde, da sie es mehr als alle zusammen verdiente.

Mit einem Wort: „So viel Gnade Maria auf Erden erlangt hat”, sagt der hl. Bernhard, „so große ausgezeichnete Herrlichkeit ist ihr im Himmel zuteil geworden.”

Diese Herrlichkeit ist, nach Erwägung eines gelehrten Autors, eine volle, eine vollendete, zum Unterschied von jener, welche die anderen Heiligen im Himmel haben. Allerdings erfreuen sich alle Seligen im Himmel eines vollkommenen Friedens und voller Zufriedenheit, dennoch aber ist es wahr, daß keiner von ihnen jene Herrlichkeit genießt, die er hätte verdienen können, wenn er mit noch größerer Treue Gott gedient und ihn geliebt hätte. Obwohl daher die Heiligen im Himmel nichts weiter begehren, als was sie genießen, so gäbe es doch in Wirklichkeit noch mehr, was sie begehren könnten. Ferner verursachen die begangenen Sünden und die verlorene Zeit den Seligen zwar keine Leid mehr, aber doch ist nicht zu leugnen, daß die Seligkeit um so höher ist, je mehr Gutes im Leben geschehen, je reiner die Unschuld bewahrt, und je besser die Zeit verwendet worden ist. Maria vermißt im Himmel nichts, und es gibt nichts, was sie noch begehren könnte. „Welcher Heilige des Paradieses”, fragt der hl. Augustinus, „kann außer Maria mit Nein antworten, so er gefragt würde, ob er im Leben eine Sünde begangen?”


Es ist gewiß, daß, nach Erklärung des hl. Konzils von Trient, Maria keine Sünde, noch die geringste Unvollkommenheit je begangen hat. Sie verlor nie die göttliche Gnade, noch trübte sie dieselbe, noch ließ sie dieselbe unbenützt. Sie vollbrachte keine Handlung, die nicht verdienstlich gewesen wäre; sie sprach kein Wort, hatte keinen Gedanken, machte keinen Atemzug, ohne nicht dies alles auf die Mehrung der Ehre Gottes zu beziehen. Mit einem Worte, nie ließ sie nach, nie hielt sie inne, jeden Augenblick nach Gott zu streben; nichts ging ihr je durch irgendein Säumnis verloren, so daß sie ohne Unterlaß mit allen Kräften der Gnade mitwirkte und Gott liebte, wie sie Ihn nur lieben konnte. „O Herr”, spricht sie jetzt im Himmel zu Ihm, „wenn ich Dich nicht geliebt habe, wie Du es verdienst, so habe ich Dich doch so geliebt, wie ich gekonnt”.

In den Heiligen sind die Gnaden, wie der hl. Apostel sagt (1 Kor 12,4), nach verschiedener Art verteilt, so daß ein jeder je nach der treuen Mitwirkung mit der empfangenen Gnade einen ausgezeichneten Grad in einer besonderen Tugend erlangt: der eine im Retten der Seelen, der andere im bußfertigen Leben, wieder ein anderer in Erduldung von Leiden, ein anderer endlich in der Beschauung, weshalb die hl. Kirche in der Festfeier von jedem sagt: „Keiner ist ihm gleich erfunden worden.” Nach ihren Verdiensten ist auch ihre Herrlichkeit im Himmel verschieden, „denn ein Stern ist vom anderen verschieden an Klarheit. (1 Kor 15,41) Die Apostel unterscheiden sich von den Märtyrern, die Bekenner von den Jungfrauen, die Unschuldigen von den Büßern.

Die allerseligste Jungfrau, aller Gnaden voll, war erhabener als jeder Heilige in jeder Art von Tugend. Sie war Apostel der Apostel, Königin der Märtyrer, weil sie mehr als alle gelitten; war die Bannerträgerin der Jungfrauen, das Vorbild der Verheirateten, vereinigte in sich die Vollkommenheit der Unschuld mit der Vollkommenheit der Buße, mit einem Wort, ihr Herz besaß alle Tugenden in höchster Vollendung, die je ein Heiliger geübt. Darum ist von ihr gesagt: „Die Königin steht zu deiner Rechten im goldenen Kleid, im bunten Gewand” (Ps 44,10); denn alle Gnaden, alle Vorzüge, alle Verdienste der anderen Heiligen, alle zusammen finden sich in Maria, wie der Abt von Celles sagt: „Die Vorzüge aller Heiligen, alle, o Jungfrau, hast du in dir vereinigt.”

So wie der Glanz der Sonne den Glanz aller Sterne zusammen übertrifft, so übertrifft nach dem hl. Basilius von Seleukia die Herrlichkeit der göttlichen Mutter jene aller Seligen. Und wie nach dem hl. Petrus Damianus das Licht der Sterne und des Mondes beim Aufgang der Sonne erlischt, als wären sie nicht, so überstrahlt die Herrlichkeit Mariens den Glanz aller Heiligen und Engel, daß diese im Himmel wie nicht mehr leuchten. Daher behauptet der hl. Bernhardin von Siena: „Die Teilnahme an der Herrlichkeit Gottes ist den übrigen Heiligen nur wie stückweise verliehen, die allerseligste Jungfrau aber ist nach dem hl. Bernhard, in diesen Abgrund eingedrungen, so daß sie, soweit es der erschaffenen Natur möglich ist, in das unnahbare Licht versenkt erscheint.” Damit stimmt der hl. Albert der Große überein, wenn er sagt: „Die selige Anschauung der jungfräulichen Mutter betrachtet die Majestät Gottes unvergleichlich vollkommener als die aller anderen Kreaturen.” Und noch weiter sagt der ebengenannte hl. Bernhardin: „In ähnlicher Weise, wie die anderen Himmelslichter von der Sonne ihr Licht empfangen, so strömt aus der Herrlichkeit der allerseligsten Jungfrau die Wonne über alle Chöre der Himmelsbewohner”; und der hl. Bernhard: „Die Herrlichkeit der zum Himmelaufsteigenden Jungfrau hat die Seligkeit der Himmelsbürger erhöht.” Daher sagt der hl. Petrus Damianus, „daß die Seligen nach Gott keine größere Herrlichkeit im Himmel haben, als den Anblick dieser schönsten Königin zu genießen”; ebenso der hl. Bonaventura: „Nach Gott ist Maria die Ursache unserer größten Herrlichkeit und Wonne.”

Frohlocken wir also mit Maria über den erhabenen Thron, auf welchen Gott sie im Himmel erhöht hat, und beglückwünschen wir uns selbst darüber, denn hat uns auch Maria in ihrer glorreichen Himmelfahrt leiblicherweise verlassen, so doch nicht mit ihrer Liebe. Sie kennt vielmehr, mit Gott nun so innig vereint, noch besser unsere Bedürftigkeit, trägt größeres Mitleiden und kommt uns wirksamer zu Hilfe. „Oder könnte sie um ihrer Verherrlichung willen unserer Niedrigkeit vergessen?”, fragt der hl. Petrus Damianus. „Nein”, antwortet er, „ihrem mitleidigsten Herzen ist es nicht möglich, unseres Elendes nicht zu gedenken”, denn, wie der hl. Bonaventura bezeugt, ist jetzt die Barmherzigkeit der Königin des Himmels gegen uns Elende viel größer, als damals, wie sie noch auf Erden pilgerte.

Laßt uns also dem Dienst, der Verehrung und Liebe dieser Königin, so gut wir vermögen, uns weihen, eingedenk der Worte Richards von St. Lorenz, daß die Königin Maria uns nicht mit Abgaben drückt, sondern ihre Diener mit Schätzen, mit Gnaden, mit der Fülle der Verdienste und Belohnungen bereichert. Und flehen wir mit dem Abt Guerricus: „O Mutter der Barmherzigkeit, sättige dich an der Herrlichkeit deines Sohnes, deinen Kindern aber sende die Brosamen nieder! Du am Tisch des Herrn, wir die Hündlein unter der Tafel!”

Beispiel

Der Pater Sylvanus Razzi erzählt, es habe ein frommer, unsere Königin Maria eifrig liebender Priester beim Lob ihrer Schönheit sehnsüchtig begehrt, sie einmal sehen zu können, und habe mit demütigen Bitten um diese Gnade gefleht. Die gütige Mutter eröffnete ihm durch einen Engel, sie wolle ihm unter der Bedingung seine Bitte gewähren, daß er, nachdem er sie geschaut, das Augenlicht verliere. Er willigte ein, und eines Tages erschien ihm die allerseligste Jungfrau. Er aber wollte sie anfänglich, um nicht ganz zu erblinden, nur mit einem Auge anblicken; doch hingerissen von ihrer großen Schönheit, schlug er auch das andere auf; allein schon war sie verschwunden. Betrübt über die Beraubung ihrer Gegenwart, konnte er nicht aufhören zu weinen, nicht über den Verlust des Auges, sondern, daß er sie nicht mit beiden Augen angeblickt. Unbekümmert um den Verlust auch des zweiten Auges und die völlige Erblindung, fuhr er fort, aufs neue um die Gnade ihres Anblickes zu flehen. „Glücklich und zufrieden werde ich sein”, sprach er, „muß ich auch ganz erblinden, denn ich werde durch deine Güte nur um so mehr mit Liebe zu deiner Schönheit erfüllt werden”. Wiederum wurde er erhört; wieder wurde ihm der Trost ihres Anblickes! Doch die gütigste Königin, die keinem weh tun kann, ließ ihm, zum zweiten Mal ihm erscheinend, das noch gesunde Auge und gab dem Erblindeten das Augenlicht wieder zurück.


Gebet
O große, erhabene und glorreichste Herrin, niedergeworfen zu den Füßen deines Thrones huldigen wir dir aus diesem Tal der Tränen. Wir freuen uns der unermeßlichen Herrlichkeit, mit welcher dich der Herr bereichert auf deinem Thron als Königin des Himmels und der Erde. Ach, vergiß uns deine armen Knechte nicht. Verschmähe nicht von ihm herab deine barmherzigen Augen auf uns Elende zu wenden. Je näher du der Quelle der Gnaden bist, um so mehr kannst du uns damit versehen. Im Himmel gewahrst du unser Elend besser, darum mußt du mit uns Mitleid haben und uns noch mehr beistehen. Mache uns auf Erden zu deinen treuen Dienern, damit wir dich einst im Himmel lobpreisen dürfen. An diesem Fest deiner Erhöhung zur Königin des Himmels und der Erde weihen wir uns deinem Dienst. Aus deiner hohen Glückseligkeit sende uns den Trost, uns als deine Diener anzunehmen. Du bist ja unsere Mutter. O süßeste Mutter, o liebenswürdigste Mutter, siehe, wie so viele andächtige Beter deine Altäre umgeben, wie der eine um Heilung von seinen Sünden, der andere um Abhilfe seiner Not, der andere um glückliche Ernte, der andere um gutes Ende seiner Streitsache fleht. Wir bitten dich um Gaben, die deinem Herzen mehr gefallen, erlange uns, demütig, von der Erde losgeschält, in den göttlichen Willen ergeben zu sein, erlange uns die hl. Furcht Gottes, einen guten Tod, den Himmel. Herrin mache uns Sünder zu Heiligen. Bewirke dieses Wunder, das dir größere Ehre bringt, als wenn du tausend Blinde erleuchten und tausend Tote erwecken würdest. Du bist so mächtig bei Gott, es genügt, wenn du sagst, daß du seine Mutter bist, seine liebste Mutter, voll seiner Gnade. Was wird Er dir je versagen können? O schönste Königin, wir können nicht verlangen, dich auf Erden zu sehen, wir sehnen uns, dich im Himmel zu schauen. Dies magst du uns erlangen. So hoffen wir mit festem Vertrauen. Amen.

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Anhang - Gebete zu Maria

Das Gebet zur allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter MARIA

wird oft unterschätzt. Jesus wollte nur durch Maria zu uns kommen und wir können nur durch Maria zu Ihm gelangen. Sie ist ‘voll der Gnade’. Denken wir daran, daß sie 1830 in Paris gesagt hat, daß sie viel mehr Gnaden uns schenken könnte, wenn wir wollten. Wir haben im Rosenkranz, dem Skapulier, der Andacht der drei Ave, der lauretanischen Litanei und in den vielen anderen Gebeten wunderbare Gnadenmittel heil und heilig zu werden. Jesus hat uns in seiner Todesstunde seine Mutter zur Mutter gegeben. Das gehört zu seinem Testament - seinem Neuen Bund! De Maria numquam satis.
 




Das wichtigste Gebet ist das Ave Maria - das Gegrüßet seist du Maria.
- Wenn wir das beten zittert die Hölle, sagt der hl. Franziskus.

 


Das Magnifikat (Lk 1,46-55) - der Lobpreis Mariens

Hochpreist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland.
Denn er hat herabgeschautauf die Niedrigkeit seiner Magd;
siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn Großes hat der Allmächtige an mir getan, heilig ist sein Name.
Und sein Erbarmen währt von Geschlecht zu Geschlecht über allen, die ihn fürchten.
Er übt Macht mit seinem Arm, zerstreut, die stolzen Sinnes sind.

Mächtige stürzt er vom Thron, und Niedrige erhöht er.
Hungrige sättigt er, und Reiche läßt er leer ausgehen.
Er nimmt sich Israel, seines Knechtes an, eingedenk seiner Barmherzigkeit.
Wie er unseren Vätern versprochen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Hl. Geist,
wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen.


Dieses Gebet können sie auch zum Dank nach der Beichte und Kommunion beten. Es ist auch sehr hilfreich bei Bedrängnis oder Belastungen. Der hl. Paulus betete und sang im Gefängnis und wurde befreit.
 



Das Salve Regina - Gegrüßet seist du, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit; unser Leben, unsre Wonne und unsre Hoffnung sei gegrüßt! Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas; zu dir seufzen wir trauernd und weinend im diesem Tal der Tränen. Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen uns zu, und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria. Amen.
 



Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin; verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten, sondern erlöse uns jederzeit von allen Gefahren, o du glorwürdige und gebenedeite Jungfrau, unsere Frau, unsere Mittlerin, unsere Fürsprecherin. Versöhne uns mit deinem Sohn, empfiehl uns deinem Sohn, stelle uns vor deinem Sohn. Amen.

Auch sehr hilfreich für die Reinheit!
 



Gedenke, o gütigste Jungfrau Maria, es ist noch nie gehört worden, daß jemand, der zu dir seine Zuflucht nahm, deine Hilfe anrief und um deine Fürbitte flehte, jemals sei verlassen worden. Von diesem Zutrauen beseelt, eile ich zu dir, o Jungfrau der Jungfrauen; o Mutter zu dir komme ich, vor dir stehe ich seufzend als Sünder. Verschmähe nicht meine Worte, o Mutter des Wortes, sondern höre sie gnädig und erhöre mich. Amen.

(Hl. Bernhard) [Ein sehr mächtiges Gebet.]
 



Der Engel des Herrn

Dreimal täglich rufen die Glocken zum Gebet, morgens, mittags und abends. Wir werden an die Menschwerdung des Sohnes Gottes, den Beginn der Erlösung erinnert. Es ist ein Dankgebet an Jesus und an seine Mutter Maria, die ‚Ja‘ sagte zum Willen Gottes und somit zu unserer Erlösung. Dieses Gebet wurde vom Papst im Mittelalter als Schutz vor dem Islam eingeführt!
 
  Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft
- und sie empfing vom Hl. Geist.

- Gegrüßet seist du, Maria...

Maria sprach:
„ Siehe, ich bin eine Magd des Herrn,
- mir geschehe nach deinem Wort.“

- Gegrüßet seist du, Maria...

Und das Wort ist Fleisch geworden
- und hat unter uns gewohnt. (Kniebeuge)

- Gegrüßet seist du, Maria...

Bitte für uns, o hl. Gottesgebärerin,
- auf daß wir würdig werden der Verheißungen Christi.

Lasset uns beten. Wir bitten dich, o Herr, gieße deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung deines Sohnes erkannt. Laß uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangen, durch Christus unseren Herrn. Amen.

Abends betet man für die Armen Seelen ein Vater unser und Ave Maria und:
    O Herr, gib ihnen die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihnen.
    O Herr, laß sie ruhen in Frieden. Amen. Danach geben wir ihnen Weihwasser.


Das Gebet des Engel des Herrn bringt uns einen besonderen Schutz, ähnlich dem Anfang des Johannesevangeliums. Das Wort, das Fleisch geworden ist, hat ja die Finsternis vertrieben. Dieses Wort ist heute noch genauso mächtig und kräftig.
 




Der Rosenkranz

Im Namen des Vaters...        Ich glaube an Gott...         Vater unser...
Drei Gegrüßet seist du, Maria...   mit folgenden Einfügungen nach ‘Jesus’:
- Der den Glauben in uns vermehre.
- Der die Hoffnung in uns stärke.
- Der die Liebe in uns entzünde.      Ehre sei dem Vater...


Es folgen die einzelnen Geheimnisse / Gesetze mit je einem Vater unser, zehn Ave Maria mit Einfügung des jeweiligen Geheimnisses nach ‘Jesus’, dann ein Ehre sei dem Vater und O mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden...

I. Die freudenreichen Geheimnisse
1. Den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast.
2. Den du, o Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast.
3. Den du, o Jungfrau, geboren hast.
4. Den du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast.
5. Den du, o Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast.

II. Die schmerzhaften Geheimnisse
1. Der für uns Blut geschwitzt hat.
2. Der für uns gegeißelt worden ist.
3. Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist.
4. Der für uns das schwere Kreuz getragen hat.
5. Der für uns gekreuzigt worden ist.

III. Die glorreichen Geheimnisse
1. Der von den Toten auferstanden ist.
2. Der in den Himmel aufgefahren ist.
3. Der uns den Heiligen Geist gesandt hat.
4. Der dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat.
5. Der dich, o Jungfrau, im Himmel gekrönt hat.

Die lichtreichen Geheimnisse
- am Donnerstag
1. Der von Johannes getauft worden ist.
2. Der sich bei der Hochzeit in Kana offenbart hat.
3. Der uns das Reich Gottes verkündet hat.
4. Der auf dem Berg verklärt worden ist.
5. Der uns die Eucharistie geschenkt hat.


Dieses Gebet kann man alleine oder gemeinsam beten in der Kirche oder in der Familie. Die Eltern sollen mit gutem Beispiel vorangehen. In vielen Familien fehlt der Segen, weil man nebeneinander her lebt, nicht miteinander redet und nicht betet. Die Kinder lernen das Beten nur, wenn die Eltern ihnen täglich das gute Beispiel geben. Die Gesellschaft steht und fällt mit der christlichen Familie. Die Familie aber steht und fällt mit dem Gebet! Wo das Gebet fehlt, mangelt der Glaube, es fehlen die Berufungen!
 




GEBET ZUR KÖNIGIN DER ENGEL

Hehre Königin des Himmels, höchste Herrin der Engel, du hast von Anbeginn von Gott die Macht und die Sendung erhalten, den Kopf des Satans zu zertreten. Wir bitten dich demütig, sende deine himmlischen Legionen, damit sie unter deinem Befehl und durch deine Macht die höllischen Geister verfolgen, sie überall bekämpfen, ihre Verwegenheit zuschanden machen und sie in den Abgrund zurückstoßen. Erhabenste Gottesmutter, schicke dein unüberwindliches Kriegsheer auch in den Kampf gegen die Sendlinge der Hölle unter den Menschen; zerstöre die Pläne der Gottlosen und beschäme alle, die Übles wollen. Erwirke ihnen die Gnade der Einsicht und der Bekehrung, auf daß sie dem dreieinigen Gott und dir die Ehre geben. Verhilf überall der Wahrheit und dem Recht zum Sieg.

Mächtige Schutzfrau, durch deine flammenden Geister behüte ferner auf der ganzen Erde deine Heiligtümer und Gnadenstätten. Bewache durch sie die Gotteshäuser, alle heiligen Orte, Gegenstände und Personen, namentlich das Allerheiligste Altarsakrament. Verhindere, daß sie verunehrt, entweiht, beraubt, zerstört oder geschändet werden. Verhindere es, unsere Liebe Frau!

Himmlische Mutter, beschütze endlich auch unser Eigentum, unsere Wohnungen und Familien vor allen Nachstellungen der sichtbaren und unsichtbaren Feinde. Laß deine heiligen Engel darin walten und Ergebung, Frieden und die Freude des Heiligen Geistes in ihnen herrschen.

Wer ist wie Gott? Wer ist wie du, Maria, du Königin der Engel und Besiegerin der Hölle? 0 gute und zärtliche Mutter Maria, du makellose Braut des Königs der reinen Geister, in dessen Angesicht sie zu schauen verlangen, du wirst immer unsere Liebe und Hoffnung, unser Schutz und Ruhm bleiben!

Heiliger Michael, heilige Engel und Erzengel, verteidigt uns, beschützt uns!

Amen.
 




Gebet des hl. Bernhard zu MARIA

Wenn sich die Stürme der Versuchung gegen dich erheben, wenn du dich inmitten der Klippen und Felsen der Drangsale befindest, schaue auf diesen Stern, flehe Maria um Hilfe an. Wirst du von den Wellen des Stolzes, der Ehrsucht, des Neides und der Verleumdung aufgewühlt, wende dich diesem Stern zu, rufe den Namen Mariens an. Erschüttern der Zorn, der Geiz und die Unkeuschheit das Schiff deiner Seele, wirf einen Blick auf diesen Stern und rufe: Maria!

Bist du beunruhigt durch die Schwere deiner Missetaten, erstaunt über den jämmerlichen Zustand deines Gewissens, angstvoll vor der Strenge des göttlichen Gerichts; beginnst du, in das Meer der schwarzen Melancholie und den Abgrund der Verzweiflung zu versinken, so denke vielmehr an Maria.

In den Gefahren, den Unruhen, in der Bedrängnis, der größten Not, erinnere dich an Maria, verlange den Schutz Mariens. Möge ihr Name immer auf deinen Lippen sein, möge die Erinnerung an sie nicht dein Herz verlassen. Um die Erhörung ihrer Gebete zu erlangen, höre nie auf, ihr Beispiel nachzuahmen.

In ihrer Nachfolge kannst du dich nie verirren, wenn du zu ihr betest, kann dich die Gefahr der Verzweiflung nicht erreichen, wenn du an sie dich in ihrer Güte stützt, wirst du keinen falschen Schritt tun, wenn sie dich liebevoll führt, wirst du vorwärtsgehen, ohne zu straucheln, wenn sie sich bemüht, dich zu führen, so schreitest du ohne Beunruhigung dahin. Wenn sie dir zugeneigt ist, wirst du glücklich am Ziel des Heiles ankommen und feststellen, mit wieviel Recht man ihr den Namen Maria gegeben hat.


Papst Benedikt hat aus diesem Gebet in Österreich 2007 zitiert.
 




Gebet zu MARIA nach der hl. Kommunion

O Jungfrau und Mutter Maria, siehe, ich habe deinen geliebtesten Sohn empfangen, den du einst in deinem jungfräulichen Schoß empfangen, den du geboren, genährt und mit sanfter Umarmung an dich gedrückt hast. Ihn, an dessen Anblick du dich erfreutest, opfere ich dir demütig und liebend auf und biete Ihn dir an, daß du Ihn umarmest, mit dem Herzen liebest und der heiligsten Dreifaltigkeit zur höchsten Verehrung darbringest zu deiner eigenen Ehre, für meine und der ganzen Welt Bedürfnisse.
Ich bitte dich, liebste Mutter, erlange mir Verzeihung aller meiner Sünden (Schulden und Strafen), reichliche Gnade, um dir fortan treuer zu dienen und schließlich die Gnade, damit ich Ihn mit dir in alle Ewigkeit loben kann. Amen.

 (Aus dem röm. Missale)
 



Die 3 Ave Maria, die Himmelsleiter oder der goldene Himmelsschlüssel!

Die hl. Mechthild von Hackeborn (+ 1299) dachte gegen Ende ihres Lebens voller Angst an das Sterben. Darum bat sie die Mutter Gottes um Beistand für ihre letzte Stunde. Die Gottesmutter sagte zu ihr: „Ich werde deine Bitten bestimmt erfüllen, meine Tochter, aber ich verlange von dir, daß du täglich mir zuliebe drei Ave Maria betest.

Das erste Ave zu Ehren Gott Vaters, der in seiner herrlichen Allmacht meine Seele so auszeichnete, daß ich nach ihm allmächtig im Himmel und auf Erden bin.

Das zweite Ave zur Ehre Gott des Sohnes, der in der Größe seiner unerforschlichen Weisheit mich mit solchen Gaben der Wissenschaft und des Verstandes schmückte und erfüllte, daß ich inniger als alle Heiligen die Allerheiligste Dreifaltigkeit schauen darf. Er hat mich überdies mit einem Glanz Übergossen, daß ich wie eine strahlende Sonne den ganzen Himmel erleuchte.

Das dritte Ave zur Ehre des Hl. Geistes, der die süße Fülle seiner Liebe in mein Herz gegossen hat und mich so gut und barmherzig schuf, daß ich nach Gott das sanfteste und gütigste Wesen bin ..."

Morgens und abends die drei Ave Maria mit folgender Anrufung beten:
„O, meine Mutter, bewahre mich an diesem Tag / in dieser Nacht vor der Todsünde."


Die Versprechungen, die die hl. Jungfrau an die drei Ave Maria knüpfte:
Ich werde dir in der Todesstunde beistehen, dich trösten und alle Macht des Teufels von dir fernhalten. Ich werde dir das Licht des Glaubens und der Erkenntnis eingießen, damit dein Glaube nicht durch Unwissenheit oder Irrtum versucht werde. Ich werde dir in der Stunde des Scheidens nahe sein und in deine Seele die Wonne der göttlichen Liebe überströmen lassen, damit kraft ihrer Übermacht alle Todespein und Bitterkeit durch die Liebe sich in Glückseligkeit wandle."

 (Liber specialis gratiae, P.I. Kap.47).
Aus: „Die Drei Ave Maria'", Pasquali, Hacker-Verlag
 

In den Offenbarungen der hl. Gertrud steht folgendes: Während sie das Ave Maria bei der Mette vor Maria Verkündigung sang, sah sie plötzlich drei Lichtstrahlen aus dem Herzen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes hervorleuchten, die ins Herz der sel. Jungfrau eindrangen. Dann hörte sie folgende Worte: „Nach der Macht des Vaters, der Weisheit des Sohnes, der barmherzigen Liebe des Hl. Geistes ist nichts der Macht, der Weisheit, der barmherzigen Liebe der Jungfrau Maria ähnlicher."


Der hl. Antonius von Padua betete die drei Ave Maria täglich um die Reinheit zu bewahren. Die dreifache Reinheit des Herzens, Redens und Tuns.
 
Der hl. Leonhard von Porto Mauritio, der hl. Alfons Maria von Liguori, der hl. Pfarrer von Ars, hl. Don Bosco, hl. Gemma Galgani und andere Heilige verbreiteten die Andacht der „Drei Ave Maria.“

Noch zu erwähnen sind die Skapuliere, die man aber von einem Priester nach den alten Segensgebeten aufgelegt bekommen muß. Besonders wichtig sind das Skapulier vom Berg Karmel und das blaue Skapulier - mit großen Verheißungen.
 



Gebet des hl. Pfarrers von Ars zur Muttergottes

O Mutter Jesu, durch deine unermeßlichen Schmerzen beim Leiden und Sterben deines göttlichen Sohnes und um der bitteren Tränen willen, die du vergossen hast, bitte ich dich, opfere du den heiligen mit Blut und Wunden bedeckten Leib unseres Erlösers in Vereinigung mit deinen Schmerzen und Tränen dem himmlischen Vater auf zur Rettung der Seelen und um die Gnade zu erlangen... um die ich dich anrufe.
 



 
Der hl. Petrus Fourier bat in schwerer Zeit seiner Pfarrei, ja hat jedem Bauer vorgeschrieben, daß er an seine Haus- und Stalltüren die Worte anbringe:
 

Maria ist ohne Sünde empfangen.

 
Dies bewirkte, daß seine Gemeinde im Gegensatz zu den angrenzenden Gemeinden
vor Plünderung, Mord und Seuchen verschont blieb.
Kopieren und verbreiten ( PDF), an Wohnungstür usw. anbringen. Pdf
 




Der hl. Kirchenlehrer Alfons Maria von Liguori sagt:

„Jeder soll in seinem Herzen eine besondere und innige Andacht zur allerseligsten Jungfrautragen und, um diese besondere Andacht auch durch die Tat zu beweisen, täglich einige fromme Übungen zu ihren Ehren verrichten, wie es alle ihre Diener und besonderen Verehrer zu tun pflegen. Dazu empfehle ich dir, mein Leser, folgendes:

1. Unterlasse nie morgens, wenn du aufgestanden bist, und abends, bevor du zu Bett gehst, drei Ave Maria zu Ehren der unbefleckten Reinheit der seligsten Jungfrau zu beten und sie zu bitten, daß sie dich vor aller Sünde bewahren möge.

2. Unterlasse auch nicht, täglich etwas in einem Buch zu lesen, das von Unserer Lieben Frau handelt, wenn es auch nur ganz wenig wäre. Bete täglich die Lauretanische Litanei und den Rosenkranz, und betrachte dabei die Geheimnisse.

3. Sooft du weggehst und heimkommst, bitte die Gottesmutter mit einem Ave Maria um ihren Segen, und begrüße sie ebenso, sooft du an einem ihrer Bilder vorübergehst.

4. Sooft du die Uhr schlagen hörst, bete ebenso ein Ave Maria, und sage dazu: Jesus und Maria, Euch liebe ich, laßt nicht zu, daß ich Euch durch eine Sünde beleidige.

5. Faste endlich an den Samstagen und den Vorabenden der sieben Hauptfeste der heiligsten Jungfrau, und halte vor diesen Hauptfesten Novenen oder neuntägige Andachten, in welchen du diejenigen Bußwerke üben kannst, die dir dein Beichtvater erlauben wird. Übrigens sollst du solche neuntägige Andachten auch vor Weihnachten, vor Pfingsten und vor dem Fest deines hl. Namenspatrons halten.“

Hl. Alfons Maria von Liguori „Lebensordnung eines Christen“




Das berühmte Gebet zur Muttergottes Salve Regina stammt von Hermann dem Lahmen (1013- 54), einem Benediktiner der Abtei Reichenau. Er wurde in Altshausen begraben.
 
Salve, Regina,
mater misericordiae;
Vita, dulcedo et spes nostra, salve.
Ad te clamamus, exsules filii Hevae.
Ad te suspiramus,
gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, Advocata nostra,
illos tuos misericordes oculos
ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui,
nobis post hoc exsilium ostende.
O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria.
  Gegrüßet seist Du (sei gegrüßt, o) Königin,
Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben,
unsre Wonne und unsere Hoffnung, sei gegrüßt!
Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas;
zu dir seufzen wir trauernd und weinend
in diesem Tal der Tränen.
Wohlan denn, unsre Fürsprecherin, wende
deine barmherzigen Augen zu uns und nach
diesem Elend zeige uns Jesus,
die gebenedeite Frucht deines Leibes.
O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.


 

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