Die Auseinandersetzung mit dem Judentum
und Heidentum lehrt die junge Kirche früh, ihre auf
Vernunft und
Schrift aufgebaute Lehre zu verteidigen.
Daneben erhebt sich 135 n. Chr. eine gefährlichere
dritte Bedrohung: die
Irrlehre der Gnosis (= Erkenntnis).
Es ist die erste Häresie des Christentums. Mit
raffinierter Gedankenspekulation
beruft sie sich auf die Hl. Schrift, die
sie in ihrem Sinne deutet. Die Kirche kann trotz ihrer
Siege nicht alle falschen
Ideen ausmerzen. lm Manichäusmus u.a. der
nächsten Jahrhunderte, bei den Katharern und Albigensern
des Mittelalters, in den theosophischen und
anthroposophischen Strömungen der Neuzeit leben sie
wieder auf.

Das
Gebäude der Gnosis
Die
Gnostiker erstreben die Erlösung des Menschen durch eine
höhere Erkenntnis Gottes. Nur ein solches Wissen
ermögliche jenes Handeln, wie es den Absichten Gottes
entspräche. Das Grundproblem des Leidens lösen die
Gnostiker dualistisch, als Gegensatz zwischen dem
unendlich erhabenen Gott und der endlichen, sichtbaren
Welt. Diese wird als Sitz des Bösen erkannt und sei
darum zu überwinden. Die verschiedenen Systeme der
Gnosis haben eines gemeinsam: sie führen die
Grundgedanken kreisförmig. Sie wollen zeigen, wie aus
dem Unsichtbaren das Sichtbare, aus dem Sichtbaren
wieder das Unsichtbare werde. Wie aus dem guten Gott die
böse Welt mit ihrem bösen Schöpfer 2000 entstehe. Wie
sie zu Gott zurückkehre. Wie aus dem Licht Finsternis
und aus dieser wieder das Licht werde. Wie aus Geist
Seele und Körper, aus dem Körper wieder Seele und Geist
entstehe. Aus dem Ewigen das Zeitliche und aus dem
Zeitlichen wieder das Ewige. Aus Einem Vieles und aus
Vielem wieder Eins werde. Die Übergänge von einem
Gegensatz zum andern werden stets feiner ausgestaltet.
Zwischen dem guten Gott und der bösen Welt werden immer
zahlreichere Zwischenstufen der Entwicklung und ihnen
entsprechende Mittelwesen eingeschoben. So entstehen die
Reihen der Äonen, von denen der erste unmittelbar aus
Gott hervorgehe, der letzte und unterste in die Materie
versinke, sie beseele, forme, aber zugleich unter ihr
leide, bis die Erlösung die Befreiung aus der Materie
und die Rückkehr des gefallenen Äons zu Gott bringe, den
Ring der Entwicklung vollendend.
Die Gnosis verbiegt den Sinn des Erlösungsgedankens.
Nicht die Erlösung der Seele von der Sünde als Schuld
und Beleidigung GOTTES ist ihr Anliegen. Der an die
sinnliche Materie gebundene Geist solle von den Trieben
und Begierden erlöst werden. Nicht nur der
Erlösungsgedanke, sondern auch der Glaube an Christus,
die Lehre von der Gnade und der übernatürlichen
Seinsordnung erhielten in den ca. 30 gnostischen
Systemen einen anderen Inhalt. Der Gottesbegriff wurde
meist pantheistisch gefasst. Aus der Entfaltung des
lichten Urgottes sei durch Emanation
(=
Ausströmen aus IHM)
die Welt der Äonen, der Geister, entstanden. Diese seien
umso unvollkommener, je weiter sie sich vom göttlichen
Urlicht entfernten. Schliesslich gehe ein Teil der vom
Urlicht weit entfernten Geisterwelt mit den aus dem
Urbösen geströmten Elementen eine Verbindung ein. Nun
sei ein Teil der göttlichen Lichterwelt gebunden in der
sinnlichen Materie. Einer der niedersten Äonen
(= der
Gott des AT = der Demiurg),
sei der Gestalter der sichtbaren Welt. In dieser seien
die von der Gottheit ausgegangenen Lichtfunken an die
wegen ihres Ursprungs böse Materie gefesselt. Christus
sei als einer der höchsten Äonen zur sichtbaren Welt
herabgestiegen. Hier sei er eine scheinbare Verbindung
mit der bösen Materie eingegangen, um der in der Materie
gefesselten Geisterwelt den Weg zu zeigen, wie sie durch
Erkenntnis der Weltzusammenhänge, durch strengste
Aszese, durch mystische Zauberformeln, Reinigungsriten
und sakramentale Weihen zur Erlösung von der Materie
komme. Da die Sinnlichkeit der Grund des Bösen im
Menschen sei, gingen die Somatiker
(= die
grosse Masse der Menschheit, in denen das sinnliche
Element überwiegt)
unerlöst zugrunde; die Psychiker
(=
einfache Gläubige)
könnten erlöst werden; den Gnostikern sei die Erlösung
sicher, weil das göttliche Element überwiege.
Erlösung durch Erkenntnis
Der Sieg
Christi über den Tod in seiner Auferstehung bleibt auch
der gnostischen Bewegung ein Ärgernis. Der Gegenangriff
auf die junge Kirche wird schon in der Apostelgeschichte
8,9f erwähnt. Simon Magus tritt als
samaritanischer Pseudomessias auf
(um 60 n.
Chr.).
Er gilt als Erzvater aller Häretiker, als Teufels
Sprachrohr, als frühester Vertreter der Gnosis. Diese
war und bleibt der schlimmste Gegner des Christentums.
Das Dämonische dahinter spricht ein protestantischer
Dogmenhistoriker aus: «Der Erfolg Christi hatte Simon
Magus auf den Gedanken geführt, ihm Konkurrenz zu
machen. Das wurde je länger desto mehr unmöglich. Das
sieghafte Vordringen Christi war nicht aufzuhalten; ging
es nicht wider Christus, so versuchte man es nun mit
Christus»
(Reinhold
Seeberg).
Die Gnosis ist also ein heidnisches Gedankengebäude in
christlichem Gewand. Dabei wird der Name Christi
missbraucht, um die heidnische Ideenwelt zu tarnen. Das
System des Simon Magus enthält die Grundelemente der
Gnosis, deren Bewegungen im 2. Jh. unter Abarten das
Christentum bedrohen: raffiniert christlich-verbrämt,
durchmischt mit babylonisch -chaldäischer Astrologie und
syrisch- phönizischen Mythen, verbunden mit Zauber- und
Sühne-Riten aus Mysterienkulten. Dieser orientalische
Synkretismus
(=
Religionsvermischung)
auf dualistischer Grundlage gibt sich als höhere Form
des Christentums aus. Die Gnostiker wollen sich von der
schlichten Form des einfachen Gemeindechristentums
abheben. Was bei Simon Magus und seinen Schülern
beginnt, wird von den eigentlichen Gnostikern des 2. Jh.
(Satornil,
Mananders, Valentin u.a.)
verfeinert. Auch bei Marcion
(einflussreichster Häretiker des 2. Jh.)
zeigen sich gnostische Züge: die dualistische
Grundtendenz, die Verwerfung des Alten Testamentes und
der ethische Rigorismus. Schon 144 gründet er seine
eigene Sektenkirche. In der Form des Manichäismus
(vom ca.
215 geborenen Perser Mani)
breitet sich die Gnosis bis nach China und bis
Nordafrika aus. Später flackert sie bei den Paulizianern,
Bogomilen, Katharern und Albigensern wieder auf, heute
in theosophischen und anthroposophischen Strömungen.
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