Ambrosius von Mailand (340-397)
Über die Buße (De paenitentia)
Erstes Buch
Cap. 1 (S. 231)
Wenn das letzte und höchste Ziel aller
Tugend dahin geht, dem geistigen Nutzen des
Nebenmenschen in möglichster Ausdehnung zu dienen, so
darf man als eine der schönsten Tugenden das milde
Maßhalten bezeichnen, welches nicht einmal diejenigen
verletzen will, die seiner Verurteilung unterliegen,
während es dieselben gleichzeitig gerade durch die
Verurteilung wieder der Lossprechung würdig zu machen
strebt. Diese Milde ist es einzig, welcher die Kirche,
die der Herr in seinem Blute gestiftet hat, ihre
Ausbreitung verdankt. Sie ahmt den himmlischen
Wohlthäter nach; indem sie auf die Rettung Aller bedacht
ist, verfolgt sie jenes heilbringende Ziel mit einer
Milde, daß die Herzen nicht zurückweichen, die Geister
nicht erschrecken können.
In der That muß ja auch derjenige,
welcher die Fehler menschlicher Schwäche bessern will,
diese Schwäche selbst ertragen; er muß sie gewissermaßen
auf seine Schultern legen, nicht aber verdrießlich
abwerfen. Lesen wir doch auch, daß jener Hirt des
Evangeliums das verirrte, müde Schaf heimgetragen, aber
nicht abgeworfen habe. Darum (S. 232) sagt auch
Salomon: „Sei nicht allzu gerecht“,[1]
denn weises Maßhalten muß die Gerechtigkeit sänftigen.
Wie möchte ich sonst Jemand dir zur Heilung anvertrauen,
wenn du ihm Widerwillen entgegenbringst, wenn er glauben
muß, daß er seinem Arzte nicht Mitleid, sondern
Verachtung einflößt?
Deßhalb hat der Herr Jesus Mitleid mit
uns getragen, um uns nicht abzuschrecken, sondern zu
sich zu rufen. Er kam voll Sanftmuth und Demuth, und so
sprach er: „Kommet zu mir Alle, die ihr mühselig und
beladen seid, ich will euch erquicken.“ Der Herr Jesus
erquickt die Mühseligen, er weis’t sie nicht zurück;
darum hat er denn auch solche Jünger sich erwählt, die
im richtigen Verständnisse seines göttlichen Willens das
Volk Gottes sammeln, aber nicht zurückstoßen. Es erhellt
somit, daß diejenigen nicht als Christi Jünger gelten
können, welche der Meinung sind, daß man harten und
stolzen Grundsätzen statt milder und demüthiger folgen
müsse. Sie verweigern ja Anderen die Barmherzigkeit des
Herrn, während sie selbst sie suchen: so sind die Lehrer
der Novatianer, welche sich als „die Reinen“ bezeichnen.[2]
Kann es denn ein stolzeres Treiben geben, da doch die
Schrift sagt: „Niemand ist rein von Schuld, nicht einmal
das Kind von einem einzigen Tage;“[3]
während David (S. 233) ausruft: „Von meiner Missethat
reinige mich!“ Sind denn diese Menschen etwa heiliger
als David, aus dessen Geschlecht der Herr im Geheimnis
der Menschwerdung hat wollen geboren werden? dessen
Tochter jenes himmlische auserwählte Gefäß ist, das im
jungfräulichen Schooße den Heiland der Welt empfangen
hat? Gibt es denn etwas Härteres, als Buße aufzulegen,
ohne Nachlaß zu gewähren? Nimmt man denn nicht den
Antrieb zur Buße hinweg, wenn man immerfort die
Verzeihung versagt? Kann doch füglich keiner Buße thun,
der nicht auf Verzeihung hofft!
Cap. 2
Diese Irrlehrer bestreiten, daß
diejenigen zur kirchlichen Gemeinschaft wieder dürfen
zugelassen werden, welche durch Verleugnung ihres
Glaubens gefallen sind. Wenn sie lediglich das
Verbrechen des Sacrilegiums ausnähmen und ihm die
Verzeihung versagten, so wäre das zwar hart und würde
auch durch göttliche Aussprüche als durchaus falsch
verworfen: es stimmte aber doch wenigstens mit ihren
eigenen sonstigen Behauptungen überein. Der Herr,
welcher alle Sünden vergeben hat, nahm kein Verbrechen
aus. Da Jene aber nach Art der Stoiker annehmen, daß
also Jemand, der einen Haushahn, ebenso wie derjenige,
welcher seinen Vater erdrosselt, für immer von den
heiligen Geheimnissen fern zu halten sei: wie greifen
sie jetzt ein einziges Verbrechen heraus, während sie
doch selbst nicht leugnen können, daß es geradezu
unerträglich sein würde, wenn die Strafe einiger weniger
– der Abgefallenen nämlich – auf Viele sich ausdehnte?
Sie sagen freilich, daß sie dem Herrn
eine ganz besondere Verehrung entgegenbringen, wenn sie
ihm ausschließlich (S. 234) die Macht, Sünden zu
vergeben, vorbehalten. In Wirklichkeit kann aber Niemand
Gott größere Schmach anthun, als derjenige, welcher
Gottes Aufträge einschränken und das von ihm übertragene
Amt wirkungslos machen möchte. Wenn der Herr Jesus
selbst gesagt hat: „Empfanget den heiligen Geist; denen
ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; denen
ihr sie behaltet, denen sind sie behalten;“ wer ehrt ihn
dann mehr: derjenige, welcher seinen Weisungen Folge
leistet, oder derjenige, welcher sich denselben
widersetzt?
Die Kirche übt nach beiden Seiten den
rechten Gehorsam, sowohl wenn sie bindet, als wenn sie
löset. Der Irrthum dagegen zeigt sich in dem einen Falle
hart, in dem anderen ungehorsam: er will binden, was er
nicht lösen mag; er will nicht lösen, was er gebunden
hat, und so richtet er sich durch seinen eigenen
Urtheilsspruch. Der Herr wollte, daß das Recht zu lösen
und zu binden neben einander bestehe, und darum hat er
beides unter der gleichen Voraussetzung der
Gegenseitigkeit verliehen. Wer darnach nicht das Recht
hat, zu lösen, der hat auch nicht das Recht, zu binden.
So erstickt denn die Lehre jener Irrlehrer sich in sich
selbst: da sie sich das Recht zu lösen absprechen, so
müssen sie sich auch das Recht zu binden versagen. Oder
wie kann das Eine ihnen gestattet, das Andere verwehrt
sein? Es ist doch unzweifelhaft sicher, daß denjenigen,
welchen Beides übertragen wurde, entweder beides oder
keines zusteht. So ist es: der Kirche steht beides, dem
Irrthum steht keines zu, weil das Recht einzig den
Priestern verliehen wurde. Die Kirche nimmt darnach mit
Recht beides für sich in Anspruch, weil sie wahre
Priester hat: der Irrthum, der keine Priester Gottes
hat,[4]
kann Nichts beanspruchen. (S. 235) Gerade dadurch, daß
er keine von beiden Vollmachen beansprucht, bekennt er
aber von sich selbst, daß er eben, weil er keine
Priester hat, auch nicht berechtigt ist, ein
priesterliches Amt für sich zu beanspruchen. So tritt
uns in schamloser Verstocktheit ein rechtes schämiges
Bekenntnis entgegen.
Dabei ist noch besonders zu beachten,
daß derjenige, welcher den heiligen Geist empfing, auch
die Vollmacht erhielt, Sünden zu vergeben und zu
behalten. So sprach der Herr: „Empfanget den heiligen
Geist; denen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie
nachgelassen; denen ihr sie behaltet, denen sind sie
behalten.“ Wer also die Lösegewalt nicht besitzt, der
hat auch den heiligen Geist nicht. Das Amt des Priesters
ist eine Gabe des heiligen Geistes, und dessen Recht
besteht gerade im Nachlassen oder Behalten der Sünden:
wie können nun diejenigen die Gabe des heiligen Geistes
beanspruchen, die dem Rechte und der Macht desselben
mißtrauen?
Kann es denn nun anmaßendere Menschen
geben? Obwohl der Geist Gottes geneigter zum Erbarmen
als zum Strafen ist, wollen sie doch das nicht, was er
nach seinem eigenen Worte will, während sie das, was er
nicht will, thun. Und doch ist es Sache der
Gerechtigkeit, zu strafen, während der Barmherzigkeit
Verzeihen geziemt. Immerhin also, Novatian, wäre es
erträglicher, wenn du statt der Binde- und Lösegewalt
dir beilegtest: einmal würde die Anmaßung und die Folge
dessen das Vergehen geringer sein, zum Anderen wäre zu
beachten, daß du eben durch Mitleiden mit der Niederlage
des Sünders dich zur Gewährung der Verzeihung hättest
bestimmen lassen.[5]
Cap. 3 (S. 236)
Die Novatianer sagen nun, daß sie, mit
Ausschluß freilich der schwereren Verbrechen, den
leichteren Verzeihung gewähren. In diesem Punkte kann
aber Novatian, der bekanntlich annahm, daß Niemand zur
Bußübung zuzulassen sei, nicht als Urheber des Irrthums
gelten, antworte ich ihnen. Er ging von der Betrachtung
aus, daß er da nicht binden dürfe, wo er nicht lösen
könne, um es zu vermeiden, daß Jemand eben wegen der
Zulassung zur Buße auch die Lossprechung von ihm zu
erlangen hoffe. Darin also verurtheilt ihr eueren Vater
durch euere eigene Meinung, nach welcher ein Unterschied
der Sünden derart zulässig erscheint, daß ihr die einen
nachlassen zu dürfen glaubt, während ihr die anderen
keines Heilmittels fähig erachtet. Gott aber, der seine
Erbarmung Allen erweiset, und der den Priestern die
Macht, Sünden nachzulassen, ohne jede Einschränkung
gegeben hat. – Gott macht keinen derartigen Unterschied
bei den Sünden. Wer freilich die Sünden anhäuft, der muß
auch die Buße mehren, und größere Vergehen werden auch
durch reichere Ströme der Bußthränen abgewaschen. So
findet weder Novatian Bestätigung, der Allen die
Verzeihung verschließt; noch findet ihr, die ihr seine
Nachfolger und Verurtheiler zugleich seid, Zustimmung:
denn ihr vermindert den Bußeifer, wo er müßte vermehrt
werden, da Christi Barmherzigkeit es so geordnet hat,
daß schwerere Sünden auch härter gebüßt werden.
Was ist das aber doch für eine
Verkehrtheit, daß ihr für euch dasjenige herausnehmt,
was vergeben, und daß ihr Gott das belasset, was nicht
vergeben werden kann? Das heißt ja, für sich die
Gegenstände des Erbarmens vorwegnehmen und Gott die
Rolle des strengen Bestrafers überlassen. (S. 237) Und
wie verhält es sich denn mit jenem Worte der Schrift:
„Gott ist wahrhaftig, jeder Mensch aber ein Lügner, wie
geschrieben steh: Auf daß du gerecht befunden werdest in
deinen Worten und den Sieg erhaltest, wenn du gerichtet
wirst?“[6]
Damit wir selbst wohl erkennen, daß Gott mehr zum
Erbarmen neigt, als er an der Strenge festhält, hat er
gesagt: „Barmherzigkeit will ich lieber als Brandopfer.“[7]
Wie kann denn nun euer Opfer Gott wohlgefällig sein. da
ihr seine Barmherzigkeit leugnet; während er doch selbst
sagt, daß er nicht den Tod des Sünders, sondern seine
Bekehrung wolle?
Der Apostel erklärt uns das: „Gott
sandte seinen Sohn in der Aehnlichkeit des Fleisches der
Sünde und zwar wegen der Sünde, und so verurtheilte er
die Sünde im Fleische, damit die Rechtfertigung des
Gesetzes in uns erfüllt würde.“[8]
Er sagt nicht: „in der Aehnlichkeit des Fleisches“, weil
Christus die Wirklichkeit, nicht bloß die Aehnlichkeit
des menschlichen Fleisches angenommen hat: er sagt auch
nicht, „in der Aehnlichkeit der Sünde“, weil der Herr
nie eine Sünde begangen hat, sondern zur Sünde für uns
geworden ist. Nein, er kam „in der Aehnlichkeit des
Fleisches der Sünde“, d.h. er nahm die Aehnlichkeit des
sündigen Fleisches an: die „Aehnlichkeit“ aber, weil
geschrieben steht: „Es ist ein Mensch, und wer wird ihn
erkennen?“[9]
Er war Mensch im Fleische nach Menschenart, (S. 238) so
daß er erkannt wurde. Aber er war an Kraft weit über den
Menschen hinaus, so daß er nicht erkannt wurde. So hat
er also hier unser Fleisch angenommen, aber die Sünden
dieses Fleisches hat er nicht angenommen.
Nicht wie jeder andere Mensch ist ja der
Herr geworden; nein, er ist geboren vom heiligen Geiste
aus der Jungfrau Maria, und so hatte er einen makellosen
Leib empfangen, den nie eine Sünde befleckt hat, der
auch in seinem Entstehen nicht von der leisesten Makel
des Fleisches berührt ist. Alle Menschen werden sonst
unter dem Gesetze der Sünde geboren, wie David gesagt
hat: „Siehe in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in
Sünden hat mich geboren meine Mutter.“ Deshalb spricht
Paulus von dem Leibe des Todes, wenn er sagt: „Wer wird
mich retten aus dem Leibe dieses Todes?“ Christi
schuldloses Fleisch hat also die Sünde verurtheilt, die
bei der Geburt ihn nicht berührte, die er sterbend
gekreuzigt hat, so daß nun in unserem Fleische die
Rechtfertigung durch die Gnade war, während vorher der
Augenblick unseres Werdens nicht ohne Schuld war.[10]
Was anders sollen wir nun dazu sagen,
als was der Apostel gesagt hat: „Wenn Gott für uns ist,
wer ist wider uns? Er, der selbst seines eigenen Sohnes
nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben
hat; wie sollte er uns nicht Alles mit ihm geschenkt
haben? Wer wird die Auserwählten Gottes anklagen? Gott,
der gerecht macht? Wer wird verurtheilen? Christus
Jesus, der gestorben ist, ja, der auch auferstanden ist,
der zur rechten Hand Gottes sitzet, der auch fürbittet
für uns?[11]
Diejenigen, für welche (S. 239) Christus Fürbitte
einlegt, klagt also Novatian an. Diejenigen, welche
Christus zum Leben erlöst hat, die verurtheilt Novatian
zum Tode. Denjenigen, zu welchen Jesus gesagt hat:
„Nehmet mein Joch auf euch, und lernet von mir, denn ich
bin sanftmüthig“, ruft Novatian zu: „Ich bin ohne
Erbarmen, ohne Sanftmuth.“ Denjenigen, zu welchen
Christus sagt: „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen,
denn mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht“,
legt Novatian ein schweres und hartes Joch auf.
Cap. 4
Obgleich das Gesagte uns schon
hinreichend belehrt, wie sehr der Herr Jesus zum
Erbarmen geneigt ist, so möge er doch mit jenen Worten
uns belehren, mit denen er uns dem Schreckenseindruck
der Verfolgung gegenüber unterweisen wollte. „Fürchtet
nicht diejenigen“, sagt er, „welche den Leib töten, die
Seele aber nicht töten können: fürchtet vielmehr
denjenigen, der Leib und Seele zugleich in die Hölle
stürzen kann.“ Und weiter: „Jeden, der mich bekennen
wird vor den Menschen, den werde auch ich bekennen vor
meinem Vater, der im Himmel ist. Wer aber mich vor den
Menschen verleugnet hat, den werde auch ich verleugnen
vor meinem Vater, der im Himmel ist.“
Wo er sagt: „Ich werde bekennen,“ da
tritt er für Alle ein, da umfaßt er Alle; wo er sagt:
„Ich werde verleugnen,“ da schließt er nicht Alle ein.
Da er zuerst sagt: „Jeden, der mich bekennet, den werde
ich bekennen,“ sollte man erwarten, daß er auch ferner
sagte: „Jeder, der mich verleugnet.“ Damit es nicht den
Anschein gewänne, als meine er auch hier Alle, so fügt
er weniger bestimmt hinzu: „Wer aber mich verleugnet,
den werde ich verleugnen.“ Die Gnade verspricht er
Allen, aber er droht keineswegs Allen die Strafe an. Das
Erbarmen dehnt er aus, das Rächen schränkt er ein.
Dabei ist zu bemerken, daß das nicht
allein in dem Evangelium des heiligen Matthäus, sondern
auch in dem (S. 240) des heiligen Lukas sich
aufgezeichnet findet: wir sollen eben erkennen, daß
beides nicht obenhin, ohne Grund gesagt ist.
Haben wir so das Wort der Schrift uns
vorgeführt, so erfassen wir jetzt den Sinn der Worte!
„Jeder, der mich bekennen wird,“ sagt er, d.h.: „In
welchem Alter, in welcher Lebensstellung mich Jemand
bekennen wird, der wird der Vergeltung, daß ich auch ihn
bekenne, nicht entbehren.“ Wenn er sagt: „Jeder“, so
wird keiner von der Belohnung ausgeschlossen, der ihn
bekannt hat. Dagegen wird keineswegs in gleicher Weise
Jeder, der ihn verleugnet hat, auch wieder verleugnet;
kann es ja doch geschehen, daß Jemand, überwältigt durch
die Qualen, mit dem Munde ihn verleugnet, während er ihn
im Herzen anbetet.
Ist denn die Sachlage ganz gleich bei
demjenigen, der aus sich selbst, so ganz ohne äußere
Veranlassung den Herrn verleugnet, und demjenigen, den
die Qualen, nicht der eigene Wille zu diesem Verrathe
gegen Gott gebracht haben? Wie unzulässig wäre das, wenn
bei den Menschen milde Nachsicht im Kampfe gelten
sollte, während Gott dem Herrn gleiche Milde
abgesprochen wird? Pflegt doch oftmals das Volk bei den
Gladiatorenkämpfen auch die Besiegten, wenn ihr Kampf
Billigung fand, zugleich mit den Siegern mit dem
Siegeskranze zu belohnen; zumal dann, wenn man erkannt,
daß sie durch List oder Betrug des Sieges verlustigt
wurden. Wird denn nun Christus zugeben, daß seine treuen
Kämpfer, die er unter wuchtigen Qualen für einen
Augenblick erliegen sah, ganz ohne Verzeihung bleiben?
Sollte der Herr, der selbst die, welche
er verstößt, nicht für ewig verstößt, ihr Mühen und
Kämpfen denn nicht in Anschlag bringen? Sagt doch David:
„Nicht ewiglich wird der Herr verstoßen“ und der Irrthum
sagt dagegen: „Er wird doch ewiglich verstoßen?“ „Nicht
für immer wird er sein Erbarmen zurückziehen von
Geschlecht zu Geschlecht, nicht für immer wird Gott
vergessen gnädig zu sein.“[12]
(S. 241) So königliche Sänger, und es gibt Menschen, die
Gottes Erbarmen eindämmen wollen?
Cap. 5
Die Irrlehrer behaupten freilich, daß sie
nur um deßwillen ihre Meinung aufrecht halten, damit sie
den Schein vermeiden, Gott als wandelbar hinzustellen,
sofern er nämlich denjenigen Verzeihung gewähre, denen
er noch vorher gezürnt habe. Aber wie? Sollen wir die
ewigen Gottessprüche zurückweisen und den Meinungen
dieser Menschen folgen? Gott ist doch nicht nach fremden
Meinungen, sondern nach seinen eigenen Worten zu
beurtheilen. Welches sprechendere Zeugniß seines
Erbarmens können wir anführen, als daß er selbst beim
Propheten Osee denen, welchen er in seinem Zorne Strafe
androhte, alsbald wieder versöhnt Verzeihung ankündigt?
Zuerst sagt er: „Was soll ich dir thun, Ephraim? was
soll ich dir thun, Juda? da eure Liebe ist wie
Morgengewölk und wie der Thau, der frühe davon geht.“
Dann aber sagt er später: „Wie könnte ich dich hingeben,
Ephraim, dich preisgeben Israel? ich könnte dich
hingeben, wie Adama und Seboim.“[13]
Mitten in seinem Zorne hält er inne, wie überwältigt von
väterlichem Erbarmen, und erwägt, wie er den Irrenden
zur Buße führen möchte. Wie sehr Juda auch schuldig ist,
geht Gott doch mit sich selbst zur Rathe. Er sagt: „Ich
könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim,“ wie jene
Städte, welche, Sodoma benachbart, auch gleiches
Schicksal, gleichen Untergang erlitten; aber er fügt
alsbald hinzu: „Umgewandt hat in mir sich mein Herz, mit
eins ist erregt mein (S. 242) Mitleiden. Nicht werde ich
ausführen meines Zornes Gluth.“
Scheint es nicht, als ob der Herr Jesus
uns sündigen Menschen nur deßhalb zürnt, um uns durch
die Furcht vor seinem Zorne zu bekehren? So ist denn
sein Unwille nicht die Ausführung seiner Rache, sondern
vielmehr die Vorbereitung der Verzeihung: denn so hat er
gesagt: „Wenn du umkehrest und in Reueschmerz seufzest,
wirst du gerettet werden.“[14]
Er erwartet unser Seufzen hier in der Zeit, damit er es
in der Ewigkeit uns erlassen, er erwartet unsere
Thränenströme, damit er seine Milde über uns ergießen
kann. So hat er im Mitleid mit den Thränen jener
verwittweten Mutter im Evangelium den Sohn derselben
wieder erweckt. Er erwartet unsere Umkehr, damit er
selbst sich wieder zur Gnade wende. In uns würde die
Gnade dauernd bleiben, wenn kein Sündenfall sich in
unsere Seele einschliche; da wir aber durch unsere
Sünden ihn beleidigen, zeigt er sich unwillig, damit wir
gedemüthigt werden. Wir werden aber gedemüthigt, damit
wir mehr der Erbarmung als der Strafe würdig
erscheinen.
Auch das Wort des Propheten Jeremias
möge zur Belehrung dienen: „Nicht auf ewig verwirft der
Herr; denn wenn er auch betrübet hat, so erbarmt er sich
doch nach der Menge seiner Erbarmungen; nicht mit Lust
demüthigt und verwirft er die Menschenkinder.“[15]
Aus dem, was auf diese Worte folgt, dürfen wir dann
schließen, daß gerade deßhalb der Herr „alle Gefangenen
des Landes unter seine Füße erniedrigt“, damit wir
seinem Strafurtheile entgehen. Wahrlich nicht freudig
und mit Lust erniedrigt er den Sünder bis zur Erde, da
er ja von der Erde aufrichtet den Schwachen und aus dem
Staube erhebt den Armen. (S. 243) Nicht mit Lust
erniedrigt derjenige, der sich die Verzeihung
vorbehält.
Wenn er nun überhaupt nicht mit Lust den
Sünder demüthigt, um wie viel mehr trifft das bei
demjenigen zu, der gleichfalls nicht mit voller
Herzenshingabe gesündigt hat! Wenn er von den Juden
sagte: „Dieses Volk ehret mich mit den Lippen, aber ihr
Herz ist weit von mir entfernt,“ dann sagt er vielleicht
von manchen Gefallenen: „ Sie haben mit den Lippen mich
verleugnet, aber im Herzen sind sie mit mir vereint. Die
Qual hat viele Armen überwältigt, keineswegs hat
Treulosigkeit sie verführt.“ Und doch verweigern Manche
diesen die Verzeihung während ihr Verfolger selbst für
ihren treuen Glauben Zeugniß abgelegt hat, indem er
durch Marter und Qualen ihn zu brechen versuchte. Sie
haben einmal den Herrn verleugnet, aber seitdem bekennen
sie ihn tagtäglich; einmal haben sie ihn verleugnet im
Worte, aber seitdem bekennen sie ihn mit ihren Seufzern
und Klagerufen, mit ihren Thränen und mit Worten, die
freiwillig dem Herzen entströmen, die nicht erzwungen
sind. Sie sind freilich auf kurze Zeit der Versuchung
des Teufels erlegen: aber bald nachher hat der Teufel
wieder von ihnen weichen müssen, da er sie als sein
Eigenthum nicht erwerben konnte. Er hat vor ihren
Thränen, ihrer Buße weichen müssen; er hatte sich in sie
hineingeschlichen, da sie ihm nicht gehörten, hat er sie
wieder verloren, nachdem sie sein gewesen.[16]
Verhält sich das nicht genau so, als
wenn ein Eroberer die Bewohner einer bezwungenen Stadt
gefangen hinwegführt? Sie werden gefangen hinweggeführt,
aber gegen ihren Willen. Gezwungen wandern sie dem
fremden Lande zu, aber ihr Herz zieht nicht mit, es eilt
zur Heimat zurück und sinnt auf Mittel, dorthin den Weg
wieder zu finden. Und wenn sie nun heimkehren, wer kann
dann rathen, sie nicht wieder (S. 244) aufzunehmen? Ihre
Ehre mag in etwas gemindert sein, aber ihr Eifer ist nur
um so größer und hingebender, Alles zu vermeiden, was
der Feind gegen sie ausbeuten könnte. Während du dem
Bewaffneten, der noch kämpfen konnte, verzeihest, willst
du dem nicht verzeihen, in dem einzig der Glaube
kämpfte.
Und wenn wir die Meinung des Teufels
selbst über diese Gefallenen erforschen wollten, scheint
es nicht, als müßte er sagen: „Dieses Volk ehrt mich mit
den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt. Wie
kann es mit mir halten, während es von Christus nicht
gewichen ist? Die scheinen zu Unrecht mich zu ehren,
welche die Lehre Jesu befolgen: ich aber glaubte, daß
sie meine Lehre verkündigten“? Sie verurtheilen in der
That nur noch mehr und schärfer, wovon sie sich nach
trauriger Erfahrung abgewandt haben. Wenn Jesus sie bei
ihrer Rückkehr wieder aufnimmt, so wird er in ihnen nur
um so mehr verherrlicht. Alle Engel jubeln; denn es ist
im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der Buße thut,
als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht
bedürfen. „Ueber mich“, muß der Teufel bekennen, „wird
so im Himmel, wie auf Erden triumphirt. Nichts geht doch
Christus verloren, das diejenigen, welche in den Thränen
ihrer Martern zu mir kamen, sehnsuchtsvoll zur Kirche
zurückeilen. Durch ihr Beispiel laufe ich obendrein noch
Gefahr, auch die zu verlieren welche sich mir
verschrieben haben, und welche nun zu der Einsicht
gekommen sind, daß hier, wo die Menschen mit Belohnung
der Gegenwart verlockt werden, doch eigentlich Nichts
ist; daß dort aber gar viel sein muß, wo Seufzen,
Thränen, Fasten und Abtötungen meinen Ueppigkeitsmahlen
vorgezogen werden.“
Cap. 6
Diese nun schließet ihr Novatianer aus?
Oder ist das etwa nicht ausschließen, wenn ihr ihnen die
Hoffnung auf Verzeihung versagt? Aber der Samaritaner
ging doch an (S. 245) dem Menschen, den die Räuber
halbtodt hatten liegen lassen, nicht mitleidslos
vorüber! Nein, er träufelte Oel und Wein in seine
Wunden, Oel zuerst, um sie zu erquicken. Dann lud er den
Verwundeten auf sein Lastthier: so trug er stets alle
Seelenwunden der Sünder hinweg. Auch der gute Hirt
verachtete nicht das verirrte Schaf.
Ihr aber saget: „Rühre mich nicht an!“
Ihr, die ihr euch gerne gerecht machen wollet, ihr
saget: „Es ist nicht unser Nächster.“ So seid ihr noch
stolzer, als jener Gesetzesgelehrte, der den Herrn
versuchen wollte und sprach: „Wer ist mein Nächster?“
Dieser fragte doch nur, ihr leugnet es geradezu. Jenem
Priester vergleichbar schreitet ihr einher, wie jener
Levit geht ihr vorüber an dem, welchen ihr zur Heilung
aufnehmen müsstet; ihr nehmet in die Herberge, der
Christus die beiden heiligen Münzen zurückließ, den
nicht auf, dessen Nächster ihr sein sollt, damit ihr an
ihm Barmherzigkeit übet. Gerade der ist euer Nächster,
den nicht bloß gleiche Natur, sondern auch das Erbarmen
mit euch verbunden hat. In eurem Stolze erachtet ihr
euch als fremd gegen ihn, und indem ihr euch ganz ohne
Grund in eurem fleischlichen Stolze erhebet, haltet ihr
nicht Gemeinschaft mit dem Haupte. Hieltet ihr an diesem
fest, so müßtet ihr wissen, daß ihr den nicht verlassen
dürft, für welchen Christus gestorben ist; ihr müßtet
dann wissen, daß der ganze Leib mehr durch innigeres
Zusammenschließen, als durch Ablösen zur Ehre Gottes
durch das Band der Liebe, durch die Erlösung des Sünders
wächst.
Wenn ihr nun so jede Frucht der Buße
hinwegnehmt, was sagt ihr dann anders, als dieses:
„Keiner von den Verwundeten mag in unsere Herberge
eintreten? In unserer Kirche wird ja Niemand geheilt.
Bei uns genesen keine Kranke; wir sind allesammt gesund
und bedürfen keines Arztes, ganz so wie der Herr selbst
gesagt hat: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes,
sondern die Kranken."
Cap. 7 (S. 246)
So komme denn du, Herr Jesu, ganz zu
deiner Kirche, da Novatian Ausreden vorbringt. Er sagt:
„Ich habe ein Joch Ochsen gekauft;“ er nimmt das sanfte
Joch Christi nicht auf und legt seinem Halse eine
schwere Last auf, die er nicht tragen kann. Novatian
hielt deine Diener, von welchen er eingeladen wurde,
zurück, that ihnen Schmach an und tödtete sie, weil er
ihnen die Beleidigung einer wiederholten Taufe[17]
zufügte. Sende also an die Ausgänge der Wege und rufe
Gute und Böse herbei; führe Schwache, Blinde, Lahme in
deine Kirche. Laß dein Haus sich füllen, rufe Alle zu
deinem Mahle: du wirst ja den. welchen du rufst, auch
würdig machen, wenn er nur dir folgt. Jener wird
freilich verworfen, der kein hochzeitlich Kleid trägt,
d.h. der das Kleid der Gnade, den Mantel der Liebe nicht
besitzt: Sende denn, sage ich, zu Allen!
Deine Kirche, Herr! bleibt nicht von
deinem Mahle zurück, wie Novatian das thut. Deine
Familie sagt nicht: „Ich bin gesund und bedarf keines
Arztes.“ Wohl aber sagt sie: „Heile mich, Herr, so werde
ich geheilt werden; hilf mir, so ist mir geholfen!“[18]
Das Bild deiner Kirche ist jenes Weib des Evangeliums,
das rückwärts hinzutrat und den Saum deines Gewandes
berührte, indem sie bei sich sprach: „Wenn ich nur sein
Gewand berühre, werde ich gesund werden." So bekennt die
Kirche ihre Wunde, aber sie gibt auch dem Wunsche
Ausdruck, geheilt zu werden.
Auch du, Herr! wünschest ja, Alle zu
heilen, aber nicht Alle wollen geheilt werden. Novatian
will es nicht, da er (S. 247) sich für gesund hält. Du,
o Herr, der du in dem Geringsten unsere Schwäche
fühlest, sagst selbst, daß du in uns krank seiest: „Ich
war krank und ihr habt mich besucht." Novatian unterläßt
es, jenen Geringsten zu besuchen, in dem du, o Herr,
besucht zu werden verlangst. Du sagst dem Petrus, der
sich die Füße von dir nicht wollte waschen lassen: „Wenn
ich dir die Füße nicht wasche, hast du keinen Theil an
mir." Wie können dann jene Theil an dir haben, o Herr,
welche die Schlüssel des Himmelreiches nicht annehmen,
weil sie leugnen, daß sie Sünden nachlassen dürften?
Begründet ist freilich dieses Bekenntniß;
denn sie haben keinen Theil an Petri Erbe, weil sie den
Stuhl Petri, von dem sie in gottloser Spaltung sich
losgerissen, nicht fest halten. Verwerflich aber ist die
fernere Behauptung, daß auch in der Kirche die Sünden
nicht könnten vergeben werden. Und doch hat der Herr zu
Petrus gesagt: „Dir will ich die Schlüssel des
Himmelreiches geben; was immer du auf Erden binden
wirst, das soll auch im Himmel gebunden sein; was aber
du auf Erden lösen wirst, das soll auch im Himmel
gelöset sein." Der Apostel aber, der als das Gefäß der
Auserwählung bezeichnet wird, sagt ausdrücklich: „Wem
ihr verziehen habt, dem habe auch ich verziehen; was ich
aber vergeben habe, das geschah um euretwillen an
Christi Statt."[19]
Warum lesen nun Jene noch die Briefe Pauli, wenn sie
glauben, daß derselbe in so gottloser Weise geirrt habe,
daß er sich das Recht seines Herrn anmaßte? Nein, der
Apostel nahm in Anspruch, was er empfangen hatte;
keineswegs maßte er sich Ungebührliches an.
Cap. 8
Der Herr will, daß seine Jünger volle
Gewalt haben; er will, daß in seinem Namen von seinen
Jüngern alles (S. 248) das vollbracht werde, was er
selbst gewirkt, so lange er auf der Erde weilte. Hat er
ihnen ja sogar gesagt: „Ihr sollet noch Größeres thun,
als dieses." Er gab ihnen die Macht, Todte zu erwecken.
Obwohl er selbst dem Saulus das Augenlicht wieder
herstellen konnte, sandte er ihn doch zu seinem Diener
Ananias, damit durch dessen Segnung das geschwundene
Augenlicht wieder erschlossen würde. So hieß er auch den
Petrus auf dem Meere wandeln, und nur als er bange
zitterte, da tadelte er ihn, daß er die Gnadengabe des
Glaubens durch Kleingläubigkeit verminderte. So verlieh
er auch den Jüngern, daß sie das Licht der Welt sein
könnten, wie er selbst das Licht der Welt war. Da er aus
dem Himmel auf die Erde herabsteigen und wieder zum
Himmel zurückkehren wollte, hat er auch den Elias zum
Himmel erhoben, um auch ihn zur gegebenen Zeit wieder
auf die Erde herabzusenden. Da er selbst im Feuer und
dem heiligen Geiste taufen wollte, hat er durch Johannes
die Geheimnisse der Taufe zum Voraus angedeutet.
Ja, Alles hat er seinen Jüngern gegeben,
da er zu ihnen sagt: „In meinem Namen werden sie Teufel
austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden,
Schlangen aufbeben, und wenn sie Tödtliches trinken,
wird es ihnen nicht schaden; den Kranken werden sie die
Hände auflegen und diese werden genesen." Alles hat er
ihnen also verliehen; aber da ist nicht von menschlicher
Macht und Gewalt die Rede, wo nur die Gnade des
göttlichen Geschenkes gilt.
Warum leget ihr denn nun die Hände auf
und glaubet an den Erfolg der Segnung, ob etwa der
Kranke doch vielleicht genese? Warum nehmt ihr an, daß
Einige von den: Einfluß des Teufels durch euch könnten
befreit werden? Warum taufet ihr. wenn durch Menschen
überhaupt keine Sünden dürfen nachgelassen werden? In
der Taufe findet doch auch der Nachlaß aller Sünden
statt: was ist denn für ein Unterschied vorhanden, ob
die Priester im Sakramente der Buße oder im Sakramente
der Taufe dieses (S. 249) ihnen verliehene Recht für
sich in Anspruch nehmen? Dasselbe Geheimniß ist hier,
wie dort.
Du entgegnest mir, daß im Bade der
Wiedergeburt die Gnade der Geheimnisse wirkt. Was wirkt
denn in der Buße? Oder wirkt dort nicht auch der Name
und die Kraft Gottes? Wie nun? laßt ihr die Gnade da
eintreten, wo es euch gefällt, während ihr sie
zurückweiset, wenn es euch beliebt? Aber das ist doch
unerträgliche Anmaßung, nicht heilige Furcht, wenn euch
diejenigen zuwider sind, welche Buße thun wollen. Ihr
könnet wohl die Thränen der Büßenden nicht ertragen?
Eure Augen werden wohl verletzt durch die Armuth der
Bußgewänder, durch den Schmutz des Trauerkleides?
Stolzen Auges, hochmüthigen Herzens saget ihr zarten
Seelen mit unwilliger verächtlicher Stimme: „Rühre mich
nicht an; denn ich bin rein."
Der Herr sagt freilich zu Maria
Magdalena: „Rühre mich nicht an;" aber er, der doch ganz
rein war, setzt nicht hinzu: „denn ich bin rein." Und
du, Novatian, du wagst es, dich rein zu nennen? Wärest
du rein in deinen Handlungen, dieses hochmüthige Wort
allein machte dich unrein. Isaias rief einst: „Weh mir
armen zerschlagenen Manne! ich bin ein Mensch, habe
unreine Lippen und soll in der Mitte eines Volkes
wohnen, das auch unreine Lippen hat.“ Du sagst: ich bin
rein; und doch ist nach den Worten der Schrift nicht das
Kind von einem einzigen Tage rein. David flehte: „Von
meiner Missethat, Herr, reinige mich;" und doch hat ihn,
da er barmherzig war, die Gnade des Herrn so oft
gerechtfertigt. Du willst rein sein und bist doch so
ungerecht, daß du kein Erbarmen fühlst, daß du vielmehr
den Splitter im Auge deines Bruders siehest, während du
den Balken im eigenen Äuge nicht beachtest? Jeder, der
unbillig handelt, ist aber bei Gott unrein. Und was kann
es Unbilligeres geben, als wenn man die Nachlassung der
eigenen Sünde beansprucht, während man Anderen die Bitte
abschlagen zu müssen glaubt. Was gibt es Ungerechteres,
als dich selbst gerechtfertigt zu erachten, (S. 250)
während du den Nächsten verurtheilst, obwohl du
schwerere Verbrechen begehst.
Uebrigens wollte der Herr Jesus die
Verzeihung unserer Sünden auch damals deutlich genug
kundgeben, als er dem Johannes auf dessen Ausruf: „Ich
sollte von dir getauft werden, und du kommst zu mir?"
antwortete: „Laß es nur geschehen, denn es geziemt uns,
alle Gerechtigkeit zu erfüllen." So kam der Herr zu
einem Sünder, da er doch selbst ganz ohne Sünde war; er
wollte getauft sein, obwohl er keiner Reinigung
bedurfte. Wer kann denn nun euch ertragen, die ihr
keiner Reinigung durch die Buße zu bedürfen glaubt, weil
ihr durch die Taufgnade gereinigt zu sein behauptet,
gleichsam als wenn es für euch unmöglich wäre, zu
sündigen?
Cap. 9
Freilich wendest du ein, daß geschrieben
steht: „Wenn Mensch gegen Mensch sündigt, so wird man
Fürbitte für ihn einlegen bei Gott; wenn aber ein Mensch
wider Jehovah sündigt, wer mag dann bittend für ihn
eintreten?"[20]
Zunächst wiederhole ich, daß ich diesen Einwurf (von
deinem Standpunkte aus) allenfalls würde hingehen
lassen, wenn du lediglich die Abgefallenen von der
Verzeihung ausschlössest. Dann aber frage ich: welche
Bedenklichkeit bringt denn jene Frage? Es steht ja nicht
geschrieben: "Niemand (S. 251) wird für ihn bitten,"
sondern: „Wer wird bittend eintreten?" Damit wird nur
die Frage aufgeworfen, wer in solchem Falle sich finden
würde, der bittend eintreten könnte; keineswegs wird
diese Möglichkeit ausgeschlossen.
So liesest du im vierzehnten Psalm:
„Herr, wer wird wohnen in deinem Zelte, oder wer wird
ruhen auf deinem heiligen Berge?" Damit ist nicht
gesagt, daß Keinem dieses Loos zu Theil werde, sondern
lediglich, daß nur der Bewährte, nur der Auserwählte
dort wohnen und ruhen werde. Um zu beweisen, daß das der
wahre Sinn der Worte ist, genügt es, die folgenden Worte
des dreiundzwanzigsten Psalmes anzuführen: „Wer wird
hinaufsteigen den Berg des Herrn? oder wer wird stehen
an seinem heiligen Orte?" Der Psalmist will sagen: Nicht
jeder gewöhnliche Mensch aus dem großen Haufen, sondern
nur ein Mann von hervorragendem Lebenswandel und
besonderem Verdienste wird hinaufsteigen. Das „Wer?" ist
nicht gleichbedeutend mit „Keiner," sondern mit „Irgend
ein bestimmter." Darum antwortet David auf die Frage:
„Wer wird hinaufsteigen?" auch sofort: „Derjenige,
welcher unschuldig an Händen und rein von Herzen ist."
Anderswo heißt es: „Wer ist weise und versteht dieses?"
Soll denn damit gesagt werden, daß Keiner es verstehe?
Im Evangelium aber heißt es: „Wer ist der treue und
kluge Haushalter, den der Herr setzen wird über sein
Gesinde, damit er zur rechten Zeit ihnen den
angemessenen Unterhalt reiche?" Und um zu zeigen, daß er
hier von Jemanden rede, der allerdings vorhanden sei,
fügt der Heiland hinzu: „Selig ist derselbe Knecht, den
der Herr, wenn er kommt, also thun findet."[21]
Dahin gehört, meines Erachtens. auch jenes Wort: „Wer, o
Gott, ist dir gleich?" Darauf ist nicht zu antworten:
schlechthin Keiner; denn der Sohn ist ja der Abglanz des
Vaters. (S. 252) In gleicher Weise ist auch das Wort zu
fassen: „Wer wird bittend für ihn eintreten?" Es heißt:
Jemand muß von besonders heiligmäßigem Lebenswandel
sein, wenn er für den eintreten will, der gegen den
Herrn gesündigt hat. Je größer die Schuld ist, desto
würdigere Fürsprecher muß man suchen. Nicht irgend ein
Beliebiger aus der Menge, sondern Moses selbst bat für
das Volk der Juden, als sie uneingedenk des
geschlossenen Bundes das goldene Kalb anbeteten. Befand
sich nun Moses damals im Irrthum? Gewiß nicht, denn er
hat das, um was er bat, verdient und erhalten. Was
sollte auch eine solche Liebe nicht erlangen, die sich
selbst für das Volk darbietet, mit den Worten: „Wenn du
ihnen die Sünde verzeihest, wohl dann; wenn nicht, dann
tilge mich aus dem Buche des Lebens." Da sehet ihr, daß
er nicht als ein gezierter ängstlicher Fürsprecher mit
sich zu Rathe geht, ob darin etwa eine Beleidigung
liege: was Novatian zu fürchten behauptet. Er denkt an
das ganze Volk, an sich denkt er nicht, und so fürchtet
er auch nicht, Gott dadurch zu beleidigen, daß er das
Volk von der Gefahr der Beleidigung Gottes befreit.
Mit Recht steht also geschrieben: „Wer
wird bittend für ihn eintreten?" d.h. Jemand, wie Moses,
der sich selbst für die Schuldigen darbot; Jemand, wie
der Prophet Jeremias, dem der Herr gesagt hatte: „Bitte
nicht für jenes Volk,“ und der doch bat und Verzeihung
erwirkte.[22]
Auf die Fürbitte des Propheten nämlich, und bewegt durch
das Flehen des erhabenen Sehers, wendete sich der Herr
wieder zu Jerusalem, das inzwischen auch Buße für seine
Vergehungen gethan hatte, da es flehte: „Und nun,
allmächtiger Herr, Gott Israels, eine Seele in Aengsten
und ein beklommener Geist rufet zu dir! Höre, o Herr,
und erbarme dich; du bist ja ein barmherziger Gott,
erbarme dich unser, denn wir haben gesündigt." Der Herr
befahl dann, die Trauergewande abzulegen und den
Bußthränen zu mehren. (S. 253) So steht ja geschrieben
das Wort des Herrn: „Zeuch aus, Jerusalem, das Kleid
deiner Trauer und Qual und thue an die Zier und Ehr'
jener ewigen Herrlichkeit, die Gott dir verleiht."[23]
Cap. 10
Solche Fürsprecher muß man also bei dem
schwersten Vergehen suchen. Wenn dagegen gewöhnliche
Menschen aus dem Volke bittend eintreten, so werden sie
freilich keine Erhörung finden.
Deßhalb kann die fernere Frage, die ihr
aus dem Briefe des heiligen Johannes herübernehmt,
keinerlei Bedenken erregen. „Wer da weiß," sagt der
Apostel, „daß sein Bruder sündige, aber nicht zum Tode,
der bitte, und es wird dem, der nicht zum Tode sündiget,
das Leben gegeben werden. Es gibt eine Sünde zum Tode,
und nicht für diese sage ich, daß Jemand bitten solle."[24]
Er redet nicht zu Moses und Jeremias, sondern zu dem
Volke, welches für seine Sünden einen anderen
Fürsprecher haben mußte. Ihm, dem Volke, mußte es genug
sein, für die leichteren Vergehen bei Gott Fürbitte
einzulegen, während es sich überzeugt halten mußte, daß
nur die Gebete der Gerechten Gnade für die schwereren
Sünden erwirken könnten. Wie sollte sonst Johannes
behaupten können, man dürfe für schwerere Vergehen nicht
bittend auftreten, da er doch wußte, dass Moses bei
seiner Fürbitte Erhörung gefunden, als es sich um einen
ganz freiwilligen Abfall handelte? Nicht minder wußte
er, daß Jeremias mit gleichem Erfolge gebeten hatte.
Wie sollte nun Johannes behaupten
können, man dürfe (S. 254) nicht für die Sünde, welche
zum Tode ist, eintreten, da er doch in der geheimen
Offenbarung jenes Gebot an den Engel der Kirche von
Pergamos schrieb? „Du hast daselbst Einige, welche die
Lehre Balaams halten, der den Balak lehrte, ein
Aergerniß anzurichten vor den Kindern Israels,
Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben: so hast
auch du, welche die Lehre der Nicolaiten halten. Thue
auch du Buße: wo nicht, so komme ich dir schnell." Seht
ihr, wie Gott, der die Buße fordert, auch Verzeihung
zusagt? Er fügt nämlich hinzu: „Wer Ohren hat, der höre,
was der Geist den Gemeinden sagt: wer überwindet, dem
will ich von dem verborgenen Manna zur Speise geben."
Hatte etwa Johannes nicht erfahren, daß
Stephanus für seine Verfolger betete, obwohl diefe nicht
einmal den Namen Christi hören konnten? Für diejenigen,
welche ihn steinigten, flehte er: „Herr, rechne es ihnen
nicht zur Sünde." Wie wirksam dieses Gebet war, zeigt
uns der Apostel. Es wurde ja Paulus, der die Kleider der
Steiniger bewacht hatte, nicht lange nachher durch die
Gnade Christi ein Apostel des Herrn, wie er vorher sein
Verfolger gewesen war.
Cap. 11
Da wir nun einmal des Briefes Johannis
erwähnt haben, so wollen wir auch betrachten, was in
seinem Evangelium geschrieben steht, um zu erkennen, ob
das mit eurer Auslegung übereinstimmt. Hier erzählt er.
daß der Herr gesagt habe: „So sehr hat Gott die Welt
geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn dahin gab. so
daß Jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe,
sondern das ewige Leben habe." Wenn du nun einen
Gefallenen zurückzuführen wünschest. wirst du ihn
ermahnen, daß er glaube, oder daß er nicht glaube?
Sicher, daß er glaube. Aber wer glaubt, der hat nach dem
Worte des Herrn das ewige Leben. Wie willst denn du nun
wehren, für den bittend einzutreten, dem das ewige Leben
zu Theil werden soll? da doch der (S. 255) Glaube ein
Geschenk der göttlichen Gnade ist, wie das der Apostel,
wo er von der Vertheilung der Gnadengaben spricht, ganz
ausdrücklich lehrt. So flehen auch die Jünger: „Mehre
uns den Glauben." Wer also den Glauben hat, der hat das
Leben; wer aber das Leben hat. der ist doch wahrhaftig
nicht ausgeschlossen von der Verzeihung. „Jeder, der an
mich glaubt," sagt der Herr, „wird nicht verloren
gehen." „Jeder" sagt er: so ist denn Keiner
zurückgewiesen, Keiner ausgeschlossen. Der Herr schließt
auch denjenigen nicht aus, der gefallen ist. wenn er nur
nachher zum vollen Glauben gelangt.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß
gar Viele nach ihrem Falle sich wieder gebessert und für
den Namen Gottes gelitten haben: Können wir nun diesen
die Gemeinschaft der Marthyrer verweigern, da der Herr
Jesus selbst sie ihnen nicht weigert? Wagen wir zu
behaupten, daß denen das Leben nicht zurückgegeben sei,
denen Christus den Siegeskranz verliehen hat? Wie nun so
Manchen, wenn sie nach dem Falle Martern ertragen, der
Siegeskranz zu Theil wird, so erhalten sie auch, wenn
sie vertrauensvoll zum Herrn sich wenden, die Gnade des
Glaubens wieder. Dieser Glaube ist ja ein Geschenk
Gottes. Denn so steht geschrieben: „Euch ist in
Beziehung auf Christum gegeben, nicht nur an ihn zu
glauben, sondern auch für ihn zu leiden."[25]
Kann nun der, welcher vom Herrn diese Gnadengabe
besitzt, nicht auch Verzeihung erlangen?
Diese Gnadengabe ist aber eine doppelte:
einmal an den Herrn Jesus zu glauben, dann für ihn zu
leiden. Derjenige, welcher glaubt, besitzt die eine
Gnade; die andere besitzt er, wenn sein Glaube durch
Martern und Leiden verherrlicht wird. So war Petrus, ehe
er litt, keineswegs ohne Gnade; aber in seinem Leiden
ward er auch der anderen theilhaftig. Und gar Viele gibt
es, die die Gnade, für (S. 256) Jesus zu leiden, nicht
erlangten; gleichwohl hatten sie die Gnade, an ihn zu
glauben.
Deßhalb heißt es auch: „Jeder, der an
ihn glaubt, wird nicht verloren gehen." „Jeder," d.h. in
welchem Stande er sein mag, von welchem Falle er sich
erheben muß, er darf nicht fürchten, verloren zu gehen,
wenn er glaubt. Es kann ja geschehen, daß Jemand von
Jerusalem nach Jericho wieder hinabsteigt, d.h. daß
Jemand von dem Kampfe des Marthyriums wieder in die Lust
dieses Lebens, in die Freuden, die die Welt bietet, sich
verliert, daß dieser von den Räubern, d.h. hier von den
Verfolgern verwundet und halbtodt liegen gelassen wird.
So findet ihn dann jener Samaritan des Evangeliums,
welcher der Hüter unserer Seelen ist, - heißt ja doch
Samaritan so viel als Wächter;[26]
- geht nicht vorüber, nein, er sorgt für ihn und heilt
ihn.
Wohl mir! deßhalb geht der Samaritan
nicht vorüber, weil er noch Leben in dem Verwundeten
erkennt, so zwar, daß er das volle Leben wieder erlangen
kann. Scheint nun derjenige, welcher gefallen ist, nicht
halbtodt, wenn der Glaube noch einen Lebensfunken
bewahrt hat? Wer Gott gänzlich aus seinem Herzen
vertreibt, nur der ist todt. Wer aber nur unter der
Wucht der Martern zeitweise ihn verleugnet hat. der ist
nur halbtodt. Oder aber, wenn er ganz todt ist, wie
kannst du ihm, der nicht mehr geheilt werden kann,
auflegen, Bußwerke zu übernehmen? Wenn (S. 257) er
halbtodt ist, dann gieße Oel und Wein in seine Wunden;
Oel und Wein zugleich: zum Heilen, aber zum
schmerzhaften Heilen. Ja, lade ihn nur auf dein
Lastthier. übergib ihn dem Wirthe, wende die beiden
Münzen auf seine Heilung und beweise dich ihm als
Nächster. Das kannst du aber nicht sein, wenn du nicht
Barmherzigkeit an ihm übst: nur der kann als Nächster
gelten, der nicht tödtet, sondern heilt. „Willst du sein
Nächster sein," sagt Christus, „so gehe hin und thue
deßgleichen."
Cap. 12
Ein anderes Wort sagt: „Wer an den Sohn
glaubt, der hat das ewige Leben; wer aber dem Sohne
nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern
der Zorn Gottes bleibt über ihm."[27]
Was nun bleibt, das hat doch sicher irgendwo angefangen,
und zwar hier bei der Sünde, vorher nicht geglaubt zu
haben. Sobald nun Jemand glaubt, weicht der Zorn Gottes
und das Leben kehrt zurück. An Christus glauben, ist
also Gewinn des Lebens: denn wer an ihn glaubt, der wird
nicht gerichtet.
Hier bemerken die Gegner, daß derjenige,
welcher an Christus glaube, auch sein Wort bewahren
müsse nach dem Ausspruche des Herrn: „Ich bin als das
Licht in die Welt gekommen, damit Jeder, der an mich
glaubt, nicht in der Finsterniß bleibe; wenn aber Jemand
meine Worte hört und sie bewahrt, den werde ich nicht
richten."[28]
Er richtet also nicht, und du willst richten. Er sagt:
„Damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsterniß
bleibt", d.h. damit er, (S. 258) wenn er in der
Finsterniß war, nicht in ihr bleibe, sondern seinen
Fehler bessere, seine Schuld gutmache und meine Gebote
darnach beachte. Ich habe ja gesagt: „Ich will nicht den
Tod des Sünders, sondern seine Bekehrung;" und ferner:
„Wer an mich glaubt, der wird nicht gerichtet." Ich
halte fest an meinem Worte: „Ich bin nicht in die Welt
gekommen als ihr Richter, sondern daß die Welt durch
mich selig werde." Ich verzeihe gerne, bereitwillig
erweise ich mein Erbarmen; ich will ja lieber
Barmherzigkeit, als Brandopfer. Durch das Opfer
empfiehlt sich der Gerechte; aber durch die
Barmherzigkeit wird der Sünder gewonnen; „ich bin ja
gekommen, nicht die Gerechten zu berufen, sondern die
Sünder." Im Gesetze galt das Opfer, im Evangelium gilt
Barmherzigkeit; das Gesetz ist durch Moses gegeben,
durch mich aber ist die Gnade vermittelt. Kann es nun
etwas Deutlicheres geben, als diese Worte?
Der Herr fährt fort: „Wer mich verachtet
und meine Worte nicht annimmt, der hat seinen Richter."
Scheint dir denn nun, daß derjenige die Worte Christi
annimmt, der sich nicht bekehrt? Sicherlich scheint es
dir nicht so. Aber wer sich bekehrt, der nimmt das Wort
des Herrn an; jenes Wort, nach welchem „ein Jeglicher
sich abwenden soll von seiner Schuld." Entweder mußt du
diesen Ausspruch des Herrn aus seinen Worten tilgen,
oder wenn du ihn nicht leugnen kannst, mußt du dich
dabei beruhigen.
Darnach muß also doch auch derjenige
wohl die Gebote des Herrn beobachten, der zu sündigen
aufhört, der von seinen Vergehungen abläßt. Du darfst
somit den Ausspruch Christi nicht so auslegen, als babe
er gesagt: „Wer mein Wort allezeit beobachtet hat."
Hätte der Herr das sagen wollen, so hätte er auch das
Wort „allezeit" hinzugesetzt. Da er das nicht gethan
hat, so hat er von dem gesprochen, welcher das, was er
gehört hat, auch befolgt. Nun hat dieser gehört, daß er
seinen Fehler bessern solle; indem er das that, hat er
befolgt, was er gehört hat.
Wie hart es aber sei, Jemanden zur
ständigen (aussichtslosen) Bußübung zu verpflichten, der
doch nachher die (S. 259) Gebote des Herrn beachtet,
davon mag dich derjenige überzeugen, der selbst den
Uebertretern seiner Gebote die Verzeihung nicht
verweigert hat. So spricht er: „Wenn sie meine Satzungen
entheiligen und meine Gebote nicht halten: so werde ich
heimsuchen mit der Ruthe ihre Missethaten und mit
Schlägen ihre Sünden; doch meine Barmherzigkeit will ich
nicht von ihnen hinwegnehmen."[29]
Allen verspricht er also Erbarmung.
Damit diese Erbarmung aber nicht als
ohne Unheil und Recht erscheine, so ist ein Unterschied
gemacht zwischen denjenigen, welche unausgesetzt den
himmlischen Geboten sich gehorsam gezeigt haben und
denjenigen, welche zeitweilig, von Irrthum verführt oder
durch Zwang veranlaßt, zum Falle gebracht sind. Um dem
Vorwurfe, als solle die eigene Beweisführung hier
überreden, zu entgehen, möge das Urtheil des Herrn
selbst entscheiden. „Jener Knecht", sagt er, „der den
Willen seines Herrn gekannt und doch nicht gethan hat,
was er wollte, wird viele Streiche bekommen; der ihn
aber nicht gekannt, wird weniger bekommen."[30]
Beide werden, wenn sie glauben, aufgenommen nach dem
Wort des Apostels: „Wen der Herr lieb hat. den züchtigt
er; er schlägt jedes Kind, das er aufnimmt."[31]
Den er züchtigt, den übergibt er dem Tode nicht, wie
geschrieben steht: „Hart gezüchtigt hat mich der Herr,
aber dem Tode nicht übergeben."[32]
Cap. 13
Übrigens lehrt der Apostel Paulus
keineswegs, daß man diejenigen, welche eine Sünde zum
Tode begangen haben, schlechtweg im Stich lassen dürfe:
vielmehr soll man dieselben durch das Brod, das sie
unter Trauer essen, durch den Trank, den sie mit Thränen
trinken müssen, zur Umkehr (S. 260) zwingen, immer aber
wieder so, daß auch die Traurigkeit das rechte Maß
innehalte. Das besagen die Worte des Psalmisten: „Wie
lange, Herr, willst du uns tränken mit Thränen im vollen
Maße?"[33]
Auch die Traurigkeit soll ihr Maß haben, damit
derjenige, welcher Buße thut, nicht in übermäßiger
Trauer sich verzehre. So schreibt auch der Apostel an
die Korinther: „Was wollet ihr? Soll ich mit der Ruthe
zu euch kommen, oder mit Liebe und im Geiste der
Sanftmuth?"[34]
Aber auch die Ruthe ist nicht verderbenbringend; denn
der Apostel hatte ja gelesen im Buche der Sprüche:
„Schlägst du ihn mit der Ruthe, so wirst du seine Seele
von der Hölle befreien."[35]
Was der Apostel unter dem Worte „mit der
Ruthe kommen" versteht, das zeigt der Tadel, den er über
die Unlauterkeit ausspricht, die Anklage, die er gegen
den Blutschänder erhebt, die scharfe Zurechtweisung, die
er dem Stolze derjenigen zu Theil werden läßt, welche
sich aufblähen, wo sie billig trauern sollten. Zumeist
aber erhellt es aus der Verurtheilung des Schuldigen,
der von der heiligen Gemeinschaft ausgeschlossen, dessen
Seele dem Widersacher übergeben wurde, zum Verderben
nicht des Geistes, sondern des Fleisches. Denn wie der
Herr dem Satan nicht Macht gab über die Seele Job's,
sondern nur über seinen Leib: so wird auch dieser dem
Widersacher zum Verderben des Fleisches übergeben, damit
er. „wie die Schlange den Staub leckt",[36]
so das Fleisch, nicht aber die Seele schädige.
So sterbe denn unser Fleisch den
Gelüsten; es sei gefangen und unterthan und ohne
Widerspruch gegen das Gesetz unseres Geistes; heiliger
Knechtschaft ergeben möge es sterben. So war es bei
Paulus, der seinen Leib züchtigte, damit er ihn in
Dienstbarkeit brächte, um dadurch, wenn nämlich in ihm
das Gesetz des Fleisches dem Gesetze des (S. 261)
Geistes entspräche, zugleich seine Predigt zu bewähren.
Es stirbt ja das Fleisch, wenn sein Wollen und Verlangen
übergeht auf den Geist, so daß es nun nicht mehr darnach
trachtet, was des Fleisches, sondern was des Geistes
ist. Möchte ich nun an mir selbst erfahren, daß das
Fleisch schwach wird; möchte es nur nicht gefangen
werden unter das Gesetz der Sünde; möchte ich nur leben
nicht im Fleische, sondern im Glauben Christi! So wird
dann der Gnadenerweis Gottes größer in der Schwachheit
des Fleisches, als in dessen Stärke. Deßhalb wollte ja
der Herr auch seinen Apostel, den er doch so sehr
liebte, nicht von der Armseligkeit des Fleisches
befreien. „Es genügt dir", antwortete er ihm, als er ihn
um Befreiung von derselben bat, „es genügt dir meine
Gnade; denn die Kraft wird in der Schwachheit
vollkommen." Und Paulus selbst hatte Wohlgefallen an
seinen Schwachheiten: „Wenn ich schwach bin," sagt er.
„dann bin ich stark." Die Stärke des Geistes kommt eben
in den Armseligkeiten des Fleisches zur Vollendung.
Haben wir bis jetzt den Sinn des
Paulinischen Wortes erörtert, so erübrigt noch, die
Worte selbst zu betrachten, in wiefern der Apostel
nämlich sagen kann, daß er den Sünder dem Satan übergebe
zum Verderben des Fleisches, da doch der Teufel unser
Versucher ist. Er thut einzelnen Gliedern Gebrechen an
und pflegt auch wohl den ganzen Körper in Krankheit zu
versenken. So schlug er Job mit bösem Geschwür von den
Füßen bis zum Haupte, weil er Gewalt über den Leib des
heiligen Dulders erhalten hatte durch das Wort des
Herrn: „Siehe, ich gebe ihn in deine Hand, nur schone
seines Lebens." Genau so handelte der Apostel da er
sagte, daß er den Sünder dem Satan übergebe zum
Verderben des Fleisches, damit sein Geist gerettet würde
auf den Tag unseres Herrn Jesu Christi.[37]
(S. 262) Das ist eine große Gewalt, eine mächtige
Gnadengabe, dem Teufel gebieten zu können, sich selbst
zu schädigen, sein eigen Werk zu vernichten. Das thut er
ja wirklich, wenn er einen Menschen, den er zu
unterjochen bemüht ist, gerade dadurch, daß er ihn
quält, statt schwächer, stärker macht. Denn indem er das
Fleisch mit Schwäche heimsucht, stärkt er den Geist. Die
Krankheit des Fleisches vertreibt ja die Sünde, während
die Ueppigkeit des Fleisches die Schuld auflodern läßt.
So wird der Teufel hintergangen, daß er
sich selbst mit seinem Bisse verwundet und gegen sich
denjenigen bewaffnet, den er zu schwächen glaubte. So
hat er auch dem heiligen Dulder Job stärkere Waffen
verliehen, da er ihn mit Wunden geschlagen. An seinem
ganzen Leibe mit Wunden überdeckt, ertrug er allerdings
den Biß der höllischen Schlange, aber ihr Gift hat er
nicht in sich aufgenommen. Darum wurde ihm denn auch mit
Fug gesagt: „Du wirst den Leviathan mit der Angel
herausziehen, mit ihm spielen wie mit einem Vogel; du
wirst ihn fesseln, wie der Knabe den Sperling bindet,
auf ihn die Hand legend."[38]
Du siehst nun, wie sehr der Satan von
dem Apostel überlistet wird. Es wiederholt sich, was der
Prophet sagt: „In die Höhle des Basilisken streckt das
Kind seine Hand, und die Natter schadet ihm nicht." Ja,
der Apostel zieht die alte Schlange heraus und aus ihrem
Gifte bereitet er ein geistiges Gegengift: so wird das,
was vordem Gift war, jetzt Heilmittel. Es ist Gift zum
Verderben des (S. 263) Fleisches, aber Arznei zum Heile
der Seele. Was dem Körper schadet, das rettet den
Geist.
So möge denn die Schlange den Staub des
Leibes verschlingen, ihren Zahn mag sie in das Fleisch
einsenken! Immerhin mag sie den Leib verwunden nach dem
Worte des Herrn: „Ich übergebe ihn dir; nur bewahre
seine Seele." Wie groß ist doch die Gewalt Jesu Christi,
daß er die Hut des Menschen selbst dem Satan aufzwingt,
der doch ständig schädigen will. So versöhnen wir denn
uns den Herrn Jesus; wenn Christus gebietet, dann wird
selbst der Satan der Hüter seiner Beute, - ja wider
seinen Willen muß er den himmlischen Geboten mithelfen:
selbst grausam, muß er den milden Befehlen des Herrn
gehorchen.
Aber will ich denn seine Folgsamkeit
hier rühmen? Nein, er soll immer böse bleiben, damit
Gott, der seine Bosheit in Gnade verkehrt, immer gut
sei. Jener will schaden, aber er kann nicht, wenn
Christus sich ihm entgegenstellt: er verwundet das
Fleisch, aber er bewahrt die Seele; er weidet sich an
dem Staube der Erde, aber er bewahrt den Geist. Das ist
es. was der Prophet gesagt hat: „Dann wohnet der Wolf
bei dem Lamme, Löwe und Stier weiden zusammen; die
Schlange nimmt als Speise den Staub der Erde. Sie
schaden nichts und tödten nichts auf meinem heiligen
Berge, spricht der Herr."[39]
Ist es ja das Verdammungsurtheil der Schlange: „Staub
sollst du fressen." Was für Staub? Doch wohl den, von
welchem gesagt ist: „Du bist Staub und sollst zum Staube
wieder werden."
Cap. 14
An diesem Staube sättigt sich die
Schlange, wenn der Herr uns versöhnt und gnädig ist, so
daß dann die Seele nicht mitleidet unter der Schwäche
des Fleisches, daß sie nicht mitentbrennt in der
Begierlichkeit des Fleisches, in der (S. 264) Gluth des
Leibes. „Es ist besser." sagt der Apostel. „zu heirathen,
als brennen;" denn das ist eine Flamme, welche die Seele
verzehrt. Gestatten wir diesem Feuer keinen Zugang zum
Heiligthume unserer Seele und zur Tiefe unseres Herzens,
damit wir nicht die innere Hülle der Seele verbrennen,
damit nicht die Flamme auch unsere äußere Leibeshülle.
dieses so lüsterne Fleisch verzehre. Nein, schreiten wir
vielmehr durch das Feuer hindurch. Wenn aber Jemand
unversehens in Liebesgluth versenkt wird, so schreite er
eilenden Fußes hindurch: er umschlinge das lüsterne
Begehren nicht mit den Fesseln der Gedanken; er schürze
sich nicht die Knoten der Lust mit der Schlinge steten
Erwägens. Nicht wiederholt blicke er auf die Gestalt
eines buhlerischen Weibes, wie auch die Jungfrau ihr
Auge nicht heften soll auf das Antlitz des Jünglings.
Wenn sie schon beim zufälligen Anblicke gefangen wird,
um wie viel sicherer wird sie der Gefangenschaft
erliegen, wenn sie vorwitzig hinblickt?
Der gewöhnliche Brauch mag uns belehren.
Das Weib umhüllt ihr Haupt. um auch im öffentlichen
Verkehr ihre Zucht und Scham gesichert zu halten. Nicht
leicht soll ihr Antlitz den Augen eines Jünglings sich
darbieten, darum soll sie mit dem hochzeitlichen
Schleier bedeckt sein. So wird sie nicht einmal
zufälligen Blicken sich bieten, die leicht Wunden
schlagen dem fremden oder dem eigenen Herzen: in beiden
Fällen trifft die Wunde sie selbst. Wenn sie nun ihr
Haupt verhüllt, um weder zu sehen, noch gesehen zu
werden: um wie viel mehr muß sie dann mit dem Schleier
der Scham sich umhüllen, daß sie auch im öffentlichen
Verkehr ihr Heiligthum bewahrt!
Aber angenommen, das Auge habe einen
unachtsamen, unbewachten Blick gethan, so soll
wenigstens das innere Wollen und Fühlen dem Blicke nicht
folgen. Der Blick ist noch kein Verbrechen; nur muß man
sich hüten, daß er nicht Keim und Anfang eines
Verbrechens werde. Das leibliche Auge blickt hin; dann
möge man nur das Auge des Herzens geschlossen halten,
damit die Lauterkeit der Seele unbefleckt bleibe. Wir
haben einen treuen und milden Herrn. Der (S. 265)
Prophet sagt: „Blicke nicht hin auf die Gestalt eines
buhlerischen Weibes;" der Herr aber sagt: „Wer ein Weib
ansieht, ihrer zu begehren, der bat schon im Herzen die
Ehe mit ihr gebrochen." Er sagt nicht: „Wer hinsieht,"
sondern "Wer sie ansieht, ihrer zu begehren;" er
verurtheilt nicht schon das Sehen, sondern er beachtet
das Fühlen und Wollen der Seele. Heilsam ist aber
wahrhaftig auch die Schamhaftigkeit, welche selbst die
leiblichen Augen so vollkommen gezügelt hat, daß man
oftmals auch das nicht sieht, was man erblickt. Wohl
scheint es, als ob wir beim Anblicke in unsere Augen
aufnehmen, was uns begegnet; solange aber das Aufmerken
der Seele nicht hinzutritt, verschwindet auch, der
Aufgabe des Leibes entsprechend, der Anblick alsbald:
wir sehen also eigentlich mehr mit dem Geiste, als mit
den Augen des Leibes.
Wenn nun das leibliche Auge den Funken,
der zum Feuer werden kann, gewahrt, so sollen wir nur
nicht das Feuer im Busen bergen, d.h. in der Tiefe der
Seele, in dem Heiligthume des Herzens. Wir sollen dieses
Feuer nicht dem Marke der Gebeine beimischen, wir sollen
uns nicht selbst Fallstricke bereiten. Darum sollen wir
auch die Unterredung mit Personen fliehen, welche das
Feuer unreiner Lust in uns entfachen können. Das Reden
mit einer jungen Person ist ein Fallstrick für den
Jüngling; die Worte des Jünglings sind Fesseln der
Liebesneigung.
Joseph erkannte dieses Feuer, als jenes
Weib mit ihrem ehebrecherischen Gelüste ihn anredete.
Mit verlockender Rede wollte sie ihn fangen, ihren
Lippen sollten, Schlingen gleich, die Worte entsprudeln:
aber den keuschen Jüngling vermochte sie nicht zu
fangen; denn des Weibes Bande zerriß der schamhafte Ton,
das ernste Wort, die zügelnde Vorsicht, der schützende
Glaube, die keusche Zucht. Mit dem Netze ihrer Worte
konnte das lüsterne Weib ihn also nicht fangen: da
streckte sie ihre Hand aus und erfaßte sein Kleid, um
ihn so an sich zu fesseln. Die schmeichelnden Reden
eines üppigen Weibes sind Netze für die Begierden, und
ihre Hand ist eine Fangmasche für die Liebe: aber die
(S. 266) züchtige Seele konnte weder in den Netzen noch
in der Masche gefangen werden; das Kleid ist abgeworfen,
die Fangmasche zerrissen; und darum, weil sie (die
züchtige Seele) der wilden Gluth keinen Zugang zu ihrem
Innern gestattete, blieb auch ihr Fleisch vor dem Brande
gesichert.
Siehst du nun. daß unsere Seele die
Urheberin der Sünde ist? Das Fleisch ist an sich
schuldlos, aber oft genug muß es der Sünde dienen. Lasse
dich also nicht gelüsten nach der Schönheit eines
Weibes! Lasse dich nicht besiegen von dem Teufel, der
gar viele Netze und Fallstricke auswirft. Das Auge der
Buhlerin ist ein verlockender Fallstrick; aber auch
unsere eigenen Augen können uns zu Fallstricken werden,
wie geschrieben steht: „Lasse dich nicht fangen durch
deine Augen."[40]
Wir flechten uns sonst selbst die Bande, wie wir lesen:
„Jeder wird gefesselt durch die Bande der eigenen
Sünden."[41]
So lassen wir denn hinter uns das Feuer
der Jugend, die Gluth des Jünglings: schreiten wir durch
die Fluthen hindurch, weilen wir nicht in ihnen, daß die
tiefen Wasser uns nicht umschließen. Schreiten wir
hindurch, damit wir mit dem Psalmisten sagen können:
„Durch einen Strom ist unsere Seele gegangen."[42]
Wer hindurchschreitet, der ist gerettet. So sagt auch
der Herr beim Propheten: „Wenn du durch Gewässer gehst,
will ich bei dir fein, und die Ströme (S. 267) werden
dich nicht decken."[43]
So sagt auch der königliche Sänger: „Ich sah einen
Gottlosen überaus erhöhet und hochgewachsen, wie die
Cedern des Libanon; und ich ging vorüber und siehe, er
war nicht mehr."[44]
Gehe nur durch die Welt hindurch: du wirst sehen, wie
die Größe der Gottlosen zusammenbricht. Auch Moses, da
er an dem Irdischen vorüberging, sah eine große
Erscheinung: „Ich will hingehen," sprach er. „und
schauen dieses große Gesicht." Wäre er den Lastern des
Fleisches ergeben, wäre er in die Lüste dieser Welt
versenkt gewesen, so hätte er niemals diese Geheimnisse
geschaut.
So gehen denn auch wir an diesem Feuer
der Begierlichkeit vorüber. Paulus fürchtete dasselbe
und zwar für uns; da er sein Fleisch kasteiete, so
brauchte er für sich nicht mehr zu fürchten; uns aber
sagt er: „Fliehet die Unlauterkeit." Ja fliehen wir sie,
die uns verfolgt, und zwar nicht außerhalb unserer
Person, sondern in uns selbst verfolgt sie uns. Wir
haben allen Grund, genau darauf zu achten; sonst können
wir sie allerdings, während wir fliehen, in und mit uns
forttragen. Wir wollen ja wohl meistens fliehen; aber
wenn wir die Unlauterkeit nicht gänzlich aus unserer
Seele vertreiben, so hegen wir sie, statt sie zu tilgen.
Eilenden Fußes müssen wir an ihr vorübergehen, damit
nicht das Wort des Propheten auf uns paßt: „Wandlet nur
in dem Lichte eueres Feuers und in den Flammen, die ihr
selbst angezündet."[45]
Da aber fragt der weise Mann: „Kann denn Jemand Feuer in
seinem Busen verbergen, ohne daß seine Kleider brennen?
oder kann Jemand auf glühenden Kohlen gehen, ohne seine
Fußsohlen zu verbrennen?“[46]
Gefährlich ist dieses Feuer; geben wir
ihm also keine Nahrung durch Weichlichkeit. Die Lust
wird genährt durch Gastmahle, unterhalten durch Genüsse,
entzündet durch Wein und zur wilden Gluth entflammt
durch Trunkenheit. (S. 268) Schlimmer noch sind die
Lockungen schmeichelnder Worte, welche wie Wein aus
Sodoma die Seele berauschen. Hüten wir uns also vor dem
Uebermaße dieses Weines; wo das Fleisch trunken wird, da
wankt der Geist, da überfluthet das Herz. So ist das
Mahnwort des Apostels hier in Geltung: „Ein wenig Wein
magst du trinken um deiner häufigen Schwächen willen."[47]
Wenn der Leib glühet, dann versetzt er auch die Seele in
Gluth; wenn aber das Fleisch unter dem kalten Hauche der
Krankheit seufzet, dann wird die Seele sich erquickt
fühlen. Empfindet dein Leib Schmerz, so ist dein Geist
zwar auch traurig, aber deine Traurigkeit wird in Freude
verwandelt werden.
Fürchte also nicht, wenn der Feind
deinen Leib belästigt, deine Seele wird er nicht
verschlingen. So sagt auch David, daß er sich nicht
fürchte, obwohl die Feinde sein Fleisch, nicht aber die
Seele schädigen. „Wenn die Uebellhäter mir nahen, mein
Fleisch zu fressen, sie, meine Feinde, die mich quälen,
so werden sie kraftlos und fallen zu Boden."[48]
So bereitet die Schlange sich selbst eine Niederlage;
derjenige wird der Schlange übergeben, der von der
Schlange verwundet war, damit sie ihn, den sie bezwang,
wieder aufrichte, und damit die Niederlage der Schlange
also zur Auferstehung des Sünders werde. Die Schrift
selbst stellt übrigens den Satan als den Urheber dieser
körperlichen Qual und Schwächung hin. Sagt doch der
Apostel: „Es wurde mir ein Stachel in mein Fleisch
gegeben, ein Engel des Satans, daß er mir Faustschläge
gebe, damit ich mich nicht überhebe."[49]
So hat Paulus gelernt zu heilen, wie er selbst die
Genesung gefunden.
Cap. 15
Das ist ein guter, treuer Lehrer, der
Eins verspricht und Beides gewährt. Er kommt mit der
Ruthe, sofern er (S. 269) den Gefallenen aus der
heiligen Gemeinschaft entfernt. Mit Recht sagt er, daß
der dem Satan überliefert wird, der vom Leibe Christi
getrennt wird. Er kommt aber auch in Liebe und im Geiste
der Milde, weil er den Sünder so ausschließt, daß er
seine Seele rettet, oder auch weil er den, welchen er
vorher ausgeschlossen, den heiligen Geheimnissen wieder
zurückgibt.
Er muß ja auch den so tief Gefallenen
ausschließen, damit dieser nicht, dem Sauerteig
vergleichbar, die ganze Gemeinde verderbe. Der alte
Sauerteig muß ausgefegt werden. Das gilt bei den
Einzelnen von dem alten, dem äußerlichen Menschen mit
seinen Handlungen, bei der Gemeinde von dem in Sünden
und Lastern Verhärteten. Mit Recht spricht der Apostel
vom „Ausfegen" des alten Sauerteiges, weil es sich um
eine Reinigung, nicht aber um gänzliche Verwerfung
handelt. Es wird also nicht geradezu Alles als unnütz
und schlecht bezeichnet; es soll vielmehr das als Zweck
der Säuberung gelten, daß das Nützliche vom Unnützen
geschieden wird; was aber verworfen wird, darin ist
überhaupt nichts mehr nütze.
Gleich damals hat also der Apostel dafür
gehalten, den Sünder zu den himmlischen Geheimnissen
wieder zuzulassen, wenn dieser nur selbst den Wunsch
hegte, gereinigt zu werden. Darum sagt er auch
zutreffend: „Feget aus!" An dem wird ja durch
Vermittelung des Volkes, durch seine Werke und Thränen
die Reinigung vollzogen, welcher durch Gebet und Seufzen
des Volkes von der Sünde befreit und in seinem inneren
Menschen gereinigt wird. Christus hat seiner Kirche
verliehen, den Einen durch die Anderen zu retten, wie
sie selbst der Ankunft des Herrn Jesus gewürdigt wurde,
damit durch den Einen alle die Anderen erlöset würden.
Das ist der Sinn des Apostels, der
freilich durch die Worte dunkel wird. Betrachten wir nur
diese Worte selbst: „Feget aus den alten Sauerteig,
damit ihr seid ein neuer Teig, da ihr ja ungesäuert
seid." Darnach übernähme also die ganze Kirche die
Sündenlast des Einzelnen, für den sie (S. 270) in
Thränen, Gebet und Schmerz mitleiden muß; sie bedeckt
sich selbst gewissermaßen mit dem Sauerteige der Sünde
ihrer einzelnen Mitglieder, so zwar, daß durch Alle das,
was in dem einzelnen Büßenden zu tilgen ist, gleichsam
vermittelst eines gemeinschaftlichen Zusatzes von
Erbarmen und Mitleiden, woran Männiglich Theil hat,
gereinigt und ersetzt wird.[50]
Oder man kann die Worte so fassen, wie jenes Weib im
Evangelium uns lehrt, welche ein Vorbild der Kirche ist,
sofern sie nämlich den Sauerteig in der Masse des Mehles
barg, bis Alles durchsäuert wäre; so soll Alles rein
dargestellt werden.
Was aber unter dem Sauerteig sonst noch
zu verstehen sei, hat der Herr selbst uns im Evangelium
gelehrt. „Warum begreift ihr nicht", sagte er zu seinen
Jüngern, „daß ich nicht vom Brode zu euch redete, da ich
sprach: Hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und
Sadducäer?" Da verstanden sie. - setzt der Evangelist
hinzu, - daß er nicht gesagt hatte, sie sollten sich vor
dem Sauerteige des Brodes, sondern vor der Lehre der
Pharisäer und Sadducäer hüten. Diesen Sauerteig nun,
d.h. die Lehre der Pharisäer, die anmaßenden
Behauptungen der Sadducäer birgt die Kirche in ihrem
geistigen Mehlvorrathe, wenn sie den strengen Buchstaben
des Gesetzes durch ihre geistige Auslegung mildert. Man
könnte sagen: sie durchbricht auf (S. 271) der Mühle
ihrer Auslegung den harten Buchstaben, und wie jene aus
den Getreidehülsen das Korn ausschält, so bringt sie aus
der Hülle des Buchstabens den tiefen Sinn des
Gnadengeheimnisses hervor, und so bekräftigt sie den
Glauben an die Auferstehung, der Gottes Erbarmen
verkündet, der uns lehrt, daß das Leben der Gestorbenen
zurückerstattet wird.
Die Anziehung dieses Vergleiches an
diesem Orte erscheint keineswegs thöricht und
unberechtigt. Das Himmelreich ist ja die Erlösung der
Sünder, und gerade deßhalb werden wir Alle - Gute wie
Böse - mit dem Sauerteige der Kirche vermischt, damit
wir ein neuer Teig werden. Damit aber Niemand fürchte,
es möchte die Beimischung verdorbenen Sauerteiges die
ganze Masse verderben, hat der Apostel hinzugefügt:
„Damit ihr ein neuer Teig seid. da ihr ja ungesäuert
seid." d.h. der Sauerteig der Kirche wird euch wieder
herstellen, wie ihr vordem waret in der vollen Reinheit
euerer Unschuld. Wenn wir in solcher Weise uns erbarmen,
so werden wir durch fremde Sünde nicht befleckt; wir
erwirken vielmehr die Rettung des Sünders noch zum
eigenen Gnadenschmuck, so daß die Reinheit dauernd
bleibt, wie sie war. Deßhalb sagt auch der Apostel
ferner: „Denn als unser Osterlamm ist Christus geopfert
worden," d. h. das Leiden des Herrn hat Allen genützt
und den Sündern, die über ihre begangenen Fehler Reue
fühlen, Errettung bereitet.
So laßt uns denn (um mit dem Apostel zu
reden) das Mahl halten in reiner, guter Speise, bei
aller Buße doch erfreut über die Rettung. Nun ist keine
Speise besser, als Güte und Wohlwollen: darum soll unser
Opfermahl und unsere Freude durch kein Gefühl des Neides
über den geretteten Sünder getrübt werden, damit wir uns
nicht, wie jener neidische Bruder im Evangelium, selbst
vom Vaterhause ausschließen. Dieser empfand Schmerz über
die Wiederaufnahme des Bruders; er hätte sich gefreut,
wenn die Ausschließung für immer gegolten hätte.
Daß ihr ihm ähnlich seid, könnet ihr,
Novatianer, nicht leugnen. Ihr wollet ja gerade deßhalb
nach euerer eigenen (S. 272) Versicherung nicht zur
Kirche ferner eingehen, weil denen, welche gefallen
sind, die Hoffnung der Rückkehr gewährt ist. Uebrigens
ist das nur zum Scheine vorgeschoben; sonst weiß Jeder,
daß den Novatian der Schmerz über den Verlust der
bischöflichen Würde zum Schisma getrieben hat.
Ihr wollet nicht einsehen, daß der
Apostel jenes Wort auch von Euch zum Voraus gebraucht
hat, welches er den Korinthern schrieb: „Und ihr seid
aufgeblasen und nicht vielmehr in Trauer versetzt, damit
der aus euerer Mitte geschieden werde, welcher diese
That begangen hat?" Immerhin wird er für solange
vollständig beseitigt, als seine Sünde getilgt wird;
keineswegs aber sagt der Apostel, daß derjenige gänzlich
aus der Kirche ausgeschlossen werde, welcher nach seinem
Rathe und Wunsche gereinigt werden soll.
Cap. 16
Da also der Apostel die Sünde nachließ,
auf welche Auctorität hin verweigert ihr die
Nachlassung? Wer ist denn wohl ein treuerer Verehrer
Christi, Novatian oder Paulus? Aber Paulus kannte die
Barmherzigkeit des Herrn, er wußte, daß der Herr Jesus
mehr durch die harte Strenge, als durch das Erbarmen
seiner Jünger beleidigt wurde.
Um nur ein Beispiel anzuführen: Als
Johannes und Jakobus sagten, sie wollten Feuer vom
Himmel herabflehen, die zu vernichten, welche dem Herrn
die Aufnahme verweigert hatten, da wies sie der Herr
zurück mit den Worten: „Ihr wisset nicht, weß Geistes
Kinder ihr seid: des Menschen Sohn ist nicht gekommen,
die Seelen der Menschen zu verderben, sondern sie selig
zu machen." Jenen sagte er: „Ihr wisset nicht, weß
Geistes Kinder ihr seid," und doch waren sie seines
Geistes. Euch aber sagt er: „Ihr seid nicht meines
Geistes, weil ihr meine Milde nicht bewahret, weil ihr
mein Erbarmen zurückweiset, weil ihr die Buße
ausschließet, die ich doch durch meine Apostel in meinem
Namen gepredigt wissen wollte." (S. 273) Ihr saget ohne
allen Grund, daß auch ihr Buße predigt da ihr ja die
Frucht der Buße ausschließet. Die Menschen werden
nämlich lediglich durch Belohnung oder durch die
Aussicht auf die Frucht ihrer Bemühungen zu ernstem
Streben angeeifert; und jedes Streben ermattet durch die
Verzögerung dieser Frucht. Gerade deßhalb sagte auch der
Herr, um den Eifer und die Hingabe feiner Jünger zu
steigern, daß derjenige, welcher Alles verlassen und ihm
gefolgt sei, Hundertfältiges erhalten werde, sowohl hier
als im Jenseits. Zuerst verheißt er den Lohn in der
Gegenwart, um den Widerwillen, der aus der Hinhaltung
des Lohnes hervorgeht, zu heben; dann weiset er auf das
Jenseits hin, damit wir lernen, gläubig zu vertrauen,
wie auch im Jenseits der Lohn unser wartet. Die
Belohnung in der Gegenwart ist ein Zeugniß für die
Belohnung in der Ewigkeit.
Wenn nun Jemand, mit geheimen Vergehen
belastet, um Christi willen doch eifrig der Buße sich
unterzogen hat, wie wird ihm jene Belohnung zu Theil,
wenn ihm die Gemeinschaft mit der Kirche nicht
erschlossen wird? Ich will, daß der sündige Mensch auf
Verzeihung hoffe, daß er sie erflehe mit Thränen und
Seufzern, daß mit ihm die Thränen des ganzen Volkes um
Verzeihung flehen. Wenn dann zum zweiten und dritten
Male die Wiedervereinigung ihm versagt ward, so möge er
sich überzeugt halten, daß er immer noch zu wenig
ausdauernd gefleht hat: seine Thränen mögen reicher
fließen, er möge jammervoller zurückkehren, er möge die
Füße der Vorübergehenden mit seinen Armen umfassen, mit
Küssen bedecken, mit seinen Thränen baden und nicht
nachlassen, bis der Herr Jesus auch zu ihm sagt: „Ihm
sind viele Sünden vergeben, weil er viel geliebet hat!"
Ich habe Büßer kennen gelernt, deren
Antlitz die Trauer durchfurcht, in deren Wangen die
steten Thränenströme tiefe, scharfe Linien gegraben
hatten. Sie lagen am Boden, als wollten sie Allen ihren
Leib darbieten, über ihn hinzuschreiten; ihrem
todtbleichen Antlitz war der Stempel der Entbehrung und
des Fastens aufgedrückt.
Cap. 17 (S. 274)
Was warten wir denn darauf, daß
diejenigen, welche im Leben sich den Tod gaben (o. i.
durch Buße sich abtödteten), erst nach ihrem
(leiblichen) Tode Verzeihung erhalten? „Es ist für einen
solchen Sünder", sagt der Apostel, „genügend diese
Züchtigung, die von Vielen geschehen, so daß ihr im
Gegentheile ihm vielmehr vergeben und ihn trösten
sollet, damit er, der ein solcher ist, nicht etwa in
allzugroße Traurigkeit versinke." Wenn die Züchtigung,
die von Vielen geschehen, hinreicht zur Bestrafung, wie
sollte dann das Wehen, das Viele zum Himmel emporsenden,
nicht genügen zur Verzeihung der Sünde? Der Lehrer, der
die Sitte, aber auch die menschliche Schwäche kennt, der
Verkündiger göttlichen Erbarmens: er will, daß die Sünde
vergeben, daß die Tröstung gewährt werde, damit nicht
die Traurigkeit über die zu lange Verschiebung der
Lossprechung ihn im Elend vernichte.
Darum also verzieh der Apostel, und er
verzieh nicht bloß, sondern er wollte auch, daß die
Liebe zu dem gebesserten Sünder sich wieder stärke.
Derjenige, welcher in Liebe ergeben ist, der kennt keine
Härte, der kennt nur Milde. Auch verzieh er nicht bloß
für sich selbst; er wollte auch, daß Alle ihm verzeihen
möchten, und er erklärte ausdrücklich, daß er um der
Anderen willen verziehen habe, damit nicht Viele wegen
des Einen länger trauerten. „Wem ihr etwas verziehen
habt, dem habe auch ich verziehen: denn was ich vergeben
habe, das geschah euretwillen an Christi Statt, damit
wir nicht vom Satan übervortheilt werden; denn seine
Anschläge sind uns nicht unbekannt."[51]
Der kann wohl auf der Hut sein vor der Schlange, welcher
ihre listigen Anschläge nicht verkennen kann, deren ja
so viele sind, um uns zu schaden. Die Schlange will
immer schaden, immer täuschen, um uns den Tod zu
bringen: aber wir .müssen Sorge tragen, daß unser
Heilmittel nicht zum (S. 275) Triumphe für den Satan
werde. Wir werden überlistet wenn Jemand in zu großer
Trauer zu Grunde geht, während er durch erbarmungsvollen
Nachlaß gerettet werden konnte.
Damit wir aber nicht im Zweifel seien,
daß er von Getauften redet, fügt er hinzu:[52]
„Ich habe euch geschrieben, daß ihr mit
Unkeuschen keine Gemeinschaft haben solltet; das meinte
ich aber nicht von den Unkeuschen dieser Welt; denn
sonst müßtet ihr aus der Welt gehen. Ich schrieb euch
vielmehr, da keine Gemeinschaft zu haben, wenn einer,
der Bruder heißet, ein Unkeuscher oder ein Geiziger oder
ein Götzendiener ist." Verbindet er nun diese
verschiedenen Arten von Sünden mit einander behufs
Duldung der Strafe, so wollte er auch, daß Alle in
Beziehung zur Sühne stünden. „Mit einem solchen", sagt
der Apostel, „sollet ihr nicht einmal essen." Wie
strenge ist der Apostel gegen die hartnäckigen und
verstockten Sünder, wie nachsichtig gegen die, welche um
Verzeihung bitten! Gegen jene wird die Beleidigung, die
dem Herrn zugefügt würde, aufgerufen, diesen kommt die
Anrufung Christi zu Hilfe.
Nun könnte Jemand dadurch gestört
werden, daß geschrieben steht: „Ich habe diesen Menschen
dem Satan zum Verderben des Fleisches übergeben." Man
könnte sagen: Wie mochte derjenige Anspruch auf
Verzeihung haben, dessen Fleisch ganz dem Verderben
geweiht war, da es doch offenbar ist, daß der Mensch
nach beiden Seiten erlöset ist und gerettet wird: die
Seele nicht ohne den Leib, und der Leib nicht ohne die
Seele? Während beide durch die Theilnahme an ihren
Werken mit einander verbunden sind, sollen sie nun ohne
gleiche Theilnahme an Lohn und Strafe sein? Wenn Jemand
so spricht, so möge ihm zur Antwort dienen, daß unter
„dem Verderben des Fleisches" hier nicht die vollendete
Vernichtung, sondern die Züchtigung des Fleisches zu
verstehen ist. Wie nämlich derjenige, welcher (S. 276)
der Sünde abgestorben ist, Gott lebt, so gehen die Lüste
des Fleisches zu Grunde, und es stirbt das Fleisch
seinen Begierden ab, damit es wieder zur Keuschheit und
zu den anderen guten Werken erstehe.
Woher können wir ein passenderes
Beispiel nehmen, als von unserer gemeinsamen Mutter? Die
Erde, von der wir genommen sind, erscheint ja auch, wenn
ihre Bebauung zeitweise unterbleibt, öde und verlassen;
sie ist dann für die Wein- und Oelpflanzungen, denen sie
sonst diente, gestorben: aber ihren Lebenssaft, ihre
Seele gleichsam, verliert sie nicht. Tritt die Bebauung
wieder ein, werden die Saatkörner, zu deren Aufnahme sie
geeignet erscheint, ihr wieder anvertraut, so ersteht
sie wieder, nur reicher an Früchten. Es ist also nicht
etwas so ganz Fremdes, wenn auch von unserem Fleische in
diesem Sinne gesagt wird, daß es verderbe: es soll
eigentlich nur gebändigt, nicht vernichtet werden.
Zweites Buch
Cap. 1
Wenngleich in dem ersten Buche dieser
Schrift Manches beigebracht ist, was der Ermunterung zur
Buße dient, so möchten wir doch nicht den Anschein
geben, als wollten wir gleichsam bei halber Mahlzeit uns
erheben. Da ohnehin noch Vieles hinzugefügt werden kann,
so führen wir das Mahl, das wir mit Vorlegung unserer
Worte begonnen, nunmehr fort.
Die Buße soll nun nicht bloß mit Eifer,
sondern auch bis zur Reife geübt werden. Sonst möchte
etwa jener Hausvater des Evangeliums, der einen
Feigenbaum in seinen Weinberg pflanzte, auch zu uns
kommen, und wenn er dann die Frucht suchte, ohne sie zu
finden, würde er wohl zum Weingärtner sagen: „Haue ihn
um; was soll er noch das Land einnehmen?" Vielleicht
träte dann wohl der Gärtner ein mit den Worten: „Herr,
laß ihn auch noch dieses Jahr, bis ich um ihn her
aufgegraben und Dünger daran gelegt habe, ob er nicht
etwa doch noch Flucht bringt; wenn nicht, so magst du
ihn für die Zukunft weghauen."[53]
(S. 278) Verfahren wir mit dem Acker, den wir besitzen,
auch so, und ahmen wir den sorgsamen Landwirth nach, der
nicht Anstand nimmt, mit fettem Dünger die Erde zu
sättigen, mit schmutziger Asche das Land zu bedecken, um
auf diese Weise reichlichere Frucht zu erzielen.
In welcher Weise wir aber dabei
verfahren sollen, lehrt uns der Apostel, wenn er sagt:
„Ich achte Alles für Koth. damit ich Christum gewinne"[54]
so hat er es verdient, in Schmach und in Ehre Christo zu
gefallen. Er hatte ja gelesen, daß Abraham, da er sich
als Staub und Asche vor dem Herrn bekannte, durch die
tiefste Demuth der Gnade Gottes theilhaftig wurde; er
hatte ferner gelesen, daß Job, da er auf dem
Düngerhaufen saß, Alles wiedergewann, was er verloren.
Nicht minder hatte er gelesen, was David prophetischen
Geistes verkündigt, „daß Gott den Geringen aufrichtet
aus dem Staube und aus dem Kothe erhöhet den Armen."[55]
Und wir sollten uns scheuen, dem Herrn
unsere Sünden zu bekennen? Wohl mag es Scham
hervorrufen, wenn ein Jeder seine Vergehen offenlegen
soll: aber diese Scham durchpflügt den Acker des
Geistes, nimmt die immer wieder keimenden Dornen hinweg,
schneidet die Sträuche und haucht den Früchten, die ihm
schon gestorben schienen, neuen Lebensduft ein. Folge
nur dem Apostel, der seinen Acker tüchtig pflügend
Fruchte für die Ewigkeit zu gewinnen trachtete. „Man
verfluchet uns", sagt er, „und wir segnen; man verfolgt
uns, und wir dulden; man lästert uns, und wir beten; wie
ein Auswurf der Welt sind wir geworden."[56]
Wenn auch du deinen Geistesacker so durchpflügt hast,
dann wirst du geistige Saat ausstreuen. Ja, bebaue nur
so, daß du die Sünde fortschaffest, so wirst auch du
Frucht erzielen. Der Apostel hat so gearbeitet, daß er
die letzte Regung des Verfolgers in sich austilgte. Wie
konnte Christus uns mächtiger zum Eifer in der Lebens-
(S. 279) besserung anregen, als dadurch, daß er den
Verfolger bekehrte und aus ihm uns den Lehrer bereitete?
Cap. 2
Obwohl aber die Irrgläubigen durch das
offene Verfahren des Apostels und durch die klaren Worte
seiner Sendschreiben widerlegt werden, so wollen sie
gleichwohl auf ihn sich stützen und behaupten, daß seine
Auctorität ihre Meinung begünstige. Sie berufen sich auf
jenes an die Hebräer gerichtete Wort: „Es ist unmöglich,
Solche, die einmal erleuchtet wurden und die himmlische
Gabe gekostet haben, die des heiligen Geistes
theilbaftig geworden sind und das köstliche Gotteswort
und die Kräfte der neuen Welt gekostet haben, und die
doch abgefallen sind, wiederum zur Sinnesumkehr zu
erneuern, da sie den Sohn Gottes wiederum kreuzigen und
ihn der Schmach preisgeben."[57]
Konnte denn nun Paulus wohl etwas
lehren, was im vollen Gegensätze zu seiner eigenen
Handlungsweise stünde? Er erließ dem Sünder in Korinth
seine Vergehen auf Grund der Buße; wie sollte er denn
nun selbst seinen eigenen Richterspruch vernichten
können? Da er nicht (S. 280) niederreissen kann, was er
selbst aufgebaut, so nehmen wir an, daß er hier nicht
etwas Entgegengesetztes, sondern nur etwas Verschiedenes
gesagt habe. Was entgegengesetzt ist, das widerstreitet
sich selbst; was aber verschieden ist, das pflegt nur
eine besondere Weise zu haben. Das Entgegengesetzte ist
nicht so beschaffen, daß das Eine das Andere stützt. Da
nun der Apostel von dem Nachlasse der Buße gepredigt
hatte, so durfte er auch nicht von denjenigen schweigen,
welche glauben, die Taufe sei zu wiederholen. Zuerst
mußte uns die bange Sorge genommen werden, auf daß wir
wüßten, auch diejenigen, welche nach der Taufe
gesündigt, können Verzeihung ihrer Sünden erlangen,
damit nicht etwa die der Hoffnung auf Verzeihung
Beraubten von der nichtigen Meinung, als könnte die
Taufe wiederholt werden, sich bethören ließen. Dann
mußte er in begründeter Auslegung darthun, daß die Taufe
in keinem Falle wiederholt werden könne.
Daß aber der Apostel hier von der Taufe
gesprochen, das beweisen die Worte selbst, indem er
sagt, „es sei unmöglich, daß die Gefallenen zur Buße
erneuert würden". Erneuert werden wir ja gerade durch
das Bad der Wiedergeburt, wie der Apostel selbst sagt:
„Denn wir sind mit ihm durch die Taufe zum Tode
begraben, damit, gleichwie Christus auferstanden ist von
den Todten durch die Herrlichkeit des Vaters, also auch
wir in der Neuheit des Lebenswandel"[58]
Anderswo sagt er: „Erneuert euch im Geiste eures
Gemüthes, und ziehet den neuen Menschen an, der nach
Gott geschaffen ist."[59]
Bei dem Psalmisten aber heißt es: „Deine Jugend wird
sich, wie die des Adlers, erneuern."[60]
Es ersteht ja der Adler, nachdem er gestorben, aus
seiner Asche, wie wir, in der Sünde erstorben, durch das
Sakrament der Taufe für Gott wiedergeboren und
umgeschaffen werden. Der Apostel (S. 281) lehrt also an
der obigen Stelle Eine Taufe, wie er das auch anderswo
sagt: „Ein Glaube, Eine Taufe."[61]
Auch das ist offenbar, daß in dem, der
getauft wird, das Bild des Gekreuzten abgeprägt wird;
denn das Fleisch kann die Sünde nicht abthun. wenn es
nicht in Christo Jesu gekreuzigt ist. So ist denn ja
auch geschrieben, daß alle diejenigen, welche in Christo
Jesu getauft sind, auf seinen Tod getauft sind. Wenn wir
nun mit ihm zusammengepflanzt sind zur Ähnlichkeit
seines Todes, so werden wir es auch zur Ähnlichkeit der
Auferstehung sein; denn das wissen wir, daß unser alter
Mensch mit angeheftet ist ans Kreuz.[62]
An die Kolosser schreibt der Apostel: „Mit dem seid ihr
in der Taufe begraben, in welchem ihr auch auferstanden
seid." Er schreibt so, damit wir glauben, daß er selbst
in uns gekreuzigt wird, wie durch ihn unsere Sünden
getilgt werden, daß er, der allein die Sünden nachlassen
konnte, den Schuldbrief, der gegen uns lautete, an das
Kreuz heftet. Ja in uns triumphirt er über die Gewalten
und Mächte nach dem Worte des Apostels: „Er entwaffnete
die Oberherrschaften und die Gewalten, führte sie einher
und triumphirte über sie öffentlich durch sich selbst."[63]
Wenn der Apostel nun in dem an die
Hebräer gerichteten Briefe sagt, „es sei unmöglich, die
Gefallenen zur Sinnesumkehr zu erneuern, da sie den Sohn
Gottes wiederum kreuzigen und ihn der Schmach
preisgeben", so meint er das so, daß wir annehmen
müssen, er spreche von der Taufe, in welcher wir den
Sohn Gottes in uns gekreuzigt darstellen, damit durch
ihn die Welt auch uns gekreuzigt werde, die wir in einem
gewissen Sinne triumphiren, indem wir die Ähnlichkeit
des Todes desjenigen annehmen, der die Oberherrschaften
und Gewalten am Kreuze siegreich entwaffnete und über
sie triumphirte. Indem wir, eintretend in die
Ähnlichkeit seines Todes, ihr Joch abwerfen, trium- (S.
282) phiren auch wir über diese Mächte Nun ist aber,
Christus nur einmal gekreuzigt, nur einmal der Sünde
gestorben: und deshalb gibt es nur eine nicht mehrere
Taufen.
Aber wie verhält es sich damit, daß er
vorher „die Lehre von den verschiedenen Taufen"[64]
vorausgeschickt hat? Da es im Gesetze viele Taufen gab,
so tadelt der Apostel mit Recht diejenigen, welche das
Vollkommene verlassen und zu den Anfangsgründen
zurückkehren. Er lehrt uns, daß wir wissen müssen, wie
die Taufen des alten Bundes alle zumal ihre Geltung
verloren haben, und wie es unter den Geheimnissen der
Kirche nur eine Taufe gibt. Er ermahnt uns aber auch,
daß wir die Anfangsgründe der Lehre übergehen und zum
Vollkommenen eilen. „Ja, dieses wollen wir thun", sagt
er. „wenn anders Gott es zuläßt", denn ohne Gottes Hilfe
kann Niemand vollkommen sein.
Uebrigens könnte ich demjenigen, der die
Worte des Apostels von der Buße versteht, auch
antworten, daß das, was bei den Menschen unmöglich, doch
möglich ist bei Gott. Der Herr kann, wenn er will, die
Sünden nachlassen auch da, wo uns die Nachlassung
unmöglich scheinen möchte. Schien es doch auch
unmöglich, daß das Wasser die Sünde abwaschen könnte,
und ebenso glaubte auch Naaman der Syrer nicht, daß sein
Aussatz durch das Wasser könnte hinweggenommen werden.
Was aber in der That unmöglich war, das hat Gott, der
uns so wunderbare Gnade verliehen, möglich gemacht. So
schien es denn auch unmöglich, daß in der Buße die
Sünden nachgelassen würden. Christus aber verlieh den
Aposteln diese Gewalt, die von ihnen auf das
priesterliche Amt übergegangen ist. Was also unmöglich
schien, ist möglich geworden. - Gleichwohl überzeugt uns
die richtige, begründete Auslegung, daß der Apostel hier
von der Taufe spricht, daß sie nämlich nicht wiederholt
werden soll.[65]
Cap. 3 (S. 283)
Uebrigens würde der Apostel doch auch
nicht gegen die offenbare Lehre Christi ankämpfen. Der
Herr hat uns ein Gleichniß von einem Sünder, der Buße
thut, in dem verlornen Sohne vorgeführt, der in ein
fremdes Land ging und das Erbtheil, welches er von
seinem Vater empfangen, in üppigem Leben verschwendete.
Dann aber, als er seinen Hunger mit Träbern stillte,
sehnte er sich nach dem Brode im Hause seines Vaters
zurück. So erwarb er sich wieder das Ehrenkleid, den
Ring an seine Hand, Schuhe an seinen Fuß: ihm zur Ehre
wurde das Kalb geschlachtet, eine Hindeutung auf das
Leiden des Herrn, durch welches uns das himmlische
Sakrament bereitet ist.
Mit Recht heißt es: „er ging in ein
fremdes Land", weil er von den heiligen Altären getrennt
war; so (S. 284) ist der Sünder von dem himmlischen
Jerusalem, der vollen, wahren Heimath der Heiligen
getrennt. Daß dort aber unsere Heimath ist, sagt auch
der Apostel: „So seid ihr nicht mehr Gäste und
Fremdlinge, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und
Hausgenossen Gottes."[66]
„Er verschwendete seine
Vermögenssubstanz" heißt es weiter. Mit Recht; denn der
Sünder, dessen Glaube in den Werken schwach ist,
verschwendet in gleicher Weise. Der Glaube ist ja nach
den Worten des Apostels die „Substanz, der zu hoffenden
Dinge und die Gewißheit von Dingen, die nicht gesehen
werden."[67]
Fürwahr eine edle Substanz ist der Glaube, das Erbtheil
unserer Hoffnung. Es kann uns ferner nicht Wunder
nehmen, daß derjenige dem Hungertode nahe kommt, welcher
der himmlischen Nahrung entbehrt. „Ich will mich
aufmachen", spricht er dann voll Sehnsucht, „und zu
meinem Vater gehen und ihm sagen: Mein Vater, ich habe
gesündigt wider den Himmel und vor dir." Erkennet ihr
nicht, daß uns dieses so bestimmt vorgehalten ist, weil
wir zum Bitten angetrieben werden, um die Theilnahme an
dem Geheimnisse uns zu erwerben: und ihr wollet
wegnehmen, um deßwillen doch die Buße einzig übernommen
wird? Nimm dem Steuermann die Hoffnung, zum Hafen zu
gelangen: er wird mitten auf den Meeresflächen trostlos
umherirren. Nimm dem Kämpfer den Siegeskranz: er wird
ermattet in der Arena zusammenbrechen. Nimm dem Fischer
die Aussicht auf den Fang: er wird ablassen, ferner noch
die Netze auszuwerfen. Wie soll denn nun derjenige,
welcher den Hunger seiner Seele ertragen muß, mit
größerem Eifer Gott bitten können, wenn er verzweifelt,
zu dem heil. Mahle wieder zugelassen zu werden?
„Ich habe gesündigt" lautet die Anklage,
„wider den Himmel und vor dir." Das ist das Bekenntniß
einer Sünde zum Tode, damit ihr nicht etwa glauben
möchtet, es könne Jemand, der Buße - gleichviel über
welche (S. 285) Sünde - thut, rechtlich ausgeschlossen
werden. Derjenige, welcher wider den Himmel gesündigt
hat, der hat entweder gegen das Himmelreich oder gegen
die eigene Seele gesündigt, und das ist eine Sünde zum
Tode: er hat vor Gott gesündigt nach dem Worte des
Psalmisten: "Dir allein habe ich gesündigt und Böses vor
dir gethan."[68]
So rasch erwirkt er die Verzeihung, daß
der Vater dem Ankommenden, aber noch weit Entfernten
entgegeneilt; daß er ihm den Kuß, das Zeichen heiligen
Friedens, gewährt, daß er das Kleid, das hochzeitliche
Gewand, herbeibringen läßt, ohne welches man von der
Theilnahme an dem Hochzeitsmahle ausgeschlossen wird.
Den Ring gibt ihm der Vater an die Hand als Unterpfand
der Treue, als Siegel des heiligen Geistes. Er läßt
Schuhe bringen für die Füße des Heimgekehrten: muß ja
auch derjenige, welcher das Ostermahl des Herrn feiert,
von dem Osterlamme essen will, seine Füße bedeckt haben
gegen alle Anfechtungen und Bisse der alten Schlange.
Dann befiehlt der Vater, daß das Mahl bereitet werde:
„Als unser Osterlamm ist ja Christus geopfert." Wie oft
wir nun den Kelch des Herrn empfangen, verkündigen wir
den Tod des Herrn. Wie er einmal für Alle gestorben ist.
so nehmen wir, so oft die Sünden nachgelassen werden,
Theil an dem Sakramente seines Leibes, so daß allezeit
durch sein Blut die Nachlassung der Sünden bewirkt wird.
So ist denn auf das Klarste durch das Wort des Herrn
geboten, daß auch den schwersten Sündern, wenn sie aus
ganzem Herzen und mit offenem Bekenntnisse ihrer Sünde
Buße thun, die Gnade des himmlischen Geheimnisses wieder
zu Theil werden soll. So ist denn außer Zweifel
gestellt, daß für euch, ihr Novatianer, nichts zur
Entschuldigung bleibt.
Cap. 4
Es ist aber ferner zu unserer Kunde
gekommen, daß ihr auch aus jenem Worte des Heilandes
einen Einwurf (S. 286) nehmet: „Jede Sünde und Lästerung
wird den Menschen nachgelassen; aber die Lästerung wider
den heiligen Geist wird nicht nachgelassen werden. Und
wer ein Wort wider des Menschen Sohn redet, dem wird
vergeben werden: wer aber wider den heiligen Geist
redet, dem wird weder in dieser, noch in der künftigen
Welt vergeben werden."[69]
Mit dieser Anführung wird indeß euere ganze Behauptung
umgestoßen und vernichtet. Es heißt ja: „Jede Sünde und
Lästerung wird den Menschen vergeben werden." Warum
vergebet ihr denn nicht? Warum ziehet ihr Bande, die ihr
nicht löset? Warum schlinget ihr Knoten, die ihr nicht
lockert? Oder gewähret doch den Uebrigen Verzeihung und
beschränket euch auf diejenigen, von denen ihr unter
Berufung auf das Evangelium annehmet, daß sie als Sünder
wider den heiligen Geist für immer gebunden sind.
Beachten wir dabei aber, welche Menschen
der Heiland so belastet. Rufen wir uns, um das besser zu
erkennen, ins Gedächtnis zurück, was jenem Worte des
Herrn vorausgeht. Die Juden hatten erklärt: „Er treibt
durch Beelzebub, den Obersten der Teufel, die Teufel
aus." Jesus antwortete ihnen: „Ein jedes Reich, das
wider sich selbst uneins ist, wird verwüstet werden, und
eine jede Stadt und ein jedes Haus, das wider sich
selbst uneins ist, wird nicht bestehen. Wenn nun ein
Teufel den andern austreibt, so ist er wider sich selbst
entzweit; wie wird dann sein Reich bestehen? Und wenn
ich durch Beelzebub die Teufel austreibe, durch wen
treiben dann eure Kinder sie aus?"
Von denen also ist hier, wie wir sehen,
ausdrücklich die Rede, welche behaupten, der Herr Jesus
treibe die Teufel durch Beelzebub aus. Ihnen antwortete
der Herr so, weil das Erbe des Satan in ihnen wucherte,
da sie den Erlöser der ganzen Welt mit dem Satan
verglichen und die Gnadenerweise Christi in das Reich
des Teufels verwiesen. Um es uns zweifellos zu machen,
daß er von dieser (S. 287) Lästerung rede, fügt er
hinzu: „Ihr Schlangengezücht, wie könnet ihr Gutes
reden, da ihr böse seid?" Daß ihnen also, die so reden,
Verzeihung zu Theil werde, das leugnet er.
Als ferner Simon, durch die längst
geübte Zauberei verdorben, glaubte, er könne die
Gnadengabe Christi, welche durch Handauflegung und
Eingießung des heiligen Geistes ertheilt wird, um Geld
erkaufen, da sprach Petrus zu ihm: „Du hast keinen
Antheil noch Erbe an dieser Lehre; denn dein Herz ist
nicht aufrichtig vor Gott. Darum thue Buße über diese
deine Bosheit und bitte Gott, daß dir etwa dieser
Anschlag deines Herzens vergeben werde. Denn ich sehe
dich voll bitterer Galle und von den Banden der
Ungerechtigkeit umstrickt."[70]
Du siehst hier, daß Petrus kraft apostolischen Ansehens
den Simon, der in thörichtem Zauberglauben befangen
gegen den hl. Geist lästerte, verurtheilt und zwar mit
um so größerem Rechte, weil jener das reine Bewußtsein
des Glaubens nicht hatte. Gleichwohl verschloß er ihm
nicht die Hoffnung auf Verzeihung, da er ihn
ausdrücklich zur Buße einlud.
Der Herr hat also auf die Lästerung der
Pharisäer die Antwort ertheilt. Er verweigerte
denjenigen den Gnadenerweis seiner Macht, wie sie in der
Nachlassung der Sünden sich offenbart, welche ihrerseits
diese göttliche Macht der Hilfe und Stütze des Satan
zuschrieben. Damit erklärt der Herr aber auch, daß
diejenigen dem höllischen Geiste dienen, welche die
Kirche des Herrn zertheilen. und so hat er die Häretiker
und Schismatiker aller Zeiten zu denen gezählt, welchen
er die Verzeihung versagt, weil jede andere Sünde gegen
Einzelne gerichtet ist, während diese die Gesammtheit
trifft. Diese Menschen allein sind es, welche die Gnade
Christi entkräften wollen, welche die Glieder der Kirche
zerreissen, um deretwillen der Herr Jesus gelitten, oder
er den heiligen Geist verliehen hat. (S. 288) Damit ihr
ferner nicht im Unklaren sein möchtet, daß er wirklich
von den Zerstörern der Einheit redet, ist das weitere
Wort gesprochen: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen
mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet."
Und dann fügt der Herr zur Erläuterung, von wem dieses
Wort gilt, hinzu: „Darum sage ich euch: Jede Sünde und
Lästerung wird den Menschen vergeben werden, aber die
Lästerung wider den heiligen Geist wird ihnen nicht
vergeben werden." Die Betonung der Worte: „Darum sage
ich euch," zeigt uns deutlich genug, daß gerade die
folgenden Worte vor den übrigen von uns sollen besonders
beachtet werden. Mit vollem Rechte setzte der Herr dann
hinzu: „Ein guter Baum bringt gute Früchte, ein
schlechter Baum aber bringt schlechte Früchte;" also
kann auch eine schlechte Genossenschaft keine guten
Früchte bringen. Der Baum deutet auf eine
Genossenschaft, die guten Früchte des Baumes aber sind
die Kinder der Kirche.
So kehret denn zur Kirche zurück, die
ihr euch gottloser Weise von ihr getrennt habt. Allen,
die sich bekehren, wird Verzeihung zugesagt, wie
geschrieben steht: „Jeder, der den Namen des Herrn
anruft, wird gerettet werden."[71]
Um nur ein Beispiel anzuführen: das Volk der Juden, das
von dem Herrn gesagt: „er hat einen Teufel"; das
gelästert hat: „er treibt durch Beelzebub die Teufel
aus"; dieses Volk, das den Herrn Jesus kreuzigte, wurde
doch durch die Predigt des Apostels Petrus zur Taufe
berufen, damit es die Schuld so schwerer Verbrechen
ablege.
Was braucht es uns aber Wunder zu
nehmen, wenn ihr das Heil Anderen verweigert, da ihr ja
euer eigenes zurückweiset. Dabei geht dann freilich
Jenen nichts verloren, welche von euch die Buße sich
erbitten. Ich glaube in der That, daß auch Judas durch
die unermeßliche Barmherzigkeit Gottes nicht von der
Verzeihung ausgeschlossen wäre; nur hätte er die Buße
nicht bei den Juden, sondern (S. 289) bei Christus
übernehmen müssen. „Ich habe gesündigt," rief er, „weil
ich unschuldiges Blut verrathen habe." Die Juden
antworteten: „Was geht das uns an? da siehe du zu."
Lautet eure Sprache vielleicht anders, wenn Jemand, der
auch nur eines geringeren Vergehens schuldig ist, seine
eigene That euch bekennt? Was antwortet ihr denn anders,
als: „Was geht das uns an? da siehe du zu." Jenem Worte
folgte dann der Strick der Verzweiflung: um so
furchtbarer aber ist die Strafe, je kleiner die Schuld
ist. Wenn aber nun Jene sich nicht bekehren, so bekehret
ihr wenigstens euch, die ihr Fall um Fall von der
erhabenen Höhe der Unschuld und des Glaubens
herabgestürzt seid. Wir haben einen guten, milden Herrn,
der Allen verzeihen will, der auch dich durch den
Propheten ruft: „Ich bin es", sagt er, „ich allein bin
es, der deine Übertretungen tilgt; und deiner Sünden
gedenke ich nicht; du aber sei eingedenk und wir wollen
rechten mit einander.“[72]
Cap. 5
Die Novatianer werfen aber auch noch eine
Frage auf in Betreff der Worte des Apostels Petrus. Weil
er zu Simon sagte: „ob vielleicht"[73]
dir vergeben werde, (S. 290) glauben Jene, Petrus habe
hier keineswegs behauptet, daß demjenigen, der Buße thue,
die Sünden nachgelassen würden. Aber sie sollten doch
bedenken, von wem der Apostel so redet: von Simon,
dessen Glaube nicht in der treuen Hingabe wurzelte, der
vielmehr nur auf falsche List sann. So sprach auch der
Herr zu jenem Jünglinge, der ihm erklärte: „Ich will dir
folgen", - eben weil Jesus erkannte, daß seine Absichten
nicht ganz rein seien -: „Die Füchse haben Höhlen." Wenn
nun der Herr demjenigen, welchen er als nicht aufrichtig
erkannte, vor der Taufe die Nachfolge verwehrte:
wunderst du dich dann, wenn der Apostel denjenigen,
welcher nach der Taufe so fehlte, nicht losspricht, da
er ausdrücklich erklärt, jener werde in den Fesseln der
Ungerechtigkeit verharren?
Diese Antwort mag den Gegnern genügen.
Sonst behaupte ich aber, daß Petrus gar nicht gezweifelt
hat, und ich glaube auch nicht, daß man den ganzen
Vorgang mit der Ausdeutung eines einzigen Wortes - ich
möchte sagen - erwürgen darf. Wenn sie behaupten, Petrus
habe seinem Zweifel hier Ausdruck gegeben, hat dann
vielleicht auch Gott gezweifelt? Aber er sagt doch beim
Propheten Jeremias: „Stelle dich in den Vorhof am Hause
des Herrn und sprich zu allen Städten Judas, aus denen
man kommt, um anzubeten, alle Worte, die ich dir
gebiete, zu ihnen zu reden; nimm kein Wort hinweg:
vielleicht, daß sie hören und sich bekehren."[74]
So mögen denn die Gegner auch behaupten, Gott sei
gleichfalls die Zukunft unbekannt.
Keineswegs ist in diesem Worte die
Unkenntniß der Zukunft ausgedrückt: es ist hier vielmehr
der gewohnte einfache Sprachgebrauch der heil. Schrift
beachtet. Sagt (S. 291) ja auch der Herr zum Propheten
Ezechiel: „Menschensohn, ich sende dich zu den Söhnen
Israels, zu abtrünnigen Völkern, die von mir abgewichen
sind: sie und ihre Väter haben meinen Bund gebrochen bis
auf diesen Tag. Du sollst nun zu ihnen sagen: So spricht
Gott der Herr! Vielleicht, daß sie hören und
erschrecken."[75]
Wußte denn nun vielleicht Gott nicht, ob Jene sich
bekehren könnten oder nicht? Die angeführte
Ausdrucksweise ist also keineswegs immer die Bezeichnung
des Zweifels.
Uebrigens gebrauchen auch die weltlichen
Schriftsteller, die doch ihren ganzen Ruhm in die
zutreffende Wahl der Worte setzen, das gedachte Wort
nicht ständig für den Ausdruck des Zweifels. Das
lateinische „forte“ entspricht dem griechischen „τάχα“.
Der erste unter den griechischen Dichtern sagt nun:[76]
…….. ἥ τάχα χήρη
σεῦ ἔσομαι τάχα γάρ σε κατακτανέουσιν
Ἀχαιοί,
πάντες ἐφορμηθέντες …..
In diesen Worten sollte doch nicht der
Zweifel daran Ausdruck finden, daß, wenn Alle
anstürmten, leichtlich ein Einzelner von der ganzen
Masse könnte niedergeworfen werden.
Wir bleiben indessen lieber bei den
Beispielen aus unseren eigenen Schriftstellern, als daß
wir zu fremden (S. 292) unsere Zuflucht nehmen. So lesen
wir im Evangelium, daß der Vater, der seine Knechte
bereits zu seinem Weinberge gesandt hatte, die aber
getödtet waren, ausruft: „Ich will meinen geliebtesten
Sohn senden; vielleicht daß sie vor ihm Ehrfurcht
haben."[77]
Und anderswo sagt der Sohn von seiner eigenen Person
redend: „Ihr kennet weder mich noch meinen Vater; wenn
ihr mich kanntet, so würdet ihr wohl auch meinen Vater
kennen."[78]
Wenn nun Petrus Worte gebraucht, deren
Gott sich bedient, ohne seinem Wissen irgend Eintrag zu
thun: warum sollen wir nicht annehmen, daß Petrus
dieselben Worte gebraucht, ohne seiner Ueberzeugung
damit Abbruch thun zu wollen? Er konnte ja gar keinen
Zweifel hegen hinsichtlich des Gnadengeschenkes Christi,
der ihm die Gewalt, Sünden nachzulassen, gegeben hatte.
Er konnte das um so weniger, als er doch den listigen
Anschlägen der Häretiker keinen Spielraum gewähren
durfte, die nur um deßwillen die Hoffnung des Menschen
vernichten wollen, damit sie bei den Verzweifelnden um
so leichter Eingang finden mit ihrer Lehre von der
Wiederholung der Taufe.
Die Apostel aber, welche die Taufe
festhalten, haben, der Unterweisung des Herrn folgend,
auch die Buße verkündigt, haben Verzeihung verheißen,
haben die Schuld nachgelassen. So hat auch David
gelehrt, wenn er sagt: „Selig, deren Missethaten
vergeben, deren Sünden bedeckt sind. Selig der Mann, dem
der Herr die Sünde nicht angerechnet hat."[79]
Beide preiset David selig, sowohl denjenigen, dessen
Missethat durch das Bad der Wiedergeburt getilgt, als
auch denjenigen, dessen Sünde durch gute Werke bedeckt
wird. Wer nämlich Buße thut, der muß seine Sünde nicht
bloß mit Thränen abwaschen, sondern er muß auch die
früheren Vergehen mit gebesserten[80]
Werken (S. 293) verhüllen und bedecken, damit ihm die
Sünde nicht angerechnet werde.
So bedecken wir denn unsere Fehltritte
mit den nachfolgenden Werken, tilgen wir sie mit den
Thränen der Reue. Dann wird der Herr auch unser Seufzen
hören, wie er Ephraim einst klagen hörte. Es steht ja
geschrieben, daß der Herr gesprochen: „Aufhorchend hörte
ich Ephraim, da er weinend klagte." Und er gibt selbst
die Worte an, in welchen Ephraim seinen Schmerz
ergossen: „Du hast mich gestraft, und du hast mich
gezüchtigt, wie ein ungebändigt Kalb." Das Kalb springt
unbändig und enteilt dem Stalle: Ephraim aber ist
ungebändigt wie das Kalb und weit von der Heerde
entfernt, weil es die Hut des Herrn verlassen hat und
Jerobeam nachfolgend die Kälber verehrt hat, wie schon
Aaron prophetischen Geistes vorausgesagt hatte, daß das
Volk der Juden so fallen würde. Darum spricht Ephraim
auch in seiner Buße: „Bekehre mich, so werde ich
bekehrt, denn du bist der Herr mein Gott: in den letzten
Tagen meiner Gefangenschaft habe ich Buße gethan. Seit
ich zur Erkenntniß gekommen, seufze ich über die Tage
meiner Schmach und bin dir unterworfen; ich bin beschämt
und erröthe; denn ich trage die Schmach meiner Jugend.
Ich habe Schmach empfunden, dann aber dich (den Anderen)
gezeigt."[81]
Wir sehen hier, wie die Buße geübt
werden, in welchen Worten und wie sie in Thränen
Ausdruck finden muß; wir hören, daß die Tage der Sünde
Tage der Schmach genannt werden und es ist in der That
eine Schmach, wenn Christus verleugnet wird. (S. 294) So
unterwerfen wir uns denn Gott und seien wir nicht ferner
unterthan der Sünde: wenn wir dann unserer Missethaten
gedenken, so müssen wir über dieselben wie über eine
tiefe Schmach erröthen. Wir dürfen sie nicht als Ehre
ausgeben, wie manche Menschen, welche ihrer Sünden sich
rühmen, nachdem sie freilich alle Scham vertrieben und
das Gefühl der Gerechtigkeit gänzlich in sich erstickt
haben. So vollkommen soll unsere Bekehrung werden, daß
wir, die wir Gott vordem nicht erkannten, nun ihn sogar
Anderen zur Erkenntnis bringen. Der Herr aber, durch
unsere Umkehr bewegt, mag dann auch wohl zu uns sagen:
„Von früher Zeit an ist Ephraim mir ein geliebter Sohn,
ein zärtlich Kind; denn seit ich von ihm rede, gedenke
ich sein auch; darum ist mein Inneres in Bewegung um
seinetwillen, und ich erbarme mich sein, spricht der
Herr."
Welche Barmherzigkeit der Herr uns aber
verspricht, das zeigt er uns mit den weiteren Worten:
„Ich will trunken machen die erschöpften Seelen und
sättigen jede hungernde. Darum bin ich, wie vom Schlafe
erwacht und schaue, und mein Schlaf war mir angenehm."[82]
Wir erkennen daraus, daß der Herr den Sündern seine
Gnadengeheimnisse verheißt: so bekehren wir uns denn
sämmtlich zum Herrn.
Cap. 6
Wollen nun die Anderen sich nicht
bekehren, dann kehret ihr wenigstens um, die ihr in
wiederholtem Falle von der erhabenen Höhe der Unschuld
und des Glaubens herabgefallen seid. Wir haben ja einen
guten, milden Herrn, der Allen gerne verzeihen will, der
durch den Propheten dich gerufen hat mit den Worten:
„Ich bin es, ich allein, der deine Missethaten tilgt;
und deiner Sünden gedenke ich nicht; du aber sei
eingedenk und wir wollen (S. 295) rechten mit einander."
„Ich gedenke nicht", sagt der Herr; „du aber gedenke
daran", mit anderen Worten: „Ich rufe die Sünden, welche
ich dir verziehen habe, nicht in mein Gedächtniß zurück;
mit Vergessenheit sind sie bedeckt; du aber gedenke
daran. Ich denke ihrer nicht um der Gnade willen, die
ich dir verliehen; du aber denke daran um der Besserung
willen, damit du dir bewußt bleibst, daß die Sünde dir
nachgelassen ist; damit du dich nicht rühmest, als
seiest du unschuldig, damit du, indem du dich selbst
rechtfertigst, dich nicht ärger belastest. Willst du
gerechtfertigt sein, dann bekenne vielmehr deine
Missethat. Das Band der Verbrechen wird durch
schamerfülltes Bekenntniß gelöst."
Du siehst also, was Gott von dir
fordert: du sollst der Gnade eingedenk sein, die du
empfangen hast, und sollst dich nicht überheben, als
hättest du nicht empfangen. Du siehst, wie er durch das
Versprechen der Verzeihung dich zum Bekenntniß
auffordert. Siehe aber auch zu, daß du nicht durch
Widerstand gegen die himmlischen Gebote in die
Unbotmäßigkeit der Juden verfällst, zu denen der Herr
Jesus gesagt hat: „Wir haben euch gespielt, da habt ihr
nicht getanzt; wir haben geklagt, und ihr habt nicht
geweint."[83]
Das scheint eine gewöhnliche Redensart,
aber es birgt sich hier kein gewöhnliches Geheimniß.
Deßhalb muß man vor Allem sich hüten, durch eine flache
Auslegung dieser Worte getäuscht, anzunehmen, als würden
hier die unzüchtigen Tänze des Theaters, die Thorheiten
der Bühne empfohlen. Die bleiben auch für das
jugendliche Alter sündhaft und verwerflich: es wird
vielmehr ein heiliger Tanz empfohlen, wie David tanzte
vor der Lade des Bundes. Das ziemt sich immer, was der
Gottesverehrung gewidmet wird, und wir brauchen uns
keines Dienstes, der sich auf die Verehrung Christi
bezieht, zu schämen. (S. 296) Der Tanz wird also nicht
empfohlen, wie er als Genosse üppiger Lust auftritt,
sondern in geistiger Übertragung, wie er den Leib sich
freudig erheben, wie er die Glieder nicht träge am Boden
haften läßt, wie er die ausgetretenen Geleise zu
verlassen zwingt. Es war ein geistiger Tanz des
Apostels, als er nach seinen eigenen Worten „vergaß, was
hinter ihm lag. und für uns nach dem sich ausstreckte,
was vor ihm lag. als er dem Ziele zueilte, dem
Siegespreise Jesu Christi."[84]
So wirst auch du, wenn du zur Taufe kommst, gemahnt,
deine Hände zu erheben, deine Füße auf dem Gange zur
Ewigkeit zu schnellerem Schritte anzutreiben. So ist der
Tanz Genosse des Glaubens und der Gnade.
Da also liegt das Geheimniß: „Wir haben
euch gesungen", den Gesang nämlich des neuen
Testamentes; „ihr aber habt nicht getanzt", d.h. ihr
habt euren Geist nicht zu himmlischer Gnade erhoben.
„Wir haben geklagt, und ihr habt nicht geweint", d.h.
ihr habt nicht Buße gethan. Darum aber gerade ist das
Volk der Juden verworfen, weil es nicht Buße gethan,
weil es die Gnade zurückgewiesen hat. Durch Johannes
ward die Buße, durch Christus die Gnade geboten. Diese
schenkt der Herr, jene verkündet der Diener. Beides
beobachtet aber die Kirche, und so erlangt sie die
Gnade, während sie die Buße nicht verwirft: denn die
Gnade ist Geschenk des verzeihenden Gottes, die Buße ist
das Heilmittel des sündigen Menschen.
So wußte Jeremias, welches Heilmittel in
der Buße lag, die er in seinen Klageliedern für
Jerusalem übernahm. Darum führt er Jerusalem büßend ein
mit den Worten: „Sie weinet des Nachts ohne Aufhören,
und die Thränen laufen ihr über die Wangen: keiner von
allen ihren Lieben tröstet sie. Die Wege nach Sion
trauern." Dann fügt er hinzu: „Darum weine ich, und
meinen Augen entströmen die Thränen. weil der Tröster,
der mich wieder belebet, fern (S. 297) ist von mir."[85]
Das also war das herbste, bitterste Leid, daß der ferne
war, welcher die Klagende tröstete. Wie könnet ihr nun
selbst den Trost wegnehmen, indem ihr die Hoffnung auf
Beendigung der Buße vorenthaltet?
Es mögen aber die, welche Buße thun,
vernehmen, wie sie dieselbe üben sollen, mit welchem
Eifer, mit welcher Gesinnung, mit welcher Absicht, mit
welcher inneren Zerknirschung. „Siehe, Herr", sagt der
Prophet, „wie ich geängstet bin, mein Innerstes bebt,
mein Herz wendet sich um in mir selbst."
Das ist die innere Erschütterung der
Seele: und wie ist die Treue der Gesinnung und die
Haltung des Körpers? „Es sitzen auf dem Boden und
schweigen die Nettesten der Tochter Sions: sie bestreuen
mit Asche ihre Häupter, gürten sich mit Trauergewand: zu
Boden senken ihr Haupt die Jungfrauen Jerusalems, meine
Augen vergeben vor Thränen; meine Eingeweide beben;
ausgegossen auf die Erde ist mein Ruhm."
So weinte auch das Volk Ninive's und
entging dadurch dem angedrohten Untergange der Stadt: so
groß also ist die heilende Kraft der Buße, daß Gott um
ihretwillen sogar seine Rathschlüsse zu ändern scheint.
In dir ist es darnach gelegen, dem Urtheilsspruche zu
entgehen; der Herr will gebeten sein, er will, daß du
hoffnungsvoll zu ihm deine Zuflucht nimmst. Du bist ein
Mensch und willst gebeten sein, ehe du verzeihest, und
du glaubst, daß Gott dir verzeiht, ohne daß du ihn
bittest?
Der Herr weinte einst selbst über
Jerusalem, damit die heilige Stadt, selbst thränenlos.
durch die Thränen des Herrn zur Verzeihung gelangen
möchte. Er will aber, daß wir selbst weinen, damit wir
dem Gerichte entgehen, wie er einst auch gesagt hat:
„Ihr Töchter Jerusalems, weinet nicht über mich, sondem
weinet über euch selbst!"
Auch David weinte einst und erwirkte
dadurch, daß die göttliche Erbarmung dem Sterben des
Volkes Einhalt (S. 298) that: unter dreien war ihm die
Wahl gelassen, und er erwählte dasjenige, wobei die
göttliche Barmherzigkeit in hellerem Lichte sich zeigen
konnte.[86]
Was schämst du dich denn nun, über deine Sünden zu
weinen, da doch Gott wollte, daß die Propheten weinten
für die Völker?
So wurde auch Ezechiel geboten, über
Jerusalem zu weinen, da er das Buch empfing, dessen
Titel lautete: „Klagen, Gesang, Wehe!"[87]
Zwei Trauerbezeichnungen, eine Freudenbezeichnung, weil
ja derjenige in der Ewigkeit selig wird, der in diesem
Leben geweint hat: „Das Herz des Weisen," sagt der
Prediger, „ist da, wo Traurigkeit ist, und das Herz der
Thoren ist im Hause der Ueppigkeit."[88]
Der Herr selbst aber sagt: „Selig, die ihr jetzt weinet:
ihr werdet dereinst lachen."
Cap. 7
Wir wollen also weinen in der Zeit, damit
wir dereinst jubeln in der Ewigkeit. Wir wollen den
Herrn fürchten, wir wollen ihm zuvorkommen, indem wir
unsere Sünden bekennen; wir wollen unsere Fehler
bessern, unsere Verirrungen gut machen, damit nicht auch
von uns das Wort gilt: „Weh' mir, meine Seele!
Verschwunden ist von der Erde der Fromme, und der sich
besserte, findet sich nicht unter den Menschen."
Was scheuest du dich denn nun, bei dem
milden guten Herrn deine Missethaten zu bekennen?
„Bekenne", sagt doch der Prophet. „deine Missethaten,
damit du gerechtfertigt werdest."[89]
So wird dem Schuldbeladenen der Lohn der Rechtfertigung
in Aussicht gestellt; denn derjenige wird
gerechtfertigt, der das eigene Vergehen freiwillig
anerkennt: (S. 298) und zudem „ist der Gerechte zuerst,
beim Beginne des Redens sein eigener Ankläger."[90]
Der Herr weiß freilich Alles, aber er
erwartet gleichwohl das Wort deiner Anklage, nicht um
dich zu strafen, sondern um dir zu verzeihen: er will
eben nicht, daß der Teufel dir Schmach zufügt und dich
anklagt, da du deine Vergehen verheimlichst. Komme
diesem Ankläger zuvor: wenn du dich selbst anklagst,
brauchst du keinen Ankläger zu fürchten; gibst du selbst
dich an, so wirst du das getödtete Leben der Seele
zurückerlangen.
Christus wird zu deinem Grabe kommen:
wenn er dann sieht, daß Martha, das Weib des treuen
Dienstes, um deinetwillen weint; wenn er Maria weinen
sieht, die voll Aufmerksamkeit dem Worte des Herrn
lauschte und so, der Kirche vergleichbar, den besten
Theil erwählte: dann wird er, im Anblick so vieler
Thränen, die um deinen Hingang fließen, von Mitleid
bewegt werden und fragen: „Wo habt ihr ihn hingelegt?"
d.h. in welcher Klasse der Schuldigen, auf welcher Stufe
der Büßenden befindet er sich? Ich will den sehen, um
welchen ihr weinet, auf daß er selbst durch seine
Thränen mich rühre: ich will sehen, ob er der Sünde, für
welche Verzeihung erfleht wird, schon gestorben ist.
Dann wird das Volk ihm antworten: „Komm
und siehe!" Was soll das Wort: „Komme"? Das heißt:
kommen soll die Verzeihung der Sünden, das Leben der
Gestorbenen, die Auferstehung der Todten, kommen soll
auch zu diesem Sünder dein Reich.
Er wird kommen und dann befehlen, daß
der Stein gehoben werde, den die Fehltritte dem Nacken
des Sünders aufgelegt haben. Er konnte den Stein
entfernen mit dem Machtworte seines Mundes: es weiß ja
auch die fühllose Natur dem Gebote Christi Folge zu
geben. Es hätte selbst mit der lautlosen Macht
unsichtbarer Willensthätigkeit Der- (S. 300) jenige den
Stein des Grabes entfernen können, bei dessen Leiden
plötzlich die Grabsteine sich hoben und die Gräber
vieler Todten sich öffneten. Gleichwohl befahl er den
Umstehenden, den Stein wegzuwälzen, in Wirklichkeit um
die Ungläubigen zum Glauben zu bringen, wenn sie den
Gestorbenen erstehen sähen; vorbildlich aber, weil er
uns auftragen wollte, die Lasten der Sünden, welche wie
schwere Steine auf den Büßern liegen, zu erleichtern. So
ist es denn unseres Amtes, die Lasten zu heben; sein
Werk wird es sein, zu erwecken, die ihrer Todesfesseln
Entledigten aus dem Grabe herauszuführen.
Im Anblicke der schweren Sündenlast
weint dann auch der Herr Jesus: er erträgt es nicht, daß
die Kirche allein weint. Er fühlt Mitleid mit seiner
geliebten Braut und ruft dem Gestorbenen zu: „Komme
heraus!" d.h. du, der du in der Finsterniß deines
schuldbeladenen Gewissens, in dem Schmutz deiner Sünden
- das ist ja gleichsam der Kerker des Schuldigen - wie
begraben liegst, komme heraus, gib kund deine Schuld,
damit du die Rechtfertigung erlangest: „denn mit dem
Munde geschieht das Bekenntniß zum Heile."
Wenn du, von Christus gerufen, das
Bekenntniß abgelegt hast, dann zerbrechen die Bande,
dann lösen sich die Fesseln, wäre die Verwesung auch
schon weit vorgeschritten. Lazarus hatte vier Tage im
Grabe gelegen und das Fleisch verbreitete bereits den
Geruch der Verwesung. Er aber, dessen Fleisch die
Verwesung nicht schaute, lag nur bis zum dritten Tage im
Grabe: ihm war fremd die Gebrechlichkeit des Fleisches,
das aus Theilen der vier Elemente besteht. Wie
durchdringend aber der Geruch der Verwesung auch sein
mag, er verschwindet ganz, sobald der Duft heiliger
Salbung sich ergießt. Dann erhebt sich der Todte: auf
Befehl des Herrn werden die Bande desjenigen gelöset,
der bislang in der Sünde begraben lag; von seinem
Antlitze wird die Hülle genommen, welche die Gnade, die
er in Wahrheit empfangen hatte, verschleierte. Da er
aber jetzt mit der Verzeihung beschenkt ist, so erfolgt
der Befehl, die (S. 301) Hülle zu entfernen, das Antlitz
offen zu legen: der hat ja keinen Grund mehr zu erröthen,
dem die Sünde erlassen ist.
Bei einer solchen Gnadenergießung, bei
einem so erhabenen Wunder göttlicher Huld sollten doch
Alle von Freude erfüllt werden; aber die Gottlosen
werden zornig und halten einen Rath wider Christus, wie
einstmals, da sie sogar den Lazarus zu tödten suchten.
Erkennet ihr Novatianer aber nicht, daß ihr die
Nachfolger jener Pharisäer seid, da ihr als die Erben
ihrer Härte euch bewährt? Auch ihr seid ingrimmig und
haltet einen Rath wider die Kirche, weil ihr sehet, daß
in der Kirche die Todten wieder aufleben und durch die
verliehene Verzeihung der Sünden wieder erweckt werden.
So viel an euch liegt, möchtet ihr durch eure neidische
Bosheit die Erstandenen wieder tödten.
Jesus aber widerruft seine Wohlthaten
nicht, er erweitert sie vielmehr durch neuen Erguß
seiner Freigebigkeit. Voll zarter Sorge betrachtet er
den Erweckten, und hocherfreut über die gnadenvolle
Auferstehung kommt er zu dem Mahle, das seine heilige
Kirche bereitet hat, bei dem der Gestorbene zugleich mit
den anderen Gästen bei Christus gefunden wird.
Dann sind voll freudigen Erstaunens
Alle, welche mit reinem Geistesauge auf ihn sehen,
welche den scheelen Blick des Neides nicht kennen: denn
solche Kinder hat die Kirche: sie sind erstaunt, daß
Jener, der gestern und vorgestern noch im Grabe lag, nun
unter den anderen Geladenen mit dem Herrn Jesus zum
Mahle niedersitzt.
Maria selbst gießt Salböl auf die Füße
des Herrn Jesus: auf die Füße wohl um deßwillen, weil
Einer aus den Geringsten dem Tode entrissen ist; wir
Alle sind zwar der Leib Christi, aber Einige sind doch
wohl erhabenere Glieder. So war der Apostel nach seinen
eigenen Worten der Mund des Herrn. „Verlanget ihr einen
Beweis, sagt er, für den aus mir redenden Christus?"[91]
Auch die Pro- (S. 302) pheten, durch welche der Herr die
Zukunft verkündete, waren sein Mund: ach ich wünschte
nur, wie der Fuß des Herrn zu sein. Wenn dann Maria doch
ihr Salböl auch über mich ausgöße und so die Sünden
tilgte!
Was wir nun von Lazarus lesen, das
müssen wir von jedem bekehrten Sünder annehmen: wie
häßlich auch der Geruch seiner Sünden sein mag, so wird
er doch durch das kostbare Salböl des Glaubens
gereinigt. Solch' große Kraft bat der Glaube, dass, wo
Tags zuvor noch Todtengeruch sich verbreitete, jetzt das
ganze Haus mit dem Geruche der Heiligkeit erfüllt wird.
Häßlicher Sündengeruch lag auf jenem
Hause in Korinth, als der Apostel schrieb: „Man hört von
Unzucht unter euch und zwar von einer solchen Unzucht,
dergleichen selbst unter Heiden nicht vorkommt." So
hatte der Sauerteig des einen Sünders die ganze Masse
verdorben. Bald aber stieg wiederum Wohlgeruch empor,
als der Apostel sagte: „Wem ihr etwas verziehen habt,
dem habe auch ich verziehen: denn was ich vergeben habe,
das geschah euretwillen an Christi Statt." So herrschte
denn um des bekehrten Sünders willen große Freude, und
das ganze Haus duftete von dem Wohlgeruche der Gnade.
Deßhalb konnte denn auch der Apostel, überzeugt, daß auf
Alle das Salböl apostolischer Verzeihung sich ergieße,
sagen: „Nun sind wir ein guter Geruch Christi vor Gott
in denjenigen, welche gerettet werden."
Als Maria das Salböl ausgoß, da freuten
sich Alle; nur Judas widersprach. So widerspricht auch
jetzt derjenige, der ein Verbrecher ist; es tadelt
derjenige, der ein Verräther ist: von Christus aber wird
er selbst getadelt, weil er das Heilmittel, das dem Tode
des Herrn entquillt, verkennt, weil er das Geheimniß
solchen Begrabens nicht faßt. Deßhalb hat ja Christus
gelitten und ist gestorben, daß er uns von dem Tode
erlösete. Das ist der erhabene Preis seines Todes, durch
welchen der Sünder losgesprochen und zu neuer Gnade
aufgenommen wird, damit Alle kommen und staunen, wenn er
mit dem Herrn zu (S. 303) Tische sitzt. Dann preisen sie
Gott und sagen: „Nun wollen wir essen und trinken: denn
dieser war todt und lebet wieder: er war verloren und
ist wieder gefunden." Sollte dann aber Jemand
ungläubigen, widerspänstigen Herzens einwenden, warum
doch der Herr mit Zöllnern und Sündern speise, dann wird
ihm die Antwort werden: „Nicht die Gesunden bedürfen des
Arztes, sondern die Kranken."
Cap. 8
Zeige also dem Arzte deine Wunde, damit
Heilung eintreten kann. Er kennt sie freilich, wenn du
sie auch nicht aufdeckst: aber er will nun einmal von
dir das Wort der Anklage hören. Wasche mit deinen
Thränen die Wunden deiner Seele. So hat jenes Weib im
Evangelium ihre Sünde und den bösen Geruch ihrer
Verirrung getilgt und ihre Schuld gelöscht, als sie mit
ihren Thränen die Füße des Herrn netzte.
Möchtest du doch, o mein Jesus, auch mir
überlassen, deine heiligen Füße zu waschen, die befleckt
sind, seit du in mir wandelst! Wenn du doch mir
gestatten wolltest, den Schmutz zu tilgen, mit welchem
ich durch mein Handeln deine Schritte verunehrt habe!
Aber ach woher will ich lebendiges Wasser nehmen, womit
ich deine Füße waschen könnte? Habe ich nicht solches
Wasser, so habe ich doch Thränen, und während ich mit
meinen Thränen deine Füße benetze, reinige ich wohl auch
mich selbst. Woher, o mein Jesus, soll mir die Gnade
kommen, daß du auch zu mir sagst: „Ihm sind viele Sünden
vergeben, weil er viel geliebet hat"? Ich muß es
bekennen, daß ich mehr (viel) schuldete und daß mehr mir
erlassen wurde, da ich von dem Lärm der Gerichtshändel,
von den Schrecknissen öffentlicher Verwaltung zum
Priesterthume berufen bin. Gerade deßhalb aber fürchte
ich auch undankbar befunden zu werden, wenn ich, dem
mehr nachgelassen ist, weniger liebe. (S. 304) Freilich
nicht Alle können jenem Weibe gleich kommen, die auch
dem Simon mit Recht vorgezogen wurde, der doch dem Herrn
das Mahl bereitet hatte. Sie hat für Alle, welche
Verzeihung verdienen wollen, das Lehramt übernommen, da
sie die Füße des Herrn mit Küssen bedeckte, mit Thränen
benetzte, mit ihren Haaren abtrocknete und mit kostbarem
Oele salbte.
Im Kusse liegt das Zeichen der Liebe;
und deßhalb sagt der Herr Jesus mit dem Bräutigam des
hohen Liedes: „Sie möge mich küssen mit dem Kusse ihres
Mundes." Was bedeuten die aufgelösten Haare anders, als
die Verzichtleistung auf jede Würde, welche die Welt dem
Schmucke der Kopfbinde beilegt, und die dringende Bitte
um Verzeihung? So sollst du selbst dich unter Thränen zu
Boden werfen, und da liegend das Erbarmen Gottes
erwirken. Unter dem Salböl ist der Wohlgeruch
aufrichtiger Bekehrung verstanden. David war König, als
er sprach: „Allnächtlich wasche ich mein Bett mit Weinen
und benetze mit meinen Thränen mein Lager."[92]
Um deßwillen ist er aber auch des Gnadenvorzuges
gewürdigt worden, daß aus seiner Familie die Jungfrau
gewählt wurde, welche uns in ihrem Sohne den Messias
geschenkt hat. Deßhalb wird denn auch dieses Weib im
Evangelium selig gepriesen.
Wenn wir indessen jenes Weib in keiner
Weise erreichen können, so weiß der Herr Jesus auch den
Schwachen zu Hilfe zu kommen. Wo keine Maria vorhanden
ist, das Mahl zu bereiten, das Salböl zu bringen, den
Quell lebendigen Wassers mit sich zu tragen, da kommt er
selbst zum Grabmale.
Ach Herr Jesus! wenn du dich doch
herabließest, auch zu meinem Geistesgrabe zu kommen, um
mich mit deinen Thränen zu baden! Ich berge in meinen
nur zu sehr verschlossenen Augen keine Thränen, die
meine Sünden tilgen könnten. Wenn du für mich Thränen
vergossen hast, dann (S. 305) werde ich gerettet werden;
werde ich deiner Thränen gewürdigt, dann tilge ich den
bösen Geruch meiner Vergehen. Werde ich gewürdigt, daß
du nur ein wenig über mich weinest, dann wirst du auch
mich aus dem Grabe dieses Leibes rufen mit den Worten:
„Komme heraus!" Dann werden meine Gedanken nicht mehr in
das enge Gefängniß der Leiblichkeit eingeschlossen
bleiben; sie werden vielmehr herausgehen zu Christus,
sie werden im Lichte sich bewegen: dann denke ich nicht
mehr auf Werke der Finsterniß, sondern auf Werke des
Lichtes. Wer auf Sünden denkt, der ist bestrebt, in
seinem eigenen Bewußtsein sich einzuschließen.
Rufe denn deinen Knecht heraus! Gebunden
zwar mit den Fesseln meiner Sünden, mit
festumschlungenen Händen und Füßen, längst begraben in
todten Gedanken und Werken, werde ich auf deinen Ruf
doch fessellos, frei hervorgehen. Auch ich werde
erfunden als Einer deiner Tischgenossen, und dein
heiliges Haus wird mit kostbarem Salbenduft erfüllt
werden: und wen du zu erlösen dich gewürdigt hast, den
wirst du auch bewahren. Dann wird man sagen dürfen:
„Siehe, er ist nicht von Kindheit an im Schooße der
Kirche genährt und erzogen; er ist vielmehr vom
Richterstuhle weggenommen, den Eitelkeiten dieser Welt
entführt: er ist von dem Streiten des Gerichtssaales zum
Psalmengesange gewöhnt: und bleibt jetzt im
Priesterthume nicht um seiner Tugend willen, sondern
lediglich durch die Gnade Jesu Christi und sitzt unter
den Genossen des himmlischen Mahles!"
Behüte, Herr, dein Werk, schütze deine
Gnadengabe, die du mir bereitet hast trotz meiner
Flucht. Ich wußte ja, daß ich nicht würdig war, als
Bischof berufen zu werden, weil ich der Welt mich
ergeben hatte: aber durch deine Gnade bin ich nun, was
ich bin. Ich bin zwar in Wahrheit der geringste und
niedrigste unter allen Bischöfen; da ich aber doch
irgendwelche Arbeit für deine heilige Kirche vollbracht
habe, so schütze immerhin diese Frucht. Du hast mich als
ein verloren Menschenkind zum Priesterthume berufen: laß
jetzt nicht zu. daß ich als Priester verloren gehe! (S.
306) Vor Allem aber gib mir die Gnade, daß ich lerne,
aus tiefstem Herzensgrunde Mitleid zu tragen mit den
Sündern. Das ist ja die höchste Tugend, wie geschrieben
steht: „Du hättest dich nicht freuen sollen über die
Kinder Israels am Tage ihres Verderbens, nicht
großsprechen am Tage ihrer Angst"[93]
Gib, daß ich, so oft mir die Sünde eines Gefallenen
entgegentritt, Mitleid trage: daß ich nicht übermüthig
tadele, sondern mit ihm weine und traure. Gib, daß ich,
während ich den Nächsten beweine, auch mich selbst
beweine, auf mich das Wort anwendend: „Thamar ist
gerechter, als ich."[94]
Sie hat wohl in ihrer Jugend gesündigt,
verhört und hingerissen durch die Gelegenheiten -
allzeit Herd und Ursprung der Sünden - aber auch wir
sündigen noch trotz unseres Alters.[95]
Es streitet in uns das Gesetz des Fleisches gegen das
Gesetz unseres Geistes und führt uns gefangen unter die
Botmäßigkeit der Sünde, daß wir thun, was wir nicht
wollen. Dort liegt noch eine Entschuldigung in dem
jugendlichen Alter, ich habe keine Entschuldigung: die
Jugend muß lernen, wir müssen lehren. Darum sage auch
ich: „Thamar ist gerechter, als ich."
Wir beschuldigen Jemanden des Geizes:
aber dann renken wir doch auch nach, ob wir selbst
niemals dem Geize gefröhnt haben! Ist das der Fall, dann
sagen wir, da der Geiz die Wurzel aller Uebel ist und
verborgen, gleichsam unterirdisch in unseren Herzen
fortschleicht, ja sagen wir Mann für Mann: „Thamar ist
gerechter, als ich."
Wenn wir gegen Jemanden heftig erregt
sind, so ist es für den Laien eine geringere Sache, in
der Aufregung etwas gethan zu haben, als für den
Bischof. Erwägen wir das nur bei uns und dann sagen wir:
„Derjenige, welcher der (S. 307) Erregtheit beschuldigt
wird, ist wohl weniger schuldig als ich." Wenn wir so
reden, dann bewahren wir uns selbst davor, daß der Herr
oder einer seiner Jünger zu uns sagt: „Du siehst den
Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im
eigenen Auge siehest du nicht. Du Heuchler! zieh zuerst
den Balken aus dem eigenen Auge, und dann möchtest du
zusehen, auch den Splitter aus dem Auge des Nächsten zu
ziehen."
Schämen wir uns also nicht, zu gestehen,
daß unsere Schuld schwerer ist, als die desjenigen, den
wir glauben anklagen zu dürfen. So sprach auch Juda, da
er die Thamar beschuldigte, aber zugleich an die eigene
Schuld erinnert wurde: „Sie ist gerechter, als ich bin."
Darin liegt aber ein tiefes Geheimniß und ein heiliges
Gebot; und gerade deßhalb ist es seiner Schuld nicht
zugerechnet, weil er sich eher selbst anklagte, als er
von Anderen angeklagt wurde.
Freuen wir uns also nicht über die
Sünden eines Anderen, trauern wir vielmehr, wie auch
geschrieben steht beim Propheten: „Freue dich nicht über
mich, meine Feindin; wenn ich gefallen, werde ich wieder
auferstehen; wenn ich im Dunkel sitze, wird der Herr
mein Licht sein. Den Grimm des Herrn will ich tragen, -
denn ich sündigte wider ihn, - bis er meinen Handel
schlichtet, und mir Recht schafft: er wird mich an's
Licht bringen, und ich werde seine Gerechtigkeit
schauen. Sehen wird es meine Feindin, und Scham wird sie
decken, die da sprach zu mir: Wo ist der Herr, dein
Gott? Meine Augen werden sich an ihr letzen; bald wird
sie zertreten sein, wie Koth der Gasse."[96]
Nicht mit Unrecht geschieht das; denn derjenige, welcher
sich am Falle des Nächsten ergötzt, freut sich über den
Sieg des Teufels. So beklagen wir es denn tief, wenn wir
hören, daß ein Mensch, zu Grunde gegangen, für den
Christus doch in den Tod (S. 308) gegangen ist: er, der
auch des Halmes bei der Ernte nicht vergißt.
O daß er doch bei der Ernte auch diesen
Halm, das heißt den tauben Haferhalm, der meine Frucht
ausmacht, nicht wegwerfen, sondern sammeln möchte, wie
Einer sagt: „Weh mir! ich bin geworden, wie einer, der
Halmen sammelt zur Erntezeit, wie einer, der Trauben
sammelt bei der Weinlese!"[97]
Vielleicht fände er doch wenigstens die Erstlinge seiner
Gnade in mir genießbar, wenn er auch das Spätere nicht
billigen könnte.
Cap. 9
Nach dem Gesagten ist es also durchaus
zutreffend, daß wir sowohl an die Notwendigkeit der
Buße, als an die Möglichkeit der Verzeihung glauben;
freilich mit der Beschränkung, daß wir die Verzeihung
nur auf dem Grunde des Glaubens, nicht als eine
pflichtmäßige Leistung hoffen. Es ist ja doch ein
Anderes, etwas verdienen, und etwas von vornherein in
Anspruch nehmen. Der Glaube erbittet die Verzeihung
gleichsam auf Grund eines Vertrages; die Verzeihung aber
ohne Weiteres fordern, steht thörichter Anmaßung näher
als demüthiger Bitte. Zahle du zuerst, was du schuldig
bist; dann verdienst du vielleicht, daß du darum bitten
mögest, was du gehofft hast. Biete dar die Gesinnung
eines guten Schuldners, damit du nicht gezwungen wirst,
deine Schuld mit einer neuen Anleibe zu decken, damit du
vielmehr mit der Münze deines Glaubens die eingegangene
schwere Verpflichtung lösest.
Derjenige, welcher Gott schuldet, hat
übrigens reichere Hilfsmittel, zu zahlen, als derjenige,
welcher einem Menschen (S. 309) schuldig ist. Der Mensch
verlangt für das dargeliehene Geld eben Geld zurück, und
das steht dem Schuldner nicht immer zur Verfügung: Gott
verlangt die innere Gesinnung, und die liegt allezeit in
deiner Willensmacht. Niemand, der Gott schuldet, ist
arm, es sei denn, daß er sich selbst arm gemacht hat.
Hat er nichts, was er verkaufen könnte, so hat er doch
genug, womit er zahlen kann. Beten, Weinen, Fasten
bildet für den willigen Schuldner einen Vermögensstand,
der weil reicher ist, als wenn Jemand von dem Kaufpreise
seiner Aecker das Geld darbietet ohne Glauben.
So war Ananias arm, als er nach dem
Verkaufe seines Ackers das Geld zu den Aposteln trug: er
konnte seine Schuld damit nicht tilgen, verwickelte sich
vielmehr nur noch tiefer hinein. Reich aber war jene
Wittwe, welche die beiden geringen Münzen in den
Schatzkasten warf, von der gesagt wurde: Sie hat mehr
als Alle hineingelegt. Was Gott heischt, ist nicht die
Gabe an Geld, sondern der (treue) Glaube.
Uebrigens leugne auch ich keineswegs,
daß durch Freigebigkeit gegen die Armen die Sünde
vermindert wird; nur muß der Glaube die Gaben empfehlen.
Oder was nützt die Hingabe des Vermögens ohne die
Liebe?
Es gibt Menschen, die lediglich um des
äußeren Ruhmes willen die Zierde der Freigebigkeit an
den Tag legen, so zwar, daß sie für ganz besonders
erprobt wollen angeschen sein, weil sie nichts für sich
zurückbehalten. Da sie aber den Lohn dieser Welt suchen,
so sichern sie sich den der zukünftigen Welt nicht: da
sie hier den Lohn empfangen haben, so können sie
weiteren nicht hoffen.
Es gibt aber auch Andere, welche in
augenblicklicher, gewaltsamer Erregtheit, nicht nach
ruhiger Ueberlegung ihre Mittel erst der Kirche
schenkten und dann nachher glaubten, die Gabe widerrufen
zu müssen. Diesen ist weder der erste noch der zweite
Lohn bestimmt: die Gabe war ohne Ueberlegung gemacht und
der Widerruf derselben ein Sacrilegium. (S. 310) Es gibt
endlich Menschen, welche es bereuten, daß sie ihr
Vermögen den Armen gegeben hatten: aber diejenigen,
welche Buße thun, dürfen das in keinem Falle bereuen,
damit sie nicht etwa über ihre Buße selbst wieder Buße
thun. Denn gar Viele erbitten sich die Buße im
Bewußtsein ihrer Sünden aus Furcht vor der künftigen
Strafe; haben sie dieselbe dann empfangen, so lassen sie
sich abschrecken durch die Beschämung der öffentlichen
Bitte. Solche scheinen die Buße allerdings für böse
Handlungen erbeten zu haben, aber dann gerade für diese
gute That zu verrichten.
Einige fordern geradezu deßbalb die
Buße, um alsbald der kirchlichen Gemeinschaft wieder
zurückgegeben zu werden. Sie wünschen eigentlich gar
nicht sich zu lösen, sondern nur den Priester zu binden.
Sie befreien ihr Gewissen nicht von der Schuld und
belasten das Gewissen des Priesters, dem gesagt ist:
„Gebet das Heilige nicht den Hunden und werfet die
Perlen nicht vor die Säue;" d.h. den unreinen Herzen ist
die Zulassung zur heiligen Gemeinschaft nicht zu
gewähren.
Dann magst du sie vielleicht sehen, wie
sie in rasch gewechseltem Kleide einherschreiten,
während sie trauern und seufzen sollten, weil sie das
Kleid des Taufbades und der Gnade befleckt haben. Du
kannst sehen, wie Frauen ihre Ohren mit Perlen belasten,
und wie ihre Nacken sich krümmen, die sie wahrlich nicht
für Christus mit Gold niederbeugen: und doch müßten sie
sich selbst beweinen, weil sie die Perle, die vom Himmel
stammt, verloren haben.
Andere glauben, darin bestehe die Buße,
daß sie von den himmlischen Geheimnissen sich ferne
halten. Die sind aber doch zu grausame Richter gegen
sich selbst, welche sich eine Buße auflegen und das
Heilmittel versagen; sie hätten wohl Grund, über ihre
Buße selber Schmerz zu empfinden, weil sie um die
himmlische Gnade betrogen wurden.
Wieder Andere glauben, die in Aussicht
gestellte Hoffnung, Buße tun zu dürfen, erweitere ihnen
die Freiheit zu sündigen, während doch die Buße das
Heilmittel der Sünde, aber nicht das Reizmittel zum
Sündigen ist. Für die Wunde (S. 311) ist das Heilmittel
nothwendig. nicht aber umgekehrt für das Heilmittel die
Wunde: denn jenes wird wegen dieser gesucht, aber
keineswegs wird die Wunde um des Heilmittels willen
begehrt. Schwach ist die Hoffnung, welche zukünftiger
Zeit anvertraut wird; denn alle Zeit ist ungewiß und in
keinem Fall überdauert die Hoffnung alle Zeit.
Cap. 10
Sollte denn wohl Jemand billigen, daß du
Gott zu bitten erröthest, während du Menschen zu bitten
nicht erröthest, daß du dich schämst, vor Gott, dem du
doch nicht verborgen bist, als Flehender zu stehen,
während du dich nicht schämst, einem Menschen, der dich
nicht kennt, deine Sünden zu bekennen?[98]
Du fliehest Zeugen deines Bußgebetes, während du doch,
wo es sich um eine Leistung an Menschen handelt, gar
Viele angehen und bitten mußt, daß sie für dich
eintreten: da mußt du auf den Knieen liegen, den Staub
ihrer Füße mußt du küssen, du mußt deine Kinder sogar,
die deiner Schuld doch fremd sind, als Fürsprecher
darbieten, um dem Vater die Verzeihung zu erwirken. In
der Kirche Alles dieses zu thun: Gott flehentlich zu
bitten, bei seinem heiligen Volke Schutz und Fürsprache
nachzusuchen. - davor schreckst du zurück; - und doch
ist hier gar keine Veranlassung zum Schämen, oder
höchstens im Nichtbekennen gegeben, da wir ja Alle
Sünder sind. Je demüthiger Jemand ist, desto mehr ist er
des Lobes würdig; je verächtlicher er sich erscheint,
desto gerechter ist er.
Laß nur die Kirche, unsere Mutter, für
dich weinen, laß sie nur mit ihren Thränen deine Schuld
abwaschen. Möchte nur Christus dich traurig sehen, damit
er auch zu dir sagt: „Selig sind die Traurigen, denn sie
werden sich (S. 312) freuen." Es ist ihm lieb, wenn
Viele für Einen bitten. So hat er ja auch nach dem
Evangelium, durch die Thränen der Wittwe bewegt, weil
Viele für sie weinend baten, den Sohn derselben zum
Leben erweckt. Aus demselben Grunde hat er auch
schneller den Petrus erhört, so daß die Dorkas sich
wieder erhob, weil eben die Armen den Tod derselben
beweinten. Ebenso hat er dem Petrus verziehen, weil er
so bitterlich weinte. Und wenn auch du so bitterlich
weinest, dann wird Christus auf dich hinsehen, und die
Schuld wird schwinden. Die Anwendung des Schmerzes
vertreibt die Ueppigkeit des Lasters, die Lust der
Sünde. Wenn wir demnach die begangenen Sünden betrauern,
so schließen wir künftige aus, und so entsteht aus der
Verurtheilung der Schuld eine Zuchtschule der Unschuld.
So laß dich denn durch Nichts von der
Buße abziehen: sie ist dir ja mit den Heiligen gemein:
wäre sie nur so nachzuahmen, wie sie in dem Weinen der
Heiligen sich kundgab! David aß Asche wie Brod und
mischte seinen Trank mit Thränen: darum freut er sich
jetzt auch mehr, weil er mehr geweint hat: „Fluthen von
Wasser, sagt er. rinnen nieder meine Augen."[99]
Auch Johannes weinte sehr,[100]
und dann sagt er, daß ihm die Geheimnisse Christi
offenbart seien. Jenes Weib aber, welches, während es
hätte weinen sollen, weil es in Sünden war, sich freuete,
mit Purpur und Scharlach sich bekleidete und mit Gold
und kostbaren Steinen sich schmückte: dieses Weib
beklagt nun das schreckliche Loos ewigen Weinens.[101]
Mit Recht werden deßhalb diejenigen
getadelt, welche glauben, die Buße sei öfter zu üben:
sie sündigen durch Leichtfertigkeit gegen Christus. Wenn
sie aufrichtig die Buße übten, so würden sie nicht
meinen, sie könnten diese (S. 313) Uebung wiederholen;
denn wie es nur eine Taufe gibt, so gibt es auch nur
eine Buße, sofern sie öffentlich geübt wird.[102]
Die täglichen Fehler freilich muß man immer wieder
sühnen; solche Buße gilt aber den leichteren, jene
öffentliche den schwereren Sünden.
Ich finde übrigens wohl leichter
Menschen, welche ihre Unschuld bewahrt haben, als
solche, welche in entsprechender Weise Buße geübt haben.
Kann man da an Buße glauben, wo das Streben nach Würden
fortbesteht, wo der Wein fließt, wo sogar der eheliche
Umgang fortgesetzt wird? Nein, man muß den Genüssen der
Welt entsagen: selbst dem Schlafe soll man weniger
nachgeben, als die Natur fordert: mit Weinen muß man ihn
stören, mit Seufzern unterbrechen, mit Gebeten
zurückdrängen. So muß das Leben sich gestalten, daß wir
der gewöhnlichen Lebensweise absterben; der Mensch muß
sich verleugnen und ein ganz anderer werden. Es paßt
eben die Geschichte von jenem Jünglinge, welcher, um den
Banden einer buhlerischen Liebe zu entgehen, weit
fortreiste und erst zurückkehrte, als die Liebe in
seinem Herzen ertödtet war. Da begegnete er einst der
früheren Geliebten, welche verwundert darüber, daß er
sie nicht anredete, der Meinung war, sie sei von ihm
nicht wieder erkannt. Ihm entgegeneilend rief sie
deßhalb: „Ich bin es ja." Der Jüngling antwortete das
kurze Wort: „Gewiß, aber ich bin nicht mehr Ich."
Mit Recht sagt also der Herr: „Wer mir
nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein
Kreuz auf sich und folge mir nach." Die gestorben und
begraben sind in Christo, die dürfen (zum Leben
zurückgekehrt) nicht wieder urtheilen, als lebten sie
noch in der Welt; deßhalb setzt der Apostel hinzu:[103]
„Rühret nicht an, tastet nicht an, was
Alles (S. 314) zum Verderben gereicht schon durch den
Gebrauch", weil schon die gewöhnliche Art, das Leben zu
genießen, zum Verderben gereicht für die Unschuld.
Cap. 11
Um die Buße ist es also etwas Gutes:
bestände sie nicht, so würden wohl Alle, die Taufgnade
zu empfangen, bis ins hohe Alter zögern. Denen, welche
so denken, mag ein Wort zur Erwiderung dienen: es ist
doch besser ein Kleidungsstück zu haben, das man
flicken, als überhaupt Nichts zu haben, womit man sich
bekleiden kann. Freilich wird nur das einmal Geflickte
wieder haltbar, während das wiederholt Geflickte
zerreißt.
Diejenigen aber, welche ihre Buße
verschieben, hat der Herr selbst deutlich genug gemahnt
mit den Worten: „Thuet Buße, denn das Himmelreich hat
sich genahet." Wir wissen ja nicht, zu welcher Stunde
der Dieb kommt; wir wissen nicht, ob nicht in der
nächsten Nacht unsere Seele von uns gefordert wird. Den
Adam verjagte Gott unmittelbar nach der Sünde aus dem
Paradiese, ohne damit zu warten: aber er trennte ihn und
Eva von dem Lustgarten, damit sie eben Buße übten. Darum
bekleidete er sie auch sogleich mit einem Gewande von
Thierfellen, nicht von Seide. (S. 315) Warum verschiebst
du also die Buße? Etwa, um noch weitere Sünden zu
begehen? Also weil Gott gut ist, darum bist du böse und
verachtest den Reichthum der Güte und Langmuth Gottes?
Und doch sollte die Güte des Herrn dich nur noch mehr
zur Buße führen! Deßhalb sagt auch David zu Allen:
„Kommt, wir wollen anbeten und niederfallen vor dem
Herrn, weinen vor ihm, der uns geschaffen hat." Daß aber
hinsichtlich des Sünders, der ohne Buße gestorben ist,
nur noch tiefes Klagen und Weinen Platz greift, das
zeigt uns David, da er weint und klagt: „Mein Sohn
Absalon, mein Sohn Absalon!" Wer eben völlig todt ist,
der wird ohne jede Hoffnung beweint.
Von Jenen aber, welche verbannt und den
väterlichen Grenzen, die das heilige Gesetz dem Moses
vorzeichnete, entrissen in die Irrungen der Welt sollten
verwickelt werden, hörst du den Psalmisten singen: „An
den Flüssen Babylons, da saßen wir und weinten, wenn wir
Sions gedachten." Die Seufzer der Gefallenen zeigen ja,
daß diejenigen zurückkehren müssen, welche noch in dem
Zustande der laufenden Zeit, der schwindenden Welt sich
befinden: nach dem Beispiele Jener, welche eben zur
Sühne ihrer Vergehen in die Schmach der Gefangenschaft
geführt waren.
Nichts aber ist so sehr schmerzlich, als
wenn Jemand unter der Herrschaft der Sünde sich
erinnert, wie er zum Falle gekommen ist; weil er damals
von der erhabenen reinen Richtung auf die göttliche
Erkenntniß sich zum Irdischen und Vergänglichen hat
abwenden lassen.
So siehst du, wie Adam sich verbirgt,
sobald er erkannt hat, daß der Herr zugegen ist. Er
wollte sich verbergen, da er gesucht, da er gerufen ward
von dem Herrn mit jenem Worte, welches das Gemüth des
Verstockten verwundete. „Adam, wo bist du?" rief der
Herr, das beißt: Warum verbirgst du dich? warum fliehest
du denjenigen, den du sonst zu schauen verlangtest? So
groß ist das Schuldbewußtsein des Gewissens, daß es auch
ohne Richter sich (S. 316) selbst straft und sich zu
verbergen wünscht, während es freilich vor Gott offen
daliegt.
Deßbalb darf denn auch Jemand, der noch
in der Leidenschaft haftet, in keinem Falle die
Theilnahme an den Gnadengeheinmissen für sich in
Anspruch nehmen. Es steht ja das Wort geschrieben: „Du
hast gesündigt, stehe also ab."[104]
So sagt auch David: „An den Weidenbäumen hingen wir auf
unsere Harfen"; und bald darnach: „Wie sollten wir
singen des Herrn Gesang im fremden Lande?" Wenn nämlich
das Fleisch dem Geiste widerstreitet und dem Steuer der
Seele, der Herrschaft des Geistes nicht unterthan ist,
so ist das „fremdes Land“, noch nicht bewältigt durch
das Mühen des Bebauers, und darum kann es denn auch die
Früchte der Liebe, Geduld und des Friedens nicht
hervorbringen. Es ist also dann besser, abzustehen, weil
du die Werke der Buße nicht üben kannst, damit nicht
während der Buße selbst etwas geschieht, was nachher
wiederum der Buße bedürfte. Ist die Buße einmal angemaßt
und nicht rechtlich gefeiert, dann erzielt sie nicht die
Frucht der früheren und hindert gleichzeitig den
Gebrauch der späteren.
Wenn nun das Fleisch widerstreitet, dann
muß der Geist auf Gott gerichtet sein, und wenn die
Werke nicht folgen, dann soll doch der Glaube nicht
weichen. Wenn des Fleisches Lüste oder feindliche Mächte
uns anfechten, muß der Geist ergeben bleiben; denn am
meisten werden wir dann bedrängt, wenn das Fleisch
unterliegt; und es (S. 317) gibt Solche, die mit aller
Gewalt sich auf die arme Seele werfen, bestrebt, ihr
allen Schutz zu entziehen. Da gilt also das Wort:
„Vernichtet, vernichtet sie bis auf den Grund!"[105]
Wie mitleidvoll sagt David: „Arme
Tochter Babylons!" In der That „arm“, weil die Tochter
Babylons jene ist, welche aufgehört hat, Gottes Tochter
zu sein. Gleichwohl ladet er für sie den Arzt, da er
sagt: „Wohl dem, der deine Kinder nimmt und
zerschmettert am Felsen!"[106]
Das will sagen: Wohl dem, der eine schlechten
schlüpfrigen Gedanken vertreibt und dein Denken auf
Christus richtet, der alle unzulässigen Bewegungen
deines Geistes durch die Ehrfurcht, die er einstößt, und
durch seinen Zuspruch niederdrückt. So sehr ist das der
Fall, daß, wenn Jemand in ehebrecherischer Liebe
entbrannt ist, er dann die Gluth dämpft, die Bande der
Lust zerreißt und sich selbst seinen früheren
Bestrebungen entzieht, damit er Christus gewinne.
So haben wir denn erkannt, daß
einerseits Buße geübt, daß sie andererseits aber zu
einer Zeit geübt werden muß, (S. 318) wann die Lust der
Leidenschaft schwindet; wir haben erkannt, daß wir
während der Herrschaft der Sünde eben ehrfurchtsvoller
im Enthalten, als anmaßend im widerrechtlichen Begehren
sein müßten. Wenn schon dem Moses, der näher hinzutreten
wollte, um die Erkenniß des himmlischen Geheimnisses zu
schöpfen, von dem Herrn das Wort zugerufen wurde: „Löse
die Schuhe von deinen Füßen": wie viel mehr müssen wir
dann die geistigen Füße von den körperlichen Banden
lösen und unsere Schritte von jedem Zusammenhange mit
dieser Welt befreien!
Die hier zugänglichen Texte dienen
einem schnellen Nachschlagen oder einem gemütlichen
Schmökern. Sie können und wollen jedoch in keiner Weise
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diesen Texten arbeiten will oder muss, kommt um die
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herum. Besonders Studierende sollten sich vor der
Versuchung hüten, diese Texte würden sie vor einem Gang
in die Universitätsbibliothek bewahren. Textquelle
Dr. Gregor Emmenegger
Université Fribourg CH:
http://www.unifr.ch/bkv/ |