Nachdem Jesus
Seine Abschiedsbotschaft von der Kanzel des
Kreuzes herab verkündet und das Werk seines
Ewigen Vaters vollbracht hatte, neigte Er Sein
Haupt und starb. Um sich davon zu überzeugen,
dass Er tot war, durchbohrte Longinus, der
römische Soldat, Sein Herz mit der Lanze, und
der göttliche Meister vergoss auch noch die
letzten Tropfen seines Kostbaren Blutes,
um zu beweisen, dass die Liebe stärker ist als
der Tod. Zwei Männer, denen der Mut gefehlt
hatte, sich während Seines Lebens zu Ihm zu
bekennen, brachten Wohlgerüche und Balsam, um
Seinen Körper damit einzureiben. Erst wurde
Jesus auf Marias Schoss gelegt, und es schien,
als ob Bethlehem wiederkehrte -aber dem war
nicht so. Zwischen Bethlehem und dem
Kalvarienberg lagen unsere Sünden. Der Körper
war leblos, Jesus war gestorben. |
Seine Feinde
erinnerten sich, dass Er gesagt hatte, Er werde
auf-erstehen. Sie glaubten zwar durchaus nicht
daran, befürchteten aber, die Apostel möchten
kommen, Seinen Leichnam stehlen und dann sagen,
Er sei vom Tode auferstanden
(Um einem Betrug
vorzubeugen, gingen sie zu Pilatus und
verlangten, er solle drei Tage lang eine Wache
ans Grab stellen und das Grab von aussen mit dem
offiziellen Siegel verschliessen). |

Die
Frauen vor dem leeren Grab
(Predis-Kodex, 1476) |
Pilatus
gewährt ihnen die Bitte... Das Grab wurde
versiegelt, bewacht und ein grosser Stein vor
die Türe gewälzt. Seine Feinde hatten alle
Vorsichtsmassregeln getroffen gegen Betrug
-gegen die göttliche Macht standen ihnen keine
solchen zur Verfügung. Den Kalvarienberg
hinabsteigend, mochten sie etwa Gedanken wie
diese geäussert haben: » ... Der
Betrüger ist nun tot! Wie prächtig klappt so
eine römische Hinrichtung! Eine Kreuzigung
überlebt keiner. Niemals wird er wieder
auferstehen! « Ist das wahr? Kann man
vom Tode nicht auferstehen? Bedeutet die
Tatsache, dass Er in einem fremden Stall geboren
und in einem fremden Grab begraben liegt, nicht,
dass menschliche Geburt und menschlicher Tod Ihm
ebenso fremd sind? Seht euch die Natur
an!...Warum soll die ganze Schöpfung vom Tode
auferstehen und ihr Erlöser nicht? Der
Sonntagmorgen kam still wie der Schlaf der
Unschuldigen. Die klare, gute Luft schien wie
von den Flügeln der Engel bewegt. Maria wandelte
im Garten, und jemand neben ihr sprach mit einer
ihr vertrauten, unvergesslich sanften Stimme:
»Maria«. Und auf dieses eine Wort antwortete
auch sie mit einem einzigen Wort: »Rabboni
Meister!« und als sie ihm zu Füssen fiel im
taufrischen Gras, sah sie zwei Wunden -zwei
rotgestreifte Nagelmale- Christus wandelt jetzt
in der Herrlichkeit Seines neuen Ostermorgens.
Das war der erste Ostertag.
(Jahrhunderte
sind seither verstrichen, und an jedem neuen
Ostertag, wenn ich mich in Gedanken über jenem
Garten zum Altare wende, sehe ich über dem
Tabernakel nicht nur das Bild des auferstandenen
Christus, sondern auch des Sterbenden, das mich
lehrt, dass Christus immer wieder in Seiner
Kirche auflebt und dass die Kirche wie Christus
lebt, stirbt und immer wieder vom Tode
aufersteht).
Sie liebt den Tod, weil er eine Bedingung
neuer Geburt
ist. Mit anderen Worten, die Kirche muss dann
und wann von einer ungläubigen Welt gekreuzigt
und wie tot begraben werden, nur um wieder
aufzuerstehen.
Immer ist sie am
Sterben, und deshalb ist sie auch immer am
Leben.
Manchmal scheint das Leben völlig von ihr
gewichen zu sein; sie ist blass wie ein
Leichnam, das Blut scheint ihr entzogen zu sein,
ihre Feinde versiegeln das Grab, rollen einen
Stein darüber und sagen: »Die Kirche
wird niemals wieder auferstehen!«
Aber seltsam, immer wieder erhebt sie sich!
(Wenigstens ein dutzendmal in der Geschichte hat
die Welt die Kirche begraben, und jedesmal ist
sie wieder zum Leben erstanden).
Wir wollen bloss wenige dieser Beispiele
herausgreifen. Ein verfolgter Erlöser wird immer
auch verfolgte Kinder haben; in den Tagen der
römischen Verfolgung musste sich die Kirche wie
ein Maulwurf in den Höhlen der Erde vergraben.
Unter den Fundamenten von Roms stolzesten
Tempeln, unter den Strassen..., nährten sich die
Kinder GOTTES mit dem Brot des Lebens, das ihnen
Leib wie Seele stärkte für den Tag, wo sie,
gemeinsam mit der Menge der Verurteilten im
römischen Kolosseum, ihren Glauben mit ihrem
Blute bezeugen sollten. Inmitten des grossen
Amphitheaters, von Feinden ganz und gar umringt,
gab es kein Entkommen, keine Hilfe, ausgenommen
von oben -und das genügte. Sie begrüssten den
Tod mit einem Lächeln auf den Lippen. Cäsars
Diener streuten frischen Sand, um ihr Blut zu
verbergen, aber ihre Stimmen konnten sie nicht
verstummen machen:
»Unser Blut wurde
mit dem Blute unseres lebendigen Gottes
vermengt, wir sterben, und siehe, wir leben!«
Der blutige Krieg ging weiter. Cäsar glaubte,
gesiegt zu haben, und freute sich, dass die
Kirche tot war. Wie sollte sie auch das römische
Schwert überleben können? Ein Stein wurde vor
das Grab gerollt und Wachen aufgestellt. Aber
die Kirche stieg, wie der auferstehende Heiland,
aus dem Grabe der Katakomben und in den Glanz
eines neuen Ostermorgens. Noch zu anderen Zeiten
in der Geschichte der Kirche schien es, dass das
Leben sie verlassen habe. Nach den Palmsonntagen
ihres irdischen Triumphes, wenn die Welt sie zur
irdischen Königin erwählt und ihr Palmzweige
unter die Füsse streute -mit anderen Worten,
wenn ihr eine grossartige und erfolgreiche
äussere Entfaltung gelang und sie mehr auf die
äussere, menschliche Wirksamkeit als auf das
Gebet vertraute, fing sie an schwach zu werden.
Das Joch Christi begann dann, ihre Kinder zu
drücken, und ihre Herzen seufzten nach den
Fleischtöpfen Ägyptens. Es ist eine merkwürdige
Tatsache: die Kirche ist nie so schwach, als
wenn sie an Macht gewinnt in der Welt, nie so
arm, als wenn sie reich wird an Reichtümern der
Welt; nie so töricht, als wenn sie klug ist nach
den Hirngespinsten dieser Welt. Kraft der Macht
GOTTES ist sie dann am stärksten, wenn sie an
menschlicher Macht am schwächsten ist
(es ergeht ihr
wie Petrus, dem der wunderbare Fischfang zufiel,
nachdem er gestanden hatte, dass er die ganze
Nacht hindurch gearbeitet und nichts gefangen
hatte).
Wenn die echte Nachfolge, der Geist der
Heiligkeit, der Eifer für Christus, die
Wachsamkeit und die Demut in der Kirche
nachlassen, dann meint die Welt irrtümlich, ihre
Seele sei tot und ihr Glaube entschwunden. Aber
der Glaube der Kirche selbst, auch in den Tagen,
wo das Gebet nachlässt, ist fest; denn es ist
der Glaube Jesu Christi, und Christus ist das
Leben der Kirche. Ihre Schwäche im Gebet, in der
Heiligkeit stammt von den Menschen, ihre
lebendige Stärke, der Glaube jedoch stammt von
Gott.
Um den Geist zu erneuern, braucht sie keine
neuen Lehren, denn diese sind göttlich,
sondern eine Erneuerung der Lebensweise, denn
diese ist menschlich und dem Verderben
zugänglich. Die Welt jedoch, die nicht
unterscheiden kann zwischen dem, was göttlich,
und dem, was menschlich in ihr ist -auch bei
Christus konnte sie es nicht-, meint, sie sei
tot, wie der Meister, als Er vom Kreuze
abgenommen wurde, und man müsse sie nur noch ins
Grab legen.
(Je und je wird
ein grosser Stein vor ihr Grab hingerollt; das
offizielle Siegel des Todes ist ihr auferlegt,
die Wache ist aufgestellt. Aber wie der
schlafende Christus im Boote des Petrus sich
erhob, erhebt sich die Kirche, wenn die Menschen
sie für entkräftet halten, und schreitet wieder
in einen neuen Ostermorgen).
Mit unseren Zeiten kam die Bedrohung ihres
Lebens von anderer Seite. Wenn eine menschliche
Kultur den höchsten Fragen gegenüber
gleichgültig wird und die lässige Pilatus-Frage
stellt: »Was ist schon Wahrheit?«, ist
sie auf einem schlechten Weg. So geschah es auch
in der Kirche. Von aussen und von innen erhob
sich der Zweifel und die Behauptung, es gäbe
überhaupt keine Wahrheit
(ein Fehler, der
übrigens auf altgriechische Denker zurückgeht).
Die Wahrheit wurde zu Unvernunft, Irrtum zu
Vernunft, und es wurden Beweise geliefert, dass
alle Beweise
wertlos seien
(Lehrer, die sich
in das Gewand der Propheten hüllten, fühlten
sich beschimpft, wenn man ihnen sagte, sie seien
keine Ehrenmänner, jedoch nur leicht betupft,
wenn man ihnen vorhielt, sie seien keine
Christen). |
Dem
Verstande empfahl man Gleichgültigkeit sowohl dem Irrtum
wie der Wahrheit gegenüber; es sei ein Mangel an
Aufgeschlossenheit, sich für etwas zu entscheiden; es
mache keinen Unterschied, ob es einen Gott gebe, ob
Christus Gott sei, ob die Sakramente das göttliche Leben
vermitteln oder nicht. Das einzige, was zähle, sei der
subjektive Eindruck, den ein solcher Glaube auf das
Gefühl des Gläubigen ausübe. Und diese nicht zu Ende
gedachten Sätze drangen in die Ohren und in den Verstand
vieler Menschen. Zum Schlusse hiess es: »Der
Christus des Glaubens ist nicht der Jesus der
Geschichte.« Der neue Zeitgeist schien den
Geist Christi zu begraben. Bücher und Aufsätze schossen
aus der Presse, und alle prophezeiten sie, dass die
Kirche nunmehr ihr Ende erreicht habe. Ein neuer Stein
deckte das Grab: »Sie wird nie wieder
auferstehen!« Und nach menschlicher Erwartung
hätte es so sein können. Doch aus einem geheimnisvollen
Grunde begann sie sich wieder zu regen. Zwei grosse
Kriege verheerten die Länder, weitreichende Geschosse
und Bomben aus der Luft rissen grosse Wunden in
majestätische Kathedralen. Und siehe da, was tot schien,
begann auf dem Schlachtfelde zu leben! Sterbende Lippen
suchten das Kruzifix. Und nachdem der Rauch des
Schlachtfeldes und der brennenden Städte sich verzogen
hatte, kam auch für die Kirche ein neuer Ostermorgen.
Aber auch heute wieder liegt Todesschatten, Erstarrung
von innen und Verfolgung von aussen über der Kirche.
Morgen jedoch wird wieder Ostern sein; denn Christus
sagte, dass die Kirche bis ans Ende der Welt leiden
werde. Aus ihrer ganzen Geschichte steigt eine grosse
und wunderbare Lehre auf:
Christus ist vom Tode
auferstanden, nicht weil er Mensch war, sondern weil er
GOTT ist. Die
Kirche steht aus Verderben und Gefangenschaft, wohin
Irrtümer und Gewalt sie geführt haben, wieder auf, weil
sie nicht nur menschlich ist. Nur Gott kann vom Tode
auferwecken. Die Welt sollte aus der Erfahrung lernen
und die Erwartung, die Kirche werde untergehen,
aufgeben. Wenn die Totenglocke tausendmal ertönte, ohne
dass das Begräbnis stattfände, würden die Menschen mit
Recht darüber lachen. So ist es auch mit der Kirche. Die
Nachricht von ihrem Ende wurde ausgegeben, ihre
Hinrichtung jedoch hat niemals stattgefunden. Auch
Kulturen werden geboren, steigen zu Höhepunkten auf,
sinken ab, leiden und sterben, erwachen aber nie wieder.
Die Kirche jedoch findet immer wieder ihren Weg aus dem
Grabe, weil sie ein Haupt und einen Anführer hat, der
selbst aus dem Grabe gestiegen ist. Auf Zeiten der
Macht und des Reichtums mögen Zeiten der Schwäche und
der Armut folgen, aber die Welt soll nie erwarten, dass
sie zugrunde gehe oder ausgelöscht werden könne. Wie
eine mächtige Eiche, die seit Jahrhunderten aufrecht
steht, bekommt auch sie immer wieder neues Grün in jedem
neuen Altersjahr, und jede neue Zeit geniesst den Segen
ihres erfrischenden Schattens. Und wie die Blumen aus
einer alten Wurzel neu hervorspriessen und den Kelch
ihres Wohlgeruchs in diesem Frühling öffnen, so wird die
Kirche in jedem neuen Alter neu geboren, und deshalb
bleibt sie immer neu, auch in der alten Welt. Es sind
die Irrtümer, die alt werden; denn unser sogenanntes
neues Denken ist nur ein alter Irrtum mit neuer
Aufschrift. Die Kirche hat die Irrtümer der
Vergangenheit abgelegt; denn sie weiss: sich mit dem
Vorübergehenden einer Zeit verbinden, heisst im nächsten
Zeitalter allein stehen. Sie bleibt deshalb nicht an den
Zeiten haften, sondern sie geht über sie hinaus und
bleibt deshalb immer lebendig. Die Kirche wird
fortfahren, zu sterben und wieder zu leben, und jede
Wiederkehr von Karfreitag und Ostermorgen hat nur den
Sinn, dass sie von
Christus predige, von Seiner Kreuzigung und Seiner
Auferstehung. Die
Kirche wie sie in Wahrheit in Christus besteht, nicht in
ihren Fehlern -trachtet nicht danach, Regierungen zu
stürzen, den echten Fortschritt zu hindern, auch nicht,
die zu verfolgen, die nicht mit ihr einig sind. Was sie
aus ganzer Seele sucht, ist, die Vernunft für Christus
einzunehmen, den Willen zur herrlichen Freiheit der
Kinder Gottes zu führen, das Herz mit einer alles
übersteigenden Liebe zu erfüllen und die Augen einer
Schönheit zu eröffnen, die jede andere Schönheit
vergessen macht. Die Kirche wird weiterbestehen, aber
ihr Ziel und ihr Zweck werden immer dieselben bleiben:
den Frieden Christi in die Seelen unserer Mitmenschen zu
tragen. Dazu sind keine Waffen nötig, sondern nur zwei
unbedeutende, uralte Werkzeuge, die der Heiland schon
den Aposteln zu diesem Zwecke übergeben hat, nämlich die
Werkzeuge des Fischers und des Hirten (Angel
und Stab), um
für Christus Seelen zu »fischen«, Seine Schafe zu
»weiden«, auf dass
Christus König aller
menschlichen Herzen
werde.
(Fulton J. Sheen,
Weihbischof
†)
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