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Hl. Ambrosius
Bischof von Mailand
Kirchenvater, Kirchenlehrer, Lehrer von Augustinus

Über die Witwen
Text ohne Gewähr

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Ambrosius von Mailand (340-397)

Über die Witwen (De viduis)

 

 

Cap. I.  (S. c99)

Es erscheint ganz zutreffend, daß sich an die Lobeserhebungen, welche ich in den vorhergehenden Büchern den Jungfrauen spendete, eine Abhandlung über die Witwen schließt. Oder dürften wir ohne ein Zeichen ehrender Anerkennung an ihnen vorübergehen? dürften wir sie ausschließen von dem Ruhme, der den Jungfrauen gebührt, da doch das Wort des Apostels Beide verbindet: „Das ehelose Weib und die Jungfrau sinnet, was des Herrn ist, damit sie heilig sei an Geist und Leib.“[1] Ohnehin gewinnt ja die Gotteslehre von der Jungfräulichkeit an Kraft auch durch die Beispiele der Witwen. Diejenigen von ihnen, welche mit ihrem Gatten in der Ehe jungfräulich lebten, sind ein lebendiger Beweis für die Jungfrauen, wie die volle Unversehrtheit Gott dem Herrn zu bewahren ist. Kaum von geringerer Tugendstärke aber zeugt die Enthaltsamkeit (S. c100) derjenigen, welche vorher eines glücklichen Ehestandes sich erfreut haben. Hier wie dort offenbart sich ein christlicher Starkmut, der jede Schwäche ausschließt. 

Es liegt freilich schon in dieser Tugendstärke selbst der Lohn eingeschlossen: die Freiheit. „Gebunden,“ sagt der Apostel,[2] „ist das Weib all die Zeit, in welcher ihr Mann lebt; ist er aber entschlafen, so ist sie frei; sie mag heiraten, wen sie will, nur geschehe es im Herrn. Seliger aber wird sie sein, wenn sie so bleibt gemäß meinem Rate; ich meine aber, daß auch ich den Geist Gottes habe.“ Deutlicher kann der Apostel den Unterschied nicht ausdrücken, als wenn er Jene gebunden, diese aber seliger nennt. Dabei beruft er sich nicht auf seine eigene menschliche Überzeugung, sondern auf die Unterweisung, die er vom göttlichen Geiste empfangen: so ist also jener Ausspruch nicht ein menschlicher, sondern ein göttlicher. 

Was folgt nun aber daraus, daß einstmals, als auf dem ganzen Geschlechte schwer die Hungersnot lastete, Elias zu einer Witwe gesandt wurde?[3] Es ist dabei wohl zu beachten, wie den Einzelnen die eigentümlichen Gnadenerweise zu Teil werden: zur Jungfrau wird ein Engel, zur Witwe wird ein Prophet gesandt und zwar hier Elias, dort Gabriel, die erhabensten Führer also der Propheten und Engel. Darin liegt jedoch nicht ein Lob des Witwenstandes schlechtweg ohne Verbindung mit der entsprechenden Tugend. Es hat auch vorher und allezeit Witwen gegeben, aber eine wird Allen vorgezogen, und dadurch werden die anderen weniger von ihrem Bestreben abgehalten, als vielmehr durch das Tugendbeispiel aufgemuntert. 

Diese Vorbemerkung spannt wohl die Aufmerksamkeit, obwohl auch der einfache Sinn eine sittliche Vorschrift und eine dem Tugendbeispiel entsprechende Mahnung an die Jungfrauen enthält. Es ist ja doch ersichtlich, daß jene Witwe nicht lediglich durch den Namen, sondern durch ihr (S. c101) Verdienst sich auszeichnete; sie sollte den Lohn der Gastfreundlichkeit nicht verlieren bei Gott, der nach dem Evangelium einen Trunk kalten Wassers mit dem unermeßlichen Lohne der Ewigkeit vergilt. Er ersetzte den schwindenden Rest von Mehl und Oel durch die nicht versiegende Fülle zuströmender Gaben. — Es muß so sein; denn wenn ein Heide sagt, daß Freunden Alles gemeinsam sein müße, um wie viel mehr gilt das von Verwandten! Wir aber sind als Glieder desselben Körpers in der Tat Verwandte. Wir sind übrigens hinsichtlich der Gastfreundlichkeit nicht auf einen bestimmten Kreis eingeschränkt. Oder wie sann man das, was in der Welt ist, als Eigenthum des Einzelnen ansehen, da doch die Welt selbst Allen gemeinsam ist? Oder wie kann man die Früchte der Erde dem Einzelnen zusprechen, da doch die Erde Allen gehört? „Betrachtet die Vögel des Himmels,“ sagt der Herr, „sie säen nicht und ernten nicht.“[4] Es soll ja denen, die kein Eigentum haben, gleichwohl Nichts mangeln; und Gott der Herr weiß seine Verheissung wahr zu machen. So sammeln die Vögel nicht ein und doch essen sie, denn der himmlische Vater ernähret sie. „Siehe,“ spricht der Herr, „ich habe euch gegeben alles Kraut, das sich besamet auf Erden, und alle Bäume, die in sich selbst Samen haben nach ihrer Art, daß sie euch zur Speise seien und allen Thieren der Erde und allem Geflügel des Himmels und Allem, das sich reget auf Erden.“[5] Diese ausnahmslose Zusage des göttlichen Wortes beschränken wir auf das persönliche Bedürfnis und so darben wir, so gehen wir leer aus, während wir einsammeln. Wir können freilich auch nicht auf die Verheißung hoffen, wenn wir die göttliche Mahnung nicht beachten. Es erscheint demnach heilsam, das Gebot der Gastlichkeit unseren Gästen gegenüber zu beachten: sind wir doch selbst nur Gäste der weiten Welt. 

(S. c102)Wie groß war nun die Ehrfurcht, welche jene heilige Witwe,[6] während sie der äußersten Not preisgegeben war, gegen Gott bewahrte! Nicht für sich allein bereitete sie die letzte Nahrung, sondern sie teilte mit dem Sohne, damit die Mutter das Kind nicht überlebe. Das ist erhabener Akt der Treue, aber größer war doch noch der Akt der Frömmigkeit. Während nämlich Niemand dem Sohne vorgezogen werden konnte, mußte der Prophet Gottes dem Kinde, ja dem eigenen Leben vorgezogen werden. Man muß wohl anerkennen, daß sie Jenem ihre Gabe nicht als geringe Speise darbot, sondern als den letzten Bissen, mit dem sie ihr Leben noch fristen konnte: so gastlich war sie, daß sie Alles hingab, so vertrauensvoll, daß sie sofort gläubig sich unterwarf.

 

 

Cap. II.

Um des Lobes würdig zu werden, das der Apostel den Witwen spendet, genügt also nicht, daß die Ehe durch den Tod des Gatten getrennt ist, es muß vielmehr die Tugend hinzutreten. Für solche gebe aber nicht ich Vorschriften, sondern der Apostel hat sie ausgesprochen. Nicht ich allein will sie geehrt wissen, sondern der Völkerapostel hat das früher verlangt, wenn er sagt:[7] „Witwen ehre, die wahrhaft Witwen sind. Wenn aber eine Witwe Kinder hat oder Enkel, so lerne sie zuerst ihr eigen Haus leiten und den Eltern Vergeltung erstatten.“ Eine doppelte Tugendgesinnung muß darnach die Witwe beseelen: sie muß ihre Kinder lieben und den Eltern gehorchen. Während sie so den Eltern Folgsamkeit zeigt, übt sie zugleich ihr Lehramt an den eigenen Kindern und lohnt sich auf diese Weise selbst durch ihre Pflichterfüllung; das, was sie Anderen gewährt, nutzt ihr selbst. 

(S. c103)„Denn das,“ fährt der Apostel fort, „ist angenehm vor Gott.“ Wenn du, o Witwe, sinnest, was Gottes ist, so mußt du auch das befolgen, wovon du weißt, daß es Gott wohlgefällig ist. In der Tat sagt ja der Apostel vorher, indem er zum Streben nach Keuschheit mahnt, daß die Witwen auf das sinnen, was des Herrn ist. Eine Witwe aber, welche wohl erprobt zum heiligen Dienste ausersehen wird, soll nach einem weiteren Worte des Apostels nicht bloß sinnen, was des Herrn ist, sondern auch fest auf ihn hoffen. „Die,“ sagt er, „welche wahrhaft Witwe und vereinsamt ist, hoffe auf Gott und beharre in Bitten und Gebeten Tag und Nacht.“ Und nicht mit Unrecht fordert er, daß diejenigen ohne Tadel sein müssen, denen Tugendwerke aufgelegt werden, denen aber auch eine so große Würde zuerkannt wird, daß sie selbst von den Bischöfen geehrt werden sollen. 

Welche aber zu solcher Wahl zugelassen werden sollen, das liegt in den Worten: „Sie soll nicht unter sechzig Jahren sein und eines Mannes Weib.“ Damit soll nicht gesagt werden, als ob das Alter allein die wahre Witwe mache; es sollen vielmehr die Verdienste des Witwenstandes ihren Lohn im Alter finden. Erhabener steht ja Jene da, welche die anschwellende Glut der Jugend bewältigt, ohne nach der Gunst eines Gatten, nach gesteigerter Freude reicheren Kindersegens zu verlangen. Oder ist sie in ihrer Jugendfülle nicht verehrungswürdiger als Jene, weiche abgestorben im Greisenalter eine Tugend übt, die bloß natürlich ist? 

Ebenso soll durch jene Worte des Apostels derjenigen, welche eine zweite Ehe einging— und der Apostel verdammt das keineswegs — und dann von Neuem das Eheband durch den Tod ihres Gatten gelöset sah, nicht ganz die wahre Witwengesinnung abgesprochen werden. Auch sie kann das Verdienst einer freilich erst späten Keuschheit sich erwerben: aber bewährter ist doch jene, welche auf die zweite Ehe verzichtete. In dieser leuchtet der Kampf um die Tugend, das Ringen um der Keuschheit willen; jene dagegen scheint mehr (S. c104) unter dem Einfluße des Alters oder einer natürlichen Scham zu handlen. 

Die Stärke der Witwe besteht aber nicht bloß in der äußeren Enthaltsamkeit, sondern in treuer ausgedehnter Tugendübung. Darum fährt der Apostel fort: „Wenn sie in guten Werken bezeugt wird, wenn sie Kinder aufgezogen, wenn sie Fremde beherbergt, wenn sie Heiligen die Füße gewaschen, wenn sie Bedrängten beigestanden, wenn sie jedem guten Werke sich hingegeben hat.“ Man sieht, wie viele Tugendübungen hier verlangt werden; und zu den einzeln aufgeführten kommt noch die Nachfolge in jedem guten Werke. 

Die jüngeren Witwen sollen nach der Anweisung des Apostels gerade deßhalb vermieden werden, weil sie solchem Tugendwerke nicht gewachsen sind. Die Jugend ist dem Falle mehr ausgesetzt, weil die Gewalt der Begierden durch die Glut des jugendlichen Alters noch mehr entfacht wird, und ein treuer Lehrer muß die Veranlassung zur Sünde zurückhalten. Das ist die Grundlage einer guten Unterweisung, daß man erst die Sünde zu verhindern und dann die Tugend einzupflanzen sich bemüht. Da jedoch der Apostel sehr wohl wußte, daß die heilige Anna achtzigjährig, aber schon in ihrer Jugend Witwe geworden, als Prophetin die Werke des Herrn vorausverkündigte, so kann er meines Erachtens die jüngeren Witwen nicht schlechthin von dem Streben nach echter Witwentugend haben ausschließen wollen. Da er vielmehr geradezu sagt: „Es ist besser zu heiraten, als in Begierden zu erglühen,“ so hat er offenbar die Verehelichung als Heilmittel angeraten, damit diejenige, welche sonst Gefahr liefe, gerettet würde. Mit diesen Worten hat aber der Apostel keineswegs vorschreiben wollen, daß diejenigen, welche die Gnade der Enthaltsamkeit empfangen, besser tun, diesem Gnadenzuge nicht zu folgen. Es ist ja in der That ein bedeutender Unterschied, dem Sinkenden zu Hilfe zu eilen und eine Tugend anzuraten für den standhaften Nachfolger des Herrn. 

(S. c105)Wird es noch nötig sein, daß ich von den menschlichen Urteilen hinsichtlich der Behandlung der Witwen rede wenn wir uns erinnern, daß die Juden nach dem Berichte der heiligen Urkunde durch Nichts den Herrn so schwer beleidigten als dadurch, daß sie die Rücksicht auf die Witwen und die Rechte der Waisen verletzten? Das künden die Worte des Propheten, welche die Verwerfung des Volkes als wohl verdient hinstellen. Die Witwen zu ehren, den Waisen Gerechtigkeit zu erzeigen, das allein wird als Grund angegeben, wenn der Zorn Gottes sollte besänftigt werden. „Schaffet Recht der Waise, beschirmet die Witwe; alsdann kommet und klaget über mich, spricht der Herr.“[8] Wiederum heißt es: „Der Herr nimmt auf die Waisen und die Witwe“[9] und: „Die Witwen will ich segnen.“[10] Das ist um so erhabener, als ein Vorbild der Kirche darin verborgen liegt. — So sehet ihr denn, ihr heiligen Jungfrauen, daß jene Pflicht keineswegs leichtfertig vernachlässigt werden kann, welche durch die Zusage göttlicher Segnungen geehrt ist.

 

 

Cap. III.

Was bedeutet es nun, um auf das früher Gesagte zurückzukommen, daß Gott, während die ärgste Hungersnot überall wütete, doch der Sorge für die Witwe nicht vergaß, und daß der Prophet zu ihr gesandt wurde, ihr Nahrung zu bieten? Wenn der Herr mich hier recht erkennen läßt, was er in Wahrheit damit künden wollte, so scheint er mir unsere Aufmerksamkeit auf ein Geheimnis hinzulenken; und was kann hier zutreffender sein, als das Geheimnis Christi und seiner Kirche? Nicht ohne tieferen Grund wird unter den vielen Witwen eine einzige bevorzugt. Wer gleicht nun jener, zu welcher ein so hoher Prophet, der nachher in den Himmel aufgenommen ist, gesandt wurde, gerade (S. c106) damals, als der Himmel drei Jahre und sechs Monate verschlossen war, und die ganze Erde unter großer Hungersnot seufzte? Überall Hunger und Elend — nur diese eine Witwe litt keinen Mangel! Was deuten jene drei Jahre? Sicher jene Jahre, in welchen der Herr herniederstieg und an dem Feigenbäume keine Frucht entdecken konnte, nach dem Worte der Schrift:[11] „Siehe, drei Jahre sind es nun, daß ich komme, Frucht zu suchen an diesem Feigenbaume, und ich finde keine.“ 

Jene Witwe ist’s, von der geschrieben steht:[12] „Sage Lob, du Unfruchtbare, die du nicht gebärest, singe Lob und jauchze, die du nicht Mutter wurdest; denn mehr Kinder hat die Verlassene, als die, welche vermählt ist, spricht der Herr.“ Es ist jene, welche das Segenswort hörte: „Der Schmach deiner Jugend wirst du vergessen und der Schande deiner Witwenschaft nicht mehr gedenken; denn dein Schöpfer wird dein Gebieter.“ Jene Witwe ist es, welche ihren Gemahl zwar dem Leibesleben nach verloren hat, die aber am Tage des Gerichtes den Menschensohn, dessen Verlust sie so bitter beklagte, wieder gewinnen wird. „Nur einen Augenblick, spricht der Herr, eine kleine Weile habe ich dich verlassen,“ damit die Verlassene um so glorreicher ihm Treue bewahre. 

Hier haben nun Alle, Jungfrauen, Vermählte und Witwen ein Beispiel zur Nachahmung; und die Kirche umfaßt sie Alle, weil Alle ein Leib sind in Christo dem Herrn. Sie ist jene Witwe, um derentwillen, als Dürre auf dem Erdkreis lastete, die Propheten des göttlichen Wortes gesandt wurden; sie war eine trauernde kinderlose Witwe, aber in der Stunde, die der Herr bestimmt, sollte sie vieler Kinder sich erfreuen. 

Nicht ohne Beachtung darf ferner die Person des Propheten bleiben, auf dessen Wort die dürre Erde mit himmlischem (S. c107) Tau erquickt ward, dessen übermenschliche Gewalt den verschlossenen Himmel wieder öffnete. Wer anders vermag denn die Himmel zu öffnen, als Christus, der tagtäglich aus der Mitte der Sünder seine Ernte hält für das Heiligtum der Kirche?! Oder kann menschliche Macht sagen: „Der Mehltopf soll nicht abnehmen und der Oelkrug soll nicht leerer werden bis zum Tage, an dem der Herr Regen geben wird über das Land her?“ Der Prophet zwar spricht die Worte, aber in Wahrheit ist es der Mund des Herrn, der so redet; und jener kündet das selbst durch den Zusatz: „So spricht der Herr.“ Und wer anders, als der Herr selbst, kann die nicht versiegende Quelle der himmlischen Sakramente verheißen? wer anders könnte den unaufhörlich sprudelnden Gnadenborn geistiger Freude zusagen, die Speise der Seele, die Besiegelung des Glaubens, die Gabe der Tugend verleihen? 

Was bedeuten aber die Worte: „bis zum Tage, an dem der Herr Regen geben wird über das Land her?“ Ohne Zweifel dasselbe, was der Psalmist andeutet:[13] „Der Herr wird herabkommen, wie der Regen auf das Fell, wie Regengeträufel auf die Erde.“ Dadurch wird das Geheimniß jener alten Geschichte erschlossen, in welcher Gedeon, der heilige Streiter im geheimnißvollen Kampfe, als er das Zeichen des künftigen Sieges empfing, gotterleuchteten Geistes erkannte, daß jener Regen der Tau des göttlichen Wortes sei. Er fiel zuerst auf das Fließ, während die Erde ringsum in der alten Dürre erstand; dann aber traf er den steinharten Boden der Erde, welche unter dem Himmelsergusse erfrischt aufatmete, während das Fließ trocken blieb.[14] 

Für ein prophetisches Auge war das ein Vorzeichen des künftigen Wachstums der Kirche. Zuerst rieselte ja der Tau des göttlichen Wortes nieder auf Judäa („Bekannt ist Gott,“ sagt der Psalmist.[15]) „im Lande Juda in Israel groß (S. c108) sein Name“), während weithin die ganze Erde dürre blieb und baar der rechten Erkenntnis. Als dann aber Josephs Schaaren den Herrn zu verleugnen anfingen, als sie in törichtem Beginnen durch ungeheure Frevel die göttliche Majestät beleidigten, da strömten über die ganze Erde hin die himmlischen Regenschauer; das Volk der Juden aber erstarrte in der Geistesdürre seiner Treulosigkeit, während die heilige Kirche, die aus allen Teilen der Erde ihre Kinder sammelte, befruchtet ward aus den Wolken, welche der Prophet geschaut, welche auf das Wort der Apostel zu strömenden Segensergüssen sich öffneten. Nicht von der Erde sind diese Wolken empor gestiegen, nicht aus der Verdichtung der Gebirgsnebel zusammengeballt — nein, sie sind göttlichen Ursprungs, und in den Worten der heiligen Schriften haben sie sich über die weite Erde ergossen. 

Aus diesem Beispiel leuchtet hervor, daß nicht Alle ohne Unterschied, sondern nur diejenigen, welche durch das Streben nach wahrer Gottesfurcht sich empfehlen, der Wunder der göttlichen Allmacht gewürdigt werden; daß ferner Jene der Segnungen des göttlichen Wirkens verlustig werden, welche der Gottesfurcht entrathen. Gleichzeitig belehrt uns jenes Beispiel, daß der Sohn Gottes, um seine Kirche zu stiften, geheimnisvoller Weise menschlichen Leib annahm, nachdem das Volk der Juden verworfen war, so daß es fortan weder Rathgeber noch Propheten mehr haben wird, während ihm die Beweise wunderbarer göttlicher Erbarmung für immer versagt sind, weil es unter der Herrschaft des Neides, dieses alten Erbübels der Söhne Israels, an den Sohn Gottes nicht glauben wollte.

 

 

Cap. IV.

Die Schrift hat uns also belehrt, welche Gnadenerweise, welch’ reiche Segnungen die göttliche Güte den Witwen zu Teil werden läßt. Da sie aber von Gott so sichtlich ausgezeichnet werden, so lohnt es sich zu untersuchen, wie das dem entsprechend beschaffen sein muß. Die heilige Anna (S. c109) lehrt es uns als lebendiges Beispiel: durch den vorzeitigen Tod ihres Gatten verwitwet, hat sie den Lohn vollreifer Ehre empfangen, indem sie ebenso sehr auf die Übung der Gottesfurcht, als auf die Bewahrung der Keuschheit bedacht war. „Sie war eine Witwe,“ sagt die Schrift, „von vierundachtzig Jahren, die sich nicht entfernte vom Tempel und mit Fasten und Gebet Gott diente Tag und Nacht.“[16] 

So also wird eine heilige Witwe geschildert als eines Mannes Weib, im langen Laufe des Lebens bereits bewährt, mit fast erstorbenem Körper noch lebensfrisch für Gott und seinen Dienst. Ihre Wohnung ist der Tempel, ihre Unterhaltung Gebet, ihr Leben ein ständiges Fasten, Tag und Nacht in ungebrochener Hingabe Gott dienend, fühlt sie die Frömmigkeit nicht altern, während sie das Hinschwinden des alternden Körpers nicht verbergen kann. In der Blüthe ihres Lebens Witwe geworden, wird sie im Alter als erprobte Heldin uns vorgeführt. Solcher Witwenstand erwuchs nicht auf dem natürlichen Boden des Alters, nicht auf dem Ersterben des Körpers, sondern in erhabenem Tugendkampfe. Wenn nämlich der Evangelist sagt, sie habe von ihrer Jungfrauschaft an sieben Jahre mit ihrem Manne gelebt, so weist er gleichzeitig darauf hin, daß die ungebrochene Tugendkraft des Alters in dem treuen Streben der Jugend gegründet liegt. 

So werden wir denn belehrt, daß die Tugend der Keuschheit eine dreifache ist: die eheliche, die der Witwen und die jungfräuliche. Jede dieser Tugenden hat in dem entsprechenden Stande ihre Geltung, und wir schließen die andern keineswegs aus, wenn wir eine preisen. Darin besteht gerade der göttliche Reichtum der Kirchenlehre, daß sie wohl Vollkommnere einschließt, Verwerfliche aber gar nicht duldet. 

So haben wir die jungfräuliche Keuschheit hoch erhoben, ohne jedoch die Witwen zu verachten: so ehren wir diese letzteren, damit auch dem Ehestande seine Ehre bleibe. Und (S. c110) das und nicht unsere Vorschriften, nein, das lehren uns die göttlich bezeugten Offenbarungen. 

Erinnern wir uns nun, wie Maria, wie Anna, wie Susanna gerühmt wird. Da es aber nicht genügt, ihr Lob zu verkünden, da vielmehr ihr Beispiel Nachahmung heischt, so müßen wir uns auch gleichzeitig daran erinnern, wo Susanna, wo Anna, wo Maria sich finden, und beachten wir dann, wie die Einzelnen gerade das entsprechende Lob erhalten: die Vermählte weilt im Garten, die Witwe im Tempel, die Jungfrau in der Einsamkeit. 

Nur reift in Jenen die Tugendfrucht später, weil erst das Alter sie bewährt; in der Jungfrau zeitiger, weil die Jungfräulichkeit Ruhm und Zierde der ganzen Lebenszeit ist. Diese sucht nicht die natürliche Hülfe späterer Jahre, denn jegliches Alter trägt diese kostbare Frucht. Die Jungfräulichkeit ziemt der zarten Kindheit, schmückt die Jugend, adelt das Alter, und für jeden Lebensabschnitt kann sie ergraute Tugendhelden aufweisen. Immer schmückt sie mit dem heiligen Ernste einer gereiften Seele, mit dem Schleier der Unschuld, während sie die innige Frömmigkeit vermehrt. Wir wissen ja, daß Maria alljährlich zum Feste der Ostern mit Joseph hinaufzog gen Jerusalem. So finden wir stets dieselbe lautere Hingabe an Gott, wie der heilige Joseph immer der treue Begleiter seiner jungfräulichen Gattin ist. Keine Überhebung findet Eingang zum Herzen der Mutter Gottes, als dünke sie sich ihrer Verdienste sicher; im Gegenteile, je mehr sie ihr Verdienst erkennen muß, desto treuer löst sie ihre Gelübde, desto eifriger erfüllt sie ihre religiösen Pflichten, und desto gewissenhafter wandelt sie ihren geheimnißvollen Lebenslauf. 

Um wieviel mehr müßen die anderen Jungfrauen auf die Erhaltung der Keuschheit bedacht sein! Sie dürfen sich nicht der verkehrten Meinung hingeben, als genüge das eigene Zeugniß reiner Sitte. Denn obgleich die Reinheit der Seele der eigentliche und herrlichere Schmuck der Jungfrau ist, so muß sie doch auch jeden schändenden Verdacht, der auf ihr äußeres Verhalten fallen könnte, vermeiden. Die (S. c111) Witwe dagegen, welche ihre Jungfräulichkeit äußerlich zu bewahren nicht verpflichtet war, kann auch für ihre fernere Keuschheit nicht äußere Zeugnisse, sondern lediglich das eigene Bewußtsein ihres sittlichen Verhaltens aufführen. So lehrt denn die Schifft, wie treu und wie gottergeben die Gesinnung der Witwe sein muß.

 

 

Cap. V.

Ebenso lehrt die Schrift an einer anderen Stelle, wie barmherzig und mildtätig man gegen die Armen sein muß, ohne sich durch den Hinblick auf die eigene Armut davon abhalten zu lassen. Den Ruhm der Freigebigkeit erwirbt man ja nicht auf Grund des angehäuften Besitzes väterlichen Erbgutes, sondern durch die innere Gesinnung der Mildthätigkeit. Um nur ein Beispiel zu erwähnen, so wird durch das ewig gültige Unheil des Herrn jene Witwe allen andern vorgezogen, von der das Wort gesprochen ward: „Sie hat mehr gegeben als Alle.“[17] Damit hat der Herr als Grundsatz für das sittliche Verhalten Aller ausgesprochen, daß Keiner von der Darreichung des Almosens sich durch das beschämende Bewußtsein seiner Armuth zurückhalten lassen darf: daß aber auch die Vermögenden sich nicht schmeicheln dürfen, als hätten ihre Gaben wegen der größeren Fülle auch höheren Werth als die der Armen. Die Kupfermünze aus der knappen Tasche der Armuth gilt mehr, als die Goldbarren aus dem Schatze des Reichtums: vor Gott fällt ja nicht so sehr das, was gegeben wird, ins Gewicht, als das, was dem Geber noch verbleibt. Nun kann aber Niemand mehr geben, als derjenige, welcher für sich Nichts zurückbehält. 

Wohlan denn, du reiches Weib! du bist mit Gold beladen, du schleifst durch den Staub die Schleppe deines kostbaren Gewandes und schaust umher, als müßte dir von Allen, die niedriger und ärmer sind als du, Huldigung dargebracht werden! Aber wie magst du dem armen Weibe (S. c112) gegenüber dich erheben, weil du durch den Reichtum deiner Gaben sie übertroffen hast? Auch die Ströme entsenden ihre überfließenden Wogen, aber ist denn der Trunk aus dem kleinen Bache nicht jener Wasserfülle vorzuziehen? Es schäumt auch der gärende Most, aber dem Winzer däucht es kein Nachtheil, wenn der Schaum verfliegt. Werden die Garben gedroschen mit schallenden Schlägen, so rieseln die Körner hernieder zur Tenne; in jenem Beispiele der Schrift, da fehlen die Erntegarben, und doch war der Mehlkrug da, und es ergoß sich die gefüllte Oelschale. Die lange Dürre hatte die mächtigen Fässer der Reichen entleert, aber das arme Oelkrüglein der Witwe strömte über. Nicht das also, was man von der Überfülle gleichsam hinauswirft, gilt etwas vor Gott, sondern das, was man in frommer Gesinnung darbietet. Nie gab aber Jemand mehr, als jene Witwe, welche von dem, was den Sohn nähren sollte, den Propheten speiste; und weil nie Jemand mehr gab, darum hat auch nie Jemand Gleiches verdient. Das ist die Sittenlehre aus dieser alten Geschichte. 

Aber auch das Geheimniß ist nicht zu unterschätzen, welches jenes Weib darstellt, als es die beiden Münzen in den Tempelschatz niederlegte. Groß erscheint in der Tat das Weib, das, nach dem Urtheile des Herrn, den Vorzug vor allen Anderen verdiente. Oder deutet es nicht etwa hin auf Jene (die Kirche), die aus ihrem Glaubensschatze der Menschheit zu Nutz und Frommen beide Testamente darbietet: mehr hat doch wahrlich keine gegeben. — Von den Menschen konnte Keiner die wahre Beschaffenheit jener Gabe abwägen, welche volles Vertrauen mit großartiger Mildtätigkeit vereinte. Du also, die du dein Witwenleben im Streben nach der Tugend hinbringst, du darfst nicht zweifeln, daß du in den Schatz eine doppelte Gabe legst, beseelt vom gläubigen Vertrauen, geschmückt mit heiliger Milde. 

Glückselig Jene, welche aus dem Schatze das Bild ihres Königs unversehrt hervorbringt. Dein Schatz ist die Weisheit und die Keuschheit; dein Schatz ist die Gerechtigkeit (S. c113) und die lautere Erkenntniß. So war jener Schatz, aus dem die drei heiligen Weisen Gold, Weihrauch und Myrrhen, den Herrn zu verehren, darbrachten. Mit dem Golde deuteten sie die Macht des Königs; mit dem Weihrauch ehrten sie den Gott; mit der Myrrhe bekannten sie die Auferstehung des gestorbenen Leibes. Auch du bewahrst den Schatz, wenn du auf dich anwendest das Wort: „Wir haben diesen Schatz in gebrechlichen Gefäßen.“ Du hast Gold, welches du darbieten sollst; Gott verlangt ja nicht von dir die Gabe leuchtenden Metalles, sondern jenes Gold des Geistes, welches am Tage des Gerichtes die Feuerprobe bestehen kann. Nicht kostbare Geschenke heischt er, sondern den Duft gläubigen Vertrauens, der von dem Altare deines Herzens emporsteigt und die innigen Gefühle einer frommen Seele kundgibt. Aus solchem Schatze sind nun nicht bloß die dreifachen Gaben der Weisen, sondern auch die beiden Münzen der Witwe entnommen, auf denen unversehrt das Bildniß des himmlischen Königs erglänzt: ein Strahl seiner Herrlichkeit und ein Abdruck seiner Wesenheit. Von hohem Werte sind in der That jene so mühevollen Erwerbe, welche mit ihrer Händearbeit jene Witwe zusammenbringt, die Tag und Nacht unausgesetzt der Arbeit obliegt, die selbst in übernächtiger Mühe Lohn erwirbt, damit sie das Gedächtnis des verstorbenen Gatten rein bewahren, ihre geliebten Kinder nähren und auch den Armen dienen könne. Diese verdient doch wohl vor den Reichen den Vorzug; sie ist es, die das Gericht des Herrn nicht zu fürchten braucht. 

Das ist ein Beispiel zur Nachahmung für euch, meine Töchter; „denn es ist gut,“ sagt der Apostel, „zu eifern im Guten; beeifert euch um die vorzüglicheren Gaben.“[18] Es schaut auf euch immerdar der Herr, es schaut auf euch Jesus, wenn er hintritt zum Schatzkasten, wenn ihr den Dürftigen aus dem Verdienste eurer Hände das Almosen zu reichen euch verpflichtet haltet. Und was ist denn das, was du gibst, wenn du den Leib des Herrn empfängst? Gehe (S. c114) also nicht leer einher im Angesichte deines Herrn und Gottes, nicht baar der Barmherzigkeit, baar des Vertrauens, baar der Keuschheit; denn der Herr Jesus ist es nicht gewohnt, Tugendarme zu schauen und zu loben: nur die reich an Tugend sind ziehen seinen anerkennenden Blick auf sich. Die Jüngeren sollen dich schauen in deiner Arbeit, im Dienste der Armen. Das ist der Dank, den du Gott schuldest, daß du auch die Fortschritte Anderer ihm dankbaren Herzens darbietest. Kein Dank ist Gott wohlgefälliger, als die Gaben der Frömmigkeit.

 

 

Cap. VI.

Erscheint dir ferner Noemi unbedeutend, welche in ihrem Alter von ihrer Schwiegertochter mit den gesammelten Garben fremder Ernte ernährt wurde? Es gereicht übrigens zum Besten der Witwen, daß sie ihre Schwiegertöchter so heranziehen, daß diese ihnen im späten Greisenalter eine Stütze bieten: so empfangen sie gewissermaßen als Entgelt den Lohn für ihre Bemühung. Derjenigen, welche ihre Schwiegertochter gut unterrichtet und angeleitet hat, wird auch eine Ruth nicht fehlen, welche die Begleitung ihrer Schwiegermutter dem Verbleiben im väterlichen Hause vorzieht. Selbst wenn auch ihr Mann gestorben, wird sie jene doch nicht verlassen; in ihrer Hilflosigkeit wird sie die greise Mutter nähren, in ihrer Trauer sie trösten, und selbst wenn sie entlassen würde, nicht fortgehen: eine wahrhaft gute Erziehung hält also darbende Armut ferne. So hatte Noemi, ihres Gatten und beider Kinder beraubt, zwar den Genuß ihres Wohlstandes verloren, aber die Erträgnisse einer dankbaren Kinderliebe waren ihr geblieben; hier fand sie Trost in ihrem Schmerze, Hülfe in ihrer Armut. 

Da sehet ihr also, heilige Frauen, eine wie reiche Nachkommenschaft an Tugend und Verdienst eine Witwe besitzen kann ohne deren Verlust jemals fürchten zu müssen. Eine gute Witwe wird in der Tat den Mangel kaum kennen lernen, selbst wenn sie vor Alter gänzlich gebrochen in äußerster Armut lebt, so wird sie doch noch den Lohn für (S. c115) die gute Erziehung der Ihrigen haben. Ja selbst wenn nahe Verwandte ihr nicht zur Seite ständen, so findet sie Fremde, welche die Mutter ehren und durch kleine Gaben den Lohn für ihr freundliches Erbarmen sich sichern wollen: denn gar reichlich werden die Verdienste, die man um eine Witwe sich erwirbt, vergolten. Sie bittet um ein wenig Speise, aber sie zahlt Schätze zurück. 

Und doch scheint es, als ob sie traurige Tage verlebe, während sie mit Tränen die Zeit ausfüllt. Aber gerade darin ist sie glückselig zu preisen, daß sie himmlische Freuden mit einigen Zähren, ewigen Lohn mit wenigen Stunden des Schmerzes erkauft. Deßhalb ist mit Recht gesagt: „Selig die Trauernden, denn sie werden dereinst sich freuen.“ Wer möchte denn nun den falschen Schein gegenwärtiger Freuden vorziehen dem Vollgenusse einer sicheren Zukunft? Oder erscheint uns etwa so ganz ohne Bedeutung der erwählte hohe Urahn des Herrn, der „Asche aß wie Brod und seinen Trank mit Tränen mischte;“[19] der mit den Tränen des Abends die Freude des Erwachens sich erkaufte? Wie also könnte man hohe Freude sich sicherer verdienen, als durch tiefe Trauer, indem man gleichsam um den Preis der Tränen sich die Gnade künftiger Herrlichkeit erwirbt? 

So ist denn das für die Witwe die beste Empfehlung, daß sie über Vergängliches trauert, während sie den Gatten beweint: darum mögen denn auch lindernde Tränen bereit sein, welche den Lebenden nützen, während sie den Toten gewidmet sind. Der Seelentrauer gesellet sich zu die Träne des Auges: sie aber erweckt Mitleid, mindert die Mühen, erleichtert den Schmerz, bewahrt die Züchtigkeit. Jene darf in der Tat sich nicht mehr elend dünken, welche in Tränen ihre Tröstung findet, welche der Liebe Sold, der Treue Beweis sind.

 

 

Cap. VII.

Der guten Witwe pflegt aber auch der Starkmut nicht (S. c116) zu fehlen. Das ist ja die wahre Stärke, welche die Grenzen der Natur, die Schwäche des Geschlechtes überschreitet durch volle Hingabe des Geistes. So war es bei Judith. Während die Männer durch die Belagerung gebrochen, von Furcht ergriffen, von Hunger ermattet waren, vermochte sie allein vom Untergange zu erretten und gegen den Feind zu schützen. Während Holofernes, durch den glücklichen Ausgang so mancher Schlachten ein Schrecken seiner Feinde, zahllose Schaaren von Männern innerhalb der Mauern der Stadt festhielt, während diese trotz ihrer Waffen angstvoll bebten und schon über den schließlichen Ausgang unterhandelten: da ging Judith — so berichtet die Schrift — hinaus vor die Mauern; edler war sie als das Heer, das sie befreite, tapferer, als jenes, das sie vertrieb. 

Um aber die innere Gesinnung einer treuen Witwenschaft kennen zu lernen, braucht man nur die Erzählung der Schrift zu verfolgen. Seit jenem Tage, an welchem ihr Gatte gestorben, hat sie das Kleid der Freude abgelegt und in Trauergewänder sich gehüllt, Tag für Tag dem Fasten und der Entsagung ergeben, mit einziger Ausnahme des Sabbats und der Tage heiliger Zeiten, an denen sie aber nicht der Sinnlichkeit nachgibt, sondern der Religion sich fügt. Das ist es, was der Apostel sagt: „Ihr mögt essen oder trinken, tuet Alles im Namen Jesu Christi:“[20] so wird auch die leibliche Erquickung zu einem heiligen Akte der Gottesverehrung. Durch lange Trauer und durch tägliches Fasten war Judith also gekräftigt; sie suchte nicht irdischen Genuß, sie verachtete, durch die Gleichgültigkeit gegen den Tod noch stärker geworden, jegliche Gefahr. Um ihre List zu vollenden, nahm sie wieder das Gewand der Freude, welches sie bei ihres Mannes Lebzeiten zu tragen pflegte, als wollte sie ihrem Gatten gefallen, indem sie das Vaterland befreite. In Wirklichkeit aber schaute sie auf einen Anderen, auf Jenen, von dem geschrieben steht: „Nach nur kommt Einer, der vor mir gewesen ist.“[21] Mit Recht kleidete sie sich, zum (S. c117) Kampfe eilend, in den Schmuck vergangener Zeit; denn solche Erinnerungen an die Ehe sind Waffen für die Keuschheit: anders könnte die Witwe weder gefallen noch siegen. Wie sollen wir des Weiteren ausführen, daß sie unter Tausenden von Feinden keusch geblieben? Wie können wir ihre Weisheit rühmen, daß sie solchen Plan erdachte? Sie wählte scheinbar den Führer, um die Unverschämtheit der Niederen von sich abzuhalten und sich selbst die Gelegenheit zum Siege zu verschaffen. Sie bewahrte das Verdienst der Enthaltsamkeit, die Zierde der Keuschheit. Weder durch die Speise noch durch die Sünde befleckt, errang sie keinen geringeren Triumph, indem sie aus der Mitte der Feinde ihre Tugend rettete, als indem sie das Vaterland befreite. 

Was sollen wir hier von der Nüchternheit sagen? Mäßigkeit ist die Stärke der Frau. Siehe, eine schwache Witwe nimmt das Schwert des vom Weine berauschten, in tiefen Schlaf versenkten Mannes; sie erhebt ihre Hand, sie trifft das Haupt des gewaltigen Kriegers und schreitet dann unverletzt mitten durch die Schaaren der Feinde. Beachtet ihr wohl, wie die Trunkenheit dem Weibe schaden müßte, wenn der Wein den Mann so schwach macht, daß ein Weib ihn besiegt? Mäßig sei also die Witwe; rein vom Wein bleibt sie auch rein von der Lust. Versucht der Wein vergebens, so vermag auch die Lust Nichts. Hätte Judith sich den Genuß des Weines nicht versagt, sie wäre der Sünde nicht entgangen. Aber weil sie keinen Trunk sich gestattet, darum konnte sie allein in ihrer Nüchternheit die trunkenen Schaaren spielend besiegen. 

Das war nicht bloß ein Werk ihrer Hand, sondern viel mehr noch, ein Triumph ihrer Weisheit. Mit ihrer Rechten besiegte sie bloß den Holofernes, durch die Weisheit ihres Planes aber das ganze Heer der Feinde. Das Haupt des Holofernes in der Hand, richtete sie den Muth der Ihrigen auf und brach die Zuversicht der Feinde: das hatte kein Sinnen der Männer ausdenken können. Die Reinheit, die sie bewahrt, erhob die Ihrigen, während sie die Feinde vor (S. c118) Schrecken erbeben machte; und so wurden sie geschlagen oder vertrieben. Es hat also die Enthaltsamkeit und Nüchternheit dieser einen Witwe nicht bloß die Schwäche der eigenen Natur überwunden, sondern auch — was weit höher anzuschlagen — die Männer stärker gemacht. 

Und doch ließ sie durch solche Erfolge sich nicht zum Stolze verleiten, obwohl nach dem Siegesrechte ihr wohl angestanden hätte, zu jubeln in Heller Freude. Sie verließ nicht den Witwenstand; Alle, welche sie zur Ehe begehrten, wies sie zurück; das Kleid der Freude ablegend, nahm sie wieder das gewohnte Gewand der Trauer. Den Schmuck des Triumphes verschmähte sie, fest überzeugt, daß die Triumphe nach Besiegung der Sinnlichkeit weit erhabener sind, als wenn man feiert, nachdem man die Waffen der Feinde besiegt hat.

 

 

Cap. VIII.

Damit es nun aber nicht den Anschein gewinne, als habe lediglich diese eine Witwe solche unnachahmliche Werke vollbracht, so meinen wir, daß es von vornherein feststehen dürfte, wie viele Andere eine gleiche oder doch ähnliche Tugend besessen haben: ein gutes Saatkorn pflegt ja immer viele fruchtgefüllte Ähren zu treiben. Man darf also auch nicht zweifeln, daß jene schöne Saat alter, längst verschwundener Zeiten in den Sitten vieler Frauen Früchte getragen habe. Alle zu kennen, gebt nicht wohl an; aber auf einige dürftet ihr doch eure Aufmerksamkeit richten und ganz besonders auf Debora, von deren Tugend uns die Schrift berichtet. 

Aus ihrem Berichte geht hervor, daß die Witwen einerseits sich der Hülfe der Männer erfreuen, daß aber auch andererseits diese von jenen unterstützt werden. Durch die Schwäche ihres Geschlechtes nicht zurückgeschreckt übernahm sie Pflichten, deren Erfüllung eigentlich den Männern oblag, und tat noch mehr als sie übernommen. Als nämlich die Juden unter der Leitung der Richter standen, weil eine (S. c119) verständige Selbstregierung oder die Verteidigung gegen die Feinde ihnen nicht möglich war, während aller Orten Kriege ausbrachen: da wählten sie sich auch die Debora, um ihrer Richterführung sich anzuvertrauen. So hat denn eine einzige Witwe im Frieden Tausende von Männern geleitet und im Kriege gegen den Feind verteidigt. Es waren schon viele Richter in Israel gewesen, aber vor Debora war nie ein Weib als Richter aufgetreten, wie seit den Tagen Josuas kein Richter gleichzeitig Prophet war. Ich glaube aber, daß gerade deßhalb Debora zur Richterin erwählt ist und daß ihre Taten aufgezeichnet sind, damit die Frauen sich nicht lediglich durch die Schwäche ihres Geschlechtes von den Werken besonderer Kraftaufwendung abhalten lassen. Eine Witwe regiert die Geschlechter Israels, sie führt das Heer an und wählt andere Führer; eine Witwe[22] verfügt über Krieg und Frieden und ordnet den Triumph. Man darf also nicht die Natur anklagen als sei sie schuldig und verantwortlich für die Schwäche: nicht das Geschlecht, nein die Tugendkraft macht stark. 

Während des Friedens hat man ja nie von einer Klage, nie von einem Vergehen dieses Weibes gehört, während doch sonst Männer von nicht geringer Sündhaftigkeit als Richter für das Volk auftraten. Als aber die Kananiter, ein wildes, kriegerisches Volk, das obendrein durch die Erfolge der zu- (S. c120) strömenden Schaaren übermütig geworden, feindlich gegen die Juden auftraten, da betrieb jene Witwe vor allen Übrigen die kriegerischen Zurüstungen. Um nun den Beweis zu erbringen, daß die häuslichen Pflichten nicht unter den öffentlichen Sorgen vernachlässigt würden, daß vielmehr die Tätigkeit des Hauses auf das öffentliche Wohl bestimmend einwirkte, nahm Debora aus dem eigenen Hause den Sohn zum Heerführer. So muß die Welt erkennen, wie ein Weib, eine Witwe Krieger erziehen kann. Als Mutter hat sie ihn unterwiesen, als Richtern: ihn zum Führer erwählt; selbst eine Heldin hat sie ihn angeleitet, und als Prophetin hat sie zum sicheren Siege ihn entsandt. 

Daß aber in der Hand des Weibes wesentlich der Sieg lag, geht aus den Worten ihres Sohnes Barak hervor: „Wenn du nicht mit mir gehst, so ziehe auch ich nicht; denn unbekannt ist mir der Tag, an welchem der Herr seinen Engel mit mir sendet.“[23] Wie groß also ist die Kraft jenes Weibes, zu welcher der Heerführer spricht: „Wenn du nicht mit mir gehest, so ziehe auch ich nicht!“ Wie erhaben ist ihr Starkmut, da sie auch nicht durch ihr mütterliches Gefühl sich bestimmen läßt, den Sohn von den Gefahren zurückzuhalten! Ja sie mahnt mit dem Eifer einer Mutter ihren Sohn, den Sieg zu erringen, indem sie darauf hinweiset, daß in eines Weibes Hand sonst der erhabenste Sieg beruhe. 

Debora verkündigte also mit prophetischem Geiste den Ausgang des Kampfes. Barak aber führte auf ihr Geheiß das Heer. Jael gewann den Siegespreis; denn für sie hatte der prophetische Ausspruch Deboras sich entschieden. Sie deutet uns geheimnisvoll an den Beginn der Kirche, die aus den Völkern sich erheben sollte, um den Triumph über den geistigen Sisara, das heißt über die feindlichen (S. c121) Mächte der Hölle zu erringen. Zu unserem Besten also stritten jene prophetischen Sprüche, für uns haben jene Waffen gesiegt. Gerade deßhalb hat auch nicht das Volk der Juden, sondern Jael den Sieg über den Feind errungen. Unglückselig war nun das Volk, welches den Feind, den es in die Flucht geschlagen, in der Kraft gläubigen Vertrauens zu verfolgen nicht im Stande war. Dieses Vergehen gereichte den feindlichen Schaaren zum Heile; ihre Fahrlässigkeit hat es uns überlassen, den Sieg zu erringen. 

Jael streckte also den Sisara nieder, welchen aber die Macht der Juden unter ihrem leuchtenden Führer (das bedeutet ja der Name Barak)[24] bereits in die Flucht geschlagen hatte: die Gebete und Verdienste der Propheten erwirkten den Vätern oftmals himmlische Hülfe. Damals schon wurden aber die Siege über die geistigen Mächte der Bosheit bereitet für diejenigen, denen im Evangelium gesagt wird: „Kommet ihr Gesegneten meines Vaters, besitzet das Reich, das euch vom Anbeginn der Welt bereitet ist.“[25] Was also für die Väter der Anfang des Sieges war, das Deutet auf das Ende im Reiche der Kirche. 

Die Kirche besiegt aber ihre Widersacher nicht durch irdische, sondern durch geistige Waffen, die unter Gottes Beistand die Rüstungen und die Kraft der Mächte der Finsterniß vernichten. Darum wird auch Sisara’s Durst durch eine Schaale Milch gelöscht; denn er ward durch ihre Klugheit überwunden. Was nämlich uns heilsam ist zur Nahrung, das wird dem Gegner tödlich. Die Waffen der Kirche sind der Glaube und das Gebet, welches jeden Gegner bewältigt. 

Nach dem Inhalte dieser Geschichte hat also ein Weib das Richteramt übernommen, um den Muth der Frauen (S. c122) anzuspornen. Deßhalb hat sie Alles angeordnet und das Kommende vorhergesagt; deßhalb hat sie den Triumph errungen und mitten in den kriegerischen Schaaren hat sie durch ihre Führung — selbst ein Weib — die Männer das Kriegsbandwerk gelehrt. Als Geheimniß deutet das auf den Kampf des Glaubens und den Sieg der Kirche. 

Ihr Frauen könnt euch also unter Berufung auf die Natur nicht entschuldigen. Ihr Witwen aber könnet ebenso wenig eure Unbeständigkeit auf die Schwäche eures Geschlechtes oder auf den Verlust des Gatten, der bis dahin euch zur Seite gestanden, zurückführen. Ein Jeder genießt hinreichenden Schutzes, wenn nur die Kraft der Seele nicht mangelt. Im Übrigen ist schon das fortschreitende Alter für die Witwe eine Schutzwehr der Keuschheit; der Schmerz ferner über den verlorenen Gatten, die unausgesetzte Arbeit, die Sorge für Haus und Kinder, — alles dieses dämpft die Lüsternheit und schützt die Reinheit. Das Trauergewand aber, der Tränenstrom, die tiefe Betrübniß, von welcher die Furchen der bleichen Stirne Zeugniß geben, schrecken lüsterne Augen zurück und lassen keine Begierden aufkommen. Ja in der That, ein guter Wächter der Sittsamkeit ist die Trauer, welche aus treuer Hingebung erwächst: da kann keine Schuld einschleichen, wenn nur eine geringe Wachsamkeit angewendet wird.

 

 

Cap. IX.

Daraus müßt ihr, Witwen, nun die Überzeugung schöpfen, daß ihr der natürlichen Hülfe nicht entbehrt und daß ihr durch weisen Rath euch sehr wohl nützlich machen könnt. Auch entbehrt ihr sicher des häuslichen Ansehens nicht, da ihr ja die höchste öffentliche Gewalt ausüben könnt. 

Hier wendet man vielleicht ein, daß der Witwenstand allerdings erträglich sei bei günstigen äußeren Verhältnissen, daß aber im Unglück eine Witwe bald unterliege und zusammenbreche. Nun werden wir zwar schon durch die tägliche Erfahrung belehrt, daß heiterer Wohlstand für Witt- (S. c123) wen weit gefährlicher ist, als trübe Sorge; aber die heilige Schrift hat außerdem Beispiele genug, welche uns zeigen, daß auch dem Elende der Witwen die Hülfe nicht gebricht. Und leichter als alle Anderen werden sie solche bei Gott und den Menschen erlangen, wenn sie ihre Kinder gut erziehen und gute Schwiegersöhne erwählen. Als, um ein Beispiel anzuführen, die Schwiegermutter des Petrus in schwerem Fieber lag, da baten Petrus und Andreas sogleich den Herrn für sie: „Und der Herr stellte sich ihr zu Häupten und gebot dem Fieber, und es verließ sie; sie aber stand sogleich auf und bediente sie.“[26] 

„In schwerem Fieber lag sie“, sagt die Schrift, „und sie baten den Herrn für sie.“ Auch du hast Angehörige, die für dich bitten. Die Apostel sind dir verwandt, auch die Märtyrer, wenn du ihnen in treuer Verehrung und mit Gaben der Erbarmung nahest; denn der ist „der Nächste, welcher Barmherzigkeit übt.“ Sei auch du barmherzig und du wirst Petrus verwandt. Nicht die Gemeinsamkeit des Blutes, nein die Tugendgleichheit macht verwandt: wandlen wir ja nicht im Fleische, sondern im Geiste. Halte darum hoch solche Verwandtschaft mit Petrus und Andreas, damit sie auch für dich bitten, auf daß deine Leidenschaften dich verlassen. Getroffen von dem Worte des Herrn wirst auch du, die du noch eben am Boden lagest, dich sogleich erbeben und Christus dienen. „Denn unser Wandel ist im Himmel, woher wir auch den Heiland erwarten, unsern Herrn Jesum Christum.“[27] Niemand aber, der von der Erde sich nicht erhebt, kann Christus dienen. Diene übrigens nur dem Armen und du hast Christus gedient. „Denn was ihr einem aus diesen getan habt, das habt ihr, mir getan“ sagt der Herr.[28] Wie kann euch also Hülfe fehlen, wenn ihr euch solche Kinder, den Eurigen aber solche Freunde, solche Verwandte auswählt? 

Es baten also für die Witwe Petrus und Andreas. (S. c124) Möchte doch für uns Jemand in gleicher Weise sofort bittend eintreten, oder möchten es lieber gleich jene sein, welche für die Schwiegermutter baten. — Petrus und Andreas! Konnten sie damals für eine Verwandte beten, so können sie das jetzt auch für uns und für Alle. Ihr wisset ja, daß diejenige, welche von schwerer Sündenschuld zu Boden gedrückt wird, wenig geeignet ist, für sich selbst zu bitten, und noch weniger, etwas für sich zu erlangen. Sie sende also Andere zum Arzte, da sie selbst in ihrer Krankheit, wenn der Arzt nicht auf das Bitten Anderer zu ihr kommt, kaum etwas erbitten kann. Krank an Leib und Seele, von den Fesseln der Sünde gehindert, kann sie ihre schwachen Füße zu dem Throne des himmlischen Arztes nicht schleppen. Anrufen muß man also die heiligen Engel, deren Schutz wir übergeben sind: anrufen müßen wir die Märtyrer, deren Reliquien uns ihren Schutz zusichern dürften. Diejenigen können wohl für unsere Sünden beten, welche durch ihr eigenes Blut ihre Sünden — wenn sie deren hatten — abgewaschen haben: sie sind ja Gotteszeugen und unsere Hirten, unseres Lebens und Thuns getreue Wächter. Wir dürfen also nicht scheuen, sie als Vermittler für unsere Armseligkeit anzurufen; haben sie doch selbst die Elendigkeit des Leibeslebens — wenn sie auch als Sieger daraus hervorgegangen — wohl erkannt. 

Die Schwiegermutter des Petrus fand Jemanden, der für sie flehte; und auch du Witwe findest solche, die für dich flehen, wenn du nur als echte Witwe in deiner Verlassenheit auf Gott hoffest, wenn du nicht nachlassest in deinen Gebeten Tag und Nacht und deinen Leib abtötest, als müße er jeden Tag sterben, damit du selbst aus dem Tode erstehest. Wenn du die Lüste fliehest, so wirst du auch von deiner Krankheit geheilt werden: „denn die in Lüsten lebt, die ist lebendig todt.“[29] 

Ist dir die Gelegenheit zur Vermählung genommen, so hast (S. c125) du gleichwohl solche, die für dich eintreten. Sage nicht: „Ich bin verlassen!“ Das ist die Klage einer Heiratssüchtigen. Sage nicht: „Ich bin allein!“ Die Keuschheit sucht die Einsamkeit, die Züchtige liebt Zurückgezogenheit, nur die Lüsterne begehrt nach lebhaftem Verkehr. Aber du hast Rechtsstreitigkeiten: gut, es wird dir auch an einem Vertreter nicht fehlen. Du fürchtest deinen Gegner? Der Herr selbst tritt beim Richter für dich ein, indem er sagt: „Schaffet Recht der Waise, beschirmet die Witwe!“[30] 

„Aber du willst dein Erbteil bewahren?“ Ach, dein größtes Erbgut ist die Züchtigkeit, und die schützest du besser als Witwe, denn als Gattin. „Dein Diener hat einen Fehler begangen!“ Verzeihe ihm, denn es ist besser, eines Anderen Schuld tragen, als selber Schuld auf sich laden. „Aber du willst heiraten?“ In Gottes Namen. Dieser Wille hat an sich nichts Verwerfliches. „Ich suche ja nicht nach einen: Vorwande,“ sagst du? Aber warum wird er denn erheuchelt? Scheint dir der Grund anständig, so bekenne ihn offen; scheint er dir nicht Passend, so schweige! Sage doch nicht, du wollest für deine Kinder sorgen; du raubst ihnen ja die Mutter! Es mag dieses übrigens an sich erlaubt sein, und doch ist es in einem bestimmten Alter nicht erlaubt. Warum doch werden mitten zwischen, ja meistens nach den Hochzeiten der Töchter Vorbereitungen getroffen für die Hochzeit der Mutter? Warum lernt die erwachsene Tochter eher vor dem Bräutigam der Mutter, als vor dem eigenen erröten? Wir haben geraten, — es soll nicht geleugnet werden, — daß du dein Gewand wechseln mögest, aber nicht, daß du ein flammrotes anlegest: daß du von dem Verstorbenen dich entfernest, aber nicht, daß du einem Lebenden dich wieder zuwendest. Was ist es doch mit einer Neuvermählten, die längst schon Schwiegersöhne hat! Kann es etwas Ungeziemenderes geben, als wenn eine Mutter jüngere Kinder, als Enkel hat?“[31] 

(S. c126)

 

 

Cap. X.

Wir müßen indeß zu unserem eigentlichen Gegenstande zurückkehren, damit wir nicht im Schmerze über die Seelenwunden unserer Sünden des Arztes vergessen, oder unsere eigenen Gebrechen mehren, während wir sie bei Anderen zu heilen versuchen. Fürchtet euch nicht, weil der Herr so gar erhaben ist, als ob er sich nicht herabließe, zu den Kranken zu kommen. Er kommt ja so oft zu uns von Himmels Höben, und nicht bloß die Reichen, sondern auch die Armen und die Geringsten unter diesen pflegt er zu besuchen. Er kommt auch jetzt noch auf unsere Bitten, wie einst zur Schwiegermutter Petri, „da er sich ihr zu Häupten stellte, dem Fieber gebot und es sie verließ, während sie allsogleich aufstand und ihnen diente.“ Er verdient wohl, daß wir ihn im Gedächtniß halten, wie er es verdient, daß die Sehnsucht nach ihm uns beseelt, und daß die Liebe zu ihm, der sich zu jeder irdischen Armseligkeit herabläßt, in uns erglühe: und dann ist das Wunder alsbald gewirkt. Er scheut sich nicht, die Witwe zu besuchen, und die engen Räume der armen Hütte zu betreten. Er gebietet in der Kraft seiner Gottheit, aber er sucht uns heim in der demütigen Gestalt der Menschheit. Dank sei dem Evangelium, durch welches auch uns, die wir den Erlöser mit unseren Leibesaugen nicht in die Welt haben kommen sehen, doch, während wir seine Wundertaten lesen, ermöglicht wird, mit ihm zu verkehren. Wie Jene, denen er einstens nahte, aus ihm ihren Glauben schöpften, so nahet er jetzt uns, während wir seine Taten glauben. 

Erinnerst du dich, wie mannigfaltig die wunderbaren Heilungen von ihm gewirkt wurden? Er gebietet dem Fieber, er gebietet den unreinen Geistern, ein andermal legt er selbst die Hände auf. So pflegte er nicht bloß mit Worten, sondern auch durch Berührung die Kranken zu heilen, denn du, die du erglühst in irdischen Begierden, gefangen genommen durch die Gestalt oder durch den Reichtum (S. c127) eines Mannes, bitte Christus, rufe den Arzt herbei! Reiche ihm deine Rechte, lasse die Hand Gottes deine Seele berühren, laß die Gnade des göttlichen Wortes die tiefsten Tiefen deines Seelenlebens durchdringen, laß den Finger Gottes anpochen an deinem törichten Herzen! Einem Blinden legte er einst die Mischung aus dem Staube der Erde und seinem Speichel auf die Augen, damit diese sehend würden. So belehrt uns der Schöpfer aller Dinge, daß wir unserer Natur eingedenk sein und die Armseligkeit unseres Körpers vor Augen halten müßen; denn Niemand kann das Himmlische schauen, als derjenige, welcher im Bewußtsein seiner Niedrigkeit sich emportragen läßt. — Wiederum wird einem Anderen befohlen, sich dem Priester zu zeigen, damit er für immer vom Aussatze geheilt werde. So kann der allein die Reinheit des Geistes und Herzens bewahren, welcher gelernt hat, sich dem Priester zu zeigen, den wir als Fürsprecher für unsere Sünden erhalten haben, von dem gesagt ist: „Du bist ein Priester ewiglich nach der Ordnung des Melchisedech.“[32] 

Fürchte nicht, daß deine Heilung verziehen möchte. Wer von Christus geheilt wird, der weiß von keiner Schwierigkeit. Nur Eins ist notwendig, daß du das Mittel anwendest, welches du empfangen. Sobald er dann das gebietende Wort gesprochen, sieht der Blinde, wandelt der Gichtbrüchige, redet der Stumme, hört der Taube; die, welche im Fieber lag, steht auf und bedient, und der Besessene ist befreit. Du nun, die du hinsiechst an einer schmachvollen Begierlichkeit, bitte den Herrn, komme mit wahrem Glauben und du hast keine Verzögerung zu fürchten. Wo Gebet emporsteigt, da ist alsbald auch das ewige Wort zur Hülfe bereit: dann flieht die Lust, es weicht die Begierde. Scheue auch nicht die Pein des Bekenntnisses, nein, nimm es vielmehr als ein Vorrecht in Anspruch. Du wirst es erfahren: während du noch kaum vorher darniederlagst, herabgedrückt durch die Unenthaltsamkeit einer bösen Sinnlichkeit, wirst du alsbald anfangen, Christo zu dienen. 

(S. c128)Es kann hier nun auch die Willensrichtung der Schwiegermutter Petri betrachtet werden, aus welcher, wie aus einem Saatkorne, das, was folgen sollte, emporkeimte. Es in ja für einen Jeden der Wille gewissermassen der Vater seiner Zukunft; denn aus dem Willen wird jene Weisheit geboren, mit welcher der weise Mann des alten Bundes die Vermählung eingehen will, wenn er sagt: „Ihr mich zu vermählen, war meines Herzens Entschluß.“ Das ist immer noch jener Wille, der Anfangs unter den Fieberschauern der Begierden matt und krank war, der aber dann durch die Kraft apostolischer Wirksamkeit schon gestärkt sich zum Dienste Christi erhoben hat. 

Gleichzeitig wird hier kund, wie Jener beschaffen sein muß, der Christo dient. Er muß vor Allem frei sein von den lockenden Lüsten der Begierlichkeit, frei von tiefinnerlicher Erkrankung Leibes und der Seele, wenn er die Geheimnisse des Leibes und Blutes Christi feiern will. Niemand, der krank ist an seinen Sünden, kann jene Geheimnisse, die unsterbliches Leben verleihen, feiern. — Siehe darum wohl zu, was du tust, o Priester, und wage nicht mit sündenbefleckter Hand den Leib des Herrn zu berühren! Zuerst sorge für deine Heilung und dann magst du des heiligen Dienstes warten. Wenn Christus befiehlt, daß die Gereinigten, welche vorher vom Aussatz befleckt waren, zu den Priestern eilen sollen, um wie viel mehr geziemt es sich, daß der Priester selbst rein sei! Wenn ich so rede, so darf jene Witwe sich ferner nicht mehr betrügen, als schone ich ihrer zu wenig! Schone ich ja roch mich selbst nicht! „Es erhob sich — sagt die Schrift — die Schwiegermutter Petri und diente ihnen.“ Das war durchaus richtig: ihr Dienst war ein Vorbild der heiligen Verwaltung der Sakramente kraft apostolischer Gnadengabe. Es ist den Dienern Christi eigen, daß sie sich erheben jenem Worte gemäß: „Stehe auf, der du schläfst, erhebe dich von den Toten.“[33] 

(S. c129)

 

 

Cap. XI.

Wir sagten also, daß die Witwen ihres Unterhaltes nicht entbehren würden, wenn sie selbst nur zum Almosengeben bereit sind. Wie wollte ihnen ferner die nötige Hülfe fehlen, wenn oft genug in den höchsten Gefahren das Eigentum der Männer von ihnen verteidigt ist?! Wir sind auch der Meinung, daß die Sorgen, welche sonst dem Gatten oblagen, ohne Schwierigkeit von Schwiegersöhnen oder sonstigen Verwandten übernommen werden; daß ferner die göttliche Barmherzigkeit gerade gegen sie besonders bereitwillig zum Helfen ist. Wenn also ein besonderer Grund zur Wiedervermählung sich nicht zu bieten scheint, so sollte auch das Streben darnach fehlen. 

Sprechen wir übrigens das als Rath aus, so wollen wir damit selbstverständlich keinen Befehl erteilen, wodurch wir die Witwe viel mehr reizen, als binden würden. Wir verbieten ja nicht die zweite Vermählung, aber wir raten auch nicht dazu. Etwas Anderes ist die Rücksicht auf die menschliche Schwäche, und wiederum etwas Anderes die Gnadengabe der Keuschheit. Wir sagen noch mehr: wir verbieten die Wiedervermählung nicht, aber wir billigen auch nicht die öfter wiederholte Hochzeitsfeier. Es ziemt sich ja auch in der Tat nicht Alles, was erlaubt ist. „Alles ist mir erlaubt,“ sagt der Apostel,[34] „aber nicht Alles frommt.“ Auch Wein zu trinken ist erlaubt, aber oft genug frommt das nicht. 

Es ist also immerhin erlaubt, sich wieder zu vermählen; aber schöner ist es, der Enthaltsamkeit zu folgen. Fesseln bleiben die Ehebande ja doch! Und wollt ihr wissen, welche? „Ein Weib, das unter dem Manne steht, ist an das Gesetz gebunden, so lange der Mann lebt: wenn aber ihr Mann stirbt, so ist sie frei vom Gesetze des Mannes.“[35] Die Ehe ist darnach also ein Band, durch welches das Weib gefesselt, von dem es gelöst wird. Schön ist die Huld gegenseitiger Liebe, aber die Knechtschaft tritt noch mehr hervor. „Das Weib hat keine Macht über ihren Leib, sondern der Mann.“ (S. c130) Damit es aber nicht scheine, als handle es sich um eine Unterwerfung bloß des einen Geschlechtes, so nimm die folgenden Worte des Apostels hinzu: „In gleicher Weise hat auch der Mann keine Macht über seinen Leib, sondern das Weib.“[36] Wie arg also ist die gegenseitige Bedrängniß im Ehestande, daß der eine dem anderen, daß sogar der stärkere Teil dem schwächeren unterworfen ist! Mit wechseitiger Bedrängniß ruht also auf beiden die Dienstbarkeit, und selbst da, wo das Verlangen nach Enthaltsamkeit im Herzen weilt, ist die Unterwerfung geboten. Und doch sagt der Apostel:[37] „Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht Knechte der Menschen.“ Ihr sehet also, wie genau die eheliche Knechtschaft abgegrenzt ist. Nicht ich sage euch dieses, sondern der Apostel sagt es; ja auch er eigentlich nicht, sondern Christus redet durch ihn. Und hier ist noch immer von guten Ehegatten die Rede. Vorher aber hat der Apostel gesagt:[38] „Der ungläubige Mann wird geheiligt durch das gläubige Weib, und das ungläubige Weib wird geheiligt durch den gläubigen Mann. — Will aber der Ungläubige sich scheiden, so mag er sich scheiden; denn nicht gebunden ist der Bruder oder die Schwester in solchem Falle.“ Wenn demnach die gute Ehe eine Knechtschaft ist, was ist dann eine schlechte Ehe, in der die Gatten sich nicht gegenseitig heiligen, sondern zu Grunde richten? 

Wie wir aber die Witwen mahnen, das Gnadengeschenk der Tugend sich zu bewahren, so fordern wir alle Frauen auf, der kirchlichen Lehre zu folgen: die Kirche umfaßt alle Menschen. Ein Teil der Herde Christi wird freilich mit stärkerer Speise genährt; ein anderer aber nach den Worten des Apostels wird noch mit Milch gespeiset. Von diesen gerade müßen die Wölfe ferne gehalten werden, welche in Schafspelze sich hüllen und unter dem Scheine der Enthaltsamkeit zu den Lastern der Unkeuschheit verführen. Sie wissen, wie schwer die Bewahrung der Keuschheit ist. Während sie nun selbst die Bürde, welche die Tugend auflegt, kaum mit einem Finger berühren, während sie selbst nicht (S. c131) das nothwendige Maß der Tugend innehalten, vielmehr unter der tyrannischen Herrschaft der Sünde stehen, da stellen sie an Andere Forderungen über alles billige Maß hinaus. Die Schwere der Last muß sich ja immer richten nach der Kraft des Trägers, oder es bricht unter dessen Schwäche Mann und Last zusammen, wie rauhe Manneskost der Brust des Kindes zum Ersticken paßt. 

Bei einer Menge Träger ist die Kraft einiger Weniger nicht maßgebend; es wird aber auch nicht den Stärkeren nach dem Grade der Schwäche bei Anderen aufgelegt, sondern einem jeden wird nach seinem Wunsche die Last zugemessen, wobei dann der Verdienst wächst mit der zunehmenden Kraft. In gleicher Weise dürfen auch die Frauen nicht über ihre Kräfte mit Vorschriften höherer Enthaltsamkeit gefesselt werden: vielmehr muß jeder Einzelnen überlassen bleiben, sich zubinden, und zwar nicht gezwungen durch das Gewicht eines Gebotes, sondern gerufen durch die Macht der wachsenden Gnade. Deßhalb ist auch für verschiedene Tugenden ein verschiedener Lohn ausgesetzt: und keineswegs wird das Eine getadelt, während das Andere gepriesen wird, sondern Alles wird verkündet, damit das Bessere den Vorzug erlange.

 

 

Cap. XII.

Verehrungswürdig ist also die Ehe, aber erhabener ist die jungfräuliche Reinigkeit. Denn „wer seine Jungfrau verheiratet, tut wohl; wer sie nicht verheiratet, thut besser.“ Was nun gut an sich ist, das ist man zu meiden nicht verpflichtet; was aber besser ist, das muß Gegenstand der freien Wahl sein, weßhalb es denn auch nicht aus-, sondern zur Wahl vorgelegt wird. 

Gerade deßhalb sagt auch der Apostel mit Recht: „Was aber die Jungfrauen betrifft, so habe ich kein Gebot vom Herrn; einen Rath aber gebe ich.“ Das Gebot wird den Untergebenen aufgelegt, der Rath wird den Freunden erteilt. Beim Gebote handelt es sich um die Befolgung eines Gesetzes; beim Rathe um die Wirksamkeit der Gnade. Das Gebot ruft zurück in die Grenzen der Natur, der Rath (S. c132) ruft zum Fortschreiten im Gebiete der Gnade. Deßhalb war den Juden das Gesetz gegeben, während die Gnade den Auserwählten vorbehalten blieb. Das Gesetz sollte die, welche dem Drange der Sünde folgend über die Grenzen der Natur hinausgeschritten waren, durch den Schrecken vor der Strafe zurückrufen zur Beachtung jener natürlichen Grenzen; die Gnade aber sollte zum Fortschreiten einladen unter dem Einflusse der Tugend und auch durch die Verheißung der künftigen Belohnung. 

Der Unterschied zwischen Vorschrift und Rath wird sich klarer herausstellen, wenn man sich jenes Jünglings im Evangelium erinnert, dem zuerst gesagt ward: „Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht falsches Zeugniß geben.“ Das sind Gebote, weil auf die Übertretung Strafe gesetzt ist. Da jener aber überzeugt war, daß er die Vorschriften des Gesetzes allezeit erfüllt habe, so ward ihm der Rath, nicht der Befehl, gegeben: er solle Alles verkaufen und dem Herrn nachfolgen. Es gibt demnach eine doppelte Form, wie unser Wille gebunden wird: entweder durch ein bestimmtes Gesetz oder durch freie Übernahme einer Verpflichtung. Deßhalb sagt der Herr einmal: „Du sollst nicht töten“, zum anderen Male: „Willst du vollkommen sein, so verkaufe Alles.“ Der unterliegt ja nicht dem strengen Gebote, in dessen Belieben die Erfüllung gestellt wird. 

Diejenigen, welche die Gebote erfüllt haben, können sagen: „Wir sind unnütze Knechte; was wir tun mußten, das haben wir getan.“[39] So mag eine jungfräuliche Seele, so mag der, welcher all sein Hab und Gut um des Herrn willen verkaufte, nicht reden. Sie können im Hinblick auf die verheißene Belohnung mit dem Apostelfürsten sagen: „Wehe, wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird unser Lohn sein?“ Nicht wie unnütze Knechte, welche nur taten, was sie zu thun schuldig waren, müßen sie von sich reden. Sie waren, da sie die ihnen anvertraute Talente durch ihre Mitwirkung vermehrten, dem Herrn (S. c133) in der Tat nützlich und können deßhalb auch, im sicheren Bewußtsein ihrer Verdienste, den Lohn der Treue und Tugend erwarten. Ihnen gilt also nicht minder die Antwort: „Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der Wiedergeburt, wenn der Menschensohn auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen wird, auch auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.“[40] Jenen aber, welche die Talente nur treu bewahrt hatten, wird auch Lohn verheißen — aber geringerer — mit den Worten: „Weil du über Weniges getreu warest, will ich dich über Vieles setzen.“ Die Treue ist also pflichtmäßig, aber in der Belohnung offenbart sich stets die Barmherzigkeit. Wer gut und treu war, der verdient, daß auch ihm Treue gehalten werde; wer sich und seinen Nutzen nicht gesucht hat, der hat Anspruch darauf, Himmlisches zu erhalten.

 

 

Cap. XIII.

Es wird nun also hier nicht ein Gebot, sondern nur ein Rath gegeben: das Gebot erstreckt sich auf die Keuschheit, der Rath auf die jungfräuliche Reinigkeit. „Aber[41] nicht Alle fassen dieses Wort, sondern nur die, denen es gegeben ist; denn es gibt Verschnittene, die vom Mutterleibe so geboren sind“ (bei ihnen ist von der Tugend der Keuschheit keine Rede); „und es gibt Verschnittene, die von Menschen dazu gemacht wurden; und solche, die sich selbst verschnitten haben“ in freiem Entschlusse um des Himmelreichs willen. In ihnen ist die Gnade der Enthaltsamkeit mächtig geworden; denn der Wille, nicht körperliche Beschaffenheit macht die Tugend. Wo nicht gekämpft zu werden braucht, da ist auch keine Siegeskrone zu beanspruchen. 

Was aber diejenigen betrifft, welche in mißverstandenem Eifer Hand an sich selbst legen, so will nicht ich sie verurteilen: es genügen die Satzungen der Vorfahren, was nützt aber die äußere, körperliche Keuschheit, da ja im Blicke schon Sündenschuld liegen kann?! Denn „ein Jeder, der (S. c134) ein Weib mit Begierde nach ihr ansieht, hat die Ehe schon mit ihr gebrochen in seinem Herzen.“[42] 

Wenn aber der Herr sagt: „Es gibt solche, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreichs willen,“ so schließt das kein Gebot ein, das Alle verpflichtet, sondern einen an Alle gerichteten Wunsch. Derjenige, welcher Gesetze gibt, muß allezeit das richtige Maß seiner Bestimmungen innehalten; wer die Verteilung besorgt, muß immer eine billige Prüfung vorausgehen lassen; denn „eine trügerische Waage ist ein Gräuel bei Gott.“[43] Es gibt eben ein zu großes und ein zu kleines Gewicht: die Kirche verwirft aber beide, „denn doppeltes Gewicht und doppeltes Maß, beides ist ein Gräuel bei Gott.“[44] Wo die Weisheit die Verteilung lenkt, da wird die Tugend und die Kraft des Einzelnen wohl ermessen, und deßhalb sagt der Herr: „Wer es fassen kann, der fasse es.“ 

Der Schöpfer aller Dinge weiß, daß die Anlagen der Einzelnen verschieden sind und gerade deßhalb ruft er durch gesteigerte Belohnungen die Tugend hervor, aber er beschwert die Schwäche nicht durch härtere Fesseln. Das wußte auch der Völkerapostel, der vortreffliche Lehrer guter Sitte, der (S. c135) von sich selbst erkannt hatte, daß das Gesetz des Fleisches dem Gesetze des Geistes widerstreite, daß jenes aber der Gnade Christi weiche: er wußte, daß die verschiedenen Strömungen des Geistes sich entgegengesetzt sind. Darum richtet er seine Mahnung zur jungfräulichen Reinigkeit auch so ein, daß die Heiligkeit des Ehestandes darunter nicht leidet; auf der andern Seite aber erhebt er die Ehe nicht so sehr, daß dadurch das Streben nach jungfräulicher Reinigkeit irgend beseitigt wird. Er beginnt mit der Mahnung zur Keuschheit und schreitet vor bis zu den Mitteln gegen die Unenthaltsamkeit. Wenn er den Preis der höchsten Berufung den Stärkeren zeigt, so duldet er doch auch nicht, daß Jemand auf dem Wege vor Schwäche erliege. Er spendet reiches Lob den Ersteren, aber er verachtet die Anderen nicht. Hatte er ja doch selbst erfahren, daß der Herr Jesus den Einen Gerstenbrot gab, damit sie auf dem Wege nicht erlägen, den Anderen aber seinen heiligen Leib, damit sie mit voller Kraft dem Himmelreich zustrebten. 

Der Herr selbst nun hat kein Gebot aufgelegt, sondern nur den freien Willensentschluß angespornt; so hat auch der Apostel keinen Befehl, sondern nur einen Rath erteilt. Das ist nicht der Rath eines Menschen innerhalb der Grenzen menschlicher Kräfte: er bekennt vielmehr selbst, daß es ein Geschenk der göttlichen Erbarmung sei. Somit weiß er als treuer Lehrer das Eine vorzuschreiben, das Andere nahe zu legen. Er sagt nicht: „Ich bestimme,“ sondern: „Ich halte dafür, daß dieses gut sei um der obwaltenden Not willen.“ 

Darnach ist also das eheliche Band nicht wie eine Sündenschuld zu fliehen; man darf ihm aber wohl wie einer Last des Lebens ausweichen. Das Gesetz bindet das Weib, Mutter zu sein in Mühe und Traurigkeit, und ihr Verhältnis zum Manne ist das der vollen Unterwerfung. Die Witwe ist befreit von jenen Mühen und Schmerzen der Gattin, und nur die ehelich Verbundene steht unter der Herrschaft des Mannes. Von all dem aber ist die Jungfrau frei, welche dem ewigen Worte ihre tiefsten Herzensneigungen geweiht hat, welche den Bräutigam mit brennender Fackel und treuem, (S. c136) festem Willensentschlusse erwartet. Sie wird deßhalb auch nur durch wohlgemeinten Rath herangerufen, aber nicht durch drückende Bande zur Nachfolge gezwungen.

 

 

Cap. XIV.

Indessen haben auch die Witwen keinen Befehl, sondern nur einen Rath erhalten, der nicht einmal, sondern so oft wiederholt ist. Es sagt der Apostel zuerst: „Es ist dem Menschen gut, kein Weib zu berühren;“ dann „Ich wünschte, daß alle Menschen wären, wie ich selber;“ darauf: „Es ist den Witwen gut, wenn sie so bleiben, wie auch ich,“ und endlich: „Es ist gut um der obwaltenden Not willen.“ Daß aber das Verharren im Witwenstande seliger sei, das lehrt er nicht als eigenen Rath, sondern als Eingebung des heiligen Geistes. Wo ist nun Jene, welche die Milde eines solchen Führers verschmäht, der dem Willen die Hügel nachläßt und Anderen nur das anräth, was er auf Grund eigener Erfahrung für nützlich erkennt, der so leicht zu verstehen, dem man ohne Überdruss folgen kann?! Wo ist Jene, die es verschmähte, heilig zu werden an Leib und Seele, da doch weit über die Mühe der Lohn erhaben ist, da die Gnade das Bedürfniß überschreitet? 

Alles dieses sage ich nun keineswegs, um Anderen Fesseln anzulegen, sondern um als treuer Hüter des mir anvertrauten Landes diesen Teil der Kirche in seiner Fruchtbarkeit erblicken zu können, wie er jetzt duftet von der Blüte jungfraulicher Reinigkeit, jetzt strahlt in dem hohen Ernste der Witwen, und wiederum wie er reich ist an den Sprossen christlicher Ehen. Unter sich verschieden sind das alles doch Früchte Eines Ackers: es gibt nicht so viele Lilien der Gärten als Kornähren auf den Saatfeldern und es werden auch weitmehr Äcker zur Aufnahme der Saat bestimmt, als nach gelieferter Ernte brach liegen. 

Gut ist also das Witwentum, das so oft durch apostolisches Urteil gepriesen wird; es ist Lehrerin gläubigen Vertrauens wie wahrere Keuschheit. Deßhalb haben denn auch Jene, welche die Nichtswürdigkeiten ihrer Götter ver- (S. c137) ehren, gegen Unvermählte und Witwen Strafen festgesetzt.[45] So verfolgten also die Partheigänger des Lasters gesetzlich das Streben nach Tugend: unter dem Vorgeben allerdings, als müßten sie für die Vermehrung der Bevölkerung sorgen, in Wirklichkeit aber geleitet von dem Bestreben, die Keuschheit ferne zu halten. — Und doch legt auch der Krieger nach Ablauf der ausbedungenen Feldzugsfrist die Waffen nieder und kehrt aus seinen seitherigen Verhältnissen entlassen als Veteran zu dem eigenen Anwesen zurück; er genießt auf diese Weise nach den Mühen eines angestrengten Lebens einer wohlverdienten Ruhe und macht gleichzeitig Andere durch die Aussicht auf solchen Lohn bereitwilliger, die Beschwerden des Kriegsdienstes zu übernehmen. — Auch der Landmann überläßt in höherem Alter Anderen die Führung des Pfluges und widmet sich, körperlich matt von den Arbeiten der Jugend, einer ruhigen Sorge des Alters. Den Weinstock zu schneiden ist er wohl noch im Stande, den (S. c138) Wein zu pressen vermag er nicht mehr. So drängt er die keimende Üppigkeit zurück, während er die schon aufschießende Überfülle mit dem Messer abschneidet, und er lehrt so, daß selbst beim Weinstock eine bestimmte Beschränkung und Ertötung stattfinden muß. 

In gleicher Weise legt die Witwe, gleichsam eine Veteranin nach beendigter Dienstzeit, die Waffen nieder, die sie während des Ehestandes geführt hat;[46] aber sie schirmt nun den Frieden des ganzen Hauses. Selbst der vielen Lasten ledig, sorgt sie für die Jüngeren, die der Vermählung entgegensehen; mit dem vorsichtigen Ernste des Greisenalters bestimmt sie, wo sichere Aussicht auf die Zukunft die Vermählung und Gründung einer Familie ratsamer erscheinen läßt. Wenn übrigens den Erfahrenem und Älteren das Anwesen eher übertragen wird, warum glaubst du denn, dich als Gattin zum zweitenmale vermählt nützlicher machen zu können, denn als Witwe? Wenn die Heiden als Verfolger des Glaubens auch den Witwen sich feindlich gesinnt erwiesen, so soll man doch wahrlich den Witwenstand nicht als eine Strafe fliehen, sondern als eine Belohnung annehmen, wenn man anders die Wege des Glaubens wandelt.

 

 

Cap. XV.

Vielleicht möchten nun Einzelne sich zur zweiten Ehe entschließen, um sich Nachkommenschaft zu sichern. Sind aber aus erster Ehe bereits Kinder vorhanden, so fällt dieser Grund von selbst; und ist es im andern Falle ratsam, von Neuem die Trübsal einer kinderlosen Ehe zu übernehmen? 

Wenn ferner einer Witwe ihre Kinder durch den Tod entrissen sind, muß es ihr nicht scheinen, als wolle sie mit der Feier der zweiten Hochzeit die Leichen ihrer gestorbenen Kinder verrecken? Und wird sie nicht noch einmal all das durchmachen, was sie bereits erfahren? Erschrecken sie nicht die Leichenhügel aus erster Ehe, die Erinnerung an die erlittene (S. c139) Beraubung, an das Weinen der Leidtragenden? Oder muß sie, wenn Abends die Fackeln angezündet werden, nicht viel eher glauben, sie leuchteten zu einer Leichen- als zu einer Hochzeitfeier? Warum also, meine Tochter, willst du die Schmerzen, die du doch so sehr fürchtest, erneuern, als ob du Kinder verlangest, auf die du nicht mehr hoffst? Ist dein Schmerz wirklich so groß, so meine ich, müßte man das, was ihn veranlaßte, fliehen, nicht aber darnach verlangen. 

Welchen Rath soll ich nun aber dir geben, die du mit Kindern gesegnet bist? Welcher Grund liegt für dich vor, zu einer zweiten Ehe zu schreiten? Vielleicht treibt dich törichte Leichtfertigkeit, vielleicht auch die Überzeugung deiner eigenen Unenthaltsamkeit oder das Gefühl deines liebekranken Herzens. Nun, man erteilt nur den Nüchternen, nicht aber den Trunkenen guten Rath; und deßhalb richtet sich mein Wort denn auch nur an diejenigen, deren Bewußtsein in beiden Beziehungen gesund ist. Die Liebeskranke mag ihr Heilmittel versuchen; nur der Verständigen gilt mein Rath. Was beabsichtigst du denn nun, meine Tochter? Weßhalb suchst du andere Erben, da du deren bereits besitzest? Nach Kindern verlangst du nicht, sie sind dir schon geschenkt. Ach nein, in Wirklichkeit verlangst du nach einer Knechtschaft, die du gegenwärtig nicht fühlst. Es handelt sich ja in der Tat recht eigentlich um eine Knechtschaft, wo die Liebe bereits erstorben ist, welche einst unter dem Einflusse jugendlicher Schönheit, unter dem Wiederscheine jungfräulichen Errötens erglühte. Jetzt muß ja jede Beleidigung tiefer verletzen, jeder nicht gewohnte Schmuck muß eifersüchtig machen; die Einigkeit aber wird selten, weil sie weder unter dem Schutze einer mit der Zeit tiefgewurzelten Liebe, noch unter der Herrschaft jugendlich blühender Schönheit steht. — Und ist denn das nicht eine gar traurige Verehrung gegen den Gatten, wenn du fürchten mußt deine Kinder zu lieben, wenn du schon bei ihrem Anblicke erröten mußt? Gerade dort wird also die Ursache des Unfriedens liegen, wo sonst gemeinschaftliche Liebe die Gefühle der Eltern immer wieder (S. c140) anfacht. Du wünschest Söhnen das Leben zu geben, die in Zukunft nicht Brüder, sondern Gegner deiner eigenen Kinder aus früherer Ehe sein werden! Was anders heißt das aber, als diese deine Kinder berauben, da ihnen ebenso die Beweise deiner Liebe, wie die Vorteile der Erbschaft genommen werden?! 

Mit göttlichem Ansehen hat das Gesetz des Herrn die Gatten unter einander verbunden und doch bleibt nur schwer die gegenseitige Liebe. Es nahm der Herr eine Rippe aus der Seite des Mannes, formte daraus das Weib und sprach, um sie einander zu verbinden: „Sie werden zwei sein in einem Fleische.“ Nicht aber von der zweiten, sondern nur von der ersten Ehe sagte er dieses; denn weder Eva noch die Kirche hat einen zweiten Gatten anerkannt, und doch sagt der Apostel: „Die Ehe ist ein großes Sakrament in Christus und seiner Kirche.“ So muß es gehalten werden. Auch Isaak kannte keine andere Gattin als Rebekka, und er bestattete Abraham seinen Vater mit keiner anderen als mit Sarah. 

Dagegen müßen wir in Rachel mehr ein geheimnißvolles Vorbild, als die rechte Ordnung der Ehe finden. Und doch finden wir auch bei ihr etwas, was wir auf die Erhabenheit der ersten Ehe zurückführen müßen. Sie war nämlich die erste Verlobte, Jakob hatte sie zumeist geliebt, der Betrug aber, dessen Gegenstand Jakob bei der ersten Vermählung war, konnte die Liebe zur ersten Braut nicht aufheben. So lehrt uns der heilige Patriarch, wie hoch wir die erste Ehe halten müßen, wenn ihm schon die erste Verlobung so hoch stand. So hütet euch denn, meine Töchter, daß ihr nicht euch selbst hindert, die Huld der Ehe zu erfahren, indem ihr die Beschwerden lediglich vermehret!

 


 

[1] I. Kor. 7, 34.

[2] I. Kor. 7, 36 f.

[3] III. Kön. 17.

[4] Mtth. 6, 26.

[5] I. Mos. 1, 29.

[6] III. Kön. 17, 12.

[7] I. Tim. 5, 3 ff.

[8] Isai. 1, 17.

[9] Ps. 145, 9.

[10] Ps. 131, 15.

[11] Luc. 13, 7.

[12] Isai. 54, 1 ff.

[13] Ps. 71, 6.

[14] Richt. 6, 37 ff.

[15] Ps. 75, 2.

[16] Luk. 2, 36—38.

[17] Mark. 12, 43.

[18] Gal. 4, 18; I. Kor. 12, 31.

[19] Ps. 101, 10.

[20] Kol. 3, 17.

[21] Joh. 1, 15.

[22] Ambrosius setzt hier voraus, daß Debora Witwe gewesen sei, wie er sie gleich nachher als Mutter Barak’s aufführt. Es scheint, als ob Hieronymus in seiner scharfen Weise auf dieses Versehen anspiele (epist. 10. ad Furiam: „Quidam imperite et Deboram inter viduas memorant, ducemque Barach arbitrantur Deborae filium, cum aliud scriptura commemoret.“ Witwe kann Debora übrigens immerhin gewesen sein, wenn sie auch Jud. IV. 4 das Weib Lapidoths genannt wird. Dagegen kann Barak nicht füglich ihr Sohn sein, weil er geradezu als Sohn Abinoams eingeführt wird, ganz abgesehen davon, daß Debora zwischen Rama und Bethel im Stamme Benjamin auf dem Gebirge Ephraim, Barak aber in der Levitenstadt Kedes im Stamme Naphtali wohnte.

[23] Ambrosius citirt hier Jud. 4, 8 nach den LXX; im hebräischen Text fehlt der Zusatz: „οὐκ οἶδα τὴν ἡμέραν, ἐν ἧ εὐοδοῖ κύριος τὸν ἄγγελον μετ’ ἐμοῦ.“

[24] בָּרָק Blitz; Hiob 20, 25 ohne jeden Zusatz für „blizzendes Schwert.“ Vom Glanze des Schwertes wird es oft gebraucht. Das punische Barkas ist in gleicher Bedeutung ehrender Beiname für Hamilkar, den Vater des großen Hannibal.

[25] Matth. 25, 34.

[26] Luc. 4, 39.

[27] Phil. 3, 20.

[28] Matth. 25, 40.

[29] I. Timoth. 5, 5.

[30] Isa. 1, 17.

[31] Die letzten Absätze wenden sich direct an die Witwe, deren Verhalten Veranlassung zu der ganzen Abhandlung gegeben hatte.

[32] Ps. 109, 4.

[33] Ephes. 5, 14.

[34] I. Kor. 6, 12.

[35] Röm. 7, 2.

[36] I. Kor. 7, 4.

[37] Ebendas. V. 23.

[38] Ebds. V. 14.

[39] Luk. 17, 10.

[40] Matth. 19, 27.

[41] Matth. 19, 11.

[42] Der in zwei Paragraphen hier des Näheren behandelte Gegenstand muß es rechtfertigen, daß bei der Übersetzung einige Auslassungen stattgefunden haben, und daß hie und da statt des Wortlautes nur eine Andeutung wiedergegeben ist. Die Berufung auf Gal. 5, 12, als handle es sich dabei um eine Strafbestimmung: „Nemo igitur se debet abscindere … praesto Apostolici forma praescripti: Utinam abscindantur, qui volunt vos circumcidi“ ist ganz ungerechtfertigt. Das Wort des Apostels „Ὄφελον καὶ ἀποκόψονται οἱ ἀναστατοῦντες ὑμᾶς“ (Vulg. Utinam et abscindantur, qui vos conturbant.) bezieht sich lediglich auf diejenigen, welche Alles daran setzten, um nur die Beschneidung aufrecht zu erhalten; ihnen stellt der Apostel sarkastisch das ὄφελον καὶ ἀποκόψονται entgegen! Was dagegen die sogenannten apostolischen Kanonen (Can. XXI-XXIII) ad hoc verordnen, mag zur Zeit des Ambrosius allerdings kirchliche Praxis gewesen sein.

[43] Sprüchw. 11, 1.

[44] Ebendas. 20, 10.

[45] Ambrosius meint hier wohl die Bestimmungen der lex Julia de maritandis ordinibus, in der neueren Redaction des Jahres 762 u. c. 9 n. Chr. genannt lex Julia et Papia Poppaea. Der Grund für den Erlaß des Gesetzes ist sicher nicht zu suchen in einer feindseligen Gesinnung gegen die Tugend der Keuschheit, die in Rom nicht so in Blüthe stand, daß sie durch Strafmandate hätte müßen zurückgedrängt werden. Im Gegentheil gab die wegen steigender Unsittlichkeit immer mehr um sich greifende Ehelosigkeit, welche lediglich die Mühen des Ehestandes und der Kindererziehung scheute, Veranlassung zu dem Gesetze. Gerade bei dem leichtfertigsten Teile der römischen Bevölkerung stieß das Gesetz auf heftigen Widerstand, und Augustinus mußte auf das Drängen der Ritter wiederholt Fristen für die volle Einführung des Gesetzes gewähren. — Es entsprach übrigens dem ganzen Wesen der römischen Staatsanschauung, daß von Staatswegen darauf gesehen wurde, daß die Bürger heiratheten und Kinder zeugten, weil eben der persönliche Wille sich ganz dem allgemeinen Staatszweck unterordnen mußte. Von diesem Gesichtspunkte aus läßt auch Plato in seinem Musterstaat den Ehezwang bestehen. Das spartanische Gesetz gestattete wegen Ehelosigkeit eine δίκη ἀγαμίου und wegen spät oder nicht in geeigneter Weise geschlossener Ehe eine δίκη ὀψιγαμίου und κακογαμίου.

[46] Wie weit dieser Vergleich für die Frauen annehmbar erscheinen möchte, steht dahin; der Sinn ist besser, als der Ausdruck.

 

 

 

Die hier zugänglichen Texte dienen einem schnellen Nachschlagen oder einem gemütlichen Schmökern. Sie können und wollen jedoch in keiner Weise moderne Textausgaben ersetzen: Wer wissenschaftlich mit diesen Texten arbeiten will oder muss, kommt um die Konsultation moderner Übersetzungen und Editionen nicht herum. Besonders Studierende sollten sich vor der Versuchung hüten, diese Texte würden sie vor einem Gang in die Universitätsbibliothek bewahren. Textquelle Dr. Gregor Emmenegger Université Fribourg CH: http://www.unifr.ch/bkv/

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