Inhalt
Buch 5 "Buch der Fragen"
Einleitung
Fragenkreis 1
Erste Frage: ”O Richter, ich frage dich: Du hast mir
einen Mund gegeben – soll ich nicht reden dürfen, was
mir gefällt?“
Fragenkreis 2
Dritte Frage: „Warum hast du weiter meinem Körper
Glieder gegeben, wenn ich sie nicht rühren und anwenden
kann, wie ich will?“
Fragenkreis 3
Fünfte Frage: „Warum hast du uns weiter ein Herz und den
Willen gegeben, wenn nicht dafür, dass wir das
gernhaben, was lieblich ist, und das schmecken und
lieben, was angenehm zu genießen ist?“
Offenbarung 1
Die Jungfrau Maria spricht zur hl. Birgitta und klärt
sie über fünf innere und fünf äußere Tugenden auf, die
sie haben soll.
Fragenkreis 4
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: ”O Richter, warum muss ich
nach Gottes Weisheit forschen, wenn ich die Weisheit der
Welt besitze?“
Fragenkreis 5
Vierte Frage: „Warum lässt du weiter Bosheit bei
ungerechten Richtern zu, die die Untergebenen plagen und
quälen, wie gekaufte Sklaven?“
Offenbarung 2
Maria schärft ein, dass Erquickung erst nach der Zeit
des Unglücks und der Prüfungen zu erwarten ist.
Fragenkreis 6
Zweite Frage: „Warum wird der Gerechte von so vielen
Unglücksfällen betroffen, während der Ungerechte alle
seine Wünsche erfüllt bekommt?“
Fragenkreis 7
Zweite Frage: „Und warum muß ich die Schönheit der Welt
hassen, ich, der ich so schön und von so vornehmer
Herkunft bin?“
Fragenkreis 8
Vierte Frage: „Und da nun die Plagen der Hölle so über
alle Beschreibung schrecklich sind, warum lässt du sie
von den Menschen nicht schon in diesem Leben schauen, so
dass sie dem entrinnen können?“
OFFENBARUNG 3
Gottes Sohn spricht (zu Birgitta): „Wenn es einen
Kranken im Hause gibt, und ein kundiger Arzt, der das
Übel der Krankheit kennt, diesem ein Heilmittel gibt,
durch das er stirbt, wird er als Totschläger angeklagt
und ist kein richtiger Arzt...
Fragenkreis 9
Erste Frage: Als dies gesagt war, zeigte sich der Mönch
auf seiner Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich
frage dich: Warum scheinst du so ungleich im Verteilen
deiner Gnadengaben, dass du deine Mutter Maria vor allen
anderen Geschöpfen auserwählt und sie über die Engel
erhört hast?
Offenbarung 4
Christus preist seine Mutter Maria.
Fragenkreis 10
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich:
Wie konntest du, der am allermächtigsten, am schönsten
und tugendreichsten ist, und der klarer als die Sonne in
deiner Gottheit strahlt – dich in einen solchen Sack wie
deine Menschengestalt kleiden?“
Offenbarung 5
Christus lehrt Birgitta, Gleichgültigkeit gegenüber
irdischem Glück und Standhaftigkeit bei weltlichem
Unglück zu zeigen.
Fragenkreis 11
Fünfte Frage: „Und warum hast du dich, als dein Tod nahe
war, in deiner göttlichen Macht gezeigt, und warum hast
du deine Feinde nicht deine strenge Rache spüren lassen,
statt zu sagen: „Alles ist vollbracht?“
Offenbarung 6
Christus spricht mit Birgitta über den Nutzen von
Versuchungen.
Fragenkreis 12
Vierte Frage: „Und warum bist du vor Herodes nach
Ägypten geflohen und ließest die unschuldigen Kinder
ermordet werden?“
Offenbarung 7
Christus spricht vom Nutzen der Beichte.
Offenbarung 8
Christus offenbart die unfromme Gesinnung eines
Priesters und sagt seine Strafe voraus.
Fragenkreis 13
Dritte Frage: „Und warum müssen manche so übermäßig
leiden, während andere fast frei von Leiden ausgehen?“
Offenbarung 9
Christus hebt das Schädliche und Befleckende in der
Liebe zur Welt hervor.
Fragenkreis 14
Dritte Frage: „Warum trägt das Kind die Sünde des Vaters
weiter, wenn es noch gar nicht sündigen kann?“
Offenbarung 10
Christus erklärt, warum vieles von dem, was er zu
Birgitta sagt und was er ihr befiehlt, weiter zu
vermitteln, so dunkel und vieldeutig ist.
Fragenkreis 15
Siebente Frage: „Und warum ist der Teufel bei manchen
ständig anwesend, aber bei anderen nie?“
Offenbarung 11
Christus beschreibt, wie er beim Tode von Birgittas Mann
sie vom Irdischen berief, im Umgang mit ihm zu leben.
Fragenkreis 16
Dritte Frage: „Wenn weiter dein Heiliger Geist in den
Evangelisten gesprochen hat, warum weichen dann die
Evangelien so viel voneinander ab?“
Offenbarung 12
Christus tröstet Birgitta in den Widrigkeiten, die sie
bei ihrer Verkündigung auszustehen hatte, und erklärt,
warum man den durch sie gesprochenen Worten nicht gleich
hat glauben können.
Offenbarung 13
Gott spricht in symbolischen Wendungen über die Tugenden
Marias und von den Plätzen, an denen sein Sohn während
seines Erdenlebens gewirkt hat.

Einleitung Buch 5 "Buch der
Fragen"
Hier beginnt das Fünfte Buch der himmlischen
Offenbarungen, die Christus der hl. Birgitta von
Schweden gegeben hat. Es wird mit Recht „Buch der
Fragen“ genannt, da es aus Fragen besteht, auf die der
Herr Christus bewundernswerte Antworten erteilt. Und das
wurde Frau Birgitta auf seltsame Weise offenbart, wie
sie selbst und ihre Beichtväter oft mündlich bezeugten.
Es geschah nämlich, als sie zu ihrem Schloss in Vadstena
ritt, gefolgt von mehreren reitenden Dienern, dass sie –
als sie unterwegs ritt – ihren Sinn im Gebet zu Gott
erhob, wobei sie plötzlich im Geist entrückt wurde, so
dass sie gleichsam ihrer körperlichen Sinne beraubt
wurde und sie in der Ekstase innerer Betrachtung erhob.
Sie sah da im Geist eine Leiter, die auf dem Boden
befestigt war und bis zum Himmel reichte. Oberhalb der
Leiter, im Himmel, sah sie den Herrn Jesus Christus auf
einem wunderbaren, schönen Thron sitzen, wie ein
Richter, der Recht spricht. Zu seinen Füßen stand
Jungfrau Maria, und rings um den Thron befand sich eine
unzählige Heerschar von Engeln und eine riesige Menge
von Heiligen.
Mitten auf der Leiter sah Frau Birgitta einen ihr
bekannten Mönch, der damals noch lebte, und der ein
großes theologisches Wissen besaß, aber gleichzeitig
voller Falsch und teuflischer Bosheit war. Mit seinen
unruhigen, ungeduldigen Gebärden erinnerte er eher an
einen Teufel, statt an einen frommen Ordensmann. Frau
Birgitta vernahm nun die Gedanken dieses Mönchs und
alles innere Begehren in seinem Herzen, und wie er sie
mit unbeherrschten, höchst ungeduldigen Gebärden in Form
von untenstehenden Fragen vor Christus aussprach, der
auf dem Thron als Richter saß.
Sie sah und hörte auch im Geist, wie der Richter
Christus weise und ausführlich jede dieser Fragen mit
höflichen, sanftmütigen Gesten beantwortete, und wie
unsere Frau, die Jungfrau Maria, manchmal einige Worte
an die selbst richtete, wie dieses Buch im Folgenden
ausführlich erzählen wird. Im selben Augenblick hatte
Frau Birgitta dieses ganze Buch im Kopf, als wäre es
eine einzige Offenbarung, und als sie sich nun schon dem
genannten Schloss näherte, fasste ihr Diener den Zügel
des Pferdes und begann, sie anzurühren und sie gleichsam
aus dieser Verzückung aufzuwecken. Als sie wieder zu
sich kam, war sie sehr betrübt darüber, dass sie einer
so göttlichen Erquickung beraubt war.
Das Buch der Fragen blieb so lebendig in ihrem Herzen
und war so fest in ihrem Gedächtnis eingeprägt, als ob
es ganz und gar auf einer Marmortafel eingeritzt wäre.
Sie schrieb sie gleich in ihrer Sprache auf, und ihr
Beichtvater übersetzte sie ins Lateinische, wie er
gewohnt war, auch andere Bücher zu übersetzen…

Buch 5 -
Erster Fragenkreis
Erste Frage: ”O Richter, ich frage dich: Du hast mir
einen Mund gegeben – soll ich nicht reden dürfen, was
mir gefällt?“
Zweite Frage: „Du hast mir Augen gegeben – soll ich sie
nicht anwenden dürfen, das zu sehen, was mir Vergnügen
macht?“
Dritte Frage: „Du hast mir Ohren gegeben – warum darf
ich sie nicht anwenden, das zu hören, was mir gefällt?“
Vierte Frage: „Du hast mir Hände gegeben – warum darf
ich sie nicht gebrauchen, das zu tun, was ich gern
habe?“
Christi Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter, der auf dem Thron saß, und dessen Gesten
sanft und sehr höflich waren, antwortete: „Mein Freund,
ich gab dir einen Mund, damit du das vernünftig sagen
sollst, was zum Nutzen deiner Seele und deines Leibes
und zu meiner Ehre dient.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Zweitens gab ich dir Augen, damit du das Böse sehen und
davor fliehen sollst, damit du das siehst, was für dich
gesund ist, und es behältst.
Antwort auf die 3. Frage.
„Drittens gab ich dir Ohren, damit du das hörst, was
wahr und ehrbar ist.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Viertens gab ich dir Hände, damit du damit tust, was
notwendig für den Leib und nicht schädlich für die Seele
ist.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Fünftens gab ich dir Füße, damit du von der Liebe zur
Welt weggehen sollst und zur Ruhe deiner Seele zun zu
mir, deinem Schöpfer und Erlöser gehen sollst.“

Zweiter Fragenkreis
Erste Frage: ”Von
neuem zeigt sich der Mönch auf seiner Leiter wie vorher
und sagt: ”O Christus, Richter! Freiwillig hast du die
bitterste Pein ausgestanden – warum darf ich es deshalb
nicht ehrbar auf der Welt haben und stolz sein?“
Zweite Frage: „Weiter hast du mir zeitliches Gut gegeben
– warum darf ich deshalb das besitzen, was ich begehre?
Dritte Frage: „Warum hast du weiter meinem Körper
Glieder gegeben, wenn ich sie nicht rühren und anwenden
kann, wie ich will?“
Vierte Frage: „Warum hast du weiter Gesetz und
Gerechtigkeit gegeben, wenn nicht dafür, dass wir Rache
nehmen sollen?“
Fünfte Frage: „Weiter hast du uns erlaubt, Ruhe und
Stille zu haben – warum lässt du uns dann Mühe und
Trübsal kennen lernen?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter erwiderte: „Mein Freund, der Hochmut des
Menschen wird lange von meiner Geduld ertragen, damit
die Demut erhöht und meine Tugend offenbart wird. Und
weil der Hochmut nicht von mir geschaffen, sondern vom
Teufel erfunden ist, muss man ihm ausweichen, denn er
führt zur Hölle, aber die Demut soll bewahrt werden,
denn sie führt zum Himmel, und ich, Gott, lehrte sie mit
meinem Wort und meinem Beispiel.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Weiter ist das zeitliche Gut von mir gegeben und dem
Menschen verliehen, damit er es in vernünftiger Weise
gebrauchen und verwenden soll, und das, was geschaffen
ist, gegen das Ungeschaffene, nämlich gegen mich,
eintauschen soll, indem er mich für meine guten Gaben
preist und ehrt, aber nicht nach dem Begehren des
Fleisches lebt.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Die Glieder des Leibes sind weiter dem Menschen
gegeben, damit sie der Seele ein Bild der Tugenden
zeigen und zum Dienst und Nutzen der Seele als ihr
Werkzeug stehen sollen.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Recht und Gesetz sind weiter von mir eingerichtet,
damit sie mit heiliger Liebe und Mitleid gehandhabt
werden sollen, und so göttliche Einheit und Eintracht
unter den Menschen befestigt werden.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Dass ich weiter dem Menschen vergönnt habe, körperliche
Ruhe und Stille zu haben, das tat ich, um die
Schwachheit des Fleisches zu stärken, und um die Seele
kräftig und stark zu machen. Aber weil das Fleisch
manchmal frech und überheblich ist, müssen Trübsale und
all das, wodurch das Fleisch zurechtgebracht wird,
willig ertragen werden.“

Dritter Fragenkreis
Erste Frage: Nun zeigt
sich der Mönch wie vorher auf seiner Leiter und sagte:
”O Richter, ich frage dich: ”Warum gabst du uns
körperliche Sinne, wenn wir uns nicht nach diesen Sinnen
des Fleisches rühren und leben sollten?“
Zweite Frage: „Warum hast du uns weiter Lebensmittel und
den Unterhalt des Körpers, Speise und andere angenehme
Dinge gegeben, wenn wir nicht nach dem Begehren des
Fleisches leben und uns befriedigen sollen?“
Dritte Frage: „Warum hast du uns weiter den freien
Willen gegeben, wenn wir unserem Willen nicht folgen
sollen?“
Vierte Frage: „Warum hast du Männern und Frauen Samen
und den Trieb zur Begattung gegeben, wenn er nicht nach
dem Begehren des Fleisches verwendet werden soll?“
Fünfte Frage: „Warum hast du uns weiter ein Herz und den
Willen gegeben, wenn nicht dafür, dass wir das
gernhaben, was lieblich ist, und das schmecken und
lieben, was angenehm zu genießen ist?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, ich gab dem Mensch
Sinne und Vernunft, um die Wege des Lebens zu betrachten
und ihnen zu folgen und die Wege des Todes zu
vermeiden.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Weiter gab ich Speise und das für den Körper Notwendige
zum maßvollen Unterhalt des Leibes und dafür, dass die
Kräfte der Seele geübt und stärker werden sollen, aber
nicht dafür, dass der Mensch durch unmäßiges Essen
geschwächt wird.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Weiter habe ich dem Menschen den freien Willen gegeben,
damit er seinen Willen mir, seinem Gott, überlassen
soll, und dadurch größeren Verdienst erwirbt.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Weiter gab ich Samen zum Geschlechtsverkehr, damit der
Mensch Nachkommen am gebührenden Platz und auf
ordentliche Weise hervorbringen soll und sich aus
gerechter und vernünftiger Ursache vermehren soll.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Ferner habe ich dem Menschen das Herz gegeben, auf dass
er mich, seinen Gott, der überall und unfasslich ist,
darin einschließen soll, und damit sein Gedanke und sein
Ergötzen in mir sein soll.“

Die Jungfrau Maria
spricht zur hl. Birgitta und klärt sie über fünf innere
und fünf äußere Tugenden auf, die sie haben soll.
Erste Offenbarung
im Buch der Fragen
Die Mutter (Maria) spricht: „Tochter, du musst fünf
innere und fünf äußere Dinge haben. Du musst äußerlich
einen Mund haben, der frei von Verleumdungen ist, Ohren,
die geschlossen für verfängliche Reden sind, Hände, die
im Guten wirksam sind; du sollst dich von weltlichem
Umgang zurückziehen. Du musst innen fünf Dinge haben,
nämlich: Gott eifrig lieben, dich weise nach ihm sehnen,
zeitliche Dinge mit gerechter und richtiger Absicht und
auf verständige Art zu schenken, demütig die Welt zu
fliehen sowie meine Versprechen langmütig und geduldig
abzuwarten.

Vierter Fragenkreis
Erste Frage: Wieder
zeigte sich der Mönch auf seiner Leiter wie vorher und
sagte: ”O Richter, warum muss ich nach Gottes Weisheit
forschen, wenn ich die Weisheit der Welt besitze?“
Zweite Frage: „Warum muss ich weinen und trauern, wenn
mir ein Überfluss an weltlicher Freude und Ehre zur
Verfügung steht?“
Dritte Frage: „Sag weiter, warum und wie soll ich mich
unter den Trübsalen des Leibes freuen?“
Vierte Frage: „Weiter, warum soll ich Furcht hegen, wenn
ich die Stärke meiner eigenen Kräfte besitze?“
Fünfte Frage: „Weiter, warum soll ich anderen gehorchen,
wenn mein Wille in meiner eigenen Macht steht?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, ein jeder, der
weise ist, wenn es die Welt betrifft, ist blind, wenn es
mich, seinen Gott betrifft. Und daher ist es Notwendig,
damit man meine göttliche Weisheit erwerben kann, dass
man fleißig und demütig danach forscht.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Weiter, ein jeder, der weltliche Ehre und Freude hat,
wird von verschiedenen Kümmernissen gehetzt und in
Bitterkeit verwickelt, was zur Hölle fährt. Daher ist es
notwendig, damit man nicht vom Himmelsweg abirrt, fromme
Scheu hat, betet und weint.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Weiter ist es sehr nützlich, sich unter den Trübsalen
und Leiden des Körpers zu freuen, denn dem, der am
Fleisch geplagt wird, naht sich mein Erbarmen, und er
selbst nähert sich dadurch leichter dem ewigen Leben.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Weiter, wie stark auch einer sein mag, ist er doch
stark durch mich, und ich bin stärker als er. Daher soll
man überall fürchten, seiner Stärke beraubt zu werden.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Weiter sollte ein jeder, der den freien Willen in
seiner Hand hat, fürchten und in Wahrheit bedenken, dass
nichts so leicht zur ewigen Pein führt, wie ein eigener
Wille ohne einen Leiter. Daher wird der, der seinen
eigenen Willen mir, seinem Gott, anvertraut und mir
gehorcht, das Himmelreich ohne Plage gewinnen.“

Fünfter Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch wie vorher und
sagte: ”O Richter, warum hast du die Würmer geschaffen,
die nur schaden und nicht nützen können?“
Zweite Frage: „Warum hast du wilde Raubtiere geschaffen,
die den Menschen auch schaden?“
Dritte Frage: „Warum schickst du weiter Krankheiten und
Plagen in die Leiber?“
Vierte Frage: „Warum lässt du weiter Bosheit bei
ungerechten Richtern zu, die die Untergebenen plagen und
quälen, wie gekaufte Sklaven?“
Fünfte Frage: „Warum wird der Leib des Menschen bis zum
Augenblick des Todes geplagt?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, ich Gott habe den
Himmel und die Erde und alles, was darin ist,
geschaffen, aber nichts ohne Ursache und ohne Gleichheit
mit dem Geistlichen. Denn wie die Seelen der Heiligen
den heiligen Engeln gleichen, die im (ewigen) Leben und
Glückseligkeit sind, so gleichen die Seelen der
Ungerechten den Teufeln, die im ewigen Tode sind.
Nachdem du also gefragt hast, warum ich die Würmer
geschaffen habe, so antworte ich dir, dass ich sie
schuf, um die mannigfache Macht meiner Weisheit und Güte
zu zeigen. Denn wenn sie auch schaden können, so schaden
sie doch nicht ohne meine Zulassung und nur der Sünde
wegen, damit der Mensch, der es verschmähte, sich mir -
seinem höchsten Herrn – zu unterwerfen, darüber seufzen
soll, dass ihm sogar das niedrigste Wesen schaden kann,
und damit der Mensch wissen soll, dass er nichts ist
ohne mich, dem auch die unvernünftigen Dinge dienen, und
dessen Geboten alles gehorcht.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Warum habe ich weiter wilde Raubtiere geschaffen? Ich
antworte: Alles, was ich schuf, war nicht nur gut,
sondern sogar sehr gut, und es wurde entweder zum Nutzen
und zur Prüfung des Menschen oder zum Nutzen der übrigen
geschaffenen Lebewesen geschaffen, und damit der Mensch
mir, seinem Gott, umso demütiger dient, ja glücklicher
als alles andere er ist.
Doch schaden oft die wilden Tiere im Zeitlichen, und das
aus zwei Ursachen. Erstens zur Strafe und Unterweisung
böser Menschen, damit sie durch die Heimsuchungen
einsehen, dass sie Menschen sind, und dass sie mir –
ihrem Herrn – gehorchen sollen. Zweitens schaden sie
auch guten Menschen zur Vervollkommnung ihrer Tugenden
und zu ihrer Läuterung. Und weil der Mensch gesündigt
und sich gegen mich – seinem Gott erhoben hat, daher
haben sich auch alle Dinge, die dem Menschen untertan
sein sollten, gegen ihn erhoben.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Warum wird der Körper von Krankheit befallen? Ich
antworte, dass dies geschieht, damit der Mensch sich
besser in Acht nehmen soll, und auch wegen der Sünde von
Unmäßigkeit und Überfluß, so dass der Mensch geistige
Mäßigung und Geduld lernt, und sein Fleisch zu zügeln
lernt.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Warum werden ungerechte Richter weiter geduldet? Das
geschieht zur Läuterung anderer und auf Grund meiner
Geduld, so dass die Seelen – wie das Gold im Feuer
gereinigt wird – durch die Bosheit der Ungerechten
gereinigt und unterwiesen werden und von dem abgebracht
werden, was sie nicht tun sollen. Ich ertrage die
ungerechten Menschen auch dafür, dass die Spreu des
Teufels von dem Weizen der Guten geschieden wird, und
dafür, dass ihre Gewinnsucht durch meine heimliche
göttliche Gerechtigkeit beendet wird.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Warum leidet der Körper Plagen bis zum Tode? Ja, es ist
gerecht, dass der Mensch mit den Dingen geplagt wird,
womit er sündigt, und nachdem er durch ungeordnete
Begierden sündigt, ist es angebracht, dass er von
Bitterkeit und geordneten Plagen betroffen wird. Daher
beginnt für manche der Tod schon hier – der Tod, der
ohne Ende in Ewigkeit dauern wird; für andere endet der
Tod im Fegefeuer und beginnt die ewige Freude.“

Zweite Offenbarung im
Buch der Fragen
Maria spricht:
Welches Heilige hat die Süßigkeit des Geistes erhalten,
ohne zuerst Bitterkeit erfahren zu müssen? Also darf
der, der sich nach der Süßigkeit sehnt, dem Bitteren
nicht ausweichen.“

Sechster Fragenkreis
Erste Frage:
Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner Leiter wie vor
her und sagte: ”O Richter, ich frage dich, warum das
eine Kind lebend aus dem Mutterleib hervorgeht und die
Taufe erhält, während das andere, das doch im Innern der
Mutter Leben erhalten hat, stirbt.”
Zweite Frage: „Warum wird der Gerechte von so vielen
Unglücksfällen betroffen, während der Ungerechte alle
seine Wünsche erfüllt bekommt?“
Dritte Frage: „Warum trifft weiter so viel Pest und
Hungersnot und so viele Leiden ein, die den Körper
plagen?“
Vierte Frage: „Warum kommt der Tod so unvorbereitet,
dass man ihn nur höchst selten voraussehen kann?“
Fünfte Frage: „Warum lässt du weiter Männer mit
absichtlichem Zorn und Neid Krieg anzetteln, um sich zu
rächen?“
Antwort auf die erste Frage.
Der Richter erwiderte: „Mein Freund, deine Frage erfolgt
nicht aus Liebe, sondern nur, weil ich sie zulasse.
Deshalb will ich dir mit Gleichnisworten antworten. Du
fragst, warum das eine Kind im Inneren der Mutter
stirbt, während das andere lebend hervorkommt. Der Anlaß
ist dieser: Alle Kraft in einem Kinderkörper rührt von
dem Samen des Vaters und der Mutter her, aber wenn das,
was gezeugt wird, auf Grund einer Schwäche beim Vater
oder der Mutter – keine ausreichende Stärke hat, stirbt
es bald.
Vieles beruht auf der Nachlässigkeit und Unachtsamkeit
der Eltern, und vieles geschieht durch meine göttliche
Gerechtigkeit, damit das, was vereint war, schneller
getrennt wird, und dafür erhält die Seele (obwohl ihr
nicht länger Zeit gelassen wird, dem Körper Leben zu
schenken) keine besonders harte Pein, sondern das
Erbarmen, für das ich bekannt bin. So wie die Sonne,
wenn sie in ein Haus hineinleuchtet, nicht zu sehen ist,
wie sie in ihrer vollen Schönheit am Himmelszelt zu
sehen ist – es sind nur ihre Strahlen, die man dann
sieht – so erhalten die Seelen solcher Kinder – obwohl
sie wegen des Fehlens der Taufe mein Antlitz nicht zu
sehen bekommen – eher Erbarmen als Strafe, wenn sie auch
nicht dasselbe Los wie meine Auserwählten erhalten.“
Antwort auf die zweite Frage.
„Auf die Frage, warum der Gerechte von Unglücksfällen
betroffen wird, antworte ich weiter: Meine Gerechtigkeit
besteht darin, dass jeder gerechte Mensch erhält, was er
begehrt. Aber der ist nicht gerecht, der nicht für
Gehorsam und Vervollkommnung der Gerechtigkeit begehrt,
von Unglück verschont zu werden, und der seinem Nächsten
nicht aus göttlicher Liebe Gutes tut. Meine Freunde
bedenken, was ich, ihr Gott und Erlöser, getan und ihnen
versprochen habe, so wie sie gleichzeitig auf das Böse
Acht geben, das auf der Welt herrscht; deshalb wünschen
sie sich – zu meiner Ehre, zu ihrer eigenen Erlösung und
zum Vermeiden von Sünde – eher Erfolg als Misserfolg auf
Erden; sie hoffen, dadurch der Versuchung zu entgehen.
Und deshalb lasse ich auch zu, dass Mühsale sie treffen,
und auch wenn manche von ihnen ihre Leiden weniger
geduldig tragen, so lasse ich doch dies alles nicht ohne
Ursache zu und stehe ihnen in der Stunde der Prüfung
bei. Wenn ein Sohn im Kindesalter von seiner liebvollen
Mutter gezüchtigt wird, weiß er nicht, ihr zu danken,
weil er ja nicht beurteilen kann, aus welchem Grunde er
gestraft wird. Wenn er aber ins reife Alter gekommen
ist, dankt er ihr, weil er durch ihre mütterliche Zucht
von schlechten Sitten abgebracht ist und sich an gute
gewöhnt hat.
So verfahre ich mit meinen Auserwählten, denn sie
überlassen mir ihren Willen und lieben mich über alles,
und darum werden sie eine Zeitlang von Widrigkeiten
heimgesucht, und obwohl sie im gegenwärtigen Leben meine
Wohltaten nicht vollständig verstehen, tue ich doch das,
was ihnen in Zukunft nützen soll. Aber die Gottlosen
kümmern sich nicht um Gerechtigkeit, scheuen sich nicht
davor, anderen Unrecht zuzufügen, begehren das
Vergängliche und lieben weltliche Genüsse.
Deshalb lässt sie meine Gerechtigkeit eine Zeitlang
Erfolg haben, und sie werden mit Plagen verschont, damit
sie nicht noch mehr sündigen, falls sie von Unglück
betroffen werden. Doch erhalten nicht alle Bösen, was
sie begehren, denn sie sollen lernen, dass es in meiner
Macht steht, zu geben, wem ich will. Auch den
Undankbaren verleihe ich, was gut ist, obwohl sie es
nicht verdienen.“
Antwort auf die dritte Frage.
„Auf die Frage, warum Pest und Hungersnöte kommen,
antworte ich weiter: Es steht im Gesetz geschrieben,
dass der, der stiehlt, mehr zurückgeben soll, als er
gestohlen hat. Da undankbare Menschen meine Gaben
empfangen und sie missbrauchen und mir nicht die
gebührende Ehre erweisen, lasse ich den Leib in diesem
Leben sehr plagen, um die Seele im kommenden Leben
schonen zu können. Manchmal schone ich den Leib und
strafe stattdessen den Menschen in dem und durch das,
was er liebt, so dass der, der mich nicht kennenlernen
wollte, als er froh war, mich kennenlernt, wenn er
betrübt ist.“
Antwort auf die vierte Frage.
„Auf die Frage, warum der Tod so plötzlich kommt,
antworte ich weiter: Wenn der Mensch um seine
Todesstunde wüsste, würde er mir aus Furcht dienen und
vor Sorge verkümmern. Damit der Mensch mir aus Liebe
dient und ständig Kummer um sich selbst hegt, aber
sicher in Bezug auf mich ist, ist die Stunde für den
Heimgang für alle unsicher. Und mit Recht, denn nachdem
der Mensch das verlassen hat, was sicher und wahr war,
war es notwendig und gerecht, dass er von dem geplagt
wird, was ungewiß ist.“
Antwort auf die fünfte Frage.
„Auf die Frage, warum ich es zulasse, dass Menschen in
ihrem Zorn und ihrer Bosheit Krieg anzetteln, antworte
ich weiter: Jeder, der den festen Willen hat, seinem
Nächsten zu schaden, ist wie der Teufel und ist sein
Glied und Werkzeug. Dem Teufel würde ich Unrecht tun,
wenn ich ihm zu Unrecht seinen Diener rauben würde. So
wie ich mein Werkzeug dazu benutze, was mir behagt, so
ist es auch gerecht, dass der Teufel mit dem Menschen
tut und bewirkt, was ihm gehört – der lieber sein Glied
sein will, als meines – entweder zur Reinigung anderer,
oder um seine Schlechtigkeit mit meiner Zulassung zu
verwirklichen, wie die Sünde es ja auch erfordert.“

Siebenter Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich:
Warum spricht man von „hässlich“ und „schön“ auf der
Welt?“
Zweite Frage: „Und warum muß ich die Schönheit der Welt
hassen, ich, der ich so schön und von so vornehmer
Herkunft bin?“
Dritte Frage: „Und warum darf ich mich nicht über andere
erheben, wenn ich reich bin?“
Vierte Frage: „Und warum darf ich mich nicht vor andere
setzen, wenn ich nun ehrwürdiger bin als sie?“
Fünfte Frage: „Und warum darf ich nicht meinen eigenen
Ruhm suchen, wenn ich gut und lobenswert bin?“
Sechste Frage: „Und warum darf ich keine Belohnung
fordern, wenn ich anderen Dienste erweise?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, das Hässliche und
Schöne auf der Welt kann mit anderen Worten bitter und
lieblich genannt werden, denn das Hässliche auf der
Welt, d.h. Verleumdung und Unglück auf Erden, ist etwas
Bitteres, was den Gerechten nützt und ihnen zur
Gesundheit dient, während die Schönheit der Welt, d.h.
Erfolg auf Erden, eine falsche und verführerische
Verlockung ist. Wer also der Schönheit der Welt
entflieht und ihre Süßigkeit verschmäht, wird nicht die
Hässlichkeit der Hölle erleben oder ihre Bitterkeit
schmecken, sondern zu meiner Freude aufsteigen.
Deshalb ist es notwendig, damit man der Hässlichkeit der
Hölle entgeht und die Lieblichkeit des Himmelreichs
gewinnt, lieber nach der Hässlichkeit der Welt als nach
ihrer Schönheit greift, denn auch wenn alles gut von mir
erschaffen ist und das alles zusammen sehr gut ist, soll
man sich doch in höchstem Grad davor in Acht nehmen, was
der Seele Schaden zufügen kann, wenn man meine Gaben
unverständig benutzt.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum man sich nicht seiner Herkunft
rühmen darf, antworte ich weiter: Du hattest deinen
Ursprung von der hässlichsten Verderbtheit und
Unreinheit deines Vaters, und im Leibe deiner Mutter
warst du wie tot und vollkommen unrein. Es stand nicht
in deiner Macht, von vornehmen oder geringen Eltern
geboren zu werden, sondern meine Güte und Huld hat dich
ans Licht gerufen. Also magst du, wenn du vornehm
genannt wirst, dich unter mich, deinen Gott, demütigen,
der dich in einer vornehmen Familie hat geboren werden
lassen und dich deinem Nächsten gleichgestellt hat.
Denn er ist aus demselben Stoff wie du, obwohl du durch
meine Vorsehung aus einem nach weltlichen Begriffen
hohen Geschlecht hervorgegangen bist, und er aus einem
geringen. Du, der du hochgeboren bist, desto strengere
Rechenschaft wird von dir gefordert werden, und einem
umso härteren Gericht musst du dich unterwerfen, nachdem
du mehr empfangen hast.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum man nicht mit Reichtümern prahlen
darf, antworte ich weiter: Die Reichtümer der Welt
gehören dir nur um der notwendigen Speise und der
Kleidung willen. Die Welt ist nämlich zu dem Zweck
geschaffen, damit der Mensch den Unterhalt seines Leibes
haben soll und durch Arbeit und Demut zu mir, seinem
Gott, zurückkehrt, gegen den er ungehorsam war, den er
verachtet hat, und um den er sich in seinem Übermut
nicht gekümmert hat.
Wenn du sagst, dass zeitliche Güter dir gehören, sage
ich die sichere Wahrheit, dass all das, was du über das
Lebensnotwendige hinaus besitzt, das hast du dir mit
Gewalt angeeignet. Denn alle zeitlichen Güter sollen für
alle gleich sein, die es brauchen; so gebietet es die
Liebe. Aber du bildest dir etwas auf deinen Überfluß
ein, den du aus Mitleid an andere verleihen solltest.
Wenn auch viele aus vernünftigen Gründen viel mehr als
andere besitzen und es klug ausgeben, ist es doch
geraten, damit man beim Gericht nicht strenger gegen
dich verfahren soll, der du mehr empfangen hast als
andere, dass du nicht viel Eigentum einsammelst und dich
hochmütig für mehr hältst als andere. Denn ebenso
behaglich wie es ist, auf der Welt mehr zeitlichen
Besitz als andere zu haben und im Überfluß zu leben,
ebenso gefährlich und über die Maßen schwer ist es beim
Gericht, wenn man sogar betreffs des erlaubten Eigentums
beweisen muß, dass man es klug verwaltet hat.“
Antwort auf die 4. und 5. Frage.
„Auf die Frage, warum man nicht seinen eigenen Ruhm
suchen darf, antworte ich weiter: Niemand ist gut von
sich selbst aus außer mir, Gott, und jeder, der gut ist,
hat dieses Gute von mir. Wenn also du, der nichts ist,
dein eigenes Lob und nicht das meine suchst, obwohl jede
vollkommene Gabe von mir kommt, so ist dein Ruhm falsch,
und du tust mir, deinem Schöpfer gegenüber Unrecht.
Denn so wie alles Gute, was du hast, von mir kommt, so
musst du mir allen Ruhm schenken, und so wie ich, dein
Gott, dir alles zeitliche Gut beschert, Kräfte,
Gesundheit, Gewissen, Klugheit, das zu bedenken, was für
dich nützlich ist, Zeit und Leben, so bin doch ich es,
den du ehren sollst, wenn du das gut und verständig
verwaltest, was dir geschenkt worden ist. Aber wenn du
es schlecht verwaltest, dann ist es dein Fehler, und du
machst dich der Undankbarkeit schuldig.“
Antwort auf die 6. Frage.
„Auf die Frage, warum man im jetzigen Leben keine
zeitliche Belohnung für gute Taten begehren soll,
antworte ich dir weiter: Jeder, der anderen gegenüber
Gutes tut und nicht nach Vergeltung von Menschen fragt,
sondern nur nach der, die ich – Gott – ihm geben will,
der wird das Größte für das Kleinste, das Ewige für das
Zeitliche bekommen; dagegen wird der, der das Irdische
und das Zeitliche sucht, erhalten, was er begehrt, aber
das Unvergängliche verlieren. Daher ist es nützlicher,
damit man das Ewige statt des Vergänglichen gewinnt –
keine Belohnung von Menschen zu begehren, sondern von
mir.“

Achter Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich:
Warum lässt du es zu, dass man Abgötter in Tempel setzt
und sie ehrt wie dich, obwohl dein Reich vornehmer als
alles andere ist?“
Zweite Frage: „Und warum lässt du deine Herrlichkeit
nicht schon in diesem Leben von den Menschen schauen, so
dass sie sich eifriger danach sehnen?“
Dritte Frage: „Und da nun die Heiligen und Engel edler
und heiliger als alle anderen Geschöpfe sind, warum
dürfen sie von den Menschen nicht schon in diesem Leben
geschaut werden?“
Vierte Frage: „Und da nun die Plagen der Hölle so über
alle Beschreibung schrecklich sind, warum lässt du sie
von den Menschen nicht schon in diesem Leben schauen, so
dass sie dem entrinnen können?“
Fünfte Frage: „Und da nun die Teufel über alle
Beschreibung scheußlich und grässlich sind, warum zeigen
sie sich dem Menschen nicht in sichtbarer Gestalt? Dann
würde ihnen niemand folgen oder ihnen zustimmen.“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, ich bin Gott und
der Schöpfer aller Dinge. Ich tue den Bösen kein
größeres Unrecht als den Guten, denn ich bin die
Gerechtigkeit selbst. Meine Gerechtigkeit ist so, dass
der Eintritt in den Himmel durch Fasten und steten
Glauben, verständige Hoffnung und brennende Liebe
erworben werden muß. Das, was vom Herzen mehr und wärmer
geliebt wird, das wird fleißiger bedacht und
gewissenhafter verehrt.
So werden auch Abgötter in Tempel gesetzt, obwohl sie
weder Götter noch Schöpfer sind; es gibt ja nur einen
einzigen Schöpfer, nämlich mich – Gott, Vater, Sohn und
Heiliger Geist. Doch ist die Liebe, die die Besitzer der
Tempel und die Menschen für sie haben, damit sie auf der
Welt Erfolg haben, größer als die, die sie mir
entgegenbringen, und sie kümmern sich nicht darum, mit
mir leben zu dürfen. Wenn ich nun die Dinge vernichten
würde, die die Menschen mehr lieben als mich, und sie
mich gegen ihren freien Willen verehren ließe, so würde
ich ihnen sicher Unrecht tun, nachdem ich ihnen ihren
freien Willen und ihre Sehnsucht genommen habe. Denn
nachdem sie keinen Glauben an mich haben, und es in
ihrem Herzen etwas gibt, was ihnen begehrenswerter ist
als ich, ist es klug, dass ich sie im Handeln das
verwirklichen lasse, was sie in ihrem Sinn lieben und
ersehnen.
Und da sie das Erschaffene mehr lieben als mich, den
Schöpfer, den sie durch Zeichen und Werke kennenlernen
könnten und so wahrscheinliche Beweise erhalten, wenn
sie ihren Verstand benutzen wollten, deshalb sind sie
verblendet, ihre geschaffenen Werke sind verdammt, und
ihre Abgötter sind verflucht, und sie werden für ihre
Torheit beschämt und verurteilt werden. Sie wollen ja
nicht einsehen, wie lieblich ich, ihr Gott bin, der ich
den Menschen aus warmer Liebe geschaffen und erlöst
habe.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum meine Herrlichkeit nicht zu sehen
ist, antworte ich weiter: Meine Herrlichkeit ist
unsagbar und übertrifft alles an Lieblichkeit und Güte.
Wenn meine Herrlichkeit geschaut wer – den würde, wie
sie ist, dann würde der schwache, vergängliche Leib des
Menschen ebenso wie seine Sinne in Ohnmacht fallen, der
meine Herrlichkeit auf dem Berg geschaut hat; ja der
Körper würde infolge der Freude der Seele betäubt und
unfähig zu körperlicher Arbeit werden.
Dafür, dass man ohne Liebesmühe keinen Eintritt in den
Himmel gewinnt, und damit der Glaube seine Belohnung
erhält und der Körper tauglich zur Arbeit ist, wird
meine Herrlichkeit eine Zeitlang verborgen, damit sie in
Ewigkeit in einer seligeren und reicheren Weise infolge
der Sehnsucht und des Glaubens geschaut wird.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum die Heiligen nicht geschaut
werden, wie sie sind, antworte ich weiter: Wenn meine
Heiligen offenbar gesehen würden und in körperlicher
Weise sprechen würden, dann würden sie geehrt wie ich
selbst, und der Glaube würde ohne Belohnung bleiben.
Auch würde das gebrechliche Fleisch nicht imstande sein,
sie zu sehen, und meine Gerechtigkeit will nicht, dass
eine so große Klarheit von einer so kläglichen
Gebrechlichkeit geschaut wird.
Deshalb werden meine Heiligen nicht so gehört und
gesehen, wie sie sind, denn alle Ehre gebührt mir, und
der Mensch soll wissen, dass niemand mehr geliebt werden
soll, als ich. Und wenn meine Heiligen sich zuweilen
offenbaren, so erscheinen sie nicht in der Herrlichkeit,
die sie wirklich haben, sondern in einer Gestalt, wo die
Fülle der Kraft verborgen ist, so dass sie geschaut
werden können, ohne dass der körperliche Verstand
verwirrt wird.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum die Plagen der Hölle nicht zu
sehen sind, antworte ich weiter: Wenn die Höllenplagen
in sichtbarem Ausmaß zu sehen wären, wie sie sind, dann
würde der Mensch ganz starr vor Schreck, und er würde
das Himmlische aus Furcht und nicht aus Liebe erstreben.
Weil aber niemand die himmlische Freude aus Furcht vor
Strafe, sondern nur aus Liebe zu Gott erstreben soll,
werden die Plagen nun verborgen.
Und wie die Guten und Heiligen diese unaussprechliche
Freude vor der Trennung von Leib und Seele noch nicht
schmecken können, wie sie ist, so spüren auch die Bösen
nicht die Qual der Hölle, ehe die Seele nicht vom Leib
geschieden ist. Aber dann werden sie erfahren nachdem
sie nicht daran glauben wollten, als sie es noch
konnten.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum die Teufel sich nicht sichtbar
zeigen, antworte ich weiter: Wenn deren widerliche
Hässlichkeit geschaut würde, wie sie ist, dann würde die
Seele des Schauenden über den schrecklichen Anblick
außer sich sein; der ganze Leib würde ins Schlottern
geraten wie bei einem zitternden Menschen, das Herz
würde vor Schreck bluten, und die Füße wären nicht im
Stande, die übrigen Glieder aufrecht zu halten. Damit
die Seele in ihren Sinnen bleibt, sei das Herz wachsam
in der Liebe zu mir, und der Körper imstande, in meinem
Dienst zu arbeiten – deshalb bleibt die Missgestalt der
Teufel verborgen, und ihre Bosheit wird gezügelt.“

Dritte Offenbarung im
Buch der Fragen
Gottes Sohn spricht (zu Birgitta): „Wenn es einen
Kranken im Hause gibt, und ein kundiger Arzt, der das
Übel der Krankheit kennt, diesem ein Heilmittel gibt,
durch das er stirbt, wird er als Totschläger angeklagt
und ist kein richtiger Arzt.
Wenn jemand, der die Heilkunst kennt, sie um irdischen
Gewinn ausübt, so wird er keinen Lohn von mir erhalten.
Aber wenn einer die Heilkunst aus Liebe zu mir ausübt,
und um mich zu ehren, so werde ich ihn belohnen Wenn
jemand, der kein Meister in der Heilkunst ist, zu wissen
glaubt, dass die Medizin für den Kranken gut ist oder
gut sein kann, so gibt er sie ihm in guter Absicht, und
er darf nicht als Totschläger verklagt werden, falls der
Kranke stirbt, sondern als ein törichter und vermessener
Mensch. Sollte dagegen der Kranke durch die Medizin des
Unweisen gesund werden, so soll dieser keinen Lohn wie
ein Arzt erhalten, sondern nur als ein Gutachter, denn
er hat das Heilmittel nicht nach seiner Kenntnis
verordnet, sondern nur nach seinem Ermessen.
Nun will ich dir sagen, was dies bedeutet. Die Menschen
da, die du kennst, sind geistlich krank und sind durch
Hochmut und Gewinnsucht gefallen. Sie folgen ihrem
eigenen Willen. Wenn ihnen deshalb ihr Freund, den ich
mit einem Arzt vergleiche, Hilfe und Rat zu noch
schlimmerem Hochmut und Ehrgeiz zuteil werden lässt, so
dass sie geistlich sterben, so werde ich sicher ihren
Tod aus seiner Hand fordern. Denn obwohl sie durch ihre
eigene Bosheit starben, wird er, der der Vermittler und
die Ursache ihres Todes ist, keineswegs straffrei
ausgehen. Wenn er dagegen von natürlicher Liebe
geleitet, sie fördert und sie zu seiner eigenen Freude
und aus fleischlicher Liebe auf der Welt erhöht, kann er
keinesfalls auf Lohn von mir hoffen.
Es kann jedoch passieren, dass er wie ein guter Arzt an
sie denkt und sich selber sagt: „Diese Menschen sind
krank und brauchen Medizin. Wenn ihnen auch meine Arznei
bitter vorkommt, will ich sie ihnen doch geben, weil sie
gesund ist, so dass sie nicht einen schweren Tod
sterben. So werde ich, indem ich sie zügle, ihnen Speise
geben, damit sie nicht vor Hunger vergehen, und Kleider,
so dass sie mit Ehre nach ihrem Stande auftreten können,
und ich werde sie unter meiner Zucht halten, so dass sie
sich nicht überheben. Ich werde sie auch mit allem
anderen Notwendigen versorgen, so dass sie sich nicht in
ihrem Übermut aufblasen und sich durch ihre
Vermessenheit versündigen, oder Gelegenheit erhalten,
anderen zu schaden.“ Ein solcher Arzt wird einen großen
Lohn von mir empfangen, denn eine solche Zurechtweisung
gefällt mir.
Aber wenn ihr Freund so denkt: „Ich würde ihnen das
Notwendige geben, aber ich weiß nicht, wieweit es ihnen
nützt oder nicht – doch glaube ich, dass es Gott nicht
missfällt, oder dass es ihrer Erlösung schadet. Wenn sie
dann durch seine Gabe sterben oder sich einer
Übertretung schuldig machen, soll der Freund nicht als
Totschläger angeklagt werden, sondern er soll einen
bestimmten (wenn auch nicht vollständigen) Lohn für
seinen guten Willen und für sein frommes Mitgefühl
erhalten, je mehr er ihre Seelen geliebt hat.
Die Kranken sollen es aber leichter haben und allmählich
wieder gesund werden, was sie schwerlich erreicht
hätten, wenn die Liebe nicht mitgewirkt hätte. Doch ist
hier ein Rat notwendig: Denn nach allgemeiner Meinung
schadet es einem schädlichen Tier nicht, wenn es
eingesperrt wird, und wenn es in seiner Gefangenschaft
das Notwendige erhält, bleibt es ebenso gesund und
munter, wie das Tier, das in voller Freiheit lebt. Weil
diese Menschen also einem Geschlecht angehören, dessen
Blut und Herz das Hohe ersehnt, und weil ihr Wille
dürstet, je mehr er zu trinken bekommt, deshalb soll
ihnen ihr Freund keine Gelegenheit zu Übertretungen
geben, denn sie möchten gern Übertretungen begehen, aber
ihr Begehren können sie nicht auslöschen.“

Neunter Fragenkreis
Erste Frage: Als dies gesagt war, zeigte sich der Mönch
auf seiner Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich
frage dich: Warum scheinst du so ungleich im Verteilen
deiner Gnadengaben, dass du deine Mutter Maria vor allen
anderen Geschöpfen auserwählt und sie über die Engel
erhört hast?
Zweite Frage: „Warum hast du den Engeln einen Geist ohne
einen Körper gegeben und die Gnade verliehen, in der
himmlischen Freude zu wohnen, während du dem Menschen
ein irdisches Gefäß und Geist gegeben hast – und das
Los, mit Weinen geboren zu werden, mit Mühe zu leben und
unter Schmerzen zu sterben?“
Dritte Frage: „Warum hast du weiter dem Menschen
Verstand und Denkvermögen und Sinne gegeben, wenn du den
Tieren keinen Verstand gegeben hast?“
Vierte Frage: „Warum hast du den Tieren Leben gegeben,
wenn du den übrigen, Geschöpfen, die kein Denkvermögen
haben, dies nicht gegeben hast?“
Fünfte Frage: „Und warum ist es nachts nicht ebenso hell
wie am Tage?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, in meiner Gottheit
ist das kommende und Zukünftige von Anfang an bekannt,
ebenso wie das bereits Geschehene. Der Fall des Menschen
war im Voraus bekannt und durch Gottes Gerechtigkeit
zugelassen, doch wurde er nicht von Gott veranlasst und
sollte nicht auf Grund von Gottes Vorherwissen
geschehen. Ebenso war die Befreiung der Menschen, die
durch Gottes Barmherzigkeit erfolgen sollte von Ewigkeit
vorhergesehen.
Du fragst nun, warum ich meine Mutter Maria vor allen
anderen auserwählte und sie mehr als alle anderen
Geschöpfe geliebt habe. Das geschah deshalb, dass ein
besonderer Glanz von Tugenden bei ihr anzutreffen war.
Wenn man ein Feuer anzündet und mehrere Holzstücke darum
herumlegt, so entzündet es sich rascher, was dienlicher
ist und besser vom Feuer verzehrt wird.
So verhält es sich auch mit Maria. Denn als das Feuer
der göttlichen Liebe, das an sich unveränderlich und
ewig ist, entzündet und sichtbar wurde und die Gottheit
Menschengestalt annehmen wollte, da war kein
geschaffenes Wesen besser imstande, dieses Liebesfeuer
zu empfangen, als die Jungfrau Maria, denn kein Geschöpf
war so reich an Liebe, wie sie. Und obwohl ihre Liebe
offenbar wurde und bei der Erfüllung der Zeilen sichtbar
wurde, war sie doch seit Anbeginn der Welt
vorausgesehen, und so war es von Ewigkeit her in der
Gottheit vorgeschrieben, dass wie es gleichsam niemanden
gab, der ihr an Liebe gleich war, so sollte ihr auch
keiner an Gnade und an Segen gleich sein.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum ich den Engeln Geist und keinen
Leib gab, antworte ich weiter: Im Anfang und vor den
Zeiten und der Welt erschuf ich die Geister, damit sie
nach meinem Willen ihren freien Willen genießen und sich
über meine Güte und Ehre freuen sollten. Jedoch erhoben
sich manche von ihnen darüber, wandten für sich das Gute
zum Bösen und benutzten ihren freien Willen auf
ungeordnete Weise. Nur weil es in der Natur und
Schöpfung nichts anderes Böses als die Unordnung des
eigenen Willens gibt, so sind sie gefallen. Aber die
anderen Geister wählten, mir, ihrem Gott, in Demut zu
dienen, und dafür verdienten sie ewige Standhaftigkeit.
Es ist nämlich angebracht und richtig, dass ich, Gott,
der ein ungeschaffener Geist und aller Schöpfer und Herr
ist, auch Geister in meinem Dienst habe, die zarter und
leichter als andere Geschöpfe sind. Aber da es nicht
passte, dass ich eine Verminderung in meiner Heerschar
hinnahm, daher erschuf ich an ihrer Stelle, die gefallen
waren, ein anderes Wesen, nämlich den Menschen, der
durch seine freie Wahl und seinen guten Willen dieselbe
Würde verdienen sollte, die die Engel aufgegeben haben.
Aber wenn der Mensch nur eine Seele und keinen Körper
hätte, hätte er nicht ein so hohes Gut erworben und
nicht dafür arbeiten können. Der Leib wurde also mit der
Seele vereint, damit der Mensch die ewige Ehre erwerben
kann.
Mühsale treffen den Menschen, damit er seinen freien
Willen und seine Schwächen erforscht und nicht hochmütig
wird, ferner, damit er die Herrlichkeit ersehnt, für die
er geschaffen ist, und den Ungehorsam wieder gut macht,
dessen er sich freiwillig schuldig gemacht hat. Durch
die göttliche Gerechtigkeit wurde ihm ein kläglicher
Eingang (ins Leben) und Ausgang sowie ein mühseliges
Leben auferlegt.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum die Tiere keinen Verstand und kein
Denkvermögen wie die Menschen haben, antworte ich
weiter: Alles, was geschaffen ist, ist zum Nutzen des
Menschen da, für seinen Unterhalt oder seine
Unterweisung, Zucht, Erquickung und Demütigung. Aber
wenn die Tiere Verstand hätten wie der Mensch, wären sie
dem Menschen sicher beschwerlich und zum Schaden, statt
ihm zu nützen. Damit dem Menschen alles unterworfen sei,
ihm, um dessentwillen alles gemacht ist, und alles ihn
fürchtet, aber er selbst nichts anderes fürchtet als
mich, seinen Gott – deshalb haben die Tiere keinen
Verstand und kein Denkvermögen bekommen.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum das, was keine Sinne hat, kein
Leben hat, antworte ich weiter: Alles, was lebt, ist
sterblich, und jedes Lebewesen bewegt sich, sofern es
nicht von etwas gehindert wird. Wenn das, was keine
Sinne hat, Leben hätte, würde es sich eher gegen den
Menschen stellen, als für ihn. Damit dem Menschen alles
zur Freude dient, sind ihm die höheren Dinge, nämlich
die Engel, zu seinem Schutz gegeben, mit denen er den
Verstand und die Unsterblichkeit der Seele gemeinsam
hat, während die niederen Wesen (mögen sie Sinne haben
oder nicht) ihm zum Nutzen und zum Unterhalt, zur
Unterweisung und fleißiger Übung gegeben sind.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum es nicht jederzeit Tag ist,
antworte ich dir mit einem Gleichnis. Unter jedem Wagen
befinden sich Räder, damit die Fuhre schneller befördert
werden kann; dabei folgen die Hinterräder den
Vorderrädern. In gleicher Weise verhält es sich mit dem
Geistigen. Die Welt ist nämlich eine große Fuhre, die
den Menschen mit Kummer und Mühsal belastet. Das ist
auch nicht merkwürdig, denn als der Mensch den Platz der
Ruhe verschmähte, war es nur gerecht, dass er mit einem
Arbeitsplatz Bekanntschaft stiften musste.
Damit die Bürde dieser Welt vom Menschen leichter zu
tragen ist, ist es barmherzig so geordnet, dass die
Zeiten wechseln, und Tag auf Nacht, Wärme auf Kälte
folgt – zur Übung und zur Ruhe des Menschen. Es ist ja
doch vernünftig, dass da, wo Gegensätze zusammentreffen,
nämlich das Starke und das Schwache, dem Schwachen
nachgegeben werden soll, damit es neben dem Starken
bestehen kann; sonst würde das Schwache ja vernichtet
werden.
So ist es auch mit dem Menschen. Wenn er auch durch die
unsterbliche Kraft der Seele ständig in Betrachtung und
Arbeit leben könnte, würde er doch auf Grund der
Schwachheit des Körpers verkümmern, und deshalb wurden
Licht und Nacht geschaffen; das Licht dafür, dass der
Mensch sein Los mit den höheren und niederen Dingen
teilen kann, am Tage arbeiten und sich an die
Lieblichkeit des ewigen Lichtes erinnern kann, das er
verloren hat; die Nacht dafür, dass er seinen Körper
ausruht und willig ist, an den Platz zu kommen, wo es
weder Nacht noch Arbeit gibt, sondern ewigen Tag und
immerwährende Ehre.“

Vierte Offenbarung im
Buch der Fragen
Der Sohn (Jesus Christus) spricht: „Ich bin ein
gekrönter König in meiner Gottheit, ohne Anfang und ohne
Ende. Die Krone, die weder Anfang noch Ende hat,
bezeichnet meine Macht, die keinen Anfang hat und auch
kein Ende haben wird. Aber ich hatte auch eine andere
Krone in meiner Verwahrung, und die Krone war ich, Gott,
selbst. Die Krone war für sie (Maria) bereitet, die die
größte Liebe zu mir hatte, und du, liebste Mutter, hast
sie gewonnen und mit Gerechtigkeit und Liebe an dich
genommen. Denn Engel und andere Heilige legen das
Zeugnis über dich ab, dass du eine brennendere Liebe als
andere zu mir hattest, und dass deine Keuschheit reiner
war, als die von anderen, und mir mehr gefiel, als die
von allen anderen.
Wahrlich, dein Haupt war wie glänzendes Gold, und deine
Locken wie Sonnenstrahlen. Denn deine allerreinste
Jungfräulichkeit, die wie das Haupt aller Tugenden in
dir ist, und deine Enthaltsamkeit von allen unzulässigen
Begierden, gefielen mir und strahlten mit aller Demut in
meinem Angesicht, und daher wirst du mit Recht eine
gekrönte Königin über alles, was geschaffen ist,
genannt, eine Königin wegen deiner Reinheit und gekrönt
wegen deiner hohen Würde.
Deine Stirn war von einer unvergleichlichen Weisse, die
die ehrbare Scheu deines Gewissens bezeichnet; dort
findet sich der Reichtum aller menschlichen Einsicht,
und da leuchtet die göttliche Weisheit mit ihrem
lieblichen Schein über alles. Deine Augen waren so klar
in meines Vaters Angesicht, dass er sich darin
spiegelte, denn in deinem geistlichen Blickfeld und im
Verstand deiner Seele sah der Vater all deinen Willen,
der nichts anderes wollte, als ihn, und nichts begehrte,
was ihm nicht gefiel.
Deine Ohren waren völlig rein und offen wie die
schönsten Fenster, als Gabriel dir meinen Willen
kundtat, und ich, Gott, in dir Fleisch wurde. Deine
Wangen waren von der besten Farbe, weiß und rot, denn
der Ruf deiner lobenswerten Taten und die Schönheit
deiner Sitten, wodurch du täglich entzündet wurdest,
gefiel mir. Über die Schönheit deiner Sitten freute sich
in der Tat Gott Vater; niemals wandte er seine Augen von
dir ab, und von deiner Liebe empfingen alle ebenfalls
Liebe. Dein Mund war wie eine Leuchte, die innen brennt
und ihren Schein nach außen verbreitet, denn die Worte
und Gefühle deiner Seele brannten inwendig durch
göttlichen Verstand und strahlten nach außen durch die
lobenswerte Art deiner Gebärden und die wunderbare
Harmonie deiner Tugenden.
Ja, liebste Mutter, die Worte deines Mundes haben
sozusagen meine Göttlichkeit zu dir gezogen, und die
Glut deiner göttlichen Liebe ließ mich niemals von dir
trennen, denn deine Worte sind lieblicher als Honig.
Dein Hals ist edel erhoben und schön aufgerichtet, denn
die Gerechtigkeit deiner Seele ist ganz und gar zu mir
erhoben und bewegt sich nach meinem Willen; du warst ja
nie durch bösen Hochmut zu etwas (Schlechtem) geneigt.
So wie der Hals sich mit dem Haupte beugt, so neigte
sich all deine Absicht und dein Tun nach meinem Willen.
Deine Brust war voll Süße aller Tugenden, so dass es
nichts Gutes in mir gibt, was nicht in dir vorhanden
ist, denn du hast durch die Lieblichkeit deiner Sitten
alles Gute in dich hineingezogen, als es meiner
Göttlichkeit gefiel, in dich einzutreten, und meiner
Menschlichkeit, in dir zu wohnen und die Milch deiner
Brüste zu trinken. Deine Arme waren sehr schön durch
wahren Gehorsam und Geduld bei der Arbeit. Deine
leiblichen Hände berührten ja meine Menschengestalt, und
ich weilte mit meiner Göttlichkeit in deinen Armen.
Dein Mutterleib war so rein wie Elfenbein und strahlte
wie ein Schmuckkasten, denn deine Standhaftigkeit und
dein Glaube erlahmten nie und konnten in Unglücksfällen
nicht zerstört werden. Die Wände dieses Mutterleibs,
d.h. deines Glaubens, waren so klar wie schimmerndes
Gold; hiermit wird die Stärke deiner Tugenden, deine
Klugheit, deine Gerechtigkeit, deine Mäßigkeit und deine
vollendete Beharrlichkeit bezeichnet, dann all diese
Tugenden von dir waren in göttlicher Liebe vollkommen
geworden.
Deine Füße waren rein und gut gewaschen; ja gleichsam
voll von wohlriechenden Kräutern, denn die Hoffnung und
das Verlangen deiner Seele waren auf mich, deinen Gott
gerichtet und dufteten zum Vorbild und zur Nachfolge für
andere. Dein Mutterleib war mir geistig und körperlich
so begehrenswert, und deine Seele war mir so
wohlgefällig, dass ich nicht davor zurückschrecke, zu
dir aus Himmelshöhe herabzusteigen und bei dir zu
wohnen; ich fand das größte Gefallen daran. Daher,
liebste Mutter, soll die Krone, die bei mir verwahrt
wurde (die Krone bin ich, Gott, der Menschengestalt
annahm), niemandem anders als dir aufgesetzt werden,
denn du bist wahrhaftig Mutter, Jungfrau und Kaiserin
aller Königinnen.“

Zehnter Fragenkreis
Erste Frage: Wieder
zeigte sich der Mönch auf seiner Leiter wie vorher und
sagte: „O Richter, ich frage dich: Wie konntest du, der
am allermächtigsten, am schönsten und tugendreichsten
ist, und der klarer als die Sonne in deiner Gottheit
strahlt – dich in einen solchen Sack wie deine
Menschengestalt kleiden?“
Zweite Frage: „Und wie kann es kommen, dass deine
Gottheit alles in sich schließt und doch von niemandem
beschlossen wird, dass du alles umfasst und doch von
niemandem umfasst wirst?“
Dritte Frage: „Und warum wolltest du so lange im Schoß
der Jungfrau weilen, und warum kamst du nicht gleich
hervor, nachdem du empfangen wurdest?“
Vierte Frage: „Und warum zeigtest du, der alles kann und
überall gegenwärtig ist, dich nicht gleich in der
Gestalt, die du in deinem 30. Lebensjahr hattest?“
Fünfte Frage: „Und warum wolltest du, dessen Vater nicht
von Abrahams Samen war, dich beschneiden lassen?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete ihm: „Mein Freund, ich will dir
mit einem Gleichnis antworten. Es gibt eine Art
Weintrauben, deren Wein so stark ist, dass er ohne Zutun
des Menschen aus den Trauben herausdringt. Wenn der
Besitzer sieht, dass die Zeit der Reife gekommen ist,
setzt er einen Bottich darunter. Der Wein wartet aber
nicht auf den Bottich, sondern der Bottich auf den Wein.
Und wenn mehrere Gefäße daruntergesetzt werden, so
fließt der Wein in das Gefäß, das am nächsten ist.
Diese Weintraube ist meine Gottheit, der so voll vom
Wein der göttlichen Liebe ist, dass alle Engelchöre
damit erfüllt werden, und alles, was es auch ist, daran
Teil erhält. Durch seinen Ungehorsam machte der Mensch
sich aber dieses Weines unwürdig. Als daher Gott, mein
Vater, zu einer von Ewigkeit vorherbestimmten Zeit seine
Liebe zutage treten lassen wollte, schickte er seinen
Wein, d.h. mich, seinen Sohn, in das Gefäß, das am
nächsten stand und das Kommen des Weins am meisten
erwartete, d.h. in den Mutterleib der Jungfrau, die mich
inniger liebte, als alle anderen Geschöpfe.
Diese Jungfrau liebte und begehrte mich so warm, dass es
keine Stunde gab, dass sie mich nicht begehrte und sich
danach sehnte, meine Dienerin zu werden. Daher erhielt
sie den ausgewählten Wein, der drei Eigenschaften hatte:
Erstens Stärke, nachdem ich ohne menschliche Einwirkung
herauskam, zweitens die schönste Farbe, nachdem ich, der
Allerschönste, von der Himmelshöhe herabstieg, um zu
streiten, drittens die üppigste Süße, die mit dem
größten Segen berauscht. Dieser Wein, der ich selbst
bin, ging in den Leib der Jungfrau ein, denn ich, der
unsichtbare Gott, wurde sichtbar, damit der verlorene
Mensch erlöst würde.
Sicher hätte ich eine andere Gestalt annehmen können,
aber das wäre gegen die Gerechtigkeit gewesen, denn eine
Gestalt sollte für eine andere gegeben werden, eine
Natur für eine andere, und die Art der Erfüllung nach
der Art der Schuld. Wer von den Weisen hätte glauben
oder raten können, dass ich, der allmächtige Gott, mich
so tief demütigen wollte, dass ich den Sack der
Menschengestalt annehmen wollte, wenn nicht diese meine
unergründliche Liebe gewesen wäre, diese Liebe, die mich
fähig machte, sichtbar unter den Menschen zu leben?
Nachdem ich die Jungfrau von so inniger Liebe brennen
sah, wurde meine göttliche Strenge besiegt, und meine
Liebe trat zutage, damit der Mensch sich mit mir
versöhnen sollte. Ist es da verwunderlich, dass ich,
Gott, der die Liebe selbst ist und der nichts von dem
haßt, was ich geschaffen habe, nicht nur beschloß, dem
Menschen die üppigsten Gaben zu schenken, sondern sogar
mich selbst zum Preis und zur Belohnung, damit alle
hochmütigen Dämonen sich schämen sollten?“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, wie meine Gottheit alles in sich
schließen kann, antworte ich weiter: Ich Gott, bin
Geist. Ich rede, und es ist getan, ich befehle, und
alles gehorcht mir. Ich bin es, der allem das Dasein und
das Leben gibt. Ehe ich den Himmel, die Berge und die
Erde geschaffen habe, war ich in mir selbst. Ich bin
über allem, außerhalb von allem und innerhalb von allem.
In mir ist alles, und ohne mich ist nichts. Und während
mein Geist weht, wo er will, alles kann und vermag, was
er will, alles weiß, schneller und leichter ist als alle
anderen Geister, alle Kraft hat und alles Gegenwärtige,
das Vergangene und Zukünftige betrachtet, deshalb ist
mein Geist, d.h. meine Gottheit, mit Recht unfassbar,
und doch umfasst er alles.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum ich so lange im Schoß der Jungfrau
weilte, antworte ich weiter: Ich bin der Schöpfer aller
Natur, und für jede Natur habe ich eine gebührende
Weise, Zeit und Ordnung vorgeschrieben, geboren zu
werden. Wenn ich, der Schöpfer, nun aus dem Mutterleib
hervorgegangen wäre, nachdem ich empfangen wurde, so
hätte ich im Widerstreit mit der natürlichen Ordnung
gehandelt, und dass ich Menschengestalt annahm, wäre
dann nur sagenhaft und nicht echt gewesen. Ich wollte
also ebenso lange Zeit im Mutterleib sein, wie andere
Kinder, um auch in mir selbst die Ordnung der Natur zu
erfüllen, die ich wohlweislich eingerichtet habe.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum ich nicht gleich bei meiner Geburt
so groß am Körper wie bei meinem 30. Jahr gewesen bin,
antworte ich weiter: Wenn das der Fall gewesen wäre,
hätten sich alle gewundert und mich gefürchtet, und sie
wären mir mehr aus Furcht und wegen der Wundertaten
gefolgt, die sie sahen, als aus Liebe. Und wie hätten
dann die Aussagen der Propheten erfüllt werden können?
Sie hatten ja vorausgesagt, dass ich wie ein Knäblein
unter den Tieren in einer Krippe liegen würde, von
Königen angebetet würde, im Tempel dargestellt und von
meinen Feinden verfolgt werden würde. Um zu beweisen,
dass meine Menschlichkeit wirklich war und dass die
Aussagen der Propheten über mich in Erfüllung gehen
würden, wuchs ich so allmählich mit meinen Gliedern
heran, ich, der ich doch bei meiner Geburt ebenso voller
Weisheit war, wie bei meinem Ende.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum ich beschnitten wurde, antworte
ich weiter: Obwohl ich väterlicherseits nicht von
Abrahams Geschlecht war, war ich es doch
mütterlicherseits, wenn auch ohne Sünde. Das Gesetz, was
ich als Gott gestiftet hatte, wollte ich auch als Mensch
einhalten, damit meine Feinde mich nicht anklagen
konnten, das befohlen zu haben, was ich selber nicht
erfüllen wollte.“
Antwort auf die 6. Frage.
„Auf die Frage, warum ich mich taufen lassen wollte,
antworte ich weiter: Ein jeder, der einen neuen Weg
begründen oder beginnen will, muß selbst auf diesem Weg
vorangehen. Nun hatte das Judenvolk einen fleischlichen
Weg erhalten, nämlich die Beschneidung, zum Zeichen des
Gehorsams und der zukünftigen Reinigung; bei den
Gläubigen und Gesetzestreuen bewirkte der, ehe die
verheißene Wahrheit (d.h. ich, Gottes Sohn) kam, etwas
von der kommenden Gnade und Erfüllung der Verheißung.
Aber es war von Ewigkeit her bestimmt, dass – da das
Gesetz nichts anderes war, als ein Schatten, der alte
Weg verschwinden und seine Wirkung verlieren sollte, als
die Wahrheit kam. Damit die Wahrheit hervortreten, der
Schatten weichen und ein leichterer Weg zum Himmel
gezeigt würde, wollte ich, Gott und Mensch, geboren ohne
Sünde, mich taufen lassen – aus Demut und zu einem
Beispiel für andere, und um den Himmel für die Gläubigen
zu öffnen.
Zum Zeichen dafür öffnete sich der Himmel, als ich
getauft war, die Stimme des Vaters war zu hören, und der
heilige Geist offenbarte sich in Taubengestalt. Und ich,
Gottes Sohn, zeigte mich in wirklicher Menschengestalt,
damit die Christgläubigen wissen und glauben sollten,
dass der Vater den Himmel für die getauften Gläubigen
öffnet.
Der Heilige Geist ist mit dem Taufenden, und die Kraft
meiner Menschlichkeit ist im Element, wie auch die
Wirksamkeit und der Wille meines Vaters, die meine und
die des Heiligen Geistes ein und derselbe ist. Als die
Wahrheit, d.h. als ich, der die Wahrheit ist, auf die
Welt kam, da verschwand gleich der Schatten, die Schale
des Gesetzes wurde zerbrochen, und der Kern kam zum
Vorschein. Die Beschneidung hörte auf, und in mir wurde
die Taufe bestätigt, wodurch das Himmelreich für Alt und
Jung geöffnet wird, und Kinder des Zornes Kinder der
Gnade und des ewigen Lebens werden.“

Fünfte Offenbarung im
Buch der Fragen
Gottes Sohn spricht zur Braut und sagt: „Sei gut auf
deiner Wacht!“ Sie (Birgitta) antwortete: „Warum denn?“
Der Herr sagt zu ihr: „Weil die Welt vier Diener zu dir
schickt, die dich betrügen wollen: Der erste ist Sorge
und Reichtümer. Wenn er kommt, sollst du ihm antworten:
„Reichtümer sind vergänglich. Man muß umso mehr
Rechenschaft darüber ablegen, je mehr man davon hat.
Deshalb kümmere ich mich nicht um sie, denn sie folgen
nicht ihrem Besitzer, sondern verlassen ihn.“
Der zweite Diener ist der Verlust der Reichtümer und der
Verderb der empfangenen Besitztümer. Antworte ihm so:
„Er, der mir Reichtümer gegeben hat, hat sie mir auch
genommen. Er hat gewusst, dass dies zu meinem Nutzen
war. Sein Wille geschehe!“
Der dritte Diener ist die Trübsal der Welt. Sag so zu
ihm: „Gesegnet seist du, mein Gott, der zulässt, dass
ich betrübt werde, denn durch die Trübsale lerne ich
kennen, dass ich dein bin. Du lässt mich in diesem Leben
Trübsal treffen, um mich im kommenden zu schonen.
Schenke mir Geduld und Stärke, auszuharren.“
Der vierte Diener ist Schmach und Schimpf. Antworte ihm
so: „Gott allein ist gut, und ihm kommt alle Ehre zu.
Aber ich, der ich alle hässlichen und schlechten Werke
getan habe, warum sollte ich geehrt werden? Eher bin ich
aller Schmähung wert, ich, die ich mein ganzes Leben
Gott geschmäht habe. Sollte mir Ehre mehr nützen als
Schmähung? Die erweckt ja Hochmut, vermindert die Demut
und lässt uns Gott vergessen. Gott kommt alles Lob und
alle Ehre zu.“ Steh also fest auf deiner Wacht gegen die
Diener der Welt, und liebe mich, deinen Gott, von ganzem
Herzen.“

Elfter Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich:
Warum hast du, der Gott und Mensch ist, deine
Göttlichkeit nicht ebenso gezeigt wie deine
Menschlichkeit – dann hätten ja alle an dich geglaubt?“
Zweite Frage: „Und warum lässt du nicht all deine Worte
in einem einzigen Augenblick hören – dann wäre es nicht
notwendig gewesen, sie mit einem so langen Zeitabstand
zu verkünden?“
Dritte Frage: „Und warum hast du nicht alle deine Werke
auf einmal getan?“
Vierte Frage: „Und warum ist dein Leib in so langem
Zeitraum gewachsen, und nicht in einem einzigen
Augenblick?“
Fünfte Frage: „Und warum hast du dich, als dein Tod nahe
war, in deiner göttlichen Macht gezeigt, und warum hast
du deine Feinde nicht deine strenge Rache spüren lassen,
statt zu sagen: „Alles ist vollbracht?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, ich antworte dir
und antworte dir nicht. Ich antworte dir, damit die
Bosheit deines Gedankens anderen offenbar wird, aber
antworte dir nicht, denn dies wird nicht zu deiner
Vervollkommnung gezeigt, sondern zum Nutzen und zur
Warnung der jetzt lebenden und künftigen Geschlechter.
Du hast nämlich nicht die Absicht, deine Halsstarrigkeit
zu ändern, und deshalb sollst du nicht von deinem Tod zu
meinem Leben übergehen, denn in deinem Leben haßt du das
wahre Leben. Stattdessen werden andere, die von deinem
Leben und deinem Tode reden hörten, hinübergehen und hin
zu meinem Leben schweben.
Es steht ja geschrieben, dass für die Heiligen alles zum
Guten ausschlägt, und dass Gott nichts ohne Grund
geschehen lässt. Ich antworte dir also nicht wie die,
die nach menschlicher Sitte antworten, denn zwischen uns
geht es geistlich zu, sondern dafür, dass das, was du
denkst und fühlst, für andere in Gleichnissen
ausgedrückt wird.
Du fragst, warum ich meine Göttlichkeit nicht ebenso wie
meine Menschlichkeit offenbart habe. Der Grund ist, dass
die Göttlichkeit geistlich ist, während die
Menschengestalt leiblich ist. Sicher ist Göttlichkeit
und Menschlichkeit von der Stunde an, da sie sich
vereinigten, untrennbar; die Göttlichkeit ist
ungeschaffen; alles, was da ist, ist in ihr und von ihr
geschaffen, und alle Vollkommenheit und Schönheit findet
sich darin. Wenn eine so große Schönheit und
Vollkommenheit schwachen, kranken Augen in sichtbarer
Weise gezeigt worden wäre – wer hätte es dann ertragen,
sie zu sehen? Wer kann auch die materielle Sonne in
ihrer Klarheit betrachten, und wer wird beim Anblick des
Blitzes und dem Laut des Gewitters nicht erschreckt?
Wieviel weniger kann man dann ertragen, den Beherrscher
der Blitze und den Schöpfer aller Dinge in seiner
Klarheit zu schauen?
Es war also aus doppeltem Grund, dass meine Göttlichkeit
nicht offen gezeigt wurde. Erstens im Hinblick auf die
Schwachheit des Menschenleibes. Der menschliche Körper
ist irdisch in seiner Substanz, und wenn er die Gottheit
schauen würde, würde er schmelzen wie Wachs vor dem
Feuer, ja die Seele würde von solch jubelnder Freude
ergriffen werden, dass der Leib zu Staub zerfallen
würde. Zweitens auf Grund von Gottes Güte und
unerschütterlicher Unwandelbarkeit. Denn wenn ich meine
Göttlichkeit, die unvergleichlich viel glänzender als
das Feuer und die Sonne ist, leiblichen Augen zeigen
würde, so würde ich im Widerstreit zu meinem eigenen
Ausspruch handeln: „Der Mensch kann mich nicht sehen und
doch leben.“
Nicht einmal die Propheten haben mich gesehen, wie ich
in der Natur meiner Gottheit bin. Ja, sogar die, die nur
die Stimme meiner Gottheit hörten und den Berg im Rauch
stehen sahen, erschraken und sagten: „Soll Mose mit uns
reden; ihn wollen wir hören.“ Ich, der barmherzige Gott,
wollte, dass der Mensch mich so gut wie möglich
verstehen sollte, und deshalb zeigte ich mich ihm in
einer Gestalt, die ihm gleich war, und die er sehen und
fühlen konnte, d.h. in meiner Menschengestalt, in der
die Gottheit vorhanden ist, aber wie verborgen, so dass
der Mensch nicht erschreckt wird von einer Gestalt, die
anders war als er. In der Weise, wie ich Gott bin, bin
ich ja nicht körperlich und nicht körperlich geschaffen;
deshalb konnte ich in meiner Menschengestalt von den
Menschen erträglicher gehört und gesehen werden.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum ich nicht alle meine Worte in
einundderselben Stunde sagte, antworte ich weiter: So
wie es im materiallen Bereich wider die Natur des Leibes
streitet, dass er auf einmal so viel Nahrung zu sich
nimmt, die ihn für viele Jahre im Voraus ernähren
könnte, so ist es gegen die göttliche Ordnung, dass
meine Worte, die die Speise der Seele sind, alle auf
einmal ausgesprochen werden. Nein, wie die leibliche
Nahrung nur allmählich eingenommen wird, um zerkaut zu
werden und danach weiter in die Eingeweide geführt wird,
so sollten meine Worte nicht alle in ein und derselben
Stunde gesagt werden, sondern mit Zwischenräumen, je
nach dem Verstand derer, die Lehren empfangen sollten,
so dass die Hungernden etwas erhalten, sich damit zu
sättigen, und die Gesättigten zu höheren Dingen erweckt
werden.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum ich nicht alle meine Werke auf
einmal getan habe, antworte ich weiter: Manche von
denen, die mich im Fleisch sahen, haben geglaubt, andere
nicht. Für die, die glaubten, war es notwendig, dass sie
nach und nach durch Worte aufgezogen wurden, und
manchmal durch Beispiele ermuntert und durch Taten
bestärkt wurden. Betreffs derer, die nicht glaubten, war
es gerecht, dass sie ihre böse Gesinnung zeigten und
geduldet wurden, so lange meine göttliche Gerechtigkeit
es zuließ.
Wenn ich alle meine Werke in einem einzigen Augenblick
getan hätte, so wären mir alle Menschen mehr aus Furcht
als aus Liebe gefolgt, und wie wäre dann das Mysterium
der menschlichen Erlösung erfüllt worden? Denn so wie
bei der Erschaffung und am Anfang der Welt alles zu
verschiedenen Zeiten und auf verschiedene Weise
ausgeführt wurde, aber alles, was getan werden sollte,
doch ohne Zeitenwechsel gleichzeitig in der Voraussicht
meiner Gottheit vorhanden war – so sollte auch in meiner
Menschengestalt alles vernunftgemäß und mit zeitlichem
Abstand zur Erlösung und Unterweisung aller getan
werden.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum mein Leib mehrere Jahre hindurch
und nicht in einem einzigen Augenblick heranwuchs,
antworte ich weiter: Der Heilige Geist, der ewig im
Vater und in mir, dem Sohn ist, hat den Propheten
gezeigt, was ich tun und leiden würde, als ich ins
Fleisch kam, und daher hat es der Gottheit gefallen,
dass ich einen solchen Leib annahm, in dem ich vom
Morgen bis zum Abend und von Jahr zu Jahr bis ans
Lebensende arbeiten konnte.
Damit die Worte der Propheten nicht umsonst scheinen
sollten, nahm ich, Gottes Sohn, also einen Leib an, der
wie der von Adam vor dem Sündenfall war, und so wurde
ich wie die, die ich erlösen sollte, so dass der
verirrte Mensch durch meine Liebe heimgeführt würde, die
Toten auferweckt und die Verlorenen erlöst würden.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum ich die Macht meiner Göttlichkeit
nicht allen gezeigt habe und wenn ich der wahre Gott war
als ich am Kreuze sagte: „Es ist vollbracht“, antworte
ich weiter: Alles, was über mich geschrieben war, sollte
in Erfüllung gehen. Daher vollbrachte ich alles bis zum
letzten Punkt. Aber nachdem auch vieles über meine
Auferstehung und Himmelfahrt vorausgesagt wurde, deshalb
war es auch notwendig, dass dies Wirklichkeit wurde.
Wenn ich also bei meinem Tode die Macht meiner
Göttlichkeit gezeigt hätte, wer hätte es dann gewagt,
mich vom Kreuz abzunehmen und zu begraben?
Es hätte mir gewiß nur wenig ausgemacht, vom Kreuz
herabzusteigen und die Henker zu schlagen, aber wie wäre
dann die Prophezeiung erfüllt worden, und wie wäre dann
die Tugend meiner Geduld sichtbar geworden? Und auch
wenn ich vom Kreuz herabgestiegen wäre, hätten dann alle
geglaubt? Würden sie nicht eher gesagt haben, ich hätte
Zauberei getrieben? Wenn sie schon Zorn empfanden, als
ich Tote auferweckte und Kranke heilte, hätten sie dann
noch schlimmere Sachen gesagt, wenn ich vom Kreuz
herabgestiegen wäre. Darum ließ ich mich freiwillig
gefangen nehmen, dass die Gefangenen befreit würden, und
damit die Schuldbeladenen befreit würden, hing ich, der
Unschuldige geduldig am Kreuz. So machte ich durch meine
feste Geduld all das Lösliche fest und stärkte das
Schwache.“

Sechste Offenbarung im
Buch der Fragen
Der Sohn spricht zu
Birgitta: „Es steht geschrieben, dass Jakob für Rachel
diente, und dass die Tage ihm wenig erschienen, so
verliebt wie er war; die Stärke der Liebe machte die
Arbeit leichter. Sicher wurde Jakob, als er glaubte, das
Ziel seiner Sehnsucht erreicht zu haben, betrogen, aber
er hörte deshalb nicht auf, zu arbeiten, denn die Liebe
fragt nicht nach Schwierigkeiten, sondern strebt weiter,
bis sie ihr Ziel erreicht hat.
So ist es auch im geistlichen Leben. Viele mühen sich
nämlich, um das Himmlische zu erhalten, tapfer mit
Gebeten und frommen Werken, aber wenn sie glauben, die
Ruhe der Kontemplation zu erreichen, werden sie in
Versuchungen verstrickt und werden von Trübsalen
heimgesucht, und sobald sie sich für vollkommen halten,
entdecken sie, dass sie in allem unvollkommen sind.
Das ist nicht verwunderlich, denn Versuchungen sind dazu
da, den Menschen zu prüfen, zu reinigen und zu
vervollkommnen. Die, welche am Anfang ihrer Bekehrung
zum geistlichen Leben Versuchungen ausgesetzt sind, die
werden am Ende vollkommener gestärkt. Andere werden in
der Mitte und am Ende versucht. Diese sollten genau auf
sich selber achten, sich niemals eine Vermessenheit
erlauben, sondern umso fleißiger arbeiten.
Laban sagte ja: „Es ist üblich, erst die ältere
Schwester zu heiraten.“ Das war, als ob er sagen wollte:
„Mach du erst die Arbeit, so sollst du dann den
begehrten Lohn erhalten.“ Daher, meine Tochter, sollst
du dich nicht wundern, wenn dir noch im Alter
Versuchungen zusetzen. So lange man lebt, so lange ist
es möglich, versucht zu werden. Der Teufel schläft
niemals, und die Versuchung gibt dem Menschen
Gelegenheit, sich zu vervollkommnen und hindert ihn
daran, vermessen zu werden.
Sieh, um ein Beispiel zu geben, erzähle ich dir von zwei
Menschen. Der eine wurde im Anfang seiner Bekehrung
versucht, aber er widerstand, vervollkommnete sich und
gewann dann, was er suchte. Der andere erfuhr in seinem
Alter schwere Versuchungen, wie er sie kaum in seiner
Jugend erlebt hatte, so dass er fast alles Vergangene
vergaß. Aber weil er auf die Ratschläge hörte und nicht
aufhörte zu arbeiten, obwohl er sich kalt und schwach
fühlte, erreichte er das, wonach er sich sehnte, und die
Sinnesruhe Er sah dadurch, dass er seinen eigenen Fall
betrachtete, ein, dass Gottes Gerichte verborgen und
gerecht sind, und dass er schwerlich die ewige Erlösung
erreicht haben würde, wenn diese Versuchungen nicht
gewesen wären.“

Zwölfter Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich:
Warum wolltest du lieber von einer Jungfrau geboren
werden, als von einer anderen Frau, die keine Jungfrau
war?“
Zweite Frage: „Und warum zeigtest du nicht mit einem
sichtbaren Zeichen, dass sie zugleich Mutter und reine
Jungfrau war?“
Dritte Frage: „Und warum hast du deine Geburt derart
geheim gehalten, dass sie nur einigen wenigen bekannt
war?“
Vierte Frage: „Und warum bist du vor Herodes nach
Ägypten geflohen und ließest die unschuldigen Kinder
ermordet werden?“
Fünfte Frage: „Und warum lässt du dich schmähen und das
Falsche über die Wahrheit triumphieren?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, ich wollte lieber
von einer Jungfrau als von einer nichtjungfräulichen
Frau geboren werden, denn für mich, den reinsten Gott,
passt all das, was am reinsten war. Solange die Natur
des Menschen in dem Zustand war, in dem sie geschaffen
wurde, hatte sie nichts Missgestaltetes, aber als das
Gebot übertreten wurde, kam gleich etwas, dessen man
sich schämen musste, wie es bei Menschen geht, die gegen
ihren zeitlichen Herrn sündigen und die sich sogar der
Glieder schämen müssen, mit denen sie gesündigt haben.
Mit der Scham über den Gesetzesbruch kam auch ein
ungeordneter Trieb, und meist in dem Glied, das der
Fruchtbarkeit wegen eingerichtet war. Aber damit dieser
Trieb nicht ohne Nutzen sei und die Fruchtbarkeit
zunichte würde, wurde er durch Gottes Güte zum Guten
gewendet, und durch Gottes Gebot und Einrichtung wurde
die Handlung der fleischlichen Vermischung geschaffen,
so dass sich die Natur vermehren konnte. Jedoch ist es
ehrenvoller, sich über das Gebotswort hinauszurecken und
aus Liebe das Gute, das man kann, hinzu zu tun.
Daher hat es Gott gefallen, zu seinem Werk lieber das
auszuwählen, was auf eine größere Reinheit und Liebe
abzielte, und das tut die Jungfräulichkeit, denn es ist
tugendreicher und vornehmer, im Feuer der Mühsal zu
stecken und nicht zu brennen, als ohne Feuer zu sein und
doch gekrönt werden zu wollen. Weil nun die
Jungfräulichkeit ein kürzerer Weg zum Himmel ist, aber
der Ehestand wie ein anderer Weg ist, deshalb hat es
mir, dem allerreinsten Gott gefallen, in der reinsten
Jungfrau zu ruhen.
Der erste Mensch wurde aus Erde geschaffen, der
sozusagen jungfräulich war, da er noch nicht mit Blut
befleckt war. Adam und Eva haben durch Schwelgerei
gesündigt, indem sie die verbotene Frucht aßen, wobei
doch ihre Natur, d.h. die Natur der Fruchtbarkeit,
unverdorben und unbeschadet blieb. So wollte ich, Gott,
von dem reinsten Verwahrungsraum aufgenommen werden, so
dass alles durch meine Güte erneuert und
wiederhergestellt würde.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum ich nicht mit offenbaren Zeichen
gezeigt habe, dass meine Mutter zugleich Jungfrau und
Mutter war, antworte ich weiter: Alle Mysterien meiner
Menschwerdung habe ich den Propheten angedeutet, damit
sie umso fester glauben sollten, je längere Zeit vorher
es ihnen vorausgesagt war. Dass meine Mutter vor und
nach der Verlobung wirklich Jungfrau war, dafür lieferte
das Zeugnis Josephs ausreichend Beweis, er, der Wächter
ihrer Jungfräulichkeit und deren Zeuge war.
Aber auch wenn ihre Reinheit durch ein offenbares Wunder
bewiesen wäre, hätten sich doch misstrauische Menschen
in ihrer Bosheit nicht der Schmähungen enthalten, denn
sie hätten nicht geglaubt, dass eine Jungfrau durch die
Macht der Gottheit schwanger werden konnte – nein, sie
hätten nicht bedacht, dass dies für mich, Gott, leichter
ist, als für die Sonne, das Glas zu durchdringen. Es war
die Gerechtigkeit meiner Gottheit, dass das Mysterium
der göttlichen Menschwerdung dem Teufel verborgen blieb
und in der Zeit der Gnade den Menschen offenbart wurde.
Aber nun sage ich, dass meine Mutter in Wahrheit Mutter
und Jungfrau war. So wie in der Erschaffung von Adam und
Eva eine wunderbare Gottesmacht war und in ihrem
Zusammenleben ein ehrbarer Genuß lag, so enthielt das
Kommen meiner Gottheit zur Jungfrau eine wunderbare
Güte, denn meine unermessliche, unfassbare Göttlichkeit
stieg herab in ein geschlossenes Gefäß, ohne dass dies
beschädigt wurde. Dort war es mir angenehm zu weilen,
denn ich, Gott, der mit meiner Göttlichkeit überall war,
wurde dort mit meiner Menschengestalt eingeschlossen.
Es lag auch eine erschreckende Macht darin, denn ich,
Gott, der ohne einen Leib hineingegangen war, kam
körperlich aus dem Mutterleib heraus, ohne seine
Jungfräulichkeit zu verletzen. Weil es also für den
Menschen schwer war, zu glauben, und weil meine Mutter
die Freundin aller Demut ist, deshalb hat es mir
gefallen, ihre Schönheit und Vollkommenheit eine
Zeitlang zu verhüllen – teils damit meine Mutter einen
Verdienst davon haben und so noch vollkommener gekrönt
werden sollte, teils dafür, dass ich, Gott, zu der Zeit
noch mehr verherrlicht werden sollte, da ich das
Versprochene vollenden wollte, den Guten zum Verdienst,
aber den Bösen zur Vergeltung.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum ich nicht den Menschen meine
Geburt gezeigt habe, antworte ich weiter: Obwohl der
Teufel die Würde verlor, die ihm von Anfang an doch
zukam, verlor er doch nicht seine Schlauheit, die den
guten Menschen zur Prüfung dient, und ihm selber zur
Schande. Damit meine Menschengestalt bis zu der
bestimmten Zeit wachsen sollte, sollte also das
Mysterium meiner Milde dem Teufel geheim gehalten
werden. Ich wollte nämlich heimlich kommen, um den
Teufel zu bekämpfen, und ich wollte in einer verachteten
Stellung leben, um so den Übermut der Menschen zu
dämpfen.
Die Meister des Gesetzes, von dem sie in ihren Büchern
lesen, haben mich verachtet, weil ich eben in Demut kam.
Und weil sie hochmütig waren, wollten sie die wahre
Gerechtigkeit nicht hören, die im Glauben an meine
Erlösung liegt. Daher werden sie zuschanzen werden, wenn
der Sohn des Verderbens in seinem Übermut kommt. Aber
wenn ich sehr mächtig und geehrt gekommen wäre, hätte
dann der Übermütige Demut gelernt und hätte in den
Himmel kommen können? Keineswegs. Demütig war ich, damit
der Mensch Demut lernen sollte, und ich habe mich vor
den Hochmütigen verborgen, nachdem sie weder die
göttliche Gerechtigkeit noch sich selber kennenlernen
wollten.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum ich nach Ägypten geflohen bin,
antworte ich weiter: Vor der Übertretung des Gebotes gab
es einen einzigen Weg zum Himmel, nämlich Brot und Wein;
Brot im Überfluß der Tugenden und sonnenklar in der
göttlichen Weisheit und im Gehorsam des guten Willens.
Seit sich der Wille änderte, taten sich jedoch zwei Wege
auf, von denen der eine gen Himmel führte, und der
andere davon weg.
Es war der Gehorsam, der zum Himmel führte, während der
Ungehorsam davon wegführte. Weil es nun an der freien
Wahl des Menschen lag, das Gute oder das Böse zu wählen,
zu gehorchen oder nicht zu gehorchen, so hat der
gesündigt, der etwas anderes wollte als ich, Gott
wollte, dass er wählen wollte. Damit der Mensch erlöst
wird, war es also recht und billig, dass jemand kam, der
ihn erlöste, und der vollkommenen Gehorsam und
vollkommene Unschuld besaß – jemand, dem der, wer
wollte, Liebe entgegenbringen konnte, und die, die
wollten, Böses. Aber um die Menschen zu erlösen, sollte
kein Engel geschickt werden, denn ich, Gott, teile
niemand anderes meine Ehre zu. Es gibt keinen Menschen,
der mich aus eigener Kraft gnädig stimmen könnte – wie
viel weniger dann durch die eines anderen? Deshalb kam
ich, Gott, der einzige Gerechte, um alle gerecht zu
machen.
Der Umstand, dass ich nach Ägypten floh, bewies die
Schwachheit meiner Menschengestalt und brachte die
Prophezeiung zur Erfüllung, und ich gab dadurch ein
Beispiel für kommende Geschlechter, dass man manchmal um
Gottes größerer künftiger Ehre willen vor einer
Verfolgung weichen muß. Und dass ich von den Verfolgern
nicht gefunden wurde, das zeigt, dass der Ratschluß
meiner Gottheit über den der Menschen siegte- es ist ja
nicht leicht, gegen Gott zu streiten.
Dass die Kinder (in Bethlehem) ermordet wurden, das
bezeichnet mein künftiges Leiden und das Geheimnis mit
denen, die berufen werden sollen, und mit der göttlichen
Liebe. Obwohl diese Kinder nicht mit ihrer Stimme und
ihrem Munde Zeugnis für mich ablegten, taten sie es doch
mit ihrem Tod, wie es meiner Kindheit entsprach, denn es
war vorausgesehen, dass Gottes Lob auch durch das Blut
unschuldiger Kinder vollkommen gemacht werden sollte.
Denn obwohl sie die Bosheit der Ungerechten traf, so
geschah es doch durch meine göttliche Zulassung, die
stets milde und gerecht ist, und dafür um die Bosheit
der Menschen und die unbegreifliche Gnade und Güte
meiner Göttlichkeit zu zeigen. Da, wo die ruchlose
Gemeinheit gegen die Knäblein raste, da herrschte auch
gerechterweise Verdienst und Gnade, und wo das
Bekenntnis der Zunge und das Alter fehlte, da häufte das
Blut – vergießen die vollkommenste Gnade an.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum ich mich schmähen lasse, antworte
ich weiter: Es steht geschrieben, dass, als König David
vor der Verfolgung seines Sohnes floh, von jemandem
unterwegs beschimpft wurde, aber als sein Diener den
töten wollte, verbot David dies aus doppelter Ursache.
Erstens hatte er die Hoffnung, zurückzukommen. Zweitens,
weil er seine eigene Schwachheit und Sünde, die Torheit
des Schimpfenden und Gottes Geduld und Güte mit ihm
selbst betrachtete.
Ich bin David, um im Gleichnis zu reden. Der Mensch
verfolgt mich durch seine schlechten Taten, wie der
Diener seinen Herrn, indem er mich aus meinem Reich,
d.h. aus seiner Seele vertreibt, die ich geschaffen
habe, und die mein Reich ist. Er schilt mich für mein
Gericht, als wäre ich ungerecht, und er schmäht mich
sogar, weil ich geduldig bin. Aber da ich milde bin,
ertrage ich deren Unklugheit, und da ich Richter bin,
erwarte ich ihre Umkehr bis zum letzten Augenblick. Ja,
nachdem der Mensch größeren Glauben an das Falsche als
auf das Wahre setzt und die Welt mehr liebt als mich,
seinen Gott, ist es nicht verwunderlich, wenn ich den
schlechten Menschen in seiner Bosheit ertrage – ihn, der
weder die Wahrheit suchen noch sich von seinen bösen
werken bekehren will.“

Siebente Offenbarung
im Buch der Fragen
Der Sohn spricht: „Wenn es Feuer im Hause gibt, ist eine
Öffnung für den Rauch erforderlich, so dass der Rauch
abziehen kann, und der Bewohner sich über die Wärme
freut. So ist für einen jeden, der meinen Geist und
meine göttliche Gnade behalten möchte, eine fleißige
Beichte nützlich; dadurch zieht der Rauch der Sünde ab.

Achte Offenbarung im
Buch der Fragen
Dieser Mann sang: Erlöse mich, Herr von bösen Menschen!
Diese Stimme ist in meinen Ohren wie der Laut von zwei
Steinen, die zusammengeschlagen werden. Sein Herz ruft
zu mir, wie mit drei Stimmen. Die erste sagte: „Ich will
meinen Willen in meiner Hand haben, schlafen, aufstehen
und angenehme Dinge sprechen. Ich will der Natur geben,
was sie begehrt, und ich will Geld in der Tasche und
weiche Kleider am Körper haben. Wenn ich das und anderes
habe, meine ich, dass es größeres Glück bringt, als alle
geistlichen Gaben und Tugenden der Seele.“
Die andere Stimme lautet so: „Der Tod ist nicht allzu
schwer, und das Gericht ist nicht so streng, wie es
geschrieben steht; Gott droht mit strengen Dingen, damit
wir uns in Acht nehmen sollen, aber er ist so
barmherzig, dass er es nicht durchführt. Wenn ich nur
meinen Willen in diesem Leben bekomme, so mag es im
Kommenden Leben mit der Seele gehen, wie es will.“
Die dritte Stimme lautet so: „Gott hätte den Menschen
nicht erlöst, wenn er ihm nicht das Himmlische geben
wollte; er hätte nicht gelitten, wenn er uns nicht
zurück zum himmlischen Vaterland führen wollte. Warum
hat er eigentlich gelitten, und wer hat ihn dazu
gezwungen? Aber was die himmlischen Dinge angeht, so
habe ich nur vom Hörensagen davon Kenntnis, und wie weit
man Glauben an die Schriften setzen soll, weiß ich
nicht. Doch würde ich, wenn ich nur meinen Willen haben
darf, gern das Himmelreich dafür eintauschen.“
Sieh, so ist sein Wille. Daher klingt er wie der Laut
von zusammengeschlagenen Steinen in meinen Ohren. Aber
ich antworte dir auf die erste Stimme: „O Freund, dein
Weg führt nicht zum Himmel, und das Leiden meiner Liebe
entspricht nicht deinem Geschmack. Daher steht dir die
Hölle offen, und da du das Niedrige und Irdische liebst,
wirst du zur Hölle gehen.“ Auf die zweite Stimme
antworte ich: „Mein Sohn, der Tod wird für dich hart
werden, das Gericht unerträglich und die Flucht
unmöglich, falls du dich nicht besserst.“
Auf die dritte Frage antworte ich: „Bruder, alle meine
Werke tat ich aus Liebe, damit du mir gleich werden und
dich zu mir zurückwenden sollst. Aber jetzt sind meine
Werke in dir tot, meine Worte schwer erträglich, und
mein Weg vergessen. Daher steht dir Strafe und die
Gesellschaft der Teufel bevor, denn du kehrst mir den
Rücken zu, trittst die Zeichen meiner Demut unter die
Füße und gibst nicht darauf Acht, wie ich vor dir und um
deinetwillen am Kreuze hing.
Auf dreifache Weise hing ich da für dich. Erstens als
ein Mann, dessen Auge von einem Messer durchstoßen war.
Zweitens wie ein Mann, dessen Herz von einem Schwert
durchbohrt wurde. Drittens wie ein Mann, dem alle
Glieder vor Schreck vor dem bevorstehenden Leiden
zitterten. Mein Leiden war für mich bitterer, als ein
Stich ins Auge, doch hielt ich es aus Liebe aus. Der
Schmerz meiner Mutter rührte mein Herz noch mehr als
mein eigener, doch ertrug ich ihn. Mein ganzes Innere
und Äußere zitterte schon lange vor dem drohenden Leiden
und dem Schmerz. Doch unterließ ich es nicht und
schreckte nicht davor zurück. So hing ich für dich am
Kreuz. Aber du vergisst und verachtest alles zusammen.
Daher wirst du wie ein totgeborenes Kind und wie ein
menstruationsbeflecktes Tuch weggeworfen werden.

Dreizehnter
Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, warum wird
manchen deine Gnade so schnell entzogen, und warum
werden andere solange in ihrer Bosheit ertragen?“
Zweite Frage: „Und warum wird deine Gnade manchen schon
in der Jugend verliehen, während andere sie im Alter
verlieren?“
Dritte Frage: „Und warum müssen manche so übermäßig
leiden, während andere fast frei von Leiden ausgehen?“
Vierte Frage: „Und warum wird manchen Verstand, Geist
und Gelehrigkeit in so hohem Maß verliehen, während
andere wie Esel ohne alle Klugheit sind?“
Fünfte Frage: „Und warum werden manche so übermäßig
verhärtet, während sich andere zu einem wunderbaren
Trost beglückwünschen können?“
Sechste Frage: „Und warum haben die Bösen größeren
Erfolg auf der Welt, als die Guten?“
Siebente Frage: „Und warum wird der eine schon im Anfang
berufen, der andere erst gegen Ende?“
Antwort auf die 1. Frage.
„Mein Freund, alle meine Werke sind von Anfang an von
mir vorhergewußt, und alles, was geschaffen ist, ist dem
Menschen zur Freude geschaffen. Aber da der Mensch
seinen eigenen Willen meinem Willen vorzieht, deshalb
werden ihm mit Recht die guten Dinge entzogen, die ihm
umsonst gegeben wurden, so dass der Mensch wissen soll,
dass alles bei Gott vernünftig und gerecht ist. Und weil
viele undankbar für meine Gnade sind, ja umso gottloser
werden, je reichlicher sie mit Gaben beschenkt werden,
deshalb werden ihnen diese Gaben schnell genommen, so
dass die Ratschlüsse meiner Gottheit schneller offenbart
werden, und dass der Mensch zu einer noch schlimmeren
Strafe für sich selbst meine Gnade missbraucht.
Und der Grund dafür, dass manche in ihrer Bosheit lange
geduldet werden, ist, dass manche inmitten all ihrer
Bosheit etwas Erträgliches haben, denn entweder nützen
sie anderen Menschen, oder dienen ihnen auch zur
Warnung. Als Saul von Samuel getadelt wurde, schien er
in den Augen der Menschen nur wenig gesündigt zu haben,
David dagegen mehr. Aber als die Prüfung nahte, fiel
Saul – ungehorsam, wie er mir, seinem Gott, war – von
mir ab und befrage eine Totenbeschwörerin, während
David, als ihn die Heimsuchungen trafen, treuer blieb,
geduldig das ertrug, dem er ausgesetzt war, und meinte,
dass die dem entsprechen würde, was seine Sünden
verdient hatten. Dass ich Saul geduldig ertrug, das
zeigt Sauls Undankbarkeit und meine göttliche Geduld,
aber dass David erwählt wurde, das zeigt mein
Vorherwissen und Davids künftige Demut und Reue.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum manchen (Menschen) die Gnade in
den Tagen des Alters entzogen wird, antworte ich weiter:
Alle empfangen Gnade, damit der Geber der Gnade von
allen geliebt wird. Aber weil viele für meine göttliche
Gnade undankbar sind, wie es Salomo war, ist es gerecht,
dass das, was vor dem Ende nicht sorgsam bewahrt wurde,
am Ende weggenommen wird. Die Gaben und meine göttliche
Gnade werden also manchmal wegen der Nachlässigkeit des
Empfängers weggenommen, nachdem er nicht bedacht hat,
was er empfangen hat und wofür er sich erkenntlich
zeigen sollte, manchmal auch zur Warnung für andere,
damit ein jeder, der sich im Zustand der Gnade befindet,
ständig Furcht haben soll und sich ebenso durch den Fall
vom anderen fürchten lernt. Sogar weise Männer sind ja
infolge von Nachlässigkeit gefallen, und die, die meine
Freunde zu sein schienen, wurden auf Grund ihrer
Nachlässigkeit umgarnt.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum manche mehr leiden müssen,
antworte ich weiter: Ich bin der Schöpfer aller
(Menschen), daher kommt kein Leiden ohne meine
Zulassung, wie geschrieben steht. Ich bin ein Gott, der
das Böse schafft; mit anderen Worten, ich lasse Trübsal
zu, und so werden die Heiden nicht ohne mich oder ohne
vernünftigen Grund von Leiden heimgesucht. Meine
Propheten haben ja vieles von den Leiden der Heiden
vorausgesagt, damit die, die vergesslich waren und den
Verstand missbrauchten, durch Plagen erzogen werden
sollten, und ich, Gott, der alles zulässt, von jedem
Volk erkannt und verherrlicht wird.
Wenn ich, Gott, die Heiden nicht von Züchtigungen
verschone, so werde ich noch weniger die verschonen, die
die Süße meiner göttlichen Gnade reichlicher haben
schmecken dürfen. Dass manche weniger, andere mehr zu
leiden haben, das geschieht dafür, dass die Menschen
sich von der Sünde abwenden und nach den Plagen in
diesem Leben Trost im kommenden empfangen sollen. Alle,
die auf dieser Welt verurteilt werden und sich selber
verurteilen, werden dem Kommenden Gericht entgehen. Sie
werden, wie geschrieben steht, vom Tod zum Leben gehen.
Und dass manche von Plagen verschont bleiben, das
geschieht dafür, dass sie durch die Plagen nicht
veranlasst werden, zu murren und zu knurren und sich
dadurch ein strengeres Gericht zuziehen, denn es gibt
viele, die es nicht verdienen, in diesem Leben
gezüchtigt zu werden. Es gibt auch solche, die in diesem
Leben weder von körperlichen oder seelischen Leiden
heimgesucht werden, und die so sicher leben, als ob es
Gott nicht gäbe, oder als ob er sie wegen ihrer
gerechten Taten verschonen würde. Aber sie sollen sich
sehr fürchten, dass nicht Gott, der sie im gegenwärtigen
Leben schont, sich ihnen unversehens naht und sie umso
härter straft, nachdem sie nicht in sich gehen.
Es gibt solche, die körperliche Gesundheit haben, aber
seelisch durch die Verschmähung Gottes leiden. Andere
genießen weder die Gesundheit des Leibes noch den
inneren Trost der Seele und dienen mir und ehren mich
nach besten Kräften. Manche werden schon vom Mutterleib
und bis zum Ende von Krankheiten heimgesucht, aber ich,
ihr Gott, wäge ihre Leiden so ab, dass nichts ohne
Ursache und Belohnung geschieht, denn vielen, die vor
den Heimsuchungen geschlafen haben, werden durch die
Leiden die Augen geöffnet.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum manche größeren Verstand haben,
antworte ich weiter: Es nützt der Seele für das Ewige
Leben nicht, Weisheit im Überfluß zu haben, wenn sie
nicht auch durch einen guten Lebenswandel strahlt. Ja,
es ist nützlicher, weniger Wissen und eine bessere
Lebensart zu haben. Jedem ist aber so viel Verstand
zugemessen, dass er das Himmelreich dadurch gewinnen
kann, dass er ein frommes Leben führt. Jedoch ist der
Verstand nach der natürlichen und geistigen Veranlagung
ungleich, denn wie der Mensch sich durch göttliche Eifer
und durch Tugenden bessert und die Vollendung der
Tugenden erreicht, so verfällt er auch durch bösen
Willen und die schlechte Veranlagung seiner Natur und
verkehrte Erziehung auf Nichtigkeiten.
Oft nimmt auch die Natur Schaden, wenn man sich etwas
gegen die Natur vornimmt oder sich gegen sie versündigt.
Es ist also nicht ohne Grund, dass der Verstand bei
vielen groß ist, wenn auch unnütz, wie bei denen, die
Wissen haben, aber keinen entsprechenden Lebenswandel.
Bei anderen gibt es weniger Kenntnisse, aber einen
besseren Gebrauch davon, bei manchen gibt es Verstand
und ein gutes Leben, während bei anderen beides fehlt.
Diese Verschiedenheit beruht manchmal auf wohlgeordneter
göttlicher Zulassung (entweder zum Nutzen der Menschen
ode zu ihrer Demütigung und Erziehung), manchmal auf
Undankbarkeit und Versuchungen, manchmal auf der
Gebrechlichkeit der Natur und heimlicher Sünden.
Manchmal ist diese Verschiedenheit dazu da, dass man
einer Gelegenheit zu schlimmeren Sünden aus dem Wege
geht, und dass die Natur nicht im Stande ist, sich etwas
Größeres vorzunehmen. Ein jeder, der die Gnadengabe
eines guten Verstandes besitzt, soll also Furcht haben,
denn er wird dadurch strenger beurteilt, wenn er
nachlässig ist. Wer keine Begabung hat, soll froh sein
über das wenige, das er hat und so viel ausrichten, wie
er kann, denn er ist gegen viele Gelegenheiten zur Sünde
gefeit.
Der Apostel Petrus war ja in seiner Jugend vergesslich,
und Johannes hatte nur wenig Kenntnisse, aber in älteren
Tagen eigneten sie sich wahre Weisheit an, nachdem sie
nach dem Ursprung der Weisheit gesucht hatten. Salomo
war in der Jugend gelehrig und Aristoteles erfinderisch,
aber sie drangen nicht zum Beginn der Weisheit vor, da
sie den Geber des Wissens nicht so verherrlichten, wie
sie sollten, und dem nicht nacheiferten, was sie wussten
und lehrten; so lehrten sie sich nicht selbst, sondern
andere.
Bileam hatte Kenntnisse, aber befolgte sie nicht, und
daher schalt sein Esel seine Unwissenheit. Ebenso
verurteilte der Junge David die alten Männer. Bildung
aus Büchern gefällt mir nicht ohne guten Lebenswandel,
und daher ist es notwendig, dass die, die die Vernunft
missbrauchen, bestraft werden, denn ich, der Gott und
Herr aller, gibt den Menschen Kenntnis, und ich richte
beide, die Weisen und Unklugen.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum manche verhärtet werden, antworte
ich weiter: Dass Pharao verhärtet war, das war sein
Fehler und nicht meiner, nachdem er seinen Willen nicht
in Übereinstimmung mit meinem göttlichen Willen bringen
wollte. Verhärtung ist nämlich nichts anderes, als sich
meiner göttlichen Gnade zu entziehen, der man sich
entzieht, wenn der Mensch nicht mir, seinem Gott, das
gibt, was er hat – nämlich seinen Eigenwillen.
Du kannst das durch das Gleichnis von einem fruchtbaren
und unfruchtbaren Acker verstehen. Es war ein Mann, der
zwei Äcker hatte, von denen der eine unbestellt blieb,
während der andere zu bestimmten Zeiten Frucht trug.
Sein Freund sagte zu ihm: „Ich möchte wissen, warum du,
der reich und verständig ist, deine Äcker nicht
fleißiger bearbeitest oder sie anderen zu Bestellung
überlässt.“ Er antwortete: „Der eine Acker bringt, so
fleißig ich auch arbeite, nur schlechte Kräuter hervor,
über die sich schädliche Tiere hermachen, und so wird
das Gebiet verunreinigt.
Wenn ich Dünger anwende, überhebt sich der Acker in
seiner Frechheit, denn auch wenn er dann in geringem
Umfang Saat hervorbringt, sprießt sehr viel mehr Unkraut
auf, und das will ich nicht sammeln, da ich nur reine
Saat haben will. Es ist also ratsamer, einen solchen
Acker unbestellt zu lassen, denn dann kommen die wilden
Tiere an den Platz und verstecken sich nicht einmal in
den Kräutern, und wenn da ein paar bittere Kräuter
aufwachsen, ist das nützlich für die Schafe, denn
nachdem sie diese gekostet haben, lernen sie, sich nicht
an süßere Kräuter zu machen.
Der andere Acker dagegen ist den Jahreszeiten angepasst.
Ein Teil davon ist steinig und braucht Dünger, ein
anderer ist feucht und braucht Wärme, ein dritter ist
trocken und braucht Feuchtigkeit. Deshalb will ich meine
Arbeit nach der Beschaffenheit des Ackers einrichten.“
Ich, Gott, gleiche diesem Mann. Der erste Acker ist die
Betätigung des freien Willens, der dem Menschen
verliehen ist. Er richtet ihn aber mehr gegen mich als
für mich, und wenn er etwas tut, was mir wohlgefällig
ist, weckt er doch öfter meinen Zorn, denn der Wille des
Menschen und meiner kommen nicht überein. So machte es
Pharao. Durch gewisse Zeichen verstand er meine Macht
aber nichts destoweniger verhärtete er seinen Sinn gegen
mich und hielt an seiner Bosheit fest. Daher bekam er
meine Gerechtigkeit zu spüren, denn wenn jemand das
Geringste nicht gut benutzt, ist es gerecht, dass er
sich nicht dessen rühmen darf, was mehr ist.
Der andere Acker ist der Gehorsam des guten Sinnes und
der Verzicht auf den Eigenwillen. Wenn ein solcher Sinn
in seiner Andacht trocken ist, muß er den Regen meiner
göttlichen Gnade erwarten. Wenn er durch Ungeduld und
Härte steinig ist, soll er mit Gleichmut Reinigung und
Berichtigung ertragen. Wenn er durch die Zügellosigkeit
des Fleisches feucht ist, soll er Enthaltsamkeit üben
und sich wie ein Tier verhalten, das bereit ist, wenn es
der Besitzer will, denn vor einem solchen Sinn erhalte
ich, Gott große Ehre. Dass manche sich verhärten, liegt
also an dem Willen des Menschen, der gegen mich
streitet, denn wenn ich auch will, dass alle erlöst
werden, so wird das nur verwirklicht, wenn ein Mensch
selbst dabei mitwirkt und seinen ganzen Willen zur
Übereinstimmung mit meinem bringt.
Dass nicht alle die gleiche Vervollkommnung und Gnade
empfangen, das liegt an dem verborgenen Gericht des
Menschen. Ich weiß und teile nämlich jedem das zu, was
ihm nützt und angemessen ist, und ich hindere das
Streben des Menschen, dass er nicht noch tiefer fällt.
Viele haben das Pfand der Gnade und könnten damit
wirken, aber sie weigern sich. Andere halten sich aus
Furcht vor Strafe von Sünde fern, weil sie keine
Möglichkeit zu sündigen haben, oder weil die Sünde ihnen
nicht gefällt. Manchen werden keine größeren Gaben
geschenkt, weil ich, der ich allein den Sinn des
Menschen kenne, weiß, meine Gaben zu verteilen.“
Antwort auf die 6. Frage.
„Auf die Frage, warum die Bösen manchmal größeren Erfolg
auf Erden haben als die Guten, antworte ich weiter: Das
ist ein Zeichen für meine große Geduld und Liebe, und
das geschieht, um die Gerechten zu prüfen. Denn wenn ich
allein meinen Freunden zeitliches Gut schenken würde,
würden die Bösen verzweifeln und die Guten hochmütig
werden.
Deshalb wird zeitliches Gut allen geschenkt, damit ich
Gott, der Geber und Schöpfer aller Dinge, von allen
geliebt werde, und damit die Guten, wenn sie Gefahr
laufen, hochmütig zu werden, durch die Bösen zur
Rechtschaffenheit erzogen werden. Es hat auch den Sinn,
dass alle verstehen sollen, dass man das Zeitliche nicht
lieben oder mir, Gott, vorziehen soll, sondern dass es
nur zum Lebensunterhalt verwenden soll, und damit sie
desto eifriger in meinem Dienst werden sollen, je mehr
sie die Vergänglichkeit des Zeitlichen erkennen.“
Antwort auf die 7. Frage.
„Auf die Frage, warum der eine schon im Anfang berufen
wird und der andere am Ende (des Lebens), antworte ich
weiter: Ich bin wie ein Mutter, wenn sie sieht, dass
ihre Kinder Hoffnung auf Leben haben, manchen kräftige
Kost und anderen leichtere gibt. Mit denen, für die es
keine Hoffnung gibt, hat sie Mitleid und tut für sie,
was sie kann. Aber wenn es den Kindern von dem
Heilmittel der Mutter nur noch schlechter geht – was
nützt es dann noch, sich Mühe zu machen?
So verfahre ich auch mit den Menschen. Dem, bei dem ich
voraussehe, dass sein Wille noch eifriger und seine
Demut und Ausdauer noch standhafter wird, dem wird schon
im Anfang (des Lebens) Gnade verliehen, und die wird ihm
bis zum Ende bleiben. Wer in all seiner Bosheit doch
danach strebt und daran arbeitet, besser zu werden, der
verdient auch, noch gegen Ende berufen zu werden. Aber
wer undankbar ist, verdient nicht, die Mutterbrust zu
genießen.“

Neunte Offenbarung im
Buch der Fragen
Der Sohn spricht zur Braut (Birgitta): „Du bist in einem
armen Haus erzogen und bist dann in die Gesellschaft der
Großen gekommen. In einem armen Haus gibt es drei Dinge,
nämlich fleckige Wände, schädlichen Rauch und Ruß, der
alles erfüllt. Aber du bist zu einem Haus geführt, wo
die Schönheit ohne Flecken und die Wärme ohne Rauch ist,
und wo die Lieblichkeit ohne Unlust ist.
Das arme Haus ist die Welt. Ihre Wände sind der Hochmut,
dass man Gott vergisst, die Vielzahl der Sünde, und dass
man unterlässt, das Zukünftige zu beachten. Die Wände
machen Flecken, denn sie machen die guten Werke zunichte
und verbergen dem Menschen Gottes Angesicht. Der Rauch
ist die weltliche Liebe; er schadet den Augen, denn er
verdunkelt den Verstand der Seele und lässt sie sich für
vergängliche Dinge abmühen. Der Ruß ist die Lust; auch
wenn sie eine Weile Vergnügen macht, macht sie niemals
satt und füllt die Seele nicht mit der ewigen Güte.
Davon bist du aber fortgenommen und zur Wohnung des
Heiligen Geistes geführt; er ist in mir und ich in ihm,
und er hat dich in sich beschlossen. Er ist am
allerreinsten, am schönsten und stetigsten, denn er
erhält alles. Forme dich daher nach dem Bewohner des
Hauses und bleibe rein, demütig und fromm.“

Vierzehnter
Fragenkreis
Erste
Frage: Wieder zeigte sich dieser Mönch auf seiner Leiter
wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich: Warum
leiden die Tiere solche Mühsale, da sie nicht das ewige
Leben erlangen sollen, und keinen Verstand haben, den
sie gebrauchen können?“
Zweite Frage: Warum wird weiter alles mit Schmerzen
geboren, wenn es bei der Geburt in allem keine Sünde
gibt?“
Dritte Frage: „Warum trägt das Kind die Sünde des Vaters
weiter, wenn es noch gar nicht sündigen kann?“
Vierte Frage: „Warum geschieht es so oft weiter, was
nicht vorauszusehen ist?“
Fünfte Frage: „Warum stirbt der Schlechte einen guten
Tod wie der Gerechte, und der Gerechte manchmal einen
bösen Tod, wie der Ungerechte?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, sicher rührt deine
Frage nicht aus Liebe her, aber ich will dir doch aus
Liebe zu anderen antworten. Du fragst, warum die Tiere
an Krankheiten leiden. Das liegt daran, dass alles bei
ihnen wie bei anderen Wesen ungeordnet ist. Ich bin ja
der Schöpfer aller Naturen, und einer jeden Natur gab
ich ihre Sinnesart und ihre Einrichtung, in der sie sich
rühren und leben sollen. Aber nachdem der Mensch, um
dessentwillen alles geworden ist, sich gegen mich,
seinen Gott, der ihn liebte, empört hat, ist auch alles
andere in Unordnung geraten, und all das, was ihn sonst
geehrt haben sollte, begann, sich gegen ihn zu erheben,
und diese Unordnung ist schuld, dass allerhand
Widerwärtigkeiten und Unannehmlichkeiten die Tiere
ebenso wie den Menschen treffen.
Übrigens leiden die Tiere wegen der Unmäßigkeit ihrer
Natur manchmal daran, dass ihre Wildheit gezähmt und
ihre Natur geläutert wird, manchmal wegen Sünden der
Menschen, so dass der Mensch bedenken soll, wenn er
sieht, dass das, was er liebt, geplagt und unterdrückt
wird, welch schwere Strafe er verdient, der einen
höheren Verstand erhalten hat. Wenn die Sünden der
Menschen das nicht erforderten, so würden auch die
Tiere, die ja in der Hand des Menschen sind, nicht so
sehr geplagt werden.
Doch leiden sie nicht ohne eine große Gerechtigkeit,
denn entweder trifft sie das, damit das Leben schneller
zu Ende geht, oder dafür, dass das Elend und die Mühe
vermindert wird und die starke Natur sich verzehrt, oder
wegen des Wechsels der Zeiten oder der Unachtsamkeit des
Menschen, der sie zur Arbeit braucht. Der Mensch soll
also mich, seinen Gott, mehr als andere fürchten, und so
viel milder gegen meine Geschöpfe und gegen die Tiere
sein, über die er sich um meinetwillen, seinen Schöpfer,
erbarmen soll. Ich, Gott, habe ja dem Menschen befohlen,
den Sabbat zu halten, denn ich nehme meine ganze
Schöpfung in Obhut.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum alles mit Schmerzen geboren wird,
antworte ich weiter: Als der Mensch das schönste
Vergnügen verschmähte, lud er sich gleich mühsame Arbeit
auf, und nachdem die Unordnung im Menschen ihren Anfang
genommen hatte, ist es meine Gerechtigkeit, dass auch
die anderen Geschöpfe, die um des Menschen willen da
sind, eine gewisse Bitterkeit erfahren, damit ihre Lust
gezügelt wird und sie durch ihr Futter erquickt werden.
So wird der Mensch mit Schmerz geboren und lebt unter
großer Mühe, damit er sich bemühen soll, zu der wahren
Ruhe zu eilen. Er stirbt nackt und arm, damit er seine
ungeordneten Triebe bändigt und die kommende
Untersuchung fürchtet. Auch die Tiere gebären mit
Schmerzen, damit die Bitterkeit die Lust zügelt, und sie
so im Stande sind, die Mühe und Leiden des Menschen zu
teilen. Deshalb soll der Mensch, der so viel vornehmer
als die Tiere ist, mich den Herrgott, seinen Schöpfer,
umso inniger lieben.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum das Kind die Sünden des Vaters
trägt, antworte ich weiter: Das, was unrein hervorgeht,
kann niemals rein sein. Daher wurde der erste Mensch,
als er wegen seines Ungehorsams die Schönheit der
Unschuld verloren hatte, aus der Freude des Paradieses
vertrieben und in Unreinheit verstrickt. Diese Unschuld
wiederzugewinnen, ist niemand aus sich selbst heraus in
der Lage. Deshalb kam ich, der barmherzige Gott, ins
Fleisch und stiftete die Taufe, wodurch das Kind von der
bösen Unreinheit und von Sünde befreit wird.
Der Sohn soll daher nicht die Sünde des Vaters zu tragen
brauchen, und ein jeder wird in seiner Sünde sterben.
Aber oft geschieht es, dass die Kinder die Sünden ihrer
Eltern nachahmen, und daher werden manchmal die Sünden
der Väter in den Kindern bestraft – doch nicht aus dem
Grunde, dass die Sünden der Väter in sich selbst
ungestraft bleiben, obwohl die Strafen für die Sünden
eine Zeitlang aufgeschoben werden – nein, es ist
vielmehr so, dass jeder in seiner eigenen Sünde stirbt
und bestraft wird. Manchmal werden auch, wie geschrieben
steht, die Sünden der Väter noch im vierten Glied
heimgesucht, denn es ist meine göttliche Gerechtigkeit,
dass – wenn die Kinder meinen Zorn weder für sich selbst
noch für ihre Väter zu mildern suchen, sie mit ihren
Eltern bestraft werden, denen sie gegen mich gefolgt
sind.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum das, was nicht vorhersehbar ist,
so oft geschieht, antworte ich: Es steht geschrieben,
dass der Mensch mit dem gestraft wird, womit er
gesündigt hat. Und wer kann Gottes Ratschluß fassen?
Weil nun viele mich suchen, aber nicht auf kluge Weise,
sondern der Welt wegen, andere mich mehr fürchten, als
richtig ist, andere allzu dreist sind, andere hochmütig
in ihren Entschlüssen sind – daher lasse ich, Gott, der
die Erlösung aller bewirkt, manchmal das geschehen, was
der Mensch am meisten fürchtet, manchmal das beseitigt
werden, was man mehr liebt, als angemessen ist, und
manchmal das entfernt werden, was man allzu eifrig
erwartet und sich danach sehnt, so dass der Mensch mich,
seinen Gott, über alle Dinge fürchtet, liebt und
kennenlernen will.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum ein schlechter Mensch einen guten
Tod wie der gerechte stirbt, antworte ich: Die
Schlechten haben manchmal etwas Gutes an sich und tun
ein paar gerechte Taten, für die sie auch in diesem
Leben belohnt werden sollen. Ebenso tun manchmal die
Gerechten ein paar böse Taten, für die sie schon in
diesem Leben bestraft werden. Weil nun alles in diesem
Leben unsicher ist und von der Zukunft abhängt, und weil
es ein und denselben Eingang für alle gibt, deshalb muß
es auch einunddenselben Ausgang geben, denn es ist nicht
der Ausgang, der den Menschen selig macht, sondern der
Lebenswandel.
Aber dass derselbe Ausgang den Bösen wie den Gerechten
zu zuteil wird, das beruht auf meiner göttlichen
Gerechtigkeit, denn sie haben selbst den Ausgang
ersehnt.
Der Teufel, der das Hinscheiden seiner Freunde
voraussieht, sagt ihnen manchmal die Todesstunde zu
ihrer Vermessenheit und eitlen Ehre und Verführung
voraus (wie in den sog. apokryphischen Schriften zu
lesen ist), dass sie nach dem Tode als Gerechte
gepriesen werden.
Andererseits erhalten die Gerechten manchmal ein sanftes
Verscheiden zu ihrem größeren Verdienst, damit die, die
in ihrem Leben stets nach Tugenden gestrebt haben, durch
einen schmählichen Tod frei gen Himmel schweben können,
so dass nicht einmal die irdische Hölle betroffen wird,
wie geschrieben steht, dass der Löwe den ungehorsamen
Propheten tötete, aber die Leiche nicht fraß, sondern
sie bewachte.
Dass der Löwe den Leib tötete, das deutet auf meine
göttliche Gerechtigkeit hin, die es zuließ, dass der
Ungehorsam des Propheten bestraft wurde. Dass der Löwe
nicht die Leiche fraß, das beweist die guten Werke des
Propheten. Er wurde nämlich schon in diesem Leben
gereinigt, so dass er im kommenden für gerecht befunden
würde. Jeder soll also meine Gerichte fürchten und
bedenken, denn ebenso unbegreiflich, wie ich an Tugend
und Macht bin, so schrecklich bin ich in meinen
Ratschlüssen und Gerichten. Die, welche mich mit ihrer
eigenen Weisheit erfassen wollen, sind also in ihrer
Hoffnung betrogen.“

Zehnte Offenbarung im
Buch der Fragen
Der Sohn (Jesus Christus) spricht zur Braut: „Sei nicht
bekümmert, wenn ich ein Wort dunkler, ein anderes
leichter verständlich rede, oder wenn ich nun sage,
jemand sei mein Diener, Sohn oder Freund, und es sich
dann erweist, dass er es nicht ist – denn meine Worte
können auf verschiedene Art gedeutet werden.
Ich sagte dir z.B. von einem, dass seine Hand sein Tod
sein würde, und von einem anderen, dass er nicht mehr an
meinen Tisch treten sollte. So etwas wird entweder
deshalb gesagt, dass ich dir später zeigen werde, warum
ich so gesprochen habe, oder deshalb, damit du
tatsächlich das Ende der Wahrheit zu sehen bekommst, wie
es diese beiden betrifft.
Manchmal sage ich etwas auf dunkle Weise, damit du dich
fürchten und freuen sollst: Dich fürchten, dass es auf
Grund meiner göttlichen Geduld, die die Veränderungen
der Herzen kennt, auch anders gehen kann, und dich
freuen, dass mein Wille immer in Erfüllung geht. Auch im
alten Gesetz habe ich vieles gesagt, das eher geistig
als leiblich erfasst werden müsste (so wie über den
Tempel, über David und Jerusalem), damit die
fleischlichen Menschen lernen sollten, das Geistliche zu
ersehnen.
Denn um die Standhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit
meiner Freunde zu prüfen, habe ich vieles gesagt und
versprochen, was nach den verschiedenartigen Wirkungen
meines Geistes von Guten und Bösen verschieden
verstanden werden kann, und ich habe das auch getan,
damit alle in ihren verschiedenen Stellungen etwas davon
haben sollen, wodurch sie von mir geschult, erprobt und
unterwiesen werden können.
Dass manches auf dunkle Weise gesagt worden ist, das
liegt an meiner Gerechtigkeit, die wollte, dass mein
Ratschluß verborgen sei, und dass jeder meine Gnade
geduldig erwarten soll. Wenn mein Ratschluß immer mit
einer bestimmten Zeitangabe angedeutet würde, würden ja
alle in ihrem Warten ermüden. Vieles habe ich auch
versprochen, was wegen der Undankbarkeit der Menschen
nicht eingehalten wurde, und vieles ist in leiblicher
Weise gesagt, was geistig in Erfüllung gehen sollte,
z.B. das über Jerusalem und Zion. Die Juden sind ja, wie
geschrieben steht, das blinde und taube Volk des Herrn.

Fünfzehnter
Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich dieser Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich:
Warum ist vieles geschaffen, was aussieht, als sei es zu
nichts nütze?“
Zweite Frage: „Und warum sieht man im allgemeinen nicht
die Seelen, die in den Körpern sind oder die Körper
verlassen?“
Dritte Frage: „Und warum werden deine Freunde, wenn sie
beten, nicht immer erhört?“
Vierte Frage: „Und warum wird manchen, die Böses tun
wollen, nicht erlaubt, es doch zu tun?“
Fünfte Frage: „Und warum werden viele, die es nicht
verdient haben, vom Bösen betroffen?“
Sechste Frage: „Und warum sündigen die, die Gottes Geist
besitzen?“
Siebente Frage: „Und warum ist der Teufel bei manchen
ständig anwesend, aber bei anderen nie?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, so wie meine Taten
viele sind, so sind sie auch wunderbar und unfassbar.
Aber wenn es auch viele sind, sind keine ohne Ursache.
Der Mensch ist wie ein Knabe, der in einem dunklen
Gefängnis geboren ist und der, wenn man ihm erzählt
hätte, dass es die Sonne und die Sterne gibt, es nicht
geglaubt hätte, weiter sie nie gesehen hat. Nachdem der
Mensch das wahre Licht aufgegeben hat, findet er nämlich
sein Vergnügen nur im Dunkel. Ja es ist so, wie das
Sprichwort sagt, dass dem, der das Böse gewohnt ist, das
Böse lieblich erscheint.
Wenn auch der Verstand des Menschen verdunkelt ist, so
gibt es doch bei mir keine Verdunkelung oder
Veränderung. Ich richte alles so maßvoll ein, und habe
immer alles so eingerichtet, dass nichts ohne Ursache
und ohne Nutzen gemacht worden ist, nicht einmal die
Fälle oder Ödflächen, oder Seen, Raubtiere und die
giftigen Reptilien. So wie für den Nutzen der Menschen,
so sorge sich auch für den aller geschaffenen Dinge.
Ich bin wie ein Mann, der verschiedene Plätze hat, um
darauf zu wandern, andere, um darauf seine nützlichen
Geräte zu verwahren, andere für zahme und wilde Tiere,
andere für seine Befestigung und geheimen Beratung,
andere zum Gebrauch, der sich nach der Beschaffenheit
des Bodens richtet, andere zur Erziehung vom Menschen.
Ebenso habe ich, Gott, alles vernünftig geordnet: Manche
Dinge zum Nutzen und Vergnügen des Menschen, andere für
die vielfachen Vorhaben der Tiere und Vögel, andere zur
Zügelung der menschlichen Gewinnsucht, andere für das
Harmonieren der Elemente, andere dafür, dass meine Werke
bewundert werden, andere, damit die Sünder bestraft
werden, andere zum Nutzen höherer und niederer
Geschöpfe, andere zu einem Zweck, der mir selbst allein
vorbehalten ist.
Sieh, wie die kleine, kleine Biene, wenn es gilt, Honig
zu sammeln, vieles aus vielen Kräutern saugen kann! So
übertreffen auch andere kleine und große Lebewesen den
Menschen an Scharfsinn und Geschick darin, Kräuter zu
unterscheiden, und an Einsicht dafür, was für sie
nützlich ist, und vieles ist für sie nützlich, was für
den Menschen schädlich ist. Ist es da verwunderlich,
wenn der Verstand des Menschen es schwer hat, meine
Wunder zu unterscheiden, wenn er sogar von den kleinsten
Geschöpfen übertroffen wird? Was sieht hässlicher aus,
als der Frosch und die Schlange, was ist verächtlicher,
als die Klette, die Nessel und ähnliche Gewächse? Und
doch sind sie in hohem Maße gut für die, die meine Werke
zu unterscheiden wissen. Alles, was da ist, ist also auf
die eine oder andere Weise nützlich, und alles, was sich
rührt, weiß, auf welche Weise seine Natur bestehen kann
und erhöhte Stärke gewinnen kann.
Da nun alle meine Werke wunderbar sind, und alles mich
lobpreist, deshalb soll der Mensch, der über die anderen
erhöht ist und so viel schöner ist als sie, wissen, dass
er desto mehr als die anderen die Pflicht hat, mich zu
ehren. Wenn die herabstürzenden Wassermassen nicht am
Fuß der Berge aufgehalten würden, wo könnten da die
Menschen in Sicherheit bauen? Und wenn die wilden Tiere
keinen Zufluchtsort hätten, wie könnten sie dann der
unermesslichen Gier der Menschen entkommen? Und wenn dem
Menschen alles nach Wunsch ginge, würde er dann nach dem
Himmlischen trachten? Aber wenn die Wildtiere keine
Mühsale hätten und in Furcht lebten, würden sie
geschwächt werden und eingehen. Deshalb sind viele
meiner Werke verborgen, damit ich, der wunderbare und
unbegreifliche Gott, von den Menschen erkannt und geehrt
würde, die meine Weisheit in der Erschaffung so vieler
Dinge bewundern.“
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum die Seelen nicht vom Menschen
gesehen werden, antworte ich weiter: Die Seele ist von
weit besserer Natur als der Körper, denn sie stammt von
der Kraft meiner Göttlichkeit ab und ist unsterblich,
hat Anteil mit den Engeln, ist mehr als alle
Himmelskörper und vornehmer, als sie ganze Welt. Da nun
die Seele von edelster und heißer Natur ist, weil sie
dem Körper Leben und Wärme verleiht und geistig ist –
deshalb kann sie keinesfalls von körperhaften Wesen
gesehen werden, sondern nur durch körperhafte
Gleichnisse.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum meine Freunde, wenn sie mich in
ihren Gebeten anrufen, nicht immer von mir erhört
werden, antworte ich weiter: Ich bin wie eine Mutter,
die sieht, dass ihr Sohn gegen sein Wohlergehen betet
und es deshalb unterlässt, sein Begehren zu erfüllen,
indem sie sein Weinen mit Drohungen zum Schweigen
bringt. Eine solche Drohung enthält auch keinen Zorn,
sondern große Barmherzigkeit. So erhöre ich, Gott, nicht
immer meine Freunde, denn ich sehe besser als sie, was
für ihr Wohlergehen nützlich ist.
Haben nicht auch Paulus und andere fromm gebetet, ohne
erhört zu werden? Bei all ihren vielen Tugenden haben
meine Freunde manche Schwächen, etwas, wovon sie
gereinigt werden sollen, und deshalb werden sie nicht
erhört. Der Sinn dabei ist es, dass sie umso demütiger
und brennender in der Liebe zu mir werden, je mehr sie
sehen, wie groß die Liebe ist, mit der ich sie
unbeschadet von Versuchungen zur Sünde bewahre. Es ist
also ein Beweis für große Liebe, dass meine Freunde
nicht immer erhört werden, und das bringt ihnen größeren
Verdienst und dient dazu, ihre Standhaftigkeit zu
prüfen.
Denn so wie der Teufel versucht, den Lebenswandel des
Gerechten durch irgendeine Sünde oder einen
verächtlichen Tod zu beflecken, damit auf diese Weise
die Standhaftigkeit der Christen nachlässt, so lasse ich
den Gerechten nicht ohne Ursache geprüft werden, damit
seine Festigkeit vor anderen hervortritt, und er selber
desto ehrenvoller gekrönt wird. Und wie der Teufel sich
nicht scheut, die Seinen zu versuchen (er sieht ja, dass
sie bereit sind, zu sündigen), so lasse ich es eine
Zeitlang bleiben, meine Auserwählten zu schonen, da ich
sehe, dass sie zu allem Guten bereit sind.“
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum manche, die Böses tun wollen,
nicht die Erlaubnis dazu erhalten, antworte ich weiter:
Wenn ein Vater zwei Söhne hat, einen gehorsamen und
einen ungehorsamen, so widersteht er dem ungehorsamen so
viel er kann, damit er in seiner Bosheit keine
Schlechtigkeit begehen kann, während er den gehorsamen
prüft und ihn dazu bringt, was noch besser ist, so dass
auch der ungehorsame Sohn durch die Aufgeschlossenheit
des anderen zu dem erweckt wird, was besser ist. So
hindere ich oft die Bösen, zu sündigen, denn neben ihrem
Bösen tun sie manches Gute, womit sie sich entweder
selber oder anderen nützen. Die Gerechtigkeit erfordert
also, dass sie nicht gleich in die Gewalt des Teufels
fallen und nicht immer Gelegenheit erhalten, ihren
Willen in die Tat umzusetzen.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum manche, die es nicht verdienen,
von bösen Dingen heimgesucht werden, antworte ich
weiter: Jeder, der gut ist, ist mir, Gott, allein
bekannt; nur ich weiß, was er verdient. Vieles nimmt
sich nämlich schön aus, was es gar nicht ist, und das
Feuer erprobt das Gold. Der Gerechte wird manchmal von
Leiden betroffen, damit er anderen zum Beispiel und sich
selbst zur Krone wird. So wurde auch Hiob geprüft, der
schon von seiner Heimsuchung gut war, der aber in der
Stunde der Heimsuchung und nachher den Menschen mehr
bekannt wurde.
Wer will ergründen, warum ich ihn geplagt habe, und wer
kann das wissen, wenn nicht ich selbst, der ihm mit
meinen Segnungen zuvorkam und ihn bewahrte, so dass er
nicht sündigen sollte, und ihn unter den Heimsuchungen
aufrecht hielt? Und wie ich ihm ohne seine Verdienste
mit meiner Gnade zuvorkam, so prüfte ich ihn mit
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, denn keiner wird
gerecht in meinen Augen ohne meine Gnade.“
Antwort auf die 6. Frage.
„Auf die Frage, warum die, die meinen Geist besitzen,
sündigen, antworte ich weiter: Der Geist meiner
Göttlichkeit ist nicht gebunden, sondern bläst, wo er
will und kehrt zurück, wenn er will, und er wohnt nicht
in dem Gefäß, das der Sünde unterworfen ist, sondern in
dem, das Liebe hat. Ich, Gott, bin nämlich die Liebe,
und wo ich bin, da ist Freiheit. Wer meinen Geist
empfängt, kann sündigen, wenn er will, denn jeder Mensch
hat seinen freien Willen. Wenn der Mensch seinen Willen
gegen meinen richtet, weicht also mein Geist, der in ihm
ist, von ihm weg, oder der Mensch wird auch bestraft,
damit er seinen Willen lenkt.
So wollte Bileam mein Volk verdammen, aber ich habe ihm
das nicht erlaubt. Obwohl dieser Prophet schlecht und
gewinnsüchtig war, hat er doch manchmal gute Dinge
gesagt, doch nicht von sich selbst aus, sondern aus
meinem Geist. Oftmals wird die Gabe meines Geistes Guten
und Bösen verliehen. Die großen Schönredner würden nicht
über so hohe Dinge disputieren können, wenn sie meinen
Geist nicht hätten, und sich nicht so töricht verirren,
wenn sie sich in ihren Gedanken nicht gegen mich
gestellt hätten, wenn sie nicht hochmütig geworden wären
und mehr hätten wissen wollen, als sie sollten.“
Antwort auf die 7. Frage.
„Auf die Frage, warum der Teufel bei manchen öfter
anwesend ist und sie heimsucht, antworte ich weiter:
„Der Teufel ist als Prüfer und Scharfrichter der
Gerechten anzusehen. Daher plagt er die Seelen mancher
Menschen mit meiner Zulassung; bei anderen verdunkelt er
das Gewissen und setzt sogar dem Körper zu. Er bedrängt
die Seelen derer, die gegen ihr besseres Wissen sündigen
und aller Unreinheit und allem Unglauben unterworfen
sind. Er plagt ihre Gewissen und Leiber, die mancher
Sünden wegen schon in diesem Leben gereinigt und
gezüchtigt werden.
Eine solche Anfechtung trifft auch Kinder beider
Geschlechter, heidnische und christliche, entweder wegen
der Nachlässigkeit der Eltern oder aus Hinfälligkeit der
Natur, oder zum Schrecken und zur Demütigung anderer,
oder auf Grund von manchen Sünden. Meine Gerechtigkeit
ordnet es ja barmherzig so, dass die, die keine
Gelegenheit zur Sünde haben, umso weniger gestraft und
umso ehrenvoller gekrönt werden.
Auch die Tiere werden von vielem unterwegs betroffen,
entweder zur Strafe für andere, oder damit ihr
Lebensende schneller kommt, oder wegen der Unmäßigkeit
ihrer Natur. Dass der Teufel an manchen festhängt und
ihnen näher ist als anderen, das beruht also auf meiner
Zulassung und dient entweder zu größerer Demütigung und
Behutsamkeit, oder zu einer größeren Belohnung und zu
größerem Eifer, mich zu suchen, oder es rührt auch von
Sünden her, die noch in diesem Leben bereinigt werden
müssen, oder die so schwer sind, dass ihre Strafe schon
jetzt beginnen muß, um in Ewigkeit zu dauern.“

Elfte Offenbarung im
Buch der Fragen
Gottes Sohn spricht: „Aus natürlichen Dingen kann ein
gesunder Trank hergestellt werden, nämlich aus kaltem
Eisen, dürrem Holz und bitteren Kräutern. Aber wie
geschieht das? Wenn Stahl hart auf einen Schwefelberg
fällt, würde sicher Feuer aus dem Stahl kommen und den
Berg entzünden. Durch die Wärme würde ein Olivenbaum in
der Nähe, der außen dürr, aber innen voll Fettigkeit
ist, zu fließen beginnen, so dass sogar die bitteren
Kräuter unter dem Olivenbaum durch den fliessenden
Olivenbaum süß werden, und daraus könnte ein gesunder
Trank bereitet werden.
So habe ich in geistlicher Weise mit dir gehandelt. Dein
Herz war kalt wie Stahl in meiner Liebe, und doch rührte
sich da ein kleiner Funken Liebe zu mir, nämlich als du
dich besannst, dass ich wert war, mehr als alle anderen
geliebt und geehrt zu werden. Dieses Herz von dir fiel
auf einen Schwefelberg, als weltliche Ehre und
weltliches Vergnügen auf dich zukam und dein Mann starb,
den du körperlich mehr als alles andere geliebt hast.
Wollust und weltliches Vergnügen sind am besten mit
einem Schwefelberg zu vergleichen, denn sie haben das
Geschwür der Seele, den Gestank des Begehrens und die
Glut der Strafe in sich. Und als beim Tod deines Mannes
deine Seele von schwerer Trübsal betroffen wurde, da
sprang plötzlich ein Funke aus meiner Liebe hervor, die
wie im Verborgenen vorhanden war, denn nachdem du die
Nichtigkeit der Welt betrachtet hattest, hast du mir
deinen ganzen Willen übergeben und mich mehr als andere
ersehnt.
Dank dieses Liebesfunkens schmeckte dir dir trockene
Olive, d.h. die Worte der Evangelien und der Umgang mit
meinen Gelehrten, und die Enthaltsamkeit gefiel dir bis
zu dem Grade, dass dir alles andere, das dir vorher
bitter vorkam, lieblich zu werden begann. Und als der
Olivenbaum zu fließen anfing und meine Worte in den
Offenbarungen deinem Geist nahten, da stand einer auf
dem Berg und rief: „Durch diesen Trank wird der Durst
gelöscht, wird das Gefrorene erwärmt, wird der Betrübte
erfreut und der Kranke gesund.“ Das bin ich, Gott,
selbst, der so ruft, und meine Worte, die du oft in
geistlicher Vision von mir hörst, sättigen den, der nach
wahrer Liebe dürstet, wie ein guter Trank. Zweitens
wärmen sie die, die gefroren sind, drittens erfreuen sie
die, die betrübt sind, und viertens heilen sie die, die
schwach an der Seele sind.“

Sechzehnter
Fragenkreis
Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner
Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, ich frage dich:
Warum werden, wie das Evangelium sagt, die Ziegen zu
deiner Linken, die Schafe zu deiner Rechten gestellt?
Findest du etwa dein Vergnügen daran?“
Zweite Frage: „Wenn du weiter Gottes Sohn bist und dem
Vater ähnlich, warum steht dann geschrieben, dass weder
du noch die Engel die Stunde des Gerichts kennen?“
Dritte Frage: „Wenn weiter dein Heiliger Geist in den
Evangelisten gesprochen hat, warum weichen dann die
Evangelien so viel voneinander ab?“
Vierte Frage: „Wenn dein Annehmen von Menschengestalt
eine Erlösung für das ganze Menschengeschlecht bedeutet,
warum hast du dann so lange damit gewartet,
Menschengestalt anzunehmen?
Fünfte Frage: „Wenn weiter die Menschenseele besser als
die ganze Welt ist, warum schickst du dann deine Freunde
und Prediger nicht immer und zu allen Plätzen?“
Antwort auf die 1. Frage.
Der Richter antwortete: „Mein Freund, du fragst nicht,
um zu wissen, sondern deshalb, damit deine Bosheit
bekannt wird. Meine Gottheit ist Geist, und Gute und
Böse können nicht gleichzeitig bei mir wohnen, wie Licht
und Finsternis sich nicht vertragen können. In meiner
Gottheit gibt es keine rechte und linke Seite, wie es
bei körperlichen Wesen ist, und die Seligkeit hängt auch
nicht davon ab, dass man rechts statt links von mir
steht; nein, das muss bildlich verstanden werden. Mit
der rechten Seite ist nämlich die Hoheit meiner
göttlichen Ehre gemeint, mit der linken Seite der Mangel
und Verlust von allem Guten.
Weder Schafe noch Ziegen gibt es in dieser meiner
bewundernswerten Herrlichkeit, wo es nicht Körperhaftes
oder Beflecktes oder Veränderliches gibt. Aber die
Sitten der Menschen werden oft durch Bilder und
Gleichnissen von Tieren dargestellt. So bezeichnet das
Schaf die Unschuld, die Ziege die Wollust d.h. den nicht
enthaltsamen Menschen, der auf die linke Seite gestellt
werden muss, wo Mangel an allem Guten herrscht. Du
kannst also sehen, dass ich, Gott, manchmal menschliche
Worte und Gleichnisse benutze, so dass das Kind etwas
hat, darauf zu knabbern, und die Vollkommenen etwas
haben, was sie noch vollkommener macht. Die Stelle in
der Schrift soll ja in Erfüllung gehen, die sagt, dass
der Sohn der Jungfrau zu einem Zeichen gesetzt ist, dem
widersprochen wird, so dass die vielen Gedanken des
Herzens offenbar werden.
Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum ich, Gottes Sohn, sagte, dass ich
die Stunde des Gerichts nicht kennen würde, antworte ich
weiter: Es steht geschrieben, dass Jesus an Alter und
Weisheit zunahm. Alles, was wächst und abnimmt, ist
veränderlich, während die Gottheit unveränderlich ist.
Dass ich, Gottes Sohn, heranwuchs, das lag an meiner
menschlichen Natur. Als ich noch nichts darüber wusste,
war es meine menschliche Gestalt, die in Unkenntnis
schwebte. Nach meiner Göttlichkeit wusste und weiß ich
alles. Der Vater tut nämlich nichts, was ich, der Sohn,
nicht auch tue. Sollte der Vater etwas wissen, was ich,
der Sohn, und der Heilige Geist nicht weiß? Keinesfalls.
Aber nur der Vater, mit dem ich, der Sohn, und der
Heilige Geist eine einzige Substanz, eine Gottheit und
einen Willen bilde, weiß die Stunde für das Gericht,
nicht die Engel oder irgendwelche anderen Geschöpfe.“
Antwort auf die 3. Frage.
„Du fragst weiter, warum die Evangelisten nicht besser
übereinstimmen wenn der Heilige Geist in ihnen geredet
hat. Ich gebe folgende Antwort. Es steht geschrieben,
dass der Heilige Geist in seinen Werken mannigfaltig
ist, denn er verteilt seine Gaben auf vielerlei Weise
unter seinen Auserwählten.
Der Heilige Geist ist wie ein Mann, der eine Waage in
der Hand hat und mit vielen Mitteln die Waagschalen
ausgleicht und sie aneinander anpasst, bis die Bewegung
der Waage stillesteht. Eine solche Waage wird von dem,
der es gewohnt oder nicht gewohnt ist, auf verschiedene
Weise gehandhabt, verschieden von dem Starken und dem
Schwachen. So steigt der Heilige Geist wie eine Waage
bald ins Herz der Menschen auf, bald wieder hinunter.
Er steigt auf, wenn er die Sinne durch den feinen
Scharfsinn des Verstandes, durch die fromme Andacht der
Seele und durch das Entzünden des geistlichen Begehrens
erhebt. Er sinkt herunter, wenn er die Sinne sich in
Schwierigkeiten verwickeln lässt, sich unnötigerweise
ängstigt oder von Trübsalen heimsucht. Und wie eine
Waage eine gewisse Festigkeit hat, wenn das
Daraufgelegte nicht abgewogen wird, und die Hand dessen,
der sie steuert, eingreift, so ist es beim Wirken des
Heiligen Geistes notwendig, mit maßvollem Abwägen, bei
gutem Lebenswandel, schlichtem und ehrlichem Wollen
sowie kluger Unterscheidung in Werken und Tugenden (zu
verfahren).
Wenn ich, Gottes Sohn, sichtbar im Fleisch, verschiedene
Dinge an verschiedenen Plätzen gepredigt habe, hatte ich
deshalb verschiedene Nachfolger und Hörer, denn manche
folgten mir aus Liebe, manche deshalb, um eine
Gelegenheit zu finden, und aus Neugier, und manche von
denen, die mir folgten, waren scharfsinniger, andere
weniger begabt. Daher redete ich einfache Dinge, wodurch
einfache Menschen erbaut werden konnten, und ich sprach
auch höhere Dinge, die die Weisen mit Staunen erfüllten.
Manchmal sprach ich in Gleichnissen und dunkel, und
dadurch nahmen manche den Anlaß, sich zu äußern –
manchmal wiederholte ich das vorher Gesagte, manchmal
fügte ich etwas hinzu oder verminderte es.
Es ist also nicht verwunderlich, wenn die, die die
Erzählungen der Evangelien geordnet haben, verschiedene,
aber doch wahre Dinge berichtet haben. Manche von ihnen
haben Wort auf Wort zitiert, andere haben den Inhalt der
Worte wiedergegeben, aber nicht die Worte selbst; manche
haben das beschrieben, was sie hörten, aber nicht
gesehen haben, andere haben von Früherem später
gesprochen, andere haben mehr von meiner Göttlichkeit
erzählt – ja jeder hat gesprochen, wie der Heilige Geist
zu reden eingab.
Aber ich will, dass du weißt, dass nur die Evangelisten,
die meine Kirche akzeptieren, angenommen werden dürfen.
Viele, die Lust und Eifer hatten, haben nämlich versucht
zu schreiben, doch nicht nach meiner Kenntnis. Siehe,
ich habe gesagt, wie es heute (in der Messe) gelesen
wurde: „Brecht den Tempel ab, so werden ich ihn wieder
aufbauen.“ Die, welche bezeugt haben, dass sie das
hörten, waren dem gehörten Wort nach wahrhaftig, aber
sie waren doch falsche Zeugen, da sie nicht auf den
Inhalt meiner Worte achteten – diese Worte sollten ja so
verstanden werden, dass sie auf meinen Leib hindeuteten.
Ebenso gingen viele fort, als ich sagte: „Wenn ihr nicht
mein Fleisch esst, werdet ihr nicht leben“ – da sie sich
nicht an den Zusatz hielten, den ich machte: „Meine
Worte sind Leben und Geist“, d.h. sie haben geistlichen
Inhalt und Kraft. Es ist nicht verwunderlich, dass sie
sich irrten, denn sie folgten mir nicht aus Liebe. Der
Heilige Geist hebt sich also wie eine Waage in die
Menschenherzen, manchmal dadurch, dass er körperhaft
redet, manchmal dadurch, dass er geistlich redet. Er
sinkt herunter, wenn das Herz des Menschen sich gegen
Gott verhärtet, sich in Ketzereien oder weltliche
Nichtigkeiten verstrickt und verdunkelt.“
Zu derselben Zeit sagte der Richter zu dem fragenden
Mönch, der auf der Leitersprosse stand: „Mein Freund, du
hast mich so oft nach komplizierten Dingen gefragt. Nun
will ich dich meiner Braut wegen, die hier zugegen ist,
fragen: Warum liebt deine Seele, die Klugheit besitzt
und Gut und Böse unterscheiden kann, das Vergängliche
mehr als das Himmlische, und warum lebt sie nicht in
Einheit mit dem, was sie versteht?“
Der Mönch erwiderte: „Deshalb, weil ich gegen den
Verstand handele und die Sinne des Fleisches über den
Verstand herrschen lasse.“ Christus sagte: „Dein
Gewissen soll denn dein Richter sein.“
Er sagte dann zur Braut (Birgitta): Sieh, meine Tochter,
wie nicht nur die Bosheit des Teufels, sondern auch das
verworrene Gewissen beim Menschen herrscht! Das liegt
daran, dass der Mensch nicht der Versuchung widersteht,
wie er doch sollte. So handelte aber nicht der Magister,
den du kennst. Bei ihm ist der Geist versunken, indem er
bis zu dem Grad versucht wurde, dass es war, als ob alle
Ketzereien vor ihm stünden und gleichsam wie aus einem
Munde sagten: „Wir sind die Wahrheit.“ Er glaubte jedoch
seinen Sinnen nicht und fühlte sich darüber erhaben,[1]
und deshalb wurde er befreit und wurde von Anfang bis
zum Ende weise gemacht, wie ihm versprochen war.
Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum ich meine Menschwerdung so lange
aufgeschoben habe, antworte ich weiter: Meine
Menschwerdung war wirklich notwendig, denn dadurch wurde
die Verdammung aufgehoben, und alles bekam Frieden im
Himmel und auf Erden. Aber es war notwendig, dass der
Mensch erst durch das Naturgesetz aufgezogen wurde, und
danach durch das geschriebene Gesetz. Durch das
Naturgesetz trat ja zutage, wie groß die Liebe des
Menschen war. Durch das geschriebene Gesetz begriff der
Mensch seine Gebrechlichkeit und sein Elend und fing an,
Heilmittel zu suchen.
Daher war es angebracht, dass der Arzt kommen sollte,
als sich die Gebrechlichkeit verschlimmerte, und dass
dort, wo die Krankheit geherrscht hatte, dort die
Heilung in noch höherem Grade herrschte. Aber sowohl
unter dem Naturgesetz und dem geschriebenen Gesetz gab
es viele Gerechte, und viele besaßen den Heiligen Geist
und sagten vieles voraus, erzogen andere zu allem, was
tugendhaft war und warteten auf mich den Erlöser. Diese
gingen meiner Barmherzigkeit entgegen, nicht der ewigen
Strafe.“
Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum Prediger nicht immer und zu allen
Orten gesandt werden, wenn die Seele doch besser ist als
die Welt, antworte ich weiter: Die Seele ist in Wahrheit
würdiger und edler als die ganze Welt, und beständiger
als alles andere. Sie ist würdiger, da sie geistig ist,
gleichgestellt mit den Engeln und zur ewigen Freude
geschaffen ist. Sie ist edler, weil sie wie das Abbild
meiner Gottheit geschaffen ist, und weil sie unsterblich
und ewig ist.
Da der Mensch also würdiger und edler als alle anderen
Geschöpfe ist, muss er auch edler leben, als alle
anderen. Er ist ja vor allen anderen mit Verstand
ausgerüstet. Aber wenn der Mensch den Verstand und meine
göttlichen Gaben missbraucht, ist es dann verwunderlich,
wenn ich das zur Zeit der Gerechtigkeit bestrafe, was
zur Zeit der Barmherzigkeit versäumt wurde? So werden
Prediger nicht überall und an alle Plätze gesandt, denn
ich Gott, sehe die Härte vieler Herzen im voraus und
verschone meine Auserwählten von unnötiger Mühe Und da
viele bewusst und munter sündigen und es vorziehen, in
Sünde zu verharren, statt sich bekehren zu lassen,
deshalb sind sie es nicht wert, die Botschaft der
Erlösung zu vernehmen.
Aber, mein Freund, nun schließe ich, deine Gedanken zu
beantworten, und du wirst das Leben auch beenden. Nun
möchtest du wissen, was deine wortreiche Beredsamkeit
und Menschengunst dir genützt hat. O wie glücklich
würdest du sein, wenn du auf deine Versprechen und
deinen Eid geachtet hättest!“
Zum Schluß sagte der Geist zur Braut: „Tochter, der, den
du all dies fragen hörtest, lebt noch im Leibe, aber er
wird nicht noch einen ganzen Tag leben bleiben. Die
Gefühle und Gedanken seines Herzens wurden dir in
Gleichnissen gezeigt, nicht zu größerem Schimpf für ihn,
sondern zur Erlösung anderer Seelen. Aber sieh, nun
endet sein Leib und sein Leben mit den Gefühlen und
Gedanken.“
[1]. So wohl sinngemäß: Och kände icke heller ovan sig
själv.

Zwölfte Offenbarung
im Buch der Fragen
Gottes Sohn spricht: „Warum bist du betrübt darüber,
dass ich diesen Mann so geduldig ertrage? Weißt du
nicht, dass es schwer ist, ewig zu brennen? Bis zum
allerletzten Augenblick ertrage ich ihn, damit meine
Gerechtigkeit durch ihn für andere offenbar wird. Wenn
Gewächse, die Farben hervorbringen, vor der passenden
Zeit geerntet werden, werden sie nicht so dienlich für
die Gegenstände, die gefärbt werden sollen, als wenn sie
geerntet werden, wenn die Zeit da ist. Ebenso müssen
meine Worte, die mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
offenbart werden, bis zur vollen Reife wachsen und
Frucht bringen; dann werden sie für die Sache, für die
sie verwendet werden, nützlicher und beleuchten meine
Tugend in geeigneter Weise.
Warum bist du ferner deshalb niedergeschlagen, weil
dieser Mann erklärte, meinen Worten nicht zu glauben,
wenn keine deutlicheren Zeichen gezeigt würden? Hast du
ihn denn geboren, oder kennst du sein Inneres so gut wie
ich? Er ist gewiß wie eine brennende und leuchtende
Lampe, die gleich mehr Licht gibt, wenn man fettes Öl
daran tut, so dass es sich damit verbindet. Ja, er kann
eine Lampe der Tugenden genannt werden, die imstande
ist, meine göttliche Gnade anzunehmen. Sobald meine
Worte in ihn eingegossen werden, beginnen sie zu fließen
und dringen so ins Innerste des Herzens ein.
Ist es verwunderlich, wenn das fette Öl fließt, wenn das
Feuer in der Lampe flammt, wenn es die Fettigkeit
schmilzt und die Lampe anzündet? Dieses Feuer ist ja
mein Geist, der da ist und in dir redet, und es ist
derselbe Geist, der da ist und auch in ihm spricht, wenn
auch in einer mehr verborgenen und für ihn nützlicheren
Weise. Dieses Feuer entzündet die Lampe seines Herzens
zur Arbeit zu meiner Ehre. Es entzündet auch die Seele,
das fette Öl meiner Gnade und meiner Worte anzunehmen,
wodurch die Seele, wenn sie sie empfängt, versüßt wird,
so dass sie einen volleren Fettgehalt erhält, wenn es
zum Handeln kommt.
Fürchte dich also nicht, sondern bleib standhaft im
Glauben! Wenn diese Worte aus deinem eigenen Geist oder
aus dem Geist dieser Welt kämen, dann müsstest du dich
mit Recht fürchten. Aber da sie nun aus meinem Geist
stammen, den auch die heiligen Propheten hatten, sollst
du dich nicht fürchten, sondern freuen, sofern du dich
nicht vor den eitlen Namen der Welt mehr fürchtest, als
vor der Verachtung meiner göttlichen Worte.
Höre weiter, was ich sage: Dieses Reich ist vermischt
mit einer großen und lange ungestraften Sünde. Daher
können meine Worte noch nicht aufsprießen und hier
Frucht bringen, wie ich dir in einem Gleichnis
anschaulich machen will. Stell dir einen Nusskern vor,
der in die Erde eingepflanzt ist, und über den etwas
Schweres gelegt ist, so dass er nicht aufspießen kann.
Die Nuß ist von guter und frischer Natur, aber nachdem
sie von dem obenliegenden Gewicht gehindert wird, kann
sie nicht aufsprießen. Sie sucht dann einen Aufgang in
der darum herum liegenden Erde an der Stelle, wo das
Gewicht am geringsten ist. Sie festigt die Wurzeln so
tief und beständig, dass sie nicht nur die schönste
Frucht hervorbringt, sondern den Stamm auch dick werden
lässt, alles wegschafft, was das Aufsprießen hindert,
und sich über das hinaus erstreckt, was schwer ist.
Diese Nuß bezeichnet meine Worte, die infolge der Sünde
in diesem Reich nicht richtig aufsprießen können, und
deshalb erst anderswo aufkommen und wachsen werden, bis
die Härte im Boden dieses Reiches abnimmt, und die
Barmherzigkeit zugelassen wird.“

Dreizehnte Offenbarung
im Buch der Fragen
Gott Vater spricht: „Es war ein Herr, dessen Diener zu
ihm sagte: „Sieh, dein Acker ist gepflügt und die
Wurzeln ausgerodet. Wann sollen wir nun den Weizen
säen?“ Der Bauer antwortete ihm: „Wenn es auch aussieht,
als wären die Wurzeln ausgerodet, sind doch alte Stubben
Übriggelassen. Sie sollen im Frühling vom Regen und Wind
aufgelöst werden. Warte deshalb bis zur Zeit des Säens!“
Da fragte ihn der Diener: „Was soll ich zwischen
Frühling und der Erntezeit tun?“ Der Bauer erwiderte:
„Ich kenne fünf Plätze. Jeder, der zu ihnen kommt, wird
fünffache Frucht erhalten, wenn er nur rein, frei von
Hochmut und brennend vor Liebe kommt. Am ersten Platz
war ein Gefäß, verschlossen und doch nicht verschlossen,
klein und doch nicht klein, leuchtend und doch nicht
leuchtend, leer und doch nicht leer, rein und doch nicht
rein.
An dem zweiten Platz wurde ein Löwe geboren, der zu
sehen und doch nicht zu sehen war, den man hörte und
doch nicht hörte, den man berühren und doch nicht
berühren konnte, der bekannt wurde und doch unbekannt
war, den man halten konnte und doch nicht. An dem
dritten Platz war ein Lamm, das geschoren und doch nicht
geschoren war, das verwundet und doch nicht verwundet
war, das blökte und doch nicht blökte, das litt und doch
nicht litt, das verendete und doch nicht starb.
An dem vierten Platz lagerte eine Schlange, die ruhte
und doch nicht ruhte, die sich rührte und doch nicht
rührte, die hörte und doch nicht hörte, die sah und doch
nicht sah, die fühlte und doch nichts spürte. Auf dem
fünften Platze war ein Adler, der flog und doch nicht
flog, der an den Platz kam, den er nie verlassen hatte,
der ruhte und doch nicht ruhte, der sich erneuerte und
doch nicht erneuerte wurde, der sich freute und doch
nicht freute, der geehrt wurde und doch nicht geehrt
wurde.“
Auslegung und Erklärung
Der Vater sagte: „Das Gefäß, über das ich mit dir
gesprochen habe, war Maria, die Tochter Joachims, die
Mutter von Christi Menschengestalt. Sie war nämlich ein
verschlossenes und doch unverschlossenes Gefäß. Sie war
verschlossen für den Teufel, aber nicht für Gott. Wie
ein Strom, der in ein Gefäß eindringen will, das seinen
Weg hindert, aber es nicht kann, und sich deshalb einen
anderen Eingang und Ausgang sucht, so wollte der Teufel,
der ein Strom von Lastern genannt werden kann, mit
seinen Ideen Marias Herzen nahen, aber er brachte es
nicht fertig, ihre Seele zu der allerkleinsten Sünde zu
bewegen, denn sie war gegen alle Versuchungen gefeit.
Stattdessen floß der Strom meines Geistes in ihr Herz
und erfüllte sie mit besonderer Gnade.
Zweitens war Maria, die Mutter meines Sohnes, ein
kleines und doch kein kleines Gefäß, klein und gering in
ihrer Demut und verachteten Stellung, groß und nicht
klein in der Liebe zu meiner Göttlichkeit. Drittens war
Maria ein leeres und doch kein leeres Gefäß, leer von
aller Wollust und Sünde, aber nicht leer, sondern voll
von himmlischer Lieblichkeit und aller Güte. Viertens
war Maria ein leuchtendes und doch nicht leuchtendes
Gefäß. Es war leuchtend, denn jede Seele ist zwar von
mir geschaffen, aber Marias Seele wuchs zur
Vollkommenheit allen Lichtes, so dass mein Sohn Wohnung
in ihrer Seele nahm, über deren Schönheit sich Himmel
und Erde freuten. Aber dieses Gefäß war nicht leuchtend
vor den Menschen, denn sie verschmähte weltliche Ehre
und Reichtum.
Fünftens war Maria ein reines und doch nicht reines
Gefäß – rein, denn sie war ganz und gar schön, und es
gab bei ihr nicht so viel Unreinheit, dass eine
Nadelspitze daran befestigt werden konnte, und doch
nicht rein, denn sie war aus Adams Geschlecht
hervorgegangen und von Sündern geboren, jedoch empfangen
ohne Sünde, damit mein Sohn ohne Sünde von ihr geboren
und erzogen wurde, nicht bloß gereinicht werden, sondern
auch ein Gefäß zu meiner Ehre werden.
Der zweite Platz ist Bethlehem, wo mein Sohn wie ein
Löwe geboren wurde. Er wurde in seiner Menschengestalt
gesehen und gehalten, aber in seiner Göttlichkeit war er
unsichtbar und unbekannt.
Der dritte Platz ist der Kalvarienberg, wo mein Sohn als
ein unschuldiges Lamm verwundet und in seiner
menschlichen Gestalt gestorben ist, er, der in seiner
Göttlichkeit nicht leiden und nicht sterben konnte.
Der vierte Platz war der Kräutergarten, wo mein Sohn
begraben wurde. Dort wurde seine Menschengestalt
beigesetzt und ruhte wie eine verächtliche Schlange,
doch in seiner Göttlichkeit war er überall.
Der fünfte Platz war der Ölberg, von dem mein Sohn in
seiner menschlichen Form wie ein Adler auf gen Himmel
fuhr, doch in seiner Göttlichkeit war er ja immer dort.
Er wurde erneuert und ruhte in seiner menschlichen
Gestalt, aber in seiner Göttlichkeit hatte er immer
geruht und ist immer derselbe gewesen.
Wer deshalb rein und mit gutem und vollkommenen Willen
an diese Plätze kommt, der wird sehen und schmecken
dürfen, wie lieblich und herrlich ich, Gott, bin. Wenn
du selbst an diese Plätze kommst, werde ich dir noch
mehr zeigen.“
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